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Universitt Bayreuth Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultt Lehrstuhl fr Betriebswirtschaftslehre VI Organisation Professor Dr. Andreas Remer

Diplomarbeit

Thema:

Kompensatorische Balancierung als Ansatz zum Dilemma-Management: Unternehmensfhrung im Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt

vorgelegt von: Florian A. Wustmann Frankengutstrae 18 95447 Bayreuth Matr. Nr. 0808669 9. Semester BWL

Abgabetermin: 14. April 2000

The test of a first rate intelligence

is the ability to hold two simultaneous ideas in mind and still keep the ability to function.F. Scott Fitzgerald

Vorwort

Die Managementlehre beschftigt sich seit lngerem mit Fragen des DilemmaManagements und dem Umgang mit Widersprchen in der Unternehmensfhrung. Gerade in jngerer Zeit mehren sich die wissenschaftlichen Verffentlichungen zu diesem Themenbereich. Sie belegen auf der einen Seite die absolute Aktualitt des Themas, auf der anderen Seite aber auch unbersehbare Defizite des bisherigen Erkenntnisstandes. Fhrungskrfte, welche die Verantwortung fr die langfristige Unternehmensentwicklung tragen, sehen sich zunehmend mit dem Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt konfrontiert. Das externe Umfeld zwingt Unternehmen zu zeitlich immer krzeren Vernderungen, whrend viele der unternehmensinternen Gestaltungsmanahmen eine Erhhung der Stabilitt und Kontinuitt bezwecken. In der Managementliteratur setzt sich verstrkt die Erkenntnis durch, da die einseitige Betonung eines Aspektes wenig zielfhrend ist. Auch in der Praxis werden Grenzen digital ausgelegter Managementkonzepte, die eine einseitige Ausrichtung postulieren, deutlich sichtbar. Geprgt durch das abendlndische Denken, das von einer Logik beherrscht wird, welche die Eindeutigkeit der Wahrheit zum obersten Prinzip erhebt, fllt es relativ schwer, die Vielzahl von Gegenstzen symbiotisch zu nutzen und eine Strategie des sowohl-als-auch im Sinne der dualen Logik einzuschlagen. Die vorliegende Arbeit setzt hier an und versucht erste berlegungen anzustellen, die sich auf eine kompensatorische Balancierung im Rahmen der Unternehmensfhrung beziehen. Diese Arbeit entstand whrend meines Studiums der Betriebswirtschaftslehre am Lehrstuhl fr Organisation an der Universitt Bayreuth. Sie wurde im April 2000 von Herrn Prof. Dr. Andreas Remer als Diplomarbeit angenommen. Betreut wurde ich whrend dieser Zeit von Herrn Dipl.-Kfm. Stephan Wygoda, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls Organisation. Fr den fachlichen Rat, die mentale Untersttzung und die konstruktive Kritik bedanke ich mich recht herzlich.

Bayreuth, im April 2000

Florian A. Wustmann

Inhaltsverzeichnis

III

Inhaltsverzeichnis

Vorwort.............................................................................................................................. I Inhaltsverzeichnis............................................................................................................ III Abbildungsverzeichnis..................................................................................................... V

Teil I: Einfhrung........................................................................................11. Problemstellung ............................................................................................................1 2. Ziele und Aufbau der Arbeit..........................................................................................2

Teil II: Allgemeine Grundlagen..................................................................31. Management als Gestaltungsgegenstand ......................................................................3 2. Umweltsituation ...........................................................................................................5 2.1. Komplexitt und Dynamik..................................................................................5 2.2. Konkrete Umweltsituation..................................................................................6 3. Konventionelles Management.....................................................................................10 4. Dilemma-Management................................................................................................12

Teil III: Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt..........................151. Flexibilitt und Vernderung.......................................................................................15 1.1. Begriff und Abgrenzung....................................................................................15 1.2. Notwendigkeit von Flexibilitt und Vernderung.............................................16 1.3. Ursachen mangelnder Flexibilitt und Vernderung.........................................19 1.4. Positive Wirkungen von Flexibilitt und Vernderung ....................................22 1.5. Maximierung von Flexibilitt und Vernderung...............................................24 2. Stabilitt und Kontinuitt............................................................................................25 2.1. Begriff und Abgrenzung....................................................................................25 2.2. Notwendigkeit von Stabilitt und Kontinuitt...................................................26 2.3. Ursachen mangelnder Stabilitt und Kontinuitt .............................................28 2.4. Positive Wirkungen von Stabilitt und Kontinuitt...........................................29 2.5. Maximierung von Stabilitt und Kontinuitt.....................................................33 3. Beurteilung des Spannungsfeldes von Flexibilitt und Stabilitt................................33

IV

Inhaltsverzeichnis

Teil IV: Anstze zur kompensatorischen Balancierung des ..................36 Spannungsfeldes.......................................................................................361. Ansatz der kompensatorischen Balancierung..............................................................36 1.1. Allgemeine Grundlagen.....................................................................................36 1.2. Optimale Kompensation....................................................................................39 1.3. Partielle Kompensation.....................................................................................40 2. Kompensation innerhalb und zwischen Merkmalsausprgungen...............................40 2.1. Kompensation innerhalb des Standardisierungsmerkmals................................41 2.2. Kompensation zwischen Standardisierung und Art...........................................42 2.3. Kompensation zwischen Standardisierung und Grad........................................42 2.4. Kompensation zwischen Standardisierung und Form.......................................44 2.5. Kompensation zwischen Standardisierung und Formalisierung.......................45 3. Intraelementare Kompensation....................................................................................46 3.1. Zielpolitik und Verteilungspolitik......................................................................46 3.2. Strategische und operative Plne.......................................................................48 3.3. Organisatorische Positionen und Instruktionen.................................................51 3.4. Potentialbestnde und -beitrge.........................................................................54 4. Interelementare Kompensation....................................................................................56 4.1. Politik und Planung...........................................................................................57 4.2. Planung und Organisation.................................................................................58 4.3. Planung und Potential .......................................................................................59 5. Kultur als kompensatorisches Schattenelement..........................................................60

Teil V: Fazit................................................................................................63

Abkrzungsverzeichnis................................................................................................... 67 Literaturverzeichnis......................................................................................................... 69 Ehrenwrtliche Erklrung................................................................................................81

Abbildungsverzeichnis

V

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5:

Management als Gestaltungsgegenstand.......................................................... 4 Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt, und Extreme.......................... 34 Logische Kompensationsmglichkeiten......................................................... 40 Gestaltungsraum des Dilemma-Managements................................................57 Duale Fhrungsrichtlinien des Unternehmens LEGO.................................... 62

I. Einfhrung

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Teil I:1.

Einfhrung

Problemstellung

Die Managementlehre hat sich mit dem Aufkommen der Systemtheorie die erfolgreiche Gestaltung von System-Umwelt-Beziehungen zum Thema gemacht. Dabei haben zwei Fragestellungen eine erhebliche Bedeutung erlangt: Zum einen ist die Bewltigung von Komplexitt und Dynamik angesprochen, und zum anderen die Grenzziehung zwischen System und Umwelt. Beide Themen haben natrlich etwas miteinander gemein,1 da sie in der Realitt komplementr auftreten. Das Problem des Managements liegt dann vor allem in der zunehmenden Diskrepanz (gap) zwischen der stndig steigenden Umweltkomplexitt und -dynamik einerseits, und der Vielzahl komplexittsreduzierender und stabilisierender Verhaltensweisen in der Unternehmensfhrung andererseits. In diesem Zusammenhang ist auch der Widerspruch zwischen einer vernderungsoder stabilittsorientierten Haltung des Managements zu sehen. Betrachtungsgegenstand ist in diesem Fall primr die Umweltdynamik, sekundr die Umweltkomplexitt. Whrend bei der Vernderungsorientierung die bestehende Ausrichtung nicht Grundlage knftigen Denkens und Handelns ist, sondern immer wieder in Frage gestellt, verndert und verworfen wird (d.h. es kommt regelmig zu einer zeitlichen Systemffnung/ Komplexittssteigerung), ist bei einer Stabilittsorientierung eben die bestehende Ausrichtung (zeitliche Systemschlieung bzw. vorgenommene Komplexittsreduktion) mageblich und wird durch berdauernde Regelwerke sowie einer Optimierung des Bestehenden (im Sinne eines one best way2) unter Effizienzgesichtspunkten gesichert und zementiert. In der Managementforschung setzt sich heute verstrkt die Erkenntnis durch, da die einseitige Betonung eines Aspektes wenig zielfhrend ist. Kern der berlegungen ist dabei, da angesichts der widersprchlichen Anforderungen an das Management bzw. an die Unternehmung das Ideal eines Passungsverhltnisses (fit) im Gestaltungsansatz aufgegeben werden mu und anstelle einer mehr derselben Logik3 widersprchliche Ausrichtungen im Management (misfit) erforderlich sind. Mit anderen Worten wird der Ausgleich zwischen Gestaltungsparametern verlangt, um sowohl der1

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Schlieung kann dabei Komplexittsreduktion, ffnung hingegen Komplexittssteigerung bedeuten. Vgl. Luhmann, N. (1973), S. 175 f. Hierzu zhlt u.a. die Grundhaltung des Scientific Managements. Vgl. Lewin, A.Y./Minton, J.W. (1986), S. 516 Watzlawick, P. (1994), S. 25 ff.

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I. Einfhrung

Forderung nach Flexibilitt als auch der nach Stabilitt zu entsprechen, da beide Extreme gleichermaen den Erfolg bzw. das berleben des Systems gefhrden und eine ausgewogene Mittelposition nur selten, bestenfalls zufllig die richtige Ausgestaltung sein drfte. Dies gibt Anla zu der Frage, worin das Dilemma zwischen Flexibilitt und Stabilitt der Unternehmensfhrung besteht und wie unter Anwendung des Ansatzes der kompensatorischen Balancierung der Ausgleich zwischen einer fr notwendig erachteten, mglichst hohen Vernderungsorientierung und der ebenfalls fr erforderlich gehaltenen Kontinuitt des Managements gelingt, um der latenten Gefhrdung des Systemberlebens zu begegnen. 2. Ziele und Aufbau der Arbeit

Die Arbeit will einen Beitrag zum Problemfeld Dilemma-Management leisten. Im einzelnen verfolgt sie dabei drei Zielsetzungen: Erstens soll die Forderung nach einer widersprchlichen Ausrichtung im Management argumentativ untermauert werden. Zweitens obliegt das Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt einer Untersuchung, um in einem weiteren Schritt anhand von Gestaltungsvorschlgen aufzuzeigen, wie dieses Dilemma kompensatorisch balanciert werden kann. Dieser Zielsetzung folgend wird im Grundlagenteil (Kapitel II) zunchst eine Begriffsbasis erschlossen, die elementar fr die nachfolgende Untersuchung des Spannungsfeldes sowie dessen Ausgleichs im Management ist. Nach einer inhaltlichen Przisierung des Managementbegriffs werden, aufbauend auf den Erkenntnissen einer Umweltanalyse, die Defizite des konventionellen Managements eruiert und sowohl die Notwendigkeit als auch die Gestalt des Dilemma-Managements dargestellt. Kapitel III thematisiert das Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt. Neben der terminologischen Bestimmung der Dualitt werden die Notwendigkeit, die Ursachen bisheriger Defizite sowie die Wirkung von Flexibilitt bzw. Stabilitt des Managements erlutert und beurteilt. Auf der Basis der Erkenntnisse des zweiten und dritten Kapitels werden im anschlieenden vierten Kapitel verschiedene kompensatorische Gestaltungsanstze zur Handhabung der Ausgangsdualitt aufgezeigt. Das Fazit fat die wesentlichen berlegungen fr ein widerspruchsorientiertes Management zusammen und zeigt Fragestellungen knftiger empirischer Forschung auf.

II. Allgemeine Grundlagen

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Teil II:1.

Allgemeine Grundlagen

Management als Gestaltungsgegenstand

Management tritt in der Literatur als Institution, Funktion und als Instrument auf. Management aus institutioneller Perspektive wird als Beschreibung der Einrichtungen, Personenkreise oder Rollen aufgefat, die Managementaufgaben wahrnehmen.4 In funktionaler Hinsicht wird Management als die inhaltliche Konkretisierung von Aufgaben, Prozessen und Handlungsweisen gesehen.5 Unter Management als Instrument und dieser Begriffsauffassung folgt vorliegende Arbeit wird ein System bestehend aus Gestaltungsparametern und deren Beziehungen untereinander verstanden.6 Dieses System dient dem Manager zur bewuten und gezielten Gestaltung zweckgerichteter sozialer Systeme.7 REMER geht in seinem Managementsystem von vier Gestaltungsparametern8 aus, die er als Managementelemente bezeichnet. Dies sind die Politik, die Planung, die Organisation und das Potential, wobei jeder Parameter durch seine Doppelbdigkeit, d.h. die Unterscheidung zwischen strategischer und operativer Ebene, gekennzeichnet ist.9 So umfat die Politik auf strategischer Ebene die Zielpolitik und auf operativer Ebene die Verteilungspolitik von Einkommen und immateriellen Werten. ber die Planung werden auf strategischer Ebene Mittel zur Realisierung der angestrebten Ziele bestimmt, welche in den operativen Plnen konkretisiert werden.10 Die Organisation obliegt in erster Linie der Differenzierung in Positionen und sekundr der Programmierung dieser Leistungseinheiten mit Instruktionen. Das Potential umschliet sowohl die menschlichen Bestnde als auch deren Beitrge. Daneben gelten die Beziehungen zwischen den Elementen als wesentliche Gestaltungsgegenstnde.11

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Vgl. Staehle, W.H. (1994), S. 69; Remer, A. (1996), S. 1 ff. Vgl. Ulrich, P./Fluri, E. (1995), S.14; Greipel, P. (1988), S. 211 Damit wird einem wesentlichen Aspekt der Systemtheorie Rechnung getragen, in dem Systeme nicht nur auf der Basis ihrer Elemente, sondern auch durch die Beziehungen zwischen diesen charakterisiert sind. Vgl. Bertalanffy, L.v. (1973), S. 55; Czayka, L. (1974), S. 20 ff.; Ulrich, H. (1989), S. 14 Unternehmen werden als soziale Systeme aufgefat, weil ihre Elemente durch Handlungen von Personen sowie durch Beziehungen zwischen diesen Handlungen geprgt werden (vgl. Hill, W./ Fehlbaum, R./Ulrich, P. (1989), S. 23; Luhmann, N. (1976), S. 23 ff.). Zweckgerichtet sind Unternehmen nur insoweit, als das Handeln als Mittel zum Zweck angesehen wird. Vgl. Luhmann, N. (1973), S. 7 ff.; vgl. auch Staehle, W.H. (1973), sozio-technische Systeme Bei der Identifizierung dieser Ansatzpunkte zeigt sich die Literatur relativ einheitlich. Vgl. z.B. auch Koontz, H./ODonnell, C. (1976), S. 91 ff.; Staehle, W.H. (1994); Ulrich, P./Fluri, E. (1995) Vgl. Remer, A. (1999a), S. 6 Vgl. Ulrich, P./Fluri, E. (1995), S. 17 Vgl. Remer, A. (1999a), S. 4

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II. Allgemeine Grundlagen

Whrend die Managementelemente lediglich als Anknpfungspunkte der Managementgestaltung dienen, stehen mit den substantiellen Merkmalen Art, Grad und Form Begriffe zur Beschreibung mglicher inhaltlicher Elementausprgungen zur Verfgung.12 Aussagen ber die Art nehmen dabei Stellung zu ihrer Vermittlungsfunktion zwischen Zweck und Mitteln, der Grad gibt Auskunft ber die Intensitt und Extensitt der expliziten Ausarbeitung, und die Form spiegelt die sich nach auen manifestierende Erscheinungsform wider. Standardisierung als zeitliche Dauergltigkeit/-haftigkeit und Formalisierung als (sozial-)rumliche Geltung stellen die existentiellen Merkmale.

SUPRAELEMENTE Elemente Teilelemente Art strategische Ebene Merkmale Grad Form

PROGRAMM/STRATEGIE Politik Ziele wert- wirklichkeitsorientiert hoch niedrig (Tiefe + Breite) innen- auenorientiert Planung strategische Plne ziel- strukturorientiert hoch niedrig (Tiefe + Breite) innen- auenorientiert hoch niedrig (Art + Grad) hoch niedrig (Tiefe + Breite) operative Plne optimal funktional hoch niedrig (Tiefe + Breite) innen- auenorientiert hoch niedrig (Art + Grad) hoch niedrig (Tiefe + Breite)

INSTRUMENTARIUM/STRUKTUR Organisation Rollen programm- potentialorientiert hoch niedrig (Tiefe + Breite) innen- auenorientiert hoch niedrig (Art + Grad) hoch niedrig (Tiefe + Breite) Instruktionen intentional konditional hoch niedrig (Tiefe + Breite) innen- auenorientiert hoch niedrig (Art + Grad) hoch niedrig (Tiefe + Breite) Potential Bestnde rollen- ressourcenorientiert hoch niedrig (Tiefe + Breite) innen- auenorientiert hoch niedrig (Art + Grad) hoch niedrig (Tiefe + Breite) Beitrge output- inputorientiert hoch niedrig (Tiefe + Breite) innen- auenorientiert hoch niedrig (Art + Grad) hoch niedrig (Tiefe + Breite)

Standardi- hoch niedrig sierung (Art + Grad) Formalisierung hoch niedrig (Tiefe + Breite) Verteilungspolitik final kausal hoch niedrig (Tiefe + Breite) innen- auenorientiert

Teilelemente Art operative Ebene Merkmale Grad Form

Standardi- hoch niedrig sierung (Art + Grad) Formalisierung hoch niedrig (Tiefe + Breite)

Abb. 1: Management als Gestaltungsgegenstand(Quelle: Eigene Darstellung, Grundlage dafr Remer, A. (1999a), S. 2-78)

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Vgl. Remer, A. (1999a), S. 7 ff.; Remer, A. (1988), S. 560

II. Allgemeine Grundlagen

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Eine Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse zu den Elementen, Ebenen und Merkmalen des Managementsystems sowie deren duale (zweiheitliche) Gestaltungsausprgungen liefert obige Abbildung (vgl. Abb. 1). Eine Erweiterung hat dieses Managementsystem mit HARTUNG gefunden, der die Unternehmenskultur als Schatten der jeweiligen Elemente einfhrt und damit zum Ausdruck bringt, da die Ausprgung der verschiedenen Elemente die zugrundeliegenden Ideen, berzeugungen, Menschenbilder, Werte und Normen etc. widerspiegelt.13 2. Umweltsituation

Die Umweltsituation beeinflut in vielfltiger Weise die Managementsituation, ohne sie jedoch zu determinieren.14 Daraus lt sich folgern, da in dem Mae, wie sich die Umwelt ndert, auch Vernderungen fr die Fhrung des Unternehmens, also fr die konkrete Ausgestaltung des Managementsystems zu erwarten bzw. erforderlich sind.15 2.1. Komplexitt und Dynamik

Die Feststellung, da die Umwelt in den letzten Jahrzehnten immer komplexer und dynamischer geworden ist, kann mittlerweile als trivial angesehen werden.16 Auch wenn von Komplexitt und Dynamik hnliche Wirkungen ausgehen, so sagen die beiden Begriffe unterschiedliches aus und haben unterschiedliche Ursachen. Komplexitt kann allgemein als die Vielfalt der Faktoren, die auf ein Unternehmen einwirken sowie als das Ausma ihrer Beziehungen definiert werden.17 Dies bedeutet, da eine Ursache viele Wirkungen und eine Wirkung viele Ursachen haben kann. 18 Eine Konkretisierung von Komplexitt erfolgt anhand der Dimensionen Diversitt (Anzahl und Verschiedenartigkeit entscheidungsrelevanter Elemente), Variett (Anzahl mglicher Zustnde, die die Elemente jeweils annehmen knnen) und Relationalitt (Anzahl und Qualitt interelementarer Beziehungen).19 Ihr multiples Auftreten bewirkt, da Entscheidungstrger mit begrenzten menschlichen Wahrnehmungs- und Verarbeitungs13 14

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16 17 18 19

Vgl. Hartung, N. (1997), S. 16 f. Vgl. Perich, R. (1992), S. 160 ff., 329; Willke, H. (1993), S. 338 ff.; Steinmann, H./Schreygg, G. (1999), S. 158. Dieses Thema wird auch unter dem Stichwort Determinismusvorwurf behandelt. Vgl. dazu Kieser, A./Kubicek, H. (1992), S. 214 ff. Das Konzept der strategischen Wahl (Strategic Choice) verneint in diesem Zusammenhang nicht den Einflu der Umwelt auf die Unternehmensfhrung, geht aber davon aus, da dennoch eine Reihe von Wahlmglichkeiten besteht. Vgl. Child, J. (1972, 1977) Vgl. Appelhans, D. (1998), S. 1; Steinmann, H./Schreygg, G. (1999), 126 ff. Vgl. Hartung, N. (1997), S. 13; Perich, R. (1992), S. 87 Vgl. Remer, A. (1996), S. 257. Vgl. Hartung, N. (1997), S. 24; Perich, R. (1992), S. 88 ff.; Oberschulte, H. (1994), S. 1 f.

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II. Allgemeine Grundlagen

fhigkeiten nicht mehr in der Lage sind, Realittsausschnitte qualitativ, quantitativ oder rumlich zuverlssig zu erfassen.20 Dynamik hingegen wird allgemein als Vernderungsintensitt der Umwelt verstanden und bestimmt sich durch die Dimensionen Frequenzialitt (Hufigkeit von nderungen entscheidungsrelevanter Elemente), Intensitt (Strke dieser nderungen) und Irregularitt (Unregelmigkeit der Vernderungen).21 Mit Dynamik wird somit die Vernderung bzw. die Transformation von einem Zustand in einen anderen im Zeitablauf erfat.22 Damit werden Probleme der Prognosefhigkeit und Antizipation zuknftiger Entwicklungen angesprochen, die ihre Lsung in schnellen und flexiblen Reaktionen suchen.23

2.2.

Konkrete Umweltsituation

Mit der Begriffsbestimmung von Komplexitt und Dynamik konnten die beiden zentralen Termini zur Beschreibung der Umweltsituation vermittelt werden. Worin die vielfach konstatierte Zunahme der beiden Phnomene besteht bzw. wodurch sie zum Ausdruck kommt, bedarf einer inhaltlichen Konkretisierung.24 Es lassen sich fnf Hauptsegmente der allgemeinen Umwelt unterscheiden.25 Technische Umwelt

Die technische Umwelt ist die Gesamtheit des technischen Wissens und deren Umsetzung in konkrete Anwendungen. Sie beeinflut in ihrer rasanten Entwicklung sowohl das berufliche als auch das private Leben26 und fhrt zu Chancen und Risiken, lngst auch fr solche Unternehmen, die augenscheinlich keinen engen Technologiebezug aufweisen.27 Kommunikations- und Informationswege sowie Transportsysteme werden20

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26 27

Dies ist aufgrund der menschlichen Prdisposition (angeborener Erkenntnisapparat) generell begrenzt (vgl. Pppel, E. (1987)) und aufgrund subjektiv geprgter Perzeptionen und Prferenzen zudem intersubjektiv und situativ verschieden (vgl. Frese, E. (1998), S. 287). Vgl. Hartung, N. (1997), S. 25; Kieser, A. (1974), S. 302; Perich, R. (1992), S. 91 ff. Dem Begriff Dynamik ist die zeitliche Dimension inhrent. Vgl. Kubicek, H./Thom, N. (1976), Sp. 3999 Vgl. Ackhoff, R.L. (1981), S. 5 Um mglichst viele Entwicklungen erfassen zu knnen gilt es eine Analyse der Umweltsituation grundstzlich detailliert anzulegen. Dies geht bei vorgegebenem Umfang zu Lasten der Przisierung. Vgl. Steinmann, H./Schreygg, G. (1999), S. 159 ff.; hnlich Oberschulte, H. (1994), S. 3; Remer, A. (1996), S. 129, 166. Damit versucht man den unvermeidlichen Selektionsproze anzuleiten. Vgl. Steinmann, H./Schreygg, G. (1999), S. 160; Scholz, C. (1993), S. 15 ff. Vgl. Reinhart, G.R./Drrschmidt, S. et al. (1999), S. 20. Mit den Mglichkeiten des Internets und deren betriebliche Nutzbarkeit (Electronic-Business) entstehen bspw. ganz neue Geschftsfelder, wie etwa E-Retailing und E-Banking. Vgl. z.B. Fulk, J./De Sanctis, G. (1995), S. 337 ff.

II. Allgemeine Grundlagen

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leichter zugnglich, schneller und kostengnstiger.28 Fertigungstechniken fr anspruchsvolle Produkte und Systemlsungen werden komplizierter. Komplexe, unelastische und kostenintensive Maschinentechniken ersetzen manuelle Ttigkeiten. Fr den Umgang mit neuen Techniken wird hochwertiges und teures Personal erforderlich und zugleich zum Engpa der Unternehmen.29 Technische Entwicklungen werden nur zum Teil von unternehmensinternen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen abgedeckt.30 Ein einzelnes Unternehmen kann schnell in einen uneinholbaren Rckstand geraten, wenn es sich nicht an der Entwicklung technischer Standards beteiligt. Komparative Wettbewerbsvorteile entstehen vielfach nicht mehr aus dem Know-how selbst, sondern aus der Fhigkeit, dieses in Form von Produkten und Dienstleistungen mglichst schnell auf den Markt zu bringen.31 Verkrzte Neuentwicklungs- und Produkteinfhrungszeiten haben den Effekt, da die Technologien eine immer krzere Lebensdauer haben und damit immer schneller veralten.32 Andererseits stehen aber auch in immer krzeren Zeitabstnden verbesserte Technologien zur Verfgung.33 Die technische Umwelt bedarf somit einer starken Bercksichtigung im Management. konomische Umwelt

Zur konomischen Umwelt gehren jene Faktoren, die die Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Bettigung setzen. Der Kanon potentieller Einflufaktoren reicht von der allgemeinen Ausgestaltung und Entwicklung der Wirtschaftssysteme unterschiedlicher Nationen, ber deren volkswirtschaftliche Eckdaten,34 bis zum konkreten Wettbewerbsumfeld eines Unternehmens.35 Die Situation auf den Absatz-, Beschaffungs- und Kapitalmrkten ist von einem Trend der Internationalisierung und Globalisierung36 geprgt. Der Umbruch von Wirtschaftssystemen (z.B. Vernderungen in Osteuropa) und der Abbau von Handelsbeschrnkungen und Marktregulierungen (z.B. europische Integration) weisen Entwicklungen von einer nationalen Volkswirtschaft zu einer globalen28 29 30 31 32 33 34

35 36

Vgl. Dicke, H.R. (1999), S. 20 Vgl. Picot, A. (1990), S. 121 Vgl. Klimecki, R.G./Probst, G.J./Gmr, M. (1993), S. 6 Vgl. Klimecki, R.G./Probst, G.J./Gmr, M. (1993), S. 6 Vgl. Perich, R. (1992), S. 59 Vgl. Hartung, N. (1997), S. 29; Oberschulte, H. (1994), S. 3 Dazu zhlen u.a. die Entwicklung des Bruttosozialprodukts, die Arbeitslosenquote, die Inflationsrate, das Wirtschaftswachstum und die Verschuldung der ffentlichen Haushalte. Vgl. Steinmann, H./Schreygg, G. (1999), S. 159; Kieser, A./Kubicek, H. (1992), S. 366 ff. Whrend bei der Internationalisierung wesentliche Unternehmensfunktionen im Stammland verbleiben und von dort Aktivitten im Ausland zentral gesteuert werden, kommt es bei der Globalisierung zu einer weltweiten Dezentralisation von Unternehmensfunktionen. Vgl. Spth, L. (1995), S. 63

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II. Allgemeine Grundlagen

Weltwirtschaft auf. Whrungs- und Finanzmarktprobleme stellen fr Unternehmen einen kaum kalkulierbaren Risikofaktor dar. Das Entstehen von Spezialistentum und Professionalismus lt den Produktionsfaktor Arbeit zunehmend aus seiner Abhngigkeitsstellung herauswachsen. Die Organisation mu sich mehr an den Ressourcen orientieren. Die klassische Zweck-Mittel-Beziehung wird mehr und mehr beschnitten, wenn nicht sogar umgekehrt.37 Parallel dazu setzt ein Wandel ein, der das klassische Unternehmensziel der Gewinnmaximierung um Nebenbedingungen (z.B. langfristige Erhaltung) erweitert, verschiedenste Anspruchsgruppen (Stakeholder) bercksichtigt sowie eine ffnung des Systems in Richtung gesellschaftliche Interessen vorantreibt.38 Weitere Trends werden mit der Individualisierung der Kundenbedrfnisse und mit dem Innovationsdruck unter verkrzten Produktlebenszyklen und zum Teil verlngerten Entwicklungszyklen sichtbar.39 Politisch-rechtliche Umwelt

Das politisch-rechtliche Umfeld ist das Umsystem, welches Normen und Verhaltensregeln hervorbringt, die das Zusammenleben der Mitglieder eines Gemeinwesens auf Dauer ordnen.40 Es ist geprgt durch zunehmende Bedeutung internationaler Organisationen, weltweite Koordinationsbemhungen, kontinentale Verschiebungen der Wirtschaftsmacht und nationales Autonomiestreben.41 Zudem ist heute die politische und die konomische Sphre in vielfltiger Weise verflochten (z.B. Smogverordnungen, Produzentenhaftpflicht), wodurch eine strkere Bercksichtigung des politisch-rechtlichen Bereichs in der unternehmerischen Programmplanung notwendig wird. Durch die Zunahme der rechtlichen Regelungsbreite, d.h. das Erfassen immer neuer Lebensbereiche (z.B. Verbraucherschutz, Umweltschutz, Datenschutz etc.) und die steigende Regelungstiefe (z.B. im Betriebsverfassungsgesetz, Steuerrecht) wird der Handlungsspielraum der Unternehmen strker eingeschrnkt. Gelegentlich werden aufgrund der Gesetzes- oder Prozeflut die Verhaltensregeln unberschaubar. Andererseits ermglichen Regelungen aber berhaupt erst bestimmte Handlungen, weil sie als Konsensgrundlage dienen und somit zur strategischen Planbarkeit beitragen.4237 38 39 40 41

42

Vgl. Remer, A. (1997), S. 410 f. Vgl. Remer, A. (1988), S. 562 Vgl. Wthrich, H.A./Winter, W.B. (1994), S. 309 f. Vgl. Hartung, N. (1997), S. 29 Vgl. Tietz, B. (1991), S. 25 ff.; Wahlstrm, B. (1991), S. 183 ff.; Laszolo, E. (1992), S. 23 ff.; Lutz, C. (1992), S. 82 ff. Vgl. Harbusch, P./Wiek, D. (1975), S. 387

II. Allgemeine Grundlagen

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Sozio-kulturelle Umwelt

Die sozio-kulturelle Umwelt als Gesamtheit aller sozialen und kulturellen Faktoren in einer Gesellschaft ist von hoher Bedeutung fr strategische und operative Entscheidungen.43 Exemplarisch fr die gegenwrtigen Entwicklungen stehen die zunehmende Verantwortung der Unternehmung als soziales Gebilde, die vielschichtigen Verflechtungen von Gesellschaft und Wirtschaft (z.B. Vergesellschaftung des Berufslebens), der rasche Wandel von gesellschaftlichen Normen und Werten (z.B. von den Pflicht- zu den Selbstentfaltungswerten und der krperlichen Gesundheit), die allgemeine Anhebung der Problemlsungsfhigkeit, der Soziabilitt und der Ansprche sowie die nachlassende alters- und geschlechtsspezifische Differenzierung.44 Die qualitativ schwer erfabaren Faktoren der sozio-kulturellen Umwelt fhren bei ihrer Vernachlssigung nicht selten zu unternehmerischen Fehleinschtzungen und Mierfolgen. Natrliche Umwelt

Als relativ neues Umweltsegment kann sich die kologie behaupten. Damit verbunden ist die Forderung nach einer Umkehr unseres auf (rein) quantitatives Wachstum ausgerichteten Denkens und Handels bzw. die Suche nach umweltvertrglichen Alternativlsungen.45 Die Prognosen ber Umweltverschmutzung, Ressourcenknappheit und fundamentale Klimavernderungen sowie die Zukunftstechnologien der Gentechnik und Mikroelektronik belegen diese Entwicklungen.46 Eine aufmerksame Analyse dieser Vernderungen kann somit im Hinblick auf Restriktionen (z.B. Umweltsteuer) Risiken abwenden und im Hinblick auf proaktives Handeln (z.B. Erschlieung neuer Mrkte, Produktinnovationen etc.) Chancen erffnen.47 Unter der eben beschriebenen Umweltsituation gilt es nun, die konventionellen Managementkonzepte auf ihre Tauglichkeit zu untersuchen.

43 44 45 46 47

Vgl. Steinmann, H./Schreygg, G. (1999), S. 162 Vgl. Meyer, A. (1994), S. 44; Scheuchzer, R.H. (1980), S. 407; Remer, A. (1996), S. 243 Vgl. Drucker, P.F. (1971); Meadows, D.L. (1972) Vgl. dazu die Studie von Meadows, D.L./Meadows, D.H./Raders, J. (1992) Vgl. Steinmann, H./Schreygg, G. (1999), S. 164

10 3.

II. Allgemeine Grundlagen

Konventionelles Management

Unter konventionellem Management werden hier alle logisch konsistenten48 Konfigurationen des Managementsystems mit seinen Elementen Politik, Planung, Organisation und Potential sowie deren funktionale Beziehungen verstanden.49 Sie beruhen auf dem Harmonieprinzip im Gestaltungsansatz, bei dem alle Elemente im Sinne einer einheitlichen Logik komplementr und sich gegenseitig verstrkend angelegt sind.50 Einen solchen Idealtyp stellen die klassischen Managementkonzepte (z.B. Brokratie, Mechanisches System, Maschinenmodell51) dar, die in ihrer Gestalt streng einseitig auf einen Grundaspekt (z.B. Stabilitt, Effizienz) ausgerichtet sind. Sie wurden in und fr stabile Situationen geschaffen, in denen, ausgehend von zentralen Ideen der Technik, Wirtschaft und Gesellschaft, die Welt durch Systeme wie Unternehmen gestaltet werden soll und kann.52 Dabei wird von einer strengen Zweck-Mittel-Beziehung im Sinne der structure follows strategy53 Logik ausgegangen. Mit den oben angesprochenen Vernderungen der Umweltsituation lakonisch gesprochen mit der Zunahme von Komplexitt und Dynamik wird dem klassischen Idealtyp, der heute vielfach an seine Existenzgrenzen stt, ein moderner Idealtyp (termino)logisch entgegengesetzt. Einen solchen Idealtyp stellen die modernen Managementkonzepte (z.B. Assoziative Organisation, Organisches System54) dar, die in ihrer Gestalt ebenso streng einseitig, aber auf den Gegenaspekt (z.B. Flexibilitt) ausgerichtet sind. Ferner wird eine Umkehr der klassischen Zweck-Mittel-Beziehung, d.h. strategy follows structure55 impliziert. Whrend der klassische Extremtyp das Risiko beinhaltet, an der vernderten Um48

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In der Literatur werden neben dem Begriff der Konsistenz, d.h. dem inneren Zusammenhang (vgl. Miller, D./Friesen, P.H. (1984), S. 12) in der Managementsystem-Gestaltung, die Begriffe Fit (Venkatraman, N. (1989), S. 423 ff.; Van de Ven, A.H./Drazin, R. (1985), S. 333 ff.), Harmonisation (Bleicher, K./Meyer, E. (1976), S. 16 ff.) und Stimmigkeit (Scholz, C. (1987), S. 61 ff.) verwendet. Konfigurationen sind als Gestalt empfundene Anordnungen von Elementen und deren Beziehungen. Vgl. Mintzberg, H. (1979), S. 299 ff.; Meyer, A.D./Tsui, A.S./Hinings, C.R. (1993), S. 175 Vgl. Miller, D./Friesen, P.H. (1984), S. 22; Henselek, H.F. (1996), S. 44 Vgl. Weber, M. (1976); Burns, T./Stalker, G.M. (1971); Leibenstein, H. (1960) Vgl. Remer, A. (1999b), S. 2 Strategie und Struktur stehen in einer klar umrissenen Abhngigkeitsbeziehung (vgl. Chandler, A.D. (1962)). Die Politik bestimmt die Planung, diese legt die Organisation fest, welche ihrerseits das Potential determiniert. Vgl. Bosetzky, H. (1970); Burns, T./Stalker, G.M. (1971) Strategie und Struktur stehen in einer klar umrissenen Abhngigkeitsbeziehung (vgl. Hall, D.J./ Saisas, M.A. (1980), S. 149 ff.). Das Potential bestimmt die Organisation, diese legt die Planung fest, welche ihrerseits die Politik determiniert.

II. Allgemeine Grundlagen

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weltsituation (Komplexitt, Dynamik, Aufstand der Mittel) zu scheitern, fehlt dem modernen Extremtyp letztlich die Grenzziehung zur Umwelt. Fr ein erfolgreiches und berlebensfhiges Management sind somit beide Gestaltungsaspekte von Bedeutung. Darber hinaus gilt es festzuhalten, da logische Konsistenz im Sinne der structure follows strategy Hypothese bzw. deren Umkehr durchaus mit Mierfolg verbunden sein kann; das zeigen bspw. Teufelskreis- oder Krisenmodelle des Mierfolgs.56 Mit der Erkenntnis, da konsistente, einseitig ausgelegte Managementkonzepte wenig zielfhrend sind, und im Grunde beide widersprchlichen Grundaspekte (z.B. Flexibilitt und Stabilitt) bentigt werden, entstehen neue Idealtypen. Sie lassen sich zusammenfassen als all jene mittleren Managementkonzepte zwischen dem klassischen und modernen Extremtyp, sofern sie einem stimmigen Mischungsverhltnis bei allen Elementen folgen, d.h. nicht bei dem einen Element diesem und bei dem anderen Element jenem Grundaspekt nachkommen.57 Das Beziehungsverhltnis zwischen strategy and structure ist dann auch nicht mehr eindeutig bestimmbar.58 Damit machen diese mittleren Idealtypen zwar die widersprchlichen Anforderungen an das Management deutlich, geben allerdings insofern ein schlechtes Vorbild fr den Umgang mit kontradiktorischen Anforderungen ab, als sie sich nicht explizit mit Widersprchen im Management(system) befassen, sondern vielmehr darauf ausgelegt sind, diese Widersprche in Form eines Mittleren zu beseitigen.59 Wenngleich diese mittleren Managementkonzepte eine wichtige bergangsform zu den Anstzen des Dilemma-Managements im engeren Sinne darstellen und somit durchaus legitim erscheinen, demonstrieren sie doch, da die Fragen nach neuen Gestaltungen des Managementsystems nicht befriedigend beantwortet werden knnen. Zusammenfassend lt sich festhalten, da der hufig unterstellte positive Zusammenhang zwischen Stimmigkeit der Elementausprgungen und Erfolg Anla zur Kritik gibt. STEINMANN, SCHREYGG und SCHOLZ sehen bei den Fit-Konzepten die Gefahr einer Tautologie.60 Einerseits wird behauptet, da der Fit im Gestaltungsansatz zum Erfolg fhrt. Andererseits werden Beziehungszusammenhnge bei erfolgreichen

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Vgl. Krger, W. (1986), S. 17 Vgl. Remer, A. (1999a), S. 87 SCHEWE spricht z.B. von Strategie-Wahl-Hypothese, Fhigkeitsstruktur-Hypothese, ProzeStruktur-Hypothese oder Unabhngigkeits-Hypothese. Vgl. Schewe, G. (1999), S. 61 ff. Vgl. Van de Ven, A.H. (1983), S. 622 f.; Ford, J.D./Backoff, R.W. (1988), S. 82 Vgl. Steinmann, H./Schreygg, G. (1999), S. 577; Scholz, C. (1992), Sp. 544

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II. Allgemeine Grundlagen

Managementkonfigurationen als Fit bezeichnet, ohne deren innere Konsistenz und uere Kongruenz61 zu untersuchen. WELGE/ FESSMANN weisen in diesem Zusammenhang bereits frh darauf hin, da gerade auch nicht stimmige Gestaltungsmuster erfolgreich sein knnen.62 4. Dilemma-Management

Angesichts der oben beschriebenen Umweltbedingungen und dem Defizit konventioneller Managementkonzepte, erheben verschiedene Autoren den Widerspruch63 zu einem Gestaltungsprinzip im Management und messen ihm groe Bedeutung fr das Erlangen von Wettbewerbsvorteilen (auf der Meta-Ebene) und die Sicherung des Systemberlebens bei.64 In der vorliegenden Arbeit offenbart sich der Widerspruch in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird mit dem Widerspruch, auf der Ebene der einzelnen Elemente des Managementsystems, ein Gestaltungskontinuum zweier prinzipiell gegenstzlicher Merkmalsausprgungen aufgespannt; zum anderen ist mit dem Widerspruch die bewute, gemigt unstimmige Konfigurierung des Managementsystems mit seinen, nunmehr gleichrangigen, in wechselseitiger und spannungsgeladener Beziehung stehenden Elemente angesprochen.65 Auf der Ebene der einzelnen Managementelemente geht man davon aus, da allen Eigenschaften des Managements eine polar-kontrre Systemeigenschaft entgegengesetzt werden kann.66 Ein polar-kontrrer Gegensatz bezeichnet in diesem Zusammenhang einen Dualismus, der in Form eines bipolaren Begriffspaars (Antonym) ausgedrckt wird und zwei verschiedene Merkmalsausprgungen beschreibt,67 die nicht zu einer Einheit zusammengefat werden knnen (z.B. Flexibilitt vs. Stabilitt). Diese entwe61

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Die uere Kongruenz (situativer Ansatz) beschreibt die Stimmigkeit von Umweltfaktoren und Managementelementen. Die innere Konsistenz (Konfigurationsansatz i.e.S.) behandelt die Stimmigkeit zwischen den Managementelementen. Beide Anstze vereint stellen den erweiterten Konfigurationsansatz dar. Vgl. Mintzberg, H. (1992), S. 206 Vgl. Welge, M.K./Fessmann, K.D. (1980), Sp. 587 In der Literatur werden neben dem Begriff des Widerspruchs (Kirsch, W. (1990), S. 99 f.; Grimm, R. (1999), S. 30 ff.), die Begriffe Contradiction (Mintzberg, H. (1989), S. 272), Duality (Ford, J.D./Backoff, R.W. (1988), S. 87; Evans, P.A./Doz, Y. (1992), S. 85), Dilemma (Neuberger, O. (1995), Sp. 533 ff.; Gebert, D./Boerner, S. (1995); Fontin, M. (1997); Mller-Stewens, G./Fontin, M. (1997); Remer, A. (1999b)), Paradox/ Paradoxie (Quinn, R.E./ Cameron, K.S. (1988a), S. 290; Elsass, P.M. (1993); Bleicher, K. (1998), S. 193) oder parallele Komplementaritt (Weizscker, C.F. (1955), S. 522) verwendet. Vgl. Peters, T.J./Waterman, R.H. (1982), S. 318; Evans, P.A./Doz, Y. (1992), S. 87; Evans, P.A. (1997), S. 402; Pascale, R.T. (1991), S. 14 ff; Cameron, K.S. (1986), S. 539; Remer, A (1996), S. 168 f., 243 ff.; Remer, A. (1999b), S. 3 ff. Vgl. Dresse, S. (1997), S. 99 Vgl. Evans, P.A. (1991), S. 105; Evans, P.A. (1992), S. 256 f. Vgl. Ford, J.D./Backhoff, R.W. (1988), S. 87

II. Allgemeine Grundlagen

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der-oder-Haltung lt sich dahingehend modifizieren, da die polar-kontrren Gegenstze als Endpunkte eines Gestaltungskontinuums verstanden werden, im Rahmen dessen eine abgestufte Simultaneitt (im Sinne eines Mittleren) mglich ist. Eine derart graduelle sowohl-als-auch-Kombination, bedeutet allerdings, da die Zunahme der einen Ausprgung automatisch die Reduktion der anderen zur Folge hat und folglich nie beide Gegenstze zur gleichen Zeit und in vollem Umfang miteinander kombiniert werden knnen.68 Von Dilemma-Management kann dann insofern gesprochen werden, als fr den Manager, zu der Widerspruchslage zwischen den beiden gleichsam positiven Systemeigenschaften, eine Entscheidungs- bzw. Handlungsnotwendigkeit hinzutritt.69 Whrend diesen Erkenntnissen bereits mit den mittleren, stimmigen Managementkonzepten Rechnung getragen werden konnte,70 stellen die gemigt unstimmigen Konfigurierungen der Managementelemente nicht nur eine notwendige bergangsphase zu einem Paradigma dar, sondern liefern mit der Forderung nach einer widerspruchsorientierten Gestaltung des Managements selbst den Kern eines neuen Paradigmas.71 Ein Managementsystem kann in seiner konkreten Ausgestaltung nun zuviel, aber auch zuwenig einer notwendigen Eigenschaft (z.B. Flexibilitt oder Stabilitt) besitzen. Identifizieren lt sich eine komplementr widersprchliche Eigenschaft insofern, da jede Eigenschaftsausprgung dysfunktionale Wirkungen verursacht, falls sie nicht mit ihrem Gegenpol ausgeglichen wird. Im Zentrum eines Dilemma-Managements mu dann der Versuch stehen, die Strken beider Paradigmen sinnvoll miteinander auszutarieren. Die in diesem Zusammenhang aufkommende Frage nach der Bestimmung eines optimalen Ausgleichs des Spannungsfeldes lt sich weder allgemeingltig noch przise beantworten, sondern ist jeweils im Verhltnis zur Umwelt bzw. zum Problem und den Betroffenen zu sehen.72 Dies ist dann auch konform mit der Aussage, da die Umweltsituation innerhalb einzelner Wirtschaftssektoren, Branchen, Industrien und ber die Zeit hinweg variieren.73 GOSHAL und MINTZBERG stellen fest: There is not one best

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Vgl. Grimm, R. (1999), S. 32 Vgl. Mller-Stewens, G./Fontin, M. (1997), S. 3 Siehe Gliederungspunkt II.3. Zu den zentralen Werken, die sich diese Position durch empirische Studien und Beratungsauftrge erschlieen, zhlen die Arbeiten von Quinn, R.E./Cameron, K.S. (1988b); Pascale, R.T. (1991); Stacey, R. (1992); Handy, C. (1994); Collins, J.C./Porras, J.I. (1994) und Price Waterhouse Change Integration Team (1997). Vgl. Grimm, R. (1999), S. 29 Vgl. Mintzberg, H. (1993), S. 34 ff.

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II. Allgemeine Grundlagen

way to build and balance these diverse capabilities, probably not even any permanently good way for any enterprise.74 Dennoch oder gerade deshalb erscheint die Beschftigung mit Widersprchen im Management eine notwendige zu sein, womit deren Funktion angesprochen ist. So konstituieren die Gegenstze eines Widerspruchs ein Spannungsfeld, von dem insbesondere in Entscheidungssituationen positive Wirkungen ausgehen knnen. PASCALE erinnert in diesem Zusammenhang an die Bedeutung konstruktiver Konflikte, die den Brennstoff fr Selbsterneuerung75 liefern. Der Impuls in Richtung einer Vernderung resultiert dabei aus dem Umstand, da der Widerspruch eine bereits erreichte Sinnbestimmtheit wieder in Frage76 stellt und auf diese Weise zuknftigen Gestaltungen offen gegenbersteht. Folglich frdern Widersprche die kritische Reflexion ber die dem Denken und Handeln zugrundeliegenden Werte, Normen, Regeln oder Vorschriften und bieten die Mglichkeit einer Morphogenese77 sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der Ebene des Unternehmens. Die durch den Widerspruch hervorgerufene Spannung ist in ihrer Wirkung ambivalent. Einerseits kann sie in dosiertem Mae zu funktionalen Vernderungseffekten fhren, die sich etwa in Lernprozessen, Innovationen, Wachstum und Effektivitt widerspiegeln.78 Andererseits lst sie in bersteigertem Mae dysfunktionale Destabilisierungseffekte aus, wie Orientierungslosigkeit, Entscheidungs- und Handlungsunfhigkeit sowie destruktive Konflikte und Auseinandersetzungen.79 Zusammenfassend lt sich sagen, da die explizite Auseinandersetzung mit der durch den Widerspruch entstandenen Spannung per se Vernderungen in der Gestaltung des Managements induzieren kann. Im weiteren wird ein derartiger Widerspruch untersucht. Es handelt sich um das Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt, welches sich im Rahmen der Unternehmensfhrung stellt. Damit wurden bereits implizit die Notwendigkeit und die Grenzen einer Vernderungsorientierung angesprochen.

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Goshal, S./Mintzberg, H. (1994), S. 26 Vgl. Pascale, R.T. (1991), S. 31; vgl. auch Mandl, C./Mandel, L. & Partner (1999), S. 52 ff. Luhmann, N. (1994), S. 493 SMITH spricht im Zusammenhang mit der Morphogenese von der Vernderung des genetischen Codes, die bei der Morthogenese eben nicht stattfindet. Vgl. Smith, K.K. (1984), S. 285 f. Vgl. Evans, P.A. (1997), S. 138; Norman, R. (1977), S. 103 ff.; Cameron, K.S. (1986), S. 539 ff. Vgl. Dell, P.F. (1981), S. 131 f.; Ford, J.D./Backoff, R.W. (1988), S. 88; Pascale, R.T. (1991), S. 44

II. Allgemeine Grundlagen

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II. Allgemeine Grundlagen

III. Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt

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Teil III:1. 1.1.

Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt

Flexibilitt und Vernderung Begriff und Abgrenzung

Der Begriff Flexibilitt steht seit der in den 60er Jahren beginnenden intensiven Beschftigung mit der Umweltdynamik im Fokus zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen.80 Aufgrund der unterschiedlichen Untersuchungsperspektiven81 hat sich keine einheitliche Terminologie durchgesetzt.82 Im folgenden wird unter Bezugnahme auf die Systemtheorie das dieser Arbeit zugrundeliegende Begriffsverstndnis formuliert. In einer ersten Annherung kann mit HILLMER unter Flexibilitt die Fhigkeit verstanden werden, einen vernderten Systemzustand annehmen zu knnen.83 Als Synonym dient der Begriff Vernderlichkeit.84 Vernderungen stellen dabei allgemein den bergang von einem aktuellen Zustand in einen neuen Zustand dar.85 KLIMECKI, PROBST und GMR definieren Flexibilitt als (...) die Fhigkeit einer Unternehmung, erforderliche Vernderungen zu realisieren, stabile Strukturen und Routinen aufzubrechen trotz einer natrlichen Tendenz zur Stabilisierung und Routinisierung.86 Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, da soziale Systeme sich laufend selbst stabilisierende Einheiten sind und Vernderungen im Zeitablauf routinisiert werden, was zur Entstehung stabiler Muster fhrt. Dieser Begriffsauffassung wird im weiteren nicht zuletzt aufgrund der Bezugnahme auf das Spannungsfeld gefolgt. Im Hinblick auf die Unternehmensfhrung geht es dann um die Schaffung und Erhaltung von Flexibilittspotentialen sowie ihr Einsatz zum richtigen Zeitpunkt und an der richtigen Stelle. Diese Aktivitten sollen dazu beitragen, unbestimmte Aufgaben in der Zukunft bewltigen zu knnen, die zum gegenwrtigen Zeitpunkt selbst noch nicht bestimmbar sind.87 Mit REMER lt sich Flexibilitt im Management mittels dem

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Vgl. z.B. Hax, H./Laux, H. (1972); Hedberg, B. (1984); Hauschildt, J./Leker, J. (1990); Schneewei, C./Khn, M. (1990); Reese, J. (1991); Kaluza, B. (1993); Klimecki, R.G./Probst, G.J./Gmr, M. (1993); Chaharbaghi, K./Nugent, E. (1994); Battmann, W. (1997); Pieters, G.R./Young, D.W. (2000); March, J.G./Schulz, M./Chou, H.K. (2000) Im Mittelpunkt stehen Untersuchungen von Flexibilittsaspekten in der Produktions-, Kosten-, Entscheidungs- und Organisationstheorie. Vgl. Kritik von Hill, T.J./Chambers, S. (1991), S. 5 ff. Vgl. Hillmer, H.J. (1987), S. 13; auch Volberda, H.W. (1996), S. 360 Remer, A. (1999a), S. 9 Vgl. Goodman, P.S. & Associates (1982), S. 2 Klimecki, R.G./Probst, J.B./Gmr, M. (1993), S. 24 KLIMECKI und GMR sprechen in diesem Zusammenhang auch von Flexibilisierung des sozialen Systems Unternehmung. Vgl. Klimecki, R.G./Gmr, M. (1997), S. 207

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III. Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt

Merkmal der Standardisierung,88 d.h. der zeitlichen Dauerhaftigkeit (Standardisierungsart) und Dauergltigkeit (Standardisierungsgrad) von Gestaltungsregeln realisieren.89 Whrend mit der zeitlichen Dauerhaftigkeit die zukunftsorientierte Stabilitt von Gestaltungsregeln im Management gemeint ist, wird mit der zeitlichen Dauergltigkeit deren Befristung sowie die fallweise Zulssigkeit von Ausnahmen angesprochen. Als Arbeitsdefinition soll folgendes festgehalten werden: Die Flexibilitts- bzw. Vernderungsorientierung in der Unternehmensfhrung lt sich definieren, als die Ausrichtung an den zuknftigen Bestands- und Erfolgsbedingungen, die den dynamischen Umstnden entsprechend, zu zeitlich befristeten und situativen Fall zu Fall Gestaltungen fhrt.90 Um an dieser Stelle einem mglichen Ausgleich des Spannungsfeldes zwischen Flexibilitt und Stabilitt91 entgegenzuwirken, bedarf es einer Begriffsabgrenzung zur Elastizitt. Elastizitt (Anpassungsfhigkeit92) wird hier verstanden als die Fhigkeit eines Systems, sich durch das Einrumen von Freiheitsgraden93 innerhalb gegebener Strukturen an wandelnde Erfordernisse anpassen zu knnen. Demnach kommt es nicht zu Vernderungen i.e.S., sondern lediglich zu Anpassungen innerhalb eines bestehenden Rahmens. Im folgenden wird daher bei der Untersuchung von Vernderungsorientierung wie auch bei der spteren Stabilittsorientierung von einer hohen Przisierung und Detaillierung der Gestaltungsregeln ausgegangen. 1.2. Notwendigkeit von Flexibilitt und Vernderung

Da soziale Systeme keine autarken Gebilde94 darstellen, sondern in ihrer Umwelt integriert sind, die sie zwar beeinflussen aber nicht beherrschen knnen, (...) stellt die Anpassung an sich wandelnde Umweltbedingungen fr jedes Unternehmen eine notwendige Voraussetzung zur Bestandssicherung und zur nachhaltigen Zielerreichung dar.95 Die Sicherung des Systembestandes oder synonym die Erhaltung der berlebensfhig88

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In der Organisationsliteratur ist demgegenber mit Standardisierung mehr eine inhaltliche als eine zeitliche Festlegung gemeint. Vgl. Hill, W./Fehlbaum, R./Ulrich, P. (1989), S. 266 ff., 296 f. Vgl. Remer, A. (1999a), S. 9; Remer, A. (1996), S. 98 f. Bestandsbedingungen sind in der Zukunft liegende Erfordernisse des Bestandsmodells. Erfolgsbedingungen basieren dagegen mehr auf dem Zweckmodell. Siehe dazu Gliederungspunkt IV.2. Vgl. Remer, A. (1999a), S. 8 Vgl. Sanchez, R. (1993), S. 251 ff.; Thompson, J.D. (1967) Milling, P. (1981), S. 16. Unternehmen sind vielmehr (existentiell) auf die Austauschbeziehungen mit ihrer Umwelt angewiesen. Msser, G. (1982), S. 35 f.

III. Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt

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keit des sozialen Systems kann dabei als abstraktes oberstes Unternehmensziel aufgefat werden, das fr theoretische berlegungen dazu geeignet ist, Existenzbedingungen der Unternehmung in einer sich wandelnden Umwelt ableiten zu knnen.96 Die Lebensfhigkeit des sozialen Systems wird aber nicht nur durch Umweltdynamik, sondern auch durch systeminterne Vernderungen beeinflut, weshalb Flexibilitt sowohl hinsichtlich systemexterner als auch systeminterner Strungen notwendig ist.97 Unser Fokus soll auf der Bewltigung der Umweltdynamik liegen und damit beschrnken wir uns weitgehend auf systemexterne Strungen als Ursachen fr den Flexibilittsbedarf.98 Dennoch sollte nicht bersehen werden, da es der innere Systemzustand und die inneren Vernderungsprozesse sind, die die Systemflexibilitt bzw. -inflexibilitt in hohem Mae bestimmen.99 Umweltdynamik wurde oben als eine sich im Zeitablauf verndernde Gre identifiziert, die zu Unsicherheit in Handlungs- und Entscheidungssituationen fhrt.100 Die Unsicherheit besteht dabei in einem Informationsdefizit101 bezglich Frequenzialitt, Intensitt und Regularitt der Umweltvernderungen. Im Rahmen der Unternehmensfhrung geht es darum, das Managementsystem so zu gestalten, da das soziale System in die Lage versetzt wird, Unsicherheit handhaben zu knnen. Das Problem der Handhabung von Dynamik liegt darin, da es sich um Informationen handelt, die in der Zukunft liegen und fr die die Vergangenheit und die Gegenwart kaum Anhaltspunkte geben knnen.102 Eine Extrapolation von Informationen der Vergangenheit erscheint somit nur bedingt sinnvoll zu sein.103 Daraus leitet ANSOFF seine Forderung nach einer strategischen Frhaufklrung (strategic issue management) unter besonderer Bercksichtigung sogenannter schwacher Signale (weak signals) sowie einem Management

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Vgl. Ulrich, H. (1970), S. 101 Vgl. Price Waterhouse Change Integration Team (1997), S. 46; Klimecki, R.G./Probst, G.J./Gmr, M. (1993), S. 24 Internen Vernderungen wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur weniger Beachtung geschenkt. Dabei kann es sich um nicht oder nur eingeschrnkt vermeidbare Strungen, wie etwa den Ausfall einer Produktionsanlage, oder auch um gezielt herbeigefhrte Vernderungen, wie z.B. die Einfhrung flexibler Fertigungssysteme, handeln. Vgl. Hillmer, H.J. (1987), S. 15 Vgl. Hillmer, H.J. (1987), S. 10 f.; siehe dazu Gliederungspunkt III.1.3. Siehe Gliederungspunkt II.2.1. Das Informationsdefizit ist in die Komponenten der Unvollstndigkeit, Unbestimmtheit und Unsicherheit zerlegbar. Unvollstndigkeit der Informationen drckt aus, da notwendige Informationen fehlen. Mangelnde Przisierung vorhandener Informationen ist als Unbestimmtheit aufzufassen. Unsicherheit besagt, da die in der Information enthaltenen Aussagen nicht zweifelsfrei mit der Realitt bereinstimmen. Vgl. Kubicek, H./Thom, N. (1976), S. 4001 f.; Klimecki, R.G./Gmr, M. (1997), S. 207 Vgl. Gergen, M.M. (1992), S. 70

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III. Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt

strategischer berraschungen (strategic surprise management) ab.104 hnlich uert sich SALIPANTE: Emphasis is on the rapidity of recognizing change in the environment and responding to the change in a rational, calculated fashion that formulates a new strategy [and structure; A.d.V.] (...).105 Aber auch Manahmen wie der Einsatz verbesserter Informationsgewinnungs- und -verarbeitungstechniken (z.B. Risikoberwachungs-/Frhaufklrungssysteme) knnen die Unvollkommenheit der Informationen niemals aufheben.106 Insbesondere die Sicherheit von Informationen und deren Auswirkungen lt sich letztlich nur a posterior berprfen, wenn letztere schon eingetreten sind.107 Dies spricht dann fr die These von HILLMER, wonach Flexibilitt nicht nur gerichtet, an absehbaren potentiellen Vernderungen, sondern auch ungerichtet, an nicht antizipierbaren, zuknftigen Vernderungen orientiert sein sollte.108 Die eher informationstheoretischen berlegungen sollen um Erkenntnisse der Systemtheorie erweitert werden.109 Dabei sind mit der Vorstellung eines offenen Systems die Gestaltungen im Management angesprochen, die sich auf die Anpassungsfhigkeit an vernderte Bedingungen des Supersystems, d.h. der Umwelt beziehen.110 So wird im Rahmen der Allgemeinen Systemtheorie mit der Kybernetik die Selbstregelungsfhigkeit offener Systeme durch Rckkoppelungsprozesse begrndet.111 Entsprechend dem Leitmotiv: All change can be interpreted as an effort to remain some constancy, perhaps a very abstract constancy such as survival or profitability,112 geht es darum, einen Gleichgewichtszustand zwischen dem sozialen System und seinen relevanten Umsystemen zu erhalten bzw. immer wieder neue zu erreichen,113 was einem dynamischen Fliegleichgewicht entspricht. Daraus leitet ULRICH die Notwendigkeit einer zeitlichen Systemffnung ab, bei der die Vorstellung festgelegter Systemstrategien104 105 106 107 108

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Ansoff, H.I. (1976), S.129 ff.; Ansoff, H.I./McDonnell, E.J. (1990), S. 12 ff. Salipante, P.F. (1992), S. 134 Vgl. Hax, K. (1966), S. 450 Vgl. Hillmer, H.J. (1987), S. 17 Vgl. Hillmer, H.J. (1987), S. 32; hnlich Msser, G. (1982), S. 209 ff, 237 ff. gezielte ungezielte Der Systemansatz weist eine Reihe von Vorzgen auf, die im weiteren in der Anwendung von verschiedenen Systemeigenschaften wie Komplexitt und Dynamik, Offenheit und Zweck- und Zielorientiertheit liegen, die vor allem fr soziale Phnomene typisch sind, sowie die Einbeziehung der Ganzheitsbetrachtung, die fr die praktische Problemlsung von Bedeutung ist und der Bercksichtigung von Informations- und Kommunikationsprozessen. Vgl. Siegwart, H. (1985), S. 96 Offenheit bedeutet schlicht und einfach, da wir ein Unternehmen nicht als ein abgeschlossenes System betrachten knnen, sondern es immer eingebettet in ein umfassendes (Super-)System betrachten mssen. Vgl. Siegwart, H. (1985), S. 97 Vgl. Probst, G.J. (1981), S. 254 ff. Bateson, M.C. (1992), S. 36 Vgl. Msser, G. (1982), S. 37

III. Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt

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und -strukturen114 aufgegeben wird und statt dessen auf laufende Vernderungen und Vervollkommnung gesetzt wird.115 Verndert sich das Umfeld laufend, sind bestehende Plne, Regelungen, etc. stets gefhrdet: Chancen und Gefahren tauchen pltzlich auf und knnen ebenso schnell wieder verschwinden. Die Position des sozialen Systems verndert sich dadurch andauernd und mglicherweise zum Nachteil, wenn es nicht immer wieder gelingt, die eigenen Strken und Schwchen auf die neuen sowie auf die zuknftig zu erwartenden Bedingungen auszurichten und sich damit Handlungspotentiale fr die Zukunft zu sichern. Fr das soziale System erfordert dies Flexibilitt. Sie zu schaffen und zu erhalten ist die Funktion des flexibilittsorientierten Managements.116 Mit VESTER lt sich abschlieend festhalten, da Flexibilitt das wichtigste Potential zur Anpassung an sich wandelnde Anforderungen darstellt.117 Dieser Auffassung folgt auch GERGEN: The organization that will survive is best able to construct a reality that includes unanticipated, erratic permutations of existing circumstances.118 Mithin handelt es sich bei Flexibilitt um eine Basiseigenschaft dynamisch-offener Systeme.119 In Abhngigkeit vom situativen Umweltkontext und von systemspezifischen Gegebenheiten ist dem Postulat der Flexibilitt um so mehr Nachdruck zu verleihen, je weit- und tiefgreifender die systemrelevanten Umweltvernderungen sind bzw. je grer die Unsicherheit und je hher die Unvollkommenheit der Informationen ist. 1.3. Ursachen mangelnder Flexibilitt und Vernderung

Angesichts der zunehmenden Komplexitt und Dynamik kommt es innerhalb des sozialen Systems anstelle einer zeitlichen Systemffnung hufig zur Entstehung stabilisierender, systemschlieender Verhaltensweisen und Strukturen, die einer Flexibilisierung entgegenstehen.120 Als Ursachen mangelnder Flexibilitt lassen sich dabei verschiedene Mechanismen und Faktoren im sozialen System identifizieren. Zahlreiche Studien exzellenter Unternehmen belegen, da gerade ehemals sehr erfolgreiche soziale Systeme eine geringe Vernderungsfhigkeit aufweisen, woraus114

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System wird hier als Oberbegriff gewhlt, da von Management nur solange gesprochen werden kann, wie noch die Systemvorstellung, insbesondere die Vorstellung einer Systemgrenze, aufrecht erhalten werden kann. Vgl. Remer, A. (1996), S. 245 Vgl. Ulrich, P. (1984), S. 303 ff. Vgl. Klimecki, R.G./Probst, G.J./Gmr, M. (1993), S. 6 Vgl. Vester, F. (1988), S. 41 f. Gergen, M.M. (1992), S. 70 Vgl. Klimecki, R.G. (1987), S. 342 Es wird zugrunde gelegt, da Vernderungen auf Entscheidungen von Systemmitgliedern basieren.

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III. Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt

krisenhafte Entwicklungen resultieren knnen.121 PASCALE umschreibt dieses Problem mit einer zu hohen Selbstgeflligkeit des sozialen Systems und der Fhrungskrfte im Speziellen.122 Gerade die Unternehmen, die in einem bestimmten Bereich ber herausragendes Wissen verfgen, haben es oft schwer, eben dieses Wissen in Frage zu stellen und neue Wege zu gehen. HANDY formuliert in pragmatischer Weise (...) that what got you where you are wont keep you where you are, is a hard lesson to learn.123 Die aus einer spezifischen und herausragenden Kenntnis resultierende Selbstzufriedenheit bietet den Nhrboden fr eine Unfhigkeit, z.B. das Obsoletewerden von Wettbewerbsregeln oder Vernderungen der Marktstrukturen rechtzeitig zu erkennen.124 Durch diese rigide Verhaltensweise verfngt sich das soziale System im Teufelskreis eines mehrdesselben und verpat damit die Chance, durch die eigene Vorreiterrolle die Umwelt zu gestalten.125 In diesem Sinne luft das soziale System ferner Gefahr, sich durch das verzweifelte Bemhen die ehemals fhrende Position zu verteidigen, weiter in erfolgswirtschaftliche und berlebensbedrohliche Krisen zu manvrieren.126 Eine weitere Ursache von Inflexibilitt ist darin zu sehen, da strategische und operative Aktivitten innerhalb sozialer Systeme von bestimmten Handlungs- und Verhaltensmustern127 geprgt sind, die im genetischen Code,128 in cognitive maps129 oder frames of reference130 der Fhrungskrfte gespeichert sind. Diese, auf Informationen, persnlichen Erfahrungen und berzeugungen basierenden Muster, verfestigen sich im retrospektiven Bezugsrahmen des Managements und beeinflussen das Ergebnis knftiger Entscheidungen.131 Insbesondere in einer von Turbulenz und Diskontinuitt121

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126

127 128 129 130 131

Vgl. dazu Pascale, R.T./Athos, A.G. (1981) oder Pascale, R.T./Athos, A.G. (1982), Untersuchung von japanischen und amerikanischen Unternehmen; Peters, T.J./Waterman, R.H. (1982), Untersuchung von 43 herausragenden Unternehmen, von denen nach fnf Jahren lediglich noch 14 ihren Status gehalten hatten. Vgl. Pascale, R.T. (1991), S. 13 Handy, C. (1994), S. 60; hnlich Hammer, M./Champy, J. (1994), S. 22. Dieses Phnomen wird in der Literatur als Erfolgsparadoxon bezeichnet. Vgl. ONeill, J.R. (1993); Elsass, P.M. (1993). Vgl. Pascale, R.T. (1991), S. 53 f.; sowie Foster, R.N. (1986), S. 29 ff.; Hedberg, B. (1981), S. 22 f. In fact, it appears that when taken to excess the same things that drive success focused, triedand-true strategies, confident leadership, galvanized corporate cultures, and especially the interplay of all these elements also cause decline. Miller, D. (1992), S. 24 Vgl. Masuch, M. (1985), S. 14 ff.; So spricht EVANS davon, da dann in erster Linie diejenigen Strukturen und Strategien ausgebaut, effizienter und produktiver gestaltet werden, die zum Erfolg gefhrt haben, ohne zu berprfen, ob es sich dabei berhaupt noch um die richtigen Strukturen und Strategien handelt. Vgl. Evans, P.A. (1991), S. 108 Vgl. Bettis, R.A /Prahalad, C.K.(1995), S. 5 ff. Hamel, G./Prahalad, C.K. (1995), S. 89 ff. Fiol, C.M./Huff, A.S. (1992), S. 267 ff. Shrivastava, P./Mitroff, I.I. (1983), S. 161 ff. Vgl. Stacey, R. (1995), S. 77

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gekennzeichneten Umwelt wird dann hufig auf diese (ehemals) erfolgreichen Bezugsrahmen zurckgegriffen, um ein existentes Informationsdefizit auszugleichen. Plakativ gesprochen werden somit die guten Ideen der Vergangenheit zu den Richtlinien der Gegenwart und den Grundstzen der Zukunft erhoben, gegebenenfalls auch, wenn die Umwelt lngst andere Verhaltensweisen erforderlich macht.132 Nach SPILLMANN fhrt dies (...) hufig zu einer Verkrampfung und Erstarrung, was das flexible und kreative Eingehen auf die Erfordernisse einer neu konfigurierten Wirklichkeit behindert und die permanente Lernfhigkeit einschrnkt.133 In hnlicher Weise lt sich der Einflu der Unternehmenskultur beurteilen. Ungeachtet der positiven Einflsse starker Unternehmenskulturen als Selektions- und Integrationsmechanismus134 mu eingerumt werden, da in Bezug auf die Vernderungsfhigkeit starke Kulturen unsichtbare Barrieren darstellen, die sich speziell in strategischen Entscheidungen negativ auswirken knnen.135 So verhindern starke Unternehmenskulturen vor dem Hintergrund einer hohen Umweltdynamik notwendige Vernderungen,136 indem dem herrschenden Weltbild zuwiderlaufende Vorschlge abgelehnt oder gar nicht erst wahrgenommen werden. HAMEL und PRAHALAD formulieren auf imposante Weise: Zwischen Sozialisierung und Gehirnwsche verluft nur eine dnne Trennlinie.137 Darber hinaus besteht die Tendenz, Probleme der Gegenwart gegenber erst entstehenden Problemen hher zu bewerten. Hervorstehende Probleme besetzen dabei einen berproportionalen Teil der Aufmerksamkeit auf das, was bemerkt worden ist, und nicht auf das, was bemerkenswert ist.138 So stellt ABELL fest, da sich Unternehmen zum Teil so intensiv mit der Gegenwart auseinandersetzen, da sie den Blick auf knftige Ereignisse komplett verlieren.139 Als weitere Barriere von Flexibilitt in sozialen Systemen sind verhaltenswissenschaftliche Aspekte der einzelnen Systemmitglieder anzufhren. So mangelt es etwa im Rahmen der Entscheidungsfindung an der Aufgeschlossenheit der Fhrungskrfte gegenber Vernderungen insbesondere gegenber solchen, die diese Personengruppe132 133 134 135 136 137

138 139

Vgl. Hamel, G./Prahalad, C.K. (1995), S. 90 ff. Spillmann, K. (1991), S. 69 Vgl. Sackmann, S.A. (1990), S. 164 Vgl. Lorsch, J.W. (1986), S. 95 ff.; vgl. auch Denison, D. (1990), S. 79 f. Vgl. Wilkins, A./Ouchi, W. (1983); Schein, E. (1985) Hamel, G./Prahalad, C.K. (1995), S. 103; LORSCH weist in diesem Zusammenhang auf Manahmen im Bereich Personalauswahl und -entwicklung hin. Vgl. Lorsch, J.W. (1985) Vgl. Isenberg, D.J. (1987), S. 112 Vgl. zum Dilemma zwischen Gegenwarts- und Zukunftsorientierung ABELL, D.F. (1993), S. 6.

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III. Spannungsfeld von Flexibilitt und Stabilitt

selbst betreffen. Dabei fehlt es oft an der Bereitwilligkeit, entsprechende Informationen in den Proze der unternehmerischen Willensbildung und -durchsetzung mit einflieen zu lassen.140 Neben der Bereitschaft, einzuleitende oder bereits eingeleitete Anpassungsmanahmen nicht zu unterlaufen oder gar zu sabotieren, sondern zu untersttzen, erfordert dies die dazu notwendige individuelle Fhigkeit.141 hnliches gilt fr Mitglieder des sozialen Systems, die keine Fhrungsposition einnehmen, die ebenso an physische und psychische Grenzen der Vernderungsbereitschaft und -fhigkeit stoen. So ist gemeinhin bekannt, da Vernderungen bei den Mitarbeitern zu Angst, Stre und Frustration fhren, besonders wenn zwischen der eigenen Einschtzung der Fhigkeiten und den gestellten Anforderungen ein zu groer Unterschied besteht.142 Schlielich existieren noch viele Grnde, die fr eine allgemeine Trgheit 143 des sozialen Systems sprechen und somit deren Vernderungsfhigkeit einschrnken. Prinzipiell kann davon ausgegangen werden, da die gesamte aufgabenspezifische Umwelt, d.h. die Kunden, Lieferanten, Konkurrenten, Geldgeber und der Staat mehr oder weniger stark ausgeprgte Flexibilittsbarrieren darstellen. Dazu gehren z.B. kapitalbindende Investitionen in Gebude, Maschinen und Personal, aber auch rechtliche, wirtschaftliche und fiskalische Eintritts- und Austrittsbarrieren. 1.4. Positive Wirkungen von Flexibilitt und Vernderung

Wenn im folgenden die positiven Wirkungen einer Flexibilisierung des Managements untersucht werden, so ist zugleich daran gedacht, da diese mit den negativen Wirkungen einer Stabilisierung korrespondieren. Zur Beurteilung der jeweiligen Implikationen lt sich allgemein das Zweck- vom Bestandsmodell des sozialen Systems unterscheiden. Whrend der Zweck eines Unternehmens mehr an den Erfolgskriterien (z.B. Gewinn) orientiert ist, tendiert der Bestand mehr zum bloen Systemberleben (z.B. langfristige Existenzsicherung). Beide Modelle sind im weiteren von Bedeutung, wobei die Flexibilitt kaum unmittelbare Aussagen zum mebaren Erfolg (ex ante) zult. Unter erfolgswirtschaftlichem Gesichtspunkt manifestiert sich der Nutzen von Flexibilitt entweder in der Einsparung von realen Kosten oder der Vermeidung von Inflexibilittskosten, d.h. von Kosten, die dem sozialen System im Falle einer zu gerin140 141 142 143

Damit ist das Besitzstandsdenken angesprochen. Vgl. Kobi, J.M. (1994), S. 36 ff. Vgl. Hillmer, H.J. (1987), S. 26 Vgl. Kobi, J.M. (1994), S. 37 Von allgemeiner Trgheit soll hier gesprochen werden, da es sich um Flexibilittsbarrieren handelt, die bei Unternehmen generell auftreten und die nur bedingt beeinflubar sind.

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gen Flexibilitt entstehen wrden. Lediglich im Falle von vorhersehbaren potentiellen Vernderungen ist der Nutzen i.d.R. mehr oder weniger exakt bestimmbar.144 Gemeinhin lt sich der Nutzen aber nicht direkt quantifizieren, da es sich um im voraus unbestimmbare Vernderungsbedarfe handelt.145 Somit sind die positiven Wirkungen von Flexibilitt globaler zu formulieren. Allgemein ist davon auszugehen, da Flexibilitt die umweltbezogene Problemlsungsfhigkeit eines sozialen Systems frdert146 und damit zu einer fr das Systemberleben kritischen Ressource wird.147 So kann die flexible Gestaltung des Managements zur Effektivittssteigerung148 beitragen. Durch die verbesserte Anpassung an die systemrelevante Umwelt wird bspw. den Kundenbedrfnissen, den Mitarbeitern und sonstigen Erfordernissen besser und schneller entsprochen. Aber auch negative Vernderungen, wie z.B. ein drohender Markanteilsverlust durch das Auftauchen von neuen Wettbewerbern, kann durch Flexibilitt verhindert oder zumindest verringert werden. Auf der anderen Seite ermglicht Flexibilitt unerwartete Chancen, wie z.B. das aktive Mitgestalten der Systemumwelt durch eine Vernderung der Strategie. Dadurch lassen sich gegebenenfalls erfolgs- und bestandsgefhrdende Krisen vermeiden. Flexibilitt kann darber hinaus auch positive Wirkungen auf die Systemeffizienz ausben. Die Behauptung, efficiency and flexibility are opposed to each other,149 ist fr sich genommen falsch. Denn selbst bei kurzfristiger Betrachtungsweise kann ein flexibles System effizienter arbeiten als ein stabiles, nmlich genau dann, wenn es dem Kriterium der Effektivitt folgt.150 In turbulenten Zeiten frdert eine gemigte Flexibilisierung die Systemidentitt.151 Soziale Systeme sind nicht nur sinnkonstruierte, sondern auch sinnkonstruierende Gebilde.152 Sinn ist aber eine subjektive Kategorie, da er vom handelnden Menschen her bestimmt wird. Durch die Gestaltung des eigenen Lebens mu der Mensch die Sinn-

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Vgl. Mssner, G. (1982), S. 333. So kann man bspw. relativ genau die Kosten berechnen, die aufgrund eines Produktionsstillstands wegen Inflexibilitt (z.B. personeller Engpsse) entstehen. Vgl. Mssner, G. (1982), S. 235 Vgl. Klimecki, R.G./Probst, G./Eberl, P. (1994), S. 15 Vgl. Steinmann, H./Schreygg, G. (1999), S. 622 Als effektiv gilt eine Manahme, durch die ein definiertes Ziel erreicht wird. Effizient ist eine Manahme dann, wenn durch sie ein definiertes Ziel mit mglichst geringem Aufwand erreicht wird. Vgl. Hill, W./Fehlbaum, R./Ulrich, P. (1989), S. 161 Ehrlemark, U. (1984), S. 94 Vgl. dazu Hillmer, H.J. (1987), S. 38 f. Vgl. Klimecki, R.G/Probst, G.J./Eberl, P. (1994), S. 15 Vgl. Luhmann, N. (1971a), S. 30 f.

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haftigkeit der eigenen Position in der Welt immer wieder neu erwerben.153 Daher ist eine Vernderungsfhigkeit des Management(system)s notwendig, um einer Gefhr-dung der Systemidentitt als Folge des Auendrucks begegnen zu knnen. Damit ist auch die Entwicklungsfhigkeit der Systemmitglieder und des sozialen Systems angesprochen. So strebt sowohl der Einzelne latent nach Vernderungen und persnlicher Weiterentwicklung als auch das soziale System nach Innovationskraft, um langfristig den Bestand zu sichern.154 Indem die Systemmitglieder mit gemigten und vertrglichen Vernderungen konfrontiert werden, trgt dies zur persnlichen Weiterentwicklung, zur Selbstverwirklichung, zur Motivation und zu individuellen Lernprozessen bei. Zuwenig Vernderung fhrt umgekehrt zu Frustration, Leistungsabfall und sich im Zeitablauf intensivierender Langeweile.155 Analog dazu kommt es im sozialen System zu beschleunigten Lernprozessen und verstrkter Innovationskraft. Abschlieend gilt es festzuhalten, da Flexibilitt und die damit verbundenen Vernderungen im Management einen langfristigen Nutzenbeitrag leisten. Da die Inanspruchnahme von ungerichteter Flexibilitt zu keinem Nutzenverzehr fhrt (z.B. Mitarbeiterqualifikation), vermag diese langfristig einen mittelbaren Beitrag an dem Systemerfolg (z.B. langfristiger Gewinn) zu leisten. Zudem entfaltet jede Flexibilitt generierende Manahme einen multiplen, sich kaskadenartig fortpflanzenden Nutzen. Man denke hier bspw. an eine Verbesserung der Informations- und Kommunikationswege durch sich verndernde Organisationsstrukturen.

1.5.

Maximierung von Flexibilitt und Vernderung

Aufgrund der hohen Bedeutung von Flexibilitt bzw. der Vernderungsorientierung im Management knnte man zu der Schlufolgerung gelangen, da das soziale System deren Maximierung anstreben sollte. Die Vorstellung, da es dem sozialen System um so besser geht, je flexibler es ist, stellt aber eine fehlerhafte Interpretation aus der Forderung nach einer hohen Flexibilitt dar. Das soziale System wrde dadurch ein einmal153 154 155

Vgl. Klimecki, R.G./Probst, G.J./Eberl, P. (1994), S. 79 Vgl. Sander, M. (1995), S. 37 Studien ber die Arbeitsplatzzufriedenheit (vgl. Katz, R./Van Maanen, J. (1976); Hackman, J./ Oldham, G. (1980)) ergaben, da Mitarbeiter nach fnf bis sieben Jahren ihren Arbeitsplatz langweilig finden und die Beziehung zwischen Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz und dem Anteil motivierender Aufgaben innerhalb des selben Zeitraums stark sinkt.

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erreichtes Anpassungsniveau immer krzer beibehalten und produktiv nutzen knnen. berzogen formuliert wre das soziale System zu keinem Leistungsvollzug mehr in der Lage, da es alle seine Ressourcen nur noch dazu verwenden wrde, sich an die Umweltdynamik anzupassen. Aber auch unter Vernachlssigung dieser Extremvorstellung, in der Flexibilitt zum Selbstzweck verkme, wrde bertriebene Flexibilitt immer noch in ein Chaos mnden. Eine nicht reduktionistische Anpassung an von der Umwelt ausgehende Signale wrde das soziale System seiner Ausrichtung auf die bergeordneten Zwecke und Ziele berauben und somit den Leistungsvollzug in hohem Mae beeintrchtigen. Daher ist festzuhalten, da die Maximierung der Flexibilitt in einer vollkommenen Fluiditt (zeitliche Systemffnung) mnden und letztlich das Systemberleben gefhrden wrde. Damit der negative Fall einer zu hohen Flexibilitt nicht eintritt, mu es in sozialen Systemen offensichtlich (...) ein Pendant zum Flexibilittserfordernis geben, das derartige Ausuferungen unterbindet: Die Notwendigkeit zur Systemstabilitt.156 2. 2.1. Stabilitt und Kontinuitt Begriff und Abgrenzung

Der Begriff Stabilitt erfhrt heute, gerade im Zusammenhang mit der Diskussion ber die Zunahme der Umweltdynamik, eine negative Konnotation. Der Fhigkeit zur Vernderung (Flexibilitt) wird dann nicht selten die Unfhigkeit zur Vernderung (Stabilitt) entgegengesetzt. Dieser Standpunkt findet hier keine weitere Bercksichtigung. Der Aspekt der Stabilitt bleibt nmlich insofern von Bedeutung, als in sozialen Systemen weiterhin an bestimmten Orientierungspunkten (z.B. Systemzweck157) festgehalten werden mu. Als Synonym zur Stabilitt wird im folgenden der Begriff Kontinuitt verwendet, der auf die zeitliche Stetigkeit verweist. So spricht BARTESON davon, da The term continuity refers to a degree of sameness sustained through time.158 hnlich uert sich GERGEN mit einem relativen Stabilittsbegriff (relative stability159) hinsichtlich der Umweltdynamik. Eine umfassende Definition geben FRY und SRIVASTVA, die Kontinuitt bezeichnen als (...) the connectedness over time among organizational156 157

158 159

Hillmer, H.J. (1987), S. 41 Der Zweck orientiert sich dabei aber nicht mehr lediglich wie bspw. im Verstndnis von Max Weber an systeminternen Zielen, sondern mu auch systemexterne Erfordernisse bercksichtigen. Bateson, M.C. (1992), S. 27 Gergen, M.M. (1992), S. 53

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efforts and a sense of ongoingness that links the past to the present and the present to the future hopes and ideas.160 Diese Begriffsauffassung wird vorliegender Arbeit prinzipiell zugrundegelegt. Stabilitt stellt dann die Fhigkeit dar, einen vergangenen Systemzustand aufrechtzuerhalten trotz einer sich dynamisch entwickelnden Systemumwelt. Ergnzend soll hinzugefgt werden, da Stabilitt dabei weniger im Sinne einer vlligen Abschottung gegenber Umweltentwicklungen aufzufassen ist, sondern vielmehr als systeminterner Stabilisator zur Erreichung eines Gleichgewichts zwischen Manahmen der zeitlichen Systemffnung und -schlieung.161 Somit ist das Spannungsfeld in seinen Bandbreiten aufgebaut. Im Hinblick auf die Unternehmensfhrung lt sich dann mit REMER Stabilitt im Management mittels dem Merkmal der Standardisierung162 beschreiben. Whrend mit der zeitlichen Dauerhaftigkeit die vergangenheitsorientierte Stabilitt von Gestaltungsregeln im Managementsystem gemeint ist, wird mit der zeitlichen Dauergltigkeit deren Unbefristetheit sowie Ausnahmslosigkeit angesprochen. Es lt sich festhalten: Die Stabilitts- bzw. Kontinuittsorientierung in der Unternehmensfhrung lt sich definieren als die Ausrichtung an den bisherigen Erfolgserfahrungen, die auch unter dynamischen Umweltbedingungen zu zeitlich dauerhaften und ausnahmslosen Gestaltungen fhrt. In diesem Verstndnis wird Stabilitt im Management also nicht mittels niedriger Przisierung und Detaillierung des Regelwerks erreicht (Elastizitt), sondern durch das Festhalten an hochgradig bestimmten Gestaltungsregeln, Verhaltensweisen etc.. 2.2. Notwendigkeit von Stabilitt und Kontinuitt Die Notwendigkeit von Stabilitt ist hier nicht mehr lediglich als Reflexion auf eine stabile Umweltsituation zu beziehen,163 sondern vielmehr als Gegengewicht zu einer bertriebenen Flexibilittsorientierung im Management zu verstehen. SRIVASTVA und FRY stellen fest, da We are beginning to express a hidden hunger for continuity and community, for responsiveness and dependability, and for the strength of identity that

160 161

162 163

Fry, R.E./Srivastva, S. (1992), S. 2 Zu hnlicher Erkenntnis kommen FRY und SRIVASTVA ((1992), S. 23): But managing continuity is not denying the need to change. We believe that continuity is the key to organizational health. Vgl. Remer, A. (1999a), S. 9; Remer, A. (1996), S. 98 f. Zu dieser Erkenntnis gelangt auch GERGEN: A sense of organizational continuity is not dependent on real-world continuity, (...). Gergen, M.M. (1992), S. 68

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comes when life is integrally connected to both the wisdom of the past and concern for the future.164 Aus systemtheoretischer Betrachtung ist zunchst eine Abgrenzung des sozialen Systems von seiner Umwelt notwendig. Ohne diese Abgrenzung wre im Extremfall einer totalen Integration des Systems in seiner Umwelt die Auflsung des Unternehmens bzw. der Unternehmensgrenzen die Folge. Denn fluide Grenzen nehmen dem sozialen System ihren inneren Zusammenhalt.165 Die Identitt und die Sinnstiftung des Systems gingen dadurch verloren.166 bersteigerte Manahmen der Flexibilisierung wrden somit interne Strungen und Unsicherheit bei den Systemmitgliedern induzieren.167 Wenngleich Systeme also einerseits von ihrer Umwelt in den Bedingungen ihrer Mglichkeiten konditioniert werden und so von ihr abhngig sind und sich an ihr anpassen, so mssen sie sich andererseits aber auch gegenber dem Unternehmensumfeld abgrenzen knnen.168 WEBER formuliert in diesem Zusammenhang: Umweltentwicklungen bilden somit zwar einen Auslser, sich mit Umsystementwicklungen auseinanderzusetzen, zwingen ein System aber nicht, sich kontingent bezglich eines anderen Systems, wie z.B. eines Umsystems, zu verhalten.169 Grundlegend fr diese Abgrenzung ist die Sichtweise des gemigten Konstruktivismus.170 Demnach sind das menschliche Gehirn und damit nicht zuletzt auch human-soziale Systeme nicht in der Lage, die Realitt objektiv zu erkennen und abzubilden. Es ist lediglich mglich, ber die Erstellung von Wirkungskonstruktionen ein subjektives Bild der Realitt zu gewinnen (Perzeption). Die Umwelt nimmt also nicht in einer eindeutig deterministischen Form Einflu auf die Systemgestaltung, sondern lediglich in der Form, wie sie von den Systemmitgliedern wahrgenommen bzw. konstruiert wird.171 Das Ziel besteht dann (...) nicht in einer mglichst genauen Erfassung der Umwelt, sondern in einer Gliederung, Vergesetzlichung, Verstetigung, Gestaltung der fluktuierenden Umweltereignisse, d.h. in einer Komplexittsreduktion (und Dynamikreduktion; A.d.V.).172 So wird unter Anwendung betriebswirtschaftlicher Instrumente eine Viel164 165 166 167 168 169 170 171 172

Gergen, M.M. (1992), S. 52 Vgl. Mller-Stewens, G./Fontin, M. (1997), S. 6 Vgl. Khl, S. (1995), S. 11 Vgl. Brumberg, C. (1994), S. 43 Vgl. Willke, H. (1987), S. 247 ff. Weber, B. (1995), S. 66 Vgl. dazu Watzlawick, P. (1985); Schmidt, S.J. (1987) Vgl. Foerster, H.v. (1984), S. 23 f. Roth, G. (1986), S. 173

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zahl von sich stndig verndernder Informationen mit wechselnder Relevanz und Ausprgung geordnet, zusammengefat und in greifbare Megren bersetzt. Die Funktion der Stabilisierung ist dabei die der Sicherheitsschaffung bzw. -erhaltung. Eine verunsichernde Dynamik und Komplexitt wird soweit vereinfacht, bis die Situation wieder beherrschbar und damit sicher erscheint.173 Stabilitt ist dann das Ergebnis einer zweckentsprechenden Selektion. Selektion ist erforderlich, wenn interne oder externe Vernderungen nicht zwangslufig ganz bestimmte Systemvernderungen zur Folge haben sollen.174 Der Systemzweck spielt dabei insofern eine wichtige Rolle, als soziale Systeme nicht von Natur aus existieren, sondern von Menschen geschaffene Einheiten zur Befriedigung menschlicher Bedrfnisse bzw. zur Verfolgung menschlicher Zwecke sind.175 Bei aller notwendigen Bercksichtigung der Umwelt darf daher die Verfolgung des Unternehmenszwecks nicht vernachlssigt werden. ndert sich nmlich der Unternehmenszweck zu hufig und zu schnell, geht die Sinnhaftigkeit und die Identitt des sozialen Systems verloren. Darunter leidet die Firmenloyalitt, mit den Folgen einer hohen Fluktuation und zunehmender Systeminstabilitt.176 2.3. Ursachen mangelnder Stabilitt und Kontinuitt

Ein Mangel an Stabilitt bzw. Kontinuitt in Systemen entsteht im Allgemeinen dann, wenn eine zu ausgeprgte Vernderungsorientierung einsetzt. Obgleich in der Realitt seltener ein Defizit an Stabilitt als vielmehr ein Mangel an Flexibilitt vorzufinden ist,177 lassen sich dennoch (bereits heute) einige dieser Verhaltensweisen identifizieren. Das allgemeine Streben nach Verbesserung und Vernderung brachte in den letzten Jahren eine Flut von Managementkonzepten hervor. Fr die Umgestaltung der Unternehmen werden heute mannigfache Techniken, wie z.B. die Restrukturierung, das Redesign, die Rehabilitation oder das Reengineering vorgestellt. Dadurch entwickeln sich die Begriffe wie Flexibilitt und Vernderung zur Maxime der aktuellen Managementdiskussion. Fhrungskrfte tendieren daher nicht selten dazu, der Vernderungseuphorie173 174

175 176 177

Vgl. Klimecki, R.G./Gmr, M. (1997), S. 206 Vgl. Bartol, K.M. (1992), S. 285; Auch in biologischen Systemen findet eine zweckentsprechende Selektion statt, wenn als Zweck etwa die Arterhaltung definiert wird. Dort aber handelt es sich um eine eher zufallsgesteuerte Evolution (z.B. durch Mutation). Vgl. Khl, S. (1995), S. 23 Price Waterhouse Change Integration Team (1997), S. 49 Dies besttigt bspw. eine Studie des IMK, derzufolge aktuell bei 55% der deutschen Unternehmen ein Reorganisationsbedarf besteht. Vgl. IMK (1998), zitiert nach Reinhard, G.R./Drrschmidt, S./ Hirschberger, A./Selk, C. (1999), S. 20

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zu folgen, ohne zu hinterfragen, ob es sich dabei um geeignete Methoden und Handlungsweisen handelt. Tatschlich vorhandene Widersprche zwischen Stabilisierung und Flexibilisierung werden dann nicht mehr untersucht, sondern zugunsten letzterer Option aufgelst. So stellt GERGEN fest, da wir heute an einem Wendepunkt angelangt sind, an dem die Forderung nach einer Stabilisierung des sozialen Systems in einer sich dynamisch entwickelnden Umwelt wieder mehr Gewicht erhlt: The question in the present context concerns organizational continuity. The need for this focus streams from a perceived imbalance favoring change over continuity in organizational studies especially.178 Diese Entwicklung bertrgt sich auf die Unternehmenskultur. Es entstehen Kulturen, die sich umschreiben lassen mit: Vernderungen um jeden Preis ohne die Beibehaltung einiger stabiler Elemente. So wird einerseits verstrkt nach verbesserungsfhigen Potentialen gesucht, andererseits unterbleibt aber die Frage nach Parametern, die bewut stabil gehalten werden sollen und knnen. Die im sozialen System verinnerlichte Forderung nach mehr Flexibilitt ist, fr sich genommen, eine nicht ganz richtige Sichtweise knftiger Probleme. Vielmehr wre eine differenziertere Auffassung notwendig, bei der man sich nicht nur damit auseinandersetzt, in welchen Bereichen, d.h. bei welchen Parametern eine verstrkte Flexibilisierung notwendig und zielfhrend ist, sondern sich gleichzeitig damit beschftigt, durch welche Parameter eine Stabilisierung zu erreichen ist.179 2.4. Positive Wirkungen von Stabilitt und Kontinuitt Wenn im folgenden die positiven Wirkungen einer Stabilisierung im Management beschrieben werden, so ist gleichzeitig an die negativen Wirkungen einer Flexibilisierung gedacht.180 Auch hier dient wie bereits bei der Untersuchung der positiven Effekte einer Flexibilisierung das Zweck- und Bestandsmodel als Ansatzpunkt zur Erluterung der Implikationen. Unter erfolgswirtschaftlichen Gesichtspunkten manifestiert sich der Nutzen von Stabilitt in der Vermeidung von Vernderungskosten und der Ausschpfung bestehender Fhigkeiten, Prozesse und Strukturen im sozialen System. In Anlehnung an KLAUS und LIEBSCHER stellt Stabilitt die Fhigkeit eines Systems dar, einen inneren Gleich178 179 180

Gergen, M.M. (1992), S. 44 Price Waterhouse Change Integration Team (1997), S. 42 ff. Analog wurde die Untersuchung der positiven Wirkungen einer Flexibilittsorientierung angelegt (siehe Gliederungspunkt III.1.4.).

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gewichtszustand aufrecht zu erhalten.181 Das heit, da neben der Fhigkeit Vernderungen zu realisieren, auch die Fhigkeit vorhanden sein mu, erschlossene Erfolgspotentiale auszuschpfen. Es gengt also nicht, stndig neue Anpassungszustnde zu erreichen, sie mssen auch gemigt kontrr zu internen und externen Vernderungen ausgenutzt werden, was ohne ein gewisses Ma an Kontinuitt nicht durchfhrbar ist. Das Ausnutzen bestehender Potentiale (z.B. Kernkompetenzen), Strukturen und Strategien ist vor allem unter Effizienzgesichtspunkten erforderlich. Das Prinzip der Flexibilitt zur Wahrnehmung der Marktaufgaben luft nmlich hufig wenngleich nicht immer der effizienten Ressourcennutzung und damit dem Ausnutzen von Synergien innerhalb des sozialen Systems und in seiner Beziehung zur Umwelt entgegen.182 Dabei ist es die Zielsetzung der Synergiennutzung, Wettbewerbsvorteile im Markt durch zeitliche Standardisierung auszukosten. Derartige Marktsynergien knnen be-stehen durch dauerhafte Abnehmer(-gruppen), Vertriebskanle, Produkte, Sortimente, Marken etc.. Die Nutzung von Marktsynergien bedeutet aber, konsequent umgesetzt, die zumindest teilweise Aufgabe von Flexibilitt. Des weiteren erfordern hufige Vernderungen einen erhhten Koordinationsbedarf.183 Eine Unternehmung ist ein soziales System, das aus Menschen besteht, die arbeitsteilig und koordiniert arbeiten. Die Koordination ist notwendig, damit aus den einzelnen Ttigkeiten auch ein gemeinsames Ganzes entsteht. Fr diese Koordination gibt es Ziele, an denen sich alle orientieren, oder Regeln, nach denen sich alle richten mssen. Dabei haben diese Regeln in der Realitt weniger einen Zwangs- als einen Orientierungscharakter; sie bilden fr den einzelnen Anhaltspunkte, ob er sich noch im Sinne der Unternehmung verhlt oder ob er davon abweicht. Stabile Regelungen reduzieren die Unsicherheit, weil der einzelne wei, was von ihm erwartet wird, was er von andern erwarten darf und was er nicht erwarten kann.184 Die These, da eine Flexibilisierung die Gefahr einer abnehmenden Koordiniertheit der Aktionen verschiedener Handlungstrger beschreibt, ist deshalb vergleichsweise


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