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J. Eschler, Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers 31 Aus der kieferchirurgischen und kieferorthopg, dischen Abteilung (Vorstand: Prof. Dr. Dr. Josef Eschler) der Universitgts-Zahn- und Kieferklinik (Direktor: Prof. Dr. Hans t/ehm) Freiburg i. Br. Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers Von Josef Eschler, Freiburg i. Br. Mit 25 Abbildungen Unter den einzelnen Elementen des Kausystems hat der Unterkiefer allein die Fahigkeit, umfangreiehe Bewegungen auszuffihren, (tie ibm dureh die Form der Gelenke erm6glieht werden. Die Bewegungen selbst werden bewirkt dureh die Tatigkeit der am Unterkiefer ansetzenden Muskeln. Er kann in drei Riehtungen bewegt werden : 1. in kranio-kaudaler Riehtung, 2. in ventro-dorsaler Richtung, 3. in dextro-sinistraler Riehtung. Diese einzelnen Bewegungsrichtungen k6nnen sehlieBlieh aueh kombiniert auf- treten, wie es vor allem beim Kauvorgang der Fall ist. Die Bewegungen des Unterkiefers in den versehiedenen Riehtungen werden in ihrem AusmaB begrenzt dureh die Gelenkkapsel, die Gelenkform und die am Unterkiefe~ ansetzenden BAnder und Muskeln. Die maximal m6gliehen Bewe- gm~gsausmaBe sind individuell sehr unterschiedlieh, sie sind im jugendliehen Alter im allgemeinen umfangreieher als im sp&teren Alter (E s e h le r, S e h ar f). In kra- nialer Riehtung wird die Unterkieferbewegung nieht dureh die BAnder und Ge- lenkformen oder Muskeln ehlgesehrankt, sondern dureh die Zghne des Oberkie- fers. Werden die Zghne in beiden Kiefern extrahiert, so kann der Unterkiefer sehlieBlich kranial manehmal bis zur vollst/indigen Bertihrung der beiden zahn- losen Kieferkamme bewegt werden. Der Unterkiefer kann als ein dreidimensional im Raume sehwebender K6r- per aufgefaBt werden. Er kann in der maximal m6gliehen kranialen Lage (Okklu- sionsstelhmg), in jeder maximal m6gliehen Bewegungsstellung und aueh in jeder anderen Lage im Raume, die innerhalb dieser Stellungen liegt, festgehalten wer- den. Von allen diesen Positionen des Unterkiefers hat eine Stellung besondere Be- deutung gewonnen, die als die Ruhelage oder Ruhesehwebe des Unterkiefers be- zeiehnet wird. Unter der Ruhelage (-sehwebe) des Unterkiefers versteht man seine Lagebe- ziehung zum Oberkiefer in stehender oder sitzender Stellung des Menschen. Der Unterkiefer ist dabei um einige Millimeter gesenkt (H&upl). Der Unterkiefer be- t~ndet sieh in sogenannter Ruhelage oder Ruhesehwebe, wenn die Summe aller auf den Unterkiefer einwirkenden Krgfte gleieh Null ist. Naeh Wild entsprieht die Ruhelage der Stellung des Unterkiefers bei der Ausspraehe des ,i' und ,m'. Posselt fordert auBerdem noeh einen Zustand relativer Passivitgt (ruhige Atmung und relative emotionelle und psychisehe Ruhe). Die Ruhelage des Unter-

Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers

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Page 1: Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers

J. Eschler, Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers 31

Aus der kieferchirurgischen und kieferorthopg, dischen Abteilung (Vorstand: Prof. Dr. Dr. Josef Eschler) der Universitgts-Zahn- und Kieferklinik (Direktor: Prof. Dr. Hans t/ehm)

Freiburg i. Br.

Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers

Von Josef Eschler, Freiburg i. Br.

Mit 25 Abbildungen

Unter den einzelnen Elementen des Kausystems hat der Unterkiefer allein die Fahigkeit, umfangreiehe Bewegungen auszuffihren, (tie ibm dureh die Form der Gelenke erm6glieht werden. Die Bewegungen selbst werden bewirkt dureh die Tatigkeit der am Unterkiefer ansetzenden Muskeln. Er kann in drei Riehtungen bewegt werden :

1. in kranio-kaudaler Riehtung, 2. in ventro-dorsaler Richtung, 3. in dextro-sinistraler Riehtung. Diese einzelnen Bewegungsrichtungen k6nnen sehlieBlieh aueh kombiniert auf-

treten, wie es vor allem beim Kauvorgang der Fall ist. Die Bewegungen des Unterkiefers in den versehiedenen Riehtungen werden

in ihrem AusmaB begrenzt dureh die Gelenkkapsel, die Gelenkform und die am Unterkiefe~ ansetzenden BAnder und Muskeln. Die maximal m6gliehen Bewe- gm~gsausmaBe sind individuell sehr unterschiedlieh, sie sind im jugendliehen Alter im allgemeinen umfangreieher als im sp&teren Alter (E s e h le r, S e h ar f). In kra- nialer Riehtung wird die Unterkieferbewegung nieht dureh die BAnder und Ge- lenkformen oder Muskeln ehlgesehrankt, sondern dureh die Zghne des Oberkie- fers. Werden die Zghne in beiden Kiefern extrahiert, so kann der Unterkiefer sehlieBlich kranial manehmal bis zur vollst/indigen Bertihrung der beiden zahn- losen Kieferkamme bewegt werden.

Der Unterkiefer kann als ein dreidimensional im Raume sehwebender K6r- per aufgefaBt werden. Er kann in der maximal m6gliehen kranialen Lage (Okklu- sionsstelhmg), in jeder maximal m6gliehen Bewegungsstellung und aueh in jeder anderen Lage im Raume, die innerhalb dieser Stellungen liegt, festgehalten wer- den. Von allen diesen Positionen des Unterkiefers hat eine Stellung besondere Be- deutung gewonnen, die als die Ruhelage oder Ruhesehwebe des Unterkiefers be- zeiehnet wird.

Unter der Ruhelage (-sehwebe) des Unterkiefers versteht man seine Lagebe- ziehung zum Oberkiefer in stehender oder sitzender Stellung des Menschen. Der Unterkiefer ist dabei um einige Millimeter gesenkt (H&upl). Der Unterkiefer be- t~ndet sieh in sogenannter Ruhelage oder Ruhesehwebe, wenn die Summe aller auf den Unterkiefer einwirkenden Krgfte gleieh Null ist. Naeh W i l d entsprieht die Ruhelage der Stellung des Unterkiefers bei der Ausspraehe des ,i' und ,m'. P o s s e l t fordert auBerdem noeh einen Zustand relativer Passivitgt (ruhige Atmung und relative emotionelle und psychisehe Ruhe). Die Ruhelage des Unter-

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32 Fortschritte der Kieferorthopiidie Bd. 26 H. 1 (1965)

kiefers wird als normal defmiert, wenn der interokklusale Raum (free way space oder interocclusal clearance) 2- -3 ram, naeh P o s s e l t 2 - -4 ram, betriigt.

A. M. S c h w a r z konnte die Abhs der Ruhelage yon der Kopfhaltung schon bei S/~uglingen nachweisen, wobei der Unterkiefer bei DorsMfiexion mehr dorsal gelagert ist, als bei ventraler Kopfhaltung. K o r k h a u s verlangt deshalb fiir die ,,absolut physiologische Ruhelage" des S/iuglings eine m~gig ventrale Kopfhal tung; dabei klaffen die Kieferk/imme in vertikaler Richtung, was durch die Zunge verursacht sein diirfte ( K o r k h a u s ) .

Die Ruheschwebe des Unterkiefers ist sonach durch eine ganz best immte Lage gekennzeichnet. Er wird in dieser Lage ohne ~ede Stiitze gehalten, er ruht nh'gend- wo auf, er sehwebt gleichsam im Raum. Aber aueh das Schweben erfordert der Schwerkraft antagonistische Kr/ffte. Als solche kommen in Frage:

1. die durch die Bs die Gelenkkapsel und die den Unterkiefer umgebenden Weichteile entfalteten ~Viderst/~nde, die bis zu einem gewissen Grade durch ihre Elastizit~t bedingt sein k6nnen. Da diese aber ein Vielfaehes de~ aus der Ruhe- lage noch m6glichen Bewegungsausmages zulassen, scheiden diese Gewebsfor- mationen als Ha| teelemente aus.

2. die im Bereiche des Unterkiefers befh~dlichen Muskehl, die bef/ihigt sein mfissen, entspreehende Dauerkr/~fte zu entfalten.

I m allgemeinen maeht man fiir diese Hal tung des Unterkiefers in der sog. Ruhelage den Tonus der Muskeln verantwortlich. Nach W i l d wird die Ruhelage durch den Tonus der SchlieBmuskeln, naeh P o s s e l t yore Zustand und dem Syner- gismus der Muskeln bewirkt. Auf ]eden Fall miissen die an der Hal tung des Unter- kiefers beteiligten Muskeln Kr/ifte entwickeln und Arbeit leisten. Daftir fliegen dem Muskel dauernd nervale Erregungen zu, die ihm ein gewisses Mag an Span- nung verleihen, die auch als Grundspannung bezeiehnet wird (H. G 6 p f e r t ) . Diese verleiht dem Muskel die Eigenschaften eines elastischen Gummibandes (E b b e e k e und W S h l i s c h ) . Wird der Muskel denerviert, so wird er vollkommen plastisch, wie Kautsehuk vor der Vulkanisierung. Dieser plastische zellul/~re Tonus kommt aber beim nicht denervierten quergestreiften Muskel nur unter gewissen patholo- gischen Verh/iltnissen als sogenannte Inakt ivi t / i tskontraktur vor, wenn der Muskel z. B. 1/~ngere Zeit in maximal m6glicher Verkiirzung gehalten wird. Eine solche Inakt ivi t / i tskontraktur des Masseters findet sich b~i lange Zeit bestehenden Ge- lenksankylosen. Die damit einhergehenden plastiseh-zellul/iren Tonusveri~nderun- gen wurden als Erh6hung des Tonus im Masseter beschrieben (Esch le r ) . Sic zeigen die elektrisehen Zeiehen der Entartungsreaktion des Muskels.

D e r Muskel, der eine Haltefunktion ausfibt, mug normal innerviert sein, wo- dureh er in eine isometrisehe Spannung versetzt wird. Diese Grundspannung ist an einen best immten Innervat ionsaufwand gebunden. Dieser sehwindet bei Ver- lust des Bewugtseins und in tiefem Sehlaf. Bewugtlose Menschen fallen bekannt- lich sofort urn. Man kennt das Bild eines in aufreehter Stellung sehlafenden Men- sehen, bei dem der Unterkiefer heruntersinkt; er sehlgft mit offenem Mund. Es ist aueh eine Tatsaehe, dab sich der Tonus nieht auf alle ~'Iuskeln in derselben St/~rke erstreekt. Er kann in dem einen oder anderen Muskel st/~rker sein.

Von dem individuell untersehiedliehen Tonus der einzelnen Kaumuskeln h~ngt sehlieglieh aueh die Ruhelage des Unterkiefers ab. Da diese unter der Vorausset- zung einer normalen vertikalen Stellung der Z/~hne an den interokklusalen Raum yon 2- -3 m m gebunden sein soll, mug ein ganz best immtes Tonusmuster in den einzelnen Kaumuskeln - - unter AugeraehtIassung evtl. anderer daran beteiligter Muskeln (Naeken- und Halsmuskeln) - - vorhanden sein. Der Innervat ionsaufwand

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J. Eschler, Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers 33

ffir die Aufreehterhaltung der Grundspannung des Muskels ist minimal. Sind diese Voraussetzungen erf~llt, so liegt eine physiologisehe Ruhelage oder mandi- bulo-statisehe Koordination vor.

Wenn nun naeh all dem der Ruhelage des Unterkiefers ein bestimmtes mini- males Tonusmuster zugrunde liegt, sollte man dieses Tonusmuster kennen; d. h., man mfi|3te die It6he des Tonus in den einzelnen Muskeln messen und mit stati- st iseh erreehneten Normwerten vergleiehen k6nnen. Fiir die Messung des reflek- torisehen Tonus bedarf es einer hoehempfindliehen Spezialapparatur mit Fre- quenzfiltern, wie sie yon H. G 6 p fe r t angegeben wurde. Mit einer solehen Apparatur haben H. und C. G 6 p f e r t die Grundspannungen in den drei 'remporalisportionen und in den beiden Masseterabsehnitten in 92 Versuehsserien gemessen. Nach Aus- z/ihlung der Frequenz der Aktionspotentiale und der Ausmessung der Amplitu- denh6he und Bildung des Amplitudenfrequenzproduktes haben sie die mittlere Aktivits fiir die Haltefunktion der genannten Muskelgruppen erreehnet (Tab. I). Damit wurden zum ersten Mal Standardwerte fiir die Grundspannung zweeks Aufrechterhaltung der Grundstellung des Unterkiefers angegeben. Solche Werte ffir die tibrigen Muskeln, n/imlich fiir den Pterygoideus lateralis, den Pterygoi- deus medialis und ffir die ~undbodenmuskeln stehen noeh aus.

Tabelle I

Mittlere Aktivitgt der 3 Portionen des M. Temporalis und der beiden Masscterabsehnitte nach If. und C. G S p f e r t

TI : M A : 710#V/sec.~: 361#V/see. TII : MA = 1090 tt V/see. ::~ 645 tt V/see. TIII : MA = 930/~ V/see. ~2 452/t V/see. My : MA -- 420 tt V/sec. :~ 145/t V/see. Md : M A = 340#V/sec.~: 140/~ V/see.

Abgesehen davon, dab kaum jemandem eine solche Apparatur zur Verffi- gung steht, sind nicht alle Muskeln mit Oberfl/ichenelektroden erfal3bar und Nadel- elektroden daffir nicht geeignet. Aulterdem wird die tonische Innervation der Muskeln und damit aueh die Grundstellung des Unterkiefers/iufterst leieht durch exogene und endogene Faktoren beeinfluBt. Als solche Faktoren sind bekannt: K6rper- und Kopfhaltung, Schlaf, den Muskel beeinflussende psyehische Fakto- ten, Alter, okklusale Ver/~nderungen, Schmerz, Muskelspasmus, Gelenkerkran- kung. Aul3erdem wird der Muskeltonus gesteigert durch entzfindliche Vorg/~nge im peripheren Kausystem, wie Gingivitis, apikale Herde, durchbrechende Z~hne u.~.

Die Grundspannung eines Muskels ist an den Dehnungsreflex gebunden. Bei atonischen 3[uskeln fehlt der Dehnungsreflex, was fiir die Kieferorthop~die, be- sonders ffir die Funktionskieferorthop/idie, yon wesentlicher Bedeutung ist. Ftir die Aufrechterhaltung der Grundspannung besitzt der Muskel ein eigenes senso- risches System. Normalerweise sind die Muskelfasern aueh im Ruhezustand immer gering gedehnt. Nach ihrer Abtrennung yore Ansatz verkfirzen sie sich, sie ziehen sich zurfick. Zwischen den Muskelfaserbtindeln liegen ihnen parallel geordnet die Muskelspindeln. Die Muskelspindeln sind Dehnungsrezeptoren ( S h e r i n g t o n ) . Nach R u f f i n i sollen sie naeh den Ohren und den Augen die am hSehsten diffe- renzierten Sinnesorgane darstellen.

Da die Muskeln sieh immer in einem Dehnungszustand befinden, gehen yon ihnen fiber die afferenten Nervenfasern Impulse zu den Zentren. Schon dureh ge- steigerte Dehnungen der Muskelfasern werden die Muskelspindeln in erhShte Er- g For tschr i t te der Kieferorthop/idie ]3d. 26 H. l

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3,4 Fortsehritte der Kieferorthop~idie Bd. 26 H. 1 (1965)

regung versetzt; yon ihnen gehen gesteigerte rhythmisehe Impulse zu den Zen- tren, yon wo iiber efferente Fasern Erregungen zu den innerhalb der Spindeln ge- legenen Muskelfasern (intrafusale Fasern) flieBen, die diese zur Kontrakt ion ver- anlassen. Gleiehzeitig str6men aber aueh iiber diekere Nervenfasern Impulse zu den Muskelfasern, wodnreh deren Kontrakt ion verursaeht wird. Infolge dieses hoehempfindliehen sensorisehen Systems des Muskels ist verst~indlieh, dab die Orundspannung sowohl dutch endogene, psyehisehe als aueh exogene teaktoren, ~de oben ausgefiihrt, leieht ver~inderlieh ist.

Natiirlieh kann der Unterkiefer aueh unter bewuBt erh6hter Orundspannung bei willkiirlieher toniseher Innervat ion in der Ruhelage, nfimlieh bei ehlem inter- okklusalen Raum yon 2- -4 ram, gehalten werden. Die Muskeln ermiiden dann aber sehr sehnell, weil zuviele Muskelfasern zu stark toniseh innerviert werden. Der physiologisehe Tonus zeigt aber gerade keine Ermfidungserseheinungen, da immer nur wenige Muskelfasern toniseh innerviert sind, und bei ihrer Ermiidung andere wenige Muskelfasern die ]-Ialtefunktion tibernehmen. Aueh kann der Unterkiefer bewuBt in ]eder anderen Stellung gehalten werden. Alle diese M6gliehkeiten der bewuBten Erh6hung des Tonus in allen Muskeln oder nur in einigen, was dann zu einer yon der unbewuBten Haltung des Unterkiefers abweiehenden Stellung fiihrt, entspreehen nieht den Voraussetzungen, die an die Ruhelage des Unterkiefers gebunden sin& Diese ist der Ausdruek eines reflektorisehen, also unbewngten Vor- ganges, eines reflektorisehen Tonus.

Der reflektorisehe Tonus in den einzelnen Muskeln kann vom physiologisehen Verteilungsmuster abweiehen. In einzelnen Muskeln ist er erh6ht, in anderen zu gering. Diese mandibulo-statisehe Inkoordination kommt in der Ruhelage des Unterkiefers zum Ausdruek. Er wird in tier Wirkungsriehtung des hypertonisehen Muskels verlagert. Trotz der Verlagerung des Unterkiefers und seiner Haltung in der yon der physiologisehen Ruhelage abweiehenden Stellung entsprieht sie der Ruhelage; aber infolge des abnormalen Verteilungsmusters der Orundspannung in den einzelnen Kaumuskeln und der dadureh bedingten abnormalen Lagebe- ziehung des Unterkiefers zum Oberkiefer ist sie pathologiseh.

Entgegen dieser Einteilung der Ruhelage in eine physiologisehe und in eine pa- thologisehe unterseheidet P. H e r r e n eine aktive und eine passive Ruhelage des Unterkiefers. Bei der aktiven Ruhelage sollen die Muskeln verspannt sein ; die pas- sive sei kr~iftesparend, abet aueh dureh Kr~tfte bewirkt. Diese Unterteilung und Erkl~trung der Ruhelage hat einige Verwirrung gestiftet. In Verkennung der tat- siiehliehen Verh~tltnisse wird sie heute yon einigen Autoren zur Erklfirung der Wirkungsweise des Aktivators benutzt.

Bei reflektorisehem Hypotonns der kranial wirkenden Muskeln wird der Unter- kiefer in gesenkter Stellung gehalten; der interokklusale Ramn ist gr6Ber als 3 ram. I m umgekehrten Fall, bei einem Hypertonus dieser Muskeln, kann die Ruhelage mit der SehluBokklusion identiseh sein. Neben der pathologisehen 1Ruhe- lage in vertikaler Riehttmg gibt es eine pathologisehe Ruhelage naeh ventral und naeh dorsal, naeh links und naeh reehts.

Der pathologiseh gesteigerte oder pathologiseh verringerte Tonus kann ange- boren oder erworben sein. Kin sieher angeborener pathologiseher Tonus der beiden 3Iasseteren besteht bei dem Neugeborenen, dessen Elekt romyogramm in Abb. 1 dargestellt ist. Der linke 3Iasseter zeigt im Verh~tltnis zum reehten einen Hyper- tonus. Der Tonus in den beiden symmetriseh angeordneten Muskeln sollte gleieh sein, er ist aber asymmetriseh und damit pathologiseh. Im Lanfe der ersten Lebens- monate kam es zum Ausgleieh.

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J. Eschler, Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers 35

Ein pathologisch erhShter oder erniedrigter Tonus eines Muskels kann aber auch erworben sein. Wenn ein Kind infolge yon zu groBen Mandeln oder Wucherun- gen in der Nase zur Mundatmung gezwungen wird, mug der Unterkiefer habituell in gesenkter Stellung gehalten werden. Die kranial wirkenden Muskeln werden hypo- oder gar atonisch. Nach Entfernung der Atmungshindernisse mu$ das Kind lernen, den Unterkiefer wieder in gehobener Stellung zu halten. I)urch Ubung, Bewul3twerden einer schlechten Unterkieferhaltung oder KSrperhal tung und bewuBtes Erlernen einer neuen KSrper- und Unterkieferhaltung wird der Tonus gesteigert. Bei Atonie des Masseters oder Temporalis miissen die Muskeln bewui~t tonisch innerviert werden, bis diese zun/ichst bewuBt tonische Innervat ion

1 j . . . . . . . - . ~ _ f . . . . . | a l l . . . . ~ _ �9 1

Abb. 1. Schi., Ruth, geb. l l . 7. 55 1. Kurve: Asymmetrischer Hypertonus, 22 Stunden nach der Geburt, vor der ersten Nahrungs-

aufnahme, 2. Kurve: Aktivit/~t des linken Masseters (linke I-I/~lfte) und Aktivit~it des rechten Masseters

(rechte Hiilfte), 8 Tage nach der Geburt, vor dem Trinken, 3. Kurve: Aktivit~it des linken Masseters (linke H~lfte) und Aktivit~t des rechten Masseters

(rechte H~lfte), 8 Tage nach der Geburt, nach dem Trinken

unbewuBt abl/~uft, gebahnt ist, und sie zu einem Reflexgeschehen geworden ist. Die Abb. 2 bis 4 zeigen die Aktivit/~t der Masseteren yon verschiedenen VPs.

I m Gegensatz zur Ansicht vieler amerikanischer Autoren mfissen wir also folgern, dab der Tonus der Muskeln sehr wohl ab/~nderungsf/~hig und damit auch die Ruhelage des Unterkiefers ver/inderlich ist. Ohne diese ~nderungsmSglich- keiten w/~ren die Chancen einer funktionskieferorthop/i~lischen Behandlung sehr gering. Natfirlich kann der Tonus nicht mit aktiven festsitzenden oder abnehm- baren Apparaten gesteigert werden. Noch weniger kann damit ein t typer tonus geschw/~cht werden.

Infolge der Veriinderlichkeit des Tonus, seiner Schwankungsbreiten, der ihm zugrunde liegenden Erregungsvorg/~nge, und infolge der in der t tauptsache durch das Tonusmuster bedingten Stellung des Unterkiefers, einerlei ob durch ein physiologisches oder pathologisches Tonusmuster bedingt, kann man eigentlich 3*

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36 Fortschritte der Kieferorthop~die Bd. 26 H. 1 (1965)

n ich t yon einer Ruhelage sprechen, wie schon S k a l o u d be ton t hat. Er hat dafiir die Bezeichnung ,, Grunds te l lung des Unterkiefers" vorgeschlagen. Es handel t sich bei allen diesen Vorgitngen u m hSchst akt ive Vorgi~nge. Auch bei den kraftspa- renden HMtungen der Ex t r emi t~ t en k e n n t m a n keine Ruhelagen, sondern n u r

Abb. 2

Abb. 3

Abb. 4

Abb. 2 bis 4

Abb. 2. Aktivit~it (Grundspannung) des linken Masseters im Schlafe (Kneif., Bi~rbel), nor- maler Tonus

Abb. 3.1. Kurve: Grundspannung des rechten Masseters, 2. Kurve: Grundspannung des linken Masseters, 3. Kurve: Grundspannung im Schlafe

bei einem Patienten mit Gingivitis. Stark erhShte Grundspannung Abb. 4. Obere Kurve: erhShte Aktivit~t (Grundspannung) des rechten Masseters,

Untere Kurve: nicht erhShte Aktivit~t des linken Masseters bei einer Patientin mit Gingivitis

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J. Esehler, Zur Physiologic und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers 3"/

Grundste l lungen, bei denen der Tonus der die Ex t r emi t i i t ha l t enden Muskeln ein Min imum betr~gt .

Die Bes t immung der Grunds te l lung des Unterk ie fe rs st61tt au f fast un(iber- windliche Schwierigkei ten. Dazu k o m m t noch, dab wi t nur die Lagebez iehung des Unterkiefers zum Oberkiefer in ve r t ika le r Beziehung, n ich t abe t in hor izon ta le r kennen. Infolge dieser Schwier igkei ten wurden verschiedene Methoden ausgear- bei tet , um die Ruhelage bes t immen zu k6nnen. So soil die Aussprache des ,i' und des ,m' na ch W i I d die Ruhelage andeu t en. Eine andere Methode wird yon T h 5 r n e angegeben. Seine Methode bes teh t im wesent l iehen dar in , den Unte rk ie fe r sozu- sagen vergessen zu lernen.

Infolge der Abh/~ngigkeit der Grunds te l lung yore ind iv idue l l sehr unterschied- l ichen Tonus der einzelnen am Unte rk ie fe r anse tzenden Muskeln, wobei die ande- ren die Stel lung des Kopfes und des Unterk ie fers beeinf lussenden Muskeln n icht ber i icksicht ig t werden, s ind ehae groBe Anzah l yon Grunds te l lungen m6glich. Die Grunds te l lung ist n ich t allein abh/ingig yore Tonus eines Muskels oder Muskel- paares, sondern in ers ter Linie vom Verh/i l tnis zweier Muskeln mi t an tagon is t i seher Wirkungsr ieh tung. Es k a n n also in e inem Muskel ein Normotonus und im ant- agonist isehen Muskel ein H y p e r t o n u s oder ein H y p o t o n u s bestehen. I m ers ten l~all ist der Unterk ie fer in der Wi rkungs r i ch tung des Muskels mi t dem Hype r tonus , im anderen Fal l in der W i r k u n g s r i c h t u n g des normoton i sehen Muskels ver lager t . Kompl iz ie r t werden die Verh/i l tnisse noeh dadureh , dag jeder Muskel drei Wir- kungsr ich tungen entfa l te t . Bei Muske lpaaren aber fS~llt die ro ta tor i sche Wirkungs- r ieh tung aus. Da jedoch bei e inem Muske lpaar i m m e r noch eine ver t ika le mi t einer hor izonta len Wi rkungs r i ch tung kombin i e r t ist, wird be im H y p e r t o n u s eines Mus- kelpaares der Unterk ie fe r in dieser R i c h t u n g ver lager t sein.

Auf Grund der Wi rkungs r i eh tungen der einzelnen am Unte rk ie fe r anse tzenden Muskeln lassen sich 26 pa thologisehe Grunds te l lungen aufstel len, denen jeweils t in Hype r tonus in einem oder mehreren Muskeln zugrundel iegt . Die pa thologische Grunds te l lung des Unterk ie fers is t das morphologische S y m p t o m eines oder meh- rerer hyper ton i schen Muskeln (s. Tab. I I ) .

I. Kraniognathie (Abb. 5, 6, 7 als Bei- spiele)

2. Kaudognathie (Abb. 8)

3. Ventrognathie (Abb. 9)

TabellelI . E i n t e i l u n g d e r p a t h o l o g i s e h e n G r u n d s t e l l u n g e n

I. bei bilateral symmetrisehem Hypertonus

1. Masseter. obliqui -~ Masseter. vertieales oder

2. Temporales anterior. Temporales posterior, oder

3. Pterygoidei mediales T Temporales posterior.

oder Kombinationen des ersten Muskels einer jeden Gruppe (1, 2, 3) mit dem zweiten einer anderen Gruppe

Mundbodenmuskeln Pterygoidei laterales

Pterygoidei laterales d- Temporales anterior. oder Pterygoidei laterales _i- Masseter. obliqui oder Pterygoidei mediales

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:;8

4. Dorsognathie (Abb. 10)

5. Kranioventrognathie (Abb. l l, 12)

6. Kraniodorsognathie (Abb. 13, 14)

7. Kaudoventrognathie (Abb. 15)

8. Kaudodorsognathie (Abb. I6)

Fortsehritte der Kieferorthop/idie Bd. 26 H. 1 (1965)

Temporales posterior. - : Mundbodenmuskulatur oder Masseter. vertieales -- Mundbodenmuskulatur

Masseter. obliqui oder Temporales anterior. oder Pterygoidei mediales

Temporales posterior. oder Masseter. vertieales

Pterygoidei laterales

3[undbodenmuskeln

9. Sinistrognathie (Abb. 17)

1U. Dextrognathie

l l . Kraniosinistrognathie (Abb. 18)

12. Kraniodextrognathie

13. Kaudosinistrognathie (Abb. 19)

14. Kaudodextrognat hie

15. Ventrosinistrognathie (Abb. 20)

16. Ventrodextrognathie

II . bei bilateral asynmletrischem Hypertonus (Verlagerung der Unterkiefermitte)

Pterygoideus medialis rechts bzw. Temporalis anterior reehts Masseter obliquus reehts -i- Mundbodenmuskulatur links

3[asseter obliquus links bzw. Pterygoideus medialis links bzw. Temporalis anterior links _ 3[undbodenmuskulatur reehts

Masseter vertica.lis links - i ~iasseter obtiquus reehts oder Temporalis posterior links Temporalis anterior reehts oder Temporalis posterior links -- Pterygoideus medialis reehts bzw. Masseter vertiealis links

Masseter obliquus links T Masseter verticalis reehts

oder Temporalis anterior links -- Temporalis posterior reehts oder Pterygoideus medialis links Temporalis posterior reehts -- bzw. Masseter vertikalis links

Mundbodenmuskulatur links Pterygoideus lateralis reehts

Mundbodennmskulatur reehts Pterygoideus links

Pterygiodeus lateralis reehts 3[asseter obliquus reehts

Pterygoideus lateralis links -- Masseter obliquus reehts - Masseter obliquus links bzw. Pterygoideus medialis links

Page 9: Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers

J. Eschlcr, Zur Physiologic und Pathologic der Ruhelage des Untcrkiefers 39

F C 'q /~ ~''~c t/q' e

Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7

Kaudog,~eth~e \

Abb. 8

l 55 Abb. 9 Abb. 10

~ io ventro - gnQthie

Abb. l 1 Abb. 12

Abb. 14 Abb, 15

Abb. 13

I Abb. 16

V

Page 10: Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers

4O

Abb. 17

Fortschrit te der KieferorthopS~die Bd. 26 H. 1 (1965)

,i-~ Kr~n~os,h,strog,'~cthie

Abb. 18

K~udosin'sfrog~'~cfhJe

Abb. 19 Abb. 20

4,- Der s o sm ' str ognaf h l e , ~

Abb. 21

K,~cni~ventrosinizfrogn~thie

Abb. 22

Kranl~176176 str~ ~ ~ Kaud~176 Str~

Abb. 23 Abb. 24

Kcudodo,~szsini st,~og,~thie

Abb. 25

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J. Eschler, Zur Physioiogie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers 41

17. Dorsosinistrognathie (Abb. 21) Temporalis posterior links -i- 3Iundbodenmuskeln links

18. Dorsodextrognathie Temporalis posterior reehts Mundbodenmuskeln reehts

19. Kranioventrosinistrognathie (Abb. 22) Masseter obliquus rechts oder Pterygoideus medialis rechts oder Temporalis anterior reehts

20. Kranioventrodextrognathie 3Iasseter obliquus links oder Ptersgoideus medialis links oder Temporalis anterior links

21. Kraniodorsosinistrognathie (Abb. 23) )lasseter vertiealis links Temporalis posterior links

22. Kraniodorsodext rognat hie

23. Kaudoventrosinistrognathie (Abb. 24)

Masseter ~erticalis rechts Temporalis posterior reehts Pterygoideus lateralis rechts

24. t(audoventrodext rognathie Pterygoideus lateralis links

25. Kaudodorsosinistrognathie (Abb. 25) 26. I(audodorsodext rognathie

Mundbodenmuskulatur links 3Iundbodenmuskulatur reehts

Die einzelnen Orundstellungen mit Einteilung der hypertoIfisehen 3Iuskeln werden in Skizzen (Abb. 5 bis 25) dargestellt. Im Fall der Dextrognathieformen werden die Muskeln yon links mit reehts und umgekehrt vertauseht.

Neben dem AusmaB des interokklusalen Raumes als wesentliehem Symptom fiir die Grundstellung des Unterkiefers und neben dem Tonus der einzelnen Mus- keln hat aueh die vertikale Stellung der Seitenz/ihne Bedeutung. Diese kann im Fernr6ntgenbild leieht bestimmt werden. Seit wir dutch die Untersuehungen der Hamburger Klinik fiber die entspreehenden Normwerte informiert sind, k6nnen wit damit aueh in pathologisehen F/~llen feststellen, ob eln vergr61~erter h~ter- okklusaler Raum dureh einen Tiefstand der Seitenz/ihne oder dureh ein patholo- gisehes Tonusmuster der Muskeln bedingt ist oder beide daran beteiligt sind. M fil- let konnte auf Grund dieser Normwerte der Hamburger Sehule sehon zeigen, dab bei Klasse-II 1-F~illen ein Normwert des OM und UM vorliegt. Dieser vertikale Normalstand der Seehsjahrmolaren bei Klasse-II 1-Fallen besagt uns, dab der damit verbundene tiefe BiB nieht muskulfir bedingt ist, die kranial wirkenden Mus- keln sind hypo- oder atoniseh. Ein eventuell tiefer Big in Sehlugokklusion ist dann leieht zu beheben, aueh bestehf nieht die Oefahr eines gezidivs. Im Oegen- satz dazu besteht, wie wir dutch einzelne Messungen sehon feststellen konnten, bei I)eekbiBf/illen ein reflektoriseher Hypertonus der kranial wirkenden Muskeln; der interokklusale Raum ist zu klein; die Ruhelage ist der Okklusionslage fast identiseh. In diesen F~illen ist kieferorthop/idiseh eine dauerhafte Bighebung nieht zu erreiehen. Wenn es gelingt, den BiB zu heben, kommt es sehr bald zu einem Rezidiv des tiefen Bisses. Aueh prothetisehe ]3ighebungen sind nieht yon einem dauerhaften Erfolg begleitet.

Damit habe ieh ein zentrales Problem der Kieferorthopfidie angestoBen. H o t z und M f i h l e m a n n unterteilen den TiefbiB in Pseudo- und eehten TiefbiB. In

Page 12: Zur Physiologie und Pathologie der Ruhelage des Unterkiefers

42 Fortsehritte der Kieferorthopiidie Bd. 26 H. 1 (1965)

riehtiger E r k e n n t n i s der Verh/iltnisse gingen sie vom Ausmag des interokklusalen Raumes aus. Mit der prognostiseh schlechten Beur te i lung des yon ihnen als Pseudo-Tiefbig bezeichneten und mit einem geringen interokklusalen Raum und Tiefs tand der Seitenz/ihne - - das OM ist kleiner als 20 m m - - verkn i ip f ten Krailk- hei tsbi ldes ist der Hypo tonus der krania l wirkenden Muskeln, vielleieht aueh deren Hyperak t iv i tM, im besonderen wohl der Temporales, ve rbunden . DaB ein Hyper tonus und eine Hyperakt iv i t / i t der krania l wirkenden Muskeln einen Tiefstand verursaehen, f inden wit aueh bei ausgepr/igt einseitiger Kaut/ i t igkeit . Auf der Kausei te s tehen die Ziihne tiefer. Die t ransversale Kauebene h/ingt naeh der Nieht-Kausei te . Diesen Tiefs tand wollen wit doeh nieht als einseitigen Pseudo- Tiefbig bezeiehnet wissen. Da der muskul/ire Hyper to ims u~ld die muskul/ire Hv- peraktivit/~t (taf/ir verantwort l ieh sind, bezeiehnen wit ihn als, ,muskul~trenTiefbig".

Auf der anderen SeRe entspreehen die Unte rsuehungsbefunde ~I / i l l e r s und unsere e lektromyographisehen Befunde bei Klasse-I I 1-F/illen, (lie vielfaeh, jeden- falls viel mehr als die Klasse-IU2-Ffille, einen Hypo tonus der kranial wirkenden Muskeln besitzen, genau den t ats/iehliehen Verh/iltnissen. Das yon M i i l l e r als normal gemessene OM ist die Folge eines Normo- oder geringen Hypo tonus dieser 5Iuskeln im Verhfiltnis zu ihren Antagonis ten . Der interokklusale R a u m ist grog. Der Tiefbig beruht , wie M i i l l e r naehwies, auf einer l~Tberh6hung des frontalen Alveolarfortsatzes; d ieserTiefbig w~re d a n n dementspreehend als , ,dento-alveo- l~rer" oder ,,alveol/irer" Tiefbig zu bezeiehnen.

Dureh diese, meine letzten beiden Beispiele, wollte ieh nur zeigen, dab es nieht notwendig erseheint, das Tonusmus te r der einzelnen Kaumuske ln zu bestim- men u n d (tie Grunds te lhmg des Unterkiefers festzulegen. Es genfigen, um (tie Beziehungen zwisehen dent Tonus und seinen Auswirkungen auf morphologisehe Teile feststellen zu k6nnen , funkt ionel l bedingte morphologisehe Ver/inderungen, die leieht megbar sind. Aus morphologisehen Gegebenhei ten k6nnen wit vielfaeh auf die tonisehe F u n k t i o n riieksehliegen und daraus aueh eine prognostisehe Be- ur te i lung treffen, ohne die Grunds te l lung des Unterkiefers bes t immen zu mfissen, was immer ein problematiseher Versueh sein wird.

S c h r i I f l u m

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Ansehrift d. Verf,: Prof. Dr. Dr. J. Eseh le r , 78 Freiburg i. Br., Hugstetter Str. 55