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(Aus d. Klin. Institut f. funkt. Diagnostik u. exp. Therapie und d. psychiatr. Klinik der I. Moskauer Staatsuniversit/it). Zur Klinik der vegetativen StSrungen. II. Mitteflung. Die Phiinomene der vegetativen Asymmetrie bei endokrinen Krankheiten. Von Prof. Dr. med. et phil. M. Serejski, Dr. J. Frumkin und Dr. M. Kaplinsky. (Eingegangen am 15. MSrz 1926.) In der ersten Mitteilung 1) fiber vegetativ-asymmetrische Ph~nomene bei psychogenen Geisteskrankheiten wiesen wir auf den Zusammen- hang yon geistiger StOrung mit endokrinen Stigmen in den yon uns untersuchten FMlen hin; hierbei waren wir geneigt, die vegetativ- asymmetrlschen Erscheinungen gewissermaI3en vom Standpunkt ihrer endokrinen Entstehung zu deuten. Wir vermuteten, da[~ die lokalen vegetativ-asymmetrischen Erscheinungen durch periphere, funktionelle oder morphologische Besonderheiten des betreffenden KSrperbezirks, die diffusen vegetativen Hemisyndrome durch zentrale, strukturelle Ver~nderungen des Zentralnervensystems (Thalamus ? Subthalamus ?) oder funktionelle Eigentiimlichkeiten desselben bedingt sein kSnnten. Die vegetativ-asymmetrischen Erscheinungen, die wir konstatiert haben, waren entweder autochtoner (Erscheinen ohne spezifische Reize) oder latenter Natur (durch pharmakodynamische Reize hervorrufen), wobei die letzteren, unseren Beobachtungen nach, sehr unbest~ndig waren. Es erschien ~u[~erst interessant, nach Feststellung des Zusammen- hanges vegetativ-asymmetrischer Erscheinungen mit endokrinen Stig- men zum Studium des vegetativen Nervensystems im Rahmen der Asymmetrie bei Kranken mit scharf ausgeprr~gten Formen endokriner StSrungen fiberzugehen. Die ihrem Wesen nach noch wenig erforschten vegetativen Stiirungen bei Endokrinopathien ergeben ein reiches Feld ffir Beobaehtungen und Versuche. Peritz, Zondek, Bauer erkennen dem vegetativen Nerven- system eine ~uBerst wesentliche l~olle bei endokrinen Erkrankungen zu. Einer yon uns [Serejski] 3) weist ebenfaUs auf den untrennbaren Zusammenhang zwischen den endokrinen Driisen und dem vegetativen Z. f. d. g. Neur. u. Psych. 104. 16

Zur Klinik der vegetativen Störungen II. Mitteilung. Die Phänomene der vegetativen Asymmetrie bei endokrinen Krankheiten

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(Aus d. Klin. Institut f. funkt. Diagnostik u. exp. Therapie und d. psychiatr. Klinik der I. Moskauer Staatsuniversit/it).

Zur Klinik der vegetativen StSrungen. II. Mitteflung.

Die Phiinomene der vegetativen Asymmetrie bei endokrinen Krankheiten.

V o n

Prof. Dr. med. et phil. M. Serejski, Dr. J. Frumkin und Dr. M. Kaplinsky.

(Eingegangen am 15. MSrz 1926.)

In der ersten Mitteilung 1) fiber vegetativ-asymmetrische Ph~nomene bei psychogenen Geisteskrankheiten wiesen wir auf den Zusammen- hang yon geistiger StOrung mit endokrinen Stigmen in den yon uns untersuchten FMlen hin; hierbei waren wir geneigt, die vegetativ- asymmetrlschen Erscheinungen gewissermaI3en vom Standpunkt ihrer endokrinen Entstehung zu deuten. Wir vermuteten, da[~ die lokalen vegetativ-asymmetrischen Erscheinungen durch periphere, funktionelle oder morphologische Besonderheiten des betreffenden KSrperbezirks, die diffusen vegetativen Hemisyndrome durch zentrale, strukturelle Ver~nderungen des Zentralnervensystems (Thalamus ? Subthalamus ?) oder funktionelle Eigentiimlichkeiten desselben bedingt sein kSnnten. Die vegetativ-asymmetrischen Erscheinungen, die wir konstatiert haben, waren entweder autochtoner (Erscheinen ohne spezifische Reize) oder latenter Natur (durch pharmakodynamische Reize hervorrufen), wobei die letzteren, unseren Beobachtungen nach, sehr unbest~ndig waren.

Es erschien ~u[~erst interessant, nach Feststellung des Zusammen- hanges vegetativ-asymmetrischer Erscheinungen mit endokrinen Stig- men zum Studium des vegetativen Nervensystems im Rahmen der Asymmetrie bei Kranken mit scharf ausgeprr~gten Formen endokriner StSrungen fiberzugehen.

Die ihrem Wesen nach noch wenig erforschten vegetativen Stiirungen bei Endokrinopathien ergeben ein reiches Feld ffir Beobaehtungen und Versuche. Peritz, Zondek, Bauer erkennen dem vegetativen Nerven- system eine ~uBerst wesentliche l~olle bei endokrinen Erkrankungen zu. Einer yon uns [Serejski] 3) weist ebenfaUs auf den untrennbaren Zusammenhang zwischen den endokrinen Driisen und dem vegetativen

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Nervensystem hin. Viele Autoren, bes. in Frankreich, sprechen in diesem Sinne immer nur yon neuro-glandularen StSrungen. Es genfigt hier als Illustration zu erwahnen, dal~ die so oft bei den Basedowschen Krankheiten beobachteten Augensymptome von vielen Autoren im Sinne ihrer vegetativen Provenienz gedeutet werden. Bekannt sind Schweil~absonderungsstSrungen bei innersekretorischen Erkrankungen: Hyperhidrosis bei M. Basedowi und bei klimakterischen Adipositas, Hypohidrosis bei MyxSdem, bei Addisonscher Krankheit und Diabetes; Diabetes kann zu PupillenstOrungen fiihren [Bumke~)]; bei Akromegalie wechselt oft Hypo- und Hyperhidrosis ab.

ErSrterungen fiber das vegetative Nervensystem bei endokrinen StSrungen im Rahmen der Asymmetrie gibt es, soweit uns bekannt, fiberhaupt nieht. Wir finden nur einige Andeutungen einseitiger Sym- ptome im Status der Kranken, wie z. B. einseitiger Exophthalmus bei Basedow, die Zondek 4) mit einer homo- oder kontralateralen Ver- grSl~erung der Schiddrfise in Zusammenhang bringt; Kocher s) ist der Meinung, dal~ der einseitige Exophtalmus nicht immer der vergrSl~erten Seite, sondern fast immer der SeRe der grOf~eren Vascularisation der Schilddrfise entspricht. Einseitige Glotzaugigkeit beobaehteten wir auch in unserer klinisehen Praxis, wobei in einem Falle dieses Symptom bei Bruder und Schwester, die beide an zweifellosem Basedow litten, konstatiert werden konnte, tIier mul~ bemerkt werden, dal~ in unseren Fallen, insofern wires durch Untersuchung und Palpitation feststellen konnten, die Schilddriise unbedeutend, aber gleiehmal~ig-diffus ver- gr6Bert war. Naeh Oppenheimer s) ist bei der Basedowsehen Krank- heir gelegentlieh Hemihyperidrosis festzustellen, nach Sainton und Rathery 7) Anisokorie (in 4% der Falle). Ein einseitiges Syndrom bei Morbus Basedowii ist vor kurzem yon Pisoni s) beschrieben worden. Einseitige Syndrome sind aueh bei anderen endokrinen St6rungen besehrieben worden, so z.B. das unlangst yon O. Fischer 9) gesehil- derte einseitige akromegalieahnliehe Symptom. Auf einseitige Ver- teilung der Symptome bei Tetanie weisen Frankl-Hochwart, Cursch- mann, Spiegel1~ Landauerl~), Kehrer 11) hin. Es ist interessant, dab in den Fallen Curschmanns, Spiegels und Kehrers neben Tetanie auch Struma bestand. Sehr lehrreich sind die Versuehe mit Hyper- ventilationstetanie. Joshua Rosett la) spricht fiber haufige Asymmetrie bei dieser Art von Tetanie: die Krampferseheinungen treten reehts scharfer hervor als links [was fibrigens Golant14)] bestreitet, da in ihren Versuchen diese Erseheinungen sowohl rechts wie links gleich haufig vorkamen). Nach Foerster und Georgi 15) soll bei dieser Art Tetanie ge- legentlich eine Seite frfiher in Krampf verfallen als die andere. Einer von uns (Sere]ski) beobachtete einen Kranken, bei dem die Hyperventilations- tetanie Anisokorie hervorrief.

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Fiir die in dieser Mitteilung beriihrten Probleme scheint uns von besonderem Interesse die eben erschienene Arbeit yon Prichodkowa16).

Die Verfasserin ffihrte in die Carotis von Kaninchen Gesehlechtsdriisen- extrakte ein und rief auf diese Weise Pupillenverengerung hervor.

Wir fiihren hier die Literatur fiber Asymmetrie nieht an, da sie schon in unserer ersten Mitteilung angegeben ist. Auf Grund unserer Untersuchungen halten wir das Vorhandensein vegetativ-asymme- trischer Ph~nomene bei endokrinen StSrungen f/Jr eine keinesfalls seltene Erseheinung, die sich aber nur bei spezieller Untersuchung fest- stellen 1/iftt.

In unserer vorhergehenden Mitteilung sprachen wir davon, dab die Manifestation des vegetativen Itemisyndroms augenscheinlieh yon der Spezifit/~t des vegetativen Giftes nicht abh~ngig ist. In unseren F/~llen beobachteten wir auf die verschiedenartigsten pharmakolo- gischen Reize, der Lokalisation naeh, dieselben asymmetrischen Er- scheinungen. Die vor der Untersuchung selbst~ndig entstandenen, hemisyndromalen Erseheinungen verliefen bei unseren Kranken, als wenn sie autochton die Mechanismen einseitiger somatischer Unzu- lhnglichkeit hervortreten lielten. Besonders klar trat dieses bei den von uns untersuchten Kranken zutage, zu deren Schilderung wir jetzt fibergehen. Unter unseren F/~llen mSchten wir besondere Auf- merksamkeit auf eine Gruppe lenken. Es handelt sieh um eine endo- krinopathische Famitie, die aus 2 Schwestern besteht, yon denen die eine an MyxSdem leidet, das ohne therapeutisehen EinfluB allm~hlich selbst/~ndig aus der Basedowschen Krankheit sieh entwiekelte; bei der anderen Schwester besteht ein im Klimakterium entstandenes MyxSdem. Das dritte Glied dieser Familie -- eine Nichte -- hat die typische Basedowsche KrankheR; ihre Mutter, die leibliche Schwester der beiden ersten Patientinnen, leidet an Diabetes.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren folgende: Fall 1. Kranke B., 22 Jahre alt, Hausfrau. Diagnose: Morbus Basedowii.

Pulsierende Struma bedeutenden Umfanges; Symptom von MaranSn -[-. Ex- ophthalmie, breite Augenspalten, stark gl~nzende Augen, Trias der Augen- symptome, br/~unliche Pigmentation der Augenlider, braune Iris des rechten Auges, die des linken gri~nlichgrau. Cor thyreotoxicum. Tremor der Finger. Neigung zum Sehwitzen. ttolmgrenscher K6rperbau. Erh6hte Biegsamkeit der Gelenke; Verjiingung der vorderen Fingerphalangen; eine leichte allgemeine reflektorische Reizbarkeit; seharf ausgesproehener roter Dermographismus. Die rechte Brust- driise ist gr6[3er als die linke. Menstruationsst6rungen. J~uBerst sehneller Stimmungs- wechsel, Reizbarkeit; oft auftretendes Angst- und Unruhegefiihl.

Vor der Injektion yon Adrenalin (0,5 eem ex 1,0 : 100,0), die eine stiirmische Reaktion hervorrief, gleiehm/~Biger Blutdruck an beiden oberen Extremit/iten. Nach 5 Min. Blutdruck s > dum 14 ram, naeh 25 Min. um 6 mm, nach 35 Min. s -- d, naeh 45 Min. s > dum 10 ram, gegen Ende des Experiments (60 Min.) s = d. Vor der Injektion von Pilocarpin (1,0 ccm ex 1,0 : 100) Blutdruck s ~--- d. Nach 5 Min. s > d u m 27 mm, naeh 15 Min. s > dum 21 mm, nach 25 Min. um 3 mm,

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nach 55 Min. um 5 m m und so bis zum Ende der Untersuchung. Am n/ichsten Tage Blutdruck s--~ d - - .

Fall 2. Kranke Ros., Hausfrau. Diagnose: Climax e$ Myx6dema. Die Schild- driise kann n ieht abgetas te t werden. Schmale Augenspalten. Der Augenbrauen- winkel ist diinn, besonders rechts. An den Schliisselbeinen 2 groi]e walzenartige Fet tansammlungen. Sehr gro•e Fe t tansammlungen am unteren Teile des Bauches. An der rechten Brust weniger Dri~sensto]] als links. Die Hau t ist am ganzen KSrper dick, an den H/inden trocken und welk. An den unteren Extremit / i ten (besonders an den Beinen) war die Hau t besonders dick, auf Druck mi t dem Finger rechts s tarker ausgesprochene Dellenbildung. An H/~nden und Riicken Cutis marmorata . Finger kurz und breit.

Die Handgelenke schwer beweglich, besonders rechts. Haarausfall auf dem Kopfe, am Mons pubis und in den Achselh6hlen (in den letzteren ist der Haarwuchs links schw~icher als rechts). Ausfallen der Z/ihne. Fr6steln. R.-R. ergibt eine stabile Erh6hung (Maximum 180). Seit 1924 fehlen Menses. Zuweilen Blutwallungen zum Kopf, Nasenbluten. Schlaffheit, Apathie, Sehl/~frigkeit, gMchgiiltiges Ver- ha l ten der Umgebung gegeniiber, bisweilen schwermiitige St immung.

Vor der Injekt ion von Adrenalin (1,0 cem ex 1 : 1000) Blutdruck s > d auf 19 mm, nach 5 Min. s > d um 14 mm, nach 10Min. um 15 mm, nach 20Min. um 9 mm, nach 30 Min. um 7 mm, nach 40 Min. um 7 mm, naeh 50 Min. um 8 mm, nach 60 Min. um 11 mm. Pupillen s > d, wie vor der Injektion, so auch w/~hrend des Versuches, wobei die Asymmetr ie noch scharfer hervortr i t t . Reehte Wange starker ger6tet. Rechts scMir/er hervortretender Dermographismus, bier aueh G/~nse- hautreflex. Die rechte Achselh6hle ist /euchter als die linke. Vor der Injekt ion von Pilocarpin (1,0 ccm ex 1 : 100) Blutdruck s > d um 10 mm. Naeh 5 Min. s > d um 22 mm, nach 10 Min. um 12 mm, nach 15 Min. um 12 mm, nach 20 Min. um 16 ram, naeh 25 Min. um 15 mm, nach 40 Min. um 20 ram. Pupil len w~hrend der ganzen Zeit s > d. Dermographismus rechts stdrker als links. Err6tung des Gesichts ist rechts schgir/er als links. Vor der In jekt ion yon Atropin (1,0 ccm ex 1 : 1000) Blutdruek s > d um 23 mm, nach 5 Min. s > d u m 9 mm, nach 10 Min. um 8 mm, nach 15 Min. um 7 mm, nach 20 Min. um 28 ram, naeh 50 Min. um 22 ram, nach 30 Min. um 8 mm, naeh 40 Min. um 25 mm, nach 50 Min. um 22 mm. Pupillen die ganze Zeit fiber s > d; der Unterschied ist krasser als sonst.

Fall 3. Kranke Ros., 54 Jahre alt, Hausfrau. Diagnose: Myx6dema. I m Alter yon 27 Jahren, 2 Jahre nach i iberstandener Malaria, konnte man bei unserer Kranken folgendes beobachten: Exophthalmus, einen kleinen Kropf, Herzklopfen, Neigung zum Schwitzen, Zi t tern der H/inde, groBe Abmagerung, Menstruations- stSrungen, Reizbarkeit , Angstanf/~lle. Dieser Zustand dauerte 7 Jahre . Gebrauchte keine Kur, obwohl sie Arzte um Ra t gefragt hat te , die Morbus Basedowii dia- gnostizierten. Allmahlieh verloren sich die Symptome des Morbus Basedowii, am Gesicht und an den Extremit / i ten t ra ten 0deme auf, die Kranke wurde merk- lich immer dicker, Haare und Z/ihne begannen auszufallen. Es t r a t Langsamkei t der Bewegungen, Schlaffheit, Apathie ein, die Kranke ring an, alles sehwer zu begreifen, war oft schl/ffrig, verhielt sieh der Umgebung gegeniiber gleichgiiltig Die H/inde wurden merklich breiter. Naehdem die Kranke eine Zeitlang Thyreoidin gebraucht, besserte sich ihr Zustand etwas.

Status praesens: Die Sehilddriise ist n icht ffihlbar. Die Augenspalten sind etwas eng. Pupillen s > d, lebhafte Reaktion. Verji ingung der Augenbrauen- winkel. In den Achselh6hlen keine Haare. Rauhe, dicke H a u t an den H/inden, an den Beinen dick und 6demat6s. K6rpergr61]e 149 cm. Unbedeutende Brady- kardie. Neigung zum Frieren. Die H/~nde wurden bedeutend breiter. Riva-Rocci zeigt in einer langen Reihe von Beobachtungen bis 220 mm (Max.), links immer um 10--15 mm h6her.

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Vor der In]ektion von Pilocarpin (1,0 cem ex 1 : 100) ist der Blutdruck s ~ d um 15mm, nach5Min, s ~ d um 13mm, naeh 10Min. s ~ d u m 2 8 m m , nach 15Min. s ~ d u m 4mm, nach 20Min. s ~ d u m 3ram, nach 25Min. s > d um 6 ram, naeh 30 Min. ist der Blutdruck s ~ d, nach 40 Min. d ~ s u m 5 ram, nach 50 Min. s ~-- d naeh 60 Min. d > s u m 10 mm. Nach 15 Min. wurde das Gesicht links intensiver rot als rechts und blieb so bis zum Schlusse des Versuehs.

Vor der Injektion yon Adrenalin (1,0 ccm ex 1 : 1000) Blutdruek d ~ s u m 28 mm, nach 5 Min. d > s u m 35 mm, nach 10 Min. s ~ d, nach 15 Min. s ~ d, nach 20 Min. s > d um 15 mm, naeh 25 Min. d > sum 10 ram, nach 30 Min. s > d um 15 mm, nach 40 Min. s ~ d, nach 50 Min. d > s u m 28 mm, nach 60 Min. d ~ s u m 29 mm. Vor der Injektion intensive RStung der linken Wange, nach 5 Min. ist die rechte Wange bleich geworden, die linke bleibt gerb'tet, im Laufe von 10 Min. ist der Unterschied scharf hervortretend, naeh 20 Min. ist das Gesicht beinahe gleiehm~13ig bleieh geworden. Nach 30 Min. ein Ge/i~hl des Brennens in der linken K6rperseite.

W i r besprachen diese Fami l i e e ingehend, um zu zeigen, dab vege- t a t i v - a s y m m e t r i s c h e Ersche inungen auch auf Grund besonderer kon- s t i tu t ione l le r Veran lagung sieh en twieke ln kSnnen. Die Gemeinsam- ke i t - - wenn m a n sich so ausdrf icken da f t - - der vege ta t iven Veran- lagung in den angef i ihr ten Fi~llen wird n i eh t nur dureh die Verwandt -

schaft , sondern auch durch die a l lgemeine Neigung zu endokr inen

E rk rankungen , speziell der Schilddri ise, versti~rkt. Es is t in teressant , daI~ an der H a u t der un te ren E x t r e m i t ~ t e n unserer an der Basedowschen K r a n k h e i t l e idenden jungen P a t i e n t i n l angsam j e t z t myxSdem-~hnl iche Ver~nderungen sich entwiekeln . Aueh muI~ b e m e r k t werden, 'daI~ dis h e m i s y n d r o m a l e n Ersche inungen hier haupts~chl ich als l inkssei t ige B lu td rucks te ige rung auf t re ten . Beach tung ve rd i en t aueh die Kom- b ina t ion yon funk t ione l l - a symmet r i s chen Ersehe inungen mi t t rophisch- morphologisehen E igen t i iml iehke i ten , m i t gemeinsamer Lokal i sa t ion . Die A s y m m e t r i c is t in den hier gesehi lder ten F~l len t ier e ingewurzel t , sic is t diffus und e r s t reck t sich be i e iner unserer P a t i e n t i n n e n sogar auf die F a r b e der Iris . Das Vorhandense in einer k o n s t a n t e n H y p e r - tonie bei a l len Fami l i eng l i ede rn i iberzeugt uns noch mehr von der e rb l ich-kons t i tu t ione l len Genese der StSrungen. Die Exis tenz e iner ve re rbba ren I I y p e r t o n i e bespr ieh t in e inem unl~ngst erschienenen Auf- satz R. Weiss17).

Wir ha l t en es ffir angebrach t , h ier einiges aus der L i t e r a t u r fiber die herediN~r-konst i tut ionel len E igen t i iml ichke i t en der a symmet r i s ehen Ersche inungen und endokr inen S tSrungen anzuffihren, ein Problem, das in der le tz ten Zei t i m m e r m e h r die A u f m e r k s a m k e i t auf sieh lenkt .

So ha l t en z. B. viele Au to ren d ie Anisokor ie ffir e in kons t i tu t ione l les Kennze iehen bei Gesunden, wobei die S t a t i s t i k bei versehiedenen Au to ren zwisehen 1 - - 9 5 % sieh bewegt (?). I n den neues ten Arbe i t en yon van der Scheer is) und Walter 19) wurde die Anisokor ie bei Gesunden

in 40% der Fi~lle beobachte t . H ie r mu{~ d~rauf hingewiesen werden~

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daft man die frfihere Meinung Bychowskis 2o) fiber die unbedingt patho- logische Bedeutung der Anisokorie jetzt ffir widerlegt halten muft. Paderstein 21) bringt uns Beweise ffir eine familiare Verbreitung der Anisokorie. Indem Siimener und Huestis 22) die Frage yon der Ver- erbung der bilateralen Asymmetrie ausffihrlich besprechen, weisen sie auf die Ubertragung der letzteren durch Linksh~ngigkeit, Situs inversus hin. Sieben ~3) ffihrt Beispiele yon Linksh~ndigkeit in 5 Generationen, sowohl bei M~nnern wie auch bei Frauen, an. Indem Vallery-Radot 24) behauptet , daft der dysthyreoiden FamilienstSrungen eine Unzul~ng- lichkeit der Sehilddriise zugrunde liegt, meint er, daft diese Unzul~ng- lichkeit haupts~ehlich durch die weibliche Nachkommenschaft weiter vererbt wird. Eine basedowkranke Mutter kann Kinder mit Basedow- StSrungen und mit MyxSdem haben; Frauen aber, die an MyxSdem leiden, sind steril. Bluhm 25) schildert 4 Generationen mit sporadischem Kropf, wo die M~nner Vererbungstr~ger waren. Vererbung der Basedowschen Krankhei t nehmen auch Chvostek 26) u. a. an. Besonders interessant ist eine genaue bei 6 Generationen verfolgte Analyse yon Diabetes insipidus. Die Untersuchung dieser Familie begann Adol[ Weil, sein Sohn Al/red Weil setzte sie fort; eine sehr lehrreiche, etwas ver~nderte Weilsche Stammtafel dieser Generationen brachte uns vor kurzem Juster27).

Wir fiihren hier nur einige Beispiele an, da ein groftes diesbeziig- liches Material in dem klassischen Werke von Bauer 2s) und im letzten Artikel von Sacharow 29) zu linden ist.

Unsere weiteren Beobachtungen ergaben folgendes: Fall 4. Kranke Jef., 34 Jahre alt, Angestellte. Diagnose: Morbus Basedowii.

Anschwellung und VergrSgerung des linken Lappens und des Isthmus der Schild- driise, Maran~n q-. Rechts an der vorderen Seite des Halses eine Operationsnarbe naeh Exstirpation des rechten Teils der Dr/ise. Exophthalmus, scharf hervor- tretende Trias der Augensymptome, br/~unliche Pigmentation der Augenlider. Pupfllen d = s. Tachykardie. Starker Tremor der Finger. Steigerung der Sehnen- reflexe. Chvostek bilateralis. Ausfallen der Haare und Z/~hne. Feuchte Haut.. Weiger, in rot fibergehender, Dermographismus. Unregelm/~gige Menstruation.

Bei der zweiten Untersuchung der Kranken konnten wir sowohl vor, wie auch einige Zeit nach der Injektion von Adrenalin (fibliche Dose) einen Unter- schied in der Pupillengr6ge beobachten (d > s). Weitere Beobaehtungen der Adrenalinwirkung konnten, infolge eines hysterisehen Anfalls der Kranken, weleher durch Hypnose abgebrochen wurde, nicht durchgefiihrt werden. 1 Woche vor der Injektion yon Pilocarpin (/ibliche Dose) waren die Pupillen gleich grog, 20 Min. naeh der Injektion trat ein bedeutender Unterschied hervor (d > s), der aueh w/~hrend des Versuchs anhielt.

Fall 5. Kranke Chim., 31j/~hrig. Diagnose: Morbus Basedowii. VergrSBerte Schflddriise. MaranSn-k. Exophthalmus. Trias der Augensymptome; br/~un- liehe Pigmentation der Augenlider Taehykardie. Neigung zum Schwitzen, Tremor der Finger. Gespannter galoppierender Puls. Konstanter roter Dermographismus.

Pupillen vor der Adrenalininjektion (iibliche Dose) s > d. Reaktion lebhaft. Stfirmische Reaktion auf Adrenalin. Nach 30 Min. ist der Unterschied zwischen den Pupillen zweifellos bedeutend und (s > d).

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Die angcffihrten F~lle illustrieren die M6glichkeit einer sehr schnellen Entwicklung der verschiedensten vegetativ-asymmetrischen Erschei- nungen, wie sie besonders deutlich bei Erkrankungen der Schilddriise beobachtet werden konnten. Vorl~ufig wollen wir noeh nicht ver- suchen, irgendwelche entscheidende Schluf~folgerungen fiber die Genese der vegetativ-asymmetrischen Erscheinungen zu ziehen. Wir meinen nur, dal~ bei Endokrinopathien eine Kombination derjenigen 2 Be- dingungen m6glich ist, von denen wir in unserer vorangehenden Mit- teilung sprachen, ni~mlich der peripheren und zentral-neurologischen ursachlichen Momenten der Entstehung einer Asymmetrie. Es ist ja m6glich, dal~ Ver~nderungen an der Peripherie, in Abh~ngigkeit vom Zustand des erkrankten innersekretorischen Organs, namentlich yon den Besonderheiten seiner Sekretauss6heidung und seiner Wirkung auf das Locus minoris resistentiae des Zentralnervensystems, eben das besonders klare und verbreitete Bild der vegetativ-asymmetrischen Ph~nomene bedingen, die wir bei unseren endokrinrn Kranken fanden und yon denen nut einige angefiihrt sind.

Wir schliel~en diese Mitteilung mit folgenden Schlul3folgerungen. 1. Die endokrinen StSrungen in unseren F~llen ergaben ein deut-

liches tIervortreten vegetativer Asymmetrie. 2. Die Tendenz zur Bildung vegetativ-asymmetrischer Erschei-

nungen kann als familigr-konstitutionelle Eigentfimlichkeit des In- dividuums zur Geltung kommen.

3. Die vegetativ-asymmetrischen Erscheinungen sind bei deut- lichen Endokrinopathien peripher und zentral-neurologisch bedingt.

4. Die vegetativ-asymmetrischen Phgnomene, die wir bei endo- krinen St6rungen kons~atierten, waren entweder autochtoner (ohne spezifischen Reiz) oder latenter Natur (dutch pharmako-dynamische Reize hervorgerufen).

5. Die bier beobachteten vegetativ-asymmetrischen Erscheinungen erwiesen sich als entschieden labil.

6. Ffir die Manifestation der vegetativ-asymmetrischen Erschei- nungen waren die vegetativen Gifte in starkem Grade unspczifisch.

Literaturverzeichnis. 1) Sere]ski, Frumkin und Kaplinsky, Zeitschr. f. d. gcs. ~Ieurol. u. Psychiatrie

Bd. 103, H. 1. - - 2) Sere]ski, Festschrift ftir Rossolimo 1925 (russisch). - - a) Bumke, Die Pupillenst6rungen usw. 1904. - - 4) Zondek, H., Krankheiten der endokrinen Drfisen, 1923. - - 5) Kocher, A., Kraus-Brugsch, Spezielle Pathologic und Therapie. Bd. I. - - e) Oppenheimer, Lehrbuch der Nervenkrankheiten, 1923. - - 7) Sainton et Rathery, L'Encephale 1908, Nr. 7. - - s) Pisoni, Zentr. f. d. gcs. Neurol. u. Psychiatric 4~, Heft 12 (Ref.). - - 9) Fischer, 0., Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatric 100, Heft 2/3. - - lo) Spiegel, Dtsch. Zeitschr. f. Nervenheilk. 65. - - 11) Landaucr, Arch. f, Psychiatric u. Ncrvenkrankh. 1922, - - 1~) Kehrer, Kiln,

Page 8: Zur Klinik der vegetativen Störungen II. Mitteilung. Die Phänomene der vegetativen Asymmetrie bei endokrinen Krankheiten

2 4 8 M. Sercjski, J . F r u m k i n u. M. K a p l i n s k y : Zur Kl in ik d. veget. S t6 rungen . I I .

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