Transcript
Page 1: CMD-Diagnostik und -Therapie - DIR System · Die beschriebene Reaktionskette Psyche – Muskel-hypertonus –Funktionsstörungen – Strukturstörungen ist nun nicht als Einbahnstraße

D er folgende Behandlungspfadbietet jedem Zahnmedizinerdie Möglichkeit, eine sichere

Funktionsdiagnostik und -therapiedurchzuführen. Denn bei jeder CMD-Behandlung ist ein konsequentes Vorgehen absolutnotwendig. Das praxistaugliche Kon-zept dient der Behandlung der cra-niomandibulären Dysfunktion (CMD)unter Berücksichtigung der Ätiologieund aktueller Studien.

AnamneseVor jeglicher Diagnostik sollte zunächstgeprüft werden, wie hoch die Wahr-scheinlichkeit ist, dass der Patient auch unter einer Funktionsstörung leidet. Dies geschieht mithilfe derAnamnese, der zahnärztlichen Funkti-

onsanamnese und des zahnärztlichenKurzbefundes. Dieser Behandlungs-pfad wurde unter Berücksichtigung der Ätiologie bei CMD entwickelt, wes-halb auf diese hier noch einmal kurzeingegangen wird, zum Beispiel:• Muskulatur: Muskelhyperaktivität,Muskelhypertonus, Muskel-hypotonie

• Psyche: Stress, affektive Störungen,psychogene Störungen

• Okklusion – Nonokklusion, fehlendeZähne, gekippte Zähne, Elon-gationen

Hauptursache für die Entwicklung vonFunktionsstörungen ist eine Tonusän-derung der Muskulatur, die bei anhal-tendem kranialen Druck durch einenMuskelhypertonus zu Strukturstörun-gen führen kann. Beeinflusst wird dieseReaktionskette im Wesentlichen durchdie Psyche. Eine limbische Dysfunktion

kann einen direkten Einfluss auf denMuskeltonus haben. Liegt nun gleich-zeitig eine mangelhafte Okklusion, ge-rade im Seitenzahnbereich, vor, würdeder erhöhte kraniale Druck durch einenMuskelhypertonus die Strukturen imKiefergelenk, durch fehlende oder mangelhafte Abstützung in der Ver-tikalen, noch zusätzlich belasten und zu Strukturstörungen führen.Aus diesem Grund ist die Okklusion inder Diagnostik und Therapie immer mitzu beachten, auch wenn es ätiologischeher als Co-Faktor zu sehen ist.

Zahnmedizin Praxis Anwenderbericht

00 ZWP 3/2015

Anamnese ZFA ZKB SES GCPS MFA IFAModell-analyse

Schiene Umsetzung

CMD-Diagnostik und -Therapie

| Dr. med. dent. Michael Hellmeister

Dieser Bericht beschreibt einen zahnmedizinischen Weg-weiser, den sogenannten Behandlungspfad, der jeden Be-handler in die Lage versetzt, seine CMD-Patienten in derPraxis sicher zu erkennen, zu diagnostizieren und zu the-rapieren. Der Behandlungspfad dient darüber hinaus dem praxisinternen Qualitätsmanagement und unterstützt dieQualitätssicherung durch eine strukturierte Behandlung.Abweichungen im Ablaufplan werden schnell erkannt unddie weitere Behandlung kann optimal angepasst werden.

Abb. 2 und 3: Die zahnärztliche Funktionsanamnese und der Zahn-ärztliche Kurzbefund sind wichtiger Bestandteil der Diagnose.

Abb. 1: Ein konsequenter Behandlungspfad ist für die CMD-Therapie notwendig.

Abb. 2a

Abb. 2b

Abb. 3

Behandlungspfad

1

Vorbefundung Achse-2-Diagnostik Achse-1-Diagnostik Therapie

Anamnese ZFA ZKB SES GCPS MFA IFAM

ZFA ZKB SES GCPS MFA IFAMZKB SES GCPS MFA IFAM

Page 2: CMD-Diagnostik und -Therapie - DIR System · Die beschriebene Reaktionskette Psyche – Muskel-hypertonus –Funktionsstörungen – Strukturstörungen ist nun nicht als Einbahnstraße

Die beschriebene Reaktionskette Psyche – Muskel-hypertonus – Funktionsstörungen – Strukturstörungenist nun nicht als Einbahnstraße zu sehen, sondern vor-handene Strukturstörungen können zu Funktionsstö-rungen werden, die bei anhaltenden Schmerzen auch zu psychischen Veränderungen führen kann.Das bedeutet, das in einem Behandlungspfad sowohlder „körperliche Befund“ als auch die „schmerzabhän-gige Behinderung und der psychologische Zustand“ eines Patienten zu berücksichtigen ist.Dieser Tatsache wird durch die Anwendung des „zwei-stufigen TMD-Diagnostik-Systems“ (RDC/TMD- Diag-nostiksystem) Rechnung getragen. Der sogenannten:• Achse 1: körperlicher Befund eines Patienten• Achse 2: schmerzabhängige Behinderung und psychologischer Zustand

Gerade die Beurteilung der Achse 2 ist für den Erfolg derTherapie sehr wichtig, da es psychologische Zuständegibt, die eine Mitbehandlung oder komplette Über-nahme der Behandlung durch einen Psychologen oderPsychiater erforderlich macht.

ANZEIGE

1/2AZ

Abb. 8: Die Soft-

ware FunktioCheck

Pro® unterstützt bei der ma-

nuellen Funktionsanalyse. –

Abb. 9: Das DIR®-System ist

zertifiziert, reproduzierbar und

wissenschaftlich validiert.

Funktion und Präzision

ohne Kompromisse.

8

9

Abbildungen 4 bis 7 (GCPS-, SES-Fragebogen und Auswertungs-bogen) sind über den QR-Code auf ZWP online einzusehen.

Page 3: CMD-Diagnostik und -Therapie - DIR System · Die beschriebene Reaktionskette Psyche – Muskel-hypertonus –Funktionsstörungen – Strukturstörungen ist nun nicht als Einbahnstraße

Dazu gehören zum Beispiel folgende Erkrankungen:• Angststörungen:– Panikstörungen• Zwangsstörungen• Soziale Angststörungen

– Posttraumatische Belastungs-störungen (PTBS)• Phobien• Generalisierte Angststörungen(GAD)

• Somatisierung:– Hypochondrie• Phantom-Biss• Schmerzstörungen

Die objektive Beurteilung der Achse 2bei einem Patienten ist möglich durchdie GCPS (Graded Chronic PainScale) und durch die SES B(Schmerzempfindungsskala). Hierbeihandelt es sich um Fragebögen, welche

der Patient ausfüllen muss (Abb. 4 bis 7, siehe hierzu Hinweis auf Seite 00).Aus dem SES-Fragebogen geben dieersten 14 Adjektive Aufschluss über die affektiven Schmerzangaben, denGefühls- und Leidensaspekt. Die rest-lichen zehn Adjektive beziehen sich auf die sensorischen Schmerzangaben,die physikalischen Reizcharakteristika.Ein entsprechender Auswertungsbogenergibt den Grad der psychischen Be-lastung des Patienten, wodurch die Behandlungsfähigkeit entsprechendeinzuschätzen ist.

Die Achse-1-Diagnostik erfolgt durchdie:• Manuelle Funktionsanalyse (MFA) • Instrumentelle Funktionsanalyse(IFA)

• Modelanalyse (MA)

Manuelle FunktionsanalyseFür die „manuelle Funktionsanalyse“gibt es viele Untersuchungsprotokolle,wobei sich das „FunktioCheck Pro®“ als sehr praxistauglich und optimal für Anfänger bewährt hat. Dabei han-delt es sich um einen Tablet-PC, der mit einer entsprechenden Software dieEinstiegsuntersuchung erheblich ver-

einfacht. Hier wird alles berücksichtigt,was für eine sichere Diagnostik erfor-derlich ist. Zu jeder Untersuchung be-kommt der Anwender eine entspre-chende Anleitung und eine möglicheInitialdiagnose. Außerdem handelt essich hier um ein Dialogsystem zwischenBehandler und Patient – der Patientwird aktiv in den Dialog eingebundenund kann anhand patientenverständ-licher Bilder sein individuelles Krank-heitsbild erkennen und nachvollziehen.Dabei ist in der Software des Dialog-systems eine wissenschaftliche Matrixprogrammiert, die eine sichere Diag-nose durch den behandelnden Zahn-arzt unterstützt.

Instrumentelle FunktionsanalyseNach der manuellen Funktionsanalyseerfolgt die „instrumentelle Funktions-analyse“. Auch hier gibt es verschie-dene Verfahren. Voraussetzung für dieGüte eines Verfahrens ist, dass es einevom „Behandler unabhängige Bedien-barkeit“ und eine „Reproduzierbarkeit“aufweist.Eine allgemein anerkannte Reprodu-zierbarkeit ist mit dem Pfeilwinkel-registrat, der Gerber-Registrierung, zu

Zahnmedizin Praxis Anwenderbericht

00 ZWP 3/2015

Abb. 10: Fall 1: Adjustierte Schiene nach DIR®, Ver-änderung von Ist-Position in Soll-Position. Durch dieTherapie mit der adjustierten Schiene werden beideKondylen aus der Kompression genommen.

Abb. 11: Fall 2a/2b: Entlastungs- oder Entspan-nungsschiene nach DIR®. Durch die Therapie mit der DIR®-Entlastungsschiene werden beide Kon-dylen je nach Diagnose protrusiv (2a) oder retrusiv (2b) versetzt.

Fall 1 Fall 2a Fall 2b

MFA IFAM

IFAM

GCPS MFA IFAM

SES GCPS MFA IFAM

Page 4: CMD-Diagnostik und -Therapie - DIR System · Die beschriebene Reaktionskette Psyche – Muskel-hypertonus –Funktionsstörungen – Strukturstörungen ist nun nicht als Einbahnstraße

erzielen (vgl. Prof. Jens Türp, Prof. HansJürgen Schindler, „Vertikale und hori-zontale Kieferrelation in der rekons-truktiven Zahnmedizin“, SchweizerMonatsschrift Zahnmed, Vol. 116: 4/2006). Hierauf basiert das DIR®-System. Durchdas spezielle Messverfahren (ohne Ok-klusionskontakte der Zähne) werden dieKondylen in eine annähernd zentrischeKondylenposition gestellt und unterphysiologischem Kaudruck die Grenz-bewegungen des Unterkiefers aufge-zeichnet. Dabei beurteilt der Anwenderanhand der Messbilder ebenso die neu-romuskulären Muster bzw. Strukturen.Das Messverfahren und die Ergebnissesind durch zahlreiche, wissenschaftli-che Studien an renommierten Univer-sitäten und Kliniken untersucht.Hier kann bei Bedarf eine Artikulator-programmierung durch die Fixierungder entsprechenden Protrusions- undLaterotrusionsbisse durchgeführt wer-den. Nach erfolgter Messung wird dieneu ermittelte Position (der Soll-Biss)

unter physiologischem Kaudruck imMund des Patienten verschlüsselt unddas so ermittelte Ergebnis in den Artikulator eingebracht. Nicht seltenweicht der neue Soll-Biss vom soge-nannten habituellen Biss ab. Nun folgtdie Modellanalyse.

ModellanalyseNach der instrumentellen Funktions-analyse folgt die Modellanalyse gemäßdem Modellanalyseblatt (speziell hier-für entwickelt). Hier erfolgen die Ok-klusionsanalyse sowie die Beurteilungder anatomischen Ebenen. Außerdemwird die Abweichung der habituellenOkklusion zur zentrischen Okklusiondokumentiert, woraus sich die ent-sprechende Schienentherapie ergibt.

SchieneDie Schienentherapie nach erfolgterDIR®-Messung wird in zwei Stufen unterteilt:

Stufe-1-Therapie:• Konservative CMD-Therapie• Stabilisierungsschienen• Zentrikregistrat für ZKP• Keine okklusalen Maßnahmen• Tragezeit 12 Stunden

Anwenderbericht Praxis ZahnmedizinANZEIGE

1/3AZ

* Rotationsachse * Rotationsachse

Abb. 12: Fall 3a/3b: Neuprogrammierungs-Schienenach DIR®. Durch die Therapie mit der DIR®-Neu-programmierungsschiene wird der rechte oder linkeKondylus geringgradig rotiert und der linke oderrechte Kondylus zurückrotiert (Pfeil).

Fall 3a Fall 3b

Modell-analyse

S

Schiene Umsetzung

Page 5: CMD-Diagnostik und -Therapie - DIR System · Die beschriebene Reaktionskette Psyche – Muskel-hypertonus –Funktionsstörungen – Strukturstörungen ist nun nicht als Einbahnstraße

Grundsätzlich sollen im Rahmen funk-tionstherapeutischer Maßnahmen Sta-bilisierungsschienen zum Einsatz kom-men. Okklusale Therapien sollen bis aufAusnahmen nicht angewendet werden.

Stufe-2-Therapie:• Invasive CMD-Therapie• Positionierungsschienen• Zentrikregistrat für ZKP oder pro-trusives Registrat

• Okklusale Korrektur erforderlich• Tragezeit 24 Stunden

Indikationen für die Stufe 2 sind:• Okklusopathie als Hauptanliegen(Eigenbezahnung, proth. Rekon-struktionen)

• Diskusverlagerung ohne Repositionmit eingeschränkter Mundöffnung

• Osteoarthritis, die mit einer Stabili-sierungsschiene und medikamen-töser Therapie nicht beherrschbar ist

• Individuelle Therapieentscheidungdurch den Behandler, da individuelleklinische Befunde nicht vorausseh-bar sind

Es werden drei DIR®-Schienentypenunterschieden. Der Schienentyp richtetsich nach der durch die instrumentelleFunktionsanalyse festgestellten Ab-weichung der Unterkieferlage von derhabituellen Okklusion zur zentrischen

Okklusion (vgl. Prof. Udo Stratmann,„Bissgabe statt Bissnahme“, ZWP8/2010).Ein interdisziplinärer Kiefer-Körper-Befund ist generell sinnvoll und rat-sam. Hier ist die Zusammenarbeit vonZahnärzten, Ärzten, Kieferorthopäden,Orthopäden, HNO-Ärzten, Physiothe-rapeuten usw. wichtig, um betroffe-nen Patienten zu helfen. Der CMD-geschulte Zahnarzt kann einen großenBeitrag leisten.

UmsetzungVoraussetzung für eine prothetischeUmsetzung ist, dass der Patient voll-kommen beschwerdefrei ist und eineneuromuskuläre Neuprogrammierungder Unterkieferlage erfolgreich war.Diese Umsetzung kann durch kiefer-orthopädische Maßnahmen, protheti-sche Maßnahmen oder Einschleif-maßnahmen erfolgen. Kombinationenaus allen Bereichen der Umsetzungs-maßnahmen sind natürlich auch mög-lich. Welche Art der Maßnahmen oderauch Kombinationen angewendet wer-den, ergeben sich aus der Modellana-lyse und einem diagnostischen Wax-up(Abb. 13 bis 15).Vor der Präparation wird ein Präpara-tions-Jig angefertigt, damit auch beider Auflösung der Okklusion durch diePräparation der mit der Schiene einge-

stellte Biss immer wieder übertragenwerden kann. Dieser Jig wird währendder Präparation entsprechend unter-spritzt (Abb. 16 bis 18).Auch beim Einsetzen der neuen Res-tauration wird mit einem entsprechen-dem Jig, dem sogenannten Einsetz-Jiggearbeitet, um den Biss mit größter Präzision zu sichern (Abb. 19 bis 21).

FazitFunktionsdiagnostik und Therapie istkein Buch mit sieben Siegeln, sondern es erfordert einen praxistauglichen Behandlungspfad, Konsequenz undPräzision.

00 ZWP 3/2015

kontakt.Dr. med. dent. Michael HellmeisterHorster Str. 367, 46240 BottropTel.: 02041 [email protected]

FUNDAMENTAL® Schulungs-zentrum, Arnold + Osten KGBocholder Straße 5, 45355 EssenTel.: 0201 [email protected]

Abb. 13 bis 15: Modellanalyse und diagnostisches Wax-up. – Abb. 16 bis 18: Nach DIR®-Schienentherapie – ein Präparations-Jig hilft bei dem Beibehalten des eingestellten Bisses. –Abb. 19 bis 21: Der Einsetz-Jig erlaubt größtmögliche Präzision beim Einpassen.

Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21

Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15

Umsetzung

Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18


Recommended