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Concept Ophthalmologie 9/2017

CME

Das Trockene Auge wird in zwei Hauptgruppen untergliedert,

Einleitung

Das Trockene Auge (Dry Eye Di-sease, Keratokonjunktivitis sicca) ist eine der häufigsten okulä-ren Erkrankungen weltweit. Es beschreibt ein Krankheitsbild, welches bei den betroffenen Patienten zu mannigfaltigen Beschwerden führen kann. Die-se Symptome können beispiels-weise brennende, stechende Schmerzen, Fremdkörpergefühl, vermehrte Blendungsempfind-lichkeit, Kontaktlinsenintole-ranz, Verschwommensehen oder eine Visusminderung umfassen. Meistens führen die Beschwer-den der Patienten nicht nur zu einer leichten Befindlichkeits-störung, sondern zu einer er-

heblichen Einschränkung der Lebensqualität, verbunden mit einer Einschränkung der Arbeits-leistung bis hin zur Arbeitsunfä-higkeit [1]. In Deutschland wird eine Prävalenz von ca. 15-17 % der Bevölkerung beschrieben, wobei in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg zu verzeich-nen ist [2].

Definition und Klassifizierung

Die aktuelle Definition der Dry Eye Workshop Study Group (DEWS II) beinhaltet einen Pa-radigmenwechsel vom trocke-nen zum entzündeten Auge und schließt ebenso neurosensori-sche Aspekte mit ein [3].

Aktuelle Diagnostik und Therapie des Dry Eye DiseaseChristina Jacobi

Eine der häufigsten okulären Erkrankungen ist das Trockene Auge, dessen Pathogenese multi-faktoriell ist. Voraussetzung für eine adäquate Therapie sind eine umfassende Anamnese sowie eine gezielte Diagnostik. Zur Therapie steht eine Vielzahl innovativer Verfahren und Präparate zur Verfügung.

Aktuelle Definition DEWS II 2017:Das Trockene Auge ist eine multifaktorielle Erkrankung der Augenoberfläche, cha-rakterisiert durch einen Verlust der Homeostase des Tränenfilmes und begleitet von okulären Symptomen, bei denen Tränenfilminsta-bilität und Hyperosmolari-tät, Inflammation und ein Schaden der Augenoberflä-che sowie neurosensorische Störungen eine ätiologische Rolle spielen.

Quelle: Fotolia

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erstens die hyposekretorische Form und zweitens die hypere-vaporative Form. Die erste Form ist charakterisiert durch eine zu geringe Produktion von Tränen-flüssigkeit. Bei der hyperevapo-rativen Form liegt eine Lipidpha-senstörung des Tränenfilms vor. Die Tränenflüssigkeit verdunstet zu schnell. Die hyperevaporati-ve Form ist mit 60-80 % deutlich häufiger als ein reiner Tränen-mangel mit 15-20 %. Meist lie-gen Mischformen vor [2, 3]. Eine Sonderform stellt die Meibom-drüsendysfunktion dar.

Risikofaktoren

Eine Vielzahl von Allgemein- erkrankungen kann eine Kera-tokonjunktivitis sicca begüns-tigen. Hierzu zählen vor allem dermatologische, rheumato-logische, neurologische und endokrinologische Erkrankun-gen, beispielsweise Rosacea, Sjögren Syndrom, rheumatoi-de Arthritis, Graft-versus-Host- Erkrankung (GvHD), Schilddrü-senerkrankungen (M. Basedow, Hashimoto Thyreoiditis, Schild-drüsenhormonsubst i tut ion nach Strumektomie), Diabetes mellitus und Infektionserkran-kungen (z.B. Hepatits C) [4]. Umweltfaktoren wie trockene Heizungsluft oder langanhal-tende PC-Arbeit stärken die Entwicklung eines Trockenen Auges. Desweiteren können zahlreiche Medikamente, z.B. Betablocker, und ophthal- mologische Erkrankungen ein Trockenes Auge hervorrufen. Hierzu gehören insbesondere die Gruppe der Lidanomalien und -fehlstellungen (z.B. Trich-iasis, Lagophthalmus), okuläre chirurgische Maßnahmen (re-fraktive Chirurgie, Kataraktchi-rurgie) oder das Kontaktlinsen-tragen.

Diagnostik

1. Standardisierte Anam-nese und subjektive Symptom-Fragebögen

Häufig gibt bereits die gezielte Anamnese deutliche Hinweise auf das Vorliegen eines Trocke-nen Auges. Ein hyposekretori-sches Trockenes Auge zeichnet sich durch Fremdkörpergefühl aus, das hauptsächlich mor-gens und meistens in der kalten Jahreszeit in geheizten Räu-men auftritt. Auch ein heißes, trockenes Klima verstärkt die Symptome bei Patienten mit Tränenmangel. Liegt eine Hyper-evaporation vor, klagt der Pati-ent vor allem abends und beim Lesen über ein starkes Brennen der Augen. Um anamnestische und diagnostische Parameter im Verlauf effektiv beurteilen und vergleichen zu können, hat sich die Verwendung von spezi-ellen Erhebungsbögen bewährt [5]. Standardisierte Fragebö-gen können die Schwere und Art der subjektiven Beschwer-den charakterisieren [3]. Im kli-nischen Alltag sowie im Rah-men klinischer Studien wird meistens der OSDI (Ocular Sur- face Disease Index) eingesetzt.

2. Testverfahren zur Diagnostik der Kerato-konjunktivitis sicca

Basisuntersuchungen

Zunächst wird die Gesichtshaut auf Zeichen einer dermatolo-gischen Grunderkrankung und die Region der Tränendrüse im lateralen Oberlidbereich unter-sucht. Es werden Informationen über Lidschlagfrequenz (physio-logisch ca. 12/Minute), Lidschluss und Lidstellung gewonnen. Die Spaltlampenuntersuchung lie-

fert Hinweise über die Lidkan-te, insbesondere Zeichen eines hyperevaporativen Trockenen Auges. Charakteristisch sind fol-gende Phänomene: Schaumbil-dung (Micellenbildung der Lipi-de), Pouting (feine membranöse Abdeckung der Lidkante über den Meibomdrüsen), Collaretten (Fibrinummantelung der Wim-pern) oder Plugging (Obstruk-tion der Meibomdrüsenöffnun-gen). Die Hornhaut sollte auf Transparenz, Oberflächenreflex, Narben oder Vaskularisation un-tersucht werden. Entscheidend ist hierbei auch das Testen der Hornhaut-Sensibilität, um eine neurotrophe Keratopathie aus-zuschließen [2,3].

Beachte:Eine reduzierte sensible Innervation der Hornhaut und Augenoberfläche, ins-besondere nach refraktiver Chirurgie, neurochirurgi-schen Operationen, Kera-titis herpetica oder beim Diabetes mellitus führt zu einer neurotrophen Kerato-pathie. Ihre frühen Formen stellen sich klinisch als Ke-ratokonjunktivitis sicca dar [6,7]. Aus diesem Grund ist gerade bei unklaren oder einseitigen Formen des Dry Eye Disease die Hornhaut-sensibilität zu testen!

Die Bindehaut sollte auf ver-mehrte Gefäßinjektion, Narben, Symblephara, Zysten und auf lidkantenparallele konjunkti-vale Falten (LIPCOF) untersucht werden (Tabelle 1, S. 12). Der positive Vorhersagewert liegt mit 93 % sehr hoch [8]. Zu den Basisuntersuchungen gehören weiterhin Verfahren, die Aus-sagen über Tränenvolumen

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und Tränenstabilität erlauben. Das Tränenvolumen lässt sich durch die semiquantitative Be-stimmung des Tränenmeniskus an der Spaltlampe bestimmen. Ein weiteres Verfahren hier-für ist der Tränensekretions-test nach Schirmer, welcher als invasives Verfahren mit oder ohne topische Anästhesie durchgeführt werden kann. Die Tränenfilmaufreißzeit (Break- up-time; BUT) gibt Aufschluss über die Stabilität des Tränen-films. Gerade hier sind genau standardisierte Abläufe wichtig, um eine verwertbare Aussage-kraft der Testergebnisse zu er-möglichen. Vitalfärbungen mit Fluoreszein oder Lissamingrün dienen zur Evaluierung des Schadens der Augenoberfläche [1, 9].

Zusatzuntersuchungen

Als Zusatzuntersuchungen sind Messungen am Interferome-ter sinnvoll. Dadurch können der Lipidfilm und seine Inter-ferenzmuster sowie die Lipid-schichtdicke bestimmt und die Tränenfilmaufreißzeit nicht-in-vasiv gemessen werden (NIBUT). Das LipiView-Interferometer er-laubt zusätzlich die Beurteilung der Lidschlagfrequenz und des kompletten Lidschlusses. Der Meibomian Gland Evaluator (MGE) dient zur Applikation ei-nes gleichmäßigen Druckes auf die Meibomdrüsen der hinteren Lidkante und ermöglicht eine genaue Beurteilung von Art, Konsistenz und Beschaffenheit des Sekretes der Meibomdrüsen.

Eine Beurteilung der Entzün-dung auf der Augenoberfläche ist durch die Bestimmung der Tränenfilmosmolarität möglich. Sie muss unter standardisierten Bedingungen (Tageszeit, Tem-

Ausprägungs-grad

Spaltlampenbefund in Primär-position

Beurteilung (tem-

porales Unterlid)

LIPCOF Grad 0 keine permanent vorhandene lidkantenparallele Bindehaut-falte

normal

LIPCOF Grad 1 kleine, einfaltige lidkanten-parallele Bindehautfalte, die wesentlich niedriger ist als ein normaler Tränenmeniskus

milde KCS

LIPCOF Grad 2 deutliche lidkantenparallele Bindehautfalte bis zur Höhe des normalen Tränenmeniskus, ggfs. mehrfaltig

mittelschwereKCS

LIPCOF Grad 3 große lidkantenparallele Binde-hautfalte, welche die Höhe des normalen Tränenmeniskus weit übersteigt, meist mehrfaltig

schwere KCS

LIPCOF Grad 4 große lidkantenparallele Binde-hautfalte, welche die Höhe des normalen Tränenmeniskus weit übersteigt und sich über die innere bis zur äußeren Lidkante vorwölbt

schwere KCS

Tabelle 1: Gradeinteilung der lidkantenparallelen konjunktivalen Falten bei der Kera-tokonjunktivitis sicca (KCS, LIPCOF, nach [8])

Basisuntersuchungen Zusatzuntersuchungen

• Frage- und Diagnostikbogen

• Lidschlagfrequenz und Lidschluss

• Lidrand und Lidstellung

• Hornhautsensibilität• Spaltlampen-

untersuchung• Tränenmeniskus • LIPCOF• Tränenfilm-

Aufreißzeit (BUT)• Vitalfärbungen• Schirmertest• Serologie Sjögren-

Syndrom

• Tränenfilm-Osmolarität• Nicht invasive Tränenfilmaufreiß-

zeit, Interferometrie• Meibom-Beurteilung• Meibographie (Durchleuchtung

der Lider)• Demodex• MMP-9 Messung im Tränenfilm

(Inflammadry)• Impressionszytologie• In-vivo-konfokale Mikroskopie

der Augenoberfläche• Tränenasservierung mit

Zytokinanalyse

Tabelle 2: Zusammenfassung der wichtigsten Basis- und Zusatzuntersuchungen zur Diagnostik des Trockenen Auges

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peratur, Luftfeuchtigkeit und Helligkeit) durchgeführt wer-den. Als Referenzwert werden 308 mOsmol/l angegeben [9].

Die Messung der Matrix-Me-talloproteinase-9 (MMP-9) im Tränenfi lm ist ebenso ein Mar-ker für die Entzündung der Augenoberfl äche [10]. In eini-gen Fällen kann auch die In-vivo-konfokale Mikroskopie zur Darstellung von Entzündungs-zellen der Augenoberfl äche (dendritische Zellen, Langer-hans-Zellen), des subbasalen und subepithelialen Nervenplexus oder der Meibomdrüsen eine wertvolle diagnostische Ergän-zung sein.

Zur Beurteilung der Meibomdrü-sen ist die Meibographie uner-lässlich. Es stehen Infrarot- und Transilluminationsverfahren zur Verfügung. Nur die Meibogra-phie kann Aufschluss über Länge der Drüsen, Dilatation der Azi-ni und das Ausmaß des „gland drop outs“ geben. Ein vermehr-ter Wimpernausfall oder das Auftreten von asymmetrischen Zylindern an den Wimpern ist mit einer erhöhten Prävalenz der Haarbalgmilbe Demodex fol-liculorum assoziiert. Bei diesen Befunden oder einer schweren therapierefraktären Blepharitis sollte die Untersuchung auf eine Demodex-Infestation erfolgen. Die Impressionszytologie hat ei-nen wichtigen diagnostischen Wert in der Beurteilung der Bindehaut. Es können Becher-zellzahl, Veränderungen von Zellform, Zellkern und Zellgröße oder Entzündungszellen detek-tiert werden [9].

Die wichtigsten Basis-und Zusatz-untersuchungen zur Diagnostik des Trockenen Auges sind in Ta-belle 2 (S. 12) zusammengefasst.

Vor Beginn der therapeuti-schen Überlegungen sollten folgende wichtige Punkte mit dem Patienten bespro-chen werden:

• Das Trockene Auge ist eine chronische Erkran-kung multifaktorieller Genese und in der Regel nicht heilbar.

• Das Ziel der therapeu-tischen Maßnahmen ist die Linderung der Sym-ptome.

• Die Krankenkassen übernehmen die not-wendigen diagnosti-schen und therapeuti-schen Leistungen nicht in vollem Umfang.

• Rasche Therapieerfolge sind aufgrund der Chro-nizität der Erkrankung kaum zu erwarten.

• Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, be-sonders mit Rheumato-logen, Gynäkologen, Dermatologen sowie HNO-Kollegen ist häu-fi g notwendig.

sollte eine Therapieintensivie-rung mit Umstieg auf viskösere Präparate mit längerer Oberfl ä-chenhaftung in bis zu stündlicher Applikation erfolgen. Gerade thixotrope Präparate gewähr-leisten an der Augenoberfl äche eine lange Wirksamkeit [12]. Bei mehr als viermal täglicher An-wendung wird der Einsatz von konservierungsmittelfreien Trän-enersatzmitteln empfohlen.

Lidkantenpfl ege und antibiotische Therapie

Die Lidkantenpfl ege ist essen-zieller Bestandteil der Therapie des hyperevaporativen Trocke-nen Auges und sollte 1-2 x täg-lich mit feucht-heißen Lidkom-pressen und anschließender Lidkantenmassage durchgeführt werden (mit liposomenhaltigen Reinigungstinkturen, Babysham-poo oder bei staphylokokkenas-soziierter Blepharitis kurzfristig mit einem Kombinationspräpa-rat aus Antibiotikum und Steroid in Salbenform). Für die Lidrand-behandlung haben sich weitere Verfahren in den letzten Jahren etabliert, wie die Blephex-Mas-sagebehandlung, eine Sondie-rung der Meibomdrüsen nach Maskin [13] oder eine standardi-sierte, automatisierte thermody-namische Behandlung [14]. Eine Pulslicht-Behandlung der Mei-bom-Drüsen ist als neues Verfah-ren zur Wärmebehandlung des Lidrandes seit circa einem Jahr in Deutschland in der Erprobungs-phase [15]. Als effektiver, antiin-fl ammatorischer Therapieansatz der evaporativen Form des Dry Eye Disease ist eine Therapie mit lokalen Azithromycin-Augen-tropfen in mehreren Zyklen ap-pliziert in den Konjunktivalsack oder zur Lidrandmassage. Syste-misch werden Doxycyclin-Deriva-te eingesetzt. In den letzten Jah-

Therapie

Grundsätzlich steht am Anfang der Behandlung die Minimierung von Risikofaktoren. Danach wer-den anhand eines Stufensche-mas verschiedene Therapiefor-men erwogen (Abb. 1, S. 15) [11].

Tränenersatzmittel

Tränenersatzmittel stellen die Grundlage der Therapie aller For-men des Dry Eye Disease dar (Ta-belle 3, S. 14). Als Dosierung wird eine 3- bis 5-mal tägliche Anwen-dung mit zusätzlicher Salbenap-plikation zur Nacht empfohlen. Ist dies noch nicht ausreichend,

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ren hat sich dabei ein Präparat mit verbesserter Galenik als teil-retardiertes Doxycyclinderivat in einer Dosierung von 40 mg pro Tag etabliert. Diese systemische Therapie muss über mehrere Mo-nate erfolgen.

Antiinflammatorische Therapie

Um die chronische Entzündungs-reaktion in der Tränendrüse und auf der Augenoberfläche zu re-duzieren, können kurzfristig un-konservierte Dexamethason-Au-gentropfen über 3-6 Wochen zum Einsatz kommen. Andererseits ist für eine Dauertherapie topisches Ciclosporin A das Mittel der Wahl. Neben einem bisher nur in den

USA zugelassenen Ciclosporin A 0,05 % oder in der Apotheke an-gemischten Rezepturen gibt es seit 2015 auch ein in Deutschland zugelassenes Ciclosporin-Präpa-rat, welches 0,1-prozentig nur einmal abends appliziert wer-den muss. Es ist für schwere For-men des Trockenen Auges mit therapierefraktärer Keratitis zu-gelassen. Auch die dauerhafte Einnahme von Omega-3-halti-gen Nahrungsergänzungsmit-teln dient nachhaltig einer an-tientzündlichen Therapie [11].

Autologes Serum

Diese Therapieform kann sub-jektive Beschwerden und die

Ergebnisse der Vitalfärbungen signifikant verbessern. Der Wirk-mechanismus der Serumaugen-tropfen ist noch nicht vollstän-dig geklärt [16]. Gesichert ist, dass eine Vielzahl essentieller Tränenfilmkomponenten wie epitheliotrophe Wachstumsfak-toren (z.B. EGF, TGF-β), Lysozym, Fibronectin und Retinol wirk-sam sind. Das Serum wird unver-dünnt und in Verdünnungen bis zu 20 % angewendet. Logistische Schwierigkeiten können jedoch auftreten, da die Herstellung der Serumaugentropfen dem Arz-neimittel- und Blutproduktege-setz unterliegt.

Verschluss der Tränenpünktchen

Für schwere Benetzungsstö-rungen im Sinne einer ausge-prägten Hyposekretion ist der temporäre (Instillation von Punc- tum Plugs) oder der permanen-te (chirurgische) Verschluss der Tränenpünktchen eine effek-tive Maßnahme. Da durch den Tränenpunktverschluss die Trä-nendrainage verzögert wird, ist eine antiinflammatorische topi-sche Therapie vor dem Punktum-verschluss oder als begleitende Maßnahme unerlässlich. Meist ist das Verschließen der unteren Trä-nenpünktchen ausreichend [11].

Systemische Cholinergika

Bei ausgeprägter Defizienz der wässrigen Phase, z.B. bei Pa-tienten mit Sjögren-Syndrom, kann die systemische Gabe von M3-Cholinergika zielführend sein. Das Präparat der Wahl ist das Pi-locarpinhydrochlorid, welches bis zu 4 x 5 mg/d oral eingenommen werden kann. Eine enge interdis-ziplinäre Zusammenarbeit ist hier empfohlen, da das Spektrum der unerwünschten Arzneimittelwir-kungen umfassend sein kann [11].

Einteilung der Tränenersatzmittel als Basistherapie aller Formen des Trockenen Auges

• Polymere synthetische Polymere: Polyvinylalkohol Polyvinylpyrrolidon Polyacrylat (Carbomer) natürliche Polymere: Guar, Hydroxypropyl-Guar

• Cellulosederivate Methylcellulose Hydroxyethylcellulose Carboxymethylcellulose

• Di- und Polysaccharide• Hyaluronsäure • Hyaluronsäure (lineare Hyaluronsäure, quervernetzte Hyalu-

ronsäure, kombiniert mit Coenzym Q10)• Panthothensäure • „Naturstoffe“

Ectoin: Gruppe der kompatiblen Solute, entzündungshemmend Trehalose: mucoadhaesive Eigenschaften, Zellstoffwechsel-schutz

• Semifluorierte Alkane Perfluorhexyloctan F6H8

• Lipidhaltige Tränenersatzmittel zur Therapie des hyperevapo-rativen Trockenen Auges

• Kationische Öl-in-Wasser-Emulsion zur Unterstützung aller 3 Schichten des Tränenfilms

Tabelle 3

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Verband- und Sklerallinsen

Bei moderatem bis schwerem Trockenen Auge ist der Einsatz von Verbandlinsen, insbeson-dere bei Epitheldefekten, mög-lich. Besonders eignen sich hier Sklerallinsen. Eine gleichzeitige Prophylaxe mit topischen Anti-biotika ist bei Epitheldefekten der Hornhaut zwingend erfor-derlich. Die speziellen Skleral-linsen werden bei schwersten therapierefraktären Verläufen, zum Beispiel bei der Graft-versus-Host-Erkrankung, einge-setzt.

Sekretagogika

Diquafosol ist ein Dinukleo-sid-Polyphosphat und der erste in der Augenheilkunde zugelas-sene topische selektive, puriner-ge P2Y2-Rezeptoragonist (seit 2010 in Japan zugelassen) [17]. Die Wirkung erfolgt über zwei Hauptmechanismen. Zum einen fördert es die Wassersekretion der konjunktivalen Epihelzel-len und führt damit zu einer gesteigerten Befeuchtung der Augenoberfläche. Zum anderen steigert es die Muzin-Produktion der Becherzellen [18]. Es zeigten sich sowohl deutliche Verbesse-rungen in der Break-up-Time als auch in der Fluoreszein-Vitalfär-bung [19]. Ein weiteres Präpa-rat aus dieser Substanzklasse ist das Quinolonderivat Rebamipi-de (Japan), welches konservie-rungsmittelfrei ist. Es ist ebenso wie das Diquafosol über die Aus-landsapotheke beziehbar [20].

Chirurgische Therapie des Dry Eye Disease

Vor allem nach Radiatio, bei Graft-versus-Host-Disease, Ste-vens-Johnson-Syndrom oder Sjö- gren-Syndrom spielen chirurgi-

Zusammenfassung

Das Trockene Auge ist eine der häufigsten okulären Erkrankun-gen weltweit. Die Pathogenese ist multifaktoriell und stellt ne-ben der Entzündung der Augenoberfläche und der Hyperosmo-larität des Tränenfilmes auch neurosensorische Dysbalancen in den Vordergrund.

Neben einer umfassenden Anamnese sowie dem Einsatz subjek-tiver Symptomfragebögen ist eine gezielte Diagnostik wegwei-send für eine adäquate Therapie. Zahlreiche innovative diagnos-tische und therapeutische Verfahren stehen entsprechend der neuen pathophysiologischen Erkenntnisse zur Verfügung.

sche therapeutische Maßnah-men eine Rolle. Dazu gehören der permanente Verschluss der Tränenpünktchen mittels Kau-terisation, die Tarsorrhaphie zur Verkleinerung der Lidspalte oder die Erzeugung einer iatrogenen Ptosis (Botulinustoxin-Injekti-on, Goldimplantate im Oberlid). Auch Amnionmembrantrans-plantationen bei persistierenden Hornhaut-Epitheldefekten [11] oder Speicheldrüsentransplanta-tionen sind bei schweren Fällen möglich [21].

Hormontherapie

Postmenopausale Hormonthe-rapie oder antiandrogene The-rapien beim Prostata-Karzinom begünstigen die Entstehung eines Trockenen Auges. Ursäch-lich scheint ein lokaler Andro-genmangel zu sein, der unter physiologischen Bedingungen beispielsweise auch während Schwangerschaft oder Stillzeit auftreten kann. Therapeutische Androgen-Augentropfen sind in der Entwicklung und haben

Abbildung 1

Stufenschema der Therapie der Keratokonjunktivitis sicca

1. Tränenersatzmittel, Verbesserung von Umwelt-/Diät-/ Risikofaktoren/Medikation, Lidrandpflege

2. + topische antiinflammatorische Substanzen, systemische Tetrazykline, Punctum Plugs

3. + autologes Serum, therapeutische Kontaktlinsen, Tränenpünktchenverödung

4. + systematische antiinflammatorische Therapie, chirurgische Intervention

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in einigen Untersuchungen ge-zeigt, dass sie sowohl eine Trä-nenfilm-vermehrende Wirkung als auch einen antiinflammato-rischen Effekt aufweisen [11, 22, 23].

Fazit

Der Paradigmenwechsel in den pathophysiologischen Vorstel-lungen der Genese der Kerato-konjunktivitis sicca hat zu einem enormen Zuwachs an diagnosti-schen und therapeutischen Mög-lichkeiten geführt. Weiterhin wird eine Unterscheidung in ein hyposekretorisches und hypere-vaporatives Trockenes Auge für eine gezielte, individualisierte und Phasen-orientierte Therapie empfohlen. Eine möglichst opti-mierte Versorgung der Patienten mit Dry Eye Disease erfordert die Etablierung von speziellen Sicca-Sprechstunden sowie eine interdisziplinäre Betreuung.

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Korrespondenzadresse:Priv.-Doz. Dr. med. Christina Jacobi, FEBO, MHBAPrivatdozentin am Universitäts-klinikum ErlangenAugenärzte am TibargTibarg 1922459 HamburgTel. 040 / 58 30 [email protected]


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