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XXVI.

Aus den ~edizinisehen Universit~tskliniken Wiirzburg und Leipzig.

(Leiter: Prof. Dr. P. Morawitz.)

Die Veriinderungen der Gefrierpunktserniedrigung im Blutserum sowie im Magen- und Darmsaft beim experimentellen Ileus.

Von

Wilhelm Miiller. (~Iit i Abbilduag.)

(Eingegangen am 23. III. 1929.)

Bekanntlich sind im Laufe der letzten Jahrzehnte tiber das Wesen des Ileustodes ganz versehiedene Theoriea aufgestellt worden. Nament- lich zwei Ansehauungen haben sich al]gemeine Beachtung erworben: die Intoxikations- und die Reflextheorie. ~ach der ersteren rufen die im ausgeschaltetel~ Darmabschnitt entstehenden giftigen Substanzen - - mSgen sie nun bakteriellen Ursprungs sein oder aueh als Abbau- und Spa]~ungsprodukte den Inges~is selbs~ entstammen - - bei ihrer Resorp- tion allmahlich das pragnante schwere Vergiftungsbild des Ileuskranken hervor; nach der letzteren Annahme, die insbesondere yon Braun und B o r u t t a u vertreten wird (1), sind es die aul~erordentlichen Ver- hnderungen im Kreislauf, we!che friiher oder spater zu einer schweren Sch~digung aller nervSsen Zentren f~hren und reflektorisch ein vSlliges Versagen ihrer Funktion bedingen. Unverkennbar liegen dieser An- schauung Beziehungen zu der alten Ansieht yon der Verblutung ins Splanchnikusgebiet zugrunde.

In neuerer Zeit hat man mit Hilfe der fortgeschrittenen chemischen U•ltersuchungsmethoden den Vergnderungen, die sich beim Ileus in den KSrpersgften, speziell in ihrer Zusammensetzung, abspielen, mehr Beachtung schenken kSnnen. So wurde yon amerikanisehen Autoren mitgeteilt, dal~ das Koehsalz im Blute eine starke Vermin@rung erfghrt (2).

372 xxvI. WILHELM M1JLLER.

Ferner wurde die Tatsache beobachtet, da~ beim experimentellen Ileus der Zuckergehalt des Blutes mit fortsehreitender Erkrankung er- heblich steigt (3).

Auch Untersuchungen fiber Veri~nderungen in den KSrpergeweb en liegen vor. Die im Vordergrund des k]inischen Bi]des stehende Adynamie legte es nahe, insbesondere das 3[uskelgewebe einer Untersuchung zu unterziehen(3), ttierbei stellte sich die merkwfirdige Tatsaehe heraus, dal~ sehon in frfihen Stadien des Ileus die ~uskelfasern die Fahigkeit verlieren, Substanzen, die ffir den normalen Ablaut des Kralt- und Energiestoffwechsels yon Wichtigkeit sind, z. B. Glykogen und Lakta- cidogen im normalen Umfang aufzubauen. Diese Synthesef~higkeit erliseht sehliel~lich vSllig und geringe Zuskelbewegungen genfigen im Endstadium, um den sorgsam geschonten Vorrat an Betriebssubstanzen zu verzehren und den Tod der Tiere aui~erordentlieh zu beschleunigen. Dadureh ist die hochgradige Adynamie im Bilde des Ileus yon der chemisch-physiologisehen Seite aufgeM~rt.

Ieh habe mir nun die Aufgabe gestellt, durch Ermittlung der Ge- frierpunktserniedrigung im Blutserum einerseits und in den 5[agen- und Darmsi~ften des ileuskranken Tieres andererseits eine Ubersieht zu gewinnen fiber die Veri~nderungen in der molekularen Konzentration der KSrperflfissigkeiten, wie sie sieh im Ileus abspielen. Von vornherein war daran gedacht, den Verlauf dieser StSrungen entweder dutch Serien- untersuchungen an ein und demselben Versuchstiere oder dureh Unter- suchung versehiedener Stadien bei den einzelnen Tieren auch zeitlieh im ganzen zu erfassen und festzulegen. Es zeigte sich jedoch bald, dafi es methodisch nicht durchffihrbar ist, an ein und demselben Versuchs- tier Reihenuntersuehungen vorzunehmen.

Im folgenden soll zunaehst die a l lgemeine )~Iethodik besprochen werden, wie sie den meisten u zugrunde lag. 5[ethodische Einzelheiten oder Abweichungen linden ihre Wiedergabe bei der Mit- teilung der Untersuchungsergebnisse.

Allgemeine Methodik. Als Versuchstiere w~hlte ich Kaninchen. Die Vorbereitung der Tiere

bestand darin, dal3 sie am Versuehstage yon der Ftitterung ausgesehlossen wurden. Die Entnahme des Blutes erfolgte aus der Arterie des Ohres; das Blut wurde in U-f6rmig gebogenen RShrchen aufgeIangen, naeh Eintritt der spontanen Gerinnung zentrifugiert und das Serum iiir die Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung benutzt, vorausgesetzt, daI~ es nicht h~molytisch war. Die Bestimmungen wurden ohne Zeitverlust ausgef~ihrt. GewShnlieh vergingen nicht mehr als 20--30 5iinuten. Die benutzte Menge Serum'betrug

Die Ver~inderungen der Gefrierpunktserniedrignng im Blutserum usw. 373

nicht mehr als 3 4 cem. Die Gefrierpunktserniedrigang wnrde in dem ffir l~engen yon 1--1]/e cem konstraierten Beckm~nnsehen Apparat ausgeffihrt. In alien F~llen wurden Doppelbestimmangen vorgenommen.

Die Anlegnng des Ileus gestaltete sich folgendermaBen: die Tiere warden auf dem Operationsbrett aufgebunden. 17ach Rasur der Bauehhaut in Xther- narkose medianer Bauchsehnitt: Darchtrennung yon Haut, Faszie, Peritoneum. Dana wurde das obere Stiick des Dtinndarms hervorgeholt and in einer Ent- fernung yon etwa 50 cm vom Pylorus dutch ein schmales, 5 mm breites Leinen- b~ndchen an~erbunden. Verschlu~ der Schnittr~nder dutch fortlaufe~de I~aht.

Die Versuchstiere wurden dann im L~boratorium beobachtet, l~ach Entwicklung des Ileus wurde in verschiedenen Zeitabschnitten in kurzer 1Yarkose tier BauchverschluB wieder erSffnet und mit einer vSllig trockenen Rekordspritze fliissiger Darm- und Mageninhalt darch Pnnktion entnommen. Wegen des groBen Druckes, anter dem gewOhnlieh der Innenraum der punk- tierten Organe stand, wurde die PanktionsSffnang besonders unterbanden, nachdem sie zipfelfSrmig hervorgezogen war. (Manche Entnahmen gelangen noeh vor dem spontan sphter eintretenden Tode, manche maBten auch un- mittelbar nach eingetretenem Tode der Versuchstiere vorgenommen werden. Wenn die Gewinnung des Untersuehangsmaterials erst nach Eintritt des Todes der Tiere erfolgte, ist es mit genauer Zeitang~be in den Tabellen besonders vermerkt.)

Ergebnisse. Zuniichst war es meine Aufgabe, die Gefrierpunktserniedrigung im

Blutserum der normalen Versuchstiere an einem grSl]eren Materia! zu ermitteln. Dabei war darauf Rticksicht genommen, da~ die Tiere go- mischt erniihrt wurden, d. h. abweehselnd an 2 T~gen mit Hen, Hafer und mit Rtiben gefiittert warden.

In Tabelle 1 sind die Ergebnisse der Gefrierpunktsbestimmungen an einer grS~eren Reihe yon Normaltieren wiedergegeben.

Tabel le 1.

Versuch crim Blutserum von normalen [ Versueh d' im Blutserum yon Nr. Troeken- and Itungertieren I 17r. normalen Riibentieren

1 2 3 4 5 6 7

0,60 0,645 0,635 0,625 0,645 0,64 0,635

Durchschnittswert: 0~682

0:63 0~635 0,655 0,65 0,635 0,605 0,61 0,63

0~631

Wie man aus vorstehender Tabelle ersehen kann, schwankt beim 1%rmaltier der Gefrierpunkt zwischen 0,60 and 0,65. Der Durchschnitts-

374 XXVI. WILHEL~I ~I1JLLER.

weft betr~gt bei den vorwiegend trocken ernhhrten Tieren 0,632, bei den feueht ern~hrten 0,631. Da~ Untersehiede bei dem gegens~itzliehen Verhalten der Ernhhrung nieht bemerkbar werden, liegt wohl daran, daft die l~ahrungsforra in einer Zeit von 48 Stunden die F~ihigkeit des Organismus, die raolekulare Xonzentration seiner S~ifte konstant zu erhalten, noeh nicht wesentlieh belastet.

Wie verh~ilt sich nun der Gefrierpunkt yore Blutserum unter den Bedingungen des Diinndarmversehlusses?

In Tabel le 2 babe ich die Ergebnisse raeiner Untersuehungen zusamraengeste]lt.

T a b e l l e 2.

Versuch

bTr.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10

o ~ im Blutserum yon Ileustieren

0,70 (0,6O) 0,78 (0,645) 0,70 (0,635) 0,68 (0,63) 0,695 ~0,655) 0,695 0,695 0,705 0,965 1,05

Zeitdauer des Ileus

in Stunden

8 11I/.~ 121/2 18 12 22 16 14 19 15

B emerkungea

Tier lebend.

Etwa 15 Minuten nach dem Tode.

In Stab 1 ist die Versuchsnumraer, in Stab 2 die Gefrierpunkts- erniedrigung im Blutserura yon Ileustieren angegeben. Das Serum wurde auf die oben beschriebene Weise gewonnen. In Stab 3 linden sich die Angaben tiber die Zeitdauer des Ileus, in Stab 4 Beraerkungen dariiber, ob die Entnahrae des Serums vora lebenden oder toten Tiere erfolgte. Die neben den Werten in Stab 2 stehenden Zahlen in runden Klaramern bedeuten den vor dera Versuche am gleiehen Tiere erraittelten :Nornialwert.

Man entniramt aus der Tabelle zungehst die Tatsache, dal~ in al len Fgl len eine au l~erordent l iche E r n i e d r i g u n g des Ge-. f r i e r p u n k t e s e in t r i t t . Ein Pgralldismus zwisehen dieser Erniedri- gung und der Zeitdauer des Bestehens des Ileus ist nicht vorhanden. So ist z. B. naeh 22 Stunden ira Versuch ~r. 6 erst die Zahl 0,695 er- reicht, wghrend ira Versuche l~r. 2 sehon naeh 111/2 Stunden die Ge- frierpunktserniedrigung 0,78 betr~igt. In den Versuehen l~r. 9 und l~r. 10 wurde die Blutentnahme erst nach eingetretenera Tode vorge-

Die Ver~inderungen der Gefrierpunktserniedrigung im Blutserum usw. 375

nommen; das Blut wurde hierbei aus dem Herzen entnommen. Etwa 15 ~inuten naeh dem Tode wurde in Versuch Nr. 9 ein Wert yon 0,965 und in Versueh Nr. 10 yon 1,05 beobachtet. Es erhebt sich natfirlich bei diesen abnorm niedrigen Werten sofort die Frage, ob sie etwa Aus- druck postmortaler Vorg~nge s ind oder ob noch unmittelbar vor dem Eintr i t t des Todes die Gefrierpunktserniedrigung so tier sank. Die Frage ist auf Grund des vorliegenden ~aterials nieht mit Sieherheit zu entsche~den. Es w~re wohl denkbar, da~ gerade im Augenbliek des Gewebstodes unbekannte Austauschvorg~nge sieh zwischen Ze!le und Gewebsfliissigkeit vollziehen, die zu einer Wasseraufnahme der Zellen und einem Verlust yon Molen an die Gewebsfltissigkeit ftihrten. Dadurch kSnnte gerade zuletzt noch eine erhebliche Senkung des Ge- frierpunktes bewirkt werden.

In T a b e l l e 3 gehe ieh nunmehr dazu fiber, die Gefrierpunkts- bestimmungen mitzuteilen, die im Mageninhalt vorgenommen wurden. ttierzu ist zun~chst zu bemerken, d a ] e s nicht mSglich war, unter den gew~hlten Versuehsbedingungen (12 Stunden Hunger) Magensaft ohne Beimengung von Ingestis des Magens zu erhalten.

Tabel le 3.

Versuch Nr.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10

Durchschnitts-

o ~ im Magensaft vom Ileus- Trockentier

0,48 0,58 0,60 0,64 0,59 0,68 0,69 0,55 0,56 0,59

wert . . . . 0,596

merkungen Versuch

Nr.

13 Stunden 1 15 >> 2 121/2 >~ 3 16 ~ 4 14 ~ 5 10 ,~ 6 12 ,~ 7 14 ~> 16 ,, 14 ~,

im ~tagensaft vom Ileus- Rtibentier

0,56 0,54 0,62 0,56 0,58 0,58 0,585

0~575

merkungen

14 Stunden 12 >~ 10 15 ~, 121/2 �9 14 11

~. B. Gefrierpunktserniedrigung im Mageninhalt vo~ ~ormaltieren: 0,68 und 0,65.

Wie R o s e m an n nachgewiesen hat (4), sehwankt beim Hun@ die Ge- frierpunktserniedrigung des Normalmagensaftes in ziemlich engen Grenzen um den Gefrierpunkt des Normalblutes. Das gleiche trifft auch ft~r den ]]eusmagensaft der Kaninchen zu, wie meine Versuehe ergeben haben.

376 XXVI. W~LHE~ M~LL~R.

Wenn es sich unter den pathologischen Bedingungen des Ileus vor- wiegend um einen starken Wasserverhst in den ~agen handeln wiirde, miil~te man erwarten, dal~ bet der aul~erordentlichen Fltissigkeitszu- nahme, die im Magen eintritt - - die gesamte Ftillung des ~agens betrug mitunter 200--300 ecru- - , eine Gefrierpunktserniedrigung yon etwa 0,1--0,2 eingetreten ware. Wie die Tabelle 3 zeigt, ist dies nicht der Fall.

Am Fu~e der Tabelle sind die Werte angegeben, die im ~[agen- inhalt yon ~ormaltieren gefunden wurden: 0,68 und 0,65. In Stab 1 ist die ~Nummer der einzelnen Versuche, in Stab 2 die Gefrierpunkts- erniedrigung im ~agensaft yon ]]eustieren (links yon Trockentieren, rechts yon Riibentieren) angefiihrt; in Stab 3 findet sieh die Zeitangabe, warm nach dem Anlegen des Ileus die E ntnahme des ~agensaftes erfolgte.

Insgesamt sind in der Ubersicht 17 Bestimmungen an Ileustieren mitgeteilt. ~an sieht, da~ die Gefrierpunktserniedrigung in sehr vielen Fallen sich der des normalen Blutes sehr ahnlich verhalt; tells sind die Werte etwas hSher, tells etwas niedriger, im Durchsehnitt 0,58.

Man darf daraus den Sehlul~ ziehen, da~ die starke Sekretion, die �9 Ileus in das ~agenlumen stattfindet, einen Saft liefert, dessen molare

Konzentration nur wenig unterha]b der des Blutes gelegen ist. Aus dieser Tatsache ergibt sieh, wenn man annimmt, da] unter

den Elektrolyten in erster Linie das Cl-Ion in Betracht kommt, da~ der u an Chloriden - - als NaCI bereehnet - - bet ether Sekretionsmenge yon 200--300 ecru nieht weniger als 100--150% des Gesamtblutes des Tieres (g!eieh 200 ecru) betragt. Das Ileustier wiirde also die gleiche bis ll/2fache ~enge Kochsalz, die in seinem Gesamtblute kreist, in den ~r beim Ileus verlierenl ]~[it dieser Schlu~Ifolgernng stimmt die yon amerikanischen Autoren gemachte Beobaehtung iiberein, da~ der Chlorspiegel des Blutes im Ileus ganz betri~chtlich sinkt (2).

Der folgende Abschnitt bringt die Untersuehungsergebnisse tiber das Verhalten des Darmsaftes.

In Tabel le 4 sind zuni~chst die Zahlen mitgeteilt, die vor dem Versuehe gewonnen win'den.

Sie sind - - je nach der vorhergegangenen Erni~hrungsweise der Tiere - - i n drei Gruppen aufgefiihrt.

Tabe!le 4.

1. Riibentier 2. Hungertier 3. Trockentier

0,72 0,745 0,725 0,705 07735 0,76

Die V e r ~ n d e r u n g e n der G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g im B l u t s e r u m usw. 377

Aueh bier mu~ hervorgehoben werden, da~ die Bestimmungen nicht an reinem Darmsaft, sondern am Inhalt des oberen Diinndarms vorgenommen wurden. Die Zusammensetzung desselben: Pankreassaft, Galle, Sekl'etion der Dtinndarmschleimhaut, iibergegangener Inhatt vom ~agen. - - Wie man aus der Tabelle ersieht, hat die Art der voran- gegangenen Ern~hrung kaum einen EinfluI~ auf die Gr(iSe der Gefrier- punktserniedrigung. Der Wert bewegt sieh um 0,73--0,74.

Tabel le 5 gibt die entsprechenden Werte bei Ileustieren wieder.

T a b e l l e 5.

V e r s u c h

Nr.

d i m D a r m s a f f

y o n

I l e u s t i e r e n B e m e r k u n g e n G e f r i e r p u n k t s -

e r n i e d r i g u n g B e m e r k u n g e n

7

8

9 10 11

12

1 0,67 2 0,67

3 0,685 4 0,68 5 0,685

6 0,665

0~675 0,66

0,69 0,685

0,66 0,675

8 Stdn. p. op . 11 �9 >> >>

101/2 ~> ~ 1 0 ~ >>

14 �9 >~ >~

16 ~ ~> ~

16 ~ ~ 10 ~ 7> ,

15 ~ ~ ,> 16 ~ >~ ,>

0,675 0,695 0,665

0,70

0,695

0,70

0,67

0,68

12t/2 Stdn . p. op. 12 ~ ,> *

11 ~> >> * 15 >> ,> ,

19 >> , >,

18 Stdn . p. op.

Die Gefrierpunktsbestimmungen, die im Stab 4 angegeben sind, sind am gleichen Tiere wie in Stab 2 vorgenommen, nur einige Stunden sptiter.

Aus dieser Tabelle lassen sich folgende Tatsachen entnehmen. In allen Fallen ist der Gefrierpunkt des Darminhaltes nach mehr oder minder langem Bestehen des Ileus gestiegen, durchsehnittlieh yon --0,73 auf --0,67. Im weiteren Verlaufe finder sich dann einige Stunden spater ein deutlicher Abfall, so z.B. in Fall 6 yon --0,665 nach 14 Stunden auf --0,695 nach 19 Stunden. Dieser Abfall tritt fast tiberall in Er- sCheinung; eine Ausnahme maeht Fall 4, wo nach 10 Stunden die Ge- frierpunktserniedrigung --0,68 und nach 11 Stunden --0,665 betrug. Dies ist wohl so zu erkli~ren, da~ dieser Fall im Vergleich zu allen anderen in einem friiheren Stadium untersueht wurde (11 Stunden nach Anlegen des ]]eus).

Die Bewegungen, welche die Gefrierpunktserniedrigungen zeigen, lassen Sieh dureh die ~olgende graphisehe Ubersieht veranschaulichen:

378 X X V I . WILI-IELS[ M~LLER.

-0,66

-0,68 -o, B9 -o,7o

-0,72 -0,73 -0,7r -0,75 -0,'16

Graphische Darstel lung.

I

0 5 70 go3 fg

I I I

75

Nach diesen Versuchen ging ich dazu tiber, aueh fiber die mole- kulare Konzentration des reinen Darmsaftes unter den Bedingungen des ]]eus Aufschlug zu gewinnen.

Die Ergebn]sse dieses Arbeitsabschnittes sind in der folgenden Tabelle mitgeteilt.

Tabelle 6.

Versuch

Nr.

o~ in der doppelt

unterbundenen Schlinge

0,82 0,78 0,79 0,68 0,685

d in der angrenzenden

oberen Darmschlinge

Zeitdauer des Ileus

0,70 0,695 0,70 0,675 0,665

in der doppelten Unterbindung

in Stunden

Gesamtdauer des Ileus

in Stunden

16 17 15 13 12

Zur )~ethodik dieser Versuchsreihe mug noch erwi~hnt werden, dal] zuni~ehst der Ileus ganz wie frtiher angelegt wurde. Naehdem der Ileus gentigend lange bestanden hatte, wurde yon dem Ileusdarm das analw~rts gelegene Sttiek naeh sanftem Ausstreichen seines Inhalts in einer Gesamtbreite yon 25--30 cm unterbunden. Die Sehlinge wurde dann wieder versenkt und naeh in den einzelnen Versuchen versehieden langer Zeit wieder hervorgeholt; ihr Inhalt wurde alsdann dureh Ein- sehnitt gewonnen und zur Kryoskopie benutzt. Leider war es in diesen vorgesehrittenen Stadien des Ileus nieht immer mSglich, gleichzeitig Blut zur vergleichenden Untersuchung zu gewinnen; immerhin ist es in einzelnen FNlen gelungen, worauf noeh sparer eingegangen wird.

Die beschriebenen Eingriffe wurden entweder in leichter Narkose oder aueh in Lokalani~sthesie vorgenommen.

Die Ver~inderungen der Gefrierpunktserniedrigung im Blutserum usw. 379

Wie ein Blick auf die Tabelle lehrt, liegen die Gefrierpunkte des reinen Darmsaftes aus dem Ileusdarm au6erordentlich tier: 0,89. bis 0,79--0,78.

Die Fglle 4 und 5 betreffen Tiere in friiherem Stadium des Ileus. DaB oberhalb der doppelt abgebundenen Schlinge Werte yon hSherem Gefrierpunkt beobachtet wurden, ist sehr verstgndlieh; erfolgt hier doeh eine starke Verdiinnung des neusezernierten Saftes durch die bereits im Darmlumen vorhandenen betrgchtlichen Fliissigkeitsmengen.

Aus diesen mitgeteilten Tatsachen geht zuniichst hervor, daB auch in das Darmlumeu (~hnlieh wie w i r e s oben bei der Bespreehung dos ~agensaftes festgestellt haben) ganz betr~tchtliehe Elektrolytmengen austreten und dem Kreislauf entzogen werden. In den Fgllen, in welchen die Gefriorpunktsbestimmung dos Blutserums gleichzeitig gelang, waren die Werte sigh sehr ghnlich odor vSllig gleich. Diese Tatsache sprieht dafiir, dab unter den Bedingungeu des Ileus die Darmschleimhaut nicht mehr in der Lage ist, normal konzentrierte 8ekrete zu produzieren. Die ~iJgliehkeit, da6 die sezernierenden Zellen iiberhaupt keiner aktiven Arbeit mehr fghig sind und die im Darminnern erscheineude Fliissigkeit nur noch ein Filtrat der im erhaltenen Gef~Bnetz an ihnen vorbeige- fiihrten Blut~liissigkeit darstellt, erscheint danaeh sehr naheliegend. Wiirde diese letztere Auffassung riehtig sein - - und vieles sprieht dafiir -- , so w~re das Wesen der Pathogenese des Ileus biologiseh darin zu er- blieken, dab durch den DarmverschluB naeh vortibergehender 8teige- rung ihrer Sekretionstgtigkeit sehlieBlich die in ihrer Gesamtoberflgche betrgchtlieh groBen Darmepithelflgehen ihrer biologischen Eigenschaft als Grenzflgcheu gegen die AuBenwe!t des Organismus verlustig gehen und ein AbstrSmen yon lebenswiehtigen Bestandtei!en dos Blutes in einen toten Raum ermiJglichen. Grob bildlich gesprochen stellen sic - - wenn man so sagen darf - - Wunden dar, aus @non sich der Organis- mus ~>verblutet<<. I)anach best~tnde die alto Auffassung yon der Ver- blutung in das Splanehnikusgebiet zu Reeht. In die physikalisch- ehemisehe Sprache iibersetzt, wiirde der Vorgang am besten als eine Dialyse bezeichnet werden, welche zwisehen der Membran des Darm- epithols, der zirkulierenden Blutmenge und dem Darmlumen sich ab- spielt.

Z u s a m m e n f a s s u n g .

Die Hauptergebnisso der voranstehenden experimentellen Unter- suehung sind:

1. Der Gefrierpunkt im normalen Kaninchenserum betr~tgt im Durehschnitt --0,63.

3 8 0 XXVI . WILHEL~ MULLER.

2. Der Gefrierpunkt des Blutserums beim experimentell erzeugten Ileus der Kaninchen sinkt mit zunehmender Dauer des liens immer tiefer, um schlie~lich Werte yon fast - -1 und darunter zu erreichen.

3. Der Gefrierpunkt des ~ageninhalts betriigt beim experimen- tellen liens im Durchschnitt yon 17 Versuchen --0,58. Das spricht daftir, da~ - - in Anbetracht der Tatsache, da~ die Fliissigkeitsmenge im ~agen um das 4--5fache steigt - - keineswegs nut Fltissigkeit in den ~agen abgesondert wird, sondern ein ~agensaft yon normaler ~[olenkonzentration.

4. Der Gefrierpunkt des Diinndarminhalts steigt zuerst mit der Dauer des Ileus betrgchtlich an, um dann im weiteren Verlaufe deutlich abzufallen.

5. Der Gefrierpunkt des reinen Darmsaftes aus dem lleusdarm ist au~erordentlich niedrig (z. B.--0,79) und dem des Blutserums sehr ghnlich oder gleich.

6. Rechnerisch ergibt sich, da6 die in ~agen und Darm getretenen Fliissigkeitsmengen mehr als das 1--11/2fache der Elektrolytkonzen- tration der gesamten Blutmenge darstellen; das Wesen des Ileus wird deshalb als eine Art ,innerer Verblutung(~ angesprochen.

Literatur. 1. W. Braun und W. Wortmann, Der Darmverschlus 1924. -- 2. t taden,

L. Russell und Thomas G. 0rr, Chemical changes in the blood of thedog after intestinal (pyloric) obstruction. Journ. of exp. med. 1923~ Bd. 37, ~r. 3, S. 365 und 377. -- 3. It. Lange~ fiber die Ursachen tier Asthenie beim experi- mente!len Ileus. Miinch, reed. Wochenschr. :1925~ I~r. 28, S. 1144. -- 4. Rosemaan, Beitr~ige zur Physiologie der Verdauung. Pfltigers Arch. f. d. ges. l~hysiol. 1907~ Bd. 118, S. 467.

Druck yon Breitkopf & [t~rtel in Leipzig.


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