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Wetterbeobachtungen etc. gedacht wird. Das zweite Symposium, das unter der

Leitung von W. Schroder stand, brachte zunachst einmal einen Ubersichtsvortrag iiber das ,,Internationale Geophysikalische Jahr, 1957-1958". Nicolet, einerderpioniere dieser weltweiten Forschungskampagne, berichtete iiber die Vorarbeiten und zwischenstaatlichen Bemuhungen, dieses internationale Forschungsvorhaben zu reali- sieren. Einen Einblick in die Friihentwick- lung der Ionospharenforschung brachte der Vortrag von W. Dieminger (Radio wave propagation and solar-terrestrial physics), Ghrend der Vortrag von L. Biermann (On the history of solar wind concept) die bemerkenswerte Entwicklung dieser For- schungen innerhalb der letzten Dezennien deutlich werden lie& Weitere internationale Forschungsvorhaben wurden behandelt von K. Bretterbauer 0. Payer, C. Weyprecht, H. Wilczek - the promoters of internatio- nal polar research); J.E. Kenney, E.J. Llewellyn und K. V. Paulson (Balfour Currie and the second polar year); N. Fukushima (Commencement of hourly geomagnetic observation in Japan during the first inter- national Polar Year); K.-H. Wiederkehr (The magnetic association of Gijttingen and the Antarctic expedition of J. C1. Ross, 1839-1843); A. Brekke (The Haldde Obser- vatory - the cradle of modern auroral research) sowie E. G. Forbes (The Ben Nevis observers - a centenary tribute).

Die Beteiligung von Gelehrten aus der Volksrepublik China, die der Prasident der IAGA besonders begriigte, brachre zwei interessante Vortrage: P.H. Ling und S. Wang (Radio wave propagation and ionospheric studies at Wuhan University, China) sowie Q.-L. Liu (People of major importance in the development of geomag- netism in China). Die Forschung des a g y p tischen Wissenschaftlers Mohamed Reda

Madwar (1893-1975) behandelte M. Fahim, Ghrend K. Wienert auf das Wirken vcm Johann von Lamont (1805-1879) einging. Zwei weitere Themen wurden von S. DCbarbet und Th. Weimer (Gauss et l'astronomie geodesique succes differe de la methode des hauteurs Cgales) sowie von D. Baker, G. Romick, A.Vallance-Jonesund 0. Harang (l33storyof auroral optical spectro- metry) dargestellt.

Das gewachsene historische Interesse zeigte sich jedoch nicht nur anlafllich dieser Symposien; auch in weiteren Vortragen der verschiedenen Assoziationen wurden immer wieder historische Erorterungen eingestreut, die zeigen, dai3 die Geophysi- ker sich ihrer Geschichte doch zunehmend bewui3t werden.

Die Historische Kommission wurde anlai3lich einer Geschaftsversammlung neu formiert, wobei der bisherige Vorsitzende H.B. Garrett, der sich grof3e Verdienste erworben hatte, in seinem Amt bestatigt wurde. Zu neuen stellvertretenden Vorsit- zenden wurden J. Feynman, S.C.M. Malin und W. Schroder gewahlt.

Einen weiteren Hohepunkt bildete die Exkursion nach Gottingen. Diese Fahrt fiihrte zur Gottinger Sternwarte, dem Physikalischen Museum sowie in das Insti- tut fur Geophysik. Gottingen, stets mit der Entwicklung der Geophysik zur eigenstan- digen naturwissenschaftlichen Disziplin verbunden, bot den vielen auslandischen Gasten eine willkommene Moglichkeit, Wissenschaftsgeschichte vor Orte kennen- zulernen. Die Wirkungsstatten von G a d , Weber und Wiechert taten ein iibriges, um die Enrwicklung der geophysikalischen Frage- stellungen nachvollziehen zu lassen.

Wilfried Schroder Dr. Wilfried Schroder Hechelstrasse 8 D-2820 Bremen-Ronnebeck

Euler-Kolloquium vom 12. bis 14. Mai 1983 in Berlin (West)

Das Jahr 1983 war nicht nur von Feierlich- bestimmt, sondern auch von Ehrungen keiten fur Girolamo Frescobaldi (1583-1643), eines der bedeutendsten und produktivsten Martin Luther (1483-1546), Karl Marx Mathematiker, des Schweizers Leonhard (1818-1883) und Friedrich Nicolai (1733-1811) Euler (15.4.1704-18.9.1783). Euler lebte und

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wirkte in Basel, Berlin und Petersburg (Leningrad). In allen drei Stadten, aber auch andernorts, fanden daher entsprechende wissenschaftliche Kolloquien statt: Euler-Kolloquium vom 12. bis 14. Mai in Berlin (West). - Euler-Ehrung der Akademie der Wissen- schaften der DDRvom 15. bis 16. September in Berlin (DDR). -Festversammlung und Symposium uber ,,Die Entwicklung der Ideen Eulers im gegenwartigen Zeitalter" vom 24. bis 28. Oktober in Moskau und Leningrad (ausgerichtet von der Akademie der Wissenschaften der UdSSR). - 29. Tagungen der Mathematischen Gesell- schaft in Hamburg mit Thema ,,Leonhard Eu1er"vom 4. bis 5. Novemberin Hamburg. - Gedenkfeier aus Anlai3 des 200. Todestages von Leonhard Euler vom 11. bis 12. November in Basel. Hier sei etwas naher auf das Kolloquium in Berlin (West) eingegangen. Die Tagung wurde von den Mathematikern und Wissenschaftshistorikern R. Gorenflo, I.S. Louhivaara (Freie Universitat Berlin), E. Knobloch, J. Winkler (Technische Uni- versitat Berlin) in Zusammenarbeit mit der Berliner Mathematischen Gesellschaft organisiert. Die Deutsche Forschungsge- meinschaft ermoglichte die Durchfuhrung durch einen hohen finanziellen Zuschui3.

An den drei Kolloquiumstagen hielten vierzehn renommierte Fachvertreter Einla- dungsvortrage von 45 oder 60 Minuten Dauer. Die beiden russischen Wissen- schaftler A. Grigorian und A. Juschkewitsch hatten bedauerlicherweise ihre Teilnahme am Kolloquium kunfristig absagen mussen. Die Vortragsthemen beriicksichtigten drei Gesichtspunkte : 1. Drei wissenschaftshistorische Vortrage befagten sich unmittelbar mit Eulers mathematischen Schriften und Briefen. Die Referenten und ihre Themen waren: E. A. Fellmann: Uber einige mathematische Sujets im Briefwechsel Leonhard Eulers rnit Johann Bernoulli; C.J. Scriba: Eulers zahlentheoretische Studien im Lichte seines wissenschaftlichen Briefwechsels; und R. Taton: Euler et d'Alembert. - Fell- mann erorterte Eulers wissenschaftlichen

Briefwechsel rnit Johann I Bernoulli. Zu den behandelten mathematischen Proble- men gehorten vor allem die Logarithmen negativer Zahlen, geodatische Linien, die Gammafunktion, die Reihenlehre sowie die Losung von Differentialgleichungen. Scriba analysierte Eulers Bnefwechsel, soweit er fur dessen zahlentheoretische Studien von Bedeutung war, vor allem die Korrespondenzen mit Christian Goldbach, sodann mit Alexis-Claude Clairaut, Jean Le Rond d'Alembert, Daniel Bernoulli und Joseph-Louis Lagrange. Taton gab einen Abrii3 uber Eulers Briefwechsel mit d'Alembert aus den Jahren 1746 bis 1751, der das wechselhafte Verhaltnis zwischen den beiden Gelehrten widerspiegelt und zugleich einen wesentlichen Abschnitt der mathematischen Physik (Integralkalkul, Theorie der schwingenden Saite,Hydrome- chanik) beleuchtet.

2. Drei Ubersichtsvortrage gingen von wichtigen, von Euler bearbeiteten mathe- matischen Gebieten aus und behandelten deren Vorgeschichte wie insbesondere deren weitere Entwicklung nach Euler. Die Referenten und ihre Themen waren: H. Bauer: Zum heutigen Bild derPotentia1- theorie; S. Hildebrandt: Euler und die Variationsrechnung; und R. Remmert: Euler als komplexer Analytiker. 3.Acht mathematische Fachvortrage um- rissen den heutigen Stand der Forschung in mathematischen Gebieten, deren Wurzeln sich bis zu Euler zuriicherfolgen lassen, wie die Funktionentheorie und die Theorie der partiellen Differentialgleichungen, und die von den entsprechenden Referenten selbst entscheidende Impulse erfahren haben. Die Referenten und ihre Themen waren: A. Baernstein: Recent progress in Nevanlinna's theory of meromorphic func- tions; P. L. Butzer: Some recent applications of functional analysis to approximation theory; A. Cornea: Geordnete konvexe Kegel in der Potentialtheorie; G. Grubb: O n the functional calculus of pseudodiffe- rential boundary problems; G. Hammerlin: Entwicklungen bei der praktischen Behand- lung von Integralgleichungen; E. Heinz: Zum Plateauschen Problem fur Polygone;

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0. Lehto: A historical survey of quasicon- formal mappings; und K. Strebel: Quadratic differentials: a survey.

An den Vortfagen nahmen rund hundert

J. S. Louhivaara/J. Winkler (Basel: Birk- hauser 1984). Der Beitrag von C.J. Scriba wurde aui3erdem veroffentlicht in H u m - nismus und Technik 26 (1983), 78-105.

Teilnehmer aus der Bundesrepublik Deutsch- land, aus Danemark, England, Finnland, Frankreich. Italien. Irland. Kanada. aus der

Eberhard Knobloch

Prof. Dr. Eberhard Knobloch Technische Universitit Berlin Institut fur Philosophie, Wissenschaftstherorie Wissenschafts- und Technikgeschichte Ernst-Reuter-Platz 7 D-1000 Berlin 10

Schweiz und den USA teil. Abgesehen vom Beitrag R. Remmerts

erscheinen die ausgearbeiteten Vortrage unter dem Titel Zum W u k Leonhard Eulers, Vortragedes Eulw-Kolloquium imMai 1983 in Berlin, herausgegeben von E Knobloch/

Bericht iiber das Soemmerring-Symposion 19S3

Vom 19. bis 21. Mai 1983 fand in Mainz ein Symposion mit dem Thema ,,Samuel Tho- mas Soemmerring und die Gelehrten der Goethezeit" statt. Veranstalter waren die Akademie der Wissenschaften und der Literatur sowie das Medizinhistorische Institut der Mainzer Universitat. An der Tagung nahmen etwa vierzig Wissenschaftler (Historiker, Mediziner, Germanisten, Bio- logen, Physiker und Anthropologen) aus der Bundesrepublik, der DDR, der Schweiz, aus Kanada, den Niederlanden und den USA teil. In 13 Vortfagen und anschliei3en- den Diskussionen sollten - iiber das Bio- graphische hinaus - Erkenntnisse zur allge- meinen Geistesgeschichte und zur Histone einzelner Disziplinen erarbeitet werden. Dabei gins es weniger um einen Vergleich der Personlichkeiten Soemmerrings und seiner Partner als um die Intensitat und den Ertrag der Beziehungen. Schon bald zeigte sich, dai3 Soemmemngs wissenschaftliche Kommunikation keineswegs auf sein engeres Fachgebiet, die Medizin, beschrankt blieb, sondem auch andere Facher - wie etwa Palaontologie, Anthropologie und Physik- erfai3te. Behandelt wurden auch Soem- merrings wichtigste Freundschaften, die freilich vie1 seltener waren als die, aller- dings oft nur sporadischen, Kontakte zu bedwtenden Gelehrten der Goethezeit.

Soemmerrings Beziehung zu Goethe bestand fast ein halbes Jahrhundert, war aberlange Zeit nurlose und bisweilen recht spannungsreich. Manfied Wenzel (Olden-

burg) schilderte, wie es nach der ersten Begegnungin Kassel(l783) in den nachsten beiden Jahren zu einem regen Gedanken- austausch kam, der jedoch gleich zu einem Dissens fiihrte. Es ging um den Zwischen- kieferknochen, den Goethe damals auch am Menschen entdeckt hatte. Soemmerring, noch ganz im Dogma vom bauplanmafligen Unterschied zwischen Mensch undTierbe- fangen, lehnte Goethes Meinung zunachst strikt ab. Damit befand er sich in Uberein- stimmung mit den meisten Kapazitaten seiner Zeit, doch war ihm Goethe letztlich biologiehistorisch voraus. Soemmerrings ablehnende Haltung verbitterte Goethe. Das Verhaltnis verbesserte sich erst wieder, als der Anatom 1791 seine Meinung revi- dierte und als einer der ersten offentlich auf Goethes Entdeckung hinwies. Nun setzte auch wieder ein intensiverer Gedankenaus- tausch ein, zumal sich Goethe seit 1790 mit der Farbenlehre befai3te. Bei seinem Bemiihen um eine - im Gegensatz zu Newton - physiologische ErMarung des farbigen Sehens fand Goethe in Soemmerring einen ebenso fachkundigen wie interessierten Berater. Der Anatom schickte sein Manus- kript uber den Gelben Fleck sogar nach Weimar, wo es wesentlich besser aufgenom- men wurde als sein Versuch uber das Organ der Seele, den Goethe - wie so viele andere Zeitgenossen - wegen der Vermischung philosophischer und physiologischer Argu- mente kritisierte. Nach 1797 gab es zwischen den beiden nur noch wenige


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