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Page 1: Funktionsbedingte Veränderungen der Kerngröße von Gliazellen im Grau des Rückenmarkes der weißen Maus

Zei~schrif~ ftir Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. 118, S. 97--I01 (i954).

Aus dem Anatomisehezz Ins~itu~ der Universitgt Wiirzburg (Leiter: Prof. Dr. KUF.T NEU~ERT).

Funktionsbedingte ger~inderungen der K e r n g r S i l e y o n Gl iaze l len im Grau des Riickenmarkes der weiBen Maus.

Vort

HEL~IUT t~ULENKAMPFF und EWALI) ~u

Mit 3 Text~bbildungen.

(Eingegangen am 8. Mdirz 7954.)

Bei forcierter, funktioneller Beanspruehung der Muskulatur unger physiologi- schen Bedingungen zeigen sich am ZentrMnervensystem in den zugeordneten Segmenten Ver~nderungen, die unter anderem in einer aktiven Wanderung yon G]iazellen innerhalb der grauen Subst~nz des t~iickenmarkes siehtbaren Ausdruck linden. Sie suehen die t~tigen motorischen Vorderwurzelzellen auf und umgeben sie als , ,Satelliten". Gleichzeitig wird ihr sp~rliehes Cytoplasma starker an- f~rbb~r. Je lgnger die Arbeitszeit, des~o mehr Sa~elliten um die einzelne Nerven- zeIle sind vorhanden. In einer ansehliefJenden Erholungsphase zeigt sieh die Reversibilit/~t des Vorganges. Nach einer die Tiere dem ErschSpfungstode nahe bringenden Leistungsabforderung genfigen 4 Std Erholung, um das histologische Bild vSllig zu normalisieren (KuLE:~-KASIPFF). Dieses Verhalten der Glia ist mSglieherweise als Zeichen einer besonderen Zelleistung zu werten, die mit der Tiitigkeit der nerv6sen Elemente nrs~ehlieh zusammenhiingt, i)ber ghnliehe Befunde beriehtet NIESSlNG am Miiusehirn unter versehiedenen, in den Stoff- weehsel der nerv6sen Subs~anz eingreifenden, exloerimentellen Bedingungen. Die Frage naeh dem Wesen einer mSgliehen Symbiose zwisehen Glia- und Nerven- zelle erscheint morphologiseher Untersuehung zuggnglieh.

Aus den ArbeiVen vieler Autoren ist bekann~, dab unter gesteigerter Zell- t~itigkeit die Zellkerne an Volumen zunehmen. Man ist allerdings in der Er- kl/~rung dieser ,,Kernsehwellung" bislang fiber Vermutungen niehg hinaus- gekommen, was jedoeh nieht hindert, sie als Zeiehen einer Leistungssteigerung anzuerkennen. Hier sell un~ersueht werden, ob sieh die GrSBe der Gliazellkerne w~hrend der oben gesehilderten Wanderung ver~ndert, und somit die Annahme einer spezifisehen Zelleistur/g Jm angedeuteten Sinne eine wei~ere Stii~ze erh~lL mig anderen Worten, ob signifikante GrSl3enuntersehiede z~dsehen den Kernen der Satelli~en und denen keiner Nervenzelle anliegenden Gliazellen ( K u L ~ - K a ~ s ,,freie" Zellen) naehzuweisen sin&

Material und Methode.

Dieser Un~ersuchung !ieg~ das gleiehe M~terial zugrunde, an dem K U L~- I;AM~FF die oben genannten Befunde erhoben hat. Die Versuchstiere waren weiBe M~use eigener Zfiehtung. Von 10 Tieren eines Wurfes dienten 2 als normale ~Kon~ro1Ien: eines wurde morgens um 8 Uhr, das andere naehmittags um 18 Uhr dekapi~iert, das Lendenmark entnommen, nieht sp~ter eels 11/2 rain naeh dem Tode in 96%igem Alkohol fixiert und in Paraffin eingebetteg. Von den restliehen

Z, Anat. Bd. 113. 7

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98 I~:ELNUT KULENKAMPFF und EWALD WUSTENFELD:

8 Tieren mul3ten 4 sehwere k6rperliehe Arbeit leisten (1/2--3 Std Sehwimmen in 37 ~ C warmem Wasser), der unmittelbar die Dekapitation fo]gte. Die letzten 4 3/Iguse konnten sich naeh 3 Std Sehwimmen fiir 1--4 Std yon der Strapaze erholen, ehe sie aui gleiehe Weise get6tet wurden. Sehnittdieke 5# (Serie), Fiir- bung GMloeyanin-Chromalaun, VergrSl3erung (Leitz' Mikroprojektor) 2000faeh.

Wir zeiehneten yon jedem Tier rund 500 Gliazellkerne und kennzeiehneten sie Ms ,,Satelliten" and ,,freie" Zellen. Die genaue Anzahl ist aus Tabelle 1 zu ersehen. Die Spitze des Zeiehenstiftes beriihrte die Kernkontur yon aul3en, w~ihrend der Fahrstift des Planimeters an der Innenseite des Bleistiftstriches entlang gefiihrt wurde, wodureh ein dureh das Zeiehnen bedingter Fehler so klein wie mSglieh blieb. Da die planimetrierten Gliakerne angenghert Kugelform besitzen, lieBen sieh ihre Volumin~ ohne allzu groBen Fehler bereehnen. Dis GrSl3enunterschiede zwisehen den Kern/liichen freier Gliazellen und denen der Satelliten s~hen wir Ms signifikant an, wenn die Differenz der Mittelwerte grSger als die 3faehe Sigmadifferenz war (KoLL~). Das Sigma wurde absiehtlieh fiir die Kernfliiehen und nieht fiir die Volumina bereehnet, da sieh so grSBere Genauig- keit ergibt. Die Mittelwerte erreehneten wir aus dem Gipfel der ersten l%egel- Masse und den beiden n/iehst niedrigeren und h6heren Megwerten.

B4unde. Es ergaben sich sowohl f/Jr die Kernfl~ehen der freien Gliazellen als aueh

ftir die der Satelliten 2gipfelige Verteilungskurven, in deren Maxima sich die Kernvolumina etwa wie 1:11/2 verhMten (ZwischenMassen yon HE,TWIn und F~nV~RKSE~). Eine Verdopplung des Volumens (Verdopplungswaehstum JAKOBJs) konnte nieht festgestellt werden, wie Abb. 1 zeigt. [Wegen der grogen Anzahl der gemessenen Zellkerne gerade am 3 Stunden-Arbeitstier (Tabelte I) w/~ren die Maxima der Verteilungskurven in ein viel hSheres Niveau geiMlen als am Non- trolltier. Nur aus diesem teehnisehen Grunde wurden die Werte eines Tieres zum Vergleieh genommen, das sieh naeh 3 Std Arbeit 1 Std lang erholen konnte.] Aus dieser Abbildung geht weiter hervor, dab die Kerne der freien Gliazellen kleiner sind, als die der Satelliten, und zwar aueh am Kontrolltier, Der GrSBen- unterschied nimmt WoportionM der Arbeitsleistung zu, was Abb. 2 veransehau- l ieht . Beim normMen Kontrolltier, welches morgens um 8 Uhr dekapitiert wurde, sind die Kernfl~chen der Satelliten um 2,9#: grSger als die der freien Gliazellen. Schon naeh einer hMben Stunde Arbeit betrggt die Di~ferenz 5,37 #2, um naeh 3 Std auf 9,98 #2 anzusteigen. In der Erholungsphase erfolgt eine rapide Gr6Ben- abnahme der Satellitenkerne (wie wit wissen, unter Abriieken yon tier Nerven- ze]le), so dag naeh 4 Std das Bild normalisiert ist.

Diese Befunde zeigen im zeitliehen Ablauf eine auffMlende Parallelit~t zu der yon XULEN~XA~P~F iestgestellten Regeneration der Niss]h-Substanz in den Vorderwurzelzellen und dem VerhMten der Zahl ihrer Satelliten. Es kommt dieser Best~tigung insofern besonderer Wert zu, Ms alle Zeiehnungen yon Wfds~h-- ~EIm ausgeliihrt wurden, der fiber die experimentellen Bedingungen, unter denen die Tiere gestanden batten bis zum Absehlul~ der Zeiehent~ttigkeit absiehtlieh nieht orientiert worden war, um einen ,,Wunsehfaktor" vSllig auszusch]ieBen. Aus dem gleiehen Grunde wurde auch die Reihenfo]ge der zu zeiehnenden Priipa- rate nieht naeh der laufenden Nummer der Tiere festgelegt.

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Ver/~nderungen der KerngrSge yon Gli~zellen. 99

Die Kerne der freien Gliazellen nahmen an dem Gesehehen niehg teil. Ih re

FlgchengrSge schwankt um einen Mi~telwert, der unabhgngig yon der Arbeits-

ieis~ung ist (Tabelle I).

Die Zusammenhgnge zwisehen KerngrSge der Satel l i ten und deren Enf fe rnung

vom K e r n der Nervenzel le gehen ans Abb. 3 hervor. Der Abs tand wurde als die

kiirzeste Verbindung zwischen den beiden Kernoberf l~ehen gemessen. E r s~ellt

mittlere~ Xemvo/umen in f l3:6t ~ os ~ ~ , I I 1 I i I [ i

i / I i ! / ::=,

E

2.5

2O

I l

t i I

i I i t

I ,

[ I l I I i I q

, , I t i

15 "/6 ~7 18 19 20 Zl 22, 23 24 25 26 27 2.8 2g 30 M 32 33 .?,4 3~; 35 .~7

/(ernf/dche tn /~z

3_bb. 1. tgiontrolltier 18 Uhr. o o Freie Gliazellen, o . . . . . o Satelliten. ArbeiSstier 3 Std Ax'beit, 1 St4 Erholun~. �9 . Freie Gliazellen, �9 . . . . . . . Satelliten.

nm: ein ungefghres Mag dar, weil Schrumpfungsspal ten, die sich h~ufig um die

Nervenzel len herum ausbilden, unberi ieksicht igt blieben. Dennoeh ist die all-

gemeine Tendenz deut l ich: je n~her an der Ganglienzelle gelegen, desto grSBer

Tabelle 1.

Tier-

u 1 Y 2 Y 3 Y 4 Y 6 u Y Y

F r e i e Z e l l e n Arbeit-Ruhe

Stcl

_! 1 2 3 - -

8 3 1 9 3 2

t0 3 3 1 1 3 i 4 235 ] 21,09 # z 164 12 . . . . . . 206 21,07 #2 223

2558 2217

Y 1 = unbelastetes KontroHtier 8 Uhr morgens; u 12 = unbelastetes Kontro!l~ier 18 Uhr abends.

Anzahl NIittelwert

201 21,06 #3 322 19,06 #z 240 20,07 #2 279 23,13 #2 348 22,86 #~ 247 20,30# 2 248 20,87 #2 232 20,98 #2

Satelliten

Anzahl ~Iittelwert (M2)

169 23,96 #~" 291 24,43 #" 243 26,34# 2 210 29,73 ,u ~ 284 32,84# 2 187 26,80# 2 260 25,92 ~t2 186 24,83 #2

24,00/t "~ 24,18 p z

2,90 5,37 6,27 6,60 9,98 6,50 5,05 3,85 2,91 3,11

3 ~ Diff

0,547 0,445 0,497 0,555 0,425 0,456 0,438 0,461 0,427 0,453

7*

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100 HELMUT ELULENK~IPFF und EWALD ~rUSTENFELI):

ist der Satellitenkern. ])ie Unregelm~13igkeiten im reehten Absehnitt des Dia- grammes sind dutch die zu kIe~ne Zahl solch extrem gro(3er Gii~zellkerne bedingt.

10

9

8

7

6

5

4

3

2

./

i~ $*

A b b . 2.

Arbeit in 5td .~ ~ ~ 2 3 z s s 3 ~.

~o 1 2 J 4 l?uhe in 5td. ~ e

D i f f e r e n z d e r I~ernf l~ ichen i n #= ( m i t t l e r e r ~u z w i s c h e n f r e i e n G l i a z e l l e n u n d S a t e l l i t e n .

30

2O

v) 15

c..

17 I~ ~ 20 21 Z.Z 23 24 25 26 27 28 2q 30 J! 32 33 Z4 35 36 37 38 J9 40 4i '~2 ~3 "~V 45 46 ('7 ~8 4~ 50

Kernfl~che in # z ~kbb. 3. Beziehung z~dschen l~Zerng-r6Be der Satelliten und deren Abstand yore Ganglienzellkern.

Besprechung. Aus diesen Befunden liigt sich eine Mitwirkung der Glia an der Funktion der

nerv6sen Substanz ersehliegen. Es k~nn jedoeh niehts dartiber ausgesagt werden, ob diese au~ eine reine Stoffwechselteistung beschrgnk6 ist, oder darfiber hindus

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Ver/~nderungen der Kerngr61~e yon GliazeHen. 101

den Er regungsab lanf zu beeimflussen vermag, wie vielfach angenommen wird. Das vielf~ltige, morphologisehe Erscheinungsbi ld der Neurogl ia - - E inz iehen der For t s~ tze und ihre Wiede rausb re i tung (NIEssI~G), das Vorkommen yon Pu l sa t ionsak t iv i tg t an Oligodendrogl iazel len in der Gewebekul tu r (Lv~sD~r und PONEnAT) - - is t noeh lgngs~ n ieht in allen P u n k t e n zu deuten und m a n ru t gu~ da,ran, wei tere Un~ersuehungen abzuwar ten , ehe m a n auf dem t~undamen~ einer mutmal31iehen Zweekm~Bigkeit ein nur zu leieht gesiehert erseheinendes G e M u d e err iehte t , dessen Abbrueh bekann t l i ch schwieriger ist, als sein Aufbau . Aus diesem Grunde soll hier auf jede Spekula t ion verz ieh te t werden.

Zusammen/assung. 1. Der yon KVLENKA:~I"rF mi tge te i l te Befund einer W a n d e r u n g yon Glia-

zellen an die tgt igen, motor i schen Vorderwurzelzel ien he ran un te r physiotogischer Muskelarbe i t (Satel l i ten) wird drench var ia t ionss ta t i s t i sche Un te r suchung der KerngrSBe yon Gliazellen wei ter ausgebaut .

2. Vergliche~ werden die Kerngr6gen der als Sa te l l i ten um die Vorder- wurzelzellen gelegenen Zellen mi t den keiner Nervenzel le anl iegenden, , , freien" Gliazellen.

3. Die Kerne der Sate l l i ten s ind s ignif ikant gr613er als die der freien Zellen. Die GrSgendffferenz w/~chst mi t s te igender Arbei t s le i s tung des Versuehst ieres. Je n~her einer Nervenzel le gelegen, desto gr613er sind die Gliazellkerne.

4. Diese Vorg~nge sind revers ibel und naeh max ima le r Erseh6pfung innerha lb yon 4 S t d normal is ier t .

Literatur. FICEElCKSEN, ]~.: Ein neuer Beweis ftir das rhythmische Wachstum der Kerne durch ver-

gleichende volumetrisehe Untersuchungen an den Zellkernen yon Meersehweinchen und Kaninehen. Z. Zellforseh. 18 (1933). - - HER~WIG, G. : Abweichungen yon dem Verdoppelungs- wachstum der Zellkerne und ihre Deutung. Verh. Anat. Ges. 1938. Erg.-It. Anat. Anz. 87, 39 (1938). - - JAI;OBJ, W. : Uber das rhythmisehe Waehstum der Zellert dutch Verdopplung ihrer Volumina. Roux' Arch. 106 (1925). - - KOLLnR, S. : Graphisehe Tafetn zur Beurteilung sta$istischer Zahlen. Darmstadt 1953.--KULE~K.~MP~F, It. : Das Verhalten der Vorderwurzel- zellen der weiBen Maus unter dem Reiz physiologischer T~itigkeit. Z. Anat. 116 (1951). - - ])as VerhMten der Neuroglia in den Vorderh6rnerr~ des Riickenmarkes der weiBen Maus unter dem 1%eiz physiologischer T~Ltigkeit. Z. Anat. 116 (1952). - - LUrrSDEZr C.E., and C.M. POLECAT: Normal oligodendroeytes in tissue culture. Exper. Ceil Res. 2 (195!). - - NIESSI~a, K.: Zellreaktionen der M~kroglia bei Narkose. Z. mikrosk.-anat. Forsch. 56 (1950). - - ZellformeR und Zellre~ktionen der Mikrogli~ des M~usehirns. Morph. Jb. 92 (1952).

Priv.-Dozent Dr. HELOt. KUI.E~'K~M1)Fr, Wiirzburg, K611ikerstr. 6 (Anatom. Institut).


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