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Zwel Ffille von Refiexepilepsie be| Erkrankung des Ohres. "V'on Dr. K6ppo und Dr. Schwartze. l. Fall. Ererbte Prgdiyfo~itlon zu Krampfkrankhe~ten. Caries de~ Felsenbe,'ns. Heilung do" ~ k ~ i e dutch Anbohrung des Warze~for~Jatzes. Mitgetheilt durch Prof, Dr. Schwartze. Adolf Volmar, 21 Jahre alt, Lchrer in Stotternheim bei Erfurt, wurde mir am 2. August 1869 auf Veran]a~sung des Herrn Krelsphysikus Dr. Heydloff in Erfurt zugefiihrt. Der Vater ist gesund. Die Mutter 1 eidet yon Kindheit an Otorrhoe und soil ~fters tiber heftige Ohrensehmerzen klagen; bls vor 6--7 Jahren lift s~e an krampfhaften Zuflillen, deren Natur nieht mit Sicherheit festzustellen ist. Ein jUngerer Bruder (jetzt 13 Jahre alt) sell ebenfalls ,,Gesehwiire" im Ohre gehabt baben. Adolf V.'s Ohrkrankheit datirt -- ale Folge des Scharlachs -- aua dem drit- ten Lebensjahre. Seit dieser Zelt ]itt er an ]inkseltlger Otorrhoe t die bis zum 15. Jahre fortdauerte. Diese]be soil nlcht immer gleleh eopltis gewesen sein, sondern sieh yon Zeit zu Zeit, iede~mal nach einem Anfall heftiger Ohrenschmerzen sehr verstiirkt haben. Diese Sehmerzanfalle wlederhohen sieh ungefahr in rnonatlichen Zwischen- r~umen. Zur HerbstzeiL, iiberhaupt bel feuchter Witterung war die Otorrhoe andauernd reiehlieher. Veto 15. Lebensjahr, we die Otorrhoe sistlrte, bis zum 17. ftthlte eieh V. wohl und ganz kr'~ftlg, abgeeehen yon bin und ~vieder auftretenden, geringfUgigen Sehmerzen im Ohre. Im Januar 1865 (Ende Januar) nach Anstreng-

Zwei Fälle von Reflexepilepsie bei Erkrankung des Ohres

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Zwel Ffille von Refiexepilepsie be| Erkrankung des Ohres.

"V'on

Dr. K6ppo und Dr. Schwartze.

l . Fal l .

Ererbte Prgdiyfo~itlon zu Krampfkrankhe~ten. Caries de~ Felsenbe,'ns. Heilung do" ~ k ~ i e dutch Anbohrung des Warze~for~Jatzes.

Mitgetheilt durch Prof, Dr. Schwartze.

A d o l f V o l m a r , 21 Jahre alt, Lchrer in Stotternheim bei Erfurt, wurde mir am 2. August 1869 auf Veran]a~sung des Herrn Krelsphysikus Dr. Heydloff in Erfurt zugefiihrt.

Der Vater ist gesund. Die Mutter 1 eidet yon Kindheit an Otorrhoe und soil ~fters tiber heftige Ohrensehmerzen klagen; bls vor 6--7 Jahren lift s~e an krampfhaften Zuflillen, deren Natur nieht mit Sicherheit festzustellen ist. Ein jUngerer Bruder (jetzt 13 Jahre alt) sell ebenfalls ,,Gesehwiire" im Ohre gehabt baben. Adolf V.'s Ohrkrankheit datirt -- ale Folge des Scharlachs - - aua dem drit- ten Lebensjahre. Seit dieser Zelt ]itt er an ]inkseltlger Otorrhoe t die bis zum 15. Jahre fortdauerte. Diese]be soil nlcht immer gleleh eopltis gewesen sein, sondern sieh yon Zeit zu Zeit, iede~mal nach einem Anfall heftiger Ohrenschmerzen sehr verstiirkt haben. Diese Sehmerzanfalle wlederhohen sieh ungefahr in rnonatlichen Zwischen- r~umen. Zur HerbstzeiL, iiberhaupt bel feuchter Witterung war die Otorrhoe andauernd reiehlieher. Veto 15. Lebensjahr, we die Otorrhoe sistlrte, bis zum 17. ftthlte eieh V. wohl und ganz kr'~ftlg, abgeeehen yon bin und ~vieder auftretenden, geringfUgigen Sehmerzen im Ohre. Im Januar 1865 (Ende Januar) nach Anstreng-

KOPPI,] & SCHWARTZE: Zwel Fitlle yon Reflcxel)ilepsle etc. 2 ~

ung bcim Tornen abermals heftlgere Sehmerzen im Ohre mit zeit~ weisem SchwlndeL B~onders die Warzenfortsatzgegend wurdo ~u~erst schmerzhaft, namentlieh bet Dr~ck. Gleichzeitig ste]lten sieh k r a m p f- h a t t e Z u f R I l e mlt Bewusstlosigkelt ein, die der P. in folgenden Worten beschreibt: ,,Schon einige Stunden vorher, eho der Anfall ~ t r a t , merkte ich seine Ankunft. Ich wurde unruhlg und es befiel reich elno Art Beklemmung und Angst, naeh weleher sieh ein kalter Schwelss am ganzen K~rper elnstellte; dann kekam ich Kopfschmer- men, die an Heftigkelt immer mehr zunahmen und sleh nach und nach auf die Stelle hinter dem llnken Ohre beschrRnkten, ~vo ich ein hef- tiges Klopfen mlt ruckweison schmerzhaften Stichen empfand. Mein Bliek wurde starr, wle mir melne Angeh~rigen erzithlten und as schwindelte mir. Mit dem Eintreten eines krampfhaften Zusammen- ziehens der vorderen Ohrgegend (Facialls) verlor ich in der Rege! meine Besinnung. -- Ehe ich allmiilig nach den Krlimpfen ~vieder zu mir kam, war ich nlcht reeht im Stande~ racine Augenllder zu bewe- genl ich wusste nicht, we ich reich befand und dle Gcgens~nde im Zimmer gingen mlt mir herum, bis ich nach und nach wieder meiner miichtig wurde. Mein K~rper war dana aaf elnlgo Stunden wle go- liihmt, und ich hatte gew~hnllch sehr kalte HSnde und Ftlsse ~. Solehe Ani~lle wiederholten sich im Jahre 1865 in der Regel in Zwisehenr~iumen yon 8 Tagen und dauerten ungef~hr 15 Minuten. Bci einer nlcht n~hor bekannten internen Medication und Einreibung yon Poekensalbe auf den Kopf h~rten naeh Verlauf yon 4 Monatcn die gesehilderten An- flille auf, so dass V. Ende October den Schulbesuch wieder beglnnen konnte. Im Sommer ]866 kehrten die Anf'~lle wieder mit genau densetben Symptomen wle frSher, hiel~en jedesmal eine gute Viertel- stunde lang an und vcrschwanden nach 2--3 Monaten. Auch das Jahr 1867 brachte diesclben Zuf~lle. SoolbRder verschllmmerten sio und verschleehterten das AIlgemcinbefinden. Die Eisenquello in Lie- bensteln bekam besser und kr~iftigte den P. sichtlleh. Trotzdem kehr- ten auch 68 und 69 die Anf'~ille wieder, sad zwar in dem letzten Jahre viel h~iufiger wle friiher. WRhrend in den frtiheren Jahren in dem Zeitr~um yon 8 T~gen nur e in Anfall kam, h~chstens und das sehr selten zwci~ traten sie jetzt fast jedcn Tag auf und hielten dann elne his m e h r e r e S t ~t n d e n lang an. Dazu kam in den leiz- ten 3 Wochen andanerndes Erbrechen jeder Speise~ jeder ArzneL Wenige Tage vet der Ankunft iz~ Hallo hatte der P. (am 31. JulO die Anflille fdih yon 7 ~ 9 Uhr. Nachmlttags yon 3--4J/~ Uhr und Abencls yon 7o--10 Uhr gchabt.

284 KOPPE & SCI~VARTZE: Zwel F~lle yon ReflexepUepsie

Die Untersuchung des P. am 2. August ergab folgenden Status praesens: Abgemagert, blass-gelbliche Gesichtsfarbe mit dem Ausdruek fiefen Leidens. Leichte Parese des linken Facial]s. Klage tiber Kopb schmerz. An der linken Lungeuspitze geringe D~impfung, ohne bronehlales Athmen. Herzt~Sne rein. Puts roll und sehr verlangsamt (zwisehen 40 und 50). Die links Warzenfortsatzgegend ist etwas aufgstrieben und sehwach ger{~thet. Besonders an seinsr Wurzel und an elner umsehriebenen Stelle gegen das Occiput zu ist der Fortsatz bel Druek und lelser Percussion so en~pfindlleh, dass der P. unter dem Ausdruck des heftigsten Schmerzes zusammenslnkt. Der G e- hf i rgang ist nieht gesehwollen, enthRlt etwas kriimligen, stlnkenden Eiter; das T r o m m e l f e l l perforirt. Dureh dasselbs treten Granula- tionen aus der Tiefs hervor. Die Tuba Eust. unwegsam.

Nach der Anamnese war zweifellos, dass der V. bei hersditiirer Disposition zu Kr~impfen und Ohraffectionen an epileptiformsn Anfitl- len mit vorangehender Praecordienangst und deutlich ausgesprodaener sonsibler Aura im Ohrs litt.

MitRiicksleht auf die grosse Schmerzhaftigkeit des aufgetriebenen Warzenfortsatzes bei leisem Druek hielt ich die Annahme elner Re- flexepilepsie, bedingt durch den peripheren pathologischen Relz im linken Ohr, fiir gerechtfertigt~ und proponirte die Anbohrung des W a r z e n f o r t s a t z e s . Dureh die dadurch gesehaffens Mt~gliehkeit~ den im Mittelohre zurlickgehaltenen~ eingediekten Eiter zu entleeren~ verspraeh ich mir eine Verminderung resp. Beseitlgung jenes periphe- ren Reizos und dadureh elnen Naehlass der in den letzten Tagen mit Ersch~pfung drohender H~iufigkeit elngetretenen epilepfiformen Zu- flille. Ganz analoge Flille aus der Literatur waren mir freilieh nlcht bekannt~ doeh erinnerte ich reich dsr yon Eabrlcius (Tr~ltseh, Lehr- bueh p. 399) und Wilde (Uebers. p. 317) erzRhtten Fillle, wo dutch die Anwesenheit sines fremden KSrpers im Geh~rgange Taubhelt und Epilepsie e~tstand umt mlt deren Entfsrnung geheilt wurde. Ausser- dem stand mir aus e~gener Erfahrung die bei dem grossen Relchthum des Ohres an sensibeln Fasern yore trigeminus und vagus nieht tiber- raschsnde Erscheinung zur Selte, dass bei disponirten Individuen mit- unter die Einf~Jhrung des Ohrtriehtcrs, die Bertihrung des Geh~rgan- gea mit einer Sonde, Injection yon Wasser in den Geh~gang, die Einftihrung des ktinstlieheu Trommelfelles gentigt, um epileptiformo Anfttll¢ auszulSsen und zwar sogar bei Individuen, die nieht habituell an Epilepsie leiden. Far die Annahme einer eentralen Ur~aeh¢ der epileptiformen Anfalle lag kein zwlngender Grund vor; niehts sI~raeh

bel Erkrankung des Ohres. 285

f'dr eine direete Betheiligung des Gehirns an dem entzUndliehen Pro- zesse im Ohre. Das in den letzten ~Vochen h~ufige E r b r e c h e n kann bei der H~uflgkeit der epileptisehen Anf~lle nlchts Auffallendes haben; der K o p f s e h m e r z ist constant bel jeder Ostitis des Felsen- belns; die P u l s v e r l a n g s a m u n g behauptet der P. schoa seit l~n- gerer Zeit an sieh beobaehtet zu haben.

Aber auch fur den Fall i dass wirkllch bereits eine secund~re Er- krankung des Gehlrns oder selner II~ute vorlag, so war der propo- ponlrte operative Eingriff dasjenlge Mittel~ dutch welches das Fort- schreiten dleser Erkrankung m~glieher ~Veise noch zu verhindern war.

DieAnbohrung des VJarzenfortsatzes maehte ich am 2.August 69 unter giitiger Assistenz des Collegun Hertzberg. Als bei anseheinend genilgender Narcose kaum der Hautschnltt gemacht war, trat ein ~usserst heffiger e p i l e p t i s e h e r A n f a l l ein, der mindestens 15~20 ~inuten anhielt und dieVollendung der Operation sehr st~rend verz~gerte. Gerade dleser Umstand, das~ der schmerzhafte Reiz des Einsehnittes diesen heftigonAnfall ausl~ste und zwar trotz derAufhebung des Be- wusstseins in der Chloroformnarkose, war wiehtlg fiir die Bestiitig- ung der Diagnose. Naeh hlnreiehender Abl~sung des verdickten Pe- riostes wurde der Mi~teldorpfsche Bohrer am Wurzeltheil des Prec. mastoideus parallel mlt derRiehtung des ~usseren Geh~rgangus ange- aetzt und die sehr feste und dicke Knochenrlnde durehbohrt. Der enge Bohrkanal wurde mit einem sehneldenden Handbohrer erweitert, den ieh schon seit Jahren zu dlesem Zwecke benutze mad als ganz zweckentspreehend erprobt habe. ~ entleerte slch kein Tropfen Eiter aus der Knoehen~ffnung. Aueh auf die zwelte bei Druck sehr sehmerzhafte umsehriebene Stelle gegen das Oeelput zu wurde eine tiefe, das auch bier sqhwlellg verdickte Perlost trennende Incision ge- macht. Unmittelbar naeh der Operation ~orphlum subcutan~ elnfacher Charpleverband, kalte Ueberschlttge. Die folg~nde l~acht schlief der P. gut. Der Verband wurde fliglleh erneuert und besondere S0rgfalt darauf verwandt i jedesmal in die Knochen~ffnung eine Charpiewieke m~gllehst tier elnzuflihren. Als die kalten Ueberschliigu l~stig wur- den, wurden sie durch Cataplasmata ersetzt. Sehon die n~iehsten Tage nach der Operation fiihlte sieh der P. sehr erleiehtert, insbcsondere war der Kop~chmerz fast ganz verschwunden. E in Krampfan fa l l in der f r i i h e r e n H e f t i g k e i t t ra t nach der Opera t ion n ieht w i e d e r ein.

Am 18. August versieherte der Pat. ausdriicklieh, dsss er sich die ganze Zcit im Kopfe so lelcht ~hle, wle dies seit Jahren nicht

£xchlv f. Ohrenl~eilkunde. V. Bd. 20

~86 K~PPE & SCHWARTZE: Zwei F~|e Yea ReflexepRepsie

mehr der Fall gewesen sei. Vom 15. ab stellten rich profuse Nacht- schwelsse eln, gegen die Dec. Chlnae reglae, Slitter Chinin mlt Elaeos. Salviae in Anwendung kamen. Erst am 22, August drang das tgglich in die Knochen~ffnung mlttelst eines Irrigators bei miissigem Druck eingeleitete Wasser in den Sehlund und Nase, und zwar unter zlem- lich heftigem Schwindelgeflihl. Der sefort dem Kr. aufliillige, h~ehst wlderwgrtige Gesehmaek nach faulen Eiern, der stunden|ang anhle]t, bewies, dass slob jetzt erst der Wasserstrom einen Weg dutch die zer~etzten eingedickten Eitermassen in dem Mittelohr gebahnt, und -con denselben etwas dutch die Tuba E. in den Sehlund gespiilt hatte. Ven jetzt ab drang das Wasser, dem ein sehwaeher Zusatz yen Keeh- salz gegeben wurde, t i t g l i eh , schen bei geringem Druck ohne Hin- dernlss in Schlund und Nase und zwar jedesmal im Anfang mit dem erwghnten Schwindelgeflihl. Der h~ehst wlderwgrtige Gesohmack der durchdringenden Fltlssigkeit wurde allmglig geringer und verier sieh schllessllch fast ganz.

Ende August reiste Pat. in seine Hdmath mit der Weisung, die Knoehen~fl~nung dutch tAgliches Einsehieben der Charpiewieke zu er- halteu und yen dorselben aus mlt dem Irrigator das Ohr tgglieh zu durchspUlen.

Am 4. Oktober stellte er sich wleder vor. Seln Allgemeinbo- linden war siehtlieh besser. 8ein Gewieht hatte inzwisehen um 17 Pfand (yon 97 auf 114 Pfd.) zugenemmen. Kopfsehmerz und Sehwin- del waren nieht wiedergekehrt. Puls 80. gln einziges Mal war ein schwaeher Anfall yon Krlimpfen eingetreten, dem Erbrechen veranging.

Ord. Fertlassen der Charpiewieke aus der Knoehen~fl~nung; Dec. Chinae.

A m 11. Nov. war die Operatienswunde vernarbt. Kepfsehmera und Krampfan~lle slnd nicht wledergekehrt. Das Spritzwasser ent- lsert aus dem Geh~rgang kritmliehen Eiter, und dringt jetzt dutch die Tuba in den Schlund, was ver der Operation nlcht der Fall war. Zuweilen hat der P. zu Hause die Empfindung gehabt, als wenn sieh das Tubenlumen verstopfe, vielleieht dutch eingediekten Eiter, und bekam er dann ein Geftthl yon Schwindel und Druck ira Kepfe, das sofert nachliess, wean es ihm gelang, das Wasser veto Ohre arts in den Sehluud durehzubringen. Wegen seiner llnken Lunge~ in der er ~gters stechende Empfindungen hat, kann er langes Spreehen und aehnelles Laufen nleht vertragen.

bei Erkrankung dee Ohre~. "287

Trotz der consequent fortgebrauchten Chlnarlnde slnd in den letsten N~lchtcn wieder profuse Schweisse dagewesen. Puls 6,5--70. Die vor der Operation beim Anlegen kaum geh~rte Uhr wlrd 2" ent* fernt gehUrt.

Ord. Chinln mlt Elaeos. Salvlae. 26. Februar 1870. Nach brieflleber Naehrleht des P. hat seit

Ende November jede Spur yon Krampfanfilllen aufgebUrt, nachdem sieh bis dahin noch mehrmals leiehte Anf'~Ile yon Obnmachten voia einigen Secunden Dauer bemerklieh gemacht hatten.

Sein Allgemeinbefinden hat sich erheblich gekrgftigt. Das K~;~erge- w;cht betr~tgt jetzt t21 Pfund, demnach 7 Pfd. mehr als im October 1869. Die Naebtschweisse haben seit Ende December ganz aufge- htrt; yon Seite der Brust ftihlt P. nicht die gerlngste Besehwerde. Auch im Ohre und Kopf ist kein Sehmerz wieder aufgetreten. Beim Ausspritzcn des Ohres ch.ingt je.xlcsmal das Spritzwa~qer noch dureh die Tuba E. in den Sehhnd.

Der gUnstige Erfolg der Operation in Bezug auf Sistirung der epileptiformen Kr~impfe berechtigt zur Annahme elner Reflexepilepsie, bedlngt dureh den pathologisehen sensibeln Reiz im Ohr. Gegen die Annahme einer centralen Ursaehe der Epilepsle, d. h. die Annahme irgend welcher pathologiseher ¥er~inderungen im Gehim selbst in Folge der Caries des Felsenbeins, wle sic ftir iihnllche F'~le Dr. Jack- son*) (British reed. Journal, June 26, 1869 p. 591) zu suppon|ren geneigt ;-st, sprieht sehon der Umstand, dass die heftigen Anfalle un- mittelbar nach der Operation wie abg~n l t t en aut'h~rten.

I! . F a l l .

ldiotie. Chronische Eiterun 9 der Paukenh6hle mit Perforation der Trom-

melfetle und Granulationen. lIeilung der Epilepsi8 durch Combination

localer und allgemeiner Behandlun 9.

Mitge~eilt dutch Dr. K~ppe, Director der Prov.-Irr~nheitanstalt bei Halle a/S.

F r i t z K i ihne , jetzt 15 Jahre alt, iiberstand imAnfange seines 2. Lebensjahres eine sehwere Scarlatina mlt heftigen Gehirnerseheiw ungen. Es blieb darnach eine doppelseitige profuse stinkende Otorrhoe

*) YergL d~ Referat In der R u n ~ u .

~88 K~PPE & SCHWARTZE: Zwei Falle yon Reflexepilep'sie

zurlick. Sie ]~atte 8 Jahre bestanden, a]s Prof. SL~hwartze's Hiilfe nachgesueht wurde. Die Sehwerh~rigkeit war so bedeutend gewesen, dan der Knabe 1J/2 Jahre hindurch wic eln Taubstummer unterrleh- tet war, um sprechen zu ]ernen. Seine Sprache war sehnarrend und unverstiindlich. Schwart~e fand, dass die Uhr yon den beiden Warzenfort- aiitzen aus, nleht aber beim Andriieken an die Ohrmuseheln geh~frt wurde. In der Tiefe belder GehSrgiinge waren multiple polypiise Granula- tionen, die das Trommelfell zum gr~igsten Theile verdeekten. Bel der Luftdouehe war kein Perforationsger'~iusch hiirbar, auch trat darnaeh kelne Besserung des GehSrs hervor. Herr Dr. Boeck in Magdeburg nahm reich des Patienten auf Schwartr~e's Veranlassung an nnd besei- tlgte durcb Aetzsn mit Lapis in Snbst. innerhalb 7 Monaten die Gra~ulatlonen vollst~dig. Dadurch trat eine sehr erhebliehe Vermin- derung der Otorrhoe eta bet gleiehzeitlg zweifelloser Besserung des H~rverm6gens; die undeutllche Spraehe hatte sieh nieht gebessert. Gegen die restJrcnde Eiterung war yon Dr. Boeck vergeblieh mlt ver- sehiedenen Adstringentien und Bepiaselungen der perforirten Trom- me]felle mit 10graniger Lapisl~sung angek'.,impft worden. Schw. be- niitzte deshalb yon Ende April 1866 an w6ehentlich 2 m~l die kaustl- sehe Methods (1,8 ad 30,0) mit sofortiger Neutrallsation. Dadurch war Ende Juni auf der rechten Seite jede Spur yon Eiterung in der Tiefe beseltlgt; ein grosser Defect im Trommelfell bestand fort.

Schw. lless eine Pause yon 3 Woehen in der 6rtiiehen Behand- lung eintreten und versuchte dann das Eins~uben yon A]aunpulver gegen die hartnReklg fortdauernde ]inksseltige Otorrhoe. Als dies nut einige Male einen Tag um den andern geschehen war, h~rte (Ende Jull 66) aueh hier die Eiterung vollsfiindig and zun~iehst fiir sine l~gere Dsuer auf. Der Knabe war inzwlschen in Halle zu elnem b~- w~hrten Taubstummenlehrer, Herrn Wirth, in Pension gegeben worden. Trotz fortsehreitender Verbesserung des Geh6rs (Pat. sprach sehon am 23. Mat 1866 mittellauteWorte bet 20' abgewandt~ am 11. Novem- ber 66 sogar Flttstersprache in derselben Entfernung naeh) und sorg- f'altlgen Unterriehts blieb die intelleetuelle Ausbildung bedeutend zu- rock. Die Sprache war deutlieh geworden.

Soweit die Notlzen Schwartz~ ' s . -

Anfang Februar 1868 wurden epileptische Anf~lle des Knaben beobaehtet~ die Anfangs w~ibrend der Nacht, sp~lter am Tage, in un- regelm~slgen Intervallen, schliesslich tiiglich 2 bis 3 real wieder- kehrten. Eine Anra konnte nieht constatirt werden. Bald zeigten slch Stt~rungen des psychlsehen Verhaltens; es traten Anfltlle zweck- und

boi Erkrankung des Ohres. 2 ~

zusammenhangloser Agilit~t his ,zornwiithigor Erreg~ung ~ ein; Ge- siehts- und Geh~rst~uschungen konnten vermuthet werden. Die psyo chisehen Leistungen blieben h~chstens die eines 6jiihrigen Knaben; Pat. spielte am liebston mit kleinen KindGrn. ]rgend eine k~rperliche Verbildung, namentlich ~eine aufl'al~icnde Schiidelverbildung land ich bei dem Kranken nicht. Dagegen fiel eine betr~.chtliche Pharyngitis trod Rhinitis (mit geringer Ozitna) auf, sowie cine belderseltige Otor- thee, die erst self kurzem wieder bemerkt war~ nachdem sic self 1866 vollstKndlg geschwunden.

Der Gebraueh yon Extr. Belladonnae, dle Unterhaltung eines Haarseiles im Nacken~ die lokale Behandlung der kranken Nssen- RaGhenschleimhaut dureh Applikation dGr Weber'sehen N asen- douche (Zinc. sulf.) und Gargarlsmen, die Behandlung de*" wieder ffewaehsenen Granulationen in den Ohren mlttelst Aetzungen friiherer Art, die Sistirung des Unterrlchts liessen Anfangs dig Gpileptischen Anf~lle seltener wGrden, nach einlgen Monaten abel"- und mlt ihnen die Erregungszust~inde -- gan~ zurUcktreten. Bishcr (fast zwei Jahre) sind sic nloht wledergekehrt.

Die Indicationen fiir die eben erwtihnte Behandlung ergaben sieh mir aus folgender Auffassung des Falles.

Bei dem Mangel ererbter Pr~dispesigon resp. angeborner Krank- heir K.'s darf die im friihesten Kindesalter die Scarlatina begleitende Hirncrkrankung mit ihren Residuen als die Ursaehe der gehemmten lmychlschen EntwiGklung betrachtet werden. Die Sehwerh(irigkelt Ms wesentliehstes Moment d a b e i - wig sic etwa Taubstumme zurUek- halt - - an*unehmen, verbietet alloin schon alas klinische Experiment: als Pat. beinahe normal h~iren kann und hinreiehend lange unterriehtet wird, kommt er cbensowenlg tiber einen gewissen Grad yon Intelli- genz hinaus, wle vorher. K. repriisentirt einen leiehteren Fall yon Idiotismus. Die Complikatlon des Idiotismus mit Epilepsie ist nieht selten; oft ist die Epilepsie ein Symptom derselben Hirnkrankheit, die dem Idiofismus zu Grunde liegt.

Dies VGrhifltniss pure bier anzunehmen, geht sehwer an, da die Epilepsi¢ erst 10 JahrG spiiter hinzutrat und Gin etwaiges Fortsehreiten der anatomischen Itirnerkrankung (ebenso wie ein ~etzt erst herge- stellter director anatomiseher Zusammenhang zwisehen ihr und der Ohrenkrankheit) a~:szusehliessen ist. Dass diefuuetlonelle Sttlrung inten- siver wird, muss aufaeeidentielle Schiidlichkeiten bezogen werden. Das Idiotenhirn, wenn aueh die ursprtingliche Gehirnerkrankung abgelaufen ist, bleibt immerhin leieht vulnerabG1. Dass ein disponirtes Central- organ aueh yon Liisionen des Ohrs aus leieht die sehwersten nerv~sen

~ 0 K~)PPE & SCHWARTZE: Zwei F~llo yon Reflexepilepsle

un4 psychisehen Krankheitserscheinungen refleetirt, weiss ieh aus nicht ganz sdtenen eigenen Erfahrungen, wie ieh sic in einer frtiheren At- belt mitgetheilt und naehher w;ederholt gcmaeht habe; es beweist es u. A. auch der soeben yon 8chwartze besehriebene Fall Volmar. Das Ohr- leiden an und fiir sich kann aber bier die Epilepsio mlt ihren psychi- schen Erregungszust~nden nicht refleetirt baben; denn ersteres dauerte genau ebenso lange als das Gehirn krank gowesen und es waren doeh die gen. Anralle trotz der Intensitiit der Ohrenkrankheit circa 10 Jahre nieht beobaehtet. Nun ltisst sieh aber eine Vermehrung der Vulnera- bilitiit des Gehirns annehmen, welches dann .bei Recidivirung des Ohrenleidens resp. Ausbreitung auf Nasen, und .~dachensehleimhaut sehr lcieht die Reflexkr~impfe ausl~st. Naehdcm n~imlieh die HSrt',.ihigkcit ad maximum gebessert ist~ wird der Knabe allein sehon dutch die Er- Schllessung des Sinnes einer unverh~iltnissmii~sig grossen Summe neuer Eindriicke exponirt und dadureh irritirt; vet Atlem warden die psy- chisehen Funetionen in bisher ganz unffewohnter Art dutch den nun etwas foreirten Unterricht, die Disciplin etc angeregt. Jetzt tritt die reeidivirende Affection der Ohren-, Rachen- und Nasensehleimhaut in biaher nieht dagewesener Extensititt (vielleieht aueh Intensitiit) hinzu: es koinmen die ersten epileptischen AnfXlle. Bei der Fortdauer re*p. etlmulirenden Wirkung dieser sic erzeugenden aceidentiellen Sehiidlieh- kehen wiederholen sic slch hliufiger, combiniren sich aueh mit den heftlgeren psychisehen Erseheinungen, die eharakterisfisch epileptoid sind.

Aufgabe der Therapie war also, die Vulnerabilitilt, Reflexerreg- bnrkeit des Centralorgans mindestens zum friiheren Maasse herabzu- setzen und die periphcren Reize, dle erfahrungsgem~iss bei disponirtem Centralorgan epileptische Kri~mpfe refleetiren k6nnen, wegzuschaflen.

Beiden Indica'tionen wurde durch die obengenannten Verordnun- gen entsprochen; der Gebraueh der Belladonna und des Haarseils als medicamentSser, die Beschriinkung tier bisher zu lebhaften psyehischen Gymnastik als diiitetisehes Mittel sollten dem ersten Theile der Auf- gabe, die lokale Behandlung der kranken Schleimhiiuto dem zweiten Theile dienen. Der prompte giinstlge Erfolg spraeh flit ihre Bo- rechtlgung.

Im Januar 1870 trat wleder reehts Otorrhoe ein; es hatten sich nahe dem Trommelfell neue Granulatlonen gebildet, die aber, di~smai wiederhott mit Chromsiiure betupft~ in verhgltnissm~sig kurzer zeit heil ten. Das l lnke Ohr war gesund geblieben; es hatte sieh der friiher eomstatlrte Defect im Trommelfell dutch elno Narbe gesehlos- sen. Dasa bei diesem letzten Rocidiv keino erneuten epileptisehen Am

be| I~rkrankung des Ohres. 291

~lle elntr~ten ~ dtirfte fast als Probe zu dem Experiment geRen k~n- non: dlcGehirnfunctlonen waren in Ruhe gelassen~ es war dlesmal die Erregbarkeit des Organs nlcht wieder relativ erh~ht~ die peripheren Relze batten weder in zeltlicher noch r~tumlicher Ausdehnung m dem Grade wle 1868 wlrken k~nnen; sie gingen nut yon einem Olare aus und wurden sehleunlgst beselt~gt.

Bei der Gefahr~ dass Kr~mpfe~ elnmal ausgel~st und ~'iederhol~ in dleselben Bahnen refleetirt, dann, je ~fter sic kommen~ um so leieh- ter aueh naeh geringeren Reizen eintreten~ wlrd durch die .Annahme der Wichtlgkcit periTherer Sch~idliehkeite~ aueh brl eminenten Ge- hirnkrankheiten~ die an und ftir sieh sehon yon Epilepsie begleitet werden k(innen~ vor Allem das therapeutisehe Inter~se befrledlgt.