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Page 1: Entzündliche Auftreibungen der Fingerendglieder mit Nageldystrophie

DOI: 10.1111/j.1610-0387.2009.07152.x Akademie 987

© The Authors • Journal compilation © Blackwell Verlag GmbH, Berlin • JDDG • 1610-0379/2009/0711 JDDG | 11˙2009 (Band 7)

AnamneseBei einer 38-jährigen, gesunden Frau kam es ca. drei Monate nach Eröffnung ihresNagelstudios an den Fingerendgliedern zu Schwellungen und ekzematösen Hautver-änderungen (Abbildung 1). Nach ca. fünf Monaten lösten sich alle Fingernägel distalab (Abbildung 2). Anschließend trug sie deshalb selbst anmodellierte künstliche Fin-gernägel (Abbildung 1).

Klinischer BefundBei der Inspektion erkennt man erythematöse Auftreibung aller Fingerendgliedernmit einer diskreten periungualen Schuppung. Subjektiv bestanden Juckreiz und eingelegentliches Brennen.

DiagnostikDie auswärtig bereits durchgeführten Epikutantestungen mit den Reihen der Fa.Hermal Standard, Salbengrundlagen, Externa-Inhaltsstoffe, Konservierungs- undDesinfektionsmittel, Kosmetik/Haushalt, Epoxidharz-Systeme und Einzelsubstanzender Kunststoffe verliefen unauffällig. Die Mikrobiologische Diagnostik ergab keinePilzinfektion.

Diagnosequiz

Entzündliche Auftreibungen der Fingerendgliedermit Nageldystrophie

Inflammation of the fingertips with Naildystrophy

Peter Schulz1, Christoph Skudlik1,2, Elmar Meyer1,2, Swen Malte John1,2

(1) Fachgebiet Dermatologie, Umweltmedizin, Gesundheitstheorie der Universität Osnabrück(2) Institut für interdisziplinäre dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) an der Universität Osnabrück,

Standort Osnabrück und Dermatologisches Zentrum, Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg

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Abbildung 1: Anmodellierte künstliche Fin-gernägel mit periungualen entzündlichen Auf-treibungen.

Abbildung 2: Sichtbare distale Onychodystrophienach Entfernung der künstlichen Fingernägel.

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>>> Diagnose:Berufsbedingte (Meth-)Acrylatallergie bei einerNageldesignerin

Allergic contact dermatitis to (meth-)acrylatesin a nail designer

DiagnostikDie bei uns ergänzend durchgeführtenEpikutantestungen mit verschiedenen(Meth-)Acrylaten ergaben positive Be-

funde gegenüber Ethylenglycol-dimeth -acrylat 2 % in VAS, 2-Hydroxyethylmet-hacrylat 1 % in VAS (HEMA), Triethy-lenglycol-dimethacrylat 2 % in VAS

(TEGDMA), Methylmethacrylat 2 % inVAS, 2-Hydroxypropylmethacrylat 2 % inVAS (HPMA), Hydroxyethylacrylat 0,1 %in VAS (Abbildung 3).

Therapie und VerlaufNach Entfernung der (meth-)acrylathal-tigen künstlichen Nägel und stadien -adaptierter Lokaltherapie im Rahmen einesmodifizierten berufsgenossenschaftlichenHeilverfahrens [9] zeigte sich nach sechsWochen arbeitsfreier Zeit periungualeine weitgehende Abheilung und eineNormalisierung des Nagelwachstums(Abbildung 4).

DiskussionPolymethylmethacrylate (PMMA) wur-den in den 1930igern entwickelt undfanden seitdem in zunehmendem Maßein der Industrie und im Alltag als split-terfreier und leichter Ersatz für GlasVerwendung. Als eines der ersten All-tagsprodukte aus PMMA ist der Deckelder Plattenspieler-Kombination BraunSK 4 (1956) der so genannte „Schnee-wittchensarg“ bekannt [1]. Im zahnme-dizinischen Bereich finden (Meth-)Acrylate insbesondere als Komposite inzahnfarbenen Füllungsmaterialien An-wendung [2]. In Nagelstudios werdenbei der Nagelmodellage unterschiedli-che Substanzen auf die Nägel aufge-bracht. Hierbei werden verschiedeneKunststoffe und Klebstoffe verwendet,die zum großen Teil Acrylate bzw.Meth acrylate enthalten.(Meth-)Acrylate können bei direktemKontakt mit der Haut sowohl Irritatio-nen als auch Typ-I- oder Typ-IV-Sensibi-lisierungen hervorrufen. Berufliche Sen-sibilisierungen werden vorwiegend imzahntechnischen bzw. zahnmedizini-schen Bereich aber auch zunehmend beiAngestellten in der Kunststoff-Verarbei-tenden und Kosmetikindustrie beobach-tet, wobei das allergene Potential vonden Monomeren ausgeht [2]. Wie auchbei unserer Patientin, liegen häufig Sen-sibilisierungen gegenüber mehreren(Meth-)Acrylaten vor, die vermutlich aufdie gleichzeitige Exposition oder Kreuz-reaktionen zurückzuführen sind. Zusätz-liche irritative Effekte der im Nagelbe-reich aufgebrachten (Meth)Acrylatekönnen nicht ausgeschlossen werden.Klinische Symptome können sowohl lokalals auch an nicht unmittelbar exponiertenHautarealen im Sinne einer AirborneContact Dermatitis auftreten [3].

Abbildung 3: Epikutantestablesung nach 72 h mit Nachweis mehrer TypIV-Sensibilisierungen gegenüber verschiedenen (Meth-)Acrylaten.

Abbildung 4: Weitestgehend Abheilung der periungualen Entzündungen und Normalisierung desNagelwachstums nach 6-wöchiger Allergenkarenz und intensivierter Therapie.

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Bei der Anwendung von UV-härtendenkünstlichen Fingernägeln sollte an dasRisiko von Sensibilisierungen gegenüber(Meth-)Acrylaten gedacht werden [3, 4,5, 6]. Bei Sensibilisierungen gegenüber(Meth-)Acrylaten sind auch Reaktionenbei der zahnärztlichen Versorgung derBetroffenen mit kunststoffhaltigen Den-talmaterialien beschrieben [7].Allergische Kontaktekzeme gegenüber(Meth-)Acrylaten können in Einzelfällenbei Beschäftigten in Nagelstudios zurEntstehung einer Berufskrankheit derNr. 5101 der Berufskrankheitenverord-nung führen [8]. Bei Verdacht auf einenberuflichen Zusammenhang sollte mit-tels Hautarztbericht der Unfallversiche-rungsträger informiert werden, damitentsprechende Präventionsmaßnahmengemäß des Stufenverfahrens Haut durch-geführt werden können [9].Spezielle Anforderungen an den Haut-schutz bei bestehender (Meth-)Acrylat-Sensibilisierung sind zu beachten. Alsderzeit praktikabelste Präventionsmaß-nahme gilt der „Tandemschutz“ durchEthiparat- und Nitrilhandschuhe, wobeiaufgrund der Durchbruchszeit die maximale Tragedauer von höchstens ca.10 Minuten zu beachten ist. <<<

KorrespondenzanschriftDr. med. Peter SchulzUniversität Osnabrück, Fachbereich HumanwissenschaftenFachgebiet Dermatologie, Umweltmedizin,GesundheitstheorieSedanstr. 115D-49090 OsnabrückE-Mail: [email protected]

Literatur1 Buchholz K, Beil R: Plexiglas®. Werk-

stoff in Architektur und Design. Wie -nand Verlag, Köln 2007.

2 Rustemeyer T, Frosch PJ. OccupationalContact Dermatitis in Dental Person-nel. In: Kanerva L, Elsner P, WahlbergJE, Maibach HI (eds) Handbook of occupational dermatology. SpringerVerlag, Berlin Heidelberg New York,2000: 899–905.

3 Jappe U, Hennies F, Uter W. Dentalpersonnel and nail designers. Contactdermatitis to acrylates and methacryla-tes. J Dtsch Dermatol Ges 2005; 3:990–993.

4 Lazarov A. Sensitization to acrylates is acommon adverse reaction to artificial

fingernails. J Eur Acad Dermatol Vene-rol 2007; 21: 169–74.

5 Constandt L, Hecke EV, Naeyaert JM,Goossens A: Screening for contact allergy to artificial nails. Contact Der-matitis 2005; 52: 73–77.

6 Kanerva L, Estlander T. Allergic ony-cholysis and paronychia caused by cya-noacrylate nail glue, but not photobon-ded methacrylate nails. Eur J Dermatol1999; 9: 223–225.

7 Jung P, Jarisch R, Hemmer W. Hyper-sensitivity from dental acrylates in a patient previously sensitized to artificialnails. Contact Dermatitis 2005; 53:119–120.

8 Diepgen T L, Dickel H, Becker D,Blome O, Geier J, Schmidt A, SchwanitzH J, Skudlik Ch, Wagner E. Beurtei-lung der Auswirkungen von Allergienbei der Minderung der Erwerbsfähig-keit im Rahmen der BK 5101. Teil 1Dermatol Beruf Umwelt 2002; 50(4);139–54.

9 Skudlik C, Breuer K, Junger M, Allmers H, Brandenburg S, John SM.Optimal care of patients with occupa-tional hand dermatitis: Considerationsof German occupational health insu-rance. Hautarzt 2008; 59: 690–695.


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