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Page 1: Neurobiologische Grundlagen bipolarer affektiver Erkrankungen

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Nervenarzt 2003 · 74:607–625DOI 10.1007/s00115-003-1556-8Online publiziert: 25. Juni 2003© Springer-Verlag 2003

Weiterbildung · Zertifizierte Fortbildung

B. Baumann1 · C. Normann2 · H. Bielau1

1 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Psychosomatische Medizin,Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg2 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Neurobiologische Grundlagen bipolarer affektiver Erkrankungen

ZusammenfassungDie Neurobiologie bipolarer affektiver Erkrankungen lässt sich in einem Modell mitstrukturellen und funktionellen Komponenten beschreiben, das ergänzt wird durchdie Bedeutung von Stressoren, Coping-Mechanismen und dispositionellen Faktoren.Es liegen mehr neurobiologische Daten zur depressiven Symptomatik vor als zur Ma-nie,zu Mischbildern oder zum raschen zyklischen Wechsel der beiden klinischen Pole.Strukturelle und funktionelle chronobiologische Auffälligkeiten scheinen eine zentra-le Rolle in der Pathophysiologie der Erkrankungen zu spielen.Hirntopographisch sindlimbisch-striatal-pallidal-thalamokortikale Verknüpfungen von essenzieller Bedeu-tung.Die gesamte Kaskade der neuralen Signalvermittlung von Neurotransmittern undNeuromodulatoren über rezeptorgekoppelte intrazelluläre Signaltransduktion bis hinzu nukleärer Genexpression zeigt Auffälligkeiten bei bipolaren affektiven Störungen,wo-bei nosologisch übergreifende Faktoren wie Suizidalität Einfluss nehmen. ReplizierteDaten zu richtungsweisenden neurobiologischen Differenzen bipolarer zu unipolar de-pressiven Störungen stehen bisher jedoch aus.

SchlüsselwörterBipolar affektive Störungen · Neurobiologie · Stress · Signaltransduktion · Genexpression · Neuroplastizität · Switch-Modelle

Neurobiological principles of bipolar affective disorders

SummaryThe neurobiology of bipolar affective illness can be described in a model with structu-ral and functional components,which also addresses the role of stressors,coping mech-anisms, and psychophysical disposition. More data exist on depressive than on manicpatients or on patients switching from one clinical pole to the other. Structural andfunctional chronobiological alterations appear to play a major role in the pathophysio-logy of bipolar illness.From an anatomical view,neurobiological abnormalities are pri-marily confined to limbic-striatal-pallidal-thalamocortical circuits.The whole cascadeof neural signaling is changed starting from neurotransmitters and neuromodulatorsto receptor-mediated intracellular signal transduction targeting nuclear gene expres-sion. Transnosological factors such as suicidal tendency appear to essentially modulatethose changes.Replicated data on decisive neurobiological differences between bipolarand unipolar affective disorders are currently not yet available.

KeywordsBipolar affective disorder · Neurobiology · Stress · Intracellular signaling · Gene expression · Neuroplasticity · Switch models

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Neurobiologisches Wissen spielt eine wesentliche Rolle in den modernen Vorstellun-gen zur Pathogenese psychischer Störungen.Nicht zuletzt gilt dies auch für die affekti-ven Störungen, ohne dass dies die Bedeutung psychischer Vorgänge für diese Erkran-kungsgruppe schmälert.

Die neurobiologische Forschung zu affektiven Störungen wurde stark beeinflusstdurch die Identifizierung der neuronalen Effekte von Antidepressiva,später auch durchdie Wirkmechanismen der als Stimmungsstabilisierer eingesetzten �Antikonvulsivaund �Lithium.Aus diesem Forschungszweig entwickelten sich z. B. die Monamintheo-rien, später Hypothesen zur Bedeutung von intrazellulären Signalbotenstoffen undschließlich Vorstellungen zur Rolle der Neuroplastizität in der Entstehung von affekti-ven Störungen.

Im Folgenden sollen sowohl Grundsätze und gesicherte Fakten wie auch aktuelleHypothesen zur Neurobiologie bipolarer affektiver Störungen dargestellt werden. So-fern möglich,werden die Daten,die Untersuchungen zur Depression entstammen,kon-trastiert mit Resultaten, die begrenzt für bipolare affektive Störungen oder für unipo-lare Depression ermittelt wurden. Die neurobiologischen Daten werden eingebundenin ein Modell der Pathogenese, das sich einerseits an �Diathese-Stressmodellen orien-tiert, andererseits auch eine Verbindung struktureller und funktioneller Vorstellungenvornimmt.

Strukturell-funktionelles Modell der Depression

Affektive Störungen wurden lange als Störungsbilder gesehen,die in neurobiologischerHinsicht weitgehend auf eine �funktionelle Dysregulation zurückzuführen sind. Weg-weisend für diese Denkrichtung waren die �Neurotransmitterhypothesen, die, abgelei-tet aus Effekten von Antidepressiva, postulierten, dass der wesentliche pathobiologi-sche Mechanismus bei der Depression in einem phasisch auftretenden Defizit oder ei-ner intermittierenden Regulationsstörung auf synaptischer Ebene besteht.

Strukturelle neuromorphologische Veränderungen wurden lange Zeit nicht in Erwä-gung gezogen. Dies mag in dem meist episodischen Verlauf affektiver Störungen be-gründet gewesen sein. Es erschien kaum vorstellbar, dass eine interkurrent auftreten-de klinische Phänomenologie auch mit ständig vorhandenen biologischen Merkma-len verbunden sein könnte. Die Befunde bildgebender Verfahren, die eine strukturellePathologie bei affektiven Erkrankungen aufdeckten, führten zusammen mit der Fest-

Die neurobiologische Forschung zu affek-tiven Störungen wurde stark beeinflusstdurch die Identifizierung der neuronalenEffekte von Antidepressiva

� Antikonvulsiva� Lithium

� Diathese-Stressmodelle

� Funktionelle Dysregulation� Neurotransmitterhypothesen

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Abb. 1 ▲ Strukturell-funktionelles Modell der Pathogenese affektiver Störungen (s. Text)

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stellung auch interepisodisch feststellbarer klinischer einschließlich neuropsychologi-scher Auffälligkeiten bei affektiven Störungen dazu,dass strukturelle Alterationen in Vor-stellungen zur Pathogenese einbezogen wurden.Das vorliegende Modell versucht einenBrückenschlag zwischen strukturellen und funktionellen Veränderungen und ermög-licht Einsicht in den Zusammenhang zwischen beiden neurobiologischen Ebenen(⊡ Abb. 1). Es fokussiert auf die Pathogenese depressiver Störungen, da die Datenlagezur Neurobiologie der Manie wesentlich lückenhafter ist.

Disposition

Genetische Faktoren

Zwillings-, Adoptions- und Familienstudien belegen, dass genetische Faktoren einenwesentlichen Teil der Disposition eines Individuums zur Ausprägung einer affektivenStörung darstellen.Viel versprechend insbesondere in Bezug auf mögliche therapeuti-sche Optionen sind Untersuchungen mit den modernen Methoden der Molekulargene-tik. �Kopplungsstudien erbrachten replizierte Befunde zu aussichtsreichen Kandida-tenregionen auf den Chromosomen 3, 4, 10, 12, 13, 18 und 22 (zur Übersicht s. [33]). Be-merkenswert ist, dass einige dieser Regionen eine Kopplung sowohl mit bipolaren alsauch schizophrenen Erkrankungen aufweisen, was für eine gemeinsame Schnittmen-ge genetischer Faktoren spricht,die bei einer Subgruppe psychotischer Störungen wirk-sam werden.

Assoziationsstudien zu pathophysiologisch relevanten Kandidatengenen zeigten Be-funde zum Serotonin-Transporter-Gen und zur Catechol-O-Methyl-Transferase,die al-lerdings nur für eine geringe Krankheitswirksamkeit sprechen.Interessanterweise konn-ten replizierbare Ergebnisse für die Catechol-O-Methyl-Transferase insbesondere bei derSubgruppe bipolarer Störungen mit „rapid cycling“ dargestellt werden.

Die Detektion von chromosomalen Kandidatenregionen bereitet die Identifizierungvon krankheitsrelevanten Genen in diesen Regionen vor.Dies wird mit neuen moleku-largenetischen Methoden wie den Kopplungsungleichgewichtsuntersuchungen bezüg-lich sog. „single nucleotides polymorphisms“ („SNPs“) insbesondere nach der Kom-plettierung der Sequenzierung des menschlichen Genoms möglich werden.

In Postmortemstudien wird der Einsatz von �Microarray-Technologien die Erstel-lung von Genexpressionsprofilen über die Untersuchung von mRNA-Konzentrationeneiner Vielzahl von Genen vorantreiben, wobei die Zahl potenziell störungsrelevanterGene in den genannten Kandidatenregionen auf etwa 200 zu schätzen ist [7].Methodenzur Untersuchung der Funktionalität putativer Krankheitsgene in transgenen Tiermo-dellen werden dann zu pathophysiologischen Krankheitsmodellen beitragen.

Über Assoziationen zwischen klinischer Symptomatik und Genetik hinaus gibt es auchHinweise auf eine partiell genetische Determination neurobiologischer Systeme, diefür affektive Störungen relevant sind, wie z. B. der Konzentrationen biogener Amineoder intrazellulärer „second-messenger“.

Frühe Umwelteinflüsse

Neben genetischen Faktoren spielen frühe Umwelteinflüsse eine Rolle bei der Ent-stehung affektiver Störungen. Tierexperimentell konnte nachgewiesen werden, dassin der frühen Entwicklung �soziale Deprivation zu späteren Verhaltensauffälligkeitenmit insbesondere sozialen Funktionsstörungen und erhöhter �Stressvulnerabilitätführt, die der Symptomatik affektiver Erkrankungen ähneln.Auch für das Verhaltendes Muttertieres konnte ein Einfluss auf die Stressempfindlichkeit des Jungtieresnachgewiesen werden, der sogar auf kommende Generationen fortwirkt [11]. Erstelongitudinale Untersuchungen beim Menschen zeigen, dass auch antenatal in be-stimmten Schwangerschaftsstadien auftretende Stressoren im Sinne von ängstlicherSymptomatik der Mutter zu späteren emotionalen Störungen beim Kinde führenkönnen [27].

Zwillings-, Adoptions- und Familienstudienbelegen, dass genetische Faktoren einenwesentlichen Teil der Disposition eines Individuums zur Ausprägung einer affektivenStörung darstellen

� Kopplungsstudien

Aussichtsreiche Kandidatenregionen aufden Chromosomen 3, 4, 10, 12, 13, 18 und 22

Die Detektion von chromosomalen Kandidatenregionen bereitet die Identi-fizierung von krankheitsrelevanten Genen in diesen Regionen vor

� Microarray-Technologien

Auch Konzentrationen biogener Amine und intrazellulärer „second-messenger“ zeigen eine genetische Determination

Neben genetischen Faktoren spielen früheUmwelteinflüsse eine Rolle bei der Entste-hung affektiver Störungen

� Soziale Deprivation� Stressvulnerabilität

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Darüber hinaus spielen Umweltfaktoren auch bei der Hirnentwicklung eine Rol-le. So werden monaminerge Systeme durch frühe soziale Erfahrungen wie der Tren-nung von einer wichtigen Bezugsperson geprägt.Auch sind prä- und perinatale Ent-wicklungsstörungen serotonerger Systeme denkbar, wie Daten zur Zytoarchitekturdes dorsalen Raphekerns bei bi- und unipolaren affektiven Störungen nahe legen.Auch diese Entwicklungsstörungen können durch Umweltfaktoren mitbedingt sein,die auf eine prädisponierte Mutter einwirken. Da �Serotonin eine regulatorischeFunktion nicht nur auf das System serotonerger Neurone selbst, sondern auch inder Hirnentwicklung im Allgemeinen hat [37], würde eine Minderanlage von Ra-phekernen zu �trophischen Defiziten in serotonergen Projektionsarealen und da-mit zu Auswirkungen auf die adulte Hirnstruktur und letztlich auch auf psychischeFunktionen führen.Auf hirnstrukturelle Störungen bei affektiven, insbesondere bi-polaren Störungen wird weiter unten eingegangen.An dieser Stelle sei bereits ange-merkt, dass depressive Patienten mit gestörter früher Sozialisation hirnstrukturellauffällig verengte Liquorräume in bestimmten Arealen des präfrontalen Kortex zei-gen, was auf eine bisher ungeklärte selektive Hypertrophie dieser Hirnregionen hin-weist.

All diese Faktoren tragen zur strukturellen und funktionellen Determination an derStressverarbeitung beteiligter Systeme und damit zu einer möglichen Disposition fürdie Entwicklung affektiver Störungen bei. Bemerkenswert ist, dass auch zwischen die-sen Faktoren Wechselwirkungen anzunehmen sind, so z. B. zwischen Genen unterein-ander (Epistasis) oder zwischen Genen und Umweltfaktoren.

Stressinduzierte neurale Modulation

Stress

Primäre affektive Störungen sind in der Regel episodisch verlaufende Erkrankungen.Die „Life-event-Forschung“ hat zeigen können, dass bei bipolaren affektiven Störun-gen wie auch sog. endogenen unipolaren Depressionen zeitnahe Stressoren (Objekt-verlust, Demütigung / Selbstwertverlust) gehäuft auftreten und als Auslöser insbeson-dere der ersten Krankheitsepisoden neben anderen psychosozialen Faktoren eine Rol-le spielen [10, 24, 12].

In der modernen Stressforschung wird Stress als Situation definiert, die eintritt,wenn Soll-Wert und Ist-Wert eines Individuums differieren und das Individuum nichtvoraussehen kann,ob seine Bemühungen (Coping) um Wiederangleichung von Soll- undIst-Wert im Sinne der Wiederherstellung einer Homöostase erfolgreich sein werden.In der Regel geht eine solche Situation mit einer Aktivierung der Hypothalamus-Hypo-physen-Nebennierenrinden- (HHN-)Achse einher.

Tiermodelle zur Depression gehen überwiegend von der Wirkung unkontrollierba-rer Stressoren aus, die bei verschiedenen Spezies zu depressionsanalogen Phänome-nen mit Minderung spontaner Motorik, exploratorischer Aktivität, kompetitiven Ver-haltens,Ansprache auf Belohnung sowie mit Schlafstörungen und testpsychologischenBeeinträchtigungen wie einer schlechteren Wahl- und Diskriminierungsfähigkeit füh-ren. Diese Symptome finden weitgehende Analogien in den Erscheinungsweisen hu-maner Depression.

Wenn Stressoren affektive Episoden auslösen,so ist anzunehmen,dass bei Individu-en, die zu affektiven Störungen neigen, die Fähigkeit zu einer positiven Bewältigungbzw. zu einem erfolgreichen �Coping bzgl. des Stressors vermindert ist. Die kognitiv-behaviorale Literatur belegt einhellig die Bedeutung der kognitiv-emotionalen Prozes-sierung positiver und negativer Stimuli für Entstehung, Symptomatologie und Verlaufaffektiver Störungen.Die Vermutung liegt nahe,dass dysfunktionelle Kognitionen undverminderte Coping-Fähigkeiten neben einer gestörten Lerngeschichte auch in einer bio-logischen Disposition gründen.Eine gestörte �Neurobiologie der Stressverarbeitung beider Depression lässt sich aus den Befunden zu einer Überaktivität der HHN-Achse wieauch aus Korrelationen zwischen Länge der Krankheitsepisoden, Hyperkortisolismus

Umweltfaktoren spielen auch bei der Hirnentwicklung eine Rolle

� Serotonin

� Trophische Defizite

Stressoren wirken als Auslöser affektiverKrankheitsepisoden

Stress geht mit einer Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-rinden-Achse einher

� Coping

� Neurobiologie der Stressverarbeitung

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und hippocampaler Größenminderung ableiten. Hirnfunktionelle Korrelate einer ge-störten Beantwortung affektiv relevanter Stimuli sind vorzugsweise für den medialenpräfrontalen und den cingulären Kortex beschrieben [4, 36].

In Erweiterung der vor mehr als 30 Jahren formulierten Neurotransmitterhypothe-sen sind es aus heutiger Sicht insbesondere gestörte neuromodulatorische Mechanis-men der Stressbewältigung,die mutmaßlich zu einer erhöhten Anfälligkeit für die Ent-wicklung depressiver Symptomatik führen.�Corticotropin-Releasing-Faktor (CRF) spieltneben anderen Neuromodulatoren wie Oxytozin,Arginin-Vasopressin und vasoaktivesintestinales Peptid (VIP) eine Schlüsselrolle in der Vermittlung von Stressantworten.Mit diesen Modulatoren in Wechselwirkung stehen die Monamine Serotonin,Noradrena-lin und Dopamin, die insbesondere über Verknüpfungen von Hypothalamus und ros-tralen Hirnstammstrukturen wie der dorsalen Raphe, dem Locus coeruleus und derventralen tegmentalen Area an der Stressverarbeitung beteiligt sind.Auf Systemebenewird die Stressverarbeitung maßgeblich getragen von der �Hypothalamo-Hypophysen-Nebennierenrinden- (HHN-)Achse sowie dem sympathikoadrenomedullären System.Glutamat und Acetylcholin sind Transmitter, die in die Stressverarbeitung involviertsind, wobei die stimulierende Wirkung auf die HHN-Achse überwiegt. Hingegen übenOpioide wie auch die Substanz P und NO einen überwiegend inhibitorischen Effekt aufdie stressaktivierte HHN-Achse aus.

Stressinduzierte Alterationen von Neurotransmittern und Neuromodulatorenresultieren in rezeptorvermittelten Veränderungen intrazellulärer Signaltransdukti-onssysteme auf der Ebene der G-Proteine, im Adenylcyclase-Stoffwechselweg und beiIntermediaten des Phosphatidyl-Inositol-Stoffwechsels einschließlich Proteinkinase-C-assoziierter Prozesse. Schließlich wird über Second-messenger-Systeme die Expres-sion nukleärer Genprodukte im Zuge der Stressverarbeitung moduliert, zu denen ne-ben Neurotransmittern, Neuropeptiden, Rezeptoren und „second messengern“ auchneurotrophe Faktoren gehören.All diese Prozesse können bei affektiven Störungen aufunterschiedlichen Ebenen beeinträchtigt sein und zu Störungen der stressinduziertenneuralen Plastizität führen.

Eine erfolgreiche neurobiologische Stressbeantwortung führt zu einer Limitierungder stressinduzierten Reaktionen und damit zu einer Stressadaptation.

Stressinduzierte neurale Dysregulation

Gelingt diese Begrenzung der Stressantwort aufgrund einer Störung der Stressverarbei-tung unzureichend oder nur protrahiert, so kommt es im vorliegenden Modell im Sin-ne einer Kaskade zu anhaltenden Verstellungen im Bereich von neuromodulatorischenund nachgeschalteten intrazellulären Signalsystemen. Diese Veränderungen sind alsoAusdruck einer gestörten Stressverarbeitung.

Hyperaktivität des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems

�Hyperkortisolismus ist eine gut belegte Auffälligkeit bei depressiven Störungen.Auchfür rein manische und gemischte Phasen einer bipolaren Erkrankung konnten er-höhte 24-h-Kortisol-Konzentrationen und eine verminderte Suppression im Dexame-thason-Test gefunden werden. Diese Auffälligkeiten sind weitgehend „state“-abhän-gig, d. h. vorzugsweise in Erkrankungsphasen nachweisbar und sprechen für eineÜberfunktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN-Achse). Postmortemstudien geben Hinweise auf eine Überfunktion der HHN-Achseauf hypothalamischem Niveau. Die beschriebenen Veränderungen im Nucleus para-ventricularis hypothalami zeigen jedoch keine Unterschiede für bipolare und unipo-lare Störungen. Einschränkend muss die jeweils kleine Fallzahl in diesen Studien er-wähnt werden.

Für eine hypothalamische Dysfunktion sprechen auch makro-morphologische De-fizite des Hypothalamus, auf die weiter unten eingegangen wird. Bemerkenswert ist,dass eine Überaktivität der HHN-Achse durchaus nicht spezifisch für affektive Störun-

� Corticotropin-Releasing-Faktor

� Hypothalamo-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse

Stressinduzierte Alterationen von Neuro-transmittern und Neuromodulatoren resultieren in rezeptorvermittelten Veränderungen intrazellulärer Signaltrans-duktionssysteme

� Hyperkortisolismus

Eine Überaktivität der HHN-Achse ist nichtspezifisch für affektive Störungen, sondernfindet sich z.B. auch bei degenerativendemenziellen Erkrankungen

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gen ist, sondern sich beispielsweise ebenso bei degenerativen demenziellen Erkran-kungen findet.Andererseits ist eine prolongierte Überaktivität der HHN-Achse nicht not-wendige Bedingung für die Entwicklung einer affektiven Störung [14].

Gestörte Feedbackmechanismen

Die Hyperaktivität der HHN-Achse auf hypothalamischem Niveau kann durch eine Al-teration verschiedener Neuromodulatoren, die eine exzitatorische oder inhibitorischeWirkung auf den Nucleus paraventricularis hypothalami haben,bedingt sein.Des Wei-teren sind für depressive Störungen Alterationen hippocampaler Mineralokortikoid- undGlukokortikoidrezeptoren beschrieben worden, die für die Feedbackregulation derHHN-Achse von Bedeutung sind [19].Der fehlende Nachweis genetischer Veränderun-gen von Glukokortikoidrezeptoren bei bipolaren Störungen spricht für Alterationen,die durch biologische Defekte der Stressverarbeitung bedingt sind.

Defekte neuronaler Inhibition

Inhibitorische Neurone bilden vorzugsweise kurze, lokal begrenzte Verschaltungen,diewichtige Aufgaben innerhalb der Feinabstimmung neuronaler Netzwerke übernehmen.Die weitaus überwiegende Zahl von Interneuronen ist GABA-erg. Erste Postmortem-arbeiten zeigen Defizite von Interneuronen des anterioren cingulären Kortex und desHippocampus bei bipolaren Störungen. Von Bedeutung ist dies, da insbesondere deranteriore cinguläre Kortex eine prominente Rolle in neuronalen Schaltkreisen hat, diean der Affektregulation beteiligt sind. Ein hippocampales Interneurondefizit kann zueiner erhöhten Stressvulnerabilität dieser Struktur beitragen.

Alteration monaminerger Transmittersysteme

Stress wirkt zunächst vorzugsweise aktivierend auf monaminerge Neurotransmittersys-teme. Depressionsähnliches Verhalten in Tiermodellen ist jedoch eher mit einer redu-zierten Entladungsrate noradrenerger bzw. serotonerger Neurone im Locus coeruleusund in der dorsalen Raphe assoziiert.Neben regulatorischen Vorgängen wie der dosis-abhängigen Hemmung serotonerger Aktivität durch CRF [31] und entwicklungsbe-dingten Störungen entwickelt sich diese Aktivitätsminderung vermutlich als Folge ei-ner �Depletion der Transmittersysteme.Die Entstehung einer solchen Depletion wird bei-spielsweise hinsichtlich Noradrenalin dahingehend erklärt, dass unter protrahierterEinwirkung unkontrollierbarer Stressoren die bereits initial einsetzende Noradrena-linsynthesesteigerung in noradrenergen Hirnstammkernen nicht mehr mit der Utilisa-tion des Neurotransmitters Schritt hält [2]. Dies scheint insbesondere im Locus coeru-leus der Fall zu sein und hier zu einer Hyperresponsivität noradrenerger Neurone durcheine funktionelle Blockade autoregulatorischer alpha2-Rezeptoren zu führen. DieseHyperresponsivität bewirkt durch repetitive noradrenerge Überstimulation des ven-tralen Tegmentum im Mittelhirn eine Suppression dopaminerger Neurone, die in en-gem Zusammenhang mit depressiver Symptomatik stehen dürfte.

Anisman und Zacharko [2] nehmen an, dass die zunächst erst protrahiert auftre-tende Depletion von Noradrenalin in Beantwortung eines Stressors bei wiederholtemAuftreten desselben im Sinne einer konditionierten Reaktion schließlich auch schonbei milderen Stressoren und in rascherem zeitlichen Zusammenhang einsetzt. Diegleichen Autoren vermuten, dass dies auch für andere an der Stressreaktion beteilig-te biogene Amine gelte und dadurch ein „Setting“ entstehe, das mit der Entwicklungdepressiver Syndrome assoziiert sei. Ein ähnlicher Mechanismus scheint auch bei derEntwicklung von Kindling-Phänomenen eine Rolle zu spielen, mit denen das rezidi-vierte Auftreten von Erkrankungsepisoden in immer kürzeren Abständen erklärbar wird[30]. In diesem Sinne können wiederholte Krankheitsausbrüche eine Rückfalldispo-sition induzieren, die über die oben beschriebene ursprüngliche Störungsdispositionhinausgeht.

Alterationen hippocampaler Mineralo-kortikoid- und Glukokortikoidrezeptorensind für depressive Störungen beschriebenworden

Postmortemarbeiten zeigen Defizite vonInterneuronen des anterioren cingulärenKortex und des Hippocampus

� Depletion der Transmittersysteme

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Bereits kurz nach der Entdeckung der Antidepressiva wurden in den 60er-Jahrendie �Monamin-Theorien zur Depression formuliert im Sinne einer verminderten Ver-fügbarkeit monaminerger Neurotransmitter im synaptischen Spalt.Diese Theorien ba-sierten auf der Beobachtung einer Erhöhung der synaptischen Neurotransmitterverfüg-barkeit durch Antidepressiva.Untersuchungen von Transmittermetaboliten in Körper-flüssigkeiten depressiver Patienten zeigten überwiegend Alterationen der Metaboliten-konzentrationen.Tierexperimentelle,endokrinologische, funktionell bildgebende undpostmortale Untersuchungen der Neurotransmittersysteme im Gehirn selbst erbrach-ten Hinweise auf funktionelle Defizite des noradrenergen und serotonergen Systems,wenngleich auch insbesondere bei den Postmortemstudien Unstimmigkeiten deutlichwurden. Eindeutige Unterschiede zwischen unipolarer/bipolarer Depression und Ma-nie fanden sich für das serotonerge System nicht [21], für das noradrenerge System las-sen sich episoden- bzw. störungsabhängige Unterschiede noch nicht hinreichend si-cher beurteilen. Möglich erscheint jedoch, dass Agitiertheit nosologisch unabhängigmit einem erhöhten noradrenergen Tonus verbunden ist [18]. Postmortemdaten legennahe, dass bipolare Störungen mit einer größeren strukturellen und damit auch funk-tionellen Kapazität des noradrenergen Systems assoziiert sind [3].

Suizidales Verhalten scheint neben dem Vorliegen der Diagnose einer affektiven Stö-rung eine wesentliche Assoziation zu monaminergen Systemen aufzuweisen.In Postmor-temstudien zeigen Patienten mit einer affektiven Störung ohne suizidales VerhaltenHinweise auf eine Unterfunktion des noradrenergen und des serotonergen Systems,bei Suizidenten scheinen diese Defizite ausgeglichen oder sogar überkompensiert zu sein.Unipolar depressiv und bipolar affektiv Erkrankte zeigen diesen Unterschied nach bis-herigen Befunden in gleichem Maße.

Auch das dopaminerge System zeigte in Untersuchungen zu Metabolitenkonzentra-tionen, pharmakologischen Effekten und in Studien mit bildgebenden Verfahren Auf-fälligkeiten bei affektiven Störungen. Die Daten weisen auf einen reduzierten dopami-nergen Tonus bei depressiven Patienten und einen tendenziell normalisierten oder er-höhten Tonus in der Manie.Das Defizit depressiver Patienten scheint besonders ausge-prägt bei Suizidenten zu sein. Funktionsbildgebende Untersuchungen deuten auf einestriatale dopaminerge Supersensitivität bei Patienten mit bipolaren Störungen.Für psy-chotische bipolare Patienten konnte eine höhere D2-Rezeptordichte als bei nichtpsycho-tischen Patienten festgestellt werden. Zusammenfassend ist die Datenlage mit einem

� Monamin-Theorien

Möglich erscheint, dass Agitiertheit nosologisch unabhängig mit einem erhöhtennoradrenergen Tonus verbunden ist

Suizidales Verhalten scheint neben demVorliegen der Diagnose einer affektivenStörung eine wesentliche Assoziation zumonaminergen Systemen aufzuweisen

In der Depression scheint der dopaminergeTonus erniedrigt, in der Manie tendenziellnormalisiert oder erhöht zu sein

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Abb. 2 ▲ Relevante neuronale Schaltkreise bei affektiven Störungen. Gestrichelt dargestellt ein limbisch-thalamopräfrontaler und mit durchgehender Linie ein striatopallidal-thalamopräfrontalerKreis. Präfrontal sind insbesondere anteriore cinguläre und ventromediale kortikale Regionen invol-viert. In beiden Circuits resultieren die bisher für affektive Störungen berichteten strukturellen oderfunktionellen Veränderungen (s. Pfeile) vorzugsweise in einer Desinhibition thalamokortikaler Systeme. Vielfache Verschaltungen mit Hirnstammkernen sind übersichtshalber nicht dargestellt. Zurchronobiologischen Bedeutung der Verbindungen hypothalamischer Zentren mit Hirnstammkernens. ⊡ Abb. 3 (+ überwiegend exzitatorische Verbindung, – überwiegend inhibitorische Verbindung)

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strukturellen Defizit oder einer alterierten Regulation dopaminerger Neurone beispiels-weise durch das serotonerge System erklärbar. Eindeutige Unterschiede zwischen Pa-tienten mit uni- oder bipolarer affektiver Störung sind nicht bekannt.

Regionale Alterationen von Perfusion und Metabolismus

�Funktionsbildgebende Verfahren wie PET, fMRT und SPECT können hirnregionaleAuffälligkeiten der Perfusion und des Metabolismus als Hinweis auf eine neurale Dys-regulation aufzeigen.

Bei affektiven Störungen finden sich insbesondere Alterationen von Blutfluss und Me-tabolismus in neuronalen Schaltkreisen, die limbische Strukturen, Basalganglien, me-dialen Thalamus und ventromediale präfrontale kortikale Areale umfassen (⊡ Abb. 2).Differenziert man hinsichtlich Polarität der jeweiligen Krankheitsepisode,so zeigt sichbei Patienten mit unipolarer Depression überwiegend ein Muster funktioneller Defizi-te in Basalganglien,präfrontalem Kortex,anteriorem cingulären Kortex und Thalamus(zur Übersicht s. [34]). Interessanterweise deuten auch einige Studien auf einen gestei-gerten Blutfluss/Metabolismus in orbitalem und ventrolateralem präfrontalem Kortexund Amygdala. Für den subgenualen anterioren cingulären Kortex (BA 24) zeigte einekombinierte Untersuchung von metabolischer Aktivität (PET) und Struktur (MRT)eine Minderung der metabolischen Aktivität, die sich aber nach Korrektur von Parti-alvolumeneffekten als erhöht im Vergleich zu psychiatrisch gesunden Personen erwies.Derartige Korrekturen sollten in allen Hirnregionen erfolgen, die bei der jeweils un-tersuchten psychiatrischen Störung mit einem strukturellen Defizit einhergehen.

Untersuchungen von Patienten mit Störungen aus dem bipolaren Spektrum, insbe-sondere während einer Manie,sind weniger häufig.Die Mehrzahl der Studien untersuch-te euthyme oder depressive Patienten mit bipolarer Störung.Hier deuten die Daten aufein Muster funktioneller Defizite ähnlich der unipolaren Depression hin [34]. Die we-nigen Studien bei bipolarer Manie weisen regional unterschiedliche Ergebnisse auf.Eine erhöhte Aktivität wurde z.B.für den cingulären Kortex,den Kopf des Nucleus cau-datus und den Temporallappen beschrieben, eine Verminderung für den rostralenpräfrontalen und orbitofrontalen Kortex.

Longitudinale intraindividuelle Untersuchungen fehlen bisher weitgehend. Daherist es nicht klar,ob es sich bei den Abnormalitäten um State- oder Trait-Marker handelt.Die bisherigen Untersuchungsergebnisse deuten auf eine Affektion des präfrontalenKortex sowie subkortikaler und limbischer Strukturen bei bipolarer Störung und uni-polarer Depression hin.

Alteration von Neuromodulatoren

Sowohl die prolongierte Aktivierung der HHN-Achse als auch die Resultate erhöhter Per-fusion und eines gesteigerten Metabolismus in bestimmten, für die affektive Regulati-on wesentlichen Hirnregionen weisen auf ein Defizit inhibitorischer oder ein Überge-wicht exzitatorischer Mechanismen bei affektiven Störungen.Analog hierzu sind die be-reits erwähnten Resultate eines defekten Feedback-Mechanismus über hippocampaleMineralokortikoid- und Glukokortikoidrezeptoren zu sehen [14]. Des Weiteren konn-ten Defizite von Neuronen beschrieben werden,die überwiegend inhibitorisch wirksa-me Neuromodulatoren führen, wie �GABA-erge Neurone im Hippocampus und impräfrontalen/okzipitalen Kortex, �nitrerge Neurone im Nucleus paraventricularis hy-pothalami, Calretinin-führende Neurone im anterioren cingulären Kortex wie auch�β-endorphinerge Neurone im Nucleus arcuatus und �Substanz-P-führende Nerven-zellen in der Substantia nigra. Insbesondere Substanz P wird eine über Neurokinin-1-Rezeptoren vermittelte bedeutende Rolle in der Termination von Stressantworten derHHN-Achse zugeschrieben. Eine gestörte exzitatorische Neuromodulation fand sichbei Patienten mit bipolaren Störungen hinsichtlich glutamaterger und cholinerger Me-chanismen.�Exzitatorische Aminosäurentransporter wurden bei bi- und unipolaren Stö-rungen im Striatum vermindert gefunden,Spiegel des �Glutamatmetaboliten Glutamin

� Funktionsbildgebende Verfahren

Für den subgenualen Kortex und die Amygdala konnte in der Depression eine erhöhte neurale Aktivität ermittelt werden

Bei manischen Patienten liegen vereinzelteBefunde einer regional erhöhten Aktivitätfür cingulären Kortex, Kopf des Kaudatumund Temporallappen vor

Eine Anzahl überwiegend inhibitorischerNeuromodulatoren zeigt Funktionsdefizitebei affektiven Störungen

� GABA-erge Neurone� Nitrerge Neurone

� β-endorphinerge Neurone� Substanz-P-führende Nervenzellen

� Exzitatorische Aminosäurentransporter

� Glutamatmetabolit

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im Liquor waren erhöht.Auch zeigten glutamaterge Rezeptoren hippocampale Auffäl-ligkeiten bei affektiven Störungen.Eine �cholinerge Supersensitivität konnte mehrfachrepliziert werden,wobei diese bei bipolaren Störungen eher episodenübergreifend,beiunipolar depressiven Störungen tendenziell auf die Krankheitsepisode beschränkt nach-weisbar war. Die zentrale cholinerge Aktivität scheint nach magnetresonanzspektro-skopischen Befunden bei uni- und bipolarer Depression erhöht zu sein.

Die Mehrzahl der Untersuchungen zu inhibitorischen Neuromodulatoren zeigenkeine Unterschiede zwischen uni- und bipolaren Störungen, weisen aber großenteilsden Nachteil geringer Stichprobengrößen auf.

Alteration der intrazellulären Signaltransduktion

Im Zuge der krankheitsassoziierten Dysregulation zeigen bei bipolaren Störungenverschiedene �intrazelluläre Signaltransduktionssysteme Auffälligkeiten. Es wurdenVeränderungen der G-Proteine, der zyklischen Nukleotide, des Phosphatidyl-Inosi-tol-Systems, Protein-Kinase-C-mediierter Prozesse sowie der intrazellulären Ca-Funktion beschrieben, die teilweise hirnregional akzentuiert sind (⊡ Tabelle 1) [35].Eindeutige Unterschiede zwischen bi- und unipolaren Störungen sind bisher nichtbeschrieben.

� Cholinerge Supersensitivität

� Intrazelluläre Signaltransduktionssysteme

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Tabelle 1

Gestörte intrazelluläre Signaltransduktion bei bipolaren Störungen. (Nach [35])

cAMP-Befunde bei bipolaren Störungen• Normale cAMP-Basisspiegel in Plasma und Liquor

• Verminderte cAMP-stimulierte Response in Leukozyten während depressiver Phasen

• Erhöhte cAMP-stimulierte Response in Postmortemhirnen, regionspezifisch

• Erhöhte cAMP-abhängige Phosphorylierung (RAP1) in Leukozyten während euthymer Phasen

G-Protein-Befunde bei bipolaren Störungen• Gsαα erhöht in Thrombozyten und Leukozyten während manischer und euthymer Phasen,

uneinheitliche Befunde für depressive Phasen

• Gsαα erhöht in Postmortemhirnen, regionspezifisch

• Erhöhte G-Protein-Rezeptor-Bindung in Postmortemhirnen

• Erhöhte Gsαα-mRNA in Postmortemhirnen

• Verminderte ADP-Ribosylierung von Gsαα in Postmortemhirnen, regionspezifisch

Phosphatidylinositol-Befunde bei bipolaren Störungen• Erhöhter PIP2-Membrangehalt in Thrombozyten während manischer Phasen

• Verminderter PIP2-Membrangehalt bei mit Lithium behandelten Patienten während euthymer

Phasen

• Normale PLC-Aktivität in Postmortemhirnen

• Verminderte Inisitol-Spiegel im frontalen Kortex in Postmortemhirnen, regionspezifisch

• Verminderte G-Protein-stimulierte PI-Hydrolyse im okzipitalen Kortex in Postmortemhirnen

• Erhöhte IMPase-Aktivität in Erythrozyten während manischer Phasen

• Erhöhte Phosphomonoesteraktivität während manischer und depressiver Phasen, vermindert

während euthymer Phasen (in-vivo 31P-MRS)

PKC-Befunde bei bipolaren Störungen• Erhöhte PKC-Aktivität in Thrombozyten während manischer Phasen

• Erhöhte PKC-Aktivität in kortikalen Arealen in Postmortemhirnen, isoenzymspezifisch

• Verminderte PKC-Aktivität bei mit Lithium behandelten Patienten, isoenzymspezifisch

• Fehlen einer Korrelation zwischen PKC-Isoenzymen und membranalen Phosphoinositiden bei

mit Lithium behandelten euthymen Patienten

Befunde intrazellulärer Ca2+bei bipolaren Störungen• Erhöhte Ca2+-Basisspiegel in Thrombozyten und Leukozyten während manischer, depressiver und

euthymer Phasen

• Erhöhte stimulierte Ca2+-Response in Thrombozyten und Leukozyten während manischer und

depressiver Phasen

Page 10: Neurobiologische Grundlagen bipolarer affektiver Erkrankungen

Im Zusammenhang mit intrazellulärer Signaltransduktion ist ein Pharmakon von be-sonderer Bedeutung hervorzuheben.�Lithium ist bislang das einzige Medikament,das,abgesehen von der Augmentierung der Wirkung von Antidepressiva bei depressivenPatienten, ausschließlich bei der bipolaren Störung eingesetzt wird.Aus dem Wirkme-chanismus von Lithium könnten deshalb wichtige Rückschlüsse auf den Pathomecha-nismus dieser Erkrankung gezogen werden. Bereits 1982 schlug Berridge [6] die Inosi-tol-Depletions-Hypothese vor: Lithium hemmt die Inositol-Monophosphatase, sodassInositol als Inositol-Monophosphat sequestriert und damit die Phosphoinositol-Signal-transduktionskaskade gehemmt wird,die Calciumionen aus intrazellulären Speichernfreisetzt.Für Valproat wurden ähnliche Effekte auf den Phosphoinositol-Metabolismusgezeigt [28].Diese Hypothese konnte in der Folgezeit nur teilweise bestätigt werden.Eswurde jedoch eine Reihe von anderen Mechanismen aufgezeigt, die im wesentlichenrezeptorgekoppelte intrazelluläre Aktivierungswege hemmen,insbesondere solche,dieauf einer erhöhten intrazellulären Calciumkonzentration beruhen [16]. So hemmt Li-thium die glutamaterge synaptische Übertragung über NMDA-Rezeptoren, inhibiertdie G-Protein-Aktivität und reduziert die Aktivität der Proteinkinase C. Ein Einflussauf pathologische Stressverarbeitungsmechanismen wird über eine Modulation vonNeuropeptid Y erzielt [15]. Die cAMP-Kaskade wird moduliert, basale cAMP-Konzen-trationen werden angehoben während die rezeptorvermittelte Stimulation der cAMP-Produktion gehemmt wird.Überdies reguliert Lithium die Phosphorylierung zytoske-lettaler Proteine und hat damit Einfluss auf die neuronale Architektur. Lithium modu-liert Transkriptionsfaktoren,die die Genexpression steuern.Durch diese vielfältigen,z.T.auch widersprüchlichen Ergebnisse wird deutlich,dass Lithium sicherlich mehr als nureinen Wirkmechanismus hat und an zahlreichen Punkten zwischen Präsynapse undGenexpression modulierend eingreift. Diese vielfältigen Mechanismen repräsentierenjedoch wahrscheinlich die Grundlage der klinisch stabilisierenden Wirkung von Stim-mungsstabilisierern auf neuronal-zellulärer Ebene: Basal deprimierte Funktionen wer-den aktiviert, während überschießende Stimulation unterbunden wird.

Synaptische Langzeitplastizität und Kindling

Neben den bisher beschriebenen Veränderungen auf vorwiegend zellulärem Niveauwerden in den letzten Jahren zunehmend Hypothesen diskutiert,die eine Veränderungdes funktionellen Verhaltens von Nervenzellen in neuronalen Netzen als pathophysio-logische Grundlage affektiver Erkrankungen postulieren.

Die synaptische Langzeitplastizität ist ein zelluläres Modell für Lernen und Gedächt-nis. In elektrophysiologischen Untersuchungen an Hirnschnitten oder lebenden Tierenkann durch hochfrequente Reizung von Bahnen u.a.im Hippocampus eine Langzeitpo-tenzierung (LTP) ausgelöst werden,die die synaptische Übertragung für lange Zeit ver-stärkt.Durch lang anhaltende niederfrequente Stimulation kommt es zur Langzeitdepres-sion (LTD) und zur anhaltenden Abschwächung der synaptischen Übertragung.Diese Me-chanismen sind die Grundlage des räumlichen Lernens und wahrscheinlich von Ler-nen,Vergessen und Gedächtnis überhaupt [22].In der Amygdala kommt es bei der Furcht-konditionierung,einer Form des klassischen Konditionierens,zu LTP; Stress führt zur Aus-prägung von LTD im Hippocampus von Ratten über einen glukokortikoidabhängigen Me-chanismus. Sowohl für affektive Erkrankungen wichtige Neurotransmitter wie Seroto-nin und Noradrenalin als auch Antidepressiva können die synaptische Langzeitplastizi-tät modulieren und damit die Informationsverarbeitung in neuronalen Netzwerken ef-fektiv beeinflussen.Über nach- oder parallel geschaltete Mechanismen kann es bei wie-derholter Auslösung synaptischer Langzeitplastizität auch zu strukturellen Veränderun-gen insbesondere der synaptischen Architektur von Neuronen kommen; diese Verän-derungen werden über die CaM-Kinase und BDNF vermittelt.

Die besondere Attraktivität dieser Modellvorstellungen liegt darin,dass sie auf funk-tionellen Grundlagen normaler psychischer Vorgänge wie Lernen, Gedächtnis, Stress-verarbeitung und Emotionsregulierung beruhen. Sie sind mit dem klinischen Verlaufaffektiver Erkrankungen,insbesondere mit der bipolaren Störung,durch bidirektiona-

� Lithium

Die synaptische Langzeitplastizität ist einzelluläres Modell für Lernen und Gedächtnis

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le Modulationsmöglichkeiten im Sinne eines Überschusses oder eines Defizits von LTPbzw. LTD besonders gut zu vereinbaren.

Kindling-Modelle beruhen auf Befunden aus der experimentellen Epileptologie.Durch repetitive Auslösung von Anfällen im Tiermodell kommt es zu typischen Abläu-fen: Die Anfälle werden zunächst heftiger, es kommt zum Auftreten spontaner, nichtgetriggerter Anfälle, und die Tiere werden schließlich resistent gegenüber Antiepilep-tika. Durch die Gruppe um Post [30] wurden Parallelen zwischen diesen Abläufen undder Krankheitsgeschichte von Patienten mit bipolaren Störungen gezogen:Auch hier istim Längsschnitt oft eine Zunahme der phasischen Störungsintensität,eine Beschleuni-gung der Phasenhäufigkeit, eine zunehmende Unabhängigkeit der Krankheitsepiso-den von belastenden Lebensereignissen sowie progrediente Therapieresistenz zu ver-zeichnen.Aus diesem Modell wurden Rückschlüsse auf pathophysiologische Prozesse(z. B. inhibitorische Neurotransmission) und therapeutische Optionen (z. B. repetitivetranskranielle Magnetstimulation) gezogen.Auch bei den Überlegungen zum Kindlinghandelt es sich um eine Hypothese auf funktioneller Ebene, die aber im Gegensatz zursynaptischen Langzeitplastizität plastische Veränderungen auf einer Zeitachse von Jah-ren oder Jahrzehnten postuliert.

Letztlich sind neurobiologische Effekte rezidivierender Krankheitsepisoden nur imTiermodell oder mit In-vivo-Verfahren wie der funktionellen und strukturellen zere-bralen Bildgebung überprüfbar. Bisher fehlen aber zutreffende Tiermodelle zu bipola-ren affektiven Störungen, auch liegen kaum longitudinale Daten zu intraindividuellenBildgebungsbefunden vor. Allerdings konnten kürzlich bei kokainabhängigen Patien-ten Phänomene erhöhter Reaktivität der orbitofrontalen Perfusion auf Prokain be-obachtet werden, die als drogeninduzierte �Sensitisierung deutbar sind [1].

Chronobiologische Störungen

Änderungen chronobiologischer EffektorsystemeBereits das episodische Auftreten der affektiven,insbesondere der bipolaren Erkrankun-gen,weist auf die Bedeutung biologischer Rhythmen bei dieser Erkrankungsgruppe.Be-sonders augenscheinlich wird dies beim �Rapid cycling.Dies charakterisiert Patienten,die definitionsgemäß 4 oder mehr affektive Krankheitsepisoden jährlich erleben. Die-se Gruppe macht nahezu 1/4 aller Patienten mit bipolaren Störungen aus (vgl. [33]).DieZykluslänge, d. h. das Zeitintervall zwischen den Startpunkten zweier aufeinander fol-gender Krankheitsepisoden,nimmt im Laufe einer bipolaren Erkrankung ab.Auch dieSchlaflänge oszilliert zwischen vermindert in der Manie und tendenziell erhöht in derbipolaren Depression [25].

Bei Patienten mit bipolaren Störungen sind Veränderungen der Rhythmik des moto-rischen Verhaltens, der Temperaturverläufe, endokrinologischer Sekretionsprofile wieauch des Schlaf-Wach-Verhaltens bekannt.Die motorische Aktivität bei hypomanen undmanischen Zuständen ist erhöht, die bei depressiven erniedrigt. Dabei zeigen sich Un-terschiede zur unipolaren Depression: Die psychomotorische Aktivität ist in der Maniehöher als bei agitierter Depression.Auch ist die Aktivität bei depressiven Patienten mitbipolarer Störung stärker reduziert als in der Depression unipolarer Patienten.

Es konnten Zusammenhänge zwischen rhythmischen Mustern motorischer und so-zialer Aktivität gezeigt werden. Ereignisse mit desintegrierender Wirkung auf sozialeRhythmen sind insbesondere für die Vorhersage bipolarer Episoden relevant. Dabeischeinen sich Unterschiede zu unipolaren Störungen insofern abzuzeichnen, als Un-terbrechungen des sozialen Rhythmus vorzugsweise manische,weniger depressive Stö-rungen auslösen [23].

Berichte aus der �EEG-Schlaf-Forschung zeigen inkonsistente Befunde zu bipolarenDepressionen mit einer Tendenz zur Hypersomnie und zu einer stärkeren Fragmentie-rung des Nachtschlafs, aber fehlenden eindeutigen Unterschieden zur unipolaren De-pression.

In der Manie dominieren Störungen der Schlafkontinuität und vermehrter REM-Schlaf. Hingegen zeigen longitudinale Untersuchungen, dass der REM-Schlaf bei Ein-

Kindling-Modelle beruhen auf Befundenaus der experimentellen Epileptologie

Kindling-Modelle liefern einen Erklärungs-ansatz sowohl für den Krankheitsausbruchals auch für das immer kurzfristigere Auftreten von Rezidiven

� Sensitisierung

Chronobiologische klinische Parameter zeigen rhythmische Auffälligkeiten bei bipolaren Störungen� Rapid cycling

Die psychomotorische Aktivität ist in derManie höher als bei agitierter Depression.Die Aktivität bei depressiven Patienten mitbipolarer Störung ist stärker reduziert als inder Depression unipolarer Patienten

Unterbrechungen des sozialen Rhythmuslösen vorzugsweise manische,weniger depressive Störungen aus

� EEG-Schlaf-Forschung

REM Schlaf ist bei Eintritt in manische Phasen vermindert

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Page 12: Neurobiologische Grundlagen bipolarer affektiver Erkrankungen

tritt in manische Phasen intraindividuell vermindert ist.Da Monamine einen inhibito-rischen Effekt auf den REM-Schlaf zeigen, spricht letzterer Befund für einen erhöhtenmonaminergen Tonus in der Manie.

Untersuchungen mit funktionell bildgebenden Verfahren zeigen während des REM-Schlafes eine erhöhte Aktivität zentrenzephal limbischer und paralimbischer Struktu-ren.Untersuchungen zu affektiven Störungen konnten bisher noch keine schlüssigen Er-gebnisse aufweisen.

Endogene RhythmenIn den letzten Jahren konnten wichtige Erkenntnisse zu den neurobiologischen Grund-lagen endogener Rhythmen des Verhaltens und physiologischer Prozesse gewonnenwerden. Eine wichtige Rolle als endogener Schrittmacher spielen hierbei das vorzugs-weise nächtlich sezernierte Hormon �Melatonin und der auch als Uhr des Gehirns(„clock of the brain“) bezeichnete �Nucleus suprachiasmaticus (SCN) im Hypothala-mus. Der SCN projiziert nicht nur über das sympathische Nervensystem zur Glandulapinealis, wo die Bildung von Melatonin aus Serotonin stimuliert wird. Er ist auch ver-knüpft mit Strukturen des Arousal-Systems wie dem im Hirnstamm gelegenen Locuscoeruleus und der dorsalen Raphe.Insbesondere die Verbindung zwischen SCN und Lo-cus coeruleus, die über hypothalamische Zwischenstationen vorzugsweise im dorso-medialen Hypothalamus, aber auch im paraventrikularen Nukleus (PVN) zustandekommt,spielt bei Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus eine zentrale Rolle (⊡ Abb.3).

Erste Befunde von Postmortemuntersuchungen zeigen bei affektiven Störungen Auf-fälligkeiten im SCN.So scheint die Aktivität �vasopressinerger Neurone im SCN bei De-pressiven erhöht, jedoch der Transport von Vasopressin reduziert zu sein [39]. Diesdürfte zu einer mangelnden Inhibition der vasopressinergen Neurone im PVN führenund damit die Limitierung von Stressreaktionen behindern.Zum andern sind �nitrergeNeurone im SCN bei affektiven Störungen reduziert [5].Stickoxid spielt bei der Vermitt-

� Melatonin� Nucleus suprachiasmaticus

Erste Befunde von Postmortemunter-suchungen zeigen bei affektiven StörungenAuffälligkeiten im SCN

� Vasopressinerge Neurone� Nitrerge Neurone

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Abb. 3 ▲ Wichtige zum zirkadianen Arousal-System gehörige Verknüpfungen [SCN suprachiasmati-scher Nukleus, PVN paraventrikulärer (hypothalamischer) Nukleus, DMH dorsomedialer Hypothala-mus, VLPO entrolaterale präoptische Area, TMN tuberomammillärer Nukleus, DR dorsale Raphe, MRmediane Raphe, LC Locus coeruleus, SCG superiores zervikales Ganglion, GP Glandula pinealis]. ImZentrum steht die Verbindung des SCN mit dem LC, die über Zwischenstationen im PVN, DMH und derVLPO gebildet wird. Dies ist die Grundlage der zirkadianen Rhythmik der Aktivität des LC. Der SCN,auch „clock of the brain“ genannt, erhält Lichteinflüsse über die retinohypothalamische Bahn, die alsexterne Zeitgeber neben Neurotransmittern und Neuromodulatoren (Glutamat, Serotonin, NPY) dieendogene Rhythmik des SCN modulieren. Die VLPO übt inhibitorische Einflüsse über GABA und Gala-nin auf aszendierende monaminerge Zentren aus

Page 13: Neurobiologische Grundlagen bipolarer affektiver Erkrankungen

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lung von Lichteffekten über die retinohypothalamische Verbindung zum SCN eine wich-tige Rolle.Ein Defizit nitrerger Neurone deutet darauf hin,dass bei affektiv Kranken eineStörung in der Transmission von Licht als wichtigem exogenem Zeitgeber auf das en-dogene Arousal-System vorliegt, was zu einer mangelhaften Adaptation endogenerRhythmen an umweltvermittelte Zeitzyklen (Entrainment) und damit zu erschwerterAnpassung an Umweltanforderungen führt.

Zusammen mit strukturellen und funktionellen Auffälligkeiten des Locus coeruleusund der dorsalen Raphe, die weiter unten beschrieben werden, zeigen sich bei affekti-ven Erkrankungen also strukturelle Störungen des endogenen Arousal-Systems unddes rhythmisierenden endogenen Zeitgebers.

Die Sekretion von Melatonin ist bei bipolaren Störungen (Bipolar I) vermindert undzeigt ein späteres Erreichen des nächtlichen Minimalwertes [26]. Eindeutige Unter-schiede der Melatoninsekretion zwischen bipolarer Störung und unipolarer Depressi-on fanden sich nicht,zudem fehlen direkte Vergleichsstudien.Bei unipolar Depressivenkonnte keine durchgreifende Normalisierung des Sekretionsprofils unter Therapie mitAntidepressiva beobachtet werden. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Melaton-insekretion noradrenerg beeinflusst wird und Antidepressiva somit auch die Melaton-insekretion mitsteuern.

Eine Subgruppe bipolar affektiv Kranker zeigt eine erhöhte Suppression der nächt-lichen Melatoninsekretion unter Lichteinfluss.Hier ergibt sich eine therapeutische Mög-lichkeit mit dem gezielten Einsatz von Licht zur Tagesaktivierung bzw. der weitgehen-den Reduktion nächtlicher Lichteinflüsse zur Besserung von Schlafstörungen.

Alterationen der Neuroplastizität

Neuroplastizität beschreibt die hirnstrukturellen und -funktionellen Umgestaltungenin Reaktion auf sensomotorische, emotionale und psychosoziale Stimuli. Änderungender Neuroplastizität wurden bei affektiven Störungen auf verschiedenen Ebenen ge-zeigt. Auf die funktionellen Veränderungen wurde bereits im Abschnitt über synapti-sche Langzeitplastizität eingegangen. Die hier abzuhandelnden neurotrophen Effektebilden gewissermaßen den Übergang zur strukturellen Neuroplastizität.

Neurotrophe FaktorenBei der stressinduzierten neuralen Dysregulation kommt es in der Signalkaskade intra-nukleär zur Änderung der Genexpression nukleärer neurotropher Faktoren wie �BDNF(„brain derived neurotrophic factor“), NT3 („neurotrophic factor 3“) u. a. m. Tierexpe-rimentell konnte eine depressionsassoziierte Degeneration von Axonterminalen impräfrontalen Kortex als möglicher Hinweis auf eine reduzierte Aktivität neurotropherFaktoren gezeigt werden [17]. Eine neurotrophe Hypothese der Depression wird auchdurch Tierversuche gestützt, die neuroplastische Effekte von Antidepressiva z. B. mitSteigerung der Expression von CREB („cAMP responsible element binding protein“),BDNF sowie erhöhter hippocampaler Neurogenese im Gyrus dentatus aufweisen konn-ten. In einer Postmortemstudie konnte auch beim Menschen gezeigt werden, dass diehippocampale Immunreaktivität für BDNF bei bipolaren und tendenziell auch bei uni-polar depressiven Patienten,die mit Antidepressiva behandelt wurden, im Vergleich zudenen ohne Antidepressiva erhöht ist [8]. Auch die Expression von CREB ist bei Anti-depressiva-behandelten Patienten postmortalen Befunden zufolge regional höher als beiunbehandelten [9].Befunde zu neuronalem Sprouting im Hippocampus bipolar affek-tiv Kranker belegen die Bedeutung neuroplastischer Vorgänge bei affektiven Störungen.

Strukturelle Alterationen in affektiv relevanten Arealen

Die bereits angesprochenen funktionellen Störungen neuronaler Plastizität stellen ne-ben genetischen Faktoren die Brücke zu den seit längerem bekannten hirnstrukturel-len Störungen bei affektiven Störungen dar.Diese Alterationen können mikro- und ma-kroskopisch beschrieben werden.

Die Sekretion von Melatonin ist bei bipolarenStörungen (Bipolar I) vermindert

Eine Subgruppe bipolar affektiv Krankerzeigt eine erhöhte Suppression der nächt-lichen Melatoninsekretion unter Licht-einfluss

Neuroplastizität beschreibt die hirnstruk-turellen und -funktionellen Umgestaltungenin Reaktion auf sensomotorische,emotionale und psychosoziale Stimuli

� BDNF

Tierexperimentelle und erste humane Studien legen für affektive Störungen neurotrophe Defizite nahe und belegen gegenläufige Effekte von Antidepressiva

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Page 14: Neurobiologische Grundlagen bipolarer affektiver Erkrankungen

Strukturelle neuronale Plastizität

Hinsichtlich synaptischer Marker wurden Veränderungen bei affektiven Störungenbeschieben.Wenn auch die Datenlage bisher dünn ist, weisen einige Studien vorzugs-weise bei bipolaren Störungen in Richtung einer Verminderung (GAP43, Synapsin,Synaptophysin, Complexin II) im anterioren cingulären Kortex und im Hippocam-pus, was für eine gestörte synaptische Konnektivität spricht. Erwähnenswert ist auchein elektronenmikroskopischer Befund einer Vermehrung von axospinösen Synap-sen im anterioren cingulären Kortex bei bipolaren Störungen – ein Phänomen, dasam ehesten als Kompensationsmechanismus zu deuten ist.

Kürzlich konnte gezeigt werden, dass sowohl Lithium als auch Carbamazepin undValproat die Aussprossung von Axonen in neuronalen Kulturen stimulieren und die-ser Effekt vom Inositol-Metabolismus abhängig ist [38]. Tierexperimentell ließensich in Depressionsmodellen degenerative Veränderungen von Axonterminalen no-radrenerger Neurone beschreiben [17]. Diese Alterationen waren durch Antidepres-siva vermeidbar bzw. korrigierbar. An kleiner humaner Fallzahl liegt ein Einzelbe-fund für dendritische Defizite bei bipolaren Störungen im Subiculum vor. Diese mitder Golgi-Methode elektronenmiskoskopisch festgestellten Veränderungen legeneine verminderte afferente synaptische Innervation oder Aktivität nahe. Die Zahlultrastruktureller postmortaler Studien ist noch weitaus geringer als die der ohne-hin raren postmortalen Untersuchungen zu affektiven Störungen, was insbesonde-re auf der besonderen Hirnprozessierung für elektronenmikroskopische Analysenberuht.

Regionale Strukturveränderungen

ZelldefiziteEine etwas umfangreichere Literatur belegt numerische Zellveränderungen in bestimm-ten Hirnregionen. �Reduktionen der Neuronenzahl bzw. Neuronengröße fanden sich imanterioren cingulären Kortex und anderen präfrontalen kortikalen Arealen wie demdorsolateralen und orbitofrontalen Kortex [13,32].Eine regional umschriebene Reduk-tion der Neuronenzahl wurde auch für die �dorsale Raphe berichtet. Sichere Unter-schiede zwischen uni- und bipolaren affektiven Erkrankungen konnten weder für diekortikalen Areale noch für die dorsale Raphe beschrieben werden.Ebenfalls in der dor-salen Raphe fanden sich als Ausdruck einer veränderten strukturellen Plastizität redu-zierte Größen von Nukleoli als Folge einer längerfristigen Minderung der Proteinbio-synthese. Diese Defizite werden vorläufigen Daten zufolge durch Antidepressiva kom-pensiert.

Im Locus coeruleus fanden sich bei bipolaren Störungen tendenziell mehr pigmen-tierte Neurone, ein Unterschied, der signifikant im Vergleich zu unipolaren Depressio-nen ausfiel [3]. Die höheren Zellzahlen bei BPD könnten Folge einer Überaktivierungsein,die z.B.während der Hirnentwicklung wirksam wird aufgrund einer genetischenVariante der COMT.

Die Veränderungen in Locus coeruleus und dorsaler Raphe sind von besondererBedeutung aufgrund der intensiven Interaktion beider Hirnstammstrukturen: ÜberHeterorezeptoren vermittelt der Locus coeruleus exzitatorische Effekte auf die dor-sale Raphe, umgekehrt inhibieren kaudale Anteile der dorsalen Raphe den Locus coe-ruleus.

Besondere Aufmerksamkeit erfuhren auch Befunde einer reduzierten Anzahl von�Gliazellen im anterioren cingulären Kortex.Solche glialen Defizite können Störungender metabolischen Kopplung nach sich ziehen und damit zu den beschriebenen Alte-rationen der Perfusion und des Metabolismus in bestimmten Hirnregionen beitragen.Gliazellen sind ferner an Migrationsvorgängen beteiligt und spielen damit in der Hirn-entwicklung eine bedeutende Rolle. Der cinguläre Befund eines Gliadefizits zeigte kei-ne Unterschiede zwischen uni- und bipolaren Störungen, was allerdings bei der gerin-gen Fallzahl als vorläufiges Ergebnis zu betrachten ist.

Defizite synaptischer Marker weisen aufeine Konnektionsstörung

Tierexperimentell ließen sich in Depressions-modellen degenerative Veränderungen vonAxonterminalen noradrenerger Neuronebeschreiben.

Erste Hinweise auf axonale und dendritischeAlterationen fanden sich tierexperimentelloder in humanen Postmortemstudien

� Reduktionen der Neuronenzahlbzw. Neuronengröße

� Dorsale Raphe

Ein signifikanter Unterschied zwischen uni- und bipolaren Störungen ergab sichfür die erhöhte Zahl pigmentierter Neuronedes Locus coeruleus bei bipolaren Störungen

� Gliazellen

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Page 15: Neurobiologische Grundlagen bipolarer affektiver Erkrankungen

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ApoptoseIm Zusammenhang mit der Überaktivierung der HPA-Achse und hippocampalen Grö-ßenreduktionen bei verschiedenen stressassoziierten psychischen Erkrankungen wur-den apoptotische Zellverluste insbesondere in dieser Hirnstruktur angenommen.EinePostmortemuntersuchung konnte diesen Verdacht im Wesentlichen nicht erhärten,wenngleich dies ein transientes Auftreten apoptotischer Vorgänge nicht ausschließt[20].

MarklagerveränderungenWie oben bereits beschrieben, ließen sich mit bildgebenden Verfahren wie T2-gewich-teter und diffusionsgewichteter Magnetresonanztomographie Marklagerveränderun-gen bei einer Subgruppe affektiver Störungen nachweisen. Der genaue pathophysiolo-gische Zusammenhang mit affektiven Störungen bleibt allerdings offen, zumal auchbei Fehlen der allgemein als Ursache angenommenen vaskulären Risikofaktoren solcheMarklagerveränderungen detektierbar sind.Medulläre Alterationen führen zusammenmit den Defiziten der grauen Substanz zu Störungen der Konnektivität in affektiv rele-vanten neuronalen Schaltkreisen.

HypotrophieEine Vielzahl makrostruktureller volumetrischer Untersuchungen deckte strukturelleDefizite in limbisch-striatal-pallidal-thalamokortikalen Schaltkreisen auf. �Volumen-messungen anatomisch klar abgrenzbarer Hirnregionen sind von großer Bedeutung,dasie strukturelle Veränderungen nicht nur auf der Ebene der Perkarya,sondern auch Al-terationen des Neuropils mit hoher Sensitivität aufdecken. Eine jüngste Untersuchungfand einen Schwerpunkt struktureller Veränderungen im externen Pallidum und imHypothalamus, wobei die Reduktionen durchweg bei bipolaren Störungen deutlicherals bei unipolarer Depression ausfielen, ohne dass sich signifikante Unterschiede zwi-schen den affektiven Störungen zeigten.Derart kleine Strukturen sind bisher mit bild-gebenden Verfahren noch nicht abgrenzbar.

Ein weiterer Aufschluss über depressions- und manierelevante Hirnregionen kannsich durch sorgfältige �Läsionsstudien bei traumatischen Hirnläsionen mittels MRTergeben,da hier ein aktueller Vergleich zur klinischen Symptomatik möglich wird.Sol-che Läsionsstudien können die Frage klären helfen, inwieweit strukturelle Veränderun-gen bei affektiven Störungen wirklich eine Assoziation zur Klinik zeigen oder nur Epi-phänomene sind.

Switch-Modelle

Das hier ausgeführte morphologisch-funktionelle Modell zur Pathogenese affektiverStörungen ist geeignet zur Erklärung der Entstehung depressiver Störungen, ansatz-weise auch der Entwicklung manischer Episoden.Weitgehend unberührt bleibt jedochdie Frage nach der Neurobiologie des wesentlichen Merkmals bipolarer affektiver Stö-rungen,nämlich des intraindividuellen zyklischen Wechsels depressiver und manischerErkrankungsphasen. Besonders augenscheinlich wird diese Frage hinsichtlich des Ra-pid cycling. Basierend auf Befunden zum visuellen System und Daten zu unterschied-lichen kognitiv-emotionalen Leistungen der linken und rechten Hirnhälfte entwickel-te Pettigrew [29] ein Modell, das im Wesentlichen auf eine Verlangsamung eines hypo-thetischen stimmungswirksamen Oszillators im Hirnstamm und auf eine Abschwä-chung der hemisphärischen Top-down-Regulation dieses Oszillators mit in der Folge er-höhter Sensitivität für externe Stimuli abhebt.Die verlängerte stimmungsbezogene Do-minanz einer Hemisphäre führt demnach zur Entstehung einer manischen (linke He-misphäre) oder einer depressiven Episode (rechte Hemisphäre).Offen bleibt in diesemModell, welche Faktoren zur verlängerten Dominanz einer Hirnhälfte führen. Auchbleiben Zusammenhänge zwischen dem zeitlichen Schrittmachersystem, insbesonde-re dem Nucleus suprachiasmaticus,und dem hypothetischen Oszillator ebenso wie dieBedeutung genetischer Dispositionsfaktoren und Vorgänge der intrazellulären Signal-

Hinweise für apoptotische Zelluntergängefanden sich bisher nicht

Medulläre Alterationen führen zusammenmit den Defiziten der grauen Substanz zu Störungen der Konnektivität in affektivrelevanten neuronalen Schaltkreisen

� Volumenmessungen

� Läsionsstudien

Ein Switch-Modell zu bipolaren affektivenStörungen postuliert eine Verlangsamungeines stimmungswirksamen Oszillators imHirnstamm mit der Folge einer verlängertenaffektprägenden Dominanz je einer Hirn-hälfte (links – manisch, rechts – depressiv)

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transduktion einschließlich „kindling“ ungeklärt.Tierexperimentelle Daten zur Induk-tion von Oszillationen neurochemischer und physiologischer Systeme durch Kokainlegen eine Beeinflussung durch den katecholaminergen Tonus nahe, was auch die un-erwünschte Wirkung einer Auslösung schwer therapierbarer manischer Phasen oder „ra-pid cycling“-Episoden durch katecholaminerg wirksame (tri- oder tetrazyklische) An-tidepressiva erklären könnte. Beim „rapid cycling“ fanden sich zudem, wie oben be-schrieben,replizierbare Befunde molekulargenetischer Untersuchungen insbesonderefür das Catechol-O-Methyl-Transferase-Gen, dessen Variante mit einer erniedrigtenEnzymaktivität einhergeht.

Manifestationen von Rapid cycling bei sekundären bipolaren Störungen legen Zu-sammenhänge von Switch-Phänomenen mit fokalen (orbitofrontal,parietal rechts) wieauch diffusen zerebralen Läsionen nahe.

Ausblick

Für den zukünftigen Fortschritt in der neurobiologischen Forschung zu bipolaren Stö-rungen ist neben der Identifizierung möglichst homogener klinischer Gruppen eineAusreifung molekularbiologischer und funktionsbildgebender Verfahren anzustreben.Bei Identifizierung relevanter Prädispositionsgene können Modelle mit Knock-out-bzw. transgenen Tieren Aufschlüsse über pathophysiologische Mechanismen liefern.Entscheidende Anstöße zur Ausbildung pathogenetischer Modelle bipolarer affektiverStörungen dürften von technisch und logistisch weiterentwickelten Postmortemstrate-gien wie auch vom Einsatz der Chiptechnologie im Rahmen molekulargenetischer Ver-fahren ausgehen.

Korrespondierender AutorPriv.-Doz. Dr. B. Baumann

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Psychosomatische Medizin,Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Leipziger Straße 44, 39120 MagdeburgE-Mail: [email protected]

Literatur

Tierexperimentelle Daten zur Induktion von Oszillationen neurochemischer undphysiologischer Systeme durch Kokain legen eine Beeinflussung durch den katecholaminergen Tonus nahe

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c. Überschneidungen von Kandidatenregio-nen für bipolare, unipolar depressive undschizophrene Erkrankungen sind nichtbekannt.

d. Die bisher untersuchten Kandidatengenesind überwiegend mit der Microarray-Technik im Gehirn ermittelt worden.

e. Die teilweise inkonsistenten Befunde zurMolekulargenetik sind nicht auf die Inho-mogenität der diagnostischen Gruppenaffektiver Störungen zurückzuführen.

3. Welche Aussagen zu Neurotrans-mittersystemen bei bipolaren Störungen treffen zu?

I. Monaminerge Transmitter sind an derStressreaktion beteiligt.

II. Depressionen sind häufig mit einem serotonergen Defizit assoziiert.

III. Suizidales Verhalten ist assoziiert mitdem noradrenergen und serotonergenSystem.

IV. Bisherige Studien konnten klare Unter-schiede zwischen dem Tonus der mona-minergen Systeme in der Depression imVergleich zur Manie belegen.

V. Die Monaminhypothesen werden heutedahingehend modifiziert, dass post-synaptische intrazelluläre Vorgänge undneuroplastische sowie regional hirnstruk-turelle Veränderungen neben der intra-synaptischen Situation als weitere Faktoren in der Pathogenese affektiverStörungen gesehen werden.

a. I, II, IV und V sind richtig.b. Nur iV und V sind richtig.c. I, III und V sind richtig.d. II, IV und V sind richtig.e. Alle, I–V, sind richtig.

1. Welche Aussagen zur Rolle von Stressoren im Sinne bedeutsamer Lebensereignisse und anderen Umweltfaktoren treffen für bipolareStörungen zu?

I. Zeitnahe Stressoren treten gehäuft vorbipolaren Episoden auf.

II. Hirnfunktionelle Korrelate von Störungenbei der Beantwortung affektiv relevanterStimuli sind vorzugsweise für den dorso-lateralen präfrontalen Kortex beschrieben.

III. Stressoren, die mit einer Aktivierung derHypothalamo-Hypophysen-Nebennieren-rinden-Achse einhergehen, sind eine hinreichende Bedingung für den Ausbrucheiner bipolaren affektiven Episode.

IV. Eine frühe soziale Deprivation begünstigtdie Entwicklung einer erhöhten Stress-vulnerabilität.

V. Umweltfaktoren können auf die Hirnent-wicklung Einfluss nehmen, z. B. über dasserotonerge System.

a. I, II, IV und V sind richtig.b. Alle, I–V, sind richtig.c. I, IV und V sind richtig.d. II, IV und V sind richtig.e. Nur IV und V sind richtig.

2. Welche Aussage zur Genetik bipolareraffektiver Störungen trifft zu?

a. Eine Interaktion von Genen untereinander und zwischen Gen und Umwelt istnicht anzunehmen.

b. Eine polygenetische oder oligogenetischeVerursachung bipolarer Störungen wirdheute angenommen, da bisher eineReihe von chromosomalen Kandidaten-regionen identifiziert wurde.

4. Welche Aussagen zur neuralen Dysregulation bei bipolaren Störungen treffen zu?

I. Zu den intrazellulären Signaltransduktorenzählen G-Proteine, zyklische Nukleotide,Inositoltriphosphat, Calcium und dasglutamaterge System.

II. Die bei unipolarer Depression beobacht-bare Hyperaktivität des Hypothalamo-Hypophysen-Nebennierenrinden-(HHN-)Systems lässt sich bei bipolarenStörungen nicht nachweisen.

III. An der Feedback-Regulation der HHN-Achse sind Mineralokortikoid- undGlukokortikoidrezeptoren beteiligt.

IV. Inhibitorische Neurone sind überwiegendglutamaterg und dienen der Feinabstim-mung neuronaler Netzwerke.

V. Inhibitorisch wirksame Neuromodula-toren sind GABA, bedingt auch Serotoninund Opioide.

a. Alle, I–V, sind richtig.b. III und V sind richtig.c. II, III und IV sind richtig.d. Nur III ist richtig.e. II, III und V sind richtig.

5. Welche Aussagen über den zerebra-len Blutfluss und Metabolismus bei affektiven Störungen treffen zu?

I. Funktionsminderungen können auchdurch strukturelle Defizite bedingt sein.

II. Die Studien deuten auf eine globale Verminderung der zerebralen Aktivitätbei affektiven Störungen.

III. Die Veränderungen bieten ein ähnlichesAffektionsmuster wie bei der Demenzvom Alzheimer-Typ.

Wichtige Hinweise:Geben Sie die Antworten bitte über das CME-Portal ein: http://cme.springer.deOnline-Einsendeschluss ist am 09.09.2003Die Lösungen zu dieser Fortbildungseinheit erfahren Sie in der übernächsten Ausgabe an dieser Stelle.

Beachten Sie bitte,dass per Fax oder Brief eingesandte Antworten nicht berücksichtigt werden können.

Die Lösungen der Zertifizierten Fortbildung aus Ausgabe 05/2003 lauten: 1d, 2b, 3e, 4b, 5a, 6c, 7c, 8e, 9c, 10c

Fragen zur Zertifizierung (nur eine Antwort ist möglich)

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Der Nervenarzt 7 · 2003 | 625

IV. Nucleus suprachiasmaticus, Raphe undLocus coeruleus sind an der Entstehungvon Schlaf-Wach-Rhythmen beteiligt undzeigen bei bipolaren Störungen struktu-relle oder funktionelle Auffälligkeiten.

V. Einige Studien zeigen eine reduzierteMelatoninsekretion bei bipolaren Störungen.

a. I–V sind richtig.b. III–V sind richtig.c. I, IV und V sind richtig.d. II, IV und V sind richtig.e. I, III und IV sind richtig.

8. Welche Aussage trifft für bipolare affektive Störungen nicht zu?

a. Kindling-Modelle liefern eine Erklärungdafür, dass die interepisodischen Zeit-spannen bei bipolaren Störungen imKrankheitsverlauf immer länger werden.

b. Kindling beschreibt das Phänomen, dasswiederholte Reize zu einer Reaktion desNervensystems führen, die so bei einereinzelnen Reizung gleicher Stärke nichtaufgetreten wäre.

c. Langzeitpotenzierung beschreibt die gesteigerte postsynaptische Antwort aufeinen Stimulus nach repetitiver synap-tischer Aktivierung.

d. Kindling bzw. Sensitisierungsphänomenekönnen in vivo mit funktionsbildgeben-den Verfahren nachgewiesen werden.

e. Switch-Modelle implizieren einen stim-mungswirksamen endogenen Oszillator.

9. Welche Aussage zu makrostruk-turellen Änderungen trifft für bipola-re affektive Störungen nicht zu?

a. Volumetrisch ermittelte Größenab-weichungen von Hirnstrukturen gehenregelmäßig mit Veränderungen der Zellzahl einher.

b. Die Analyse umschriebener traumatischerLäsionen mit bildgebenden Verfahren ermöglicht eine Korrelation klinischerSymptome mit hirnregionalen Verände-rungen.

IV. Insbesondere Regionen frontosubkorti-kaler neuronaler Schaltkreise, die auchstrukturelle Alterationen aufweisen,sind betroffen.

V. Mittels funktionell bildgebender Verfahrenist mittlerweile eine Abgrenzung vonunipolarer Depression und bipolarer af-fektiver Störung möglich.

a. I, II, IV und V sind richtig.b. I, III und IV sind richtig.c. Nur IV und V sind richtig.d. Nur I und IV sind richtig.d. Alle, I–V, sind richtig.

6. Welche Aussage zur Neuroplastizitättrifft nicht zu?

a. Auch das adulte Hirn ist begrenzt zu Neuroplastizität und sogar zur Neuro-neogenese fähig.

b. Neuroplastizität beschreibt die nachhal-tige Änderung struktureller und funktio-neller Gegebenheiten des Nervensystemsin Reaktion auf sensomotorische undpsychosoziale Stimulation.

c. Die Annahme einer Bedeutung neuro-plastischer Vorgänge bei affektiven Störungen beruht bisher weitgehend auf neurotrophen Effekten von Anti-depressiva.

d. GAP43, Synapsin, Synaptophysin undComplexin II sind synaptische Marker,die nach bisherigem Wissensstand bei bipolaren Störungen alteriert sind.

e. Synaptische Marker wurden in allen untersuchten Hirnregionen gleichsinnigverändert gefunden.

7. Welche Aussagen zur Chronobiologieaffektiver Störungen treffen zu?

I. Abrupte Unterbrechungen des sozialenRhythmus können eher depressive alsmanische Episoden auslösen.

II. Monamine fördern den REM Schlaf,deshalb ist dieser in der Manie auch vermehrt ausgeprägt.

III. Ein vasopressinerges Defizit im Nucleussuprachiasmaticus hat auch Auswirkun-gen auf die HHN-Achse.

c. Fokale Läsionen in Marklager undGraustrukturen des Gehirns können auchbei Fehlen einschlägiger vaskulärer Risikofaktoren bei depressiven Patientenvermehrt nachweisbar sein.

d. Hypothalamische Strukturdefizite bei bipolaren Störungen konnten in einerReihe von volumetrischen MRT-Unter-suchungen aufgedeckt werden.

e. Kleine Hirnstrukturen wie externes undinternes Pallidum können bisher mit bild-gebenden Verfahren nicht sicher vermes-sen werden.

10.Welche Aussage zu mikrostruktu-rellen Änderungen trifft für bipolareaffektive Störungen nicht zu?

a. Zellzahlabweichungen von Locus coeru-leus und dorsaler Raphe sind aufgrundder Bedeutung dieser Strukturen als wich-tige Ursprungsregionen des noradre-nergen bzw. serotonergen Systems sowieaufgrund der intensiven Interaktion bei-der Strukturen und ihrer weit gefächer-ten Projektionsareale von Bedeutung fürbipolare Störungen.

b. Stressinduzierte Schädigungen des Hip-pocampus bei Depressiven konnten überHinweise auf zahlreich aufgetreteneapoptotische Zelluntergänge in Postmor-temuntersuchungen belegt werden.

c. Gliazelldefizite im anterioren cingulärenKortex können mit Störungen von Perfu-sion und Metabolismus in dieser Regionin Zusammenhang stehen.

d. Antidepressiva können eine im Depres-sionsmodell erzeugte Degeneration noradrenerger Axonterminalen zur Rück-bildung bringen.

e. Ultrastrukturelle Untersuchungen sindsinnvoll zur Aufdeckung einer synapti-schen wie auch intrazellulären Struktur-pathologie, sind aber erschwert durch dieNotwendigkeit spezieller Prozessierungs-techniken, die von der üblichen Gefrier-oder Einbettungstechnik abweichen.

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