Ophthalmologe 2007 · 104:559–565DOI 10.1007/s00347-007-1557-2Online publiziert: 15. Juni 2007© Springer Medizin Verlag 2007
B. LorenzAbt. für Kinderophthalmologie, Strabismologie und Ophthalmogenetik, Klinikum der Universität Regensburg
Genetische Untersuchungen bei kongenitaler Katarakt
Leitthema
Während die einseitige kongenita-le Katarakt meist sporadisch auftritt, ist die beidseitige Form in mindes-tens 25% genetisch bedingt. Am häu-figsten ist ein autosomal-dominanter Erbgang. Variable Expressivität, re-duzierte Penetranz und Konduktorin-nenbefunde erfordern für eine kor-rekte humangenetische Beratung die Untersuchung weiterer Familienmit-glieder. Die zunehmende Aufdeckung der molekularen Ursachen trägt we-sentlich zum Verständnis der Physio-logie und Pathophysiologie der Lin-se bei. Eine molekulargenetische Di-agnostik wird derzeit routinemäßig nur für wenige Gene angeboten.
Definition der kongenitalen Katarakt
Obwohl wegen des Wortursprungs „kon-genitale Katarakt“ bedeutet, dass diese ge-netisch determiniert ist und damit prinzi-piell in jedem Lebensalter auftreten kann, wird sowohl im anglosächsischen als auch im deutschen Sprachgebrauch jede Kata-rakt als kongenitale Katarakt bezeichnet, die im Säuglingsalter, d. h. bei Geburt und bis zum 1. Geburtstag aufgetreten ist. Die kongenitale Katarakt kann hereditär oder exogen erworben sein, wobei die schäd-liche Noxe bereits intrauterin bestanden haben kann (Beispiel Röteln-Katarakt). Die kongenitale Katarakt kann isoliert oder in Assoziation mit anderen okulären Fehlbildungen oder mit systemischen Veränderungen vorkommen. Komplexe Erkrankungen können metabolischer Ur-sache sein (Beispiel Galaktosämie), durch chromosomale Deletionen bzw. nume-rischen Aberrationen (Beispiel Trisomie
21) verursacht oder syndromal sein, wobei letztere auch monogenetisch sein können (Beispiele: Lowe-Syndrom, X-chromo-somal; myotonische Dystrophie Cursch-mann-Steinert, autosomal-dominant). Se-kundärkatarakte können unter anderem entzündlicher Genese sein.
Epidemiologie der kongenitalen Katarakt
Prävalenz und Inzidenz
Die kongenitale Katarakt ist eine rela-tive seltene Erkrankung. Die Angaben zur Prävalenz der kongenitalen Kata-rakt schwanken beträchtlich und werden mit 0,63–13,6/10.000 angegeben. Die ge-ringsten Werte stammen aus Registern für kongenitale Malformationen (z. B. [2], Kollaborative spanische Studie von knapp 1.125.000 Geburten). Diese Zah-len unterschätzen die tatsächliche Prä-valenz. In einer prospektiven Studie von knapp 56. 000 Schwangerschaften eines multizentrischen Perinatalprojektes von 12 Universitätskliniken der USA zwi-schen 1959 und 1965 trat eine infantile Katarakt in 13,6/10.000 Säuglingen auf [23]. Darunter fanden sich auch Kinder mit rötelnassoziierter Katarakt, die heu-te aufgrund präventiver Maßnahmen sel-ten geworden ist. Schließt man die Rö-teln als Ursache aus, dann trat eine infan-tile Katarakt in 11,2/10.000 Kindern auf. Eine isolierte infantile Katarakt trat bei Kindern mit einem Geburtsgewicht un-ter 2500 g fast 4-mal häufiger auf als bei Kindern mit einem Geburtsgewicht über 2500 g. In der Britischen Nationalen Ko-hortenstudie wurde eine Prävalenz von 5,6/10.000 Säuglingen beobachtet [26].
In beiden Studien waren ein- und beid-seitige Katarakte etwa gleich häufig.
Zur Inzidenz der kongenitalen Kata-rakt liegen wenige kontrollierte Studien vor. In zwei kürzlich erschienenen Arbei-ten wird sie mit 2,2–2,49/10.000 Lebend-geburten angegeben [19, 27].
Ätiologie
Die pathogenetischen Faktoren, die zur Bildung der kongenitalen Katarakt bei-tragen, sind mannigfaltig, viele von ih-nen sind selten und bisher noch nicht charakterisiert [10]. Ursächlich sind ge-netische Formen (z. B. [11]), Umweltfak-toren [15] und metabolische Faktoren [4]. Ungefähr die Hälfte der beidseitigen und fast alle einseitigen Katarakte sind idiopathisch [12]. Erbliche Faktoren lie-gen bei ca. 40% der Formen mit bekann-ter Ursache vor [12]. Umwelt- und meta-bolische Faktoren werden in ca. 30% als ursächlich gesehen [10, 15]. SanGiovan-ni et al. identifizierten in ihrer epidemi-ologischen Studie 73 Kinder mit einsei-tiger oder beidseitiger Katarakt [23]. Bei knapp 40% dieser 73 Kinder lag eine iso-lierte Katarakt vor.
Vererbungsformen der kongenitalen Katarakt
Hereditäre Formen der isolierten konge-nitalen Katarakt werden meist autosomal-dominant vererbt, seltener autosomal-re-zessiv oder X-chromosomal [18, 27]. In Populationen mit hoher Konsanguini-tät kommen autosomal-rezessive Formen häufiger vor, allerdings ist selbst dann die Prävalenz autosomal-dominanter Formen höher [6]. Aus der großen Zahl der syn-
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dromalen Formen werden nur die her-ausgegriffen, bei denen der Augenarzt ei-ne wesentliche Rolle bei der Diagnosestel-lung hat.
Die Expressivität der kongenitalen Ka-tarakt kann sehr variabel und so gering sein, dass keine subjektiven Symptome bestehen. Daher ist eine Familienunter-suchung selbst bei leerer Familienanam-nese obligat, um Minimalvarianten zu er-fassen und damit den Vererbungsmodus korrekt zu bestimmen. Inkomplette Pe-
Abb. 1 9 Familiärer einseitiger Mikroph-thalmus und Katarakt
Abb. 2 9 Verschiedene kongenitale Katarakt-formen. a und b zarte Trübung des Foetalkerns; c Cataract nuc-learis et zonularis; d Cata-racta totalis; e Cataracta polaris posterior; f Catarac-ta polaris anterior; g Zar-te Nahtkatarakt des Embry-onalkerns; h Nahtkatarakt des Foetalkerns; i Catarac-ta coralliformis; j und k in-terokuläre Variabilität bei einem Patienten: RA zar-te Cataracta nuclearis und atypische Cataracta coro-nalis; LA Nahtkatarakt des Foetalkerns; i DD der kon-genitalen Katarakt: vorde-rer PHPV – charakteristisch sind die Vaskularisation im Bereich der hinteren Linse (persistierende Tunica vas-culosa posterior) und die elongierten Ziliarkörper-fortsätze (nicht gezeigt)
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Leitthema
netranz wird selten ebenfalls beobachtet [8, 21]. Auch Einseitigkeit ist möglich [25]. Gelegentlich ist ein Mikrophthalmus as-soziiert (. Abb. 1) (z. B. [3]). Eine asso-ziierte Makulahypoplasie kann durch das zufällige gleichzeitige Vorliegen von zwei unterschiedlichen Erkrankungen bedingt sein [13].
Klassifikation
Kongenitale Katarakte werden in der Re-gel aufgrund ihrer Phänotypen klassifi-ziert:I. nach der Lage der Trübungen: Cata-
racta polaris anterior, Cataracta pola-ris posterior, Cataracta nuclearis, Ca-taracta lamellaris, Cataracta nuclea-ris et corticalis, Cataracta corticalis, Cataracta suturalis, Cataracta totalis. Kombinationen sind möglich.
II. Nach der Art der Trübung: dicht, pul-verulent, „blue dot“ = coerulea, kris-tallin = acueliform, coralliform, poly-morph.
In . Abb. 2 werden Beispiele verschie-dener kongenitaler Kataraktformen ge-zeigt.
Identifikation der genetischen Ursachen
Viele genetische Ursachen der kongeni-talen Katarakte wurden durch eine Kom-bination von Kopplungsuntersuchungen und Kandidatengen-Screening identifi-ziert. Die meisten Loci wurden mit Hilfe von Mikrosatellitenmarkern gefunden; in den letzten Jahren wurden vermehrt SNPs („single nucleotide polymorphisms“) ein-gesetzt. Kopplungsuntersuchungen sind v. a. bei autosomal-dominantem Erbgang erfolgreich. Für die Identifikation autoso-mal-rezessiver Gene ist das sog. „homo-zygosity mapping“ in isolierten Popula-tionen bzw. hoch konsanguinen Fami-lien hilfreich [22]. Nachdem ursprüng-lich ca. 30 autosomal-dominante Genloci beim Menschen wahrscheinlich erschie-nen waren [7], ist diese Zahl bereits jetzt überschritten, ohne dass ein Ende abzu-sehen ist. Für die weitere Genidentifika-tion ist die Rekrutierung möglichst vie-ler Familien mit mindestens zwei Betrof-fenen sinnvoll.
Zusammenfassung · Abstract
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B. Lorenz
Genetische Untersuchungen bei kongenitaler Katarakt
ZusammenfassungDie beidseitige kongenitale Katarakt ist in mindestens 25% genetisch bedingt, die ein-seitige meist sporadisch. Die Genetik ist ex-trem heterogen – derzeit sind über 30 Ge-ne identifiziert. Klinisch werden Phänotypen nach Lage und Form der Trübungen beschrie-ben, wobei Mutationen im gleichen Gen un-terschiedliche Phänotypen erzeugen können (klinische Heterogenität) und Mutationen in unterschiedlichen Genen ähnliche Phäno-typen (genetische Heterogenität). Der Erb-gang ist meist autosomal-dominant, aber auch autosomal-rezessive und X-chromo-somale Formen werden beobachtet. Die Ex-pressivität kann variabel und die Penetranz
reduziert sein, und bei X-chromosomalen Ka-tarakten können Konduktorinnen Minorvari-anten aufweisen. Deshalb sind eine genaue Stammbaumerhebung und Familienuntersu-chung für die korrekte humangenetische Be-ratung essenziell. Metabolische Formen wer-den laborchemisch diagnostiziert. Eine mo-lekulargenetische Untersuchung wird der-zeit routinemäßig nur für wenige Gene an-geboten.
SchlüsselwörterKongenitale Katarakt · Erbgang · Molekular-genetik · Genotyp – Phänotyp · Syndromale Katarakt
Genetic examination in cases of congenital cataract
AbstractBilateral congenital cataract is genetic in at least 25% of cases. In contrast, unilateral con-genital cataract is usually sporadic. Genetic heterogeneity is significant with the involve-ment of more than 30 genes having been identified to date. Phenotypes are defined by the location and morphology of the lens opacities. Mutations in the same gene may result in different phenotypes (clinical het-erogeneity), and mutations in different genes may be associated with similar phenotypes (genetic heterogeneity). The mode of inheri-tance is mostly autosomal dominant but au-tosomal recessive and X-linked modes also
occur. Expressivity may be variable and pen-etrance reduced. In X-linked cataract, carriers may show carrier signs. A precise pedigree analysis and a clinical examination of further family members are mandatory for correct genetic counselling. Metabolic cataract may be diagnosed biochemically. Molecular ge-netic analysis is not offered routinely to date with the exemption of a few genes.
KeywordsCongenital cataract · Inheritance · Molecular genetics · Genotype – phenotype · Syndro-mic cataract
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Tab. 1 Identifizierte Gene für nichtsyndromale Katarakt mit chromosomaler Lokalisation, Linsenphänotyp und assoziierten Pathologien. (Mod. nach [24])Chromosom Locus/Gen (MIM) Erbgang Phänotyp Linse Assoziierter Phänotyp1p36 CCV (115665) AD Lamellär progredient
CTPP1 (116600) AD Polaris posterior 1p32 FOXE3 (601094) AD Polaris anterior Vorderabschnittsdysgenesie1q21.1 GJA8
CX50 (600697)AD Kernkatarakt AD Komplett Mikrokornea, milde MyopieAD Pulverulenta zonularis AD Kernkatarakt AD Pulverulenta zonularis AD Pulverulenta lamellaris AD Anterior subkapsulär Mikrokornea, milde MyopieAD Pulverulenta zonularis
2p12 CCNP (607304) AD Kernkatarakt 2q33-q35 CRYGC (123600) AD Pulverulenta zonularis
AD Pulverulenta zonularis AD Lamellaris
CRYGD (123690) AD Punctata AD Nuclearis coralliformis punctata Hohe MyopieAD Lamellaris AD Coerulea AD Flaky silicalike nuclear AD Koralliform AD Faszikuliform AD Kristallin AD Kernkatarakt mit goldfarbenen Kristallen AD Aculeiform AD Zentrale Kernkatarakt
CP49 (603212) AD Polymorphe Katarakt 3q21-q22 BFSP2 (603212) AD Zentrale Nahtkatarakt
AD Y-Nahtkatarakt MyopieAD Lamelläre Nahtkatarakt
3q25-qter CRYGS (123730) AD Kortikal polymorph 6p24 GCNT2 AR Kongenital, onA Blutgruppe I8q13.3 EYA1 (601653) AD Kernkatarakt Peters Anomalie
AD Kernkatarakt Branchiootorenales Syndrom AR Kongenital?
9p13 GALT (606999) AR Progrediente Linsentrübung ohne Diät! Galaktosämie10q25 PITX3 (602659) AD Komplett
AD Progrediente polaris posterior AD Vordere kortikale Katarakt Vorderabschnittsdysgenesie, Defekte
N. opticusAD Polaris posterior Vorderabschnittsdysgenesie ±AD Progrediente polaris posterior
11q22.1-q23.2 CRYAB (123590) AD „Diskret“ MyopathieAD Lamellär AD Polaris posterior
12q13-q14 MIP (154050) AD Lamelläre Nahtkatarakt AD Progressive polymorphe Katarakt AD Cataracta punctata
13q11-q12 GJA3CX46 (121015)
AD Komplett mit variabler Expressivität AD Pulverulente Kernkatarakt AD Kernkatarakt AD Nuclearis punctata AD Pulverulenta AD Cataracta lamellaris pulverulenta AD Komplett AD Pulverulente Kernkatarakt AD Pulverulente Kernkatarakt AD Punctata
15q21-q22 CCSSO (605728) AD Zentrale sackförmige Nahtkatarakt! 15q15.3 SORD (182500) AD Cataracta corticalis, totalis 16q22.12 HSF4 (602438) AD Lamelläre kortikale Katarakt
AD Lamelläre Katarakt AD Stellata zonularis und polaris anterior (Marner) AR Cataracta nuclearis et corticalis AR ? AR Komplett
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Leitthema
Molekulargenetik
Eine Abfrage Katarakt in der Online-Da-tenbank Mendelian Inheritance in Man http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?CMD=search&DB=omim Anfang April 2007 ergab 89 Einträge unter diesem Stichwort, überwiegend für autosomal-dominante Formen, aber auch für einige autosomal-rezessive und X-chromosomale sowie syndromale For-men. Für 36 Einträge waren der Genlo-kus und das Gen identifiziert, für 25 Ein-träge war nur der Genlokus bekannt,
und für 28 Einträge war nur die Heredi-tät, aber weder Gen noch Genlokus be-kannt. . Tab. 1 gibt einen Überblick über die derzeit bekannten Gene über-wiegend isolierter Katarakte.
Mutationen in unterschiedlichen Ge-nen können zu einem ähnlichen Phäno-typ führen (genetische Heterogenität, Lo-kus-Heterogenität). Unterschiedliche Mu-tationen im gleichen Gen können zu un-terschiedlichen Phänotypen führen (kli-nische Heterogenität). Daneben werden auch intrafamiliäre phänotypische He-terogenität sowie variable Expressivi-
tät und reduzierte Penetranz beobachtet (. Abb. 2j, k). Für die Gene CRYAA [17] und HSF4 [9] wurde aufgedeckt, dass un-terschiedliche Mutationen nicht nur zur autosomal-dominanten, sondern auch zur autosomal-rezessiven Katarakt führen können. Im letzteren Fall sind auf beiden Allelen Mutationen nachweisbar, die bei Konsanguinität homozygot sind, bei nicht verwandten Eltern dagegen in der Regel compound heterozygot aufgrund der ho-hen Anzahl unterschiedicher Mutationen im gleichen Gen in der Bevölkerung. Bei autosomal-dominantem Erbgang findet
Fortsetzung Tab. 1 Identifizierte Gene für nichtsyndromale Katarakt mit chromosomaler Lokalisation, Linsenphänotyp und assoziier-ten Pathologien. (Mod. nach [24])Chromosom Locus/Gen (MIM) Erbgang Phänotyp Linse Assoziierter Phänotyp16q22-q23 MAF (177075) AD Kortikale pulverulente Nahtkatarakt, progressive
posteriore subkapsuläre KataraktPeters Anomalie
AD Corticalis (lamellaris) nuclearis pulverulenta Mikrokornea, Iriskolobom17p13-p12 CTAA2 (601202) AD Polaris anterior 17q11.2-q12 CRYBA3/A1 (123610) AD Zonulare Nahtkatarakt
AD Nukleäre Nahtkatarakt Pulverulente nukleäre Nahtkatarakt AD Kernkatarakt AD Kernkatarakt, Nähte ausgespart AD Lamellär
17q24 GALK1 (604313) AR Progrediente Linsentrübung, nicht bei Diät! Galaktosämie II17q24 CCA1 (115660) AD Cataracta coerulea 19q13.4 FTL (134790) AD Cataracta nuclearis et corticalis, Brotkrumen-
ähnlichHyperferritinämie-Katarakt-Syndrom
19q13,4 LlM2 (154045) AR Pulverulente Naht- und Rindenkatarakt 20p12-q12 CTPP3 (6053S7) AD Polaris posterior 21q22.3 CRYAA (123580) AR ?
AD Zentrale Kernkatarakt AD Zonularis centralis nuclearis,
corticalis, posterior subkapsulärMikrokomea, Mikrophthalmie
AD Fächerförmig Mikrokomea22q11.2 CRYBB1 (600929) AD Pulverulente zentrale Nahtkatarakt
AD Nuclearis und mit kortikalen Reiterchen MikrokomeaCRYBB2 (123620) AD Coerulea
AD Centralis zonularis pulverulenta AD Suturalis coeruIea AD Progredient polymorph AD Central nuclear
CRYBB3 (123630) AR Nuclearis und mit kortikalen Reiterchen CRYBA4 (123631) AD Kongenital lamellär Mikrophthalmie
22q12.2 NF2 (607379) Zentrale hintere KataraktPeriphere kortikale Katarak
Neurofibromatose 2
Xp22.13 NHS (300457) XL Fächerförmige Kernkatarakt HerzanomalienCCV: cataract, congenital, Volkmann Typ; CTPP1: Cataract, posterior polar; FOXE3: forkhead box E3; GJA8: gap junction protein, alpha 8; CCNP: cataract, con-genital, nuclear progressive; CRYGC: crystallin, gamma C; CRYGD: crystallin, gamma D; CP49 cytoskeletal protein, 49-kD; BFSP2: beaded filament structural protein 2; CRYGS: crystallin, gamma S; EYA1: eyes absent homolog 1; PITX3: paired-like homeodomain transcription factor 3; CRYAB: crystallin, alpha B; MIP: major intrinsic protein of lens fiber; GJA3: gap junction protein alpha 3: CX46: connexin 46; CCSSO: cataract, central pouch-like, with sutural opacities; HSF4: heat shock transcription factor 4; MAF: v-maf musculoaponeurotic fibrosarcoma oncogene homolog; CTAA2: cataract, anterior polar 2; CRYBA3/A1: beta-A3/A1 crystalline; betaA3-crystallin; CCA1: cataract, congenital, cerulean type, 1; FTL: ferritin, light polypeptide; LIM2: lens intrinsic membrane protein 2; CTPP3: cataract, posterior polar 3; CRYAA: crystallin, alpha A; CRYBB1: crystallin, beta B1; CRYBB2: crystallin, beta B2; CRYBB3: crystallin, beta B3; CRYBB4: crystal-lin, beta B4; NHS: Nance-Horan syndrome gene; GCNT2: glucosaminyl (N-acetyl) transferase 2, I-branching enzyme (I blood group); GALK1: Galaktokinase 1; NF2: Neurofibromin 2; SORD: Sorbitoldehydrogenase; onA: ohne nähere Angaben. Zur Vereinfachung werden die konkreten Mutationen nicht aufgeführt. Verschiedene Phänotypen sind in der Regel durch unterschiedliche Mutationen in demselben Gen verursacht (allelische Heterogenität). Wenn in einer Zelle meh-rere Phänotypen angeführt sind, dann reflektiert dies die klinische Variabilität des Phänotyps. Syndrom-Mutationen in unterschiedlichen Genen, aber gleichem Phänotyp, sind Ausdruck der Lokusheterogenität
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sich dagegen nur auf einem Allel eine (he-terozygote) Mutation.
Proteomics
Die Gene können bezüglich der funktio-nellen Aufgaben der von ihnen kodierten Proteine eingeteilt werden (. Infobox 1). Den größten Anteil bilden die Kristalline mit 94%. Transkriptionsfaktoren können zu komplexeren Fehlbildungen im Sinne einer Vorderabschnittsdysgenesie füh-ren. Da die Galaktosämie im Rahmen des pädiatrischen Neugeborenenscreenings erfasst und dann diätetisch durch Galak-toseabstinenz behandelt wird, wird eine galaktoseassoziierte Katarakt heute prak-tisch nicht mehr beobachtet.
Syndromale Katarakte
In . Infobox 2 sind die wichtigsten Syn-drome zusammengefasst, die mit einer kongenitalen Katarakt einhergehen. In der Regel sind die extraokulären Mani-festationen so richtungsweisend, dass die Diagnose vom Pädiater bzw. Humangene-tiker gestellt wird. Daneben gibt es noch eine Vielzahl noch wesentlich seltenerer Syndrome, bei denen eine Katarakt beob-achtet wird.
Aufgrund der Bedeutung der augen-ärztlichen Familienuntersuchung werden das Lowe-Syndrom und das Nance-Ho-ran-Syndrom näher besprochen. Beide Syndrome werden X-chromosomal ver-erbt.
Kardinalsymptome beim Lowe-Syn-drom (okulozerebrorenales Syndrom, MIM 309000, ursächliches Gen OCRL) sind kongenitale Katarakt, Miosis, infan-tiles Glaukom, zerebrale Entwicklungsstö-rung, muskuläre Hypotonie sowie Hyper-aminoazidurie aufgrund tubulärer Funk-tionsstörungen der Niere (MIM 309000); Konduktorinnen weisen in einem ho-hen Prozentsatz charakteristische Linsen-trübungen auf (. Abb. 3a). Neben zahl-reichen punktförmigen Trübungen sind auch posteriore Plaques charakteristisch (. Abb. 3b) [5]. Bei V.a. Lowe-Syndrom kann daher die Untersuchung bei der Mutter wegweisend für die weitere Dia-gnostik sein.
Kardinalsymptome des Nance-Horan-Syndroms (NHS MIM 302350, ursäch-liches Gen NHS) sind: angeborene Kata-rakt, Mikrokornea, Zahnanomalien, Ge-sichtsdysmorphien und geistige Retardie-rung in 30%. Bei Konduktorinnen finden sich keilförmige partielle oder komplette Nahtkatarakte und Coerulea-Trübungen (. Abb. 3c)..Daneben können sich auch bei Konduktorinnen geringe Zahnano-malien finden [16].
Molekulargenetische Diagnostik
Molekulargenetische Untersuchungen der kongenitalen Katarakt erfolgen der-zeit noch überwiegend im Rahmen wis-senschaftlicher Projekte. Eine molekular-genetische Diagnostik wird im deutsch-sprachigen Raum nur für wenige Gene angeboten (. Infobox 3).
Infobox 1: Funktionelle Aufgaben der Proteine
Kristalline:α-Kristalline CRYAA/CRYAB; β-Kristalline CRYBA1/3/CRYBB1/CRYBB2; γ-Kristalline CRYGC/CRYGDMembrantransportproteine:MIP major intrinsic protein of lens fiber; CX46 Connexin 46 = GJA3 gap junction protein al-pha 3; CX50 Connexin 50 = GJA8 gap junction protein alpha 8Transkriptionsfaktoren:MAF v-maf musculoaponeurotic fibrosarco-ma oncogene homolog; PITX3 paired-like homeodomain transcription factor 3; HSF4 heat shock transcription factor 4Zytoskelettproteine:BFSP2 beaded filament structural protein 2Metabolisch wirksame Proteine:FTL ferritin, light polypeptide; Galactose-1-Phosphat-Uridyltransferase; Galaktokinase-UDP-Galaktose-Epimerase; Sorbitol-Dehyd-rogenase Proteine unbekannter Funktion:LIM2 lens intrinsic membrane protein 2 ; NHS Nance Horan syndrome protein
Infobox 2: Syndrome mit Katarakt
F Albright-SyndromF Alport-SyndromF Apert- SyndromF Cat-eye-SyndromF Chondrodysplasia punctata Conradi-Hü-
nermannF Cockayne-SyndromF Crouzon-SyndromF Down-Syndrom (Trisomie 21)F Hallermann-Streiff-SyndromF Ichthyosis congenitaF Incontinentia pigmentiF Kniest-SyndromF Laurence-Moon-Bardet-Biedl-SyndromF Lowe-SyndromF Marinesco-Sjögren-SyndromF Marshall- SyndromF Myotone Dystrophie Curschmann-Stei-
nertF Nance-Horan-SyndromF Osteogenesis imperfectaF ProgerieF Rothman-Thomson-SyndromF Rubinstein-Taybi-SyndromF Smith-Lemli-Opitz-SyndromF Stickler-SyndromF Trisomie 13, 18F Turner-SyndromF Zellweger-Syndrom
Abb. 3 8 Konduktorinnenbefunde bei X-chro-mosomaler syndromaler kongenitaler Katarakt. a, b Lowe-Syndrom. c Nance-Horan-Syndrom
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Leitthema
Infobox 3: Molekulargenetische Diagnostik
I. Metabolische Katarakte, die mit dem Galak-tosestoffwechsel assoziiert sind:F Galaktose-1-Phosphat-Uridyltransferase
GALT (klassische Galaktosämie)F GalaktokinaseF Sorbitoldehydrogenase SORD
II. Hyperferritin-Katarakt-Syndrom
Aktuelle Angaben zu den untersuchten Erkrankungen finden sich auf der Home-page des Berufsverbands der Deutschen Humangenetiker unter Human Gene-tics Quality Network HGQN http://www.hgqn.org/
Fazit für die Praxis
Hereditäre Formen der kongenitalen Ka-tarakt sind häufig und erfordern auf-grund unterschiedlicher Erbgänge mit variabler Expressivität und reduzierter Penetranz eine sorgfältige Stammbaum-analyse und ggf. die Untersuchung wei-terer Familienmitglieder. Eine Präventi-on ist bei metabolischen Formen mög-lich. Bei syndromalen Formen kann die kongenitale Katarakt das Initialmerkmal sein, was ein interdisziplinäres Vorgehen erfordert. Um die molekularen Ursachen weiter aufzudecken, sollten Familien mit mehreren Betroffenen für wissenschaft-liche Untersuchungen rekrutiert wer-den. Eine molekulargenetische Routine-diagnostik ist derzeit nur in Ausnahme-fällen möglich.
KorrespondenzadresseProf. Dr. B. LorenzAbt. für Kinderophthalmologie, Strabismolo-gie und Ophthalmogenetik, Klinikum der Univer-sität RegensburgFranz-Josef-Strauss-Allee 11, 93053 [email protected]
Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-halte produktneutral.
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565Der Ophthalmologe 7 · 2007 |