Transcript
Page 1: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). Von

A. Simons (Berlin).

Mit 1 Tex t f igur and 6 Tafelm

(Eingegangen am 24. Januar 1917.)

I. Knochenschwund bei psychogenem Bewegungsauslall.

Seit 11/2 Jahren achte ich auf das Verhalten des Knochens im R6ntgenbild nach Kriegsverletzungen des Nervensystems. Unter allen klinisehen Beobachtungen und RSntgenplatten sind aber nur wenige, die auf die Frage der A b h ~ n g i g k e i t de s K n o c h e n s v o m N e r v e n - s y s t e m Antwort zu geben scheinen. Denn mit den peripheren Nerven- verletzungen, dem gr6geren Teil ~eder Kriegserfahrung, verbinden sich zu oft schwere Knoehenbr~iche, Weichteilverletzungen, Eiterungen, grobe Gelenksch~digungen und Pseudarthrosen, die schon an sieh den Knochen ver/indern k 6 n n e n [ S u d e e k l ) , K i e n b S e k 2 ) , Exner3)] . Manchmal unterstiitzt den Knoehensehwund noch ein langdauernder Ver- band oder ein Erysipel wiihrend der Wundheilung. Wet einmal Osteo- myelitis, Knochentuberkulose, Arthritis gonorrhoiea gehabt hat, der hat vielleicht sehon v o r einer Nervenverletzung I~loehenschwund. Denn die Empfindliehkeit des Knoehens ist groB, wenigstens sieht man im R6ntgenbild 5fret nur an ihm Veri~nderungen, oder frtther und liinger als an anderen Geweben. ,,Die akute Knochenatrophie ist mi t R6ntgenstrahlen niehts weniger als selten nachzuweisen, viel- leieht sogar in a l l e n Fiillen, wo an einer Extremit~t ein h e f t i g e r E n t z t i n d u n g s - o d e r R e i z u n g s p r o z e B i r g e n d e i n e r A r t aueh nut dureh mehrere Woehen besteht ." ( K i e n b 6 c k a. a. 0.) Der Sehwund tr i t t nach Verletzungen der Knoehen, Weiehteile, Gelenke und der Nerven aus unbekannten Griinden nieht immer auf. Man sagt

1) p. Sudeek, Archly f. klin. Chir. 62; ChirurgenkongreB 1900; Fortsehritte uuf dem Gebiet der RSntgenstrahlen 3 (1899/1900), 5 (1902); Deutsche reed. Wochenschr. 1902, Nr. 19.

3) R. KienbSck, Wiener med. Wochenschr. 1901, Nr. 28f.; Wiener klin. Woehenschr. 1903, Nr. 3, 4.

~) A. Exner , Fortschritte a. d. Gebiete der Rbntgenstrahlen 6 (1902/1903).

Page 2: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

A. Simons: Knochen und ~erv (Kriegserfahrungen). 37

dann gew6hnlich, die Veri~nderungen sind zu gering, oder bei der Untersuchung schon verschwunden. Beweisen kann man das nicht. Aber selbst wenn der Knochenschwund nach verschiedenen Ein- wirkungen Gesetz w~re, mti•te man erst einmal feststellen, wie lange er nach Abheilung aller klinischen St6rungen und v611iger Wiederher- stellung der Funktion nachweisbar bleibt. B e i v 611 i g g e h e i 1 t e n p s y c h o g e n e n L ~ h m u n g e n f i n d e r m a n i h n n o c h n a c h Mo- n a t e n , vielleicht noch l~nger, wenn man nachuntersucht. Natiirlich ist er dann meist schon geringer. Ich habe ihn sogar nach Jahren ge- sehen, so nach Schu~verletzung des Ful]es, alter Osteomyelitis, ob- wohl der Mann l~ngst wieder vollen Dienst im Felde getan hatte. Bei einer sp~teren Peronaeuslghmung z. B. ist dann die Beurteilung des Knochen~chwundes, dem man nicht den Ante, il des Knochenschusses und der Nervenverletzung ansieht, erschwe~t.

Demnach ist die Ursache des Knochenschwunds nach Kriegsver- letzungen des Nervensystems oft schwer oder gar nicht zu erkennen. M_it der Knochenatrophie aus allen m6glichen Ursachen wird nicht ge- niigend gerechnet. I c h komme darauf bei der Besprechung der Literatur zuriick. F i i r d ie B e z i e h u n g e n z w i s c h e n K n o c h e n u n d N e r v s ind d a h e r n u r die s e l t e n e n K r i e g s b e o b a c h t u n g e n b e w e i s e n d , be i d e n e n aul~er d e r o r g a n i s c h o d e r f u n k t i o n e l l b e d i n g t e n n e r v 6 s e n B e t r i e b s s t 6 r u n g k e i n e w e i t e r e n g r o b e n S c h ~ d e n ] e t z t u n d f r i i h e r a u f d e n K n o c h e n w i r k t e n . Die Verwertung der R6ntgenbilder bei peripheren Nervenverletzungen wird dadurch stark beeintriichtigt. Sehr wertvoll waren Erfahrungen an Kranken, die mir mit ihren R6ntgenplat ten der beratende Orthop~de General- oberarzt Prof. K611iker in einem orthop~tdischen Lazaret t bereitwillig zur Verfiigung stellte.

Die R6ntgenbilder, die ich gcsammelt habe, waren natfirlich meist Aufnahmen der Hiinde, Vorderarme und Ftigte, selten der groi~en Gelenke und proximalen R6hrenknochen. Die Feststellung, wie weir sich eine stiirkere Knochensch~digung proximal verbreitet, war meist ausgeschlossen, denn sie erfordert die Aufnahme des g a n z e n Gliedes beiderseits. Das vertr~gt sich schlecht mit der gebotenen Sparsamkeit im Plat tenverbrauch. Deshalb war auch die Prtifung, wie rasch oder langsam sich der Knochen erholt, nur wenige Male mSglich.

Man soll stets beide Seiten aufnehmen, denn es gibt ja kein a b s o - 1 u t e s Mal~ der Kn.ochenstruktur. Gr6bere Vergnderungen sind zwar auch bei Aufnahme nur einer Seite leicht zu erkennen. Oft sind sie aber ge- ring und werden nur durch den Vergleich mit der gesunden Seite richtig beurteilt. I s t der Schwund beiderseits gleich stark und nur gering, so wird man den Vergleich mit Knochen eines gleichaltrigen und anni~hernd gleichgebauten Menschen brauchen. Die Betrachtung der

Page 3: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

38 A. Simons:

Ful~knochen schien mir erheblich schwieriger als die der Hand. Die verschiedenen Belastungsverh~ltnisse schaffen versehiedene Struktur- bilder, die noch in weiten Grenzen normal sind. ])azu kommt die normal grSBere Durchl~ssigkeit mancher Knochenteile (laterale H~lfte des Cuboid) und manches andere, das man in den ,,Grenzen des Normalen und Anf~nge des Pathologischen im RSntgenbilde" [A. KShler l ) ] an- gegeben findet. Die Platten wurden alle vor dem Lichtkasten betrachtet. Seine Verdunkelung und Aufhellung durch einen Rheostaten ist nfitzlich. Oft erkennt man noch feine Anderungen der Knochenstruktur und sieht ,,kSrperlicher" dutch eine grol~e Lupe. Sie erspart dann stereo- skopische Bilder. Alle Aufnahmen sind yon RSntgenologen oder erfah- renen Laborantinnen gemacht worden und damit die richtige Ein- stellung der geeigneten RShre, entsprechende Beleuchtungsdauer und -st~rke und Vermeidung anderer Fehlerquellen gesichert. Manche Kranke mit erheblichen Contracturen der ~ingergelenke oder starkem Zittern sind nicht aufzunehmen. Ebensowenig gelangen FuBaufnahmen bei hysterischen Streckcontracturen der Kniegelenke.

Die Platten, fiber die ich berichte, haben dem RSntgenologen e.n der Mfinehener Universit~tsklinik, t terrn Th. G e b h a r d t , vorgelegen. Er kannte nicht die k]inischen Erscheinungen und meine Aufzeich- nungen fiber die RSntgenbflder. In der Auffassung aller Platten be- stand volte Ubereinstimmung. Die Nachprfifung dutch einen erfahre- hen Unparteiischen ist manchmal wertvoll, denn ftir den, der Knochen- schwund erwartet, ist die Versuchung groB, ihn auch in zweifelhaften F~llen festzustellen. Ich danke Herrn G e b h a r d t besonders ffir seine stets bereite Unterstiitzung.

Will man aus der Platte einen Schlu$ ziehen, der fiber die bloBe Feststellung einer Knochenver~nderung hinausgeht, so genfigt nicht der R5ntgenbefund und einige S~tze der Krankengeschichte. Die A b h ~ n g i g k e i t des K n o c h e n s yore N e r v e n s y s t e m g r i i n d e t s ieh ja k l i n i s c h vor a l l em a u f d ie b e g l e i t e n d e n M u s k e l a t r o - p h i e n , v a s o m o t o r i s e h e n , t r o p h i s e h e n S t S r u n g e n , a u f , , b e - s o n d e r e " Re ize i n fo lge u n v o l l s t ~ n d i g e r N e r v e n d u r c h t r e n - nu ng u. a. m. Gerade wegen dieser Behauptungen sind gelegentlich genauere k]inische Angaben nStig, deren Vergleich untereinander und mit dem RSntgenbefund erst Schltisse erlaubt. Das gilt vor allem ftir die psychogenen Zust~nde. Bei peripheren L~hmungen, Hemiplegien l~$t sich das Klinische viel ktirzer sagen.

Vere rb te und e r w o r b e n e E i g e n s c h a f t des K n o c h e n g e w e b e s , A l t e r und a l l g e m e i n e r E r n ~ h r u n g s z u s t a n d , B e s c h a f f e n h e i t de r i n n e r e n Organe , be sonde r s der B l u t d r f i s e n , w i rken me ines

1) 2. Auflage 1915.

Page 4: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegseffahrungen). 39

E r a c h t e n s a u c h a u f E n t s t e h u n g u n d V e r l a u f d e r A t r o p h i e . F t i r d ie theore t i schen Vors te l lungen sind n o r m a l e RSn tgenbe funde bei dem gleichen kl in isehen Zus tande besonders zu ber t ieksieht igen.

Al le K r a n k e n wurden mehr fach neurologisch yon mir un te r such t 1) und l~ngere Zeit beobach t e t .

Meist lagen vorher n u t ehirurgische Befunde vor. Man mui3 sie genau durchsehen, denn sie en tha l t en gewShnlich die Angaben , die ftir die Beur te i lung yon Knochenver i~nderungen mi t zu ve rwer ten sind. W a r e n d o r t die Ein t r~ge unvol l s t~ndig oder zu kurz , so wurde die Beobaeh- tung n ich t ve rwer te t , mochten die Knoehenve r~nde rungen noch so deu t l i ch sein.

I ch ber ich te zuni~chst f i b e r K n o c h e n b e f u n d e b e i p s y c h o - g e n e n L i i h m u n g e n u n d C o n t r a c t u r e n , weft h ier bei r ich t iger W a h l de r K r a n k e n mehr oder weniger a l l e ~ u f i e r e n U r s a c h e n f e h l e n , d i e K n o c h e n s c h w u n d b e d i n g e n kSnnen.

B e o b a c h t u n g M. 39 Jahre, Artillerist; im Beruf: Metzger.

M. soll Anfang Oktober 1914 durch den Luftdruck einer Granate im Augen- bliek des Abfeuerns beiseite geschleudert sein. Er habe 23 Tage niehts mehr ge- h5rt, dann sei das GehSr besser geworden.

Seine Hauptklagen aul3er der HSrst5rung zun~chst Kopfschmerzen und Schwindel. Er wurde sofort in die Heimat verlegt, und in versehiedenen Lazaretten nahmen die Beschwerden zu. Gegen die Schmerzen Aspirin und Morphinm ver- gebtich versueht.

Ohrenarztlieher Befund (21. I. 15): ,,Keine Mittelohrerkrankung. Trommel- fell beiderseits intakt. L i n k s T a u b h e i t , r e e h t s n u r l a u t e s S e h r e i e n ver - s t a n d e n u n d d ie a u f den K n o e h e n a u f g e s e t z t e S t i m m g a b e l 4 S e k u n - den g e h S r t . "

27. I. 15. Heftige Kopfschmerzen, wiederholt Erbrechen, starker SchweiB- ausbrueh, Naekenstarre, ~berempfindliehkeit am Kopf und Nacken, nachts 38,2 ~ Puls 90.

28. L 15. •ormale Temperatur, vSllige Somnolenz, die mehrere Tage an- halt.

7. 2. 15. Benommenheit geringer. VSllige sehlaffe Li~hmung des reehten Arlnes.

8. II . 15. Er 6ffnet die Augen. Es wird eine Akkommodationslahmung fest- gestellt. In den folgenden Tagen weitere Aufhellung des BewuBtseins.

Am 15. IL 15 kann die Hand ein wenig bewegt werden; iibrige Arm- und Akkommodationslahmung unverandert.

23. IV. 15. Gleieher Zustand, keine Hautempfindung. 14. VL15. O h r e n b e f u n d : , ,VSllige T a u b h e i t , a u c h a u f d e m reeh-

t e n Ohr. Die a u f den K n o c h e n a u f g e s e t z t e S t i m m g a b e l w i rd n i e h t mehr gehSr t . Bei der unklaren Anamnese und dem eigentiimlichen, unaufge- kli~rten Krankheitsverlauf lal3t sich fiber die mutmaBliche Ursache niehts N~heres sagen."

1) Andere Untersueher sind namentlich erw~hnt, eigene Befunde als ,,neu- rologisehe Untersuehung" angefiihrt.

Page 5: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

40 A. Simons:

1. VII. 15. Li~hmung des rechten Oherarms und Akkommodationslahmung wie friiher.

20. VII. 15. W a s s e r m a n n pos i t iv . ,,Es s ind also w a h r s e h e i n l i e h die V e r ~ n d e r u n g e n im Gehi i rorgan ,

die die T a u b h e i t zur Folge h a t t e n , auf frf iher t i b e r s t a n d e n e Lues zu r i i ckzu f i i h r en . Die L ~ h m u n g des r e c h t e n Armes bzw. m e n i n g i - t i s c h e n E r s e h e i n u n g e n , die s e i n e r z e i t b e s t a n d e n , waren wohl d u r c h u m s c h r i e b e n e L e p t o m e n i n g i t i s v e r u r s a c h t . "

14. IX. 15. Erste Salvarsaneinspritzung. 15. IX. 15. Sehr heftig auftretende Kopfschmerzen nach der Einspritzung,

Temperatur 38,5 ~ 21. IX. 15. Der Kranke verweigert die zweite Einspritzung wegen der starken

Kopfsehmerzen naeh der ersten. Psyehischer Zustand nicht ganz normal. 27. IX. 15. Ohrenuntersuchung: , , G e h S r p r i i f u n g s b e f u n d se i t der le tz-

t en U n t e r s u c h u n g n i c h t ge i inder t . Die E r t a u b u n g b e r u h t zweifel- los au f spez i f i s chen D e g e n e r a t i o n s p r o z e s s e n im I n n e n o h r . " ,,Menin- gitis luetica; vSllige Taubheit, Besserung nicht zu erwarten."

22. IX. 15. SchluBbefund: Rechter Arm noch v611ig gel~hmt. N ur die F i n g e r k S n n e n e in wenig bewegt werden. Kopf ziemlich gut beweglich. Nur noch selten Kopfsehmerzen. A k k o m m o d a t i o n s l ~ h m u n g noeh vor- handen . Auch diese Liihmung ist ebenso wie die Li~hmung des rechten Armes auf spezifische Ursache zurtickzufiihren, l ~ e n i n g i t i s lue t ica . VSllige T a u b - heir. B e s s e r u n g n i c h t zu e rwar t en . D.u. entlassen.

4. X. 15. Befund: Zunge feucht, leicht belegt, gerade. An den Hirnnerven normaler Befund. Spraehe nach Art yon SchwerhSrigen laut, ohne Akzent, ebenmi~13ig, monoton, aber ohne motorisehe StSrung. Foetor ex ore. Gang: o.B. Rechter Arm h~ngt seh]aff herab, wird aktiv nicht bewegt, Finger aktiv nicht beweglich. R i i e k e n h a u t der F i n g e r g l a t t u n d gli~nzend. Rech te H a n d s t a r k c y a n o t i s c h , l inke wen ige r s ta rk . O b e r a r m m i t t e rech t s 24cm, l i n k s 26cm, U n t e r a r m reel i ts 24cm, l i nks 26era. Tiefe Stiche werden nirgends empfunden. Tricepsreflex reehts ausl6sbar, fehlt links. Radius- reflex links vorhanden, fehlt rechts 1). Pupillen rund, gleich, mittelweit, reagieren

1) Fehlen der Reflexe habe ich bis jetzt nur bei organisehen Veranderungen (Polyneuritis, Poliomyelitis, periphere Nervenverletzung mit aufgelagerter Hysterie) gesehen. Manchmal hatte ich auch bei r e in p s y c h o g e n e n sch la f fen L~h- m u n g e n groi3e Sehwier igke i t , Ref lexe ausz u l S se n , aber n u r an den Armen . E s g e l a n g d a n n f a s t i m m e r b e i J e n d r a s s i k d e r a n d e r e n H a n d oder g le i chze i t ige r F a r a d i s a t i o n des g e s u n d e n Armes durch einen anderen. Sehr selten habe ich wie O p p e n h e i m u. a. bei psychogener Schwi~che oder Lahmungen des Armes dauerndes Fehlen des Radius-, des Supinator-, einmal aueh des Trieepsreflexes gesehen. Ich erinnere reich nur an vier Kranke unter Tausenden. Hier lag aber zweimal e in Gewehrschul3 in den O b e r a r m oder den U n t e r a r m nahe dem E l l b o g e n g e l e n k u n d e in K n o e h e n b r u c h v or. Es fehlten nacli den frtiheren Krankengesehichten Zeiehen einer peripheren L~hmung, und auch die genaue neurologische Untersuchung konnte sie nieht nach- weisen, aber es war nach der S e h u B r i e h t u n g u n d dem K n o e h e n b r u c h d u r e h a u s m6gl ich , dab es sich um d i r e k t e oder i n d i r e k t e E r seh i i t t e - r u n g des Rad ia l i s , der ja zum Knochen in engster Beziehung steht, g e h a n d e l t hat . Bei Sehiissen nahe und distal dem Ellbogengelenk kann es sich ebenfalls um Fernwirkung auf ~ste, die in dieser Gegend in den Bracliioradialis eintreten, handeln.

Page 6: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 41

auf IAcht. Akkommodation in der Nahe etwas tr~ge. Kniereflex beiderseits gleich, etwas lebhaft. Kein Romberg, dabei leiehtes Lidzwinkern. Geringes fein- schl~giges Zittern der linken Hand. Gedachtnis erhalten. Innere Organe ohne Veranderungen.

28. X. 15. B e i d e r s e i t s s t a r k e B a u e h - u n d A r m r e f l e x e . 29. X. 15. 1LIypasthesie der rechten KSrperhalfte. Elektrisch reagieren die

Muskeln auf beide StrSme. Die verschiedensten Entlarvungsversuche in bezug auf Geh6r und L~hmung sind ergebnislos.

An diesem Tage wurde mir der Kranke zum ersten M~le gezeigt. Wahrend der Fragen sah er zu Boden. Er gab sich nicht die geringste M~he vom Munde abzulesen, und schrie reich an. Nach der Untersuchung war die angenommene ~eningitis luetica auszuschlieBen. Es handelte sich ausschlieBlich um p s y c h o - g e n e d o p p e l s e i t i g e T a u b h e i t u n d p s y c h o g e n e s c h l a f f e r e c h t s s e i t i g e A r m l ~ h m u n g .

Ichversuchte d ie T a u b h e i t d u r e h S c h w i n d e l u n d E r b r e e h e n n a e h k r ~ f t i g e n o t o e a l o r i s c h e n R e i z e n zu beeinflussen.

6. XI. 15 (Stabsarzt v a n Bebber ) . Stimmgabelbefund (Luft- und Knochen- leitung) nicht zu erheben, da Patient angibt, fiberhaupt nichts zu hSren. Auch gibt Patient an, die Erschiitterungen, die eine grol3e Stimmgabel zweifellos ausiibt, wenn sie auf den Schadel aufgesetzt wird, nieht zu empfinden. Beim Katheterismus fallt auf, dab an der rechten Seite das Einffihren des Katheters ohne jegliche Reflexerregbarkeit mSglich ist, w'~hrend links der Rachenreflex deutlich ist. Die otocalorimet~sche Priifung ergibt eine gesteigerte Erregbarkeit der Vorhofsorgane.

Starker Schwindel, Brechreiz. Nachmittags mehrfach Erbreehen. Der Kranke brach wiederholt auch noch am folgenden Tage und muBte tiegen.

10. I. ]6. HSrt wieder! 6. II . 16. E r v e r s t e h t j e t z t K o n v e r s a t i o n s g e s p r ~ c h e . 12. IL 16. Gleiches Befinden. Am 16. II . 16 neurologische Untersuchung: Er war nie nerv6s und ist aueh

nicht nervSs belastet. Die Mutter starb an Zuckerkrankheit. Er schiidert sehr anschaulich sein E r w a c h e n a u s d e r h y s t e r i s c h e n

L a h m u n g . Am 19. XII . 15 s c h l i e f e r n a c h t s s c h l e c h t u n d h a t t e e i n Ge- f i ih l , a ls ob l a u t e r N a d e l n i m A r m s ieh b e w e g t e n . S e i t d i e s e r Z e i t h a t s i ch d ie B e w e g u n g in d e m i ibe r e i n J a h r (seit 8. I. 15) g e l ~ h m t e n A r m e yon Tag zu Tag g e b e s s c r t .

Am 10. I. 16 s c h r i e er p15 tz ] i ch beim ~Vaschen des Gesichtes (Angabe des Sanlt~tsgefreiten) und merkte, d a b er w i e d e r h S r e n k o n n t e . Es w u r d e i h m s c h w i n d l i g . E r l e g t e s i ch ins B e t t , h a t t e B r e c h r e i z u n d h S r t e s o f o r t a u f b e i d e n O h r e n . Er war a u B e r s t e r r e g t . Er lief zum Stations- aufseher und seinen Kameraden und teilte ihnen freudig mit, dal3 er wieder hSre. Das gleiche berichtete er seinen AngehSrigen. ,,Ich habe geheult vor lauter Ver- gnfigen." Er schrieb sofort 21 Briefe, auch an die friiher behandelnden ~rzte, um ihnen die Wiederkehr des GehSrs mitzuteilen. Bei der Schilderung stehen ihm die Tranen in den Augen. - - Die Taubheit bestand 348 Tage. - - Appetit und Schlaf sollen noch schlecht sein. Er schl~ift schwer ein, und dann hSchstens drei Stunden.

Befund: H y s t e r i s c h e r G e s i c h t s a u s d r u e k . F l f i s t e r s p r a c h e b e i d e r - s e i t s a u f 5 m g e h S r t , trotzdem dauernd laute Stimme; er will aber stets laut gesprochen haben. Der linke Arm und die linke Sehulter, die etwas tiefer als die rechte steht, m~Big abgemagert. S t a r k e A b m a g e r u n g des g a n z e n r e c h t e n A r m e s . Er ist Rechtshander. Ma~e: 17 cm oberhalb Olecranon rechts

Page 7: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

42 A. Simons:

261/2 em, links 29 em. Unterarm 12 em unterhalb Olecranon reehts 22 cm, links 24 era. GrSl]ter Handumfang ohne Daumen rechts 20,5 cm, links 21,5 era. Der Tonus im reehten Arm (Gelenke, Muskeln) erheblich herabgesetzt. Der Arm ist vS l l ig seh la f f und f~ l l t wie t o t h e r u n t e r und pendelt einige Zeit. Er wird aktiv im Ellbogen bis 90 ~ gehoben, hierbei spreizen sich zitternd etwas die Finger. Die N~gel an der r e c h t e n H a n d g e b u e k e l t . Die R f i e k e n h a u t der F i n - ger e twas g l ~ n z e n d und g la t t . Der rechte Handriicken etwas blasser als der linke. Die Hand ist w~hrend der Untersuchung beiderseits gewShnlich warm und schwitzt auch nach seiner Angabe sonst nicht st/~rker. Zurzeit Hande gleich troeken. Puls beiderseits gleich, ziemlieh klein, regelmaBig, 84. Die r e c h t e H a n d und der r eeh t e Arm waren bis z u m E i n s e t z e n der B e s s e r u n g e i s k a l t und me i s t blau. Eine grSbere Abmagerung der Zwischenknochen- raume nicht vorhanden. Nur die Muskeln des Daumens und Kleinfingerballens etwas abgemagert. Die Hand wird aktiv bis in die Armaehse unter Zittern und Spreizen der Finger gebracht, dabei kommt es auch zu zahlreichen iibermttBigen und zwecklosen An- und Entspannungen der Arm-, Rumpf- und Gesiehtsmusketn. ])er zwischen die Finger eingefiihrte Finger des Untersuchers wird schwaeh ge- driiekt. Handedruck schwach. Die Hand kann wegen geringer Sehrumpfung der Ge- lenkkapsel nielit vSllig geschlossen, die 2. Fingerg]ieder nur unter Schmerzen bis 90 ~ gebeugt werden. In den D a u m e n g e l e n k e n b e s t e h t ke ine C o n t r a e t u r . I m G r u n d - und E n d g e l e n k der t ib r igen F i n g e r sind die C o n t r a c t u r e n sehr ger ing . Die reehte Schulter wird keine Spur gehoben, der Arm nur um wenige Grad aktiv abduziert. Schulter- und Ellbogengelenk passiv nach allen Richtungen beweglich. Der Arm kann passiv im groBen Bogen sehwingen. Die passiv entfernte und gehaltene Schulter wird keine Spur der Mittellinie gen~hert. Armreflexe beiderseits stark gesteigert. Ausgesprochene diffuse Hypasthesie fiir alle Qualitaten am ganzen reehten Arm und der iibrigen rechten KSrperseite ein- schlielllieh der Schleimht~ute. Wiirgreflex vorhanden. AuBer einer beiderseits gleieh starken Steigerung der Haut- und Sehnenreflexe normaler Befund am Nervensystem.

R S n t g e n b i l d : 6. II. 16. Sehr s t a r k e g le ichmi iBige A t r o p h i e a l l e r H a n d k n o c h e n und d e s d i s t a l e n E n d e s des V o r d e r a r m e s , aueh d e u t - l i e h e r C o r t i e a l i s s e h w u n d (Tafel III).

4. III . 16. Allgemeines Befinden gut. Bewegliehkeit im rechten Arm ge- bessert.

4. IV. 16. Er gibt an, sich bereits vorwiegend an den Gebrauch der linken Hand gewShnt zu haben.

5. IV. 16. Neurologiseher Untersuehungsbefund: Kopf etwas nach rechts geneigt gehalten. L~hmung des reehten Armes unvert~ndert. Der in der Schulter e r h o b e n e A r m f~llg au f e n e r g i s e h e s Z u r e d e n n i c h t mehr wie t o t her- u n t e r und wird aktiv ]~ngere Zeit gehalten. Wenn man den reehten Arm bis zur Horizontalen erhebt, macht er mit der Hand wippende Bewegungen. ,,Wenn ich den Arm ausstrecken tu, maeht es vorn yon selber." Gleiehzeitig sieht man ein Zittem in den Muskeln des reehten Armes, so dab der Arm sieh in einem dauem- den leichten Schiitteln befindet, sowie er aufgefordert wird, eine Bewegung aus- zufiihren oder den Arm in einer passiv bestimmten Stellung zu halten. Der Arm kann rechtwinklig im Ellbogen gebeugt gehalten werden, wird aber vom Unter- sucher leicht wieder heruntergedriickt. I)er Arm kann auch schwach gestreekt werden. Wenn die Hand des Untersuehenden gedriickt wird, was ebenfaUs nur ganz unvollkommen gesehieht, ger~t der ganze Arm ins Waekeln. Beim Versueh eine Faust zu maehen, sehiitteln die Finger. Die Hand ist blasser als die gesunde. Die Erregbarkeit der GeftLBe etwas erhSht. Sehr ]ebhafte, beiderseits gleiche Arm-

Page 8: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und •erv (Kriegserfahrungen). 43

reflexe. Beim Beklopfen des Radius zuckt der ganze Biceps. Ze i twe i se is t w~hrend d e r s e l b e n U n t e r s u c h u n g der R e f l e x n u r s chwach und un- deutlich auszulSsen, aber bei Ablenkung (Faustdruck der gesunden Hand) in alter St~rke hervorzurufen. Mechanische Muskelerregbarkeit am ganzen Arm sehr gesteigert. Beklopfen an irgendeiner Stelle 15st umfangreiche Zuckungen aus. Am Arm keine Tcmperaturdifferenz gegenfiber dem gesunden. W~hrend der Untersuchung Schiitteltremor im rechten Bein und in den rechten Brust- muskeln. Das Schiitteln im rechten Bein ist so stark, dab Patellarklonus auf- tritt. Das linke Bein wird nut passiv mit erschiittert. Erst naSh langerem Stehen kommt es zu rhythmischem Zittern auch in den Strcckmuskeln des linken Beines. Reflcxe an den Beinen beiderseits gleich gesteigert. Ein paar klonische Zuekungen in der Achillesschnc auszulSsen, ebenso ein sich rasch erschSpfender Patellar- klonus. FiiBc kiihl, nicht feucht. Lebhafte Bauchreflexe, kein Schwitzen. Erst st~rkerer Druck auf den Hoden 15st Schmerzempfindung aus. Heute starke ttypal- gesie des g a n z e n KSrpers, rechts starker als links. Die Nadel l~Bt sich iiberall

Schrift der rechten Hand.

Fig. l.

tier einstechen. Nasenreflex und Cornealreflex rechts fehlend, links sehr schwach. Wiirgrcflex stark herabgesetzt. Puls 90 im Liegen. Vollc Kraft in beiden Beinen und linkem Arm. Keine Ubererregbarkeit im VII, kein Gr/~fc. Erregbarkeit der Gef~Be und Pilomotoren erhSht. Die AchselhShlen schwitzen nicht wahrend der Untersuchung. Schmerzgefiihl fiir starkste faradische Reize im rechten Arm er- loschen. Normale elektrische Erregbarkeit aller Nerven und Muskeln. Er iBt und schreibt seit fiber 1 Jahr mit der linken Hand; Figur 1 zeigt die Schrift der rechten Hand kurz nach Wiederkehr der Bewegung.

9. IV. 16. D.u. entlassen.

B e o b a c h ~ u n g Br. 24 Jahre, Infanterlst; im Beruf: Bauer.

26. VII. 16. Weichteilverletzung am linken Unterarm (Granatsplitter). Ein- :schuB- Daumenseite, 4 cm oberhalb des distalen Radiusendes. Der Splitter liegt 10 cm schrag ulnarwarts u n t e r der H a u t , wird dutch Hautincision entfernt. In der EinschuBwunde blutet eine Arterie stark. Unterbindung, keine Nach- blutung. Arteria radialis intakt. K e i n e K n o c h e n - und G e l e n k v e r l e t z u n g (auch im RSntgenbild). Glatte Wundheilung.

Am 23. VIII. 16 U r l a u b , in dem sich die j c t z i g e H a n d h a l t u n g e n t - w icke l t e .

26. X. 16 n e u r o l o g i s c h e U n t e r s u c h u n g : Rechtshander. Guter Er- n~ihrungszustand. Keine nervSse Belastung. Vor dem Kriege nie nervSs. Friiher hie Verletzungen der Armknochen und Gelenke.

Page 9: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

44 A. Simons:

Hautnarben am Unterarm gut verschieblich, Kein Knochenbruch, auch nicht im RSntgenbild. Gro0e Gelenke freL Linker Radialpuls schr schwaeh zu fiihlen. Die linke Hand leicht extendiert. Die Finger dauemd zur Faust ein- gesehlagen, der gestreektc Daumen ist auf das Grundglied des Zeigefingers gepre~t. Bedeutcnder Muskelwidcrstand gegcn das (}ffnen der Hand, das vollkommen gelingt; hierbei schmerzhafte Abwchrbewegungen und St6hnen ohne besondere Pulsbeschleunigung. Alle Fingergelenke passiv frci, nur das zweite Gelenk des ffinften Fingers beiderseits in angeborcner Contractur- stellung. Ubelrieehcndcr Handsehweil3 unter dcr daucrnd gesehlossenen Hand. An den Nageln nichts Besonderes. Haarwachstum an Unterarm und Hand durch Massage vermehrt. Keine vasomotorisehen und sckretorischen St6rungen. Die Haut des }tandrfickens durch viele B~ider etwas diinner und deshalb mehr blau- rot als rechts. Armreflexe beiderseits gleich und schwach. Die Achselh6hlen beider- scits feueht. Kcine besondere SehweiBabsonderung withrend der Untersuehung. Er schwitzt angeblich sonst sehr stark. Die pa~,siv ausgestreckte Hand wird auf dem Oberschenkel gelegentlich ausgestreckt gehalten. In den ausgestreckten Hi~nden kein Zittern. Vasomotorische Reaktion am Rumpf leicht gesteigert. Von Fingerbewegungen geIingt nur unter Zittern und Schiitteln des rechten Armes Abduction des Daumens und Zeigefingers, unter starkem Mitbewegen des ganzen K6rpers. Unter zahlreichen und iiberfliissigen Innervationen entfernter Muskel- gruppcn werden auch die Endglieder und iibrigen Fingerglieder etwas gebeugt. Dcr Rumpf wird dabei welt nach vorn gebeugt. Die pass iv in die H a n d ge- b r a c h t c n F i n g e r werden mit r o l l e r ] ( r a f t d a r i n g e h a l t e n , wi~hrend der a k t i v c HandschluI3 k a u m ge l ing t . Die elektrische Untersuchung zeigt normales Verh'altnis der .4xm- und Handmuskeln. Psychogene Schw~iche und ttypasthesic im ganzcn linken Arm mit starker ttypalgesie und Thermhypitsthesic. W~hrend der Untersuchung gebraucht er dic rechte Hand nicht, dagegcn wird gelegentlich beobachtet, dal~ er die Hand crst schliei3t, wenn er beim Arzt ein- tritt. Auf dem Gang und wahrend des Anziehens bleibt die passiv ge6ffnete Hand bei Ablenkung gelegentlich sehr kurze Zeit often.

Reflexe an den Beinen lebhaft, beiderseits gleich, ohne Ful~klonus. }tirn- nerven normal, Augenbrauen miteinander verwachsen. Nasen- und Hornhaut- reflexe beiderseits stumpf. Leichte Protrusio bulbi. Etwas hoher Gaumen. Schild- drtiscn leicht vergr613ert. Geringes Lidflattern. Keine l]bererregbarkeit im VII. Kein Romberg. Reine Herzt6ne.

Diagnose : Psychogene Contractur der linken Hand und psychogene Arm- schw~tehe nach Streifschul3 des Vorderarmes.

R S n t g e n b i l d : 26. X. 16. (2 M o n a t e [ ! ] n a e h E n t w i e k l u n g der Con- t r a c t u r ) : D e u t l i c h e A t r o p h i e a l l e r H a n d k n o e h e n , die N e t z s t r u k t u r der K S p f e h e n s ~ m t l i c h e r G r u n d g l i e d e r v e r w a s c h e n , e b e n s o die Z e i c h n u n g in den p r o x i m a l e n und d i s t a l e n Te i l en der F i n g e r - g l i ede r 2 bis 5 (s. Tafel IV).

B e o b a c h t u n g Sch.

21 Jahre, Infanterist; im Beruf: Monteur.

19. III. 15. Quetschung des rechten Mittelfu~es durch Minenverschiittung~ sons~ keine Verletzung. In verschiedenen Lazaretten behandelt. Einige Monate zur Arbeitsleistung beurlaubt.

Vor W e i h n ~ e h t e n 1915 verspiirte er im r e c h t e n Arm w~hrend der A r b e i t e i n e n s t a r k e n K r a m p f , der Arm sei wie s tcif s t e h e n g e b l i e b e n .

Page 10: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 45

Der Hammer fiel ihm aus der Hand und auf den linken Daumen und quetsehte ihm das Endglied.

V o n d a ab n u r l e i e h t e r e A r b e i t mSglieh. Seit dieser Zeit babe er schwere Gegenst~nde nicht mehr heben k6rmen, wiederholt sei ihm der Arm w~hrend der Arbeit steif stehengeblieben, zuletzt im Juni 1916. F r i i h e r e V e r l e t z u n g e n d e s A r m e s ( K n o c h e n , G e l e n k e ) o d e r E n t z f i n d u n g e n l i e g e n n i c h t vor . - - D i e Hande sollen im Winter stets leieht erfroren sein; seit Jahren schliefe die reehte Hand leichter ein als die linke. Bisher keine Schw~che und Schmerzen im Arm oder Bein. Leidet an kalten FiiBen. Hautverf~rbungen bisher nicht be- obachtet.

A u f n a h m e b e f u n d des Lazaretts: 6. VI. 16. Guter Ernahrungszustand, innere Organe normal. Puls regelmaBig, 66, links wie rechts. Stark gesteigerte Haut- und Sehnenreflexe, kein pathologiseher Reflex, Hirnnervenbefund normal. Leichtes Lidflattern, Schwanken bei geschlossenen Augen, Zittern der gespreizten Finger, bei l~ngerem Stehen allgemeines Muskelzittern, starkes vasomotorisches Nachr5ten am ganzen K5rper. Bis zur Mitre des rechten Oberarmes Gefiihl ffir feinere Berfihrungen, Stiche, Temperatur aufgehoben.

R e c h t e r V o r d e r a r m u n d r e c h t e H a n d ka l t . R e c h t e H a n d s t a r k e r b l g u l i c h als d ie l i n k e . H a n d u n d F i n g e r l e i c h t g e s e h w o l l e n , H a n d - b e w e g u n g e n f r e i , F i n g e r s t r e e k e n u n b e h i n d e r t . Bei FaustschluB bleiben die Finger 3 em yon der Hohlhand entfernt. Alle Daumenbewegungen ungestSrt. Klagt fiber starke Schmerzen im linken Ellbogengelenk. Passive Bewegungen im Ellbogengelenk frei, aktiv nur unter Schmerzen vollst~ndig. Bewegungen im Schultergelenk unbehindert. Latissimus druekempfindlich.

K r a n k h e i t s b e z e i c h n u n g : Blaues Hand6dem. V e r o r d n u n g: Faradisation, Massage. 8. VI. 16. HandSdem heute vormittag vSllig verschwunden. Er gibt an,

dab heute vormittag die Sehwellung und Verfgrbung der Hand plStzlich naeh- gelassen habe und in kurzer Zeit vSllig verschwunden sei, er habe jetzt wieder volle Kraft im reehten Arm and in der rechten Hand. Die GefiihlsstSrung am reehten Arm fehlt. Die Hand ist ebenso warm wie die gesunde, hat dieselbe Farbe und gehSrige Kraft.

12. VI. 16. 0dem wieder aufgetreten, und zwar ebenso wie friiher geschildert. 20. VI. 16. 0dem unvergndert. 21. VI. 16. Heute naehmittag sei die Hand wieder ganz warm, die Schwellung

wi~rde wohl jetzt zuriickgehen. - - Odem wie friiher, die Hand ist aber abends lebhaft rot, fast br~unlieh gef~rbt, fiihlt sich sehr warm und heifer als die gesunde an.

28. VI. 16. Hand seit heute wieder kalt und blau. 26. VII. 16. Zustand unverandert. 15. VIII . 16. Handschwellung wie bisher, gelegentlieh stgrker. 8. IX. 16. N e u r o l o g i s c h e U n t e r s u e h u n g : Leidet viel an kalten H~nden

und Fiil~en, schon in der Friedenszeit. Will als Kind stets ruhig gewesen sein, kein Bettnassen, kein Nachtwandeln, kein Sprechen im Schlaf, abet sichere An- gaben kann er nicht machen; nie Kr~mpfe, nie Migrgne; r a t e r Trinker, Mutter und 3 Gesehwister nicht nervSs; sehr unglfickliche Familienverh~ltnisse. Sehildert die Entstehung der Schwaehe und des 0dems wie in der Krankengesehichte an- gegeben.

E r s c h o n t d e n A r m s e i t W e i h n a e h t e n 1915 u n d b e n f i t z t i h n f iber - h a u p t n i c h t s e i t 4. VI. 16. Er ist Rechtsh~nder. Der Arm blieb plStzlich stehen, vorher keine seelischeu Erregungen. Er weiB keine Ursache, ,,es kam so". Ab und zu konnte er den Arm noch einmal hoehheben. Jede Behandlung erfolglos.

Page 11: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

46 A. Simons:

Klagt heute fiber heftige Schmerzen in der ganzen rechten Hand, Arm und Schulter. Weil3werdcn der Finger hat er nie beobachtet.

B e f u n d : Ausgesprochen hystcrischer Gesiehtsausdruck. Linke Pupille und Lidspalte spurweise weitcr als die rechtc. Augcnbrauen verwachsen. Das unr Augenlid vcrl~tuft beiderseits etwas nach oben aul3cn. Ab und zu Stirnrunzeln und andere Ausdrucksbewegungen. Gesicht nicht auffallend gerStet, nur die Ohren stark rot und heil3. Nasen- und Cornealreflex lebhaft. M~tl3ige Hyperi~sthesie im V. Hirnnerven frei. GrSflter Halsumfang 35. Schilddrfise kaum vergr5Bert. Kein Griife, Facialis mechanisch nicht fibererregbar. Der rechte Arm wird an den Thorax adduziert gehaltcn und ist nur unter lebhaften SchmerzauBerungen in der Schulter und im Ellbogengelenk zu biegen. Tricepsreflex bciderseits gesteigert. Radiusreflex beiderseits gleich. Die rechte Hand ist heute wieder m~,Big geschwollen, etwas kiihler als die linke, blaurot und feucht. Kcin eigentliches 0dem, Haut kaum eindrfickbar. Die Arme glcich warm. Gestern war die Hand eiskalt und der Arm distal zunchmend kfihl. Kfinstliche weil3e Flecken gleichen sich rasch aus. Auch die hi~ngende linke Hand ist leicht blaurot.

Puls 84--90, reehts etwas kleiner als finks, doch ist auch die Gegend fiber dem Handgelenk etwas geschwollen. Die Fingernagel bla/3, an der reehten ~Iand rosa. An den Ni~geln nichts Besonderes.

Umfang der Hand fiber Grundgelenk . . . . . . reehts 21,5 em, links 21 cm Daumenendglied . . . . . . . . . . . . . . . . ,, 7,5 . . . . 7 ,, Grundglied des Zeigefingers . . . . . . . . . . . ,, 8 . . . . 7 ,,

. . . . III . Fingers . . . . . . . . . . . ,, 7,5 . . . . 7 ,,

. . . . IV. ,, . . . . . . . . . . . . . 7 . . . . 6 , ,

. . . . V . . . . . . . . . . . . . . . . 6,5 . . . . 6 ,

Die Sehnen fiber dem Handgelenk treten rechts nicht horror.

(~ber Handgelenk . . . . . . . . . . . . . . . rechts 18 cm, links 17 cm Vorderarmwulst . . . . . . . . . . . . . . . . ,, 25,5 . . . . 25 ,, Mitte des Oberarmes . . . . . . . . . . . . . . ,, 25 ,, ,, 25 ,,

Die blaue, kfihle, etwas geschwonene reehte Hand wird 15 Minuten Init kaltem Wasser bespfilt, danach ist sie 1/2 cm dicker und kiilter, es t re ten rote Flecken auf.

Ab und zu kommt in die rechte Hand ein schnell- und grobschlagigcs Zittern. Im Unterarm und reehter Hand Hypalgesie. Auf leichte Nadelstiche in die Finger- beere entleert sich sofort Blur yon gewShnlicher Farbe in raschen Tropfen. Das gleiche bei Stiehen in den Handrficken. Di f f u s e g r o b e p s y e h oge n e S c h w~t c he d e s g an ze n Ar ms. Handdruck aktiv fast aufgehoben. Beim Versuch die Finger zu beugen, Grimassieren und krampfhafte, zwecklose Innervationen fast aller KSrpermuske]n (Rumpfbeugen, Einziehen der Bauehmuskeln, Beinstreekung USW. ).

Am fibrigen KSrper keine GefiihlsstSrungen. Lebhafte vasomotorisehe Rcaktion ohne Quaddelbildung. Sehwitzt nicht bei der Untcrsuchung. Bauch- reflexe beiderseits sehr lebhaft.

Sehnenreflexe an den Beinen beiderseits gesteigert. Kein FuBklonus. Nor- maler Zehcnreflex.

Er stfitzt sich beim Gehen auf das rechte Bein mit entsprechender Becken- senkung, angeblich wegen Schmerzen im linken Ful3. Die Wirbels~ule im Brust- und Lendenteil wird beim Gehen nach reehts ausgebogen. Es sollen Schmerzen in der Hacke beim Gehen bestehen. Keine kalten mad verfarbten Ffil3e. Die Beine kSnnen bei vornfibergebeugter Wirbels~ule vollkommen durchgedrfickt werden.

Page 12: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 47

Der Arm wird dauernd, auch beim An- und Ausziehen, an den Rumpf adduziert gehalten und nicht benfitzt.

R S n t g e n b i l d 27. X. 16. D e u t l i c h e A u f h e l l u n g des d i s t a l e n E n d e s der U n t e r a r m k n o c h e n , a l l e r ] : [andknochen . N e t z s t r u k t u r we i t - m a s c h i g e r , grSber . Im g a n z e n m i t t e l s t a r k e A t r o p h i e (s. TafelV).

D iagnose : Itysterischer Charakter. Psychogene GangstSrung, Schwiiche und Bewegungseinschr~nkung des ganzen linken Armes. Hand6dem.

13. IX. 16. Keine Besserung, als arbeitsverwendungsfahig entlassen.

B e o b a c h t u n g R.

21 Jahre, Pionier; im Beruf: Arbeiter.

Stammt aus gesunder Familie, nie krank. Fiel am 4. XI. 15 beim Bauen yon Drahthindernissen angeblieh auf die ]:[and, die l i n k e n F i n g e r h i n g e n s o f o r t naeh dem Fa l l he rab und k o n n t e n wie das H a n d g e l e n k a k t i v vor S e h m e r z e n n i e h t b e w e g t w e r d e n . K e i n K n o c h e n b r u c h , k e i n e S e h w e l - l u n g der Hand . Lag 6 Tage im Kriegslazarett S. Bereits 8 Tage n a e h der Ver 1 et z u n g finder sich folgender Eintrag in dem Krankenblatt eines tteimats- lazaretts: 12. XI. 15. ,,Etwas o b e r h a l b der Mi t re der S t r e e k s e i t e des l in- ken H a n d g e l e n k s b e f i n d e t s ich e ine kirschgrol~e, h a r t e k u g e l i g e Gesehwul s t , die anscheinend stark druckschmerzhaft ist. Sie li~Bt sich unter der Hand leicht gegen diese verschieben, h~ngt aber mit den tieferen Gewebs- sehichten zusammen, bei Beugung und Streekung der Hand bewegt sic sieh mit. Aktive Bewegung und Streckung im ttandgelenk ist nur leicht besehri~nkt.

Krankheitsbezeichnung: G a n g l i o n der S t r e c k s e h n e der l i n k e n Hand . D r u c k v e r b a n d . "

24. XI. 15. Exstirpation eines typischen Ganglions der Strecksehne des Mittelfingers, das nur ans graugelblichem, granulationsahnlichem Gewebe besteht. 11 Tage Schienenverband. Glatte Wundheflung.

21. XII. 15. Daumenbewegungen frei, Fingerbeugung kraftlos, Streekung unm6glich. - - Ti~glich Massage und Elektrisieren.

25. VL 16. Klagt fiber BewegungsstSrung des 2. bis 4. Fingers, Schmerzen im Handgelenk. Befund (25. VI. 16 Lazarett L.): ~ber der Mitre der Streck- sere des linken Handgelenks eine 41/2 cm lange, 1/2 cm breite, iiberall ver- schiebliche Narbe, unter der ein elastischer, verschieblicher kirschgroBer Knoten ftihlbar ist.

B e u r t e i l u n g (Lazarett L.): ,,Es liegt eine auf Inaktivitat beruhende Be- wegungshinderung im tIandgelenk und eine Bewegungsbeschriinkung der Finger- grundgelenke dureh die Narbe vor, dazu kommt die psychogene BewegungsstSrung. An den inneren Organen normaler :Befund." Der Kranke ist auch yon K a u f - m a n n behandelt. ,,Da der Fall sich keineswegs zur Uberrumpelung eignet, wird angefangen, methodisch Bewegungsiibungen zu machen. Der Kranke hilft abet absolut nicht mit. Er winder sich unter dem nur mittelkraftigen elektrischen Strom vor angeblichen Schmerzen."

5. VII. 16. Absolut keine Besserung, deshalb Bettruhe. 18. VII. 16. Die Finger werden im Grundgelenk spontan gestreckt, wenn

auch nicht vollkommen, die Beugung gelingt vSllig. Daft jetzt aufstehen. 22. VIII. 16. Entlassung zur Ersatztruppe. N e u r o l o g i s c h e U n t e r s u e h u n g 28. X. 16: Rechtshiinder, guter Er-

niihrungszustand. - - Er gibt an, trotz energischer elektrischer Behandlung nicht gebessert zu sein, er sei eine Vierte]stunde lang taglieh mit starken StrSmen be- handelt worden, er habe vor Schmerzen gebrfiHt und sei mehrfaeh yore Stuhl

Page 13: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

48 A. Simons :

heruntergefallen. N a e h d e m er d a n n 14 T a g e i m B e t t g e l e g e n h a t t e , f i i h l t e er S e h m e r z e n i m l i n k e n B e i n , das G e h e n i s t s e i t d e m z u s e h e n d s s e h l e c h t e r g e w o r d e n . Die linke Hand sei gleieh naeh dem Fall etwas k/flter und leicht geschwollen gewesen. -0ber die Farbe macht er keine bestimmten .an. gaben. Naehdem er ,,auf die Hand gefallen" sei, standen s0fort die Finger 2, 3, 4 leieht gebeugt und v o l l k o m m e n a d d u z i e r t und wurden vor Sehmerzen nieht bewegt. Seit der Verletzung k6nne er die Finger ,,iiberhaupt nieht mehr" heben. - - Ausgesproehen hysteriseher Gesiehtsausdruek. Er stfitzt sich beim Gehen auf das reehte Bein, dab das Zimmer drShnt. Der Rumpf wird vorniibergebeugt ge- halten. Es besteht keine Verbiegung der Wirbels/~ule nach irgendeiner Seite. Beide Beine werden vollkommen durchgedrfickt. Augenbrauen verwachsen, Hirnnerven frei. Pupillen yon gewShnlicher WeRe. Puls beiderseits gleieh, 108. Umfang des Handgelenks beiderseits 18 cm. Vorderarmwulst reehts 27, links 26. Oberarm- mitte beiderseits 27 cm. Linke Hand nirgends gesehwollen, eine Spur blaurot am Handrfieken und in der Beugefl/iehe. Der Handrfieken deutlich kalter als reehts, ebenfalls die Finger und die Beugefl~ehe der Hand. Handgelenk nach allen Riehtungen frei beweglieh. I)er ganze Arm etwas kiihler als der reehte, beson- ders der Unterarm. Armreflexe beiderseits gleich lebhaft. In der rechten Hand volle Kraft. Die linke Hand wird um die Hand des Untersuehers nicht ge- schlossen, der leere FaustschluB etwas kr/~ftiger, aber im ganzen mangelhaft. In den Fingergelenken keine Spur yon Steifigkeit. Die 5 em lange Narbe fiber dem Handriicken ist mit der Unterlage nirgends verwaehsen, sie geht genau yon der Handgelenkslinie in der Handrfickenweite naeh oben fingerw/~rts. Eine B e s c h r ~ n- k u n g d e r F i n g e r g e l e n k e d u r c h d ie N a r b e , die in einer Krankenge- sehiehte erw/~hnt ist, ist schon naeh dem Verlauf der Narbe ausgeschlosseu. Beide Hande schwitzen w/~hrend der Untersuchung, die linke etwas mehr als die rechte. GrSBter Handumfang ohne Daumen links 21 cm, rechts 22 em. Zwi- schenknochenraume leicht eingesunken. Beim Versuch die Finger zu strecken, bleiben der 2., 3., 4. Finger vSllig adduziert und im ganzen 30 ~ gebeugt. Samt- liche Fingerglieder bleiben ungefahr in derselben Aehse stehen. Beim Versuch die Finger zu spreizen, wird bloB der 5. Finger steif in allen Gliedern gestreckt abduziert, und gleiehzeitig abduziert sich der Daumen. Hand aus der Wagereehten aktiv bis 145 ~ gebeugt, die gesunde bis 105 ~ Passive Beugung links gelingt nur bis zu einem Winkel yon 143 ~ infolge heftigen Muskelwiderstandes. Hierbei tr i t t die versehiebliehe Sehnenscheide des Extensor hervor. Er leistet bei diesen passivep Bewegungen heftigsten Widerstand. Minimale Kraf t der kleinen Handmuskeln, nur Adduetion des Daumens etwas kraftiger. In der Ruhe ist die linke Hand leieht adduziert. Psychogene Gefiihlsst6rung der linken Hand (Hypalgesie fiir Nadelstiehe, Hyp/~sthesie fiir Berfihrung und Temperatur). Elektriseh normale Verhaltnisse in allen Arm- und Handmuskeln. Lebhafte Haut- und Sehnen- reflexe. Beim Erheben des linken Beines Andeutung yon Tremor filr wenige Se- kunden, aber volle Kraft. Beim Erheben des FuBes maeht der erhobene Fuji gegen Widerstand des Untersuchers grebe zuckende und schiittelnde Be- wegungen, das gleiche bei Zehenbewegungen. Psychogene Schwaehe beim Herabdrficken des Fu0es. Hypalgesie am ganzen KSrper einsehlieBlieh der Sehleimh~ute.

R S n t g e n b i l d a m 29. VII. 16. (Verletzung 4. XI. 15.) K e i n e K n o e h e n - v e r l e t z u n g . S e h r d e u t l i c h e A u f h e l l u n g d e r l i n k e n F i n g e r k n o e h e n , z u m T e i l m i t V e r d f i n n u n g d e r C o r t i e a l i s ; d ie N e t z s t r u k t u r t r i t t d e u t l i e h h e r v o r . D ie K S p f e h e n d e r G r u n d g l i e d e r s i n d a u f g e h e l l t , u n d a u e h d i e B a s i s e t w a s h e l l e r a l s r e e h t s . G e r i n g e a b e r d e u t l i c h e A u f h e l i u n g d e r H a n d w u r z e l k n o e h e n u n d e t w a s a u c h d e r d i s t a l e n

Page 14: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und l~erv (Kriegserfahrungen). 49

V o r d e r a r m k n o c h e n , a b e r h ie r sehr ger ing . R e c h t e H a n d n o r m a l (s. Tafel VI).

B e u r t e i l u n g : Hysterischer Charakter. Grobe psyehogene Bewegungs- besehritnkungen der linken Hand und psychogene Gangst5rung.

B e o b a c h t u n g St.

21 Jahre, Armierungssoldat; im Beruf: Bierbrauer.

Am 12. XI. 14 dureh Gewehrschul3 am linken Arm verwundet; bald danach Schmerzen in den Fingern. Im RSntgenbild keine Kugel und Knochenverletzung sichtbar. In verschiedenen Lazaretten behandelt. AuI3er operativer Entleerung eines belanglosen Abscesses ,,urn das Ellbogengelenk herum" sind keine Eingriffc vorgenommen worden. Wundheilung p. sec. Anfang Jannar ,,gute Heilung" und am 1. IV. 15 garnisonverwendungsf~hig zum :Ersatztruppenteil entlassen. Im Marz 1916 kam er ins Feld, meldete sich aber Anfang April wieder ]crank. Am 3. IV. 16 wurde er wieder in ein Lazarett aufgenommen.

Dort wurde eine hysterische Schwaehe des linken Armes und der Hand und eine leichte Medianusverletzung festgestellt. Bei gewShnlichen Vcrrichtungen (Anziehen, Kartoffenseh~tlen) wurde die linke Hand nie benutzt. Zeitweise wurde sie in PfStchensteUung und Ulnarabduetion gehalten. Es bestand Ani~sthesie im ganzen linken Arm, zunehmende K~lte vom Ellbogen abw~rts, Cyanose der Hand. Alle versuehten Mal3nahmen, aueh die Behandlung mit sinusoidalem Strom und Hypnose, versagten. Nach versprochenem Urlaub wurden die Finger einmal etwas bewegt. Gelegentlich wurden auf Zureden vorfibergehend der Mittel-, Ring-, Kleinfinger aktiv vSllig und der Zeigefinger etwas gebeugt.

20. X. 16. N e u r o l o g i s c h e U n t e r s u c h u n g : Rechtsh~tnder. Guter Er- n~hrungszustand. An den inneren Organen regelrechter Befund. Hysterischer Gesichtsausdruck. Gesicht im ganzen etwas starker ge rS t e t , feucht. Am linken Oberarm fiber dem unteren Teil des Biceps an seiner Innenseite eine 4 cm lange, 11/2 cm breite quere Einschui3narbe. Am Oberarm hinten innen am Condylus lateralis abw~rtsziehend eine 6 cm lange, bis zu 21/2 em breite, stellenweise mit tier Unterlage verwachsene Aussehuflnarbe. In der Ellenbeuge eine schr~g ver- laufende, 3 em lange Operationsnarbe. B e w e g u n g e n im S c h u l t e r g e l e n k f re i , S t r e c k u n g des E l l b o g e n s a k t i v bis 165 ~ (also nur sehr geringer Streck- defekt infolge Schnittnarbe fiber dem Lacertosus fibrosus), pa s s iv vo l l s t~nd ig . B e u g u n g a k t i v b i s z u m s p i t z e n W i n k e l v o n 8 0 ~ , p a s s i v b i s 7 0 ~ . ImEl l . bogen kein Knacken, kein ErguB. P r o n a t i o n des V o r d e r a r m s frei , Sup i - n a t i o n um die Hi~lfte e i n g e s c h r ~ n k t . Grundgelenk des zweiten Fingers schwach versteift.

Grobe A t r o p h i e des l i n k e n V o r d e r a r m s und der l i n k e n Hand .

UmfangmaBe : ]inks rechts

Oberarmmitte . . . . . . . . . 24,5 25,5 Vorderarmwulst . . . . . . . . 23,5 25 Mittelhand ohne Daumen . . . 19 21

L i n k e r O b e r a r m k i ih le r als der r e eh t e , U n t e r a r m sehr ka l t , H a n d e i s k a l t , in a l l en S e g m e n t e n g le ichm~fl ig . Der l i n k e R a d i a l p u l s e r - h e b l i c h k l e i n e r als de r n o r m a l vo l le r e eh t e , weich, regelm~tl3ig. Hand zur- zeit in mittlerer Fallhandstellung, radialw~rts etwas angezogen. Daumen voll- kommen der Mittelhand angelegt. S~mtliehe Finger in der Handaehso in den Endgliedern leicht gebeugt, besonders der 2. Finger. I)er 5. ~inger etwas abduziert, Endglied 21/2 em vonder Ulnarseite des 4, Fingers entfcrnt. Endglied des 4. Fingers

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. XXXVII. 4

Page 15: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

5 0 A. Simons:

yon dem des dr i t ten 1 em, Endglied des 2. Fingers yon dem des 3. wenige Millimeter entfernt. Die ganze Hand etwas feucht. Thenar in der Gegend des Abduc tor und Hypo thenar abgemagert. S t a r k e v a s o m o t o r i s e h e S t S r u n g e n a m g a n z e n 2. und 3. F i n g e r . Der 3. Finger blaurot, Endglied des 4. und 5. Fingers ziemlich rot. Am Daumen keine vasomotorisehen St6rungen. Ein 3 Sekunden dauernder Druck auf die Fingerbeeren erzeugt eine rote Druckstelle vom Um- fange des driickenden Fingers. Der Rest der Kuppe wird s c h n e e w e i B . Der Hof ist nicht so blab, wenn der Arm vorher bereits einige Zeit senkrecht erhoben war. Ein A u s g l e i c h d e r v a s o m o t o r i s c h e n S t S r u n g e n i s t a m e r h o b e - n e n A r m n a e h 10 M i n u t e n n o e h n i e h t e r f o l g t u n d t r i t t a m h ~ t n g e n - d e n A r m a n d e u t u n g s w e i s e e r s t n a c h e i n i g e n M i n u t e n e in .

Die an der Fingerbeere besehriebene ZirkulationsstSrung ist im Daumen. endglied am schw~chsten. Die blassen Stellen dutch Druck auf die Dorsalseite des Endgliedes gleiehen sich auch im erhobenen Arm sehr raseh und wie auf der gesunden Seite aus.

Die linke Hand schwitzt im Medianusgebiet etwas s tarker als im Ulnaris- bezirk, im ganzen nur so stark, da6 die Hau t feucht sehimmert. Die SchweiD- sekretion betrifft aueh noch die mediale Seite der Daumenbeugefl~che. Die Hau t der Handflache leicht marmoriert . Der erste Zwischenknoehenraum leieht ab- gemagert, die iibrigen etwas s tarker als die rcchten eingesunken. Kleinfinger- ballen abgemagert.

Vorderarmwulst in reehtwinkliger Beugestellung des Unterarms, 10 cm unterha lb Olecranon, links 23 em, rechts 2 6 c m , Handgelenkumfang rechts 171/2em, links 17 em. Handumfang ohne Daumen fiber den Grundgelenken gemessen links 20 em, rechts 22 em.

Die Finger sind erheblich abgemagert. Grundglied des Daumens . . . . . r. 7,5 1. Glied ,, 2. Fingers . . . . . . . 7,0 1 . . . . , 3 . . . . . . . . . . 7 , 0

1 . . . . . 4 . . . . . . . . . . 7,0 1 . . . . . 5 . . . . . . . . . . 6,0

1. 7,0 Endglied r. 7,0 l. 6,0 ,, 7,0 . . . . 6,5 ,, 5,0 ,, 7,0 . . . . 6,0 ,, 5,0 ,, 7,0 . . . . 5,7 ,, 5,0 ,, 6,0 . . . . 5,1 ,, 4,7

Das zweite und dri t te Glied des 2. Fingers, der im Grundgelenk leicht ver- steift ist, etwas zugespitzt, aber unverkfirzt. Die Nagel sind gebuckelt und etwas quergerieft, der 2. und 3. Fingernagel wachsen rasch, der 4. und 5. etwas lang- samer: Er sehneidet links die N/~gel alle 8 Tage, reehts alle 14 Tage bis 3 Woehen. Glanzhaut am 2. und 3. Finger, Gelenkfalten verstrichen, sonst keine t rophisehen StSrungen. Nach langerem Aufenthal t im warmen Zimmer werden der 2. und 3. Finger etwas warmer; die grobe Temperaturdifferenz ist aber noch naeh e iner Stunde deutlieh.

Die linke Hand hangt leicht herab, die Streeksehnen fiber dem Handrf icken springen sehwaeh hervor, Daumen angelegt, Pf6tehenstellung. Pronat ion ga r nicht, Supinat ion kaum besehrankt. Handgelenk passiv frei beweglich, Hand wird akt iv sehr sehwaeh gegen passiven Widerstand bis zur Wagrechten gehoben. Fingerstreckung vollkraftig. Handbeugung ziemlieh kr~ftig. Alle Bewegungen der kleinen Daumenmuskeln mSglich mit sehwach verringerter Kraft . Einzel- bewegungen der Finger werden nieht ausgefiihrt; alle Finger werden in den Grund- gelenken langsam gleiehzeitig gebeugt, die Beugung des 4. und 5. Fingers ist dabei kraft ig; die Beugung der Endglieder geschieht in gleicher Weise und mit demselben Kraf tverMltnis . DaB die Spreizung und Adduction der Finger im Ulnarisgebiet normal, im Medianusgebiet etwas schwacher m6glich ist, wird nur aus dem ent- sprechenden Muskelwiderstand erschlossen, der der Einfi ihrung des Fingers des Untersuchers in die adduzierten Grundglieder entgegengesetzt wird. Endglieder

Page 16: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und 5Terv (Kriegserfahrungen). 51

werden bei gebeugtem Grundglied langsam auf encrgisches Zureden voll und ziem. lich krKftig gestreckt.

Die Armreflexe beiderseits yon gew6hnLicher St~rke. Kalt am ganzen linken Arm nicht gefiihlt, ebenfalls grobe Pinselberiihrung. Keine Abwehrbewegungen auf tiefe Nadelstiche und starken sinusoidalen Strom in Arm und Hand, das Ge. sicht bleibt unbewegLich.

E l e k t r i s c h : Partielle EaR. im Medianusgebiet in allen klcinen Hand. muskeln, doch ist die direkte Erregbarkeit im Ulnarisgebiet wenigcr herabgesetz~ als im Medianusgebiet. Wahrend der elektrisehcn Untersuchung wird die Schwei$- sekretion der linkcn Hand erheblich starker als rechts und im Medianusgebiet etwas starker als im Ulnarisgebiet. Keine sicheren qualitativen Veranderungen, wenn die Hand geniigend warm ist. Im Biceps keine elektrischen Veranderungen. Radialis intakt.

21. X. 16. N e u r o l o g i s c h e U n t e r s u e h u n g : Vasomotorische, sekre- torische, Temperaturverhaltnisse wie gestcrn. Radialpuls im erhobenen Arm nieht zu fiihlen, im hangenden sehr schwach. Die Hand wird im Hangen ranch blaurot.

Die zeitlichen Angaben iiber den Ausgleich kiinstliehcr vasomotorischcr StSrung an den Fingerkuppen haben nut bedingten Weft, da sie im stark geheizten Raume beobaehtet wird, wahrend unter Witterungseinf1~ssen und kalten Tagen die StSrung erheblich t/~nger dauern wiirde.

20. X. 16. R S n t g e n b i l d : S t a r k e d i f fu se A t r o p h i e in den d i s t a l e n E n d e n der V o r d e r a r m k n o c h e n und s a m t l i c h e r H a n d k n o c h e n . K e i n e V e r l e t z u n g des O b e r a r m k n o c h e n s (s. TafelVII).

25. X. 16. Heute wieder sehr starke Cyano~e und ganz sehwacher Radial- puls.

K r a n k h e i t s b e z e i c h n u n g : Grobe psyehogene Parese des linken Armes und der Hand, teilweise his zur Akinesie. Geringe Medianus- und Ulnari~schadigung. Radialpuls sehr klein (direkte Gefatverletzung oder -einengung in der Ellbeuge durch Narbe ?).

B e o b a c h t u n g Ln. 29 Jahre, Musketier, Rechtshander.

Am 1. X. 14 durch Schrapnellkugeln verletzt an mehreren Stellen, u.a. am Linken Arm. Die Hand hing zunachst herunter (Commotion. radialis ? plexus ?).

A u f n a h m e b e f u n d der m e d i k o m e c h a n i s c h e n A b t e i l u n g (ordin. Arzt Dr. R e i s s): An der Streckseite des linken Vorderarms unterhalb des linken Ellenbogens kleinerbsengroBes Narbchen an der Beugeseite. Dicht unterhalb der Ellenseite markstiickgrote Einschul3narbe, 6 cm unterhalb dieser Narbe eine klein= erbsengroBe Narbe. Ferner an der Innenseite des Oberarms in der untcren Halfte der Bicepsfurche eine 9 cm lange Operationsnarbe. Alle Narben am Arm frei verschicblich. Die Hand sei anfangs blau gewesen und habc gehangcn. Linker Arm im ganzen abgemagert.

Oberarmmitte . . . . . Links 27,5 era, rechts 30,5 cm Vorderarmwulst . . . . ,, 25,75 ,, , 27,75 ,,

Die Haut der Linkcn Hand und der Fingerriicken glatter als rechts. Der 4. und 5. Nagel etwas runder. Die passive Hebung im Schultergelenk st6Bt auf Widerstand, gelingt bis Schulterh6he, aktiv wird der Arm nur spurweise zu heben versucht unter starker Anspannung der Antagonisten. Im Ellbogengelenk aktive und passive Streckung bis 130 ~ aktive Beugung unter groben Zitterbewegungen bis 90 ~ passiv unter Widerstand normal mSglich. Die aktiven Drehbewegungen des Vorderarms gering, die passive Pronation e twas besehrankt, Sup i n a t i o n f re i , dabei ebenfalls aktiver Muskelwiderstand. Handbeugung passiv frei, Hand-

4*

Page 17: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

52 A. Simons:

fiberstreckung unter aktivem Widerstand z/a mSglich. Seitliche Handbewegungen ebenfaUs mit Widerstand ziemlich ausgiebig, aktive Beugung nur gering, ebenfalls die Oberstreckung und die seitlichen Bewegungen. Die gestreckten Finger und der Daumen werden aktiv nur wenig bewegt, sehlieBlich kSnnen die Finger bis zur halben Faust gebeugt, etwas gespreizt und zusammengefiihrt, der Daumen rai~ wenig gebeugtem Endglied etwas eingeschlagen werden; passiv sind Finger und Daumen gegen aktiven Widerstand vSllig beugbar. SchlieBlicb gelingt der Naehweis, dab der Arm sich im S e h u l t e r g e l e n k pass iv 45 ~ fiber S c h u l t e r - hShe e r h e b e n li~flt u n d aueh a k t i v kurze Zei t in jeder H ~ h e n i a g e fes t - geha l t en wird. Von hysterischen Zeichen finden sich herabgesetzter Sehleim- hautreflex, gesteigerte Haut- und Sehnenreflexe, erhShte mechanische Muskel- und Vasomotorenerregbarkeit. M e d i k o m e c h a n i s c h b e h a n d e l t bis 13. IX, 15.

A b g a n g s b e f u n d am 13. IX. 15: Linker Arm hangt im Ellbogen gebeugt herab. Hand und Finger blaurot, glatter. Aueh der Vorderarm kfihler, keine Nagelveranderung. Deutliche Abmagerung des ganzen rechten Armes, nicht nach Muskelgruppen.

Mittethandumfang . . . links 22 era, reehts 23,5 em Vorderarmwulst . . . . . . 26 . . . . 28 ,, Oberarmmitte . . . . . . . 28 . . . . 29,25 ,,

Alle aktiven Finger- und Handbewegungen werden nur andeutungsweise ausgefiihrt, bei den passiven Hand- und Fingerbewegungen muB man Muskel- widerstand tiberwinden und hat das Geftihl yon Muskelspannung, am deutlichsten bei der passiven Fingerbeugung, die schlieBlich v011ig gelingt, aber Schmerz- ~uBerungen hervorruft. Die Vorderarmdrehungen kSnnen aktiv und l~ssiv ziemlieh gut ausgefiihrt werden, im Ellbogengelenk aktiv und pessiv Streekdefekt, anseheinend reel] yon 60 o, Beugung aktiv anscheinend miihsam bis 90 ~ passiv ann~thernd vollstitndig. Im Schultergelenk aktiv keine Beweglichkeit, passiv starker Muskelwiderstand, nach dessen (lberwindung man ziemlich gute Drehungen und Armhebungen bis fiber Schulterh5he erzielen kann. Das Hautgeffihl am ganzen linken Arm leicht herabgesetzt, linker grofler Brustmuskel und linke Schulterblattmuskulatur leicht gesehwi~clit. Mechanische Muskelerregbarkeit er- hSht. Dermographismus ziemlieh anhaltend. Puts langsam, regelmaBig, linker l~adialpuls ein wenig abgesehwacht. Sehleimhautreflexe abgesehwaeht, linke Armreflexe erhSht, beide AchselhShlen schwitzen, kein auffallendes Zittern. Druck- schmerzpunkt an der linken Brustwarze. Lebhafte Haut- und Sehnenreflexe am ganzen KSrper. Hirnnervenbefund normal. Psychisch teitnalimlos. Ich habe den Kranken wiederholt gesehen. Der objektive Befund entspraeh dem in der medikomechanischen Abteilung (ordin. Arzt Dr. Reiss) erhobenen. Der Mann war ei~. schwerer Hysteriker, der keine Spur gebessert wurde. Der elektrische Befund war vollkommen normal. Welche Operation im Oktober 1914 sofort nach seiner Verwundung vorgenommen wurde, habe ich trotz aller Nachforsehung nieht feststeUen kSnnen. Bereits einen Tag nach seiner Einlieferung von dem Schlachtfelde land sich aber in der Krankengesehichte der Eintrag: ,12 em lange, zugen~hte Wunde an der ini~eren Fliiche des linken Oberarms. Fiinfmarkstfiek- grebe. Fleischwunde an der Beugeseite direkt unter dera Ellbogengelenk, das frei beweglich ist. Aktive Beweglichkeit der Hand ist nicht vorhanden. Passiv kSrmen Pronationen ausgeffihrt werden." Dieser sofortige Eingriff spricht fiir eine Gefal3verletzung.

Die Wundbehandlung (mit Verbandweehsel) seheint normal verlaufen zu sein, wenigstens linden sich in der Krankengeschichte keine anders zu deutenden Angaben, z, B. Fieber oder Eiterung.

K r a n k h e i t s b e ~ . e i e h n u n g : Hysterisehe sehwere Parese des linken Armes.

Page 18: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 53

9. VIII. 15. R S n t g e n b i l d : D e u t l i c h e A t r o p h i e in a l l e n T e i l e n , am s t a r k s t e n in a l l en P h a l a n g e n , K S p f e h e n der G r u n d g l i e d e r ; g e r i n g e r e Ve r~ tnde rungen an der Basis der G r u n d g l i e d e r ; A u f h e l l u n g der H a n d w u r z e l - u n d des d i s t a l e n E n d e s der V o r d e r a r m k n o e h e n (sieho Tafel VIII).

B e o b a e h t u n g Lc. 23 Jahre, Musketier; im Beruf: Arbeiter.

31. VIII. 15. Gewehrschu~ in den rechten Unterschenkel. Schuflbruch der Tibia. Kein Gipsverband. Schienenverband; 14 Tage spater ,,Tibia lest". Glatter Wundverlauf.

1. XI. 15. FuB steht etwas in Spitz- und Klumpfu~stellung. Beim Gehen setzt er den reehten Ful3 besonders mit der Kleinzehenseite auf. Bewegung im rechten FuBgelenk und alien Zehengelenken fast g~nzlich gehindert. Passiv ist die Bewegung in den Zehengelenken frei, im rechten FuBgelenk stark eingeschr~nkt. Keine GeftihlsstSrungen.

25. III. 16. Er erhMt orthopi~dischen Stiefel mit redressierender Aul3enschiene. Gang etwas gebessert, bewegt sich obne Stock z/2 Stunde.

1. IV. 16. Arbeitsverwendungsfahig entlassen. 14. X. 16. Neuro log i sche U n t e r s u c h u n g : Innere Organe rege]recht,

guter Ern~hrungszustand. Rechtsh~nder. l~rtiher keine Krankheiten oder Ver- letzungen, die auf den Knochen wirken. Er tr~igt seit 3/4 J a h r e n wegen ,,sieberer L~hmung des Nervus peronaeus und wahrscheinllch des N. tibia]is" einen ortho- pi~lischen Schuh mit Scarpascher Schiene, durch den der Gang gebessert wird.

Be fund : Keine Zeichen einer Nervenverletzung, aber ausgesprochene hysterische KlumpfuBhaltung, enormer Widerstand beim Versuch, ihn aus der Haltung herauszubringen, unter klonischen Zuckungen des FuBes abet zu iiberwinden. Keine Gelenkversteifung, passiv alle Bewegungen frei. Zehen- beugung und -streckung mit roller Kraft und in normalem Umfang, aktive Ful3streckung unter Zitterbewegungen beschrankt mSglich. Beide FiiBe schwitzen, der rechte st~trker als der linke, keine Temperatur- und vaso- motorischen StSrungen. Falscber Fufiklonus beiderseits, stark gesteigerte Sehnenreflexe an den Beinen, psyehogene Hyp~sthesie im rechten Bein und rechten Rumpf bis zum Rippenbogen. Bei nochmaliger ~berpriifung der FuBbewegungen bei derselben Untersuehung schwache aktive Zehenbeugung und -streckung, sonst keine aktive ~'uBbewegung zu erzielen. Unwesentliche Atrophie des rechten Beines durch Nichtgebrauch ( - - 1 cm an Oberschenkel und Wade), geringe Knochen- verdickung an der verletzten Stelle (+ 1,2 cm), keine Beinverkiirzung, Knie- gelenke frei beweglich, etwas st~rkeres NachrSten bei Hautreizen am Rumpf, gesteigerte Bauch- and Armreflexe, sonst normaler Befund.

B e u r t e i l u n g : Seit mindestens 3/4 Jahren psychogener Klumpful3 rechts nach Gewehrschul3 durch den rechten Unterschenkel.

R S n t g e n b i l d 21. IX. 16: D e u t l i c h e gleichmiti3ige A u f h e l l u n g a l l e r F u f l g l i e d e r k n o c h e n ; die G r u n d k n o c h e n , die S e s a m b e i n e u n t e r dem e r s t e n G r u n d k n o c h e n s t a r k a u f g e h e l l t , e b e n f a l l s die KSpfe a l l e r G r u n d k n o c h e n , so dal] die S t r u k t u r k a u m noch zu e r k e n n e n ist. Die C o r t i c a l i s i s t e b e n f a l l s e twas verschmi~ler t . S t a r k e A u f h e l l u n g der t ib r igen d i s t a l e n FuBknochen . Auch h ie r die Cor t i ca l i s v e r d i i n n t , b e s o n d e r s d e u t l i c h im M i t t e l g l i e d der grof len Zehe. Im u n t e r e n T i b i a d r i t t e l k l e i n e r C a l l u s , k e i n e F r a k t u r l i n i e . S t a r k e A t r o p h i e d e r T i b i a und F i b u l a d i s t a l und p r o x i m a l vom Callus.

Page 19: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

54 A. Simons:

B e o b a e h t u n g Sch. 29 Jahre, Oberleutnant, im Beruf: Fabrikant.

25. VIII. 14. Am linken Ellbogen, 5 cm yon der Spitze nach der Daumen- seite zu, zweimarkstiiekgrol3er EinschuB. GeschoBentfernung; glatte Heilung,

RSntgenbefund (12. IX. 15): ,,Eine grSBere und eine Menge ganz kleiner Metallsplitter in der Metaphyse der Ulna. Angeheilte A b s p r e n g u n g e ines d r e i e c k i g e n Kei les , dessen Basis das O l e c r a n o n b i lde t . "

18. I. 15. Neurologiseher Befund (Dr. Hezel): ,,In diesem Falle llegt eine StSrung in der Beugung des 2. bis 5. Finger vor, welche sich aus 2 Komponenten zusammensetzt:

1. aus einem Spasmus der Fingerstrecker, 2. aus einer L/ihmung des Beugers der Endphalangen, des Flexor digitorum

profundus. In geringerem Grade ist vielleicht auch die Portion des Flexor digit, sublimis

beteiligt ftir den 4. und 5. Finger. Ob diese StSrung der Beugemuskeln yon einer Muskel- oder yon einer Nervenverletzung herriihrt, die dann eine ganz partielle sein mii•te, ist nieht leieht zu entscheiden. GroIle Nervenstamme sind nicht ver- letzt, es kann sieh also nur um einen Muskelast handeln. Der Kranke soll mir die RSntgenaufnahme noch zuganglich maehen. Ich werde versuchen, ob reich die Einsichtnahme in das RSntgenbild etwas weiter bringt, danach werde ich Ihnen nochmals berichten, evtl. auch den Kranken nochmals untersuchen."

22. I. 15. Neurologischer Befund (Hezel): ,,Bei der Untersuchung des Herrn Oberleutnant Sch. finde ich:

1. eine spastische Contractur der Fingerstreckmuskeln, 2. des Flexor digitorum profundus in seinen Anteilen fiir 4. und 5. Finger,

welche weder faradisch noch galvanisch erregbar sind. Diese Anteile sind aber nieht im Zustande schlaffer Lahmung, sondern zeigen

ebenfalls eine gewisse spastische Spannung. Ich vermute, dal~ die gelahmten :Muskelanteile nicht dureh Nervenverletzung, sondern durch Gefal]verletzung, (lurch Ischi~mie erzeugt sind und rate deshalb zun~tchst nicht zu einer Operation, sondern zu orthopadiseher Behandlung, namentlich griindlicher, tiefgreifender Mas- sage der ulnaren Halite der Beugeseite des Vorderarmes, damit der gesehadigte tiefliegende Muskel beeinflul3t wird."

8. II. 15. Neurologischer Befund (Hezel): ,,Bei Oberleutnant Sch. hat die bisherige Massage und Gymnastikbehandlung die eigentiimliche Lahmung im :Flexor digitorum profundus, welehe ich fiir eine reine M u s k e l s t S r u n g , wahr- s e h e i n l i c h z i r k u l a t o r i s c h e r N a t u r hielt, bereits gebessert. Der Muskel ist jetzt aueh elektriseh wieder erregbar. Das sprieht ganz entsehieden fiir die Richtig- keit obiger Auffassung. Es last sich nun erwarten, dal3 bei geniigend langer Dauer der eingeleiteten Behandlung vSllige Wiederherstellung erreicht wird. Deshalb ware es sehr bedauerlich, wenn die Behandlung am 22. d. M. abgebrochen werden miiBte, ohne dal3 bis dahin der volle erreichbare Erfolg erzielt ware, was wenig wahrscheinlieh ist. Verlangerung der Kurdauer ware deshalb sehr empfehlenswert."

27. II. 15. Lahmungserseheinungen in der linken Hand in geringem Grade gebessert, aber noch nieht geheilt. Wird zur Fortsetzung der orthopiidischen Behandlung ungeheilt zur Truppe entlassen.

Neurologischer Untersuchungsbefund (5. IX. 16): Guter Emahrungszustand, Rechtshander.

Es,fallt sofort die krampfhafte Adduetion aller in samtlichen Gelenken gestreckten Finger auf. Die Finger stehen fast in der Richtung der Handachse. Es fehlen alle vasomotorischen St6rungen; die Temperatur beider Hande ohne Unterschied. Radialpuls beiderseits gleich.

Page 20: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knoehen und Nerv (Kriegseffabrungen). 55

Leiehte Atrophie der H a u t ' d e r Finger, keine Atrophie der kleinen Hand- muskeln. N u r d e r Kleinfingerballen ein wenig abgemagert. Passive Bewegungen im Handgelenk und in allen Fingergelenken frei. Es gelingt passiv ohne Schwierig- keiten, die Fingerendglieder in die Vola zu bringen. Bedeutende Gegenspannung bei allen passiven Bewegungen des 2. bis 5. Fingers. Aktive Daumenspreizung, lange Daumenflexoren und kleine Daumenmuskeln vollkommen kraftig. Aueh die tibrigen kleinen Handmuskeln wirken vollkommen. Oberftachlieher Beuger vollkrifftig, ebenfalls tiefer Beuger II , I I I . Bei diesen Bewegungen Hyperinner- ra t ion bis zum Zittern in den linken Armmuskeln. Es ist kein Zweifel, dag die 2. und 3. Fingerglieder psychogen an der Beugun~ behindert werden. Es kommt dabei zu einem Sehfitteltremor der Hand. Er driickt die Hand des Untersuchers mit kaum gebeugten Grundgliedern, wa, hrend er aktiv die bis zu 45 ~ passiv ge- beugten Finger mit roller Kraft halten kann. Ein in die Hand gelegtes Stfick Gummi wird nicht yon den Fingern beriihrt. Die Finger bleiben in krampfhafter Stellung mit einem Schtitteltremor der Hand, und zwar mit gebeugten Endgliedern des 4. und 5. Fingers 1 cm vom Gummi entfernt stehen. Nach Entfernung des Gummis warden die Finger vSllig his in die Hand passiv gebracht und dort mit voller Kraft festgehalten.

Der Unterarm im ganzen etwas abgemagert, Haarwachstum kiinstlich etwas vermehrt (Massage, B~der usw.). Keine GefiihlsstSrungen an der ]-Iand und im Unterarm. Wahrend der Untersuchung halt er dauernd die Hand auch im t tand- gelenk krampfhaft gebeugt. In den gespreizten Fingern links ein rein- und schnell- schl~giges Zittern.

In den Hand- und Armmuskeln keine Schwache. Armreflexe beiderseits gleich lebhaft.

Keine Ver~tnderungen des Nagelbettes. Auch keine anderen trophischen StSrungen. Kein st~rkeres Schwitzen. Ellbogengelenk bis 55 ~ beugbar, vollkommen streckbar. Oberarm links 26 cm, rechts 27 cm, Vorderarmwulst links 251/4 cm, reehts 261/2 cm, fiber dam Handgelenk beiderseits 16 cm.

3. X. 16 ins Fold. RSntgenaufnahme 1O. IX. 16: ] )as l i n k e U l n a k 6 p f c h e n e t w a s a u f -

g e h e l l t . D i e N e t z s t r u k t u r i s t i n d e m l i n k e n U l n a k S p f c h e n d e u t l i e h e r a l s in d a m r e e h t e n ; d i s t a l e r T e l l des R a d i u s v e r w a s c h e n , e b e n f a l l s v e r w a s c h e n i s t d i e S t r u k t u r a l l e r M i t t e l h a n d k n o c h e n , p r o x i m a l e r T o i l d e r G r u n d g l i e d e r o h n e s i e h e r e n U n t e r s c h i e d g e g e n t i b e r d e r ge - s u n d e n S e i t e ; d e u t l i c h e r e A u f h e l l u n g in d e n d i s t a l e n K S p f e h e n d e r G r u n d g l i e d e r m i t A u s n a h m e des D a u m e n s , f e r n e r in s i ~ m t l i c h e n F i n g e r g h e d e r n . I n d e n a u f g e h e l l t e n T e i l e n i s t d i e N e t z s t r u k t u r d e u t l l c h s t a r k e r a l s a u f d e r g e s u n d e n Se i t e .

K r a n k h ei t s b e z ei e h n u n g: Psychogene Bewegungsbesehrankung der Fin- ger. Eine isehamische Muskell~thmung als Ursaehe der Parese ist jetzt auszu- sehliel~en, wail der Radiuspuls beiderseits gut und gleich zu ffihlen ist und die Muskeln die normale Konsistenz haben.

B e o b a c h ~ u n g B.

20 gahre, Schlachter, Rechtshander.

14. X. 16. Mutter, Schwester epileptiseh. Als Kind nicht nervSs, keine Krampfe. Mit 17 Jahren nervenkrank (viel Schwindel nnd Sehwarzwerden vor den Augen).

1913 3 Monate in L., wurde geheilt entlassen. Am 14. V. 16 sehlug eine Granate in seiner naehsten N~he ein. Er wuxde

bewuBtlos fortgetragen und kam in ein Feldlazarett. Dort lag er 4 Tage . Die

Page 21: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

56 A. Simons:

l i n k e n Finger sollen bereits damals etwas gebogen gewesen sein. Dann Ver- ]egung in ein Reservelazarett nach Deutschland, wo durch passive Bewegungen die Hand geheilt wurde. Im J u l i entwickelte sich dann der jetzige Zustand der Hand und des Beines. Er bekam damals beim Ersatzbataillon ,,allgemeine Krampfe" von nicht epileptischem Charakter.

Mitre Juli 1916 wurden die Finger der linken Hand krummer und es t rat im linken Beiu ein Geftihl auf, als ob die Sehnen zu kurz waren. Er konnte nicht mehr mit dem Beine reeht zutreten und meldete sich krank. Seit der Zeit soll die Hand so geblieben sein. Im September 1916 kam er wieder ins Feld, meldete sieh aber wegen heftiger Kopfsehmerzen, Sehwindel beim Biicken, Schwarzwerden vor den Augen und einem Gefiihl, als ob das Blut in den Kopf strhme, krank. Keine Be- klemmungen, keine Angst, kein Erregungszustand. Damals wurde objektiv Lid- flattern, Pseudo-Romberg, Handezittern und allgemeine tIyperi~sthesie fest- gestellt.

12. X. 16. Neurologische Untersuchung: Die l i n k e H a n d i m H a n d g e - l e n k e i s e r n f i x i e r t , steht in der Achse des Vorderarmes, ebenso die Giund- glieder. Die iibrigen Glieder sind schwacher oder starker gebeugt, nur der Daumen vhllig gestreckt und adduziert. Der 2. und 3. Finger, die vollkommen adduziert sind, sind leicht auseinander zu bringen. Auch in den tibrigen Fingern gegen passive Bewegungen kein besonderer Widerstand. Die Fingerbeugecon- t ractur li~$t sich nur unter Schmerzen und mit ziemlieh erheblicher Kraft voriiber- gehend ausgleichen. Kaum sind die Finger gestreckt, so schnellen sie fast so- fort in dieselbe Lage. Bei willktirhchen Innervationen der rechten kleinen Hand- muskeln kommt es zu starker Adduction des linken kleinen Fingers.

Keine vasomotorischen und keine sekretorischen Sthrungen, keine Temperatur- differenzen. Radialpuls beiderseits gleicb, keine Gefiihlssthrungen. Armreflexe beiderseits gleich gesteigert. Im ]inken Arm eine geringe Steifigkeit bei allen Be- wegungen. Es besteht auch eine leichte tonische Contractur im Ellbogengelenk infolge yon ,,Schmerzen", sie spielt aber gegentiber der der Hand und Finger keine Rolle.

Er geht mit stark auswarts rotiertem Bein, sttitzt sich auf das rechte Becken. Das Bein wird dabei adduziert und im Kniegelenk gebeugt gehalten. Der Ful3 wird zuerst mit der Ferse aufgesetzt und nicht richtig abgewickelt. Er schont den VorderfuIL Der Ful3 ist beim Gehen 45 ~ nach auBen gedreht. Er kann beide Beine mihtarisch vhllig durchdrticken. Maflige Contractur im Kniegelenk. Ful~ und Zehen nach allen Richtungen frei beweghch. Keine Gefiihlsst6rung im Bein. Beiderseits gesteigerte Sehnenreflexe. Kein Klonus. Ausgesprochene psyehogene Schwache bei allen FuB- und Zehenbewegungen. Die Zehen werden iiberhaupt nicht gebeugt, statt dessen wird das gestreekte Bein mit dem Becken steif in die H6he gezogen. Peronaeus wirkt vollkraftig, Tibiahs antieus miihsam. Erheben des Ful3es mit guter Kraft. Keine vasomotorischen und sekretorischen St6rungen im Bein. Temperatur beider Beine gleieh warm. Lebhafte Bauehreflexe. Weite Pupillen. Normaler Nervenbefund und heftige Ausdrucksbewegungen, sehr hiiufig AufreiBen der Lider, Stirnrunzeln, nervhse Sprache.

Gesicht gerhtet, geringes Lidflattern. Keine Protrusio bulbi, Schilddriise nieht vergr613ert, vasomotorische Erregbarkeit etwas erhhht. Es besteht ausge- sprochener Wille zur Gesundheit. Seit der Aufnahme in das hiesige Lazaret t (10. X. 16) ti~glich fortschreitende Besserung durch Massage, Eiektrisieren, Ma- schineniibungen und stundenlange Sehienenverbande zur Beseitigung der Con- tractur.

Das R6ntgenbild 12. X. 16 (ungefi~hr 3 Monate nach der allmahlichen Ent - wicklung der Contractur) ergibt vollkommen normale Verhiiltnisse der Hand-, FuB-, Vorderarm- und Unterschenke]knochen.

Page 22: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knoehen und Nerv (Kriegserfahrungen). 57

B e o b a e h t u n g O. 32 Jahre, Bergmann, Rechtshander, unverletzt.

Geht angeblieh seit lViai 1914 mit leiehter linksseitiger Knieeontraetur. War stets aufgeregt, ~ngstlich, schreckhaft. Vater soll nervSs gewesen sein.

20. IX. 16. Er stfitzt sich beim Gehen auf das rechte Bein. Geht spreizbeinig, linkes Bein etwas ausw/s gedreht, im Knie gebeugt, linker ~'uB mit Innenkante aufgesetzt. Beide Beine werden im Stehen vollkommen durchgedriickt. Linkes Knie auch im Liegen leicht gebeugt gehalten. Linke Achillessehne fehlt (Ischias 1915), fibrige Reflexe gesteigert. Alle Gelenke einschlieBlich des linken Kniegelenkes passiv frei beweglich. Keine Muskelspannung bei Bewegungen im Kniegelenk. Linksseitige Hemihyp/~sthesie ffir Nadelstiehe. Keine Pulsbeschleunigung, kein Zittern, keine Steigerung der vasomotorisehen Erregbarkeit. Normaler Hirn- nervenbefund.

R S n t g e n b i l d : K e i n e Ver /~nderungen in den K n i e g e l e n k e n und F u i l k n o c h e n .

D iagnose : Psychogene GangstSrung. Kniecontractur beim Gehenl).

B e o b a c h t u n g P.

22 Jahre, Pionier, Rechtsh/~nder; im Beruf: Kammermusiker (Cellist).

27. X. 16. Bisher nicht im Felde; im Oktober 1914 ,,Schmerzen im rechten Arm und Bein", 5 Monate im Lazarett behandelt. 1. IV. 15 ,,dienstuntauglich" entlassen. 29. V. 16 ,,felddienstf/ihig" eingezogen. Am 27. VL 16 traten wieder Schmerzen im linken Oberarm ein. Im Oktober 1916 als ,,garnisonverwendungs- f~Lhig" entlassen.

Bisherige Diagnose: ,,Rezidivierender Gelenkrheumatismu~, Sehnenseheiden- entziindung, Neuritis N. ulnaris mit nachfolgender Parese der linken Hand."

27. X. 16. Neurologische Untersuchung: Klagt zur Zeit fiber L/ihmung der ]inken Hand (Fallhand, UnmSgllehkeit des Faustschlusses und aller Fingerbe- wegungen), die se i t A u g u s t 1916 sich al lm/~hl ieh e n t w i e k e l t habe. In den letzten Wochen vor dem Einsetzen der L/~hmung ziemlich aufgeregt dutch Fliegerangriffe und andere Eindrficke, die die Festung bringt. Seit 1909, wo er den Musikerberuf ergriff, stets nervSs. Keine Zeichen yon Nervosit/~t im Kindes- alter, nur der Vater nervSs, kein Trinker, Eltern nicht blutsverwandt, ein Bruder nervSs. Zeitweise Besserung der Handlahmung dureh B/idergebrauch. In den letzten Wochen besonders starke Versehleehterung der Hand, seit 2 bis 3 Monaten ist die Hand kalt. Klagt dauernd fiber heftige Kopfschmerzen seit Juni und ist angeblich wegen Schwindels mehrfaeh umgefallen. Schwitzt leicht. Friiher hie kalte H~nde und FfiBe.

Gelenkrheumatismus 2) nach seiner Schilderung unwahrscheinlich (nur einen

1) Bei psychogenen starken Kniecontracturen, die auch im Liegen nicht er- sehlafften, habe ich nach den Empfehlungen K. G o l d s t e i n s wiederholt bei Hysterikern im Atherrausch durch Pilaster markierte Seheineinspritzungen in der N/~he des Gelenks ohne jeden Erfolg vorgenommen. Der Kranke sah nach dem Erwaehen das sehlaffe Bein, hinkte aber sofort nach Verlassen des Tisches, maneher sogar noch starker, ,,denn die :Narkose hat mir geschadet". Ich hebe das gegenfiber den Erfolgen K. G o l d s t e i n s horror.

2) Gelenkrheumatismus wird immer wieder angenommen, wo nur psychogene Schmerzen und Bewegungsbeschr/~nkung in einem oder mehreren Gelenken vor- liegen. Besserung durch Aspirin beweist da natfirlieh aueh nicht ,,echten" Gelenk- rheumatismus.

Page 23: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

58 A. Simons:

Tag nicht ~trztlich beobachtetes Fieber, keine Schwellungen). Guter Ern~thrungs- ~ustand. Rechtsh~nder.

Vorderarmwulst . . . . . . . . . . . rechts 26 cm, links 24,75 cm Gr513ter Handumfang ohne Daumen . . ,, 22 ,, ,, 22,5 ,, Keine Verletzungen am linken Arm. Al le G e l e n k e pass iv ohne K n i r -

s c h e n f re i bewegl ich , n i r g e n d s R e i b e n , K n a e k e n . F a l l h a n d , t o t a l e L~thmung der l i n k e n H a n d und a l l e r F i n g e r , kfinstliche Vermehrung des Haarwachstums am Handriieken (Massage, B~der). Linke Hand kiihler als die rechte, leicht blaurot auf dem Handrfieken und im Handteller. Handteller nur wenig feucht. Puls nieht beschleunigt, regelmiiBig, links etwas schw~icher als rechts (normale Differenz). Drnck auf die blauen Stellen erzeugt sofortige Bl~sse, die sich ebenso rasch wie reehts ausgleieht. An den N~tgeln nicht Auffallendes. Auf alle Aufforderungen, Hand und Finger zu bewegen, erfolgt allein eine An- spannung der Beuger des Unterarms. Reflexe an beiden Armen schwach und gleich. Hypasthesie am ganzen linken Arm und Hand, vSllige Analgesie. Dis elektrisehe Untersuchung ergibt normalen Befund. Er benutzt die links Hand w~hrend der Untersuchung in keiner Weise. Gesteigerte Haut- und Sehnen- reflexe am K6rper, beiderseits gleich. Am linken Rumpf mit Ausnahme des Ge- sichts Hyp~sthesie und Hypalgesie. Pupillen beiderseits mittelweit, gleich. Augen- brauen gehen ineinander fiber. Lebhafter Nasenschleimhaut- und Cornealreflex. Befund an Hirnnerven regelrecht. Schilddriise welch, gleichm~13ig vergrSl3ert, gr6flter Halsumfang 37 cm. Keine Protrusio bnlbi, leichtes Lidflattern. Vaso- motorische Erregbarkei~ nicht erh6ht, schwitzt nirgends bei der Untersnchung.

- - Keine besonderen Verbieglmgen der Wirbelsgule und besonderen Stigmen. D iagnose : Hysterische Handl~thmung linksZ). 28. X. 16. Linke Hand wieder v611ig unbeweglich, leicht blaurot, schwitzt

nicht. Puls 114 l~is 120, beiderseits sehr klein und gleich. R 6 n t g e n b i l d : Beiderseits normale Knochenstruktur.

B e o b a e h t u n g Bi. 30 Jahre, Kutseher, Reehtshander.

Ende Januar 1915 Fleischschul3 im linken Oberarm, ohne Knoehen- und Nervenver~etzung. Guts Wundheilung. In den ni~ehsten Wochen allmahliche Entwicklnng sines linksseitigen Daumeneinsehlages. Er lag d~mals in der Hei- mat. Ende Mai 1915 ins Feld entlassen, nachdem der Daumen durch elek- trisehe Behandlung geheilt war. Im Felde wurde der Daurnen wieder einge- sehlagen.

Am 15. I. 16 leichter Hufschlag gegen das linke Ellbogengelenk. 3 Wochen Lazarettbehandlung. Keine Knochenverletzung. Lag in verschiedenen Lazaretten bis August 1916. War nie nervSs und ist auch nicht nerv6s belastet. Seit Anfang des Krieges im Feld; hat viel erlebt.

N e u r o ] o g i s e h e r B e f u n d 25. X. 16- Er benfitzt die linke Hand nicht auBer einigen flektierenden Bewegungen des 2. bis 5. Fingers. Der Daumen bleibt bei allen ]~ewsgungen der Hand trod Finger eingeschlagen und ist im Endglied reehtwinklig gebeugt.

Der Daumen l~13t sich ohne Widerstand aus der Beugestellung herausbringen und wird dann ziemIich langsam in dio aIte Stellung gebracht,

Sehr selten gelingt es, durch starke Ablenkung den Einschlag des Danmens zu verhindern.

x) Nachtrag bei der Korrektur: Seit 18. XI. 16 bewegt er wieder yon selbst die Hand.

Page 24: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 59

l~adialpuls beiderseits gleich. Keine Temperaturdifferenz, vasomotorisehen nnd sekretorischen StSrungen an der Hand. Linker Vorderarm deutlich kiihler, Oberarm etwas starker als der rechte.

In den ausgestreckten Fingern kein Zittern. Kleine und groBe Gelenke des |inken Armes frei beweglieh. Die Finger kSnnen aktiv gespreizt werden. Aueh ]~eine Daumenbewegung f~tllt aus, wenn der Daumen passiv in die entsprechende Stellung gebraeht wird. Nirgends Schwache. Beim Faustschlul~ wird der Daumen unter den iibrigen Fingern gehalten. Lebhafte Armreflexe. Auch mit dem Band- maB ist nirgends Atrophie nachzuweisen. Lebhafte Haut- und Sehnenreflexe am iibrigen KSrper. Links Hemihyp~sthesie, besonders stark fiir den faradischen 8trom. Keine Fulsbesehleunigung. Vasomotorisehe Erregbarkeit etwas erhSht. Pupillen mittelweit. Kein Lidflattern. ttirnnerven frei. Sehilddrtise normal. :Nirgends Stigmen.

Mit starksten faradisehen StrSmen spannen sieh nur die Extensorensehnen des Daumens an. Das Grundglied wird abduziert, aber die iibrigen Daumen- glieder krampfhaft.gebeugt gehal~en. Sonst elektriseh vollkommen normaler Befund.

Diagnose: Psychogener Daumeneinschlag (Aggravation?). l~Sntgenbild: Normale Knochenstruktur beiderseits.

Aus den mitgeteilten Krankengeschichten und den Tafeln 1) geht mit aller Sicherheit hervor, dab sich auch bei r e i n p s y c h o g e n e n : L ~ h m u n g e n u n d C o n t r a c t u r e n e in K n o c h e n s c h w u n d ent- wickelt. Er kann eben angedeutet, schwach, sehr stark sein, ein- zelne oder alle aufgenommenen Knochen betreffen. D e u t l i c h e Ver- ~nderungen finden sich schon nach 2 bis 3 Monaten (Tafel IV, V). Warm der nach l~ngerer Zeit gefundene Knochenschwund begonnen hat, wie lange er in gleicher St~rke bestand, ist ohne Aufnahmen aus ~rtiherer Zeit nicht zu bestimmen. Er k S n n t e natiirlich ebenso frtih aufgetreten sein, wie bei den Infanteristen Br. und Schi. (Beob- achtung 2, 3). N o r m a l e K n o c h e n s t r u k t u r e n t w i c k e l t s i ch n a c h v S l l i g e r H e i l u n g w e c h s e l n d r a sch . Si tz u n d S t ~ r k e d e r V e r ~ n d e r u n g e n t s p r i c h t n i c h t d e r s e n s i b l e n V e r s o r g u n g d e s J ( n o c h e n s , e b e n s o w e n i g d e m G r a d der v a s o m o t o r i s c h e n S t 6 r u n g , de r O e w e b s s c h w e l l u n g u n d der p s y c h o g e n e n Ge- f i i h l s s t S r u n g . De r S c h w u n d t r i t t n i c h t i m m e r auf . P a s s i v e , monatelang griindlich vorgenommene Bewegungstibungen und Massage scheinen ihn nicht zu beeinflussen. Von zwSlf Kranken hatten ihn acht ; bei zweien war allerdings der Knochen verletzt. Der eine (Lc.) hatte einen ohne Gipsverband rasch und gut geheilten Schul~bruch des unteren Tibiadrittels. Der Umfang des r e c h t e n Unterschenkels an der Verletzungsstelle durch den Knochencallus betrug ~ 1,2 cm. Acht Wochen nach der Verletzung entwickelte sich der psychogene Klump- ~ul]. Bei dem anderen (Sch.) land sich ein Schr~gbruch der Ulna an ihrem oberen Ende, der 18 Tage nach der Verletzung im RSntgenbild ge-

l) Tafeln sagen weniger als P la t t en , die pho tograph iseh nieh~ wiedergegeben werden konnten. Ich verweise daher besonders auf clen P la t t enbe funf l in den Krankengeschiehten .

Page 25: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

60 A. Simons:

heilt war. Bei beiden glatter Wundverlauf, keine Weichteil- und Gelenk- verletzung. Die Muskelabmagerung des weniger gebrauehten Glied- teiles war gering (bis - - 1 cm). Die Hand stand sofort, der FuB 2 bis 3 Wochen nach der Verletzung vollkommen zur Verffigung, wenn nieht ihr Gebrauch aus anderen Griinden eingeschrgnkt worden wgre. Der Knochenschwund am FuB war s tarker als an der Hand. /)as erkl~rt sich vielleicht aus dam sti~rkeren BewegungsausfaU und der gr 5 B e re n E m p f i n d l i c h k e i t d e r F u B k n o c h e n g e g e n i i b e r F u n k t i o n s - s t S r u n g e n .

Daft nun die Knoehenatrophie bei den bciden Kranken sic h e r auf den hysterischen Bewegungsausfall bezogcn werden ? Vergleicht man ihre Knochenverletzungen mit den entsprechenden Beobachtungen S u d e c k s und K i e n b S c k s l ) , dann sieht man gleich, wie h o c h g r a d i g dor t die klinischen St6rungen waren, bei denen meist erst nach Monaten, manchmal sogar nach Jahren Knochenatrophie festgestellt wurde. Das klinische Bild der Fi~lle S u d e c k s und K i e n b S c k s l~13t sich auch nicht entfernt mit diesen Briichen vergleichen. Man hi~tte danach ohne weiteres das Recht, die Ursache des Hand- und FuBknochen- schwundes der beiden Hystcriker nicht auf die li~ngst ausgeheilte distale Knochenverletzung zu beziehen, w e n n d e r S c h u B a u f d e n K n o c h e n e b e n s o s t a r k w i r k t e wie e i n S t u r z o d e r F e h l t r i t t . In Wirk- lichkeit ist die lebendige Kraf t des Geschosses gr61]er, wie klinische Beobachtungen und besonders Sektionen beweisen. Man muB also mit einer s t ~ r k e r e n inneren Knochensch~digung rechnen, auch wenn man Kul3erlich nur einen einfachen Bruch oder kleinen LochschuB sieht. Die V e r h ~ l t n i s s e l i e g e n h i e r i~hnl ich wie be i H i r n s c h i i s s e n , wo m a n n a c h ve rh i~ l tn i smi~Big l e i c h t e n V e r l e t z u n g e n n o c h n a c h e in bJs zwe i J a h r e n d e u t l i c h e A u s f ~ l l e d e r Merk f i~h ig - k e i t , des R e c h n e n s , d e r W o r t f i n d u n g u n d a n d e r e r h S h e r e r g e i s t i g e r L e i s t u n g e n b e o b a c h t e t . Wichtig fiir die Beurteilung des Knochenschwundes in diesen beiden Fi~llen ist noch, dab beide wenige Wochen nach der Verletzung bereits Hand und FuB nicht mehr riehtig oder gar nicht gebrauchten. Lc. hat te bereits 8 Wochen nach der Ver- letzung einen Klumpfuf3, und Sch. hielt dauernd die Finger in Streck- stellung. Der K n o c h e n s c h w u n d , der also zun~chst eine Folge des Schusses war, k o n n t e t i b e r h a u p t n i c h t v e r s c h w i n d e n , we l l d e r G e b r a u c h des G l i e d e s d u r c h d e n s e h r b a l d e i n s e t z e n d e n p s y e h o g e n e n B e w e g u n g s a u s f a l l v e r h i n d e r t w u r d e . Ich be- ziehe daher den Knochenschwund bei Lc. und Sch. nicht auf den hysterischen Bewegungsausfall.

1) Sudeck (Fall 2 bis 10), Fortschritte auf dem Gebie~e der R6ntgenstrahlen 5, Seite 277 (1901/1902). - - KienbSek, Wiener med. Wochenschr., Nr. 34, Beob- achtung 10 und ll.

Page 26: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 61

Bei der Beobachtung 5 (St.) lag aul~er der schweren hysterisehen Bewegungsbeschr~nkung eine g e r i n g e , in der Hauptsaehe sensible und vasomotorische Seh~digung des Medianus und Ulnaris (vgl. Kranken- gesehichte) vor. Sie macht aber keine Knochenver~nderung, wie ich sparer zeigen werde.

Der Pionier R. (Beobaehtung 4) gab an, ,,auf das Handgelenk ge- fallen" zu sein. Man hSrt das beinahe so oft, wie ,,Versehfittung", , ,Gelenkrheumatismus" und ,,Ischias". Hi~tte man sieh nut auf den R. verlassen, so war vielleicht die Knochenatrophie aueh Folge der ,Gelenkerschfi t terung" (4. XI. 15), wenn auch l e i e h t e Gelenk- verletzungen nur a u s n a h m s w e i s e Knochenschwund hervorrufen ( S u d e e k , K i e n b S c k ) . Aus den Krankenbl~t tern des R. ergibt sich aber, wie so oft, dab die Angaben fiber Verletzungen falsch sind. Denn 6 bis 8 Tage nach einer akuten Gelenkverletzung findet man kein kirsch- groi~es hartes, frei verschiebliches Ganglion, Fehlen aller Schwellungen und ein frei bewegliches Handgelenk. Da Ganglien auch ohne Gelenk- verletzung entstehen und ein frfiherer Unfall nicht bekannt ist, ist die Knochenatrophie auch hier reine Folge der psychogenen L~hmung.

Den ,,scheekigen" oder fleckigen Sehwund habe ich bei den bisher beschriebenen Aufnahmen nie und im ganzen recht selten gesehen. S u d e c k land ihn unter 17 Beobachtungen auch nur dreimal (Beobach- tung 1, 5, 11 am a. 0. Bd, V). Der Schwund in Flecken wird schein- bar 5fter bei entzfindlichen Prozessen (Panaritien, Phlegmonen u. a. m.) gefunden, er kommt aber auch nach re inen Knochenverletzungen vor. Er gehSrt jedenfalls night unbedingt zur Diagnose der , ,akuten" Atrophie. Uber seine Entstehung und anatomische Grundlage gibt es nur Vermutungen. K i e n b S c k weist darauf hin, dab fleckige Auf- hellung und Rarefikation entweder einzeln oder zusammen, sich gegen- seitig durchdringend, vorkommen.

Die Beobachtungen Lc. und Sch. waren nicht beweisend wegen tier Knochenverletzungen. Es bleiben aber noch verschiedene Fiille fibrig (M., Br., Sehi., St. und L.), bei denen k e i n e K n o c h e n - v e r l e t z u n g e n vorlagen und a l l e a n d e r e n ~u l~e ren E i n f l f i s s e , die seine Struktur ver~ndern, f e h l t e n. Es handelt sich also um Knochen- schwund nut a u s i n n e r e n G r f i n d e n .

N o n n e 1) hat te schon vor 14 Jahren eine hysterisehe Para- plegia inferior und eine Monoplegia sinistra superior radiographisch untersucht. ,,In beiden F~llen handette es sich um einen fiber ein J~hr alten Schulfall hysterischer komplet ter motoriseher und sensibler L~hmung. Die Hau t der gel~hmten Extremit~ten war

2) N o n n e, Uber radiographisch nachweisbare akute und chronische ,,Knochen - atr~phie" (Sudeck) bei Nervenerkrankungen. Fortschritte auf dem Gebiete der RSntgenstrahlen 5, Seite 293 (1901/1902).

Page 27: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

62 A. Simons:

livide und kalt , die elektrische Erregbarkeit einfach herabgesetzt, soweit es der Vermehrung des Leitungswiderstandes entspraeh. Die R6ntgenaufnahme der Unterschenkel-, Ful3 und Zehenknochen in dem einen, der Vorderarm-, Hand- und Fingerknochen in dem anderen Fall zeig~e n i e h t s yon der Norm Abweiehendes. D i e s e r n o r m a l e K n o c h e n b e f u n d i n Fi~llen v o n H y s t e r i e , be i d e n e n s c h o n so l a n g e a l l e m o t o r i s c h e n u n d s e n s i b l e n F u n k t i o n e n a u s g e f a l l e n w a r e n , s t e l l t e in g e w i c h t i g e s A r g u m e n t g eg en d ie A u f f a s s u n g d e r j e n i g e n d a r , d ie n u r in d e r I n a k t i v i t i ~ t r e sp . d e m F o r t - f a l l e n de r f u n k t i o n e l l e n m o t o r i s e h e n u n d s e n s i b l e n R e i z e d ie U r s a e h e de r S u d e e k s c h e n K n o c h e n a t r o p h i e s e h e n w o l - l e n " ( N o n n e a. a. 0.)1).

Seitdem hat man den Knochen bei der Hysterie vergessen. Der Knoehensehwund bei psyehogenen L~hmungen und Contracturen (ohne andere Verletzungen des ausgesehalteten Gliedtefls) ist aber mehr als ein Symptom; er stellt vor allem wieder die Frage: Inaktivit~ts- oder ,,neurotisehe" (reflektorische) Knoehenatrophie? Darin liegt seine allgemeinere Bedeutung. Ieh komme darauf erst naeh Mit- teilung der Befunde bei anderen Zustgnden zurfick. Dann wird aueh der negative Befund mitsprechen und sich ergeben, ob zwischen ,,akuter", ,,reflektoriseher" und ,,Inaktivit~tsatrophie" iiberhaut)t ein Gegensatz b e s t e h t . -

Abgeschlossen I terbst 1916.

N a c h t r a g .

No n n e hat in seinem Referat ,,Neurosen nach Kriegsverletzungen '~ auf der diesj~hrigen Kriegstagung deutseher Nerven~rzte in Mfinehen aueh Knoehenschwund im RSntgenbild Ms Nebenbefund bei zwei funktionellen Li~hmungen gezeigt. Er erkl~rte ausdrfieklieh, der Be- fund hi~tte ihn so fiberrascht, dab er den R6ntgenologen befragte, ob nieht ein Plattenfehler vorli~ge. Ieh habe fiber meine Befunde, die dureh die Demonstration N o nn es best~tigt werden, auf derselben Tagung kurz berichtet2), auch auf den Gegensatz zu den herrsehenden Vorstellungen fiber Knoehentrophik hingewiesen. Sie werden dureh die Demonstration N o n ne s besti~tigt.

N o n n e antwortete mir auf meine Bitte um kurzen klinisehen Befund der beiden Kranken und die Frage, ob aueh eine Knoehen- verletzung, auf die dann die Atrophie zu beziehen sei, fehle (26. XI. 16): ,,Bei dem Fall mit der Atrophie des Ful3es, bei dem

x) Von mir durch Sperrdruck hervorgehoben. 3) Vgl. Verhandlungen der 8. Jahresvorsammlung 1917 und Neurol. Central-

blatt 1916.

Page 28: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 63

das klinische Bfld der ,Reflexl~hmung' ( O p p e n h e i m ) an der ge- samten unteren Extremit~t bestand, hatte eine Fraktur der Fibula bestanden. Ausgesprochene K n o c h e n a t r o p h i e des g e s a m t e r ~ F u l ~ s k e l e t t s u n d de r b e i d e n U n t e r s e h e n k e l k n o e h e n . Die L~hmung hatte zirka 5/4 Jahre bestanden. Heilung auf psychisehem Wege. In dem Fall der K n o c h e n a t r o p h i e d e r H a n d w u r z e l handelt es sieh um eine ,Reflexli~hmung' ( O p p e n h e i m ) der reehten oberen Extremit~t, die wenige Tage vor der Einstellung des Kranken aufgetreten war, und zwar im Anschlul] an ,anstrengendes Rudern ' ! Heilung der L~hmung dutch Suggestion in Hypnose. Restieren von paretischer Schwache der gesamten betreffenden Extremit~t ."

Die Knochenatrophie nach dem Fibulabruch muB ebenso beurteilt werden, wie meine nicht beweiskraftigen eigenen Beobachtungen (Fall Le., Sch.). Die Ver~nderungen der Handwurzelknochen bei dem andern Fall N o n n e s sind aber eindeutig bestimmt, wenn frfihere Hand- und Gelenkverletzungen ausgeschlossen sind.

Weitere Beobachtungen bis Juli 1917 - - der Druek der Arbeit ha t sich aus ~uBeren Grtinden verzSgert - - haben nichts ~qeues ergebem

Page 29: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 63

das klinische Bfld der ,Reflexl~hmung' ( O p p e n h e i m ) an der ge- samten unteren Extremit~t bestand, hatte eine Fraktur der Fibula bestanden. Ausgesprochene K n o c h e n a t r o p h i e des g e s a m t e r ~ F u l ~ s k e l e t t s u n d de r b e i d e n U n t e r s e h e n k e l k n o e h e n . Die L~hmung hatte zirka 5/4 Jahre bestanden. Heilung auf psychisehem Wege. In dem Fall der K n o c h e n a t r o p h i e d e r H a n d w u r z e l handelt es sieh um eine ,Reflexli~hmung' ( O p p e n h e i m ) der reehten oberen Extremit~t, die wenige Tage vor der Einstellung des Kranken aufgetreten war, und zwar im Anschlul] an ,anstrengendes Rudern ' ! Heilung der L~hmung dutch Suggestion in Hypnose. Restieren von paretischer Schwache der gesamten betreffenden Extremit~t ."

Die Knochenatrophie nach dem Fibulabruch muB ebenso beurteilt werden, wie meine nicht beweiskraftigen eigenen Beobachtungen (Fall Le., Sch.). Die Ver~nderungen der Handwurzelknochen bei dem andern Fall N o n n e s sind aber eindeutig bestimmt, wenn frfihere Hand- und Gelenkverletzungen ausgeschlossen sind.

Weitere Beobachtungen bis Juli 1917 - - der Druek der Arbeit ha t sich aus ~uBeren Grtinden verzSgert - - haben nichts ~qeues ergebem

o

Page 30: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 63

das klinische Bfld der ,Reflexl~hmung' ( O p p e n h e i m ) an der ge- samten unteren Extremit~t bestand, hatte eine Fraktur der Fibula bestanden. Ausgesprochene K n o c h e n a t r o p h i e des g e s a m t e r ~ F u l ~ s k e l e t t s u n d de r b e i d e n U n t e r s e h e n k e l k n o e h e n . Die L~hmung hatte zirka 5/4 Jahre bestanden. Heilung auf psychisehem Wege. In dem Fall der K n o c h e n a t r o p h i e d e r H a n d w u r z e l handelt es sieh um eine ,Reflexli~hmung' ( O p p e n h e i m ) der reehten oberen Extremit~t, die wenige Tage vor der Einstellung des Kranken aufgetreten war, und zwar im Anschlul] an ,anstrengendes Rudern ' ! Heilung der L~hmung dutch Suggestion in Hypnose. Restieren von paretischer Schwache der gesamten betreffenden Extremit~t ."

Die Knochenatrophie nach dem Fibulabruch muB ebenso beurteilt werden, wie meine nicht beweiskraftigen eigenen Beobachtungen (Fall Le., Sch.). Die Ver~nderungen der Handwurzelknochen bei dem andern Fall N o n n e s sind aber eindeutig bestimmt, wenn frfihere Hand- und Gelenkverletzungen ausgeschlossen sind.

Weitere Beobachtungen bis Juli 1917 - - der Druek der Arbeit ha t sich aus ~uBeren Grtinden verzSgert - - haben nichts ~qeues ergebem

Page 31: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

+~V4~i ~ '

I jj d ~

+~ ! t m ~ ~ i

Page 32: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

�9

p~

c~

p~

Page 33: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 63

das klinische Bfld der ,Reflexl~hmung' ( O p p e n h e i m ) an der ge- samten unteren Extremit~t bestand, hatte eine Fraktur der Fibula bestanden. Ausgesprochene K n o c h e n a t r o p h i e des g e s a m t e r ~ F u l ~ s k e l e t t s u n d de r b e i d e n U n t e r s e h e n k e l k n o e h e n . Die L~hmung hatte zirka 5/4 Jahre bestanden. Heilung auf psychisehem Wege. In dem Fall der K n o c h e n a t r o p h i e d e r H a n d w u r z e l handelt es sieh um eine ,Reflexli~hmung' ( O p p e n h e i m ) der reehten oberen Extremit~t, die wenige Tage vor der Einstellung des Kranken aufgetreten war, und zwar im Anschlul] an ,anstrengendes Rudern ' ! Heilung der L~hmung dutch Suggestion in Hypnose. Restieren von paretischer Schwache der gesamten betreffenden Extremit~t ."

Die Knochenatrophie nach dem Fibulabruch muB ebenso beurteilt werden, wie meine nicht beweiskraftigen eigenen Beobachtungen (Fall Le., Sch.). Die Ver~nderungen der Handwurzelknochen bei dem andern Fall N o n n e s sind aber eindeutig bestimmt, wenn frfihere Hand- und Gelenkverletzungen ausgeschlossen sind.

Weitere Beobachtungen bis Juli 1917 - - der Druek der Arbeit ha t sich aus ~uBeren Grtinden verzSgert - - haben nichts ~qeues ergebem

Page 34: Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen)

Knochen und Nerv (Kriegserfahrungen). 63

das klinische Bfld der ,Reflexl~hmung' ( O p p e n h e i m ) an der ge- samten unteren Extremit~t bestand, hatte eine Fraktur der Fibula bestanden. Ausgesprochene K n o c h e n a t r o p h i e des g e s a m t e r ~ F u l ~ s k e l e t t s u n d de r b e i d e n U n t e r s e h e n k e l k n o e h e n . Die L~hmung hatte zirka 5/4 Jahre bestanden. Heilung auf psychisehem Wege. In dem Fall der K n o c h e n a t r o p h i e d e r H a n d w u r z e l handelt es sieh um eine ,Reflexli~hmung' ( O p p e n h e i m ) der reehten oberen Extremit~t, die wenige Tage vor der Einstellung des Kranken aufgetreten war, und zwar im Anschlul] an ,anstrengendes Rudern ' ! Heilung der L~hmung dutch Suggestion in Hypnose. Restieren von paretischer Schwache der gesamten betreffenden Extremit~t ."

Die Knochenatrophie nach dem Fibulabruch muB ebenso beurteilt werden, wie meine nicht beweiskraftigen eigenen Beobachtungen (Fall Le., Sch.). Die Ver~nderungen der Handwurzelknochen bei dem andern Fall N o n n e s sind aber eindeutig bestimmt, wenn frfihere Hand- und Gelenkverletzungen ausgeschlossen sind.

Weitere Beobachtungen bis Juli 1917 - - der Druek der Arbeit ha t sich aus ~uBeren Grtinden verzSgert - - haben nichts ~qeues ergebem


Recommended