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Page 1: Gastrointestinale somatoforme Störungen · Gastrointestinale somatoforme Störungen Larissa Hetterich, Stephan Zipfel, Andreas Stengel Somatoforme Störungen im Magen-Darm-Trakt

Gastrointestinale somatoforme Störungen

Larissa Hetterich, Stephan Zipfel, Andreas Stengel

Somatoforme Störungen im Magen-Darm-Trakt gehen mit einem hohen Leidensdruck fürdie Patienten einher. Oftmals fällt die Diagnose schwer bzw. wird sie erst spät gestellt. DerArtikel möchte ein klareres Bild dieser Krankheitsbilder zeichnen und die Diagnostik undTherapiemöglichkeiten genauer beleuchten. Die neu überarbeitete AWMF-Leitlinie von2018 berücksichtigt die somatoformen gastrointestinalen Störungen [1].

FALLBEISPIEL TEIL 1

Die 33-jährige Patientin lebt mit ihrem Mann (seit12 Jahren verheiratet) und den beiden Kindern(Sohn 10 J., Tochter 4 J.) zusammen. Sie kümmertsich um den Haushalt, ihr Mann arbeitet im Außen-dienst bei einer Technikfirma. Sie hat früher beieiner Behörde im Büro gearbeitet; seit der Geburtder Kinder arbeitet sie nicht mehr. Sie würde gernwieder arbeiten, traut sich dies aufgrund derBeschwerden jedoch aktuell nicht zu und beschreibteine deutliche Einschränkung ihres Alltags durch dieBeschwerden.Ihr Vater hat vor 3 Jahren die Diagnose Magenkarzi-nom bekommen, vor wenigen Wochen ist er ver-storben. Das war für alle eine schwierige Zeit.Die Patientin hat seit etwa 10 Jahren Beschwerdenim Magen-Darm-Bereich. Begonnen hat alles miteinem Darminfekt und der folgenden Antibiotika-therapie. Die Beschwerden sind in den letzten 2 Jah-ren deutlich progredient, besonders im Sommerdieses Jahres ist es sehr schlimm gewesen. Siebemerkt störende Darmgeräusche, Meteorismus,rezidivierende Übelkeit ohne Erbrechen, breiigeStühle (2–8/d) und abdominelle Schmerzen; dieBeschwerden bestehen nur tagsüber.

EinleitungSomatoforme Störungen sind Krankheitsbilder, welchemit einer hohen Prävalenz von bis zu 15% einhergehen[2] und somit eine sozioökonomische Relevanz haben.Patienten mit einer somatoformen Störung haben bis zu9-fach höhere Behandlungskosten als die durchschnittli-che Bevölkerung [3]. Ungefähr 62% der Betroffenensuchen einen Arzt auf und beinahe 41% aller Patienteneiner gastroenterologischen Praxis haben eine funktio-nelle gastrointestinale Störung [4]. Für den Einzelnenbedeutet eine solche Störung oftmals einen hohen

Leidensdruck, verbunden mit einer deutlichen Einschrän-kung der Lebensqualität [5]. Die International Classifica-tion of Diseases (ICD-10) definiert somatoformeStörungen als Krankheitsbilder mit rezidivierend dargebo-tenen körperlichen Symptomen. Die betroffenen Patien-ten suchen wiederholt meist unterschiedliche Ärzte aufund fordern hartnäckig medizinische Untersuchungenund Diagnostik ein. Dieses Verhalten bleibt meist auchnach negativen Vorbefunden und der wiederholten ärztli-chen Versicherung, dass diese Beschwerden nicht durchdie körperlichen Befunde erklärbar seien, bestehen. Even-tuell vorhandene körperliche Befunde können meist dasAusmaß der Beschwerden nicht erklären.

MerkePatienten mit einer somatoformen Störung weiseneinen enormen Leidensdruck durch ihre Erkrankungund Symptome auf und sind meist stark im Alltageingeschränkt.

Oftmals gibt es eine zeitliche Korrelation zu Schweregradund Auftreten der Beschwerden und belastendenLebensereignissen.

PRAXISTIPP

Patienten mit somatoformen autonomen Störungenfordern oftmals hartnäckig diagnostische Maßnah-men ein und äußern einen deutlichen Leidensdruck.Eventuell vorhandene körperliche Befunde erklärendas Ausmaß der Beschwerden nicht.

Somatoforme Störungen können eingeteilt werden in:▪ Somatisierungsstörung (F45.0)▪ Undifferenzierte Somatisierungsstörung (F45.1)▪ Hypochondrische Störung (F45.2)▪ Somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.3)▪ Anhaltende Schmerzstörung (F45.4)

Fort- und Weiterbildung Thieme

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▪ Sonstige somatoforme Störungen (F45.8)▪ Somatoforme Störung, nicht näher bezeichnet

(F45.9)

Bezogen auf den Gastrointestinaltrakt spielt vor allemdie somatoforme autonome Funktionsstörung eine wich-tige Rolle. Die somatoformen autonomen Funktionsstö-rungen manifestieren sich symptomatisch v. a. in einemvegetativ innervierten Organ. Typische Symptome imGastrointestinaltrakt sind:▪ Stuhldrang▪ Diarrhö▪ Verstopfung▪ Blähungen▪ Flatulenzen▪ Schmerzen

Im ICD-10 sind das Reizdarmsyndrom und die funktio-nelle Dyspepsie über die Funktionsstörung definiert undorganbezogen zu finden („Sonstige Erkrankungen desDarms“ und „Krankheiten des Ösophagus, des Magensund des Duodenums“). Sollten bei diesen funktionellenErkrankungen die o. g. Merkmale hinzukommen, kannvon einer somatoformen autonomen Funktionsstörung(in diesem Falle des oberen oder unteren Verdauungssys-tems) gesprochen werden.

BEGRIFFSERKLÄRUNG

Generell wird in der Gastroenterologie häufiger vonder funktionellen Dyspepsie und dem Reizdarmsyn-drom gesprochen, in der Psychosomatik häufiger–wenn die Diagnosekriterien erfüllt sind– auf diesomatoforme autonome Funktionsstörung Bezuggenommen. Auch wenn beide Bezeichnungen nichtsynonym verwendet werden sollten, so ist doch einegroße Überlappung gegeben.

Definitionen und Symptome

Funktionelle Dyspepsie (FD)

Bei der funktionellen Dyspepsie handelt es sich um einefunktionelle Störung des oberen Verdauungstraktes.Anhand der Rom-IV-Kriterien von 2016 (und in Ermange-lung einer deutschen Leitlinie) lassen sich 3 Subtypenunterscheiden:▪ das epigastrische Schmerz-Syndrom (epigastric pain

syndrome, EPS),▪ das postprandiale Distress-Syndrom (postprandial

distress syndrome, PDS) und ein▪ Mischtyp von EPS und PDS.

MerkeDie funktionelle Dyspepsie lässt sich aufgrund derunterschiedlichen Hauptbeschwerden in die 3

Subtypen unterscheiden: epigastrisches Schmerz-Syn-drom, postprandiales Distress-Syndrom und Mischtyp.

Es gibt verschiedene Symptome, die für die Diagnose-stellung der funktionellen Dyspepsie entscheidend sind:postprandiales Völlegefühl, frühe Sättigung, epigastri-sche Schmerzen und epigastrisches Brennen.

Die Diagnose funktionelle Dyspepsie erfolgt, wenn min-destens eines der oben genannten Symptome für 3Monate anhält und der Beginn der Symptome mindestens6 Monate vor Diagnosestellung liegt. Beim PDS dominie-ren Beschwerden wie postprandiale Sättigung und / oderfrühe Sättigung, welche die Alltagsaktivitäten oder auchdas vollständige Beenden einer Mahlzeit mehr als 3-malpro Woche einschränken. Im Gegensatz dazu sind dieHauptbeschwerden beim EPS epigastrischer Schmerzund / oder epigastrisches Brennen. Diese Symptome müs-sen zur Diagnosestellung die Alltagsaktivitäten einschrän-ken und mindestens einmal pro Woche auftreten [6].

DIAGNOSEKRITERIEN FD

Zur Diagnosestellung der funktionellen Dyspepsiegehört:▪ Eines der 3 Kardinalsymptome hält für

3Monate an.▪ Beginn der Symptome mindestens 6Monate vor

Diagnosestellung.▪ Einschränkung der Alltagsaktivitäten.

Reizdarmsyndrom (RDS)

Das Reizdarmsyndrom als funktionelle Störung desunteren Verdauungssystems kann mit unterschiedli-chen Symptomen einhergehen. Charakteristisch sindvor allem abdominelle Schmerzen, die häufig rezidivie-rend und chronisch sind, sowie veränderte Stuhlgang-gewohnheiten, wobei sowohl Obstipation als auchDiarrhö vorkommen. Ebenfalls klagen Patienten überBlähungen und abdominelle Distension. Die Symptomesind oftmals verbunden mit einer enormen Einschrän-kung der Lebensqualität und einem hohen Leidens-druck, ähnlich wie bei chronischen somatischenErkrankungen wie dem Diabetes mellitus, der korona-ren Herzkrankheit oder einer chronischen Niereninsuffi-zienz. In Deutschland gilt noch die S3-Leitlinie von2011 [7]; sie ist derzeit in Überarbeitung. Ein Reiz-darmsyndrom liegt demnach dann vor, wenn folgende3 Kriterien erfüllt sind:▪ Es bestehen chronische, länger als 3Monate anhal-

tende, auf den Darm bezogene Beschwerden (z. B.Bauchschmerzen, Blähungen), die für gewöhnlich mitStuhlgangveränderungen einhergehen (aber nichtmüssen).

▪ Es liegt eine durch die Beschwerden begründete rele-vante Beeinträchtigung der Lebensqualität vor.

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▪ Es liegen keine für andere Krankheitsbilder charakte-ristische Veränderungen vor, die wahrscheinlich fürdie Symptome verantwortlich sind.

In den USA gelten seit 2016 für die Diagnosestellungeines Reizdarmsyndroms die Rom-IV-Kriterien. Diese set-zen eine Symptomdauer von mindestens 6Monaten vorder Diagnosestellung voraus. Leitsymptom sind hierbeidie rezidivierenden abdominellen Schmerzen. Diesemüssen in den letzten 3Monaten mindestens einmal proWoche aufgetreten sein. Zusätzlich müssen dieseSchmerzen mit mindestens 2 der 3 folgenden Kriterienzusammen aufgetreten sein:▪ assoziiert mit der Defäkation,▪ assoziiert mit der Veränderung der Stuhlfrequenz

und / oder▪ assoziiert mit einer Veränderung der Stuhlkonsistenz.

Wie bei den vorherigen ROM-III-Kriterien gibt es auch beiden Rom IV-Kriterien die Unterteilung in verschiedeneUntertypen des Reizdarmsyndroms. Diese werdenanhand der Stuhlgewohnheiten definiert:▪ RDS-D (diarrhea): > 25% der Stühle sind flüssig, ohne

feste Bestandteile, < 25% sind einzelne harteKlumpen.

▪ RDS-C (constipation): >25% der Stühle sind einzelneharte Klumpen, <25% flüssig, ohne festeBestandteile.

▪ RDS-M (mixed): >25% der Stühle sind flüssig, ohnefeste Bestandteile und > 25% sind einzelne harteKlumpen.

▪ RDS-U (unclassified): nicht eindeutig zuzuordnen.

MerkeDie Unterteilung des Reizdarmsyndroms mittels derRom-IV-Kriterien in 4 verschiedene Subtypen erfolgtanhand der Stuhlgewohnheiten.

Insgesamt beziehen sich die Rom-IV-Kriterien vorrangigauf ein abnormes Stuhlverhalten. Für die Klassifikationdieses Stuhlverhaltens wird die Bristol-Stuhlformen-Skalaverwendet. Die Patienten sollten dies über mindestens 2Wochen in einem Tagebuch dokumentieren. WeitereBegleitsymptome sind häufig, z. B. Stuhldrang, Gefühlder unvollständigen Darmentleerung, Stuhlgang mitSchleimbeimischung oder Druck- und Völlegefühl nachden Mahlzeiten. Da diese Symptome jedoch unspezifischsind und auch bei anderen Krankheiten häufiger vorkom-men, werden sie nicht alleinig zur Diagnosestellungherangezogen.

Dennoch sind dies die Symptome, mit denen sich diePatienten beim Arzt vorstellen und die letztlich – vorallem in Abwesenheit von bisher verfügbaren Bio- / Psy-cho-Markern – zur Diagnosestellung führen. Für die Diag-nose des Reizdarmsyndroms spricht auch das Fehlen vonWarnhinweisen oder Risikofaktoren, wie z. B. eine

positive Familienanamnese für ein Kolonkarzinom, chro-nisch-entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie, Alter >50, Fieber, nächtliche Diarrhö, Anämie, Hämatochezieund ein ungewollter Gewichtsverlust von > 10% in denletzten 3Monaten. Sind diese Warnhinweise nicht vor-handen, wird die Diagnose eines Reizdarmsyndromswahrscheinlicher [7].

PrävalenzDie Prävalenz der funktionellen Dyspepsie beträgt inwestlichen Ländern 10–40%, während in asiatischen Län-dern eine Prävalenz von 5–30% beschrieben wurde [6].Die Prävalenz des Reizdarmsyndroms liegt weltweit beica. 1–45% (gepoolt bei ca. 11,2%) [8], in Deutschlandbei etwa 15–22% [9].

MerkeIn Deutschland leiden etwa 10–40% der Bevölkerungan einer funktionellen Dyspepsie und 15–22% aneinem Reizdarmsyndrom.

Es ist weiterhin bekannt, dass es eine Assoziation zwi-schen der funktionellen Dyspepsie und dem Reizdarm-syndrom gibt. So bekommen Patienten mit einerfunktionellen Dyspepsie im Verlauf von Jahren häufigReizdarmsymptome, auch umgekehrt ist ein solcherSymptomshift / eine Symptomerweiterung beschrieben.

Komorbiditäten

FALLBEISPIEL TEIL 2

Frau T. hat zudem eine rezidivierende Stimmungs-veränderung bemerkt (erstmals vor ca. 9 Jahren),dies ist von Phasen mit normaler Stimmung unter-brochen. Aktuell ist die Stimmung deutlichgedrückt, sie fühlt sich freudlos und antriebsarm. Siemuss rasch weinen.Psychopathologischer BefundPsychischer Befund: Bewusstsein / Vigilanz: keinequantitativen oder qualitativen Bewusstseinsänderun-gen; Aufmerksamkeit /Gedächtnis: vermindert, keineamnestischen Defizite; Orientierung: zeitlich, örtlich,situativ und personell orientiert; Wahrnehmung:keine qualitativen und quantitativen Wahrnehmungs-änderungen; Denken: Grübeln, Gedankenkreisen,negative Zukunftsgedanken, gesundheitsbezogeneSorgen; Affektivität: vermindert schwingungsfähig,Stimmung deutlich gedrückt, freudlos; Antrieb / Psy-chomotorik: Antrieb und Leistungsfähigkeit vermin-dert, innere Unruhe, Durchschlafstörungen, Appetitvermindert; Ich-Erleben: keine Störungen des Ein-heitserlebens des Ichs, keine Veränderungen der Ich-Umwelt-Grenze; Intelligenz: kein Hinweis auf angebo-rene oder erworbene Intelligenzminderung; akute

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Suizidalität: rezidivierende Todesphantasien, aktuelldistanziert.In der Zusammenschau liegt somit eine komorbiderezidivierende depressive Störung mit aktuellschwergradiger Symptomatik vor.

Patienten mit somatoformen autonomen Funktionsstö-rungen haben in 50–70% der Fälle zusätzliche Beschwer-den, wobei Komorbiditäten sowohl somatoform,somatisch oder psychisch sein können. Die Überlappungvon unterschiedlichen somatoformen Störungen ist rela-tiv häufig und macht die Behandlung anspruchsvoller[10]. Die aktuell in Vorbereitung begriffene ICD-11 greiftdie Häufigkeit der (v. a. somatoformen) Komorbiditätenauf und fasst diese Erkrankungen als „bodily distressdisorders“ zusammen. Psychische Komorbiditäten sindbei Patienten mit Reizdarmsyndrom in 50–94% der Fälleberichtet worden, wobei sich die Spannbreite am ehes-ten mit den unterschiedlichen Erfassungszentren erklä-ren lässt (primär vs. tertiär, wobei die letztgenanntenPatienten oftmals durch einen schwereren und prolon-gierten Krankheitsverlauf gekennzeichnet sind). Hierbeisind vor allem Angststörungen (30–50%), Depressionen(70%) aber auch Essstörungen zu nennen. Es konntegezeigt werden, dass diese Komorbiditäten einen maß-geblichen Einfluss auf den Therapieverlauf haben [11].Auch weitere Krankheitsbilder mit somatoformer Kom-ponente sind komorbid bei ca. 50% der Patienten anzu-treffen, wie das Fibromyalgiesyndrom, die chronischeFatigue, die überaktive Blase, das chronische Becken-schmerzsyndrom und Spannungskopfschmerzen. Ansomatischen Erkrankungen, welche mit dem Reizdarm-syndrom assoziiert sind, ist z. B. die gastroösophagealeRefluxkrankheit nennen.

MerkeDas Vorhandensein einer oder mehrerer Komorbiditä-ten schränkt die Lebensqualität der Betroffenen zusätz-lich deutlich ein.

Bereits frühzeitig konnte gezeigt werden, dass Distresszu einer Verschlimmerung der gastrointestinalen Symp-tome führt. Dabei handelt es sich oftmals um einen Teu-felskreis, da durch die gastrointestinalen Beschwerdennoch mehr Disstress entsteht und die Symptome darauf-hin oftmals perpetuieren und persistieren können.

Auch bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie findensich häufig Komorbiditäten. Angststörungen undDepressionen kommen in ähnlicher Häufigkeit vor,komorbide Essstörungen sind jedoch deutlich häufigeranzutreffen als beim Reizdarmsyndrom. Inwiefern diepsychische Komorbidität an der Entstehung der funk-tionellen Dyspepsie (mit)beteiligt ist, ist noch nichtabschließend geklärt, da sowohl die psychische Erkran-kung die Entstehung einer funktionellen Dyspepsie

begünstigen kann, jedoch auch die funktionelle Dyspep-sie ein prädisponierender Faktor für die Entstehung einerweiteren Erkrankung sein kann [6].

MerkePatienten mit somatoformen autonomen Funktions-störungen des Gastrointestinaltraktes haben häufigKomorbiditäten. Diese können psychischer, somati-scher oder somatoformer Natur sein.

PathophysiologieDie Pathogenese der somatoformen autonomen Funk-tionsstörungen des Verdauungssystems ist am bestenüber das biopsychosoziale Modell zu erklären (Abb. 1).Dabei spielen biologische, psychische und soziale Fakto-ren in unterschiedlicher Konstellation eine Rolle. Hierbeikönnen sowohl genetische Faktoren wie auch dieUmwelt spätere Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen.Zu den Persönlichkeitsmerkmalen gehören auch Bewälti-gungsstrategien, die dann pathogenetisch bedeutsamwerden, wenn diese nicht mehr ausreichen. Für das Reiz-darmsyndrom v. a. bedeutsam sind folgende Faktoren:frühere Lebenserfahrungen, Verhalten der Eltern, sozia-les Lernen, Kultur, Traumata, Infektionen, Stress und dasAusmaß der Unterstützung, die ein Individuum in sei-nem Leben erhalten hat. Diese Faktoren spielen auch beider Entstehung der funktionellen Dyspepsie eine wich-tige Rolle. Zusätzlich gibt es weitere Risikofaktoren, dieeine Krankheitsentstehung erleichtern, wie z. B. eine Rei-sediarrhö, die Einnahme von Antibiotika oder nichtsteroi-dalen Antirheumatika, Rauchen und Übergewicht.

biologische Faktoren(genetische Disposition,

Verletzungen, Infektionen,Schmerz etc.)

soziale Faktoren(Kultur, Familie,Freunde, Arbeit,

Wohnen, Leben etc.)

psychische Faktoren(Verhalten, Erleben,

Bewältigung, Traumata,Emotionen etc.)

▶Abb. 1 Pathogenese der somatoformen gastrointestinalen Funktions-störungen anhand des biopsychosozialen Modells.

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BIOPSYCHOSOZIALES MODELL

Das biopsychosoziale Modell enthält Faktoren derPsyche, der Biologie und des sozialen Umfeldes undspielt eine wesentliche Rolle in der Pathophysiologievon somatoformen autonomen Funktionsstörungendes Gastrointestinaltraktes.

Als besonderer Risikofaktor für die Entwicklung vonsomatoformen autonomen Funktionsstörungen des Ver-dauungssystems konnten negative Lebensereignisse(sogenannte „Life Events“) beschrieben werden; hier istdas Erleben z. B. von Missbrauch oder Traumatisierungenals Risikofaktor zu nennen [12].

Ein weiterer wichtiger Baustein in der Pathophysiologiesomatoformer autonomer Funktionsstörungen des Ver-dauungssystems ist die Darm-Gehirn-Achse, in letzterZeit noch erweitert um das Darmmikrobiom. Allerdingsbesteht hier noch erheblicher Forschungsbedarf, um dieZusammensetzung eines „gesunden“ Mikrobioms besserzu verstehen.

MerkeDie Darm-Gehirn-Achse ist ein bidirektionales Kommu-nikationssystem zwischen dem zentralen Nervensys-tem (ZNS) und dem Darm.

Über afferente Nervenfasern gelangen Informationenaus dem Gastrointestinaltrakt zum ZNS, werden dortverarbeitet und weiter verknüpft–beispielsweise mitemotionsverarbeitenden Gehirnarealen–und über effe-rente Leitungsbahnen zurück an den Darm geschickt,wodurch die Darmfunktion moduliert werden kann.Um eine Veränderung dieses Kommunikationssystemsbei somatoformen autonomen Funktionsstörungen desVerdauungssystems hervorzuheben, wird von diesen inden Rom-IV-Kriterien auch als Störung der „Gut-BrainInteraction“ gesprochen. Diese Störung kann Auswir-kungen auf Darmmotilität, intestinale Immunantwort,oder intestinale Permeabilität haben. Durch dieerleichterte Durchgängigkeit können Entzündungszel-len den Darm durchdringen und zu einer lokalen Ent-zündungsreaktion führen, welche wiederum eineviszerale Hypersensitivität begünstigt. So kommt esbei der funktionellen Dyspepsie sowohl durch die Ent-zündungsreaktion wie auch durch die pathologischenAntworten auf chemische und mechanische Reize zueiner viszeralen Hypersensitivität, die auch beim Reiz-darmsyndrom beobachtet werden kann [13].

FAZIT FÜR DIE PRAXIS

Eine Störung in der (Mikrobiom)-Darm-Gehirn-Achsewirkt sich auf Darmmotilität, Immunantwort undintestinale Permeabilität aus und ist somit ebenfalls

ein wichtiger Baustein in der Entstehung des Reiz-darmsyndroms und der funktionellen Dyspepsie.

Diagnostik

FALLBEISPIEL TEIL 3

Die Patientin hat im Zuge der Beschwerden eineVielzahl von verschiedenen Ärzten aufgesucht. Diedurchgeführte organopathologische Diagnostik(körperliche Untersuchung, Labor, mehrfach Öso-phagogastroduodenoskopie, einmalig mit tiefenDuodenalbiopsien und mehrfach Koloskopie, einma-lig inklusive Stufenbiopsien, Sonografie des Abdo-mens, gynäkologischer Ultraschall) hat keinenwegweisenden Befund erbracht. In den Atemtestssind eine Laktoseintoleranz und eine Fruktosemalab-sorption festgestellt worden, die entsprechendeDiät hat jedoch keine deutliche und anhaltendeBeschwerdebesserung erbracht. Eine Rückversiche-rung an die Patientin, dass es keine (rein) körperlicheUrsache der Beschwerden gibt, erbrachte nur einesehr kurzfristige Beruhigung.Zusammenfassend kann somit die Diagnose einersomatoformen autonomen Funktionsstörung desoberen und unteren Verdauungssystems vergebenwerden. Wie oben beschrieben, liegt eine komor-bide rezidivierende depressive Störung mit aktuellschwergradiger Symptomatik vor.

Da es noch keine deutsche Leitlinie zur funktionellenDyspepsie gibt, hat die Deutsche Gesellschaft für Neuro-gastroenterologie und Motilität lediglich Empfehlungenzur Diagnostik bereitgestellt. Entsprechende Warnsymp-tome, die sich aus der Anamnese ergeben können, sindGewichtsabnahme, Dysphagie, Odynophagie, rezidivie-rendes Erbrechen, Appetitlosigkeit, Anämie / Zeichen dergastrointestinalen Blutung, Fieber, höheres Lebensalter(50 + / - 5 Jahre), familiäre Belastung mit gastrointestina-len Karzinomen und eine kurze Anamnese. Diese Warn-hinweise sollten nicht übersehen werden und lassenprimär an andere Krankheitsbilder denken, welche dannbestätigt oder ausgeschlossen werden sollten.

Aus der Anamnese sollte auch der entsprechende Subtyperfasst werden. Die Anamnese alleine ist jedoch nichtausreichend und weitere Diagnostik ist zwingend not-wendig. Die Deutsche Gesellschaft für Neurogastroente-rologie und Motilität empfiehlt eine körperlicheUntersuchung, ein Basislabor (kleines Blutbild, CRP / BSG,Gamma-GT, GOT /GPT, Kreatinin, Lipase), eine Abdo-men-Sonografie und eine Ösophago-Gastro-Duodeno-skopie (ÖGD). Die Durchführung eines abdominellenUltraschalls kann hilfreich sein, um eine biliäre Genese

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wie auch eine maligne Erkrankung auszuschließen.Ebenso sollten mindestens zwei unterschiedliche Test-verfahren für den Nachweis von Helicobacter pyloridurchgeführt werden. Damit kann eine durch Helicobac-ter pylori ausgelöste Dyspepsie ausgeschlossen werden;diese wäre dann durch eine Eradikation behandelbar [6].Auch weitere Ausschlussdiagnostik wie eine 24h-pH-Metrie oder Dünndarmmanometrie ist möglich, abernicht zwingend notwendig.

DIAGNOSTIK BEI FUNKTIONELLER

DYSPEPSIE

▪ Anamnese mit Warnsymptomen (welche primär

an andere Erkrankung denken lassen)

▪ körperliche Untersuchung

▪ Basislabor

▪ Abdomen-Sonografie

▪ Ösophago-Gastro-Duodenoskopie

▪ Test auf Helicobacter pylori

Zur Diagnosestellung des Reizdarmsyndroms solltengemäß S3-Leitlinie nach einer ausführlichen Anam-nese eine körperliche Untersuchung (inklusive digital-rektaler Untersuchung) sowie eine Laboruntersuchungerfolgen. Auch eine Stuhluntersuchung zum Aus-schluss pathogener Keime inklusive Parasiten ist sinn-voll. Obligat sind weiterhin ein abdominellerUltraschall sowie eine gynäkologische Untersuchungbei Frauen. Die Durchführung einer Endoskopie(obere und untere) sollte bei entsprechender Sympto-matik zum Ausschluss einer Zöliakie sowie einer chro-nisch entzündlichen Darmerkrankung erfolgen, beiDurchfallsymptomatik ist an die Entnahme von Stu-fenbiopsien zum Ausschluss einer mikroskopischenKolitis zu denken. Auch die Durchführung von H2-Atemtests sollte zum Ausschluss einer Laktoseintole-ranz und Fruktosemalabsorption erfolgen, da dieseUnverträglichkeiten leicht behandelbar sind. Die Aus-schlussdiagnostik ist gegebenenfalls anhand der Sym-ptomatik der Patienten zu erweitern [7].

DIAGNOSTIK BEI REIZDARMSYNDROM

▪ Anamnese mit Warnsymptomen (welche primär

an andere Erkrankung denken lassen)

▪ körperliche Untersuchung inklusive digital-rektaler

Untersuchung

▪ gynäkologische Untersuchung

▪ Basislabor

▪ Stuhluntersuchung auf pathogene Keime

▪ Sonografie des Abdomens

▪ Gastro- und Koloskopie

▪ H2-Atemtests

Die Diagnose einer somatoformen autonomen Funkti-onsstörung kann dann gestellt werden, wenn in den vor-liegenden diagnostischen Untersuchungen keinepathologischen Veränderungen sichtbar sind, die dieSymptome der Patienten ausreichend erklären undzusätzlich die Positivkriterien einer somatoformen Stö-rung vorliegen (für das Reizdarmsyndrom allein nichtzwingend notwendig). Es sollte darauf geachtet werden,keine unnötige und / oder wiederholende Diagnostikanzuwenden, da dadurch die Patienten in ihrem (oftmalsrein somatischen) Krankheitskonzept bestärkt würdenund eine weitere Einforderung von–womöglich immerinvasiverer–Diagnostik erfolgen würde.

MerkeEin wichtiger Schritt ist die Übermittlung der Diagnose,welcher bereits Teil der Therapie im Sinne der Psycho-edukation ist.

Therapie

FALLBEISPIEL TEIL 4

Bei der Erstvorstellung nimmt die Patientin Heilerdeund Simethicon ein. Dies verbessert die Beschwerdennicht. Eine psychotherapeutische Behandlung hat bis-her nicht stattgefunden, von einer gastroenterologi-schen Rehamaßnahme hat sie nur minimal profitiert.Die von uns angebotene bedarfsweise Behandlungmit Loperamid verschafft Linderung in als belastenderlebten Situationen, die symptomatische Therapiemit Mebeverin und Butylscopolamin wird als nichthilfreich erlebt. Zur Schmerzreduktion besprechenwir mit der Patientin die Off-Llabel-Therapie mitAmitriptylin (Start mit 12,5mg zur Nacht, alle 2Wochen Steigerung auf max. 50mg zur Nacht). Hie-runter reduziert sich die Stuhlfrequenz und verbes-sert sich die Stuhlkonsistenz. Dennoch muss sieweiterhin 3- bis 4-mal auf die Toilette, hat weiterhinMeteorismus und Schmerzen. Die Beschwerdenbeeinträchtigen sie stark, sie grübelt viel darübernach und zieht sich zunehmend sozial zurück.In Anbetracht der Komorbidität und der Schwere derSymptomatik sehen wir zur Verhinderung einer wei-teren Progredienz und Chronifizierung die Indikationzur stationären psychosomatischen Behandlung.Dies wird von der Patientin begrüßt. Folgende The-rapieziele werden zu Beginn von der Patientin for-muliert: Strategien zum Umgang bezüglich deraktuellen Symptomatik, Verbesserung der Lebens-qualität, Stimmungsstabilisierung und Bewältigungder angstbesetzten Zustände (Sorge um andere,Sorge um sich selbst).Die Patientin nimmt am Therapieprogramm für soma-toforme Erkrankungen teil, bestehend aus Einzel- und

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Gruppentherapien, Chef- und Oberarztvisiten, einerinterpersonellen Gruppe zur Depressionsbehandlung,Musiktherapie, Bewegungstherapie, Physiotherapieund einer speziellen Gruppe zum Erlernen vonEntspannungstechniken.Frau T. kann sich nach einer Eingewöhnungszeit gutin den Stationsalltag und die Patientengemeinschaftintegrieren. Sie setzt sich mit ihrer biografischenEntwicklung und bisherigen Beziehungserfahrungenauseinander, die Einfluss auf die Krankheitsentste-hung und vor allem -aufrechterhaltung haben. Diegeregelte Tagesstruktur und das Gefühl, Hilfe undUnterstützung für ihre Beschwerden zu bekommen,die Wahrnehmung sozialer Kontakte und Durchfüh-rung von sozialen Aktivitäten trotz Beschwerdenführen zu einer signifikanten Verbesserung der Stim-mung wie auch der Magen- und Darmbeschwerden.Insgesamt kann die Patientin ein verbessertes Krank-heitsverständnis mit psychosomatischen Aspektenentwickeln und in ersten Schritten einen funktiona-leren Umgang mit den Beschwerden einüben. DieBauchbeschwerden sind weiterhin vorhanden, aberin deutlich geringerem und wechselndem Ausmaß.Ebenso hat sich die Stimmung wieder stabilisiert,vor allem waren hierfür soziale Kontakte und Aktivi-täten hilfreich. Die Patientin möchte zur weiterenStabilisierung eine ambulante Psychotherapieaufnehmen.

Die therapeutischen Ziele in der Behandlung des Reizdarm-syndroms und der funktionellen Dyspepsie sind vorrangig,die Symptome zu lindern und damit die Lebensqualität derPatienten zu verbessern. Für beide funktionelle Störungengibt es nicht nur eine Therapiemöglichkeit, sondern vieleverschiedene Ansätze. Zuallererst sollte den Patienten ihrKrankheitsbild verständlich vermittelt werden, damit sieaktiv in die Behandlung einbezogen werden können. Dadie Patienten oftmals viele Arztbesuche und Diagnostikhinter sich haben, ist es wichtig, eine (möglichst) stabileArzt-Patienten-Beziehung aufzubauen.

PRAXISTIPP

Um ein besseres Verständnis für die subjektive Auffas-sung der Patienten über ihre Krankheit zu bekommen,empfiehlt sich, spezielle Fragebögen anzuwenden, wiez. B. den Illness Perception Questionnaire.

Ebenso ist es wichtig, dass die unterschiedlichen krank-heitsauslösenden Faktoren eruiert werden. Dazu gehört,dass die Assoziation der Symptome mit belastenden Fak-toren wie Stress eine wichtige Rolle spielt. RegelmäßigeTermine nehmen den Patienten die Angst, genauso wiedie Teilnahme an Selbsthilfegruppen oder Gesprächeden Verlauf positiv beeinflussen können. Im Folgenden

werden die unterschiedlichen Therapiemöglichkeitenvorgestellt.

Medikamentöse Therapie

Eine medikamentöse Therapie sollte symptomorientiertsein und vor allem beim Reizdarmsyndrom mit modera-ter Symptomschwere angewendet werden (s. ▶Tab. 1).Wenn die Patienten nicht innerhalb von 3Monatenansprechen, sollte man eine Umstellung der Medikationerwägen. Eine Möglichkeit ist die Kombination verschie-dener Substanzen.

MerkeGenerell sollte die medikamentöse Therapie gemein-sam mit diätetischen Maßnahmen oder–bei schwere-ren Verlaufsformen –psychotherapeutischen Verfahrendurchgeführt werden.

Bei der medikamentösen Therapie ist es wichtig, eineUnterscheidung der verschiedenen Subtypen des Reiz-darmsyndroms vorzunehmen. Entsprechend werden fürdas RDS-D Opioid-Antagonisten (z. B. Loperamid) oder5HT3-Antagonisten (z. B. Ondansetron) eingesetzt(▶Tab.1). Dies führt zu einer erhöhten Transitzeit desKolons. Beim RDS-C dominieren Laxanzien wie Macrogol.Zusätzlich werden oft Spasmolytika wie Butylscopolaminverschrieben, die entsprechend gegen die Bauchkrämpfewirken. Auch die Gabe von Psychopharmaka kann eineSymptomlinderung herbeiführen. Eine wichtige Rolle spie-len hierbei trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Die trizyklischen Antidepressivahaben den Vorteil, dass sie auch gut auf viszerale Schmer-zen wirken, während die selektiven Serotonin-Wiederauf-nahmehemmer bei komorbider Angststörung geeignetsind und eine gute Verträglichkeit aufweisen. Da trizykli-sche Antidepressiva auch die Kolontransitzeit verlängern,werden sie häufig bei Patienten mit RDS-D eingesetzt,während SSRI prokinetisch wirken und somit einen negati-ven Effekt auf Diarrhö besitzen. Generell werden die trizyk-lischen Antidepressiva geringer dosiert, wenn sie nurgegen viszerale Schmerzen eingesetzt werden (Off-Label-Therapie). Bei psychischen Komorbiditäten werden die tri-zyklischen Antidepressiva in höherer (antidepressiver)Dosierung verabreicht.

Bei der funktionellen Dyspepsie werden andere Medika-mentengruppen verwendet (▶Tab. 2). Zum einen kom-men Protonenpumpeninhibitoren bei säurebetonterDyspepsie zum Einsatz. Ebenso können Dopamin-2-Rezeptor-Antagonisten wie Domperidon oder Metoc-lopramid genutzt werden. Auch Simethicon als Ent-schäumer ist eine oft genutzte Therapie für diefunktionelle Dyspepsie. Ebenso sind Serotonin-Agonistenwie auch -Antagonisten eine Therapiemöglichkeit beider funktionellen Dyspepsie. Auch Phytopharmakahaben ihren Stellenwert [6].

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Diätetische Maßnahmen

Eine nicht-medikamentöse Therapieoption für dasReizdarmsyndrom stellt die sogenannte FODMAP-Diät dar. Dabei verzichten die Patienten zeitweiseauf fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide,Monosaccharide und Polyole (oder reduzieren diesezumindest). Diese Therapie hat in Studien guteErgebnisse gezeigt und sollte zeitlich begrenztAnwendung finden. Prinzipiell sollten sich Patientengesund ernähren und eine fettarme Kost zu sichnehmen. Zusätzlich zu einer gesunden Ernährung isteine sportliche Betätigung empfohlen. Weiterhinkönnen ausgewählte Probiotika die Symptome desReizdarmsyndroms verbessern, die Studienlage isthier jedoch sehr inhomogen, sodass bisher keineklare Empfehlung für den Einsatz von Probiotika

gegeben werden kann. Nicht zuletzt kann die Ein-nahme von Ballaststoffen (v. a. beim RDS-C) symp-tomlindernd sein.

PRAXISTIPP

Merke: Eine gesunde Ernährung und sportliche Maß-nahmen können wesentlich zur Symptomlinderungführen. Ebenso ist es wichtig, dass der Patient dieNahrungsmittel reduziert und ggf. meidet, die dieSymptome verstärkt hervorrufen.

Bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie treten dieBeschwerden oft nach der Mahlzeiteneinnahme auf,bzw. werden durch diese verstärkt. Auch hier sollten

▶Tab. 1 Zugelassene / verfügbare medikamentöse Therapiemöglichkeiten beim Reizdarmsyndrom.

Medikament Gewünschte Wirkung

Opioid-Antagonisten (z. B. Loperamid) Erhöhte Transitzeit des Kolons v. a. beim RDS-D

5HT3-Antagonisten (z.B: Ondasentron) Erhöhte Transitzeit des Kolons v. a. beim RDS-D, schmerzlindernd

Laxanzien (z. B. Macrogol, 5HT4-Agonist Prucaloprid) Gesteigerte Peristaltik und Verflüssigung des Stuhls

Spasmolytika (z. B. Butylscopolamin) Tonus der glatten Muskulatur wird herabgesetzt, krampflösend, beiStuhlunregelmäßigkeiten

Lösliche Ballaststoffe (z. B. Ispaghula) Stuhlregulierend, schmerzlindernd, Behandlung beim RDS-D / RDS-O

(Probiotika) Schmerzlindernd, Behandlung v. a. beim RDS-D

Phytotherapeutika (z. B. STW 5) Spasmolytisch, bei Stuhlunregelmäßigkeiten, Blähungen, Meteorismus,Flatulenz

Trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin) Verminderung viszeraler Schmerzen, Verlängerung der Kolontransitzeit(v. a. beim RDS-D), ggf. Verbesserung psychischer Begleitsymptome

selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (z. B. Paroxetin) Prokinetisch (v. a. beim RDS-C), Verbesserung psychischerBegleitsymptome

Gasbinder (z. B. Simethicon) (moderate) Verminderung der intestinalen Gasmenge

* keine sichere Evidenz

▶Tab. 2 Medikamentöse Therapieoptionen bei der funktionellen Dyspepsie.

Medikament Gewünschte Wirkung

Protonenpumpeninhibitoren (z. B. Pantoprazol) Hemmung der Magensäuresekretion

D2-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Domperidon, Metoclopramid) Antiemetisch, fördern anterograde Peristaltik im Magen

Entschäumer (z. B. Simethicon) Gegen Blähungen, Völlegefühl, Schmerzen im Bauchraum

Serotonin-Agonisten (z. B. Sumatriptan, Tandospiron) Verändert Magengröße und verringert die durch gastrische Distensionausgelöste Übelkeit, Anxiolyse, gastrische Akkommodation gesteigert

5HT3-Antagonisten (z. B. Ondasentron) Verbesserung der gastrischen Akkomodation

Phytopharmaka (z. B. STW 5) Verbesserte gastrische Akkomodation, Verbesserung der Schmerzen,Symptomlinderung

[Tabellenfußzeile - bitte überschreiben]

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die Patienten die Nahrung reduzieren / ggf. meiden,die die entsprechenden Symptome verstärken – einesehr restriktive Diät sollte jedoch vermieden werden.Ebenso ist der Verzicht auf fettreiche Nahrung undmehr Bewegung eine Möglichkeit, die Symptome zulindern.

Psychotherapeutische Maßnahmen

Ein weiterer wichtiger Baustein der Therapie des Reiz-darmsyndroms sowie auch der funktionellen Dyspep-sie ist die Psychotherapie. Es ist jedoch zu bemerken,dass es mehr Daten zur Psychotherapie beim Reiz-darmsyndrom gibt. Anhand des biopsychosozialenModells zeigt sich der Einfluss von psychischen undsozialen Faktoren auf das Krankheitsausmaß deutlich.Somit nimmt es nicht wunder, dass es mithilfe psy-chologischer Interventionen möglich ist, Beschwerdenzu lindern. Zu den psychotherapeutischen Maßnah-men gehören vor allem▪ die Psychoedukation,▪ die kognitive Verhaltenstherapie,▪ die psychodynamische Psychotherapie und▪ die Hypnotherapie.

Psychoedukation

Wie bei vielen Erkrankungen ist es auch bei funktionellenund somatoformen Störungen des Verdauungssystemsessenziell, dass der Patient ausreichend über seineErkrankung aufgeklärt ist.

MerkeFür das Aufklärungs- und Beratungsgespräch sollte sichder behandelnde Arzt Zeit lassen.

Viele Patienten haben eine lange Leidensgeschichte undzahlreiche Arztkontakte hinter sich und haben dennochkein klares Verständnis von Diagnose und Pathogenese.Die entsprechende Vermittlung erfordert Empathie undVerständnis vom behandelnden Arzt, fördert die Arzt-Patienten-Beziehung und kann bereits eine ggf. geplantePsychotherapie bahnen.

Zur Psychoedukation gehört oftmals auch, die Angehöri-gen der Patienten miteinzubeziehen, da sich ein ver-ständnisvolles Umfeld förderlich auf den Therapieverlaufauswirkt. Die Psychoedukation kann entweder im Einzel-gespräch oder auch in Gruppengesprächen mit anderenPatienten erfolgen. Als Ziel steht vor allem der verbes-serte Umgang mit der Krankheit im Vordergrund.Dadurch kann auch die Prognose deutlich verbessertwerden.

Trotzdem ist es auch wichtig, die somatischen und kör-perlichen Beschwerden weiterhin zu beachten und denPatienten nicht auf die psychischen Beschwerden zureduzieren.

Cave

Es sollte vermieden werden, vorschnell von Psychoge-nese zu reden.

Kognitive Verhaltenstherapie

Die breiteste Studienlage zu psychotherapeutischen Inter-ventionen bei somatoformen autonomen Funktionsstö-rungen des Verdauungssystems gibt es zur kognitivenVerhaltenstherapie, welche einerseits die Faktorenbeleuchtet, die zur Entstehung der Erkrankung geführthaben, und andererseits auch die Faktoren, die zur Auf-rechterhaltung beitragen. Bei Patienten mit somatofor-men Störungen spielt die Angst vor einer organischenKrankheit eine wichtige Rolle. Die Patienten sind ständigbestrebt, eine organische Ursache zu finden, jeder weitereunauffällige Befund schürt diese oftmals weiter.

Gerade gastrointestinale Symptome können ein großesUnwohlsein verursachen und die Patienten sorgen sich oftvor dem Auftreten der Symptome, wie Diarrhö inbestimmten Situationen. Diese Angst kann zu einem Ver-meidungsverhalten führen. Ebenso richten Patienten oft-mals ihre komplette Aufmerksamkeit auf die Symptome.Durch die Wahrnehmungsverzerrung reagieren die Patien-ten häufig übersensibel auf Reize und nehmen ihre Symp-tome noch stärker war. Es kann hier zum Katastrophisierenkommen: Die Patienten fühlen sich hilflos und unverstan-den und nehmen die Symptome als immer gravierenderwahr. Dies zieht einen enormen Leidensdruck und einedeutliche Einschränkung der Lebensqualität nach sich.Zusätzlich kann es im sozialen Umfeld zu Problemen kom-men–Patienten, die gedanklich zunehmend um ihre sub-jektiven Beschwerden kreisen, erleben im Verlauf einensozialen Rückzug bis zur sozialen Isolation. Fehlender sozia-ler Rückhalt von Familie und Freunden führt wiederumdazu, dass sich Patienten auf ihre Krankheit konzentrieren.

MerkeDie kognitive Verhaltenstherapie kann den Teufelskreiszwischen Fokussierung auf die Krankheit, fehlendemRückhalt in der Familie, sozialer Isolation und dadurchweiterer Konzentration auf die Erkrankungdurchbrechen.

Dabei sollten Patienten ihre Handlungsweisen verändern,lernen ihre Symptome aktiv zu kontrollieren und damitversuchen ihre Ängste zu reduzieren. Die direkte Kon-frontation mit unangenehmen Situationen und dasgenaue Analysieren dieser Situationen kann den Patien-ten verschiedene Faktoren aufzeigen, die diese Situatio-nen verschlimmern. Auch die Gedanken, die diePatienten in diesem Moment berichten, werden in dieTherapie einbezogen. Im Wesentlichen spielen folgendePunkte eine wichtige Rolle:▪ Selbstbeobachtung: Die Patienten sollten sich kriti-

sche Fragen stellen und ihr Verhalten beobachten

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und hinterfragen. Auch die genaue Auseinanderset-zung mit den Gefühlen spielt eine Rolle.

▪ Kognitive Umstrukturierung: Die Patienten solltenihre üblichen Verhaltensweisen vermeiden und somitdie kognitiven Verzerrungen verändern.

▪ Problemlösung: Gemeinsam werden die Problemebeleuchtet und es wird nach Lösungen und Verbesse-rungen geschaut.

▪ Konfrontation / Exposition: Die Patienten werdenstressauslösenden Situationen ausgesetzt. Dabei soll-ten die üblichen Muster der Vermeidung und Hyper-sensibilität vermieden werden und auf die davorausgearbeiteten Verhaltensweisen zurückgegriffenwerden. Diese Konfrontation sollte wiederholt statt-finden, damit die Konditionierung der Angst und Ver-meidung reduziert wird und die Patienten sukzessiveweniger Angst empfinden.

▪ Entspannungstechniken: Mit einer geübten Techniksollten die Patienten sich in / vor / nach Stresssituationentspannen können.

MerkeEine breite Studienlage zeigt die Wirksamkeit der kog-nitiven Verhaltenstherapie in Bezug auf somatoformeautonome Funktionsstörungen desVerdauungssystems.

Die kognitive Verhaltenstherapie verbessert nicht nur diesubjektive Symptomwahrnehmung und führt dadurch zueiner gesteigerten Lebensqualität, sondern reduziertauch die Angst und verbessert die Komorbiditäten, wiez. B. die Depression [14].

Psychodynamische Therapie

Bei der psychodynamischen Therapie besteht ein wesent-liches Ziel in der Aufarbeitung von intra- / interpersonellenKonflikten, welche oft maßgeblich an der Symptomaus-prägung und -schwere beteiligt sind. Die Patienten erlan-gen im Rahmen der Therapie einen Zugang zu diesenKonflikten und können diese im Rahmen der interperso-nellen (meist Einzel-) Therapie bearbeiten. Dabei spielenauch das Erleben zwischenmenschlicher Beziehungensowie eine bessere Selbstwahrnehmung eine Rolle [15].

Eine Studie zeigte, dass psychodynamische Interventio-nen einen positiven Einfluss auf die Beschwerden beimReizdarmsyndrom haben. Im Vergleich zur Kontroll-gruppe mit einer rein medikamentösen Therapie erhielteine Gruppe zusätzlich eine dynamische Psychotherapie.Diese Gruppe zeigte eine signifikante Verbesserung derkörperlichen Beschwerden, welche auch ein Jahr späternoch nachweisbar war [16].

Eine Metaanalyse untersuchte den Effekt psychodynami-scher Interventionen bei Patienten mit Reizdarmsyndrom.Dabei wurden zwei Studien eingeschlossen (insgesamtn=273) [17]. Hierbei zeigten 45,8% der Patienten eine

Verbesserung der Symptome im Vergleich zu 29,6% inder Vergleichsgruppe. Die NNT (Number needed to treat)für psychodynamische Verfahren liegt bei 4 [17].

Hypnotherapie

Auch die Hypnose stellt eine ernstzunehmende Thera-piemöglichkeit bei somatoformen autonomen Funk-tionsstörungen dar. Bei der Hypnotherapie induziert derTherapeut einen veränderten Bewusstseinszustand beiden Patienten im Sinne einer Heterosuggestion. DieHypnotherapie beim Reizdarmsyndrom beinhaltet 7– 12Sitzungen à 30–60Minuten über 3Monate. Ebenso soll-ten Patienten im Verlauf täglich mithilfe einer CD weiterüben – auch eine kostensparende Version mit einer reinCD-gestützten Intervention wurde bereits bei Kindernuntersucht. Während der Therapie ist ein Symptomtage-buch sinnvoll, in welchem die Patienten die Dauer undIntensität der Bauchschmerzen sowie die Stuhlhäufigkei-ten, das Befinden, die Dauer der Selbstübungen und wei-tere Informationen festhalten.

Mehrere Studien haben gezeigt, dass eine Hypnose beimReizdarmsyndrom, v. a. bei medikamentenrefraktärenVerläufen, günstige Effekte haben kann. So haben 24-73% der Patienten positiv auf eine Hypnose angespro-chen. Dies beinhaltet eine Reduktion der gastrointestina-len Symptome sowie eine Verbesserung von Stimmungund Wohlbefinden. Die Hypnotherapie kann bei allenReizdarm-Subtypen eingesetzt werden (v. a. RDS-C, RDS-M und RDS-U) [18]. Für die funktionelle Dyspepsie gibtes bislang nur wenige Daten zur Hypnotherapie, diesesind jedoch vielversprechend.

Eine neue Metaanalyse schloss insgesamt 5 verschiedeneStudien über Hypnotherapie mit insgesamt 278 Patien-ten ein. Dabei zeigten 55,4% der Patienten eine Verbes-serung der Symptome im Vergleich zu 22,6% in derKontrollgruppe. Die NNT lag bei 5 [17].

KERNAUSSAGEN

▪ Gastrointestinale somatoforme Störungen sind mit

einer Prävalenz von 15% in Deutschland eine häu-

fige Diagnose.

▪ Die beiden wichtigsten funktionellen gastrointesti-

nalen Störungen sind die funktionelle Dyspepsie

und das Reizdarmsyndrom.

▪ Das Reizdarmsyndrom wird anhand der deutschen

Leitlinie diagnostiziert als chronische, auf den

Darm bezogene Beschwerden, welche die Lebens-

qualität maßgeblich beeinträchtigen. Gemäß den

Rom-IV-Kriterien ist eine Subgruppierung anhand

der Stuhlgangveränderungen möglich.

▪ Die funktionelle Dyspepsie beinhaltet gemäß

Rom-IV 2 Untertypen: das epigastrische Schmerz-

Syndrom mit epigastrischem Schmerz / Brennen

und das postprandiale Distress-Syndrom mit

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früher postprandialer Sättigung. Weiterhin gibt es

noch einen Mischtyp.

▪ Die Beschwerden werden nicht oder nicht voll-

ständig von einem organopathologischen Befund

erklärt.

▪ Die Funktionsstörungen – oftmals bei schwereren

Verlaufsformen– sind durch häufige Komorbiditä-

ten kompliziert, wie z. B. Angststörungen, Depres-

sionen aber auch somatische Erkrankungen.

Bei der Entstehung der Erkrankungen spielen bio-

logische, soziale und psychische Faktoren eine

große Rolle. Auch die (Mikrobiom)-Darm-Gehirn-

Achse kann Störungen aufweisen, die zu einer

somatoformen autonomen Funktionsstörung des

Verdauungssystems beitragen können.

▪ Die Diagnostik beinhaltet die ausführliche Anam-

nese, eine körperliche Untersuchung, ein Basislabor,

eine Sonografie, eine gynäkologische Untersuchung,

Endoskopien und ggf. speziellere Tests.

▪ Wichtig für ein gutes therapeutisches Ergebnis

sind die klare Darstellung des Krankheitskonzeptes

und eine gute Arzt-Patienten-Beziehung. Es ist

wichtig, die weiteren Therapieschritte gemeinsam

zu entscheiden, da es eine Vielzahl von therapeuti-

schen Möglichkeiten gibt. Dazu gehören die medi-

kamentöse Therapie und diätetische Maßnahmen,

aber auch – v. a. bei schwereren Verlaufsformen–

Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie,

psychodynamische Therapie, Hypnotherapie).

Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonfliktebestehen.

Autorinnen / Autoren

Larissa HetterichSeit 2015 Studentin der Humanmedizin an derEberhard-Karls-Universität Tübingen, seit2018Mitarbeit und Dissertation in der AG soma-toforme Störungen unter Leitung von Prof. Dr.med. Andreas Stengel in der Inneren Medizin VI,Abteilung Psychosomatische Medizin und Psy-chotherapie am Universitätsklinikum Tübingen.

Stephan ZipfelProf. Dr. med. Studium der Humanmedizin inHeidelberg, London und Frankfurt am Main.Facharztausbildung für Innere Medizin und Psy-chosomatische Medizin und Psychotherapie,Ärztlicher Direktor der Abteilung Innere Medi-zin VI, Schwerpunkt Psychosomatische Medizinund Psychotherapie und Gesamtleitung derPsychoonkologie am CCC-TumorzentrumTübingen-Stuttgart.

Andreas StengelProf. Dr. med. Studium der Humanmedizin ander HU Berlin, 4-jähriger Forschungsaufenthaltan der UCLA in Los Angeles, Facharzt für InnereMedizin, Facharztausbildung für Psychosomati-sche Medizin an der Charité Berlin und am Uni-versitätsklinikum Tübingen,Arbeitsgruppenleiter in der Medizinischen Kli-nik m.S. Psychosomatik an der Charité Berlinund Oberarzt in der Inneren Medizin VI, Abtei-lung Psychosomatische Medizin und Psycho-therapie, Leiter Ambulanz und Konsilwesen,Sektionsleiter Psychoonkologie.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Andreas StengelInnere Medizin VIPsychosomatische Medizin und PsychotherapieUniversitätsklinikum TübingenOsianderstr. 572076 TübingenE-Mail: [email protected]

Wissenschaftlich verantwortlich gemäßZertifizierungsbestimmungen

Wissenschaftlich verantwortlich gemäßZertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr.med. Andreas Stengel, Tübingen.

Erstveröffentlichung

Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels:Hetterich L, Zipfel S, Stengel A. Gastrointestinale somatoformeStörungen. PSYCH up2date 2019; 13 (4): 327–340

Literatur

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Bibliografie

DOI https://doi.org/10.1055/a-0996-0384Fortschr Neurol Psychiatr 2019; 87: 512–525© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New YorkISSN 0720-4299

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VNR 2760512019156642058

Frage 1Welche Aussage trifft für die Diagnosestellung der funk-tionellen Dyspepsie zu? Die Diagnose der funktionellenDyspepsie wird gestellt, wenn. . .

A postprandiales Völlegefühl, frühe Sättigung und epigastri-sche Schmerzen zusammen für 3Monate auftreten.

B ein Patient entsprechende Risikofaktoren aufweist. Der Zeit-raum spielt keine Rolle.

C postprandiales Völlegefühl, frühe Sättigung oder epigastri-sche Schmerzen 3Monate anhalten und zwischen Symptom-beginn und Diagnosestellung mindestens 6Monate liegen.

D die Ösophago-Gastroduodenoskopie eindeutige Befundeaufweist.

E postprandiales Völlegefühl, frühe Sättigung oder epigastri-sche Schmerzen für mindestens 6Monate durchgehendauftreten.

Frage 2Welches Symptom dominiert beim postprandialenDistress-Syndrom?

A Schmerzen im Epigastrium während der NahrungsaufnahmeB fehlender Appetit aufgrund durchgehender epigastrischer

SchmerzenC epigastrisches Brennen nach der NahrungsaufnahmeD postprandiales Völlegefühl bzw. frühe SättigungE Erbrechen bei der Nahrungsaufnahme

Frage 3Welchen der folgenden Subtypen gibt es nicht beimReizdarmsyndrom?

A RDS-M: Misch-SubtypB RDS-D: Diarrhö-SubtypC RDS-C: Obstipations-SubtypD RDS-F: Flatulenz-SubtypE RDS-U: Unklassifizierter Subtyp

Frage 4Welche Aussage trifft für somatoforme autonome Funk-tionsstörungen des Verdauungssystems zu?

A Somatoforme Komorbiditäten wie z. B. das Fibromyalgiesyn-drom kommen sehr selten bei Patienten mit somatoformenautonomen Funktionsstörungen des Verdauungssys-tems vor.

B Patienten mit Reizdarmsyndrom haben zu 50–94% psychi-sche Komorbiditäten.

C Für den Verlauf und das Outcome der Therapie sind dieKomorbiditäten irrelevant.

D Bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie sind Essstörungenseltener anzutreffen als bei Patienten mit Reizdarmsyndrom.

E Bei Patienten mit somatoformen autonomen Funktionsstö-rungen treten oftmals nur psychische Komorbiditäten auf.

Frage 5Welche folgenden Veränderungen sind nicht im Rah-men einer Störung der Darm-Gehirn-Achse zuerwarten?

A gestörte DarmmotilitätB verbesserte intestinale PermeabilitätC Änderung der intestinalen ImmunantwortD viszerale HypersensitivitätE verändertes Mikrobiom

Frage 6Welche der folgenden Methoden ist nach Empfehlungder deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologieund Motilität nicht zwingend notwendig zur Diagnostikder funktionellen Dyspepsie?

A körperliche UntersuchungB 24h-pH-MetrieC Abdomen-SonografieD Nachweisverfahren von Helicobacter pyloriE Basislabor

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524 Hetterich L et al. Gastrointestinale somatoforme Störungen … Fortschr Neurol Psychiatr 2019; 87: 512–525

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Page 14: Gastrointestinale somatoforme Störungen · Gastrointestinale somatoforme Störungen Larissa Hetterich, Stephan Zipfel, Andreas Stengel Somatoforme Störungen im Magen-Darm-Trakt

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Frage 7Welche der folgenden Untersuchungen ist in derdeutschen Leitlinie nicht zur Diagnosestellung desReizdarmsyndroms vorgesehen?

A körperliche UntersuchungB Abdomen-SonografieC gynäkologische UntersuchungD explorative LaparoskopieE obere und untere Endoskopie

Frage 8Welche der folgenden Aussagen trifft nicht zu?

A Die Anamnese spielt eine wesentliche Rolle in der Diag-nosefindung der somatoformen autonomenFunktionsstörungen.

B Bei somatoformen autonomen Funktionsstörungen ist essehr wichtig, dass die Patienten das Krankheitskonzeptverstehen.

C Nicht nur das Erfassen der körperlichen Symptome, son-dern auch das Eruieren von belastenden Faktoren spielteine wichtige Rolle.

D Wenn die Patienten weitere Diagnostik verlangen, sollteman dem Wunsch zum Vertrauensaufbau zwischen Arztund Patient auf jeden Fall nachgehen.

E Die Diagnose einer somatoformen autonomen Funktions-störung kann gestellt werden, wenn es keine organopatho-logischen Befunde gibt, die die Symptome des Patientenausreichend erklären.

Frage 9Welche der folgenden Therapiemöglichkeiten hat eineklare Empfehlung in der Behandlung somatoformerautonomer Funktionsstörungen desVerdauungssystems?

A HypnotherapieB ProbiotikaC StuhltransplantationD glutenfreie DiätE Heilfasten

Frage 10Welche Aussage zur Hypnotherapie trifft zu?

A Diese ist sehr kostenintensiv und sollte nur Patienten mitschwersten Verlaufsformen vorbehalten bleiben.

B Diese sollte über mindestens ein Jahr durchgeführt werden.C Diese kann unter Umständen auch kostensparend im Grup-

pensetting oder auch als mediengestützte Interventionerfolgen.

D Diese ist bislang kein anerkanntes Verfahren.E Daten zur funktionellen Dyspepsie fehlen bislang.

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