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Zur Spieltechnik der deutschen Lautenisten des 16. Jahrhunderts Author(s): Hans Radke Source: Acta Musicologica, Vol. 52, Fasc. 2 (Jul. - Dec., 1980), pp. 134-147 Published by: International Musicological Society Stable URL: http://www.jstor.org/stable/932490 . Accessed: 16/06/2014 00:46 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . International Musicological Society is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Acta Musicologica. http://www.jstor.org This content downloaded from 62.122.79.56 on Mon, 16 Jun 2014 00:46:01 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Zur Spieltechnik der deutschen Lautenisten des 16. Jahrhunderts

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Zur Spieltechnik der deutschen Lautenisten des 16. JahrhundertsAuthor(s): Hans RadkeSource: Acta Musicologica, Vol. 52, Fasc. 2 (Jul. - Dec., 1980), pp. 134-147Published by: International Musicological SocietyStable URL: http://www.jstor.org/stable/932490 .

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Zur Spieltechnik der deutschen Lautenisten des 16. Jahrhunderts HANS RADKE (DARMSTADT)

Es ist auffallend, daft die Haltung des Instruments in den fiir den Selbstunterricht bestimmten Lautenschulen von Hans Judenkiinig und Hans Newsidler nicht beschrieben wird. Hans Gerle sagt in seiner Musica Teu[t] sch (Niirnberg 1532, Bl. K iij) nur: Nym den lautten kragen in die lincken handt vnd setz an der rechten handt den kleyn finger/ Vnd den goldfinger (= Ringfinger) auff die deck/ nit auff den stern (= Rosette)/ ein wenig dar hindther. Erst Matthaeus Waissel erliutert in seinem Vnterricht1 (1592, BL. B ij) die Haltung der Laute: Vnnd damit die Application desto besser vnnd fiiglicher geschehe/ ... muss man anfenglich die Lauten also in die Hand nemen/ das man die lincke Hand auff dem Daumen/ am Lautenhalse/ also halte vnnd fiihre/ das der Daume oben vber dem hals nicht weit vbergehe (denn es vnbequem/ vnd vbel stehet) sondern/ dem halse fast gleich gehalten/ bisweilen auch (nach dem es die Grieffe mitbringen) hin vnd her/ bald hinden an der Mitte/ bald an der Seiten des Halses/ gefiihret/ vnnd die Hand gemeinlich etwas hindersich vom Halse abgebeuget werde/ der rechte Arm aber nicht zu hoch sondern fast in der mitte hinter dem Staffel (= Steg) also angeleget werde/ das die Hand/ etwas in die lenge gestreckt/ auff dem kleinen Finger (welcher auff der Lauten auffgesetzt/ stete/ vnd vnbeweglich muss gehalten werden) gefihret/ vnnd der Zeiger vber den Daumen/ der Daume aber in die Hand geschlagen werde. Welchs denn allezeit besser/ vnnd zu aller geschwindigkeit bequemer ist/ als wenn der Zeiger vnter den Daumen in die Hand geschlagen wird.

Wihrend die Haltung der linken Hand heute noch gebriuchlich ist, zeigt die Haltung des rechten Unterarms und der Anschlagshand auch der Holzschnitt des Lautenspielers2 in Judenkiinigs Druck Ain schone kunstliche vnderweisung (Wien 1523). Die Laute ist hier auf einen Tisch aufgesetzt. Dagegen greift auf Sebastian Ochsenkhuns Portrit3 in dessen Tabulaturbuch auff die Lauten (Heidelberg 1558) die rechte Hand im rechten Winkel von oben an die Saiten. Diese Handhaltung wird heute bei der Gitarre angewandt. Wird beim Lautenspiel der kleine Finger vor den Steg auf die Resonanzdecke gesetzt, was im 16. Jahrhundert nach den Bilddarstel- lungen die Regel war, mufB jedoch die rechte Hand etwas schriger gehalten werden, damit jeder anschlagende Finger beide Saiten eines Chors in Schwingung versetzt. Der Holzschnitt ,,Der Lautenmacher" von Jost Amman4 zeigt eine Haltung der Laute, die der heute gebriuchlichen sehr Tihnelt. Sie ruht zwar noch nicht auf beiden

SLautenbuch darinn von der Tabulatur vnd Application der Lauten griindlicher vnd voller Vnterricht (Frankfurt a.d. Oder 1592). Waissel sagt im Vorwort, er habe den Unterricht so geschrieben, wie er ihn in Deutschland und Welschland von berfihmten Meistern gelernt habe. Er beriicksichtigt nur die 6chorige Laute, obwohl er die 7- und 8ch6rigen Lauten kennt. 2 Abbildung bei K. RAGOSSNIG, Handbuch der Gitarre und Laute (Mainz 1978), S. 191. Abbildung bei K. RAGOSSNIG, a.a.O0., S. 193.

SEygentliche Beschreibung aller Staende auff Erden (Frankfurt a. Main 1568). - Abbildung bei G. KINSKY, Geschichte der Musik in Bildern (Leipzig 1929), S. 130.

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Oberschenkeln, sondern nur auf dem rechten, der rechte Unterarm liegt auf dem oberen Rand der steil gestellten Resonanzdecke und driickt das Instrument gegen die Brust, das linke Bein ist mit der vorderen Hilfte des Fufes auf eine Art Fufbank aufgestiitzt. Waissel lehrt also noch eine dltere Handhaltung, die sich nicht sehr von der beim Plektronspiel der Laute gebriuchlichen unterscheidet, bei der die Finger der Anschlagshand parallel zu den Saiten gehalten werden. Auch das Schlagen des Daumens in die hohle Hand wurde nach 1600 aufgegeben5. Hans Neemann verwirft in seiner Lautenschule6 das Aufsetzen des kleinen Fingers auf die Decke oder den Steg. Er glaubt wohl, daf durch das Aufstiitzen des kleinen Fingers die Beweglich- keit der iibrigen Finger behindert wird. Durch das Aufstiitzen dieses Fingers erlangt jedoch der Daumen die gewiinschte Treffsicherheit bei schnellen Spriingen von den tiefen zu den hoheren Choren.

Unter ,,Zwicken" ist nicht blot, wie Peter Paffgen7 glaubt, der charakteristische Anschlag mit Daumen und Zeigefinger zu verstehen, sondern der Fingeranschlag iiberhaupt, der den alteren Plektronanschlag abloste. Dies geht aus Judenkiinigs vnderweisung (1523, Bl.a') hervor: Es ist menigelich wissen/ das in kiirtzen jaren bey manf3 gedechtniif3/ erfunden worden ist die Tabulatur/ auff die Lautten/ vnd das zwikhen/ daruor haben die alten mit der federn diirchaus geschlagen/ das nit also khunstlich ist. Auch sagt er vom dreistimmigen Spiel (Bl. c): was fair puechstaben oder ziffer vber ainander gesatzt ist die zwick zumal/ mit ainander. Arnolt Schlick bringt in seinen Tabulaturen etlicher lobgesang vnd lidlein (Mainz 1512) drew lidlein mit dreien stimmen zu zwicken.

In den deutschen Schulwerken wird zuerst die Lautentabulatur erklart. Anhand einer Abbildung des Kragens (des Halses) der Laute, auf dessen Griffbrett die Zeichen der deutschen Tabulatur in die Bundfelder notiert sind, soll sich der Schiiler die Griffzeichen gut einpragen oder die Griffzeichen auf das Griffbrett der Laute schreiben. Hierzu rat z.B. Judenkiinig in seiner vnderweisung (1523, Bl. a ij'). Auch Gerle gibt in seiner Musica Teu[t]sch (1532, Bl. J ij') dem Schiiler eine Anleitung, wie er die Tabulatur auff den lautten kragen schreyben soll.

Liufe und melodische Gange sollen nach den Spielanweisungen des 16. Jahrhun- derts abwechselnd mit dem Daumen (unter sich, abwirts) und Zeigefinger (iiber sich) angeschlagen werden. Judenkiinig zeigt den Zeigefingeranschlag durch ein strichlein (caudula) oben an den Mensurzeichen an ? %, Hans Newsidler im 1. Teil seines Druckes Ein newgeordent kiinstlich Lautenbuch (Niirnberg 1536) durch ein einiges piinctlein oder einiges stiipflein (durch einen einzelstehenden Punkt) wie Hans Jacob Wecker' (1552) und die italienischen und franzosischen Lautenisten. Der Daumenanschlag wird nicht besonders bezeichnet. Wolff Heckel macht in seinem Lautten Buch (Strafburg 1556/1562) den Zeigefin-

' NICOLAS VALLET, Secretum Musarum (Amsterdam 1615), bezeichnet es im Kort Berecht als grogen Fehler, wenn der Daumen beim Anschlag zur Handinnenfliiche umgebogen wird. 6 Die doppelch6rige Laute. Ein Lehr- und Spielbichlein (Fredersdorf b. Berlin 1932), S.2. ' Laute und Lautenspiel in der ersten Hiilfte des 16. Jahrhunderts. Beobachtungen zur Bauweise und Spieltechnik = Kolner Beitriige zur Musikforschung 95 (Regensburg 1978), S. 157. S

Tenor Lautenbuch vonn mancherley schbnen vnd lieblichen stucken mitt zweyen lauten zusamen zu schlagen (Basel 1552).

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geranschlag in leitterlin durch einen krumen strich kenntlich It- ) ,# bei ein- zelstehenden Mensurzeichen durch einen nach oben abgebogenen Querstrich f . Dieselbe Notationsweise ist bei Bernhard Jobin9 (1572/73), Melchior Newsidler10 (1574) und Sixtus Kargel1 (1586) anzutreffen, deren Tabulaturen auch in Straf~burg erschienen. Doch sind in den ,,Leiterlein" die geraden und krummen Striche ofters durcheinandergeraten. Piffgen12 irrt sich, wenn er angibt, Judenkiinig wende nur in der Oberstimme den Zeigefingeranschlag an. Bafgginge liit er wie Newsidler mit

Daumen-Zeigefinger-Wechselschlag ausftihren. Newsidler betont (Bl. c ij), dafg das richtige Abwechseln von Daumen und Zeigefinger die grbst kunst am lauten

schlagen sei. Auf der Laute ist der Wechselschlag zwischen Daumen und Zeigefin- ger, wobei der Zeigefinger fiber den Daumen hinwegschligt, am besten auszufiih- ren bei einer ,,etwas in die Linge gestreckten" Haltung der Hand nicht zu schrig zu den Saiten, wie sie Waissel fordert.

Waissel macht in seinem Vnterricht (1592) den Zeigefingeranschlag nicht kenntlich. Er sagt (Bl. C iij'): In Coloraturen . . . wird allein der Daume/ vnd Zeiger gebraucht/ vnd wird einer vmb den andern/ der Daume nider/ der Zeiger auffgeschlagen/ doch also/ das alle Coloraturen/ sie sind gleich kurtz oder lang/ mit dem Zeiger geendet werden. Anhand von Beispielen erklirt er, wo man in Koloraturen anfinglich mit dem Daumen niederschlagen, anfinglich mit dem

Zeigefinger aufschlagen und mit dem Daumen zweimal nacheinander niederschla-

gen mug: Am Anfang der Liufe steht ein vier- oder dreistimmiger Griff mit gleicher oder abweichender (auch punktierter) Mensur. Wechselt in einem Lauf die Mensur, so ist die erste Note erneut mit dem Daumen anzuschlagen. Der Daumen kommt also immer auf die schweren, der Zeigefinger auf die leichten Taktzeiten. Auch Jean Baptiste Besard13 (1603) erklirt ausfiihrlich den Fingersatz der rechten Hand in Koloraturen, die auf einen Akkordgriff folgen. Wihrend Judenkiinig und Newsidler

Liufe im Bafgbereich mit Wechselschlag zwischen Daumen und Zeigefinger ausfiihren lassen, sagt Waissel, es komme bisweilen vor, das man im Bafg mit dem Daumen allein etliche Buchstaben vnd Ziffern nach einander schlagen muss/ vnd solchs geschihet allein in Semiminimis/ da jrer viere auff einen Schlag gehen. Waissel kennt noch nicht den Wechselschlag zwischen Mittel- und Zeigefinger, den Besardl4 erwihnt. Nach seiner Meinung eignet sich dieser Wechselschlag besonders zum Spiel von Koloraturen, bei denen Bisse stehen. Durch die Einfiihrung des

Wechselschlags zwischen Mittel- und Zeigefinger konnte das unbequeme Springen des Daumens von den tiefen zu den h6heren Ch6ren vermieden werden.

Piffgen" sagt, dafi die exponierten deutschen Lautenisten Newsidler und Gerle

auf Stiicke mit viercharigen Akkorden verzichteten. Gerle weist jedoch in seiner

9 Das erste Buch newerlef3ner fleissiger ettlicher viel schbner Lautenstiick (StraIburg 1572). - Das ander Buch

newerlef3ner kunstlicher Lautenstiick (StraIburg 1573). 'o Teiatsch Lautenbuch (Stratburg 1574). x' Lautenbuch (StraIburg 1586). 12 A.a.O., S.160. '3 De modo in testudine studendi libellus, in: Thesaurus harmonicus (Kl61n 1603).

54 A.a.O., Bl.Xx 3'. Is A.a.O., S.177.

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Tabulatur auff die Laudten (Niirnberg 1533, Bl. III') besonders auf seine vierstimmi-

gen Bearbeitungen von Motetten hin: Darvnder sind die letzten drey mit vier stimmen gesetzt/ damit welcher lust het mit vier stimmen zu lernen/ auch etwas hab. Schon Wilhelm Tappert ver6ffentlichte in seiner Arbeit Die Lautenbiicher des Hans Gerle16 eine Tabulaturprobe aus dem 3. Teil der vierstimmig gesetzten Motette Inviolata. Auch wies bereits Kurt Dorfmiiller17 in der Inhaltsangabe von Newsidlers Druck Das Ander Buch. Ein new kiinstlich Lauten Buch (Niirnberg 1549) auf einige vierstimmige Bearbeitungen hin.

Newsidler macht im 1. Teil seines Lautenbuchs (1536, Bl. a iiij') nur Andeutungen fiber das Akkordspiel: sichstu zwen oder drey buchstaben vbereinander steen/ so

greyff sie all/ vnd was fiur ziffer darzwischen stehn ir seyen vil oder wenig/ die zwick mit den fingern in der rechten hand/ fein ordenlich/ die ziffer vnnd buchstaben fein gleich zusamen. Er erwihnt nicht, dat drei fibereinanderstehende Griffzeichen mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger anzuschlagen sind, da er das fir selbstverstind- lich halt. In vier Thinzen Newsidlers sind die vier-, fiinf- und sechsstimmigen Akkorde, deren T6ne auf benachbarten Ch6ren liegen, mit dem Daumen durchzu- streichen, wie aus dem Titel des ersten Tanzes hervorgeht: Ein ser guter hoff tantz mit durch straichen. Auch bei Joan Ambrosio Dalza18 (1508) treten in manchen

Tinzen (Saltarellen und Piven der Pavana alla venetiana) vier-, fuinf- und

sechsstimmige Durchstreichakkorde auf. Gerle erklirt in seiner Musica Teu[t]sch (1532, Bl.K') den Anschlag von zwei-

und dreistimmigen Akkorden: Vnd merck eben wann zwen Buchstaben oder zyffer obereinander steen die mustu greyffen mit der lincken handt vnd mit der rechten handt mustu schlagen/ mit dem daumen vnd mit dem zaygfinger/ Vnnd wann du mit dreyen stymen wilt lernen/ So mustu den mittelfinger brauchen zu der dritten

stym. Das Durchstreichen von mehrstimmigen Akkorden mit dem Daumen behandelt er nicht. Aus seiner Anweisung, autger dem kleinen Finger auch den Goldfinger der rechten Hand auf die Decke zu setzen, darf nicht gefolgert werden,

dat die damaligen deutschen Lautenisten den Anschlag mit dem Goldfinger (= Ringfinger) nicht anwandten. Gerle kann auch den Ringfinger auf die Decke setzen lassen, da sein Druck 1532 nur zwei- und dreistimmige Lautensitze enthilt.

Piffgen meint19, wegen der geringen Mitteilungsfreude der Theoretiker stehe man bei der Frage, wie 4- und mehrstimmige Akkorde angeschlagen wurden, vollends vor einem Problem. Schon im ersten Drittel des 16.Jahrhunderts verwandten die deutschen Lautenisten alle Finger der rechten Hand mit Ausnahme des kleinen Fingers zum Anschlag. Dies geht aus Judenkiinigs Lehrbiichlein Utilis et compen- diaria introductio (Wien o.J., um 1515-1519) hervor: Preterea admonendus es ut literas et characteres numeri quotquot ordinatim signis notarum supponuntur, singulas eorum cordas singulis digitis (si modo digitorum dextre numerum non

16 MfM 18 (1886), S. 106-107. Das von Tappert benutzte Exemplar ohne Titelblatt verwahrt jetzt das British Museum in London. 17 Studien zur Lautenmusik in der ersten Hiilfte des 16.Jahrhunderts = Miinchner Veriffentlichungen zur Musikgeschichte 11 (Tutzing 1967), S.174-175. 18 Intabulatura de Lauto, Libro quarto (Venedig 1508, O. Petrucci). 19 A.a.O., S.176.

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excedunt) discretim aut si plures sunt quam quatuor, digitorumque numeruIn superant, simul uno ictu pollicis oberrando percucias pulsesque. Die einzelnen Chorsaiten der Buchstaben und Ziffern sollen mit je einem Finger angeschlagen werden, falls sie nicht etwa die Zahl der Finger der rechten Hand iiberschreiten. Sind es aber mehr als vier Chorsaiten und fiberschreiten die Zahl der Finger, sollen sie (alle) zugleich mit einem Daumenschlag gestreift werden. Judenkiinig erginzt seine Angabe fiber das Streifen mit dem Daumen in seiner vnderweisung (1523, Bl.d): Vnnd wann du die Tenntz lernen wild/ so steen offt/ vier oder finff puechstaben oder ziffer vber ainander/ die straiff mit dem dawmen durchauf. Fiinf- und sechsstimmige Akkorde sollen also mit dem Daumen durchgestrichen werden, in den Tinzen auch vierstimmige. Dies ist in Judenkiinigs Hoftinzen aber oft nicht

m6glich, da in vielen vierstimmigen Akkorden der zweith6chste Chor nicht

angeschlagen wird, also nicht alle Akkordtone auf benachbarten Chdren liegen. S Paiffgen glaubt20, dat in dem Akkord der Daumen die drei tiefsten Saiten und

5 der Zeigefinger... die Discantsaite anschlagen muIR. Das Durchstreichen mit

h dem Daumen ist aber gar nicht moglich, da A und g nicht auf benachbarten

g Chorsaiten liegen, sondern nur g und h. Der Akkord muIR mit vier Fingern A angeschlagen werden.

Auch der vierstimmige Schlutakkord in Judenkiinigs dreistimmiger Bearbeitung von Mein hertz all dit fordert den Anschlag mit Daumen, Zeige-, Mittel- und

Ringfinger, da zwischen den drei unteren Akkordtbnen zweimal je ein Chor

freigelassen ist: '? In Gerles Tabulatur auff die Laudten (1533) kommen hiufig in den vierstim- 5 migen Motettenbearbeitungen vierstimmige Akkorde vor, zu deren Anschlag 4 auch der Ringfinger heranzuziehen ist, z.B.

g Pk A 4n

2r 6 1

in O benigna. Der tiefste Chor steht hier im ,,Abzug", er ist einen Ganzton tiefer

gestimmt. Das Streifen mit dem Zeigefinger von zwei oder mehreren auf benachbar- ten Chbren liegenden Tdnen wird von den deutschen Lautenisten der ersten Hilfte des 16. Jahrhunderts nicht erwihnt. Paiffgens fiir den deutschen Raum aufgestellte Behauptung21, daf eine Verwendung des Ringfingers iiuferst unwahrscheinlich ist, wird schon durch Judenkiinigs Angaben widerlegt.

Wie Gerle ldiit auch Judenkiinig Zweiklhinge mit Daumen und Zeigefinger anschlagen: wann zwen puechstaben oder ain ziffer vber ainander gesatzt seind/ . .. schlach mit dem dawmen/ vnnd zwigkh die annder mit dem zaiger der rechten hanndt (1523, Bl.b ij). Newsidler dagegen gibt nicht an, mit welchen Fingern Zweikl~inge anzuschlagen sind. Mitunter setzt er aber den Zeigefingerpunkt bei

zweistimmigen L~iufen: 20 A.a.O., S.179. 21 A.a.O., S. 177.

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0 i 4 n z n c r Lamora Isaac, Takt 26. Er ist doch iiberfliissig, wenn die Oberstimme nur mit dem

Zeigefinger, die Unterstimme mit dem Daumen anzuschlagen ist. Soil etwa der

Mittelfinger o und 4 anschlagen, also den Wechselschlag mit dem Zeigefinger ausfiihren, damit dieser nicht zweimal hintereinander gebraucht wird? Entspre- chende Stellen findet man auch bei Judenkiinig: p e

5t i4 qf 1E

vnderweisung, Zucht er vnd lob, Takt 38. Paiffgen meint merkwiirdigerweise, der

Mittelfinger sei fir Zweikliinge nicht verwandt worden, weil man mit dieser neuen Technik (dem Gebrauch des Mittelfingers) noch nicht so vertraut war22. Nach Adrian Le Roy23 kbnnen Zweiklainge mit dem Daumen und Zeige- oder Mittelfinger angeschlagen werden. Paiffgen sagt4, bei der Untersuchung der Anschlagskultur in den verschiedenen Schulen habe sich ergeben, da? deutsche Lautenisten weiterge- hend an starren Regeln festhielten als ihre italienischen Zeitgenossen, was darauf schliegen lasse, dat sie weit weniger souveriin den Umgang mit der noch nicht sehr alten Fingeranschlagstechnik beherrschten. Dies aiugere sich besonders auch in der

Untersuchung der Anschlagsregeln fiir mehrstimmige Akkorde. Aufgrund des Textes in den Spielanweisungen von Judenkiinig, Gerle und Newsidler kann dieser Ansicht aber nicht beigepflichtet werden.

Recht eingehend erkliirt Waissel in seinem Vnterricht (1592, Bl. C iij) den Fingersatz der rechten Hand beim Akkordspiel: Ist der Griff mit zweien Stimmen/ so schlage in mit dem Daumen vnd Zeiger: Ist der Griff mit dreyen Stimmen/ so

schlage jhn mit dem Daumen/ Zeiger/ vnd Mittelfinger: Ist der Griff mit vier Stimmen/ so schlage jn mit dem Daumen/ Zeiger/ Mittelfinger/ vnd Goldfinger: Ist der Griff mit fiinff Stimmen/ so schlage zwey Stimmen/ oder zwo Seten (= Saiten) zugleich mit dem Zeiger: Ist der Griff mit sechs Stimmen/so schlage mit dem Daumen zwo/ vnnd mit dem Zeiger auch zwo Seten zugleich/ die andern schlage mit den andern beyden Fingern. In fiinfstimmigen Akkorden muig also der Zeigefinger zwei Ch6re, in sechsstimmigen auch noch der Daumen zwei Ch6re streifen. Doch bringt er keine Beispiele ffir fiinf- und sechsstimmige Akkorde. Nach Le Roys Anweisung25 soil bei fiinfstimmigen Akkorden der Daumen bzw. der Zeigefinger zwei benachbarte Ch6re anschlagen, je nachdem alle Akkordt6ne auf benachbarten Chbren liegen oder der 5. Chor frei bleibt. Waissel erwihnt nicht das Durchstreichen von Akkorden mit dem Daumen.

Da beim Akkordanschlag der Daumen den Baig, die fibrigen drei Finger die oberen Akkordtne fibernehmen, werden Zerlegungen von Akkorden mit denselben

22 A.a.O., S.175. 23 A briefe and plaine Instruction (London 1574), B1.67'. 24 A.a.O., S.211. 25 A. a. O., B1. 66.

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Fingern angeschlagen wie volle Akkorde. Beim Brechen von Zweiklingen fiber- nimmt der Zeigefinger die Oberstimme:

n n 1 n1 n1 1

Judenkiinig, vnderweisung, Ain hoff dantz mit zway stimen, Takt 1. Bei Judenkiinig deutet ein Mensurzeichen mit einem Strichlein fiber zwei iibereinanderstehenden Griffzeichen an, dat sie mit Zeige- und Mittelfinger ,,iiber sich" anzuschlagen sind:

5 5 i5 5 i n i n i n n

Der hoff dantz, Takt 13. Hans Jacob Wecker25a zeigt wie manche italienische Lautenisten durch einen Punkt unter zwei oder drei iibereinanderstehenden Griffzeichen an, datf sie ohne den Daumen mit zwei bzw. drei Fingern heraufzu-

schlagen sind: "

F P P D P D 44 4 cc c

D Der Bentzenawer dantz, Takt 3. Heckel sagt in seinem Lautten Buch (Discant, 1556, Bl. a'), man solle, was unter einer solchen Minima r stehe, mit den fingern so vbersich gandt zwicken oder schlagen/ Defgleichen auch in den fusselen/ kompt es etwan auch also r r sollen di zwo stimen so vnder dem krumen strich standt/ vbersich gezwickt oder

geschlagen werden/ also ist es nun mit dreyen vnd vier stimen auch.

rr Der Ziiner Tantz, Takt 1, Tenor. r --- Preambulum, Takt 7, Discant.

5 5 5 5 i i 4 4 n n h h f 1 1 t Es ist auffallend, dat auch vier Stimmen heraufgeschlagen werden sollen, was andere Lautenisten nicht verlangen. Im Kochelsberger Tantz (Tenor, S. 174) in der Scordatur (A)d fis a d' g', in dem die ftinfstimmigen Akkorde und fast alle

vierstimmigen mit dem Daumen durchgestrichen werden konnen, da deren Griffzeichen auf benachbarten Choren liegen, steht der krumme Strich fiber einem vierstimmigen Akkord auf einer leichten Taktzeit (Takt 7):

25a Tenor Lautenbuch (Basel 1552).

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t ti 3 33 2 22 Sli t 11 4

Dieser Akkord soil wohl mit dem Zeigefinger gestreift werden. Waissel bringt Beispiele fir das Anschlagen von zwei- und dreistimmigen Griffen

mit den Fingern ohne Mitwirkung des Daumens. Er sagt: vnd solchs geschihet gemeinlich in zerteilten Schlegen / da der Griff wol gantz gegriffen/ aber im schlagen zertheilet wird (Bl. C iij). In einem Beispiel kommen neben einem dreistimmigen auch zweistimmige Griffe vor: z j

A Pk 5 4n c C

Er erklirt: In diesem Exempel magstu alle zweystimmige Griffe mit zwyen Fingern auffschlagen/ magst sie auch mit dem Daumen vnnd Zeiger schlagen/ nach deinem gefallen/ denn daran nicht viel gelegen (Bl. C iij'). Der Anschlag mit Zeige- und Ringfinger ist doch wohl bequemer.

Judenkiinig legt besonderen Wert darauf, da13 der Schiiler lernt, die rechte kunstliche Applicatz, den korrekten Fingersatz, von dem ersten pundt vntzt auf den letzten pundt anzuwenden. Er veranschaulicht den Fingersatz der linken Hand ffir die 1. bis 5. Grifflage (Position) durch fiinf Abbildungen der Handinnenfliche. Auf den Gliedern der vier Greiffinger sind die sechs Griffzeichen je eines Bundes notiert, z. B. in der 1. Lage auf dem Zeigefinger die des 1., auf dem Mittelfinger die des 2., auf dem Ringfinger die des 3., auf dem kleinen Finger die des 4. Bundes. Zu jeder Hand (Lage) gehort als Lehrstiick eine Priamel. In der Abbildung einer Hand ffir den allerersten Anfang mit zweistimmigen Fundamentalstiicken teilen sich Ringfin- gerund kleiner Finger in den 3. Bund, der kleine Finger Uibernimmt die Griffzeichen n o p der drei oberen Chore. Auch die Regula alli lettori bei Jo. Maria da Crema (1546)26 hat dieselbe Vorschrift: Auertite appresso che il primo Tasto e del primo dito, il secondo del secondo, il terzo del terzo dal Basso sino al Tenore, et dalla Mezzana in giu ponete il piccolo al terzo tasto et non ui ci ponete gli altri ma fateli andar uoti, et cosi discorrerete per lo manico secondo l'ordine soprascritto. In einem zweistimmigen Satz in der 1. Lage mug meist anstatt des Ringfingers der kleine Finger den Ton der Oberstimme iibernehmen, der auf den 3. Bund einer der drei oberen Chore zu liegen kommt. Abweichungen vom Normalfingersatz ergeben sich, wenn es die Mehrstimmigkeit fordert. So mut, wenn ein Kreuzchen + iiber einem Buchstaben das Liegenlassen eines Greiffingers anzeigt, ffir diesen ein benachbarter Finger genommen werden. Judenkiinig betont: wo es die not erfordert/ so muest du die Regel brechen die in der hand geschriben ist/ sonst nimer/ wann es begibt sich

2 Intabolatura di Lauto, Libro terzo (Venedig 1546). Dieselbe Regula auch im Miinchener Exemplar von ANTONIO ROTTAs Intabolatura de Lauto, Libro primo (Venedig 1546, ohne Druckerangabe).

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selber an ettlichen orten das die finger anderst miiessen gebraucht werden (vnderweisung, Bl.c). Auch bemerkt er: Es kumbt gar selten das ain stuck mit dreyen stymen/ aus ayner hand (Lage) alain geschlagen wierdt/ du midst zuzeiten ruckhen in die andern hend (ebda., Bl.d). Doch erklirt er nicht, wie ein Lagenwechsel vorgenommen wird.

Gerle hat folgende Grundregel (Musica Teu[t]sch, 1532, Bl.K): Was dir firkumbt in dem ersten Bundt das mustu als mit dem zaygfinger greyffen/ vnd was dir ffirkumbt in dem andern (= zweiten) Bundt das mustu mit dem mittelfinger greiffen/ vnd was in den dritten Bundt gehbrt das mustu mit dem goldfinger greyffen/ vnd das 9 vnd k mit dem strichleyn mustu mit dem kleyn finger greyffen/ kummen dir aber zwen buchstaben fir in eym bundt/ So greyff den eyn mitt dem nechsten finger bey dem der zu dem bundt gehisrt. Doch sagt er merkwiirdigerweise nicht, mit welchem Finger die auf dem 4. Bund liegenden Griffzeichen gegriffen werden sollen. Dem kleinen Finger sind die auf dem 5. bzw. 7.Bund liegenden Griffzeichen 9 und k zugewiesen. Er mut daher bei einer aufwdrts steigenden Tonfolge, die iiber die 1. Lage hinausgeht, auf der hdchsten Saite, der Quintsaite, aufwarts gleiten, um das k zu erreichen. Gerle erklirt dann an Beispielen den

Fingersatz von einigen zwei- und dreistimmigen Akkorden. Es ist auffallend, dag der auf benachbarten Choren liegende Zweiklang

n nicht mit zwei Fingern, sondern m nur mit dem Goldfinger gegriffen werden soll. Das Greifen eines Zweiklanges mit dem Mittelfinger verlangt ein paarmal Newsidler: h Ein guts hofftentzlein fair ein schuler (Bl.e ij).g

Newsidlers Lehrmethode zeichnet sich dadurch aus, dag in den Obungsstiicken der Fingersatz der linken Hand angegeben ist. Er hat es daher nicht n6tig, wie Gerle und Waissel umstandlich zu erkliren, mit welchen Fingern die Tabulaturbuchstaben zu greifen sind. Die fiber den einzelnen Buchstaben angeordneten stiipfflein (1 bis 4

Punkte) bezeichnen die vier Greiffinger. An einer Abbildung der linken Hand

(Innenfliche) macht er dies klar. Die ersten Fingerglieder sind mit Punkten versehen, der Zeigefinger hat einen Punkt, der Mittelfinger zwei, der Ringfinger drei und der kleine Finger vier. Newsidlers Methode erleichtert dem Anfinger das

stimmenmitige Spiel. Die ersten grundlegenden Obungen, die die Bezeichnung ,,kleines" und ,,grotes Fundament" haben, schreiten vom einstimmigen Spiel zum zwei- und dreistimmigen fort. Schon in der Erst Regel, einem einstimmigen Lauf in der 1.Lage, greift statt des Ringfingers der kleine Finger die auf den drei oberen Choren im 3.Bund liegenden Buchstaben n o p. Newsidler fibt wie Judenkiinig gleich den Gebrauch des kleinen Fingers ffr diese Tone, da im zwei- und

mehrstimmigen Satz oft nur dieser Finger in Frage kommt. In manchen Akkorden

mut allerdings n oder o mit dem Ringfinger gegriffen werden, wenn z.B. ein anderer Buchstabe auf einem hbheren Chor liegt: . Die folgenden zwei- und

0

drbistimmigen Stficke, meist Intavolierungen von Vokalstitzen, sind teils mit dem

Fingersatz fir die linke Hand, teils mit dem Zeigefingerpunkt fuir die rechte Hand versehen. Der Fingersatz zeigt manche Besonderheiten. So soll bei Griffen im 2. Bund der 1. Finger die oberen, der 2. Finger die unteren Chare iibernehmen:

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H. Radke: Zur Spieltechnik der deutschen Lautenisten des 16. Jahrhunderts 143

5 k5 5o 1

C 2 + Be

Von edler art, Takt 19. Es ist bequemer, B mit dem 1. Finger, k und i mit dem 2. Finger zu greifen.

+n" n 4

22 g "2 Ich klag den tag, Takt 10. Der Lagenwechsel ist nicht ndtig, wenn n mit dem 3. Finger, g mit dem 1. und r mit dem 4. gegriffen wird. Piffgen sagt27, bei Newsidler vollzdgen sich die Lagenwechsel sehr unvermittelt, was Unsicherheit in der Handhabung dieser Technik offenbare. Fille, die ebenso oder ihnlich wie bei ihm geregelt seien, finden sich bei den deutschen Lautenisten der Zeit diuf3erst hdufig. Doch kdnnen fiUr diese Behauptung keine Beweise beigebracht werden, da die anderen zeitgenossischen deutschen Lautenisten in ihren Stiicken den Fingersatz der linken Hand nicht bezeichneten.

In den ersten deutschen Spielanweisungen wird der Quergriff, das Legen des Zeigefingers quer fiber mehrere Chdre im gleichen Bundfeld, nicht erwihnt. Er mug aber den deutschen Lautenisten schon bekannt gewesen sein, da folgender Akkord bei Gerle (1533) sich nur mit Quergriff im 2. Bund fiber vier Chdre spielen l1it:

9Pk 1 9 P k i g 1

0 benigna, Takt 2. Gerle sagt in seinem Druck Ein newes sehr kiinstlichs Lautenbuch (Niirnberg 1552, Bl.A 4'): Du must den zeygfinger wol in brauch bringen das du in vber zwerch auff den laudten kragen legst/ das er zwen buchstaben oder drey greiff. Er bringt Beispiele fiir Akkorde im Quergriff und macht den Fingersatz durch 1 bis 4 piincktlein oder diipfelein kenntlich; z.B.

91 9" d* n: n: m:

2 " 2" In manchen Fillen, wie beim 2. Akkord, wo der Zeigefinger nur einen Buchstaben des Akkordgriffes zu greifen hat, wendet er wie Waissel den Quergriff an, damit die anderen Griffzeichen sich bequemer greifen lassen.

27 A.a.O., S.191.

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Waissel behandelt in seinem Vnterricht (1592) recht ausfifihrlich die Akkordgriffe. Darin zeigt sich die Hinwendung der damaligen Zeit zur Monodie. Er erklirt (Bl. B

ij'): Der Zeiger der lincken Hand gehirt eigentlich in den ersten/ der Mittelfinger in den andern/ der Goldfinger in den dritten/ der kleine Finger in den vierden Bund/ in

gemeinen Griffen: Aber diese Regel hat gar viel Exceptiones/ also das die Finger offt vmbgewechselt werden/ vnd nicht allezeit in jhren eigenen sondern auch in andern

Biinden gebraucht werden. Als/ das der Zeiger in dem andern (= zweiten)/ der

Mittelfinger im ersten/ der Goldfinger auch im andern/ vnnd der kleine Finger im dritten Bund etc. gebraucht wird. Solchs sol auch von den andern Biinden verstanden werden/ wenn die Hand fortgeriickt wird/ vnd man weiter hinauff greiffen muss (also in hoheren Lagen). An zahlreichen Beispielen wird die

Application der meisten drei- und vierstimmigen Griffe erliutert, die auf der Laute

gebriuchlich sind. Da Waissel nicht wie Newsidler den Fingersatz durch Punkte

bezeichnet, sondern erklirt, mit welchen Fingern die einzelnen Buchstaben zu

greifen sind, ist in den folgenden Beispielen der Fingersatz der besseren Obersicht

wegen ergainzt. Die ersten Akkordfolgen (Bl. B iij) enthalten gemeine Griffe, in denen meist auf leere Saiten fallende Akkordtone das Greifen erleichtern. Bisweilen

mut jedoch der Zeigefinger, ja sogar der Mittel- und kleine Finger zwei auf benachbarten Choren liegende Griffzeichen greifen:

5 k.. p.. 9" d * i-* g -*.* Z

..

C. n •.*. /*.f c.. 1.*.

C" g. 1

Der 2.Akkord ist mit Quergriff im 2.Bund leichter zu greifen. Der 3.Akkord liit sich mit dem angegebenen Fingersatz nur schwer greifen, da der kleine Finger so

gestellt werden mut, dag er die Quintsaite, die hochste Saite, nicht beriihrt. Besard (1603) bringt keine Beispiele von Akkordgriffen, wo der Mittelfinger oder der kleine

Finger zwei benachbarte Chore zu greifen hat. Es folgen etliche Griffe/ welche durch alle Biande gebraucht werden/ vnd durch alle Biinde einerley Concordanten/ vnd

Application haben (Bl.B iij'). Es handelt sich um 10 Grifftypen von meist

vierstimmigen Akkorden, die in den vier ersten Lagen notiert sind. Grifftypen in der

1.Lage: e . d. p d * e* d e. i .d o .* 9 * d

. c. d. n " d.

n o.. s *.' s*.. d. n ** go* c.

m.. n.. m s .* m.*. m** m**

m.*. 1 .. 1 B* B* a. a. a. B"

Bei den ersten drei Grifftypen mua der Zeigefinger zwei benachbarte Ch-re greifen, die sechs letzten verlangen den Quergriff (das IOberlegen des Zeigefingers) fiber ftinf oder sechs Chdre. Der 7. Grifftyp wird leichter spielbar, wenn o mit dem 3. und s mit dem 4. Finger gegriffen wird. Bei dem 8. und 9. Grifftyp soll der Zeigefinger vber den Kragen vberlegen, obwohl er nur einen Buchstaben des Akkords zu greifen

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H. Radke: Zur Spieltechnik der deutschen Lautenisten des i6. Jahrhunderts 145

hat. Waissel wendet wie Gerle den Quergriff auch an, damit die anderen Tabulaturbuchstaben bequemer zu greifen sind.

Erst nach den Akkorden behandelt Waissel die Application der lincken Hand/ in

Leaifflein vnd Coloraturen (Bl. B iiij'): Alhie mus man mercken/ das der Zeiger gemeinlich im ersten/ der Mittelfinger im Andern/ der Goldtfinger aber gar selten/ sondern an seine stad der kleine Finger im Dritten/ vnd Vierden Bunde in Coloraturen gebraucht wird/ denn man den Goldfinger gemeinlich in den Griffen zum stille halten pfleget zugebrauchen/ vnd werden die Coloraturen faiglicher vnnd bequemer mit dem kleinen Finger gemacht. In einem Beispiel mut der kleine Finger auf der Quintsaite vber etliche Buchstaben auff vnd abe lauffen:

k 4 i o 5 k p 9 kpk 9 p k 5

(Bl. C). Es ist sehr merkwiirdig, dag nicht ein zweimaliger Lagenwechsel vorgenom- men wird, sondern der kleine Finger iiber sechs Biinde gleiten mug. Doch bringt Waissel ein Beispiel mit einem Lagenwechsel von der 1. in die 2. Lage, den der kleine Finger auszufiihren hat:

p5 kp9 kp9

Die in einer Zeile iiber den Griffzeichen der Lautentabulaturen angeordneten Mensurzeichen sagen nichts fiber die Dauer der Tdne in den einzelnen Stimmen aus, sondern geben nur die rhythmische Aufeinanderfolge der Griffe an. Nach den Spielanweisungen der Lautenisten sollen die Griffe so lange, wie es technisch moglich und sinnvoll ist, ausgehalten werden. Judenkiinig und Newsidler setzen in ihren Schulwerken an bestimmten Stellen ein Kreuzchen, Gerle ein Sternchen zu den Buchstaben, umrn das Aushalten von T6nen, das Stillehalten von Greiffingern, anzudeuten. Doch sind bei Judenkiinig und Newsidler die Haltekreuzchen ungleich- mitig gesetzt und bediirfen der Ergdinzung. Haltekreuze sind noch in den Tabulaturdrucken von Rudolff Wyssenbach (1550)28 und Hans Jacob Wecker

(1552)8 anzutreffen. Oswald Kdrte meint29: Die Kreuze der Lutinisten jener Zeit sind nur Eselsbriicken fair Anffinger. Doch machen auch italienische Lautenisten wie Dominico Bianchini ditto Rossetto (1546)3?, Jo. Maria da Crema (1546)31 und Antonio Rotta (1546)32, deren Tabulaturen nicht fuir Anfainger bestimmt sind, den Spieler durch Haltekreuzchen darauf aufmerksam, dag die T6ne nicht abreiten diirfen. Gerle verzeichnet in seinem Lautenbuch (1552, Bl. A 5') clauseln/ da mustu alweg den zeigfinger/ auff dem kragen vber zwerch stilhalten/ in dem bundt/ da der

STabulaturbuch vff die Lutten (Ziirich 1550). 29 Laute und Lautenmusik bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Leipzig 1901), S. 24. 3 Intabolatura de Lauto, Libro primo (Venedig 1546). 31 Intabolatura di Lauto, Libro terzo (Venedig 1546). 32 Intabolatura de Lauto, Libro primo (Venedig 1546, ohne Druckerangabe).

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buchstab mit dem sternlein * jnen stet/ bif3 die clauseln aus ist also mustu in den Preambeln vnd Tentzen auch thun/ wen ein colloratur in ein schlag ist, z.B.

1-T i e k e v e k

l: ? T" * "

Durch den Quergriff wird der Buchstabe v der Koloratur vorgegriffen, der auf demselben Bund wie r liegt. Waissel legt ebenfalls groges Gewicht auf ein

gebundenes Spiel. In zahlreichen Beispielen vom stille halten in gemeinen Griffen und im vberlegen miissen Finger auf Buchstaben eines Akkordgriffs liegenbleiben, wihrend andere Finger die Buchstaben der anschliegenden Koloratur greifen. Damit kein falsches Bild von den Moglichkeiten der Laute entsteht, sollte bei der

Ausarbeitung einer instrumentgemdigen ,,musikalischen" 'Obertragung beriicksich-

tigt werden, wie lange aus spieltechnischen Griinden die Tbne erklingen konnen. Waissel berichtet vom Spiel auterhalb der Biinde, deren Zahl er mit acht angibt.

Auch in der Regula alli lettori bei Jo. Maria da Crema (1546) wird mit acht Biinden

gerechnet; ebensoviele Biinde sind schon auf der Abbildung des Lautenkragens in

Judenkiinigs introductio verzeichnet. Waissel sagt: Wenn aber die Griffe vnd Coloraturen weiter hinauff gehen/ vber die Bainde/ bis auff die Decken/ (da man bisweilen eben so wol greiffen muss/ als wenn Biinde vnd Buchstaben daselbst

weren) so mustu sie also appliciren/ wie die vntersten/ da der Zeiger vber gelegt wird (Bl. C ij'). Er kennt also noch nicht die auf der Decke aufgeleimten Holzbiinde, die 1610 John Dowland erwdihnt33. Die Holzbiinde erlauben eine freie Schwingung der Saiten, so da. die auf der Decke zu spielenden Tdne viel klarer und liinger klingen als ohne solche.

In den deutschen Tabulaturdrucken des 16. Jahrhunderts kommen, abgesehen von

Wyssenbachs Tabulaturbuch vff die Lutten (1550), keine Verzierungszeichen vor. Er entnahm sdimtliche Stiicke aus der Intabulatura de Lauto, Libro secondo, des Francesco da Milano und des Pietro Paulo Borrono da Milano (Venedig 1546) und

iibertrug sie in die deutsche Tabulatur. Wyssenbach sagt (Bl. A ij'), dat zwei in Klammern gesetzte Buchstaben Mordanten seien. Er erklirt nicht die Ausfiihrung, da sie mundtliches berichts vnd vnderwysung bediirfen. Steht iiber den eingeklam- merten Griffzeichen ein kiirzeres Mensurzeichen, so kann der erste Buchstabe nur als Vorschlag von oben gespielt werden:

p (p k) 5

In anderen Faillen laitt sich durch ,,Abziehen" und ,,Einfallen" des Fingers, der den hoheren Ton greift, ein Triller ausfiihren. Nach Waissels Angaben (Bl. C ij') werden

33 Necessary Observations belonging to the Lute, in: ROBERT DOWLAND, Varietie of Lute-lessons (London 1610), BI. D 2.

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die Mordanten bisweilen mit dem Zeiger/ bisweilen mit dem Mittelfinger/ bisweilen mit dem Goldfinger/ bisweilen auch mit dem kleinen Fingerl gemacht alsol das die

Finger/ mit welchen die Mordanten gemacht werden/ in den Griffen/ etwas langsamer/ denn die andern/ auff die Buchstaben gesetzt/ zwey oder drey mal/

gleich als zitternde/ auff vnd nider bewegt werden/ In etlichen Griffen werden auch die Mordanten vber dem Fingerl damit der Buchstaben gegriffen/ mit dem kleinen Finger gemacht. Waissel bringt keine Beispiele. Nach der Beschreibung handelt es sich im ersten Fall um einen Mordent, im zweiten um einen Triller, der mit dem oberen Hilfston beginnt.

Dorfmiiller34 hebt hervor, datf wir erst allmlihlich wirkliche Lautenkunstwerke in der Tabulatur aufgezeichnet finden - und in der deutschen besonders spiirlich. Wdihrend schon italienische Tabulaturen aus dem zweiten Drittel des 16.Jahrhun- derts wertvolle Lautenkompositionen enthalten, k6nnen uns die deutschen Tabula- turen aus der ersten Hiilfte des 16. Jahrhunderts kein vollstindiges Bild von dem damaligen Stand der Lautenkunst in den deutschsprachigen Gebieten vermitteln, da sie meist Stiicke ffir Anfdinger bringen. So konnte Judenkiinig sein angekiindigtes Buch fiir Spieler, die vor ain vebung haben auff der Lautten, nicht mehr herausgeben. Auch die Preambeln des weitberiihmten meisters Adolff Plindtha- mer35, dessen Gerle 1533 gedenkt, sind nicht erhalten. Erst aus der zweiten Hailfte des 16. Jahrhunderts besitzen wir wertvolle Kompositionen auch von deutschen Lautenisten, wenn man von Simon Gintzler absieht, der sich aber 1547 der italienischen Tabulatur bedient 36.

34 A.a.O., S.71. 35 Siehe R. WAGNER, Wilhelm Breitengraser und die Niirnberger Kirchen- und Schulmusik seiner Zeit, in: Mf 2 (1949), S. 168-169. 36 Intabolatura de Lauto, Libro primo (Venedig 1547).

The Libro Primo of Costanzo Festa

JAMES HAAR (CHAPEL HILL/NORTH CAROLINA)

At some point before the second World War the late W.N.H.Harding acquired from the London bookseller Percy Dobell a number of sixteenth-century printed partbooks, among which several are of unusual rarity and interest. One group is a series of eight Cantus books in indifferent-to-fragmentary state of preservation, bound together in a fashion, typical for the period, suggesting that the music was acquired for private use.' This set of prints includes copies of Verdelot collections printed by Ottaviano Scotto, volumes of French chansons issued by the latter and

1 Many collections of madrigals in the library of the Accademia Filarmonica in Verona are, for example, bound

in this way. From the same period as the Harding partbooks is a bound volume of Bassus parts, containing three of the same books in the Harding set (see below, fn. 2, nos. 3, 4, and 8) along with Verdelot's Primo libro a 5 (ca. 1535) and RISM 15377, Delli madrigali a tre voci. This collection is now in Bologna, Civico museo bibliografico musicale, under the call number R140. For additional collections of this kind see MARY S. LEWIS, Antonio Gardane and his Publications of Sacred Music, 1538-55 (Ph. D. diss. Brandeis University 1978), p. 545-84.

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