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Physikalische Chemie I

Für Studenten des Lehramtes, der Biologie und der Biochemie

2 SWSt Vorlesung und 1 SWSt Übungen

Erstellt unter Verwendung des Vorlesungsmanuskripts von Prof. Dr. H. Kohler Da das Manuskript sicher noch viele Fehler enthält, bin ich für jeden Hinweis dankbar.

G. Schmeer

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Literatur:

Gerd Wedler Lehrbuch der Physikalischen Chemie, 5., vollst. überarb. u. aktualis. Aufl., 2004, WILEY-VCH

Peter W. Atkins Physikalische Chemie, 3., korr. Aufl., 2002, WILEY-VCH

Claus Czeslik, Heiko Seemann, Roland Winter

Basiswissen Physikalische Chemie, 2001, Teubner

Peter W. Atkins, Julio de Paula Atkins Physical Chemistry, 7th ed. 2002., Oxford University Press

Wolfgang Bechmann, Joachim Schmidt

Einstieg in die Physikalische Chemie für Nebenfächler 2001, Teubner

Bernd Ross

Physikalische Chemie Für Pharmazeuten und Naturwissenschaftler, 2002, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft

Ignacio Tinoco Jr., Kenneth Sauer

Physical Chemistry, Principles and Applications in Biological Sciences, 4th ed, 2001, Pearson Higher Education

Walter J. Moore

Grundlagen der Physikalischen Chemie, 1. Aufl., 1990, de Gruyter

Samuel R. Logan Grundlagen der Chemischen Kinetik 1997, Wiley-VCH

Kenneth A. Connors Chemical Kinetics, The Study of Reaction Rates in Solution 1990, Wiley-VCH

Margaret Robson Wright Introduction to Chemical Kinetics 2004, Wiley

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Vorbemerkungen zur 1. Auflage (Prof. Kohler) Das Manuskript trägt dem studentischen Wunsch Rechnung, vom Mitschreiben in der Vorlesung PC1 befreit zu sein. Zugleich stellt es die in der Vorlesung mündlich vorgetragenen Erläuterungen in ausführlicher und weniger flüchtiger Form zur Verfügung. Die Existenz des Manuskriptes hat aber zur Folge, dass der zuvor übliche Tafelmitschrieb weitgehend durch den Gebrauch von Kopien des Manuskripttextes abgelöst wird. Aufgrund der Textkonserve kann der Hörer leider nicht mehr direkt miterleben, wie ein Gedankengebäude kontinuierlich an der Tafel entsteht. Ich bemühe mich daher um einen Mittelweg. Gedankengänge, die besonders interessant und wichtig sind, werden nach wie vor an der Tafel entwickelt. Dies geschieht in enger Anlehnung an das Manuskript, womit keine Notwendigkeit besteht, doch wieder mitzuschreiben. So wird das Manuskript - hoffentlich - dazu führen, dass in der Vorlesung gedanklich intensiver mitgearbeitet und zugleich die Nacharbeit "im stillen Kämmerlein" erleichtert wird. Das Manuskript wird hoffentlich nicht dazu beitragen, dass der stressgeplagte Student angesichts "vorrangiger" Aktivitäten anderer Art erst den Vorlesungsbesuch und dann die eigene Auseinandersetzung mit dem Stoff ganz bleiben lässt. Selbstverständlich soll das Manuskript nicht Seite für Seite oder Formel für Formel gebüffelt werden. Es kommt darauf an, die grundlegenden Zusammenhänge zu erarbeiten und die Einzelergebnisse als Illustrationen solcher Zusammenhänge zu begreifen. Machen Sie es sich zur Regel, physikalisch-chemische Zusammenhänge auf dem Wege der Plausibilitätsbetrachtung mit den eigenen anschaulichen Mitteln zu deuten und in den Bestand vorhandener Alltagserfahrungen und Kenntnisse einzuarbeiten. Nutzen Sie die Gelegenheit, Grundkenntnisse der verschiedensten Art - insbesondere solche chemischer, physikalischer und mathematischer Natur - aufzufrischen. Hier stellen Schulbücher und sonstige Unterlagen aus der Schulzeit eine wichtige Hilfe dar. Um den Einstieg in die mathematische Behandlung zu erleichtern, sind in Anhang 1 einige für die Vorlesung wichtige mathematische Sachverhalte zusammengefasst. Für die laufende Beschäftigung mit dem Stoff ist mindestens eine volle Zeitstunde pro Vorlesungsstunde zu veranschlagen (zusätzlich zur Vorlesungszeit)! Ziel sollte es sein, ein Handwerkszeug (besser Kopfwerkzeug) für die physikalisch-chemische Analyse der vielfältigen Welt der Erscheinungen zu erwerben. Dazu muss man eigenständig üben. Also: Übungsaufgaben selbstständig lösen! Sie können hinterher immer noch in der (auf dem Netz zugänglichen) Musterlösung nachschauen. Um die Anwendung der theoretischen Verfahren an zusätzlichen Beispielen zu illustrieren, wird an verschiedenen Stellen des Manuskripts auf durchgearbeitete Beispiele verwiesen, die in Anhang 2 zusammengefasst sind. Viel Erfolg bei der Beschäftigung mit der physikalischen Chemie, H.-H. Kohler (Wintersemester 2004/2005) Diesen Vorbemerkungen möchte ich nur noch hinzufügen, dass eine aktive Mitarbeit sich auch dadurch zeigt, dass Sie, wenn Sie etwas nicht verstanden haben, nachfragen und um eine für Sie verständlichere Erläuterung bitten. Trauen Sie sich deshalb, Fragen zu stellen. G. Schmeer (Wintersemester 2006/2007)

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A Grundlagen der Chemischen Reaktionskinetik

A.1. Allgemeines Die chemische Reaktionskinetik ist ein Teilgebiet der physikalischen Chemie und befasst sich mit der Untersuchung des Zeitverhaltens chemischer Reaktionen und physikalischer Prozesse in Molekülen und Atomen. Die chemischen Reaktionen sind stets mit einer Änderung der Struktur (Konfiguration und Konformation) von Teilchen verknüpft, wobei diese Strukturänderungen primär eine Energieaufnahme erfordern, durch die die Reaktionspartner in einen reaktiven Zustand gebracht werden, von dem aus dann die eigentliche Reaktion erst ablaufen kann. Die gesamte Reaktion selbst kann stark exotherm sein. Die Energieübertragung kann über Elektro-nen, Atome, Moleküle aber auch über Phononen oder Photonen erfolgen. Die Dynamik solcher Prozesse ist außerordentlich groß; nimmt man als Zeitmaß die Halbwerts-zeit τ bei der eine Reaktion zur Hälfte abgelaufen ist, so umfasst die Gesamtheit aller bekannten chemischen Prozesse den Zeitbereich von . 14 1210 10 sτ− ≤ ≤

Reaktionen

Zeitskala chemischer Reaktionen

Messmethoden

PolymerisationenDiffusion

Elektrochemie

Relaxation

ESR NMR

OH + HATP- 3-

OH + H- +

CH CO C H + OH3 2 2 5-

SO + H O2 2

Ni + SO+ 2-4

I + S O- 2-2 8

Be + SO+ 2-4

log( )t

GeologischeProzesse

Festkörper-reaktionen

-12 -9 -6 -3 0 3 6 9 12

Prozess Geschwindigkeit Dauer

Geologische Prozesse sehr langsam d bis ka Reaktionen der organischen und anorganischen Chemie mittel ms bis h

Reaktionen zwischen Ionen sehr schnell ns bis s

Enzymreaktionen sehr schnell μs

Innermolekulare Prozesse sehr schnell bis extrem schnell fs bis ns

Die Untersuchungsmethoden müssen natürlich jeweils den experimentellen Anforderungen ent-sprechen, wie in einer Übersicht in Abbildung 1 zu sehen ist, in der auch charakteristische Reak-tionen zu den einzelnen Zeitbereichen angeben sind. Die direkten Ergebnisse der reaktionskinetischen Beobachtungen gelten für das gesamte reagie-rende System im makroskopischen Maßstab. Zu ihrer exakten Registrierung und ihrer Interpre-tation müssen geeignete Strategien entwickelt werden: • Es werden makroskopisch gültige Zeitgesetze gesucht, die den Reaktionsablauf exakt

beschreiben. Diese Zeitgesetze beschreiben entweder die Reaktionsgeschwindigkeit (Diffe-

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rentielle Zeitgesetze) oder die Zeitabhängigkeit der Mengen der Reaktionspartner (integrale Zeitgesetze).

• Es werden Methoden gesucht, die eine exakte Beobachtung des Reaktionsablaufes erlauben. • Aus der Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit wird die energetische Bilanz

gezogen. Je nach der Komplexität des Reaktionsgeschehens können sehr verschiedene Tem-peraturabhängigkeiten beobachtet werden:

T

RG

T

RG

k = k0exp[-Ea/RT]

Normalfall (Arrhenius) Anti-Arrhenius bei

komplizierter Reaktionsfolge

T

RG

T

RG

Enzymreaktionen Oszillationen bei Verbrennung von Kohlenwasserstoffen

T

RG

Kettenreaktionen mit

Explosionsgrenze • Es wird der Einfluss weiterer Parameter wie Druck (Aktivierungsvolumen), Lösungsmittel,

Salzkonzentration, Substituenten, Katalysatoren, Enzyme, Isotopen, konkurrierende Reakti-onspartner etc. auf die Reaktion untersucht.

• Alle möglichen Reaktionsprodukte müssen bezüglich ihrer chemischen Eigenschaften und ihrer Konzentrationsverteilung untersucht werden.

• Die Gleichgewichtskonstanten reversibler Reaktionen müssen bestimmt werden.

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A.2. Die Reaktionsgeschwindigkeit In den einleitenden Betrachtungen wurde der Begriff "Reaktionsgeschwindigkeit" verwendet, ohne sich über seine Bedeutung Rechenschaft abzulegen. Im einfachsten Falle ist bei Reaktionen in homogener Phase (2.1) A B C D+ → +eine erste Definition der Reaktionsgeschwindigkeit durch die zeitliche Änderung der Mengen der an der Reaktion beteiligten Komponenten gegeben:

d d

oder d dA

n

n nv

t t= − = C

nv (2.2)

Da die Menge an A während der Reaktion abnimmt, muss der Differentialquotient mit -1 multip-liziert werden, um eine positive Reaktionsgeschwindigkeit zu erhalten. Da in homogener Phase das Volumen während der Reaktion konstant bleibt, kann die oben definierte Reaktionsge-schwindigkeit durch das Volumen dividiert werden. Darüber hinaus muss auch noch die Stöchi-ometrie der Reaktionsgleichung berücksichtigt werden, + ⎯⎯→ +A B C DA B Cν ν ν ν D (2.3)

so dass eine endgültige Definition der Reaktionsgeschwindigkeit in flüssiger, homogener Phase gegeben ist mit

d d d1 1 1 1

vd d dA B C

B C DA

c c c

t t tν ν ν ν= − = − = =

d

dDc

t. (2.4)

Als Beispiel sei die folgende Reaktion angegeben:

2

22 NO + Br 2 NOBr

dd1- -2 d d 2 d

BrNO NOBrcc

t t

= =d1 c

t

(2.5)

Es existiert danach für alle Reaktionspartner nur eine Reaktionsgeschwindigkeit. In der Gasphase verwendet man den Partialdruck als Konzentrationsmaß: (2.6)

i ip c RT=

Bei Reaktionen in oder mit festen Phasen stößt die Festlegung der Reaktionsgeschwindigkeit als Änderung der Teilchenzahl in der Zeiteinheit auf Schwierigkeiten. Hier sind andere Definitionen günstiger, wie z.B. Massenänderungen, Oberflächenänderungen oder Volumenänderungen. Schließlich ist es – vor allem in der technischen Anwendung – üblich, physikalische Variable als Konzentrationsmaß zur Festlegung der Reaktionsgeschwindigkeit zu wählen.

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A.3. Die Zeitgesetze der chemischen Kinetik

A.3.1. Die Ordnung einer Reaktion Aus der beobachteten Variation der Konzentrationen der Reaktionspartner lässt sich ein funktio-naler Zusammenhang zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit und den Konzentrationen der Reaktionspartner zu einem gegebenen Zeitpunkt bestimmen. Diese Funktion - das differentielle Zeitgesetz - hat immer die Form einer oder eines Systems gewöhnlicher Differentialgleichung, wobei nun eine Klassifizierung der Reaktion nach ihrer Ordnung möglich ist, wenn als Ordnung der Reaktion die Summe aller Exponenten der im differentiellen Zeitgesetz auftretenden Kon-zentrationen definiert wird:

− = ⋅ ⋅ ⋅ddA

A B C

ck c c c

tα β γ (3.1)

Die Ordnung n dieser allgemeinen Reaktion ist: n α β γ= + + +… (3.2)

Die Größen α, β, γ, usw. sind Teilordnungen bezüglich der Komponenten A, B, C usw. In der Regel ist die Ordnung eine ganze Zahl, die kleiner als 4 ist. Die folgenden Gleichungen geben die am häufigsten vorkommenden differentiellen Zeitgesetzte irreversibler Reaktionen an.

dReaktion 1. Ordnung

dd

Reaktion 2. Ordnungdd

Reaktion 3. Ordnungd

AA

ABA

AB CA

ck c

tc

k c ctc

k c c ct

− = ⋅

− = ⋅

− = ⋅

(3.3)

wenn alle Reaktionspartner verschiedene Konzentrationen besitzen. Die Konzentrationsabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit ergibt sich aber nicht immer aus der Reaktionsgleichung: • Brutto-Reaktionsgleichung = Summe vieler nacheinander und parallel ablaufender

Teilreaktionen • In der Regel wird nur die langsamste Teilreaktion beobachtet A.3.2. Die Geschwindigkeitskonstante Als wesentliche Größe tritt in diesen Differentialgleichungen die Konstante k als Proportionali-tätsfaktor auf, die als Geschwindigkeitskonstante der Reaktion die spezifische Reaktionsge-schwindigkeit für c = 1 ist. Sie ist die zentrale Größe einer jeden reaktionskinetischen Untersu-chung.

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A.3.3. Reaktionen 1. Ordnung

A.3.3.1. Radioaktiver Zerfall von Atomen. Einfachster Fall einer Umwandlungsreaktion. Kein chemischer Prozess 239Pu ⎯→ 235U + 4He 2.44⋅104 a 3H ⎯→ 3He + e- 12,46 a 14C ⎯→ 14N + e- 5730 a

dd

AA

A B Cc k ct

→ +

− = ⋅

Zeitgesetz stimmt mit Umsatzreaktion überein. Angegeben sind die Halbwertszeiten des Zerfalls (Siehe später!).

A.3.3.2. Intramolekulare Hydridverschiebung

dd

AA

A Bc k ct

− = ⋅

Einfache chemische Reaktion. Zeitgesetz stimmt mit Umsatzreaktion überein

A.3.3.3. Saure Esterhydrolyse

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dd

AA

A B C D Bc k ct

+ → + +

− = ⋅

Katalytische Wirkung des Hydronium-Ions (B). Zeitgesetz stimmt nicht mit Umsatzreaktion überein. Katalysator verändert die Reaktionsge-schwindigkeit, erscheint aber nicht im Zeitgesetz.

A.3.3.4. Landoldt-Reaktion

2

2 82

2 8

2 22 8 4 2

2 22 2 3 4 6

2 2d

undd

2 2

S OS O I

S O I SO Ic

k c ct

I S O I S O

− −

− − −

− − −

+ → +

− = ⋅ ⋅

+ → +

Komplizierte Radikalreaktion. Zeitgesetz stimmt nicht mit Umsatzreaktion überein A.3.4. Reaktionen 2. Ordnung

A.3.4.1. Basische Esterhydrolyse

dd

AA B

A B C Dc k c ct

+ → +

− = ⋅ ⋅

Zeitgesetz stimmt mit Umsatzreaktion überein.

A.3.4.2. Bildung von Jodwasserstoff in der Gasphase

2 2H I 2 H+ → I

2

dd

AA B

A B Cc k c ct

+ →

− = ⋅ ⋅

Diese Reaktion wurde lange Zeit als typische Reaktion 2.Ordnung in der Gasphase angesehen, wobei sich erst später herausstellte, dass die Reaktion nur zufällig im Rahmen der Messgenauig-keit mit dem postulierten Zeitgesetz übereinstimmt.

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A.3.4.3. Bildung von Bromwasserstoff in der Gasphase

2 2H Br 2 HB+ → r

2 2

2

2

dd /

H BrHBr

HBr Br

A B C

k c cct m c c

+ →

⋅=

+

komplizierter Radikalmechanismus. Zeitgesetz stimmt überhaupt nicht mit Umsatzreaktion über-ein. A.3.5. Komplizierte Reaktionen

A.3.5.1. Assoziatbildung von Ionen

2H O2+ 2-4 4Me + SO MeSO⎯⎯⎯→

Assoziation von Metallkationen an Sulfationen in Wasser mit mehreren Assoziationsschritten, Abspaltung von Wasser aus Hydrathülle. Hier beobachtet man 6 Prozesse 1.Ordnung, die den einzelnen Schritten der Ionenpaarbildung aus den hydratisierten Ionen entsprechen.

A.3.5.2. Polymerisation Initiierung ⇒ Polymerisationsstart ⇒ Folge von vielen Kettenwachstumsschritten Radikalische Polymerisation, ionische Polymerisation, Polyaddition, Polykondensation

A.3.5.3. Gekoppelte Reaktionen in der Atmosphäre Ozon-Abbau durch Chlorhaltige Substanzen

3 2

3 2

R Cl R ClCl O ClO O

ClO O Cl O

− → ⋅ +⋅ + → ⋅ +⋅ + → ⋅ +

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A.3.5.4. Vielstufige Biochemische Reaktionen Sehprozess: Biologisch aktive Substanz ist Rhodopsin: Schiff-Base aus Retinal und Opsin (Protein) Lichtempfindliche Isomerisierungsreaktion h⋅ν 11-cis-Retinal all-trans- Retinal Absorptionsmaximum: 500 nm, Halbwertszeit: ca 5ps ΔG(11-cis-Retinal) > ΔG(all-trans-Retinal) • Isomerisierung vergrößert das Dipolmoment der Betainstruktur ⇒ Konformationsänderun-

gen des Proteins und der Zell-Membranstruktur des Zäpfchens. • Anschließend komplizierte Folge von biochemischen Dunkelreaktionen bis zur Nervenrei-

zung und Signalübertragung • Durch Energie des Stoffwechsels geförderte Rückbildung des 11-cis-Rhodopsins über viele

Stufen innerhalb von 5 min Enzymreaktion: Proteinspaltung mit Proteasen (Hydrolyse von Amiden) Proteasen enthalten die über Wasserstoffbrücken gekoppelte Triade Serin (Ser 195), Histidin (His 57) und Asparaginsäure (Asp 102), die gemeinsam Peptide (Proteine) bzw. Ester spalten können. Die Bruttoreaktion der Amidhydrolyse lautet

R C N R'

O

+ H O H

H

R C N R'

O

H

O H H+

Diese Reaktion ist in Wasser ohne Katalysator extrem langsam.

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Die Enzym-katalysierte Reaktion verläuft in mindestens 5 Schritten 1. Schritt: Nukleophiler Angriff des Serins und Bildung eines Zwischenproduktes

⇒ 2. Schritt: Spaltung der N-C-Bindung und Bindung des Amins an Histidin über H-Brücke 3. Schritt: Eliminierung des Amins durch Wasser 4. Schritt: Nukleophile Anlagerung von Wasser an Carbonylkohlenstoff 5. Schritt: Abspaltung der Carboxylgruppe

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Durch die konzertierte Aktion von Serin und Histidin wird die Carbonamidmesomerie im Amid aufgehoben. Das tetraedrische Zwischenprodukt passt exakt in die reaktive Tasche der Protease

Die durch Proteasen katalysierte Proteinspaltung läuft um den Faktor 1010 schneller als die unkatalysierte Reaktion ab. Farbige Zeichnungen: D.Voet, J.G.Voet, Biochemie, VCH, Weinheim, 1992

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A.3.5.5. Populationsdynamik, Ausbreitung von Krankheiten Die Populationsdynamik ist ein Prozess, bei dem selbstverstärkende (autokatalytische) und hemmende Prozesse zusammenspielen. Hier kann es zum Verschwinden von Populationen, zum stationären Zustand in Populationsdichten oder auch zu Oszillationen in der Populationsdichte führen. Ähnliche komplizierte Prozesse sind auch in der Chemie beobachtbar (Belousov-Shabotinsky –Reaktion)

A.3.5.6. Zusammenfassung Es gibt also keine allgemeingültige Regel zur Aufstellung der Zeitgesetze von den Umsatzglei-chungen her, so dass die Aufstellung des Zeitgesetzes das Ergebnis und nicht der Anfang der Untersuchung einer chemischen Reaktion ist.

• Aus den kinetischen Messungen können in der Regel verschiedene Zeitgesetze formuliert werden, die mit allen Beobachtungen der Kinetik und der notwendigen Zuatzmessungen in Einklang gebracht werden müssen. Dann sollte das einfachste System von Zeitgeset-zen verendet werden.

• Es ist immer davon auszugehen, dass eine beobachtete Reaktion aus mehreren Teilschrit-ten bestehen kann.

• Die so erhaltenen Zeitgesetze beschreiben die makroskopische Zeitabhängigkeit der Kon-zentrationen der Reaktionspartner und sind damit von makroskopischen Parametern des gesamten Systems abhängig (Druck, Temperatur, elektrische Spannung, Konzentrationen weiterer Komponenten u.a.).

• Es ist notwendig, für eine Reaktion je nach Reaktionsbedingungen verschiedene Zeitge-setze zu formulieren.

• Das wesentliche Ergebnis eines kinetischen Experimentes ist die Bestimmung der Geschwindigkeitskonstante k und deren Abhängigkeit von systemspezifischen Parame-tern (T, p, pH, Katalysatorkonzentrationen u.a.)

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A.4. Reaktionen 1. Ordnung

A.4.1. Irreversible Reaktionen 1. Ordnung

A k⎯⎯→ B (4.1) Die differentiellen Zeitgesetze lauten:

d dd d

A BA

c ck c k ct t A= − ⋅ = ⋅ (4.2)

Es ist zu beachten, dass die Reaktionsgeschwindigkeit eines jeden Reaktionsschrittes - auch bei komplizierten Reaktionen - nur von der Konzentration der Edukte abhängt. Die Geschwindig-keitskonstante k der Reaktion 1. Ordnung hat die Dimension s-1. Die Summe der beiden Zeitgesetze liefert:

0d d 0d d

teA BA B

c c c c c ct t+ = ⇒ + = = A (4.3)

Die Gesamtheit der unabhängigen Zeitgesetze einer jeden Reaktion muss das Gesetz der Men-generhaltung ergeben. Hiermit lässt sich eine Umsatzvariable x (auch Skrabal-Variable genannt) formulieren:

0 d dd;d d d

B AA A

c cxx c ct t

= − = = −t

Es resultiert nur noch eine einzige Differentialgleichung für die irreversible Reaktion 1.Ordnung:

0d (d Ax k c xt

)= ⋅ − (4.4)

Diese homogene, gewöhnliche lineare Differentialgleichung erster Ordnung lässt sich nach Trennung der Variablen

0

d d( )A

x k tc x

=−

(4.5)

integrieren. Die Integration beider Seiten ergibt die allgemeine Gleichung mit der Integrations-konstanten C 0ln( )Ac x kt C− − = + , (4.6)

die sich aus den Anfangswertbedingungen, die das Experiment festlegt, ergibt: (4.7) 00 : 0 ln At x c= = ⇒ − =C

Hiermit ergeben sich die Integralen Zeitgesetze für beide Reaktionspartner:

0

0 0

0 0

0 0

ln ln

e

(1 e )

A A

A Akt

A A Akt

B A A A

c x c ktc c

c c x c

c x c c c

−= = −

= − = ⋅

= = − = −

(4.8)

Die Funktion cA(t), das integrale Zeitgesetz, ist eine monoton fallende Kurve. Die Konzentration an B ist das Komplement zu A.

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t

c

c

c

B

A

Ac0

τ

A B

Irreversible Reaktion 1. Ordnung

Die Zeitkonstante τ einer Reaktion 1. Ordnung ist der Kehrwert der Geschwindigkeitskonstante

τ = 1/k. Der Schnittpunkt beider Kurven entspricht dem halben Umsatz an A und B. Die zugehörige Zeit ist die Halbwertszeit 1 2tΔ , die in definierter Weise mit der Geschwindigkeitskonstante zusam-

menhängt. cA = cB = cA0 /2

0 0 0

1 20 0

/ 2ln lnA A A

A A

c x c ckt k tc c− −

= − ⇒ = − Δ

1 21 2

ln 2ln 2 k t kt

= Δ =Δ

(4.9)

Die Halbwertszeit ist damit unabhängig von der Anfangskonzentration, so dass die Zeit bis zum 3/4-Umsatz doppelt so groß wie die Halbwertszeit ist usw. Es ist also möglich, aus dem Abstand der jeweiligen Halbwertszeiten der entsprechenden Umsatzkurve festzustellen, ob eine Reaktion erster Ordnung ist, wenn diese Abstände konstant sind. Weiterhin lässt sich aus der so bestimm-ten Halbwertszeit ein erster Wert für die noch unbekannte Geschwindigkeitskonstante bestim-men. Die exakte Ermittlung der Geschwindigkeitskonstante sollte aus dem gesamten, möglichst lange gemessenen Kurvenverlauf erfolgen, wobei mindestens vier Halbwertzeiten gemessen werden sollte, was einem Umsatz von 92.75% entspricht. Abweichungen von einem postulierten Zeitgesetz machen sich nämlich immer erst bei hohen Umsätzen bemerkbar. Für den Zusam-menhang zwischen n Halbwertzeit und dem Verbrauch V gilt folgendes:

( )1/ 2 1/ 2A 1/ 2

A

( ) 1 1e e(0) 2 2

nnn k t k t

n

c n tVc

− Δ − ΔΔ ⎛ ⎞= = = = ⎜ ⎟⎝ ⎠

=

Tabellarische Darstellung dieses Sachverhalts:

n 1 2 10 20 30 0

A Ac c 0,5 0,25 ≈ 10-3 ≈ 10-6 ≈ 10-9

Demnach ist die Konzentration nach 10 Halbwertszeiten auf ca. 1/1000 des Anfangswertes abge-sunken. Man betrachtet eine Reaktion daher in der Praxis häufig nach 10 Halbwertszeiten als beendet. Falls an einer Reaktion weiter Reaktionspartner P beteiligt sind,

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(4.10) kA P+ ⎯⎯→ Bderen Konzentration cP sehr viel größer als die der Edukte A ist, oder deren Konzentration wäh-rend der Reaktion durch Hilfsgleichgewichte konstant bleibt, geht deren Konzentration nicht in das differentielle Zeitgesetz ein. So ist bei vielen Reaktionen in Wasser das Wasser selbst betei-ligt, die Konzentration von Wasser (cWasser = 55,5 mol dm-3) aber um viele Zehnerpotenzen grö-ßer als die der Reaktanden, so dass die Wasserkonzentration als konstant angesehen wird.

A.4.1.1. Bestimmung der Geschwindigkeitskonstante k Das Ziel einer kinetischen Messung ist primär die Bestimmung der Geschwindigkeitskonstante k. Hierzu existieren mehrere Möglichkeiten:

• Bestimmung aus der Halbwertszeit: ln 2kτ

=

• Nach 0

0

1 ln A

i A

ckt c x

=− i

lässt sich aus jedem Wertepaar (ti ,cA,i) ein Wert für k berechnen.

• Der Mittelwert über alle k aus vielen Wertepaaren ist die gesuchte Größe. • In der linearen Auftragung

0 0

0,

ln bzw. lnA Ai i

iA A

c ckt kt

c x c= =

−i

ist die Geschwindigkeitskonstante die Steigung der Geraden. Die Form der Auftragung gibt Aufschluss über die Güte der Messung und die Entscheidung, ob die Reaktion exakt erster Ordnung ist. In allen anderen Fällen weichen die gemessenen Punkte am Ende der Auftragung von der Geraden ab.

+ + ++ + +

+ + +++

+

0

t

lnccA

A0

m = - k

• Lineare Optimierung des integralen Zeitgesetzes. Die lineare Optimierung ist mit den gängigen Taschenrechnern durchführbar. Sie liefert die Steigung, den Achsabschnitt und den Korrelationskoeffizienten.

A.4.1.2. Konzentrationsbestimmung Die Messgrößen der chemischen Reaktionskinetik sind einerseits die Zeit t und andererseits alle oder zumindest eine der Konzentrationen der an der Reaktion beteiligten Komponenten, ci . Die Bestimmung der zeitabhängigen Konzentrationen erfordert besondere Aufmerksamkeit, da der analytische Vorgang wesentlich schneller als die chemische Reaktion ablaufen muss.

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A.4.1.3. Konzentrationsbestimmung durch Titration Bei sehr langsamen Reaktionen bereitet dies keine Schwierigkeiten. Bei schnelleren Reaktionen aber muss man entweder die chemische Reaktion in der Titrationslö-sung unterdrücken – entweder durch Zugabe eines Überschusses an Titrator und Rücktitration oder durch sehr starkes Abkühlen.

A.4.1.4. Konzentrationsbestimmung über physikalische Messgrößen Die Konzentrationen können durch zu ihnen proportionale Messgrößen bestimmt werden.

oderi i i i i i

i

s c A s n A

s s

= ⋅ =

=∑⋅

(4.11)

In der folgenden Tabelle sind einige häufig gebrauchte Meßmethoden angegeben.

Methode Funktion Optische Extinktionsmessung bei licht-absorbierenden Substanzen

;i i i iE c l E Eε= ⋅ ⋅ = ∑

Konduktometrie in elektrolythaltigen Lösungen

0,001 ;i i ic iκ λ κ= ⋅ ⋅ = ∑κ

Messung der optischen Drehung optisch aktiver Substanzen [ ] ;i ii c iα α α= ⋅ = α∑

Druckmessung in Gasgemischen / ;i ip n R T V p p= ⋅ ⋅ = ∑ i

Wärmemessung (Reaktionswärmen) ;i i iH n H H H= ⋅ = i∑

Temperaturmessung (Reaktionswärme) ( / pT H C )Δ = Δ

EMK oder pH Red0

Ox

lniRT cE EnF c

= −

Volumenmessung, Dilatometrie ;i i iV n V V V= ⋅ = i∑ Die physikalischen Messgrößen haben gegenüber der direkten Konzentrationsbestimmung den großen Vorteil, dass sie beliebig schnell und direkt in der Reaktionslösung bestimmt werden können und dann als elektrisches Messsignal in beliebig großer Wiederholung vorliegen, wäh-rend in einer Reaktionslösung höchstens 20 einzelne Titrationen durchgeführt werden können. Ein Nachteil der physikalischen Messgrößen ist aber, dass sie stets eine Eigenschaft der gesam-ten Reaktionslösung bestimmen, aus der durch zusätzliche Messungen vor und nach der chemi-schen Reaktion die eigentlich zu den Konzentrationen proportionalen Größen bestimmt werden können. Zu Beginn der Reaktion (t = 0) beobachtet man den Wert s0, während der Reaktion den Wert s(t) und am Ende den Wert s∞. Mit diesen drei Größen gilt:

(4.12)

00

0

0

0

und mit

( )

g A A

g B B BA A A A

g B BA A A

g B A

s s A c

s s A c A c c c c

s s A A c A c

s s A c∞

= +

= + + = +

= + − +

= +

Hieraus lassen sich die folgenden Differenzen bilden:

18

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0 0 00

0 00

( )

( ) ( ) ( )

( )

BA A ABA

B B B B BA A A A ABA

BA A ABA

s ss s A A c c

A As s

s s A A c A A c A A c cA A

s ss s A A c c

A A

∞∞

∞∞

−− = − ⇒ =

−−

− = − − − = − ⇒ =−

−− = − ⇒ =

(4.13)

Aus diesen Formeln ist ersichtlich, dass eine physikalische Messung nur dann sinnvoll ist, wenn die Proportionalitätskoeffizienten der beiden Komponenten unterschiedlich sind, da sonst keine Änderung der Messgröße während der Reaktion auftritt; es sollte sogar nur unter solchen Bedin-gungen gearbeitet werden, bei denen die Differenz ( maximal ist. Nach Einsetzen in das integrale Zeitgesetz ergibt sich:

)BA

A A−

00

ln lnA

A

c s skt

c s s∞

−= =

−− (4.14)

Zur quantitativen Auswertung ist die Kenntnis von s∞ notwendig - nicht aber unbedingt s0, da dieser Ausdruck nur in einer Konstanten erscheint. Die Bestimmung von s∞ nach möglichst lan-ger Zeit in der Reaktionslösung - mehr als 8 Halbwertszeiten - kann Probleme bereiten, wenn Folgereaktionen auftreten, oder wenn die Reaktionsmischung nicht genügend thermostatisiert ist. Wenn s∞ nahezu Null ist, vereinfacht sich Gleichung (4.14) zu

= =−00

ln lnA

A

c skt

c s (4.15)

so dass hier das Mess-Signal direkt anstelle der Konzentration verwendet werden kann. In den anderen Fällen müssen kompliziertere Auswertemethoden verwendet werden, die bei den ent-sprechenden Praktikumsversuchen erläutert werden.

A.4.1.5. Zusammenfassung der irreversiblen Reaktionen 1. Ordnung • Eine (Verbrauchs-)Reaktion 1. Ordnung liegt vor, wenn Teilchen eines Stoffes A einzeln

und unter gleich bleibenden Bedingungen zu anderen Teilchen reagieren. • Bei der Reaktion 1. Ordnung ist die zeitliche Änderung zur momentanen Konzentration pro-

portional. Für das integrale Zeitverhalten ergibt sich eine abfallende Exponentialfunktion. • In gleichen Zeiten nimmt die Konzentration (bei gegebener Geschwindigkeitskonstante)

immer auf denselben Bruchteil ab. • Die reziproke Geschwindigkeitskonstante ist eine Zeit, die als Zeitkonstante (τ) bezeichnet

wird. Sie ist zugleich die mittlere Lebensdauer eines Teilchens. Innerhalb der Zeit τ fällt die Konzentration auf den Bruchteil des Ausgangswertes ab. 1e 0,3− ≈ 7

• Für die Halbwertszeit gilt 1/ 2 ln 2 0,69t τ τΔ = ⋅ ≈ .

19

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A.4.2. Irreversible Parallelreaktionen 1. Ordnung

A

B

C

k

k

1

2

Die differentiellen Zeitgesetze lauten:

1 2 1 2

1

2

d( )

dd

d d dddd

AA A A

BA A

CA

ck c k c k k c

tc

k c c c ctc

k ct

⎫⎪⎪= − − =− + ⎪⎪⎪⎪⎪⎪= +⎬⎪⎪⎪⎪⎪= ⎪⎪⎪⎭

0B C+ = (4.16)

Und da B und C simultan gebildet werden:

1

2 2

ddB B

C C

c k c kc k c k

∞= ⇒ = 1 (4.17)

Die Lösung des differentiellen Zeitgesetzes für A liefert das integrale Zeitgesetz

0

1 2ln ( )A

A

ck k t k

c= + = t (4.18)

Die entsprechende Auswertung

lncA

t

m = - k + k( )1 2

ergibt nur die Summe beider Geschwindigkeitskonstanten. Zusammen mit dem Konzentrations-verhältnis der beiden Reaktionsprodukte erst sind beide Geschwindigkeitskonstanten zugänglich. Hier tritt zum ersten Mal das Problem auf, dass die kinetische Messung allein nicht genügend Information zur vollständigen Auswertung des Experimentes liefert. Für die Halbwertszeit 1/ 2tΔ der Parallelreaktion 1.Ordnung gilt auch 1/ 2ln 2 /k t= Δ . Damit folgt

1/ 2 1/ 2 1 1/ 2 2

1 1 1( ) ( )t t t= +

Δ Δ Δ (4.19)

Bei Parallelreaktionen 1. Ordnung addieren sich die Halbwertszeiten der Teilreaktionen in rezip-roker Weise zur Gesamthalbwertszeit auf.

20

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Beispiel: 131 im Körper ( Strahler) I -, -β γ

131 I(im Körper)

Zerfall ( 131Xe )

Ausscheidung

1k

2k

physikalische Halbwertszeit: 1/ 2 1( ) 8tΔ ≈ d

dbiologische Halbwertszeit: 1/ 2 2( ) 140tΔ ≈Für die Gesamthalbwertszeit ("effektive Halbwertszeit") der Abnahme der Jodkonzentration ergibt sich 1/ 2 7,6 dtΔ ≈ . Die Ausscheidung hat wegen ihrer vergleichsweise großen Halbwertszeit also nur geringen Ein-fluss auf die effektive Halbwertszeit ( 1/ 2 1/2 1( )t tΔ ≈ Δ ).

21

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A.4.3. Reversible Reaktionen 1. Ordnung

A Bk

k

12

21 Die differentiellen Zeitgesetze lauten:

12 21

12 21

d

d d dd

d

ABA

BAB

BA

ck c k c

t c cc

k c k ct

⎫⎪⎪= − + ⎪⎪⎪ + =⎬⎪⎪= − ⎪⎪⎪⎭

0 (4.20)

Die Reaktion läuft so lange, bis sich das Gleichgewicht eingestellt hat

12 21

d0

dA

BA

ck c k c

t= = − + (4.21)

Dies entspricht dem Massenwirkungsgesetz

12

21

B

A

ckK

k c= = (4.22)

Mit folgenden Bedingungen

0

0

0

0 : ,

: ,

: ,

oA A B B

oA A B B

oA A A B B B

A B

t c c c c

t c c x c c x

t c c c x c c c

dc dc dxdt dt dt

= = =

= − = +

= ∞ ⇒ = − ⇒ = +

− = =

x

lässt sich das Differentialgleichungssystem schreiben als

012 21

d( ) (

doA B

xk c x k c x

t= − − + ) (4.23)

Im Gleichgewicht gilt: 0

12 210 ( ) (oA Bk c x k c x= − − + ) (4.24)

Die Subtraktion der Gleichungen (4.23) von (4.24) liefert:

12 21 12 21

d( ) ( ) ( )(

dxk x x k x x k k x x

t= − + − = + − ) (4.25)

Dies ist wieder eine homogene Differentialgleichung 1. Ordnung die sich leicht lösen lässt, wenn im Gleichgewicht die Konzentration x vorhanden ist.

12 21ln ( )x

k kx x

= +−

t (4.26)

Auch hier liefert die entsprechende kinetische Auftragung nur die Summe der beiden Geschwin-digkeitskonstanten. Erst nach der Bestimmung der Konstanten K sind beide Werte k12 und k21 erhältlich.

22

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A.4.4. Konsekutivreaktionen 1. Ordnung Häufig sind chemische Reaktionen aus mehreren Teilreaktionen kombiniert. So kommt es häufig vor, dass ein Ausgangsprodukt A in einer reversiblen Reaktion das Zwischenprodukt B bildet, das selbst zu C weiterreagiert.

1 2

1

k k

kA B

⎯⎯→ ⎯⎯→←⎯⎯ C Die differentiellen Zeitgesetze lauten hier:

1 1

1 1 2

2

dddddd

AA B

BA B

CB

ck c k c

tc

k c k c k ctc

k ct

= − +

= − −

=

B

Ac

(4.27)

Die Mengenerhaltung ergibt: 0d d d 0A B C A B Cc c c c c c const+ + = + + = =

Dieses Gleichungssystem macht Schwierigkeiten beim Lösen. Allgemein ist zu beobachten, dass A (blau) exponentiell abnimmt, B (rot) zuerst zunimmt und nach einem Maximum wieder ver-schwindet, und dass C (schwarz) zuerst langsamer als B und nach einem Wendepunkt exponen-tiell bis zum maximalen Wert ansteigt

Falls aber die Bildung von B aus A langsam erfolgt, und B selbst dann schnell entweder wieder zu A zurückfällt oder zu C weiterreagiert (k-1, k2 >> k1), ist der zeitliche Konzentrationsverlauf der folgende (blau: A, rot: B, schwarz: C)

23

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Die Konzentration an B steigt in der Induktionsperiode zuerst an und fällt dann wieder ab und bleibt auf einem sehr kleinen Niveau gegenüber den anderen Konzentrationen. Deshalb kann für B ein quasistationärer Zustand angenommen werden.

1 1 2

d0

dB

A B B

ck c k c k c

t −= − − = (4.28)

Damit kann die Konzentration an B direkt angegeben werden:

1

1 2B A

kc c

k k−

=+

(4.29)

Einsetzen in Gleichung (4.27) liefert:

1 1 1 21

1 2 1 2

1 2

1 2

dd

dd

AA A

CA

c k k kk c c c

t k k k

c k kc

t k k

− −

= − + =−+ +

=+

A

kk

(4.30)

Mit der Konstanten 1 2

1 2

k kkk k−

=+

wir daraus eine einfache Reaktion erster Ordnung

kA C⎯⎯→ mit dem integralen Zeitgesetz

0ln A

A

c ktc

= − (4.31)

Einerseits zeigt dieses Ergebnis, dass eine einfache Reaktion 1. Ordnung auch eine Folge von Reaktionen sein kann, wobei nur der langsamste Reaktionsschritt für die Gesamtreaktion maß-geblich ist. Falls nämlich k2 > k-1 ist, ergibt sich für die Geschwindigkeitskonstante k: k = k1. Dieser Ansatz des reaktiven Zwischenproduktes im quasistationären Zustand wird für alle Radi-kalreaktionen und auch bei Enzymreaktionen für den Enzym-Substrat-Komplex angenommen.

24

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A.4.5. Autokatalytische (oder Wachstums-)Reaktion 1. Ordnung

Kinetischer Ansatz und integrale Zeitabhängigkeit: Bisher wurde stillschweigend vorausgesetzt, dass jeder Soff nur auf einer Seite des Reaktionsge-schehens, nicht aber auf der beiden Seiten erscheint. Jetzt aber nehmen wir auch an, dass für ein auf der Eduktseite verbrauchtes Teilchen von A auf der Produktseite zeitgleich Teilchen A entstehen. Daher ergibt sich statt Gl.

ν(4.10)

A sonstige Edukte A sonstige Produkte ν+ → ⋅ + (4.32) konst. Konz.

Jeder Reaktionsakt führt netto somit zur Bildung von ν -1 Teilchen von A. Bei bewirkt die Reaktion eine Zunahme der Teilchenzahl von A. In der Terminologie der klassischen chemi-schen Kinetik handelt es sich dann um eine autokatalytische Reaktion von A, in der Termino-logie der Populationsdynamik um eine Wachstumsreaktion

ν > 1

1. Bei einer Wachstumsreaktion kann A beispielsweise eine biologische Spezies oder eine Zelle sein2, zu den sonstigen Edukten gehören dann die Nahrungsstoffe. Hinsichtlich der Zahl N der Reaktionsakte (Vermehrungsakte) kann man ähnlich wie bei der irreversiblen Reaktion argumentieren. Für die Zahl dN/V der Reaktionsakte während der Zeit dt erhält man mit der Proportionalitätskonstanten k’ den Ausdruck AdN V k c t′ d= . Da ein Reakti-

onsakt zur Bildung von ν -1 Teilchen von A führt, ist die Änderung der Teilchenzahl von A gegeben durch d ( 1)dAc N Vν= − bzw.3

d ( 1)Ac k c dA tν′= − (4.33)

Wenn man voraussetzt, dass jetzt ν >1 ist, ist der Vorfaktor k k ( 1′ )= ν −

dA t positiv. Mit

d ( 1)Ac k cν′= − erhält man:

d mit 0dA

Ac k c kt = > (4.34)

Dies ist bis auf das Minuszeichen formal mit Gl.(4.2) identisch. Man kann daher alle Beziehun-gen des Abschnitts B.3.6.1, die von Gl.(4.2) zur integralen Zeitabhängigkeit der Gl.(4.8) geführt haben, direkt übernehmen, indem man k durch -k ersetzt. Gl.(4.34) ist das differentielle Zeitge-setz der Wachstumsreaktion 1. Ordnung. Kennzeichnend ist, dass der zeitliche Zuwachs propor-tional zum Vorhandenen ist

Statt Gl. (4.8) gilt nun das integrale Zeitgesetz der Wachstumsreaktion 1. Ordnung mit exponen-tieller Zunahme

0ln A

A

c ktc

= (4.35)

Man spricht hier von exponentiellem oder unbeschränktem Wachstum. Wieder ist die Zeit-konstante oder charakteristische Zeit τ definiert durch

1kτ = (4.36)

womit Gl.(4.35) umgeschrieben werden kann in

1 Ein Katalysator ist eine Substanz, die eine Reaktion ermöglicht oder beschleunigt, aus ihr

aber unverändert hervorgeht. Autokatalyse liegt vor, wenn diese Substanz durch die Reaktion selbst vermehrt gebildet wird.

2 Natürlich stellt die Annahme gleichartiger Teilchen bzw. Individuen eine Idealisierung dar. 3 Wie es sein muss, führt = 0 wieder auf Gl.(4.2), d.h. auf die Verbrauchsreaktion 1. Ordnung. ν

25

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/A0A

e tcc

τ= (4.37)

Anstelle der Halbwertszeit Δt1/2 definiert man in diesem Fall die Verdoppelungszeit: Δt2, die definiert ist durch

A 1 2

A 1

( ) 2( )

c t tc t+ Δ

= (4.38)

Aus Gl.(4.38) folgt in formaler Analogie zur Halbwertszeit nach Gl.(4.9):

2ln 2 ln 2 0,69tk

τ τΔ = = ⋅ ≈

Beim n-fachen der Verdoppelungszeit gilt gemäß Gl.(4.38):

A 20A

( ) 2 nc n tcΔ

= (4.39)

Tabellarische Darstellung dieses Sachverhalts:

n 1 2 10 20 30 0

A Ac c 2 4 ≈ 103 ≈ 106 ≈ 109 Typische Verdoppelungszeiten in der Phase des exponentiellen Wachstums: Bakte-rien: , Pilzzellen: .2 20 mintΔ ≥ 2 6 htΔ ≥ 4

Die Tabelle zeigt, dass der Zuwachs bei großen Werten von n durch die fortlaufende Verdoppe-lung dramatische Formen annimmt. Wegen immer vorhandener Beschränkungen ist unbe-schränktes Wachstum in der Realität daher nur für eine gewisse Zeit möglich ("Grenzen des Wachstums"). Gl.(4.34) bleibt formal erhalten, wenn ein Vermehrungsprozess (Geschwindigkeitskonstante kW) und ein Sterbeprozess (Geschwindigkeitskonstante kS), beide von 1. Ordnung, parallel nebenein-ander stattfinden. Dann ergibt sich

AW A S A A

ddc k c k c k ct = − = (4.40)

also wieder eine Kinetik erster Ordnung mit der effektiven Geschwindigkeitskonstanten k = kW – kS. Ist k positiv, handelt es sich resultierend um einen Wachstumsprozess (ansteigende Exponen-tialfunktion), ist es negativ, um einen Absterbeprozess. Letzterer wird wie eine Verbrauchskine-tik durch eine abfallende Exponentialfunktion beschrieben.

5 10

4 Angenommen, eine bakterielle Infektion hat eine Latenzzeit von 24 h bei Δt2 = 20 min. In dieser Zeit werden aus einem Bakterium bei unbeschränktem Wachstum

24 60 min / (20 min) 72 212 2⋅ = ≈ ⋅ Individuen. Aus einer Pilzzelle entstehen in der gleichen Zeit aber auch unter günstigsten Bedingungen

(Δt2 = 6 h) nur ca. 24 = 16 Zellen! Daher ist die Latenzzeit von Pilzinfektionen viel größer als die bakterieller Infektionen.

26

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A.5. Reaktionen 2. Ordnung Wir betrachten den Fall, dass ein Teilchen von A mit einem Teilchen von B reagiert und die Reaktion eines solchen Paares (unbeeinflusst von anderen Teilchen von A und B) unter praktisch gleich bleibenden Bedingungen stattfindet. Ansonsten sollen analoge Bedingungen wie im vori-gen Abschnitt bei der Verbrauchsreaktion 1. Ordnung gelten. A.5.1. Irreversible Reaktionen 2. Ordnung Weder A noch B sollen als Produkte auftreten. Wir betrachten jetzt die irreversible Reaktion, die simultan von beiden Konzentrationen abhängt.

A + B k⎯⎯→ C + D (5.1)

A.5.1.1. Differentielle Zeitgesetze Die differentiellen Zeitgesetze lauten:

d

dd

dd

d

ABA

BBA

CBA

ck c c

tc

k c ctc

k c ct

= − ⋅ ⋅

= − ⋅ ⋅

= ⋅ ⋅

(5.2)

Für beide Reaktionspartner A und B gilt die Mengenerhaltung:

(5.3) 0

0

d d 0 ( )

d d 0 ( )

CA A

B C B C

c c c c

c c c c

+ = ⇒ + =

+ = ⇒ + =C A

B

c

c

Damit ist die zeitliche Änderung beider Konzentrationen gleich:

0

0

d dd dd dd dd dd d

ACA A

BB B C

CC

c xc c c a x

t tc x

c c c b xt tc x

c xt t

= − ≡ − ⇒ = −

= − ≡ − ⇒ = −

≡ ⇒ =

(5.4)

hiermit ergibt sich ein einziges differentielles Zeitgesetz:

d( ) (

dxk a x b x

t= ⋅ − ⋅ − )

A.5.1.2.

(5.5)

Integrale Zeitgesetze Die Integration dieser Differentialgleichung erfolgt nach Trennung der Variablen

dd

( ) ( )x

k ta x b x

= ⋅− ⋅ −

(5.6)

über Partialbruchzerlegung:

1( ) ( ) ( ) (

A Ba x b x a x b x

= +− ⋅ − − − )

27

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Hiermit wird:

( ) ( ) 1

( ) 0

1 11

A b x B a x

x A B A B

A b B a B Aa b a b

⋅ − + ⋅ − =

− ⋅ + = ⇒ =−

⋅ + ⋅ = ⇒ = =−− −

(5.7)

Das differentielle Zeitgesetz lautet nun:

1 1dx dxkdt

a b b x a b a x−

− − − −= (5.8)

Integration ist jetzt leicht möglich:

[ ]

1 1 1d d

( ) ( )

1ln( ) ln( ) te

x k ta b b x a x

a x b x k t Ca b

⎡ ⎤⎢ ⎥− =⎢ ⎥− − −⎣ ⎦

− − − = ⋅ +−

∫ ∫ (5.9)

Die Anfangswertbedingungen lauten: 0 : 0t x= =

und mit

[ ]1

ln ln tea b Ca b

− =−

als endgültige Lösung:

( )1

ln( )a x b

k ta b b x a

− ⋅= ⋅

− − ⋅ (5.10)

Diese Gleichung gilt in dieser Form nur, wenn die beiden Anfangskonzentrationen a und b ungleich sind. Die graphische Darstellung der integralen Zeitgesetzte ergibt:

t

c

c

c

B

A

Ac0

0cBc

C

A + B CIrreversible Reaktion 2. Ordnung

Eine Halbwertszeit ist hier natürlich nur für die Komponente mit der kleineren Konzentration definiert:

28

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/2

/2

1 ( /2)ln

( /2)

B

C

t c b x b

c x b

a b bk

a b b a

τ

τ

= = − =

= =

− ⋅= ⋅

− ⋅

1ln(2 / )

( )b a

k a bτ =

⋅ −−

1

(5.11)

Hier ist deutlich zu erkennen, dass die Halbwertszeit konzentrationsabhängig ist, und dass sie mit steigendem Umsatz zunimmt. Für die Geschwindigkeitskonstante 2. Ordnung gilt dim(k) = dim(Zeit-1 Konzentration-1). In SI-Grundeinheiten hat man entsprechend 3 1[ ] m mol sk − −= . Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten zweiter Ordnung sind nach oben durch die Geschwindig-keit begrenzt, mit der die reagierenden Teilchen aufgrund thermischer Bewegung (Diffusion) aufeinander treffen. Sind die Teilchen z.B. in Wasser gelöst und von vergleichbarer Größe, errechnet man für k bei Raumtemperatur einen Maximalwert von ca. , der durch die Temperatur T und die Viskosität η des Lösungsmittels festgelegt ist.

9 17 10 l mol s− −⋅ 1

A.5.2. Reaktionen 2. Ordnung mit gleichen Anfangskonzentrationen Für den Fall, dass die beiden Anfangskonzentrationen gleich groß sind, kann das differentielle Zeitgesetz mit gleichen Anfangskonzentrationen an A und B geschrieben werden:

=− ⋅ ⋅ = − ⋅ 2ddA

A B A

ck c c k c

t (5.12)

Trennung der Variablen:

2

ddA

A

ck t

c=− ⋅ (5.13)

Integration liefert:

1 te

A

k t Cc

− = − ⋅ + (5.14)

Die Anfangswertbedingungen sind

00

10 : te

A AA

t c cc

= = ⇒ − = C (5.15)

Als integrales Zeitgesetz ergibt sich damit:

0

0

1 1 A

A A A A

c ck t

c c c c−

− = ⋅ =⋅0A (5.16)

29

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Der Verlauf der Konzentrationen sieht so aus:

t

c

cc BA

Ac0

Reaktion 2. Ordnung

=

cC

gleiche Anfangskonzentrationen

A.5.3. Dimerisierungen Ein analoges Zeitgesetz gilt auch, wenn eine Komponente in einer Reaktion 2.Ordnung mit sich selbst reagiert (Dimerisierung):

2 A → B

2d1

2 dA

A

ck c

t− = ⋅ (5.17)

Bis auf den stöchiometrischen Faktor 2 erhält man ein identisches Ergebnis:

0

0 2A A

A A

c ck t

c c

−= ⋅

⋅ (5.18)

A.5.4. Reaktionen pseudo-1. Ordnung Falls es möglich ist, durch spezielle Prozessführung eine der beiden Konzentrationen groß gegenüber der anderen zu machen (mindestens um den Faktor 20) oder sogar konstant zu halten (Pufferlösungen, Komponentenrückführung in schneller Folgereaktion), lässt sich im allgemei-nen differentiellen Zeitgesetz 2.Ordnung die konstante Konzentration mit der Geschwindigkeits-konstante zu einer Geschwindigkeitskonstante pseudo-1.Ordnung zusammenfassen. So folgt aus Gl.(5.2) mit cB >> cA oder cB = konstant:

( ) ′= − ⋅ = − ⋅

=

′= ⋅

ddd

0ddd

AB A A

B

CA

ck c c k c

tctc

k ct

(5.19)

Hiermit wird die Reaktion zweiter Ordnung zu einer Reaktion pseudo-1. Ordnung, die mit den Gesetzmäßigkeiten der Reaktionen 1. Ordnung ausgewertet werden kann. Als Ergebnis erhält man die Geschwindigkeitskonstante k’, aus der nach

30

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B

kkc′

= (5.20)

die Geschwindigkeitskonstante 2. Ordnung erhalten wird. Man kann auch die Experimente mit verschiedenen Konzentrationen an B durchführen und aus einer graphischen Auftragung k’ = f(cB) die Geschwindigkeitskonstante k aus der Steigung der linearen Funktion durch lineare Reg-ression bestimmen. In der Regel wird dieses Verfahren in wässriger Lösung angewendet, wenn ein Reaktionspartner H+ oder OH- ist, dessen Konzentration leicht durch Puffer konstant gehalten werden kann. A.5.5. Folgereaktionen 2. Ordnung Bei Folgereaktionen 2. Ordnung, die entsprechend der Reaktionsgleichung teilweise reversibel sind

A + B 1

1

k

k−⎯⎯→←⎯⎯ C D (5.21) 2k⎯⎯→

lauten die differentiellen Zeitgesetze:

= = − ⋅ ⋅ + ⋅

= ⋅ ⋅ − ⋅ − ⋅

= ⋅

1 1

1 1

2

d dd ddddd

A BA B C

CA B C C

CC

c ck c c k c

t tc

k c c k c k ctc

k ct

2 (5.22)

Wenn k2 sehr viel größer als k1 ist, ist es auch hier möglich, die Komponente C als reaktive Zwi-schenstufe zu definieren, deren Konzentration sehr klein ist und sich nach der Induktionsperiode während der Reaktion nicht mehr merklich ändert.

−≈ ⇒ ⋅ ⋅ − ⋅ − ⋅ =1 1 2

d0

dC

A B C C

ck c c k c k c

t0 (5.23)

Hiermit ergibt sich für die Konzentration von C:

= ⋅+1

1 2C A B

kc c c

k k (5.24)

Eingesetzt in Gleichung (5.22) ergibt sich:

− −

⋅ ⋅= − ⋅ ⋅ + ⋅ = − ⋅ = − ⋅ ⋅

+ +⋅

= − ⋅ = ⋅ = ⋅ ⋅+

1 1 1 21

1 2 1 2

2 12

1 2

dd

dd

AA B A B A B A B

DC A B A B

c k k k kk c c c c c c k c c

t k k k kc k k

k c c c k c ct k k

(5.25)

Auch hier erkennt man, dass die Edukte mit einer globalen Geschwindigkeitskonstante k über ein reaktives Zwischenprodukt C zu den stabilen Reaktionsprodukten (D) reagieren. A.5.6. Reversible Reaktionen 2. Ordnung

(5.26) 12

21

12

21

k

k

k

k

A B C D

A B C

⎯⎯→+ +←⎯⎯

⎯⎯→+ ←⎯⎯

Die differentiellen Zeitgesetze lauten:

31

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⎫⎪⎪= = − ⋅ + ⋅ ⎪⎪ + =⎬⎪⎪= = ⋅ − ⋅ ⎪⎪⎭

12 21

12 21

d dd d d dd dd d

A BA B C D

A CC D

A B C D

c ck c c k c c

t t c cc c

k c c k c ct t

0 (5.27)

bzw.

⎫⎪⎪= = − ⋅ + ⎪⎪ + =⎬⎪⎪= = ⋅ − ⎪⎪⎭

12 21

12 21

d dd d d dd dd d

A BA B C

A CC D

A B C

c ck c c k c

t t c cc c

k c c k ct t

0 (5.28)

Nach Einstellung des Gleichgewichtes gilt:

= = =− ⋅ + ⋅

= = =− ⋅ +

12 21

12 21

d d0

d dbzw.

d d0

d d

A BA B C D

A BA B C

c ck c c k c c

t t

c ck c c k c

t t

(5.29)

Dies entspricht dem Massenwirkungsgesetz

⋅= =

= =⋅

12

21

12

21

bzw.

C D

A B

C

A B

k c cK

k c c

k cK

k c c

(5.30)

Mit Bezug auf das Gleichgewicht lassen sich die Konzentrationen durch die Umsatzvariable x folgendermaßen darstellen:

= + = + = − = −, , ,A A B B C C D Dc c x c c x c c x c c x (5.31)

Außerdem gilt

= =− =− =A B C Ddc dc dc dc dxdt dt dt dt dt

(5.32)

Hiermit lässt sich das Differentialgleichungssystem schreiben als

=− + + + − −

=− + + + −

12 21

12 21

d( )( ) ( )(

dbzw.

d( )( ) ( )

d

A B C D

A B C

xk c x c x k c x c x

t

xk c x c x k c x

t

)

(5.33)

Die Subtraktion der Gleichungen (5.29) von (5.33) liefern jeweils

[ ] ( )

[ ]

= − + + + + +

=− + + +

212 21 12 21

212 21 12

d( ) ( )

dbzw.

d( )

d

A B C D

A B

xx k c c k c c x k k

t

xx k c c k k x

t

(5.34)

32

Page 33: Physikalische Chemie I · Atkins Physical Chemistry, 7th ed. 2002., Oxford University Press Wolfgang Bechmann, Joachim Schmidt Einstieg in die Physikalische Chemie für Nebenfächler

Mit

[ ] ( )

[ ]

= + + + = +

= + + =

1 12 21 2 12 2

1 12 21 2 12

( ) ( ) ;

bzw.

( ) ;

A B C D

A B

p k c c k c c p k k

p k c c k p k

1

(5.35)

lässt sich diese Differentialgleichung

[= − ⋅ − ⋅ = − + ⋅ ⋅21 2 1 2

ddx

p x p x p p x xt

] (5.36)

nach Trennung der Variablen durch Partialbruchzerlegung lösen

1 2

1 2 1 2 1 2

1 2 1 2 1

dd

1 1/ ; /

A p A p x B xx A Bt

xp p x x p p x p p x x

A p A p x B x A p B p p

⋅ + ⋅ ⋅ + ⋅= − ⇒ + =

⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤+ ⋅ ⋅ + ⋅ + ⋅ ⋅⎣ ⎦ ⎣ ⎦ ⎣ ⎦⋅ + ⋅ ⋅ + ⋅ = ⇒ = = −

(5.37)

Das Ergebnis ist

( )( )

2

1 1 2

1 2 1

1 1d d

ln ln te

px t

p x p p x

x p p x p t C

⎡ ⎤⎢ ⎥− = −⎢ ⎥+ ⋅⎢ ⎥⎣ ⎦− + ⋅ = − ⋅ +

(5.38)

Mit der Anfangswertbedingung

( )

0 0

0

01 2

0

ln

A A

te

t x c c

xC

p p x

= ⇒ = − =

=+ ⋅

x

(5.39)

erhält man das Endergebnis

( )

( )

01 2

101 2

lnx p p x

p tp p x x

⋅ + ⋅= ⋅

+ ⋅ ⋅ (5.40)

Auflösen nach x liefert den Ausdruck

( )

1

1

11

1 1

010

1 2

001 2 2 11

0 01 2 1 2

(1 )

(1 ) (1 )

p t

p t

p tp tA A A

p t p tA A A

x p exp p x e

c p x c p c p p ex p ec c x c

p p x e p p x e

− ⋅

− ⋅

− ⋅− ⋅

− ⋅ − ⋅

⋅ ⋅=

+ ⋅ −

⎡ ⎤⋅ + ⋅ ⋅ − ⋅ − ⋅⋅ ⋅ ⎢ ⎥⎣ ⎦= + = + =+ ⋅ − + ⋅ −

(5.41)

Falls die Entfernung vom Gleichgewicht nicht sehr groß ist, lässt sich der quadratische Term vernachlässigen. Dies wird in Gl. (5.41) dadurch erzeugt, dass der Koeffizient p2 gleich Null gesetzt wird. Damit vereinfachen sich Gl. (5.41) zu einem Zeitgesetz 1.Ordnung:

1

1

2

0

0

0p t

p t

A A

p

x x e

c c x e

− ⋅

− ⋅

= ⋅

= + ⋅

(5.42)

33

Page 34: Physikalische Chemie I · Atkins Physical Chemistry, 7th ed. 2002., Oxford University Press Wolfgang Bechmann, Joachim Schmidt Einstieg in die Physikalische Chemie für Nebenfächler

Bei kleiner Auslenkung aus dem Gleichgewicht verläuft also auch eine reversible Reaktion 2.Ordnung nach einem Geschwindigkeitsgesetz 1.Ordnung. Die beiden Geschwindigkeitskonstanten lassen sich mit Hilfe der Gleichgewichtskonstanten K und geeigneten Variationen der Gleichgewichtskonzentrationen aus einer entsprechenden Auf-tragung bestimmen.

( ) ( )

( )( )( ) ( )

( )( )

= ⋅ + + ⋅ +

⎛+ + ⎟⎜ ⎟= ⋅ + ⇒ = ⎜ ⎟⎜ ⎟⎟⎜+ + + ⎝ ⎠

1 12 21

1 112 21

A B C D

A B A B

C D C D C D C D

p k c c k c c

c c c cp pk k f

c c c c c c c c

+

(5.43)

Aus der Steigung ergibt sich k12 , der Achsenabschnitt ist k21.

Die Bestimmung der zeitabhängigen Konzentrationen ist hier natürlich genauso über physikali-sche Messgrößen möglich wie bei Reaktionen 1.Ordnung. A.5.7. Zusammenfassung (Reaktion 2. Ordnung)

• Eine (Verbrauchs-)Reaktion 2. Ordnung liegt vor, wenn Teilchenpaare von A und B (unbeein-flusst von anderen Teilchen von A und B) unter gleich bleibenden Bedingungen zu anderen Teilchen reagieren.

• Das differentielle Zeitverhalten der Konzentration cA ist dadurch gekennzeichnet, dass die zeitliche Änderung zum Produkt cA⋅cB proportional ist). B

• Die Geschwindigkeitskonstante hat die Dimension 1/(Zeit⋅Konzentration). Die Halbwertszeit entsteht daher - bis auf einen Zahlenfaktor - aus dem reziproken Produkt von Zeitkonstante und Ausgangskonzentration. Die Halbwertszeit ist über den zeitlichen Verlauf der Konzent-ration hinweg in der Regel nicht konstant, sondern nimmt mit der Zeit zu (1. Halbwertszeit < 2. Halbwertszeit, usw.).

• Wenn beide Anfangskonzentrationen gleich sind oder wenn zwei Teilchen derselben Teilchensorte miteinander reagieren, hängt der Konzentrationsverlauf hyperbelförmig von der Zeit ab.

• Wenn eine der beiden Komponenten in hohem Überschuss vorliegt, ergibt sich eine Reaktion von quasi-erster Ordnung.

• Reaktionen 2. Ordnung können aus einer Folge von Konsekutivreaktionen mit reaktiven Zwi-schenprodukten bestehen.

• Reversible Reaktionen 2. Ordnung benötigen die Kenntnis der Gleichgewichtskonzentratio-nen aller Reaktionspartner und der Gleichgewichtskonstante.

• Reversible Reaktionen 2. Ordnung verhalten sich bei kleinen Auslenkungen aus dem Gleichgewicht wie eine reversible Reaktion 1. Ordnung. Zur Bestimmung der einzelnen Geschwindigkeitskonstanten ist die Kenntnis der Gleichgewichtskonstante notwendig.

34

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A.6. Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten Die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen ist für gewöhnlich stark von der Temperatur abhängig. Für die Temperaturabhängigkeit einer Geschwindigkeitskonstanten k setzt man nach Arrhenius an:

( )( )1/( )e anE RTk A c

−−= (6.1)

R ist die allgemeine Gaskonstante ( 18,31 J mol KR 1− −= ) und T die absolute Temperatur. A und Ea sind reaktionsspezifische konstante Parameter. Die Größe Ea wird als molare Aktivierungs-energie der Reaktion bezeichnet. In der Regel ist Ea positiv. Dann ist A (auch Frequenzfaktor genannt) gleich der maximalen Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten, die bei hohen Temperatu-ren ( aRT E ) erreicht wird. Durch die Größe (c )1-n erhält der Frequenzfaktor für jede Reak-tion der Ordnung n die Dimension s-1. Durch Logarithmieren wird aus Gl.(6.1) mit dem (willkürlich wählbaren) Bezugswert k (z.B

11k s−= ):

( ) ( )ln ln aEk ARTk k

= − (6.2)

Demnach liefert die Auftragung von ln ( / )k k gegen 1/T eine Gerade mit der Steigung (-Ea/R) und dem Ordinatenabschnitt ln ( / )A k . Wählt man also für die bei verschiedenen Temperaturen ermittelten experimentellen Werte von k diese Form der Auftragung, liefern Steigung und Ordi-natenabschnitt der Ausgleichsgeraden Näherungswerte für Ea und A. In der Physiologie wird die Temperaturabhängigkeit von k häufig durch den so genannten Q10-Wert beschrieben. Dieser ist definiert als der Quotient aus den Geschwindigkeitskonstanten bei 303K (30°C) und 293K (20°C):

10(303K)(293K)

kQ k= (6.3)

Der Index 10 rührt daher, dass die Temperaturen um 10 K auseinander liegen. Typische Q10-Werte liegen zwischen 2 und 4, die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion nimmt bei einer Temperaturerhöhung von 10 Kelvin typischerweise um den Faktor 2 bis 4 zu. Diese Temperatur-abhängigkeit ist der Grund, warum in den vorstehenden Kapiteln generell Temperaturkonstanz vorausgesetzt wurde. Nur so kann die Geschwindigkeitskonstante wirklich als konstant betrach-tet werden!1

Setzt man Gl.(6.1) in Gl.(6.3) ein, ergibt sich nach kurzer Zwischenrechnung:

110ln 73,8 kJ molaE Q −= ⋅ (6.4)

Q10 = 2 ergibt , Q150 kJ molaE −≈ 10 = 4 ergibt 1100 kJ molaE −≈ . Man merke sich daher, dass die Aktivierungsenergie einer chemischen Reaktion typischerweise Werte zwischen 50 und

besitzt! 1100 kJ mol−

1 Um einen gleich bleibenden Ablauf der Stoffwechselreaktionen sicher zu stellen, ist auch die Natur bei

höher entwickelten Tieren zu konstanter Körpertemperatur übergegangen.

35

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A.7. Adsorption Im engeren Sinn spricht man von Adsorption, wenn sich ein Teilchen an eine Ober- oder eine Grenzfläche anlagert, im weiteren Sinn versteht man darunter die Anlagerung (Bindung) eines Teilchens an einen Platz. Dieser kann sich auf einer Ober- oder Grenzfläche befinden, kann aber beispielsweise auch ein basisches Molekül in Lösung sein (an das sich ein Proton anlagert) oder ein Enzym- bzw. Rezeptormolekül (an das sich ein Substratteilchen anlagert), usw. Im Folgenden gebrauchen wir den Begriff Adsorption im weiteren Sinn. Es wird hier vorausgesetzt, dass die Plätze energetisch gleichwertig und voneinander unabhän-gig sind. Für den Platz und die adsorbierende Spezies verwenden wir die Begriffe Rezeptor und Substrat. Rezeptor R und Substrat S reagieren reversibel zum Rezeptor-Substrat-Komplex RS:

R R (7.1) Sk

kS +

⎯⎯→+ ←⎯⎯

Dabei sei die Hinreaktion k+ von 2., die Rückreaktion k- von 1. Ordnung. Im materiell geschlos-senen System gilt für die Rezeptorgesamtkonzentration : 0

Rc

(7.2) 0R R RS const.c c c= + =

Der differentielle Ansatz für die zeitliche Änderung der Rezeptor-Substrat-Konzentration lautet bei den gegebenen Reaktionsordnungen von Hin- und Rückreaktion:

RSS R RS

ddc

v k c c k ct + −= = − (7.3)

Wenn man sich auf den stationären Fall mit RSd / dc t 0= beschränkt, folgt aus Gl. (7.3) mit Gl.(7.2):

0

R S R RS SD

RS RS

( )c c c c cKc c

−= = (7.4)

wobei

DkK k−

+= (7.5)

Gl.(7.5) ist das Massenwirkungsgesetz der Dissoziation des Rezeptor-Substrat-Komplexes (Gl.(7.1) von rechts nach links gelesen!). KD ist die zugehörige Dissoziationskonstante. Löst man die rechte Identität der Gl.(7.4) nach dem Besetzungsgrad 0

RS Rx c c= auf, erhält man

RS S0

S DR

c cx c Kc= =

+ (7.6)

Das ist die Langmuir-Adsorptionsisotherme (siehe untenstehende Skizze). Die Bezeichnung Isotherme rührt daher, dass konstante Temperatur vorausgesetzt ist. Bei großen Substratkonzent-rationen nähert sich cRS gemäß Gl.(7.6) immer mehr dem Grenzwert und x dem Wert 1, d.h. die Besetzung der Plätze geht in die Sättigung. Der Besetzungsgrad nimmt gemäß Gl.

0Rc

(7.6) bei cS = KD den Wert 0,5 an. Darum wird KD auch als Halbsättigungskonzentration bezeichnet.

36

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Graphische Darstellung der Langmuir-Adsorptionsisotherme

KD

cRS

cS

Rc

Rˆ2

c

0Rc

0R

2c

Die Langmuir-Adsorptionsisotherme ist für alle Adsorptionserscheinungen von grundlegender Bedeutung. Auch da, wo die Plätze nicht als gleichartig betrachtet werden können oder Wech-selwirkungen zwischen den Plätzen auftreten, dient sie häufig als Ausgangspunkt für eine detail-liertere Modellierung. Die Langmuir-Adsorption an Oberflächen setzt voraus, dass die Oberflä-che (Rezeptor) nur von einer Schicht Moleküle (Substrat) belegt werden kann. Dies ist aber häu-fig nicht der Fall, so dass mehrere Substratschichten auf Oberflächen gebildet werden können. Der folgende Abschnitt wird zeigen, dass die Langmuir-Adsorptionsisotherme auch für die Enzymkinetik von grundlegender Bedeutung ist.

37

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A.8. Enzymreaktionen A.8.1. Katalysatoren und Enzyme Katalysatoren sind Moleküle, die die Geschwindigkeit einer Reaktion erhöhen, aus der Reaktion aber unverändert hervorgehen. Enzyme sind biologische (extra- oder intrazelluläre) Katalysato-ren auf Proteinbasis. Sie spielen bei der Steuerung des Stoffwechselgeschehens eine wichtige Rolle. A.8.2. Michaelis-Menten-Kinetik Sehr häufig liegt der enzymkatalysierten Reaktion eines Substrates S zum Produkt P folgendes Reaktionsschema zugrunde:

(8.1) 1

1S + E ES P + Epk k

k+

⎯⎯→ ⎯⎯→←⎯⎯

Dabei ist E das freie Enzym und ES der Enzym-Substratkomplex. Die Enzym-Gesamtkonzent-ration

(8.2) 0E E Ec c c= + S

csetzen wir als konstant voraus. Außerdem gelte 0ES Sc << . Diese Beziehung ist bei fast allen

enzymatischen Reaktionen erfüllt. Der Enzym-Substratkomplex ist daher ein reaktives Zwi-schenprodukt im Sinne von Kapitel A.4.4. Die Hinreaktion sei von 2. Ordnung, die Rückreaktion und die Produktbildungsreaktion von 1. Ordnung. Die differentiellen Zeitgesetze für ES und P lauten:

ES 0E 1 P1

d( )

d S

ck c c k k c

t −+= − + ES (8.3)

PP ES

ddc

k ct= (8.4)

Indem wir cE mittels Gl. (8.2) eliminieren, wird aus Gl. (8.3)

ES 0 01 E 1 S 1 P ES

d(

d S

ck c c k c k k c

t + + −= − + + )

0

(8.5)

Mit der Quasistationaritätsnäherung ESd / dc t = liefert dies:

0

0ES E

1 P0

1

S

S

cck k

ck

+

=+⎛ ⎞

+ ⎜ ⎟⎝ ⎠

c (8.6)

Mit der Michaelis-Konstanten

1 P

1M

k kK

k−

+

+= (8.7)

vereinfacht sich Gl. (8.6) zu

0

0ES E0

S

S M

ccc K

=+

c (8.8)

38

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Setzt man Gl. (8.8) in Gl. (8.4) ein, folgt für die Geschwindigkeit vP der Produktbildung:

P S0P P ES P E

S

dd M

c cv k c k c

t c= = =

+ K (8.9)

Der Besetzungsgrad 0ES E/x c c= des Enzyms ist gegeben durch.

0

ES0 0E

S

S M

c cxc c K

= =+

(8.10)

Bei enzymkinetischen Experimenten arbeitet man in der Regel nicht mit integralen Zeitgesetzen, sondern mit den differentiellen. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Produktbildung vP muss somit aus dem kinetischen Experiment bestimmt werden. Da Enzymreaktionen bei hohen Umsätzen häufig durch Folge- und Parallelreaktionen beeinflusst werden, verwendet man für die Bestim-mung der Reaktionsgeschwindigkeit nur den Anfang der kinetischen Messung. vP ergibt sich dann aus der Steigung der kinetischen Messung am Startpunkt der Reaktion.

PP 0

limt

dcvdt=

⎛= ⎜⎝ ⎠

⎞⎟ (8.11)

Unter Verwendung des nicht experimentell bestimmbaren Maximalwertes der Produktbildungs-geschwindigkeit Vm

(8.12) 0P EmV k c=

wird daraus schließlich die Michaelis-Menten-Kinetik:

0

P 0S

m mS M

cv V x Vc K

= =+

(8.13)

Die Michaelis-Menten-Kinetik ist die grundlegende Beziehung der Enzymkinetik. Da bei cS = KM der Besetzungsgrad den Wert 0,5 hat, und die Produktbildungsgeschwindigkeit halb so groß ist wie ihr Maximalwert Vm ist, wird KM als Halbsättigungskonzentration oder als Konzentration für halbmaximalen Umsatz bezeichnet. Graphische Darstellung der Michaelis-Menten-Kinetik P mv xV=

Formal hängt der Besetzungsgrad gemäß Gl. (8.10) in gleicher Weise von der Konzentration ab wie bei der Langmuir-Adsorption. Tatsächlich wird die Besetzung des Enzyms bei kP = 0 zur reinen Langmuir-Adsorption, wobei KM in die Dissoziationskonstante des Enzym-Substrat-

MK0Sc

mV

2mV

39

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Komplexes übergeht. So besehen, kann man die Michaelis-Menten-Kinetik als eine durch Pro-duktbildung gestörte Langmuir-Adsorption betrachten. Die Geschwindigkeitskonstante wird auch Wechselrate oder „Turn-Over-Rate“ des Enzyms genannt. Sie gibt an, wie viele Substratmoleküle von einem substratgesättigten Enzym-molekül pro Zeit umgesetzt werden. In der nachfolgenden Tabelle sind einige typische Werte von K

0P /mk V c= E

M und kP angegeben:

Enzym Substrat 1/(mol l )MK − 1P / sk −

Urease Harnstoff 4⋅10-3 3⋅104

Carboanhydrase HCO3-

9⋅10-3 6⋅105

Katalase H2O2 3⋅10-3 4⋅107

Wie die Tabelle zeigt, sind die Werte von KM relativ klein. Damit erreichen Enzyme schon bei geringen Substratkonzentrationen hohe Besetzungsgrade. Aus Gl. (8.7) erhält man über

P11

M M

kkkK K−

+ = + (8.14)

die allgemeine Ungleichung: k+1 ≥ kP/KM. Die angegebenen Katalase-Werte liefern damit für k+1

einen Mindestwert von 1,3⋅1010 l mol-1 s-1. Angesichts des in Kapitel A.5 für eine Geschwindig-

keitskonstante 2. Ordnung angegebenen Maximalwertes von ist dieser Wert erstaunlich groß. In der Tat markiert der k

9 17 10 l mol s− −⋅ 1

P -Wert der Katalase die obere Grenze der bei Enzy-men auftretenden Wechselraten. Die Katalase ist für den Abbau des physiologisch sehr giftigen H2O2-Moleküls zuständig und katalysiert die Reaktion . 2 2 2 22 H O 2 H O O→ +Um Messwerte von vP auf Verträglichkeit mit der Michaelis-Menten-Kinetik zu überprüfen und gleichzeitig KM und zu bestimmen, formt man Gl. 0

Pv (8.13) oft in einen linearen Zusammenhang um, so dass sich in der graphischen Auftragung eine Gerade ergibt. Diese Umformung ergibt die Lineweaver-Burk-Gleichung

0P

1 1M

m S m

Kv V c V

= +1 (8.15)

Dies ist ein linearer Zusammenhang zwischen 1/vP und 01 (doppelt-reziproke Auftragung). Man kann demnach auf eine Michaelis-Menten-Kinetik schließen, wenn die experimentell

erhaltenen Wertepaare

Sc

( )( )10P,Sc v

− −1 befriedigend durch eine Ausgleichsgerade angenähert

werden können. Wie in der Skizze gezeigt ist, kann man den Achsenabschnitten die Werte für Vm und KM entnehmen.

P

1v

0

1

Sc

M

m

KV

1

mV

1

MK−

Auftragung nach Lineweaver-Burk

40

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Der Reaktionsmechanismus nach Michaelis-Menten ist grundlegend für die meisten Enzymreak-tionen, bei denen häufig noch ein Coenzym beteiligt ist, das bei der Reaktion in eine andere Form übergeht (Strukturänderung, Änderung der Oxidationsstufe u.a.). Das Coenzym selbst wird in unabhängigen Reaktionen wieder in den reaktiven Ausgangszustand zurückgebildet. Bezüglich komplizierter Mechanismen von Enzymreaktionen und weiterer Auswertemethoden sei auf die entsprechende Literatur der Biochemie verwiesen. A.8.3. Inhibierung von Enzymreaktionen Eine reaktionshemmende Substanz (Inhibitor I) kann sowohl mit dem Enzym als auch mit dem Enzym-Substrat-Komplex reagieren, wobei einerseits zwei verschiedene Inhibitoren, anderer-seits aber auch das Substrat in höherer Konzentration oder das Reaktionsprodukt aktiv werden können:

E + A +I

EI + A EIA

E + PEA+I

k1 k2

k3 k4

k-1 k-2

k-3 k-4

Die Stationaritätsbedingungen liefern mit den Dissoziationskonstanten der Inhibitorkomplexe

1 2 3 4, ,

1 3

; ;M I c Ik k k kK K K

k k− −

4u k

−+= = = (8.16)

die Reaktionsgeschwindigkeit vP

( )

0

0, ,

m SP 0

M S I M I c S I u

V cvK c c K K c K

⋅=

+ + + (8.17)

Ausgehend von diesem allgemeinen Inhibitorsystem existieren zwei wichtige Grenzfälle.

41

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Kompetitive Hemmung, wenn 1/KI,u = 0 A.8.3.1. In diesem Fall konkurriert der Inhibitor mit dem Substrat A um das Enzym.

E + A +I

EI + A

E + PEAk1 k2

k3

k-1 k-2

k-3

( ) ( )

0 0 02

0 0, ,1 1

S E m SP

S M I I c S M I I c

k c c V cvc K c K c K c K

⋅ ⋅ ⋅= =

+ + + + (8.18)

Vm bleibt bei kompetitiver Hemmung von der Inhibitorkonzentration unbeeinflusst, wie aus einem Linewaever-Burk-Plot zu erkennen ist. Die Inhibitorkonzentration cI fungiert hierbei als Parameter.

0,

1 1 11M I

P m m I c

K cv V V K c

⎛ ⎞= + +⎜ ⎟⎜ ⎟

⎝ ⎠ S

A.8.3.2.

(8.19)

1/v0

1/Vm

-1/ KM( (1+ / ))c KI I,c

1/cS0

cI

Kompetitive Hemmung, Lineweaver-Burk-Plot

Unkompetitive Hemmung, wenn 1/KI,c = 0 Hier verhindert der Inhibitor die Bildung des Reaktionsproduktes und die Freisetzung des Enzyms.

E + A

EIA

E + PEA+I

k1 k2

k4

k-1 k-2

k-4

42

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( )

0

0,1

m AP

M A I I

V cvK c c K

⋅=

+ + u

(8.20)

0,

1 1 1M

P m A m I u

Kv V c V K

⎛ ⎞= + +⎜⎜⋅ ⎝ ⎠

Ic⎟⎟

A.8.3.3.

(8.21)

Der Lineweaver-Burk-Plot zeigt hier von der Inhibitorkonzentration abhängige Geraden mit konstanter Steigung.

1/v0

m I /( (1V +c1 / I,u

- KM1/( (1 /K ))+cI I,u

m = / mK VM

1/cS0

K ))

Unkompetitive Hemmung, Lineweaver-Burk-Plot

Substrathemmung Bei vielen Enzymreaktionen wird der ES-Komplex durch hohe Substratkonzentration selbst inaktiviert, wobei auch hier alle Formen der Hemmung auftreten können. Die Gleichungen (8.17), (8.18) und (8.20) sind dadurch zu modifizieren, dass die Inhibitorkonzentration cI durch die Substratkonzentration zu ersetzen ist. 0

Sc

( ) ( )

0 0

0 0 0 0 0, , ,1

m S m SP

,M S S M I c S I u M S M I c S I u

V c V cvK c c K K c K K c K K c K

⋅ ⋅= =

+ + + + + + (8.22)

Bei kompetitiver Hemmung gilt:

( )

( )( )

00 0,

00 0, ,

11 1

m M I c Sm S m SP

M SM S M I c M M I c S

V K K cV c V cvK cK c K K K K K c

+ ⋅ ′⋅ ⋅= =

′ ++ + + += (8.23)

Die Kurve entspricht einem normalen Michealis-Menten-Mechanismus, aber mit kleinerer Grenzgeschwindigkeit V’m. Eine Auftragung entsprechend Lineweaver-Burk

0

1 1 1M

P m m

Kv V V cS

′= + ⋅

′ ′ (8.24)

liefert die modifizierten Konstanten V’m und K’M . Aus einer analogen Auftragung bei kleinen Substratkonzentrationen können die unmodifizierten Parameter und mit diesen dann die Inhibi-torkonstante KI,c bestimmt werden. Bei unkompetitiver Hemmung dagegen ergibt sich eine Funktion mit quadratischem Polynom im Nenner:

43

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( ) ( )

0 0

20 0 0 0, ,

1m S m S

PM S S I u M S S I

V c V cvK c c K K c c K

⋅= =

+ + + + u

⋅ (8.25)

Hier kann das Substrat die enzymatisch katalysierte Reaktion bis zum Stillstand verlangsamen. Die Umkehrung der Gleichung (8.25) entsprechend Lineweaver-Burk ergibt die in rationale Funktion:

0Sc

( )20 0

, 00 0

,

1 1M S S I u MS

P m S m S m m

K c c K K cv V c V c V V K

+ += = ⋅ + +

⋅ ⋅1 1

I u

(8.26)

Mit Hilfe des least-square-Verfahrens lassen sich hieraus alle drei wesentlichen Konstanten bestimmen. Die folgende Abbildung zeigt die entsprechenden Fälle:

Kurvenverläufe für Michaelis-Menten (rot), kompetitive Substrat-Hemmung (grün) und unkompetitive Substrat-Hemmung (blau)

A.8.4. Zusammenfassung (Michaelis-Menten-Kinetik)

• Die Michaelis-Menten-Kinetik ist die grundlegende Beziehung der Enzymkinetik. Sie ergibt sich mit Hilfe der Quasistationaritätsnäherung für den Enzym-Substrat-Komplex.

• Die Produktbildungsgeschwindigkeit ist gleich der maximalen Produktbildungsgeschwindig-keit V multipliziert mit dem Besetzungsgrad x des Enzyms. m

• Der Besetzungsgrad wird formal durch eine Langmuir-Isotherme beschrieben, in der die Dissoziationskonstante KD durch die Michaeliskonstante KM ersetzt ist. Die Michaeliskon-stante wird zur Dissoziationskonstanten, wenn die Geschwindigkeitskonstante kP sehr klein ist.

• Die maximale Produktbildungsgeschwindigkeit V und die Michaeliskonstante Km M lassen sich aus einer Auftragung nach Lineweaver-Burk bestimmen.

• Enzymreaktionen können durch Inhibitoren gebremst werden. Bei der kompetitiven Inhibie-rung konkurriert der Inhibitor mit dem Substrat um das Enzym. Bei der unkompetitiven Hemmung deaktiviert der Inhibitor den Enzym-Substrat-Komplex.

• Das Substrat kann selbst als Inhibitor auftreten.

44

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A.9. Populationsdynamik Die Populationsdynamik geht der Frage nach, wie sich der Bestand einer biologischen Spezies (Organismus, Zelle) mit der Zeit verändert. Aus der Sicht der chemischen Kinetik sind populati-onsdynamische Fragestellungen primär durch die Mitwirkung autokatalytischer Prozesse (in Form von Vermehrungsreaktionen) charakterisiert. In Abschnitt B.4.5 ist mit der Wachstumsre-aktion 1. Ordnung einer der grundlegenden Ansätze der Populationsdynamik besprochen wor-den. Wie gezeigt, führt er zum exponentiellen oder unbeschränkten Wachstum. Hier werden zwei weitere viel gebrauchte Ansätze (Modelle) der Populationsdynamik vorgestellt. Wie früher schon ausgeführt, ist unbeschränktes Wachstum nur über beschränkte Zeit möglich. Eine langfristige Begrenzung der Populationsdichte erhält man, wenn die Wachstumsreaktion 1. Ordnung mit einem parallel ablaufenden dichteabhängigen Sterbeprozess 2. Ordnung kombiniert wird. In Erweiterung von Gl.(4.34) führt das auf:

2A1 A 2 A

ddc k c k ct = − (9.1)

Dieser Ansatz heißt Verhulst-Ansatz oder Ansatz des logistischen Wachstums. Der Sterbepro-zess 2. Ordnung kann durch die Konkurrenz der Individuen untereinander (z.B. durch räumliche Dichte), durch Konkurrenz um gemeinsame Nahrungs- oder Energievorräte (z.B. um das Licht bei Pflanzen), durch die (mit hoher Populationsdichte zunehmende) Ausbreitung von Krankhei-ten und dergl. bedingt sein. Üblicherweise schreibt man Gl.(9.1) in der Form:

AA

d (1 )dc k c ct α= − A

1

(9.2)

wobei 2 /k kα = und . Das integrale Zeitverhalten, das aus diesem Ansatz folgt, ist recht kompliziert und soll hier nicht behandelt werden. Interessierte können die Lösung des Problems in der Vorlesung von Prof. Kohler in Anhang 2, Beispiel A3 nachlesen.

1k k=

Oft wächst eine Spezies in der Anlaufphase des Wachstumsprozesses noch stärker als exponen-tiell an. Eins solches über-exponentielles Wachstum deutet auf positive Rückkopplungen inner-halb des Systems hin (positive Kooperativität). Beispielsweise stellt die Zunahme der Erdbevöl-kerung, über die Jahrhunderte gesehen, einen überexponentiellen Wachstumsprozess dar. Der einfachste Fall überexponentiellen Wachstums ist das so genannte hyperbolische Wachstum, das sich aus einer Wachstumskinetik 2. Ordnung ergibt:

2AA

ddc k ct = (9.3)

Die auf diesem differentiellen Ansatz des hyperbolischen Wachstums beruhende modellmäßige Beschreibung des Anwachsens der Erdbevölkerung während der letzten 250 Jahre wird behan-delt in Anhang 2, Beispiel A4 der Vorlesung von Prof. Kohler. Alle bisher betrachteten Wachstumsmodelle sind primitive Modelle, in denen die Populations-dichte die einzige abhängige Variable ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Modelle keine detaillierte Beschreibung eines populationsdynamischen Vorgangs liefern. Hierfür müssen weitere zeitveränderliche Größen (Variablen) heran gezogen werden. Dabei sind nicht nur äußere Einflussfaktoren zu berücksichtigen, sondern auch Differenzierungen innerhalb einer Po-pulation. Zudem spielen Konkurrenz-, Symbiose- oder Räuber-Beute-Beziehungen zwischen verschiedenen Spezies eine große Rolle.

45

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A.10. Spektrometrie Bei der Wechselwirkung von Materie mit elektromagnetischer Strahlung kann die Materie Ener-gie absorbieren, wobei entweder Elektronen in höhere Orbitale angehoben werden (UV-VIS-Spektroskopie), oder Molekül-Schwingungen und/oder Rotationen (IR- und RAMAN-Spektro-skopie) angeregt werden. Die Energie der Strahlung ist der Wellenlänge λ umgekehrt proportio-

nal ( h cE hνλ

= = ). Bei Energieabsorption wird die Intensität der Strahlung an der spezifischen

Wellenlänge geschwächt. A.10.1. Das Lambert-Beersche Gesetz Wenn das Licht in eine Küvette der Länge s mit absorbierender Substanz (Lösung) einfällt, wird es in der Schicht mit der Dicke dx entsprechend

2 1dII I ddx

⎛ ⎞= − ⎜ ⎟⎝ ⎠

x (10.1)

geschwächt.

xdx

II0 I1 I2 Is

s0

Die Änderung der Intensität in dieser Schicht ist der aktuellen Intensität und der Konzentration der absorbierenden Substanz proportional.

dd

I c Ix

κ= − ⋅ ⋅ (10.2)

κ ist der substanzspezifische Extinktionskoeffizient. Die Umformung von Gl.(10.2) liefert:

d dI c xI

κ= − ⋅ ⋅ (10.3)

Dies ist eine lineare, homogene Differentialgleichung, die analog wie bei einer Reaktion 1. Ord-nung gelöst werden kann. ln .I c x konstκ= − ⋅ ⋅ + (10.4) Die Anfangsbedingung lautet: 0 00 : ln .x I I I konst= = ⇒ =

Die allgemeine Lösung lautet dann:

0

( )ln I x c xI

κ= − ⋅ ⋅ (10.5)

Die Intensität wird an der Stelle s gemessen: (I(s) ≡ I)

0 0

I(s) Iln ln c sI I

= =−κ ⋅ ⋅ (10.6)

Der Quotient I/I0 wird Durchlässigkeit (Transmission) genannt. Man erkennt also, dass die Inten-sität exponentiell mit der Schichtdicke abnimmt. Wird anstelle des natürlichen der dekadische

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Logarithmus verwendet, wird der Extinktionskoeffizient κ durch den dekadischen Extinkti-

onskoeffizienten ε ersetzt.

( )0lg =E I I c sε= ⋅ ⋅ (10.7)

E ist die Extinktion (Absorbance) der absorbierenden Substanz. Falls keine Strahlung absorbiert ist, ist E gleich 0; falls die Intensität auf 10% fällt, ist E = 1. Gl.(10.7) ist als Lambert-Beer-sches Gesetz bekannt. Da, wie schon erwähnt, die Absorption energieabhängig ist, zeigt das Spektrum einer farbigen Substanz (E = f(λ)) typische Absorptionsmaxima und Minima.

E

0

0.5

400 500 600 λ /nm

Aus den Absorptionsmaxima kann man bei bekannter Schichtdicke und bekannter Konzentration den Extinktionskoeffizienten bestimmen. Umgekehrt kann man aber auch bei bekanntem ε die Konzentration einer Substanz aus einer Extinktionsmessung berechnen. A.10.2. Das Spektrometer Ein typisches Einstrahl-Spektrometer hat folgenden Aufbau

Lampe

Linse

Gitter

Filter

Spalt

Küvetten

Detektor

Das Licht einer geeigneten Lampe wird auf einem drehbaren Gitter, das als Monochromator fun-giert, abgebildet. Das vom Gitter frequenzaufgelöste Licht wird durch ein Filter auf einen Spalt reflektiert. Der Spalt ist variabel einstellbar, um einerseits die Wellenlängenreinheit festzulegen und andererseits die Strahlungsleistung variabel zu machen, die durch die Küvette mit der farbi-gen Substanz auf den Detektor trifft.

47

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A.10.2.1. Der Monochromator Bei der Reflexion am Stufengitter

d

ϕ

tritt Interferenz entsprechend folgender Gleichung auf:

sin

1,2,3,n dnλ ϕ⋅ = ⋅= ⋅ ⋅ ⋅

(10.8)

Die höheren Ordnungen (n > 1) werden mit Filtern eliminiert. Durch Drehen des Gitters wird der Winkel ϕ geändert, so dass Licht einer anderen Wellenlänge in die gleiche Richtung reflektiert wird.

A.10.2.2. Der Detektor Die Detektoren (SekundärElektronenVervielfacher, PhotoMultiplier, PhotoDiode) haben eine wellenlängen-abhängige Empfindlichkeit.

300 400 500

i

λ / nm

Der gemessene Strom i ist von der Intensität abhängig: ( )i k Iλ= ⋅ (10.9)

wobei der Faktor k wellenlängenabhängig ist.

48

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A.10.2.3.

A.10.3.1.

Die Lichtquelle Weiterhin haben auch die Lampen eine frequenzabhängige Strahlungsintensität: N = f(λ). Das Strahlungsspektrum einer Wolframlampe sieht etwa so aus:

300 400 500 λ / nm

N

Wegen der Wellenlängenabhängigkeit aller Größen in Lampe und Detektor muss für jede Wel-lenlänge die Referenzintensität I0 auf den gleichen konstanten Wert gebracht werden. Hierzu wird eine Küvette mit dem reinen Lösungsmittel in den Strahlengang geschoben und die Durch-lässigkeit D0 bei der gewünschten Wellenlänge mit Hilfe des variablen Spaltes auf 100% einge-stellt. Dann kann die Durchlässigkeit und die Extinktion der farbigen Substanz bei dieser Wel-lenlänge gemessen werden. Bei jeder Wellenlänge muss die gleiche Prozedur wiederholt werden. Bei Zweistrahlgeräten wird der Lichtstrahl mit Hilfe rotierender Spiegel einmal durch eine Refe-renzküvette und dann durch die Messküvette geleitet. Die Spalteinstellung und die Berechnun-gen erfolgen dann automatisch im Gerät. A.10.3. Anwendungen der Spektrometrie Die Spektrometrie kann neben vielen anderen Anwendungen zur Messung von Dissoziati-onskonstanten farbiger Säuren und auch zur Konzentrationsbestimmung in reaktionskinetischen Untersuchungen eingesetzt werden.

Spektrometrie farbiger Säuren. Eine Säure dissoziiert nach

HA H A+ −⎯⎯→ +←⎯⎯ (10.10) Die Mengenbilanz der Säure lautet: 0

HA HA Ac c c −= + (10.11)

Dissoziationsgleichgewicht:

ln ln lnH AD D H

A

HA H

c c cK K c

c c A

+ −

+

−⋅= ⇒ = + (10.12)

In der Regel wird die Protonenkonzentration durch ein Puffergleichgewicht konstant gehalten, wenn die Dissoziationskonstante, dargestellt als pKD, zwischen 3 und 10 liegt.

log log log HAD H

A

cK cc+

− = − + (10.13)

oder

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p pH log HAD

A

cKc −

⇒ = + (10.14)

Für die Extinktion der Lösung gilt

( )HA HA A AE E E s c cε ε− − −= + = ⋅ ⋅ + ⋅A HA (10.15)

Einsetzen von Gl.(10.11) liefert

( )( ) ( )( )0 0HA HA HA HA HAA A A A A

E s c c c s c cε ε ε ε ε− − − − −= ⋅ ⋅ + ⋅ − = ⋅ ⋅ + ⋅ − (10.16)

Bei pH = 1 gilt: 0

HA Hc c≈ A . Dies entspricht einer Lösung der undissoziierten Säure

E

0.5

0

400 500 600 λ / nm

Spektrum der reinen Säure Die Säure absorbiert in der Regel bei kürzerer Wellenlänge. Für die Extinktion gilt hier:

0 00 0HA HA HA

HA

EE s cs c

ε ε= ⋅ ⋅ ⇒ =⋅

(10.17)

Bei pH = 13 gilt: 00HA A

c c −≈ ≈ HAc . Das ist die Lösung der vollständig dissoziierten Säure.

E

0.5

0

400 500 600 λ / nm

Spektrum der reinen Base

Das Anion A- der schwachen Säure absorbiert stärker und nach Rot (größere Wellenlänge) verschoben gegenüber der undissoziierten Säure.

00HAA AHA

EE s cs c

ε ε− −∞

∞ = ⋅ ⋅ ⇒ =⋅

(10.18)

50

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Das Spektrum der Mischung hängt vom pH-Wert ab:

E

0.5

0

400 500 600 λ / nm

pH = 1

pH = 13

HA

A-

pH = 7

E

0.5

0

400 500 600 λ / nm

Im linken Bild sind die einzelnen Spektren hintereinander dargestellt. Wenn man sie übereinander darstellt, erkannt man den isobestischen Punkt, durch den alle Spektren hindurchgehen. Für die Extinktion bei einer beliebigen Säurekonzentration gilt:

( )00 00 00 0 0 0

AHA A

HA HA HA HA

cE EEE s c c E Es c s c s c c

−∞

⎛ ⎞⎛ ⎞= ⋅ ⋅ + ⋅ − = + ⋅ −⎜ ⎟⎜ ⎟⋅ ⋅ ⋅⎝ ⎠⎝ ⎠

E (10.19)

Hiermit kann die Konzentration des Anions A- geschrieben werden als:

00

0HAA

E EcE E−

c−= ⋅

− (10.20)

Analog gilt für die Konzentration der undissoziierten Säure HA: 0

0HA

E EcE E

−HAc= ⋅

− (10.21)

Die Messung der Extinktionen E, E0, E∞ muss bei einer Wellenlänge erfolgen, an der die Diffe-

renz (E∞ - E0) möglichst groß ist. Hiermit kann Gl.(10.14) geschrieben werden als:

0

0

00 0

0

p pH log pH logHA

D

HA

E E cE E E EK E E E EcE E

∞ ∞

−⋅

− −⇒ = + = +

− −⋅−

(10.22)

Am isosbestischen Punkt ist HA Aε ε −= = ε = konstant. Wenn das Spektrum einen isosbestischen

Punkt hat, stehen zwei Komponenten miteinander im Gleichgewicht. Da die Extinktionskoeffizienten oft sehr groß sind, können die Konzentrationen der Kompo-nenten klein sein. So gilt z.B. Für eine Schichtdicke von 1 cm, einen dekadischen Extinktionskoeffizienten ε = 107 cm2 mol-1 und eine Extinktion E ≤ 1 sollte die Konzentration nicht größer als 10-4 mol dm-3 sein.

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A.10.3.2. Spektrometrische Messung chemischer Reaktionen Für eine chemische Reaktion, kA B⎯⎯→ (10.23) deren Komponenten im Sichtbaren Licht absorbieren, gilt für die Extinktion zu einem beliebigen Zeitpunkt unter Verwendung von 0

B Ac c cA= − :

( ) ( ) ( ) ( )0 0A A B B A A B A B A A B A B AE t s c c s c c c s c cε ε ε ε ε ε ε ε⎡ ⎤= + = + − = − +⎣ ⎦ (10.24)

Zu Beginn der Reaktion misst man den Wert E0: 0

0 A AE s cε= (10.25)

Nach möglichst vollständigem Ablauf der Reaktion (ca. 10 Halbwertszeiten) ergibt sich der Wert E∞

(10.26) 0B AE s cε∞ =

Aus der Differenz E0 - E∞ ergibt sich:

( ) 00 A B AE E s cε ε∞− = − (10.27)

Und mit ( ) ( )A B AE t E s cε ε∞− = − (10.28)

Somit ergibt sich für den Quotienten 0A Ac c

( )0

0

A

A

E t Ecc E E

−=

− (10.29)

Dieser Ausdruck kann zur Bestimmung der Geschwindigkeitskonstante verwendet werden.

52

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A.11. Elektrische Leitfähigkeit von Elektrolytlösungen Die allgemeine Formulierung eines Elektrolyten Y lautet:

zY Mν ν zA+ −↔

+ −⎯⎯→ +←⎯⎯ (11.1)

Der Elektrolyt dissoziiert in Lösung – meistens wässrige Lösung – in ν+ Kationen M mit der Ladung z+ und in ν- Anionen A mit der Ladung z-. Die Elektroneutralität verlangt: ez zν ν+ + − − n= = (11.2)

ne ist hierbei die elektrochemische Wertigkeit des Elektrolyten. Häufig ist ν+ gleich ν- , was dann einem symmetrischen Elektrolyten entspricht. Wird eine Elektrolytlösung in eine elektrochemische Zelle gefüllt, und an die Elektroden eine Spannung angelegt, dann kann einerseits an den Elektroden eine elektrochemische Redoxreak-tion ablaufen, was man aber durch Wahl einer sehr kleinen Spannung oder durch Wechselspan-nung genügend hoher Frequenz verhindern kann. Andererseits aber erfahren die Ionen in der Lösung eine Kraft, die die Kationen zur negativen und die Anionen zur positiven Elektrode treibt. A.11.1. Grundlagen der Ionenwanderung

Die Ionen wandern im elektrischen Feld E zwischen den beiden Elektroden. Im Bild sind die Elektroden eben mit der identischen Fläche A. Die elektrische Kraft elK ist gegeben durch

+

++

+ +

+

- +

A

Ev+ v-

0el iK z e E= (11.3)

Da sich die Ionen aber in einem dichten Medium bewegen, führt die Kraft nicht zu einer perma-nenten Beschleunigung entsprechend den Gesetzen der Mechanik, sondern es baut sich eine Rei-bungskraft RK auf, die der Geschwindigkeit iv der Ionen proportional ist:

R i iK v R= (11.4)

Die Größe Ri ist der Reibungskoeffizient, der von der Viskosität η des Lösungsmittels und der Größe der Ionen – hier gegeben durch dien Ionenradius ri – nach der Stokesschen Formel abhängt. , 6 iR rπη= (11.5)

Nach sehr kurzer Zeit stellt sich Kräftegleichgewicht ein, 0 6R el i i iK K z e E v rπη= ⇒ = (11.6)

so dass die Ionen bei konstantem elektrischen Feld mit konstanter Geschwindigkeit wandern:

53

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0

6i

ii

z e Evrπη

= (11.7)

Die sich bewegenden Ionen transportieren Ladungen, was einem elektrischen Strom I entspricht:

( )0I e A N z v N z v+ + + − − −= + (11.8)

e0 ist die Elementarladung und N+ , N- sind die Teilchendichten der Kationen und der Anionen. Sie hängen mit der molaren Konzentration cY des Elektrolyten über folgende Gleichung i Y iN c N Aν= (11.9)

zusammen. NA ist die Avogadrozahl. Einsetzen von Gl.(11.9) in Gl. (11.8) liefert:

( )0 Y A Y AI e A c N z v c N z vν ν+ + + − − −= + (11.10)

Gl.(11.10) lässt sich umformen zu

( ) ( )0 A Y YI I e N Ac z v z v FAc z v z vν ν ν ν+ + + − − − + + + − − −= = + = + (11.11)

mit der Faraday-Konstante F. Für Elektrolytlösungen gilt auch das Ohmsche Gesetz:

UIR

= (11.12)

Der Widerstand R der Elektrolytlösung mit der Dimension [Ω] ist von der Länge l und dem

Querschnitt A des Elektrolytleiters abhängig, wobei ρ der von der Geometrie des Leiters unab-hängige spezifische Widerstand ist.

lRA

ρ= (11.13)

Die Dimension des spezifischen Widerstandes ist [Ωm]. Da die an den Elektroden anliegende

Spannung U durch U E= l gegeben ist, gilt für den Strom entsprechend Gl.(11.12)

E E

I l lA ER l

κρ

= = = A (11.14)

κ ist als Kehrwert des spezifischen Widerstandes die spezifische Leitfähigkeit. Sie hängt nur noch von der Menge der Ladungsträger in der Lösung ab. Kombination von Gl.(11.11) mit Gl.(11.14) liefert:

( )YE A FAc z v z vκ ν ν+ + + − − −= + (11.15)

Da die Ionenwanderungsgeschwindigkeit dem angelegten Feld proportional ist, wird die vom Feld unabhängige Ionenbeweglichkeit ui definiert als i iu v E=

Hiermit ergibt sich für die spezifische Leitfähigkeit eines Elektrolyten mit Hilfe der elektroche-mischen Wertigkeit ne:

( ) ( )e Y Y e Y e

Y e

Fn c u u c n c n

c n

κ λ λ ΛκΛ

+ − + −= + = + =

= (11.16)

Während die Ionenbeweglichkeit ui eine auf ein Teilchen bezogene Größe ist, ist die Leitfähig-keit λi eine molare Größe.

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A.11.2. Die molare Leitfähigkeit

Die Summe der Leitfähigkeiten von Anionen und Kationen ist die molare Leitfähig-

keit des Elektrolyten Y. Die SI-Dimension der molaren Leitfähigkeit ist [m

Λ λ λ+= + −

2Ω-1 mol-1]. Die

molare Leitfähigkeit Λ eines Elektrolyten Y, die nur noch Beiträge der Leitfähigkeit der am Ladungstransport beteiligten Ionen enthält, sollte für gegebene Temperatur in einem gegebenen Lösungsmittel konstant sein. Da die hier vorgestellte Herleitung aber die Ladungs-Ladungs-Wechselwirkungen in der Lösung nicht berücksichtigt, kann gezeigt werden, dass Die Leitfähig-keit Λ in komplizierter Weise von der Elektrolytkonzentration abhängt, und die Herleitung exakt nur für verschwindende Elektrolytkonzentration gilt. Für kleine Elektrolytkonzentrationen gilt eine von Kohlrausch experimentell gefundene und später von Onsager theoretisch fundierte Abhängigkeit Λ = f(cY), die lautet:

0 YS cΛ Λ= − (11.17)

Λ0 ist der Grenzwert der Leitfähigkeit bei verschwindender Elektrolytkonzentration (unendliche

Verdünnung: Λ0 ≡ Λ∞). Sie ist eine elektrolytspezifische Größe in einem gegebenen Lösungs-mittel. Bei sehr kleinen Konzentrationen kann die gemessene molare Leitfähigkeit anstelle der Leitfähigkeit bei unendlicher Verdünnung verwendet werden. Da die molaren Ionenleitfähigkei-ten λi unabhängig voneinander sind, kann mit Hilfe der bekannten molaren Leitfähigkeiten dreier Elektrolyte (AB, DC, DB) die unbekannte eines vierten (AC) bestimmt werden:

AC AB DC DB

A B D C D B A

Λ Λ Λ Λ

Cλ λ λ λ λ λ λ λ= + − =

+ + + − − = + (11.18)

A.11.3. Bestimmung von Dissoziationskonstanten Mit Hilfe von Leitfähigkeitsmessungen lassen sich Dissoziationskonstanten schwacher (ionoge-ner), unvollständig dissoziierter Elektrolyte bestimmen:

AB A B+ −⎯⎯→ +←⎯⎯ (11.19) Die Dissoziationskonstante KD lautet:

A BD

AB

c cKc⋅

= (11.20)

Da bei der Dissoziation gleiche Mengen an Kationen und Anionen entstehen, gilt mit dem Dis-soziationsgrad α:

; (1 ) cA B ABc c c c cα α= ⋅ = ⋅ = − ⋅α (11.21)

Hiermit kann die Dissoziationskonstante geschrieben werden als:

( ) ( ) 2

(1 ) (1 )D

c cK

cα α α c

α α= =

− ⋅ − (11.22)

Die Äquivalentleitfähigkeit des Elektrolyten lässt sich auf zwei Arten formulieren: • Leitfähigkeit Λ der Elektrolytlösung mit analytischer Konzentration c,

• Leitfähigkeit Λ0 des dissoziierten Elektrolyten mit der Konzentration α⋅c

Für die spezifische Leitfähigkeit κ des Elektrolyten kann dann geschrieben werden:

0c cκ Λ Λ α Λ α Λ0= = ⇒ = (11.23)

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Hiermit gilt für des Dissoziationsgrad α:

0

ΛαΛ

= (11.24)

Hiermit gilt für die Dissoziationskonstante das Ostwaldsches Verdünnungsgesetz:

( )( ) ( )

20 2

0 01DK cΛ Λ Λ

0 cΛ Λ Λ Λ Λ

= =− −

(11.25)

Die Größe Λ0 wird aus den Beiträgen vollständig dissoziierter Elektrolyte bestimmt. Gl.(11.25) gilt in dieser einfachen Form nur für sehr stark verdünnte Lösungen. Wegen der star-ken und weitreichenden Ion-Ion-Wechselwirkungen sollten Aktivitätskoeffizienten berücksich-tigt werden. A.11.4. Konduktometrische Messung chemischer Reaktionen Sind bei einer chemischen Reaktion Ionen beteiligt kA B⎯⎯→ , (11.26) gilt für die spezifische Leitfähigkeit der Elektrolytlösung ( ) ( )0 0

A A B B A A B A B A A B A Bt c c c c c cκ λ λ λ λ λ λ λ λ= + = + − = − + Ac (11.27)

Zu Beginn der Reaktion misst man den Wert κ0:

00 A Acκ λ= (11.28)

Nach möglichst vollständigem Ablauf der Reaktion (ca. 10 Halbwertszeiten) ergibt sich der Wert κ∞

(11.29) 0B Acκ λ∞ =

Aus der Differenz κ0 - κ∞ ergibt sich

( ) 00 A B Acκ κ λ λ∞− = − (11.30)

und mit ( ) ( )A Btκ κ λ λ∞− = − Ac (11.31)

Hiermit sieht man, dass sich die molaren Leitfähigkeiten der Ionen A und B unterscheiden müs-sen. Somit ergibt sich für den Quotienten 0

A Ac c

( )0

0

A

A

tcc

κ κκ κ

−=

− (11.32)

Dieser Ausdruck kann zur Bestimmung der Geschwindigkeitskonstante verwendet werden. Die Gleichungen (11.30) und (11.31) gelten ebenfalls für Reaktionen, an denen auch ungeladene Reaktionspartner beteiligt sind.

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A.11.5. Die Messung von Leitfähigkeiten In der Regel wird für die Messung von Leitfähigkeiten die Kohlrauschbrücke verwendet:

RA RB

Rx RD

G

U

Die Wechselspannung U liegt an den beiden Zweigen der Brücke an. Der Widerstand RD ist ein variabler Dekaden-Widerstand, der in vier Dekaden jeweils zwischen 0 und 9 verändert werden kann. Der Widerstand Rx stellt den Widerstand der Leitfähigkeitszelle dar. Die Widerstände RA und RB sind bekannte Widerstände im Referenzzweig der Brücke. Wenn an dem Galvanometer G zwischen den beiden Brückenpunkten durch Variation von R

B

D kein Strom fließt, gilt

x A

D B

R RR R

= (11.33)

Und hiermit

Ax D

B

RR RR

= (11.34)

Falls RA = RB ist, ist der gesuchte Widerstand RB x gleich dem Dekadenwiderstand RD. Die spezifi-sche Leitfähigkeit der Elektrolytlösung ist dann:

1

x

lR A

κ = (11.35)

Da die Zellkonstante KZ = l/A der Messzelle aus ihrer Geometrie nicht genau bestimmbar ist, verwendet man zur Kalibrierung der Messzelle eine KCl-Elektrolytlösung, für die die spezifische Leitfähigkeit bei gegebener Konzentration exakt bekannt ist.

Z KCl KCllKA

κ= = R (11.36)

Damit kann dann die spezifische Leitfähigkeit jeder beliebigen Elektrolytlösung bestimmt wer-den:

1Z

x

KR

κ = (11.37)

57

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B Einführung in die Thermodynamik Aus der Kinetik haben wir erfahren, dass reversible Reaktionen (z.B.

12

21

k

kA B⎯⎯→←⎯⎯

12

21

k

kA B C⎯⎯→+ +←⎯⎯ D

oder kompliziertere Reaktionen) von einer beliebigen Seite des Reaktionssystems aus so lange ablaufen, bis sich das entsprechende Gleichgewicht eingestellt hat.

12

21

B

A

c kKc k

= =

12

21

C D

A B

c c kKc c k

⋅= =

K ist die aus dem kinetischen Experiment erhaltene Gleichgewichtskonstante und die überstri-chenen Konzentrationen sind die Gleichgewichtskonzentrationen. Chemische Reaktionen kön-nen während ihres Ablaufs arbeitsfähige Energie erzeugen (Druck-Volumenarbeit im Verbren-nungsmotor, elektrische Energie in einer Batterie, Energie in biologischen Systemen) solange sie nicht im Gleichgewicht sind. Hier aber wird die nutzbare Energie Null. In der Regel wird eine Reaktion bei konstanter Temperatur (isotherm) und bei konstantem Druck (isobar) in einem offenen Gefäß durchgeführt, in das zu Beginn des Experiments bekannte und definierte Mengen bzw. Massen der Reaktionspartner, des Lösungsmittels und weiterer Komponenten eingefüllt werden. Das bedeutet, dass wir bei jedem Experiment die Temperatur, den Druck und die Ausgangsmengen verändern können, um die Reaktion bei ande-ren Bedingungen zu beobachten. Zugleich soll aber darauf geachtet werden, dass während des Experiments keine Materie (Reaktionskomponenten oder Lösungsmittel) aus dem Reaktionsge-fäß heraus oder in dieses hineingebracht wird. Das Reaktionsgefäß ist somit materiell geschlos-sen. Das Volumen des Reaktionssystems kann bei konstanten Druck und Temperatur durch den Experimentator nicht beeinflusst werden, da es selbst durch die Reaktion verändert werden kann. Somit sind die Größen, insbesondere Energien, die wir aus dem kinetischen Experiment gewin-nen können, von Druck und Temperatur, nicht aber vom Volumen abhängen. Würde die Reak-tion in einem geschlossenen, thermostatisierbaren Gefäß durchgeführt, könnte man Temperatur und Volumen, nicht aber den Druck beeinflussen, so dass in diesem Fall die Energien mit ande-ren Werten von den entsprechenden Variablen abhingen. Deshalb kennt man in Thermodynamik und Technik verschiedene Energieformen, die den ver-schiedenen Prozessführungen der Experimente entsprechen.

B.1 Thermodynamische Grundbegriffe Um das Reaktionssystem von der energetischen Seite aus zu betrachten, benötigt man noch einige Informationen und Definitionen.

B.1.1 Systeme Ein System ist ein abgegrenzter Teil der gesamten Welt, in dem die interessierenden Prozesse ablaufen. So kann das System sein • eine Küvette, die sich einem Spektrometer befindet und in der die zu untersuchende Reak-

tion abläuft,

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• Elektrische Batterie, • Becherglas gefüllt mit Salzsäurelösung, • Lebende Zelle mit Zellmembran, Zellkern, Mitochondrien und Zelllösung, • Zylinder mit Kolben eines Verbrennungsmotors, • Titrationskolben mit zu untersuchender Lösung. Das System ist makroskopisch, d.h. aus vielen Teilchen (Molekülen) aufgebaut (N ∼ 1015 – 1025). Sein Verhalten wird von Wärmeaustauschvorgängen und/oder von Arbeitsbeiträgen (mechanische, elektrische, magnetische u.a.) beeinflusst. In der Regel können die Eigenschaften der einzelnen Teilchen (Atome, Moleküle) nicht sondern nur die des gesamten Systems beo-bachtet werden. Somit sind die Werte von Messgrößen immer Mittelwerte, die über die Beiträge aller Teilchen gemittelt sind.

• Wir hatten bei der Herleitung der kinetischen Gleichungen immer angenommen, dass wäh-rend der Reaktion keine Komponenten von außen zu oder nach außen abgeführt werden. Die Gesamtmenge aller Komponenten im Reaktionsgefäß blieb konstant. Auch die Temperatur sollte konstant bleiben. Da aber eine chemische Reaktion, solange sie nicht im Gleichge-wicht ist, Wärme oder Arbeit erzeugen oder verbrauchen kann, musste das System zur Ein-haltung der Temperaturkonstanz wärmedurchlässig bzw. nicht isoliert sein.

• In der Regel wurde in offenen Gefäßen experimentiert, so dass der konstante Außendruck auch immer über dem untersuchten System herrschte. Dadurch musste man aber in Kauf nehmen, dass sich das Volumen der Reaktionslösung ändern konnte. Ist diese Volumenände-rung groß, kann eine Reaktion auch mechanische Arbeit leisten (Verbrennungsmotor, Dampfmaschine). Bei Reaktionen in flüssiger Phase hingegen ist diese Volumenänderung meistens zu vernachlässigen.

• Man erkennt, dass das eigentliche experimentelle System von der Umgebung umgeben ist und mit dieser Materie, Wärme oder mechanische Arbeit austauschen kann. Die Umgebung wird dabei so groß angenommen, dass sie diesen Austausch verkraften kann, ohne ihren Zustand messbar zu ändern.

• Wenn ein System mit der Umgebung Materie, Wärme und Arbeit austauschen kann, ist ein offenes System.

• Nur Austausch von Wärme und Arbeit ergibt ein materiell geschlossenes System.

• Findet überhaupt kein Austausch mit der Umgebung statt, ist es ein abgeschlossenes Sys-tem.

• Es ist immer möglich, ein System in Teilsysteme aufzuspalten, oder Teilsysteme zu einem größeren System zusammen zu fassen.

• Unter diesen Bedingungen ist ein System, das aus der Umgebung und den von ihr umschlossenen Teilsystemen besteht, immer ein abgeschlossenes System.

B.1.2 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik Ein abgeschlossenes System hat einen konstanten Energieinhalt (Innere Energie U). Wenn sich die innere Energie eines materiell geschlossenen Systems ändert, kann dies nur durch Austausch von Wärme (Q) oder Arbeit (W) mit der Umgebung geschehen.

B.1.3 Thermodynamische Variable Die Variablen, die an einem System gemessen werden können, sind: • Zeit t : s • Druck p : bar, Pa • Temperatur T : °C, K

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• Menge n bzw. Konzentration c der Komponenten: mol, mol/dm3 u.a. • Energien

o E/ J : Allgemeine Formulierung der Energie des Systems o U/ J : Innere Energie des Systems o A/ J : Helmholtz-Energie des Systems (von Temperatur und Volumen abhängig) o G/ J : Gibbs-Energie des Systems (von Temperatur und Druck abhängig)

• Wärme Q (allgemein), H (von Druck abhängig) : J, (cal) • Arbeit W (mechanisch, elektrisch, magnetisch) : J • Volumen eines chemischen Systems V : m3, l, dm3, ml • Oberfläche einer Flüssigkeit O : m2, cm2. u.a. In der Thermodynamik spielt die Zeit in der Regel keine Rolle.

Aus kinetischen Experimenten haben wir erfahren, dass die Bestimmung der Geschwindigkeits-konstante unabhängig davon ist, in welcher Menge die Reaktionspartner eingesetzt wurden. Es traten also nur Größen, insbesondere Temperatur, Druck, Konzentrationen auf, die mengenunab-hängig sind.

• Solche Größen oder Variable nennt man intensive Variable. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie in einem homogenen System überall den gleichen Wert haben. Teilt man ein Volu-men einer Säurelösung in zwei Teile, ist die Konznetration in beiden Teilvolumina gleich groß und auch gleich der im Anfangsvolumen.

• Im Gegensatz dazu nennt man Größen oder Variable, die von der Menge der Komponenten abhängig sind (Volumen, Energie, Arbeit) extensive Variable.

• Wichtig ist hierbei aber festzustellen, dass die extensiven Variablen den Mengen bzw. Mas-sen direkt proportional sind. 2 kg Wasser haben bei gleichen Werten von Druck und Tempe-ratur das doppelte Volumen wie 1 kg.

Zu jeder extensiven Variable gibt es eine molare Variable, die auf ein Mol bezogen ist. z.B.: molare Energie J/mol, molares Volumen dm3/mol. Zur Unterscheidung schreibt man die mola-ren Größen mit dem entsprechenden Kleinbuchstaben. So gilt z.B.

G gn

= (1.1)

Falls die Variable auf eine bestimmte Masse (1 kg) bezogen ist, spricht man von spezifischen Größen. In der Regel sind die Werte solcher molarer oder spezifischer Größen in Tabellen zu finden.

B.1.4 Prozesse Ein Prozess ist eine makroskopische Zustandsänderung des Systems, wobei mindestens eine der Variablen geändert wird. Betrachtet wird er als Unterschied zwischen dem Zustand am Ende und dem zu Beginn des Prozesses. Wie lange ein solcher Prozess dauert, ist für die Bilanz thermody-namischer Variablen unerheblich. Aus experimentellen Beobachtungen konnte man erkennen, dass die Änderungen mancher thermodynamischer Variablen in einem Prozess von einem Anfangszustand zu einem Endzustand unabhängig davon ist, wie und auf welchem Wege diese Zustandsänderung erreicht wurde. Solche Variable, zu denen alle Energien, Druck, Temperatur, Volumen und die Oberfläche gehören, nennt man Zustandsvariable bzw. Zustandsfunktionen. Hingegen sind die technisch bedeutsamen Größen Wärme und Arbeit in ihren Änderungen in der Regel von der Prozessführung abhängig und damit keine Zustandsfunktionen.

B.1.5 Thermodynamische Zustände Ein thermodynamischer Zustand ist die momentane makroskopische Beschaffenheit des Sys-tems. Ein offenes System kann dabei mit der Umgebung Materie und Energie (Wärme bzw. Arbeit) austauschen. Man nennt die Differenz zwischen zufließender und abfließender Materie

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bzw. Energie den Nettofluss des Systems. Materiell abgeschlossene Systeme können nur Ener-gie austauschen.

• Ein stationärer Zustand ist der Endzustand, den ein offenes System im interessierenden Zeitmaßstab bei zeitlich konstanten Randbedingungen erreicht. Im stationären Zustand sind die Werte aller Zustandsvariablen und die Nettoflüsse zeitlich konstant. Beispiele sind:

o Reaktor, in den mit konstanter Geschwindigkeit die Reaktionspartner einfließen und die Reaktionsprodukte abfließen.

o Lebende Organismen, die einen ständigen Zufluss von energiereicher Materie benöti-gen, die im Stoffwechsel in Energie, Wärme, lebensnotwendige Substanzen und ener-gieärmere Stoffwechselprodukte, die ausgeschieden werden müssen, umgesetzt wird.

• Der Gleichgewichtszustand ist der stationäre Zustand eines Systems, bei dem im interessierenden Zeitmaßstab alle beobachtbaren Zustandsvariablen konstant und die Nettoflüsse (zu ihnen zählen auch die Reaktionsgeschwindigkeiten) Null sind. Entspre-chend kann ein System im Gleichgewicht keine Arbeit und keine nutzbare Energie liefern. Somit sind auch alle (Netto-) Triebkräfte Null.

Ein Gleichgewichtszustand heißt

o (thermodynamisch oder absolut) stabil, wenn er unter dem Einfluss von Störungen auf Dauer beständig ist,

o metastabil, wenn er unter dem Einfluss dieser Störungen nur vorübergehend beständig ist,

o instabil, wenn er unter dem Einfluss der Störungen ohne Zeitverzug verlassen wird.

Meist wird beim Gebrauch des Begriffes Gleichgewicht unterstellt, dass der Zustand ther-modynamisch stabil ist.

B.1.6 Die Energien thermodynamischer Systeme

Da Energien nicht absolut gemessen werden können, interessieren nur Energieänderungen. Diese Energieänderungen können als Gesamtänderung ΔE in einem Prozess gemessen werden

. (1.2) Ende AnfangE E EΔ = −

Sie können aber auch als beliebig kleine, und vom augenblicklichen Zustand des Systems abhängige Größen dE auftreten (E sei hierbei das allgemeine Symbol für die Energie; spezielle Energieformen haben dann eigene Symbole). Man nennt eine solch kleine Änderung eine diffe-rentielle Energieänderung oder ein Energiedifferential.

• Die arbeitsfähige Energie, die materiell geschlossene und offene Systeme bei einem Pro-zess umsetzen, ist von Druck p, Temperatur T und den Mengen ni der Komponenten i, die das System aufbauen, abhängig. Sie heißt Gibbssche Energie G. Somit ändert sich die Gibbssche Energie bei einer chemischen Reaktion von der Energie der Ausgangsverbindun-gen bis zum Wert Null im Gleichgewicht, da das System dann keine Arbeit mehr leisten kann. Hierbei müssen p und T konstant gehalten werden.

• Falls ein System Energie, Wärme oder Arbeit abgibt bzw. leistet, wird diese Energie für das System als negative Energie gezählt. Arbeits- oder Energieaufnahme ist für das System positiv. Energieabgabe verringert den Energieinhalt des Systems.

• Falls ein System aus mehreren Komponenten besteht, hat jede Komponente i eine molare Gibbssche Energie, die das chemische Potential μi der Komponente i genannt wird

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( ) ( ), , li ip T p T R T aμ μ= + ⋅ ⋅0 n( )i (1.3)

Da, wie schon erwähnt, nur Energiedifferenzen maßgeblich sind, ist ( ),i p Tμ0 das chemi-sche Potential der Komponenten i bei dem Bezugszustand 0. R ist die molare Gaskonstante, T die Temperatur (K) und ai die Aktivität der Komponente i. Sie ist das Produkt der Kon-zentration mit einem geeigneten Aktivitätskoeffizienten. Ein häufiges Konzentrationsmaß ist der Molenbruch xi:

ii

jj

nxn

=∑

(1.4)

Der Molenbruch ist ein dimensionsloses Konzentrationsmaß, das zwischen den Grenzen 0 (Komponente i nicht vorhanden) und 1 (Komponente i rein vorhanden) definiert ist. Der zugehörige Aktivitätskoeffizient ist fi, und der Bezugszustand ist die reine Komponente (Index ∗). Hiermit gilt für das chemische Potential:

( ) ( ), , ln(i i ip T p T R T x fμ μ∗= + ⋅ ⋅ )i⋅ (1.5)

Anstelle des Molenbruchs wird für Lösungen als häufigste Konzentration die molare Kon-zentration c / mol⋅dm-3 verwendet. Hierfür lautet das chemische Potential:

( ) ( ),, , lnc ii i

cip T p T RT

c∞ ⎛= + ⎜

⎝ ⎠μ μ y ⎞

⎟ (1.6)

yi ist der Aktivitätskoeffizent für die molare Konzentration ci mit der Referenzkonzentration c = 1 mol⋅dm-3. Die folgende Tabelle enthält die Zusammenhänge für verschiedene Konzentrationsmaße:

Konzentration Bezugs- konzentration

Referenz- potential

Aktivitäts- koeffizient

Referenz für Aktivitäskoeff.

xi (flüssig) xi = 1 *iμ fi 1

lim 1i

ixf

→=

yi (gas) pi = p* *, piμ ϕi *

lim 1i i

ip pϕ

→=

ci /mol⋅dm-3 c∅ = 1 mol⋅dm-3 ,ciμ∞ yi 0

lim 1i

icy

→=

mi /mol⋅kg-1 m∅ = 1 mol⋅kg-1 ,miμ∞ γi 0

lim 1i

imγ

→=

Alle Bezugszustände sind für den Standardzustand (T = 298,15 K und p = 1,013 bar) festgelegt. Die Aktivität kann häufig näherungsweise gleich der Konzentration der Komponente gesetzt werden. Die Fälle, in denen diese Gleichsetzung nicht gilt, sollen später behandelt werden.

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B.2 Energetik chemischer Reaktionen

B.2.1 Rationale Schreibweise für chemische Reaktionen Chemische Reaktionen (R) zwischen Komponenten Si

( ) A B C X Y ZA B C X Y ZR ν ν ν ν ν ν′ ′ ′ ′ ′+ + + + + + (2.1)

werden in der Regel als Überlagerung von Hin- und Rückreaktion formuliert, wobei das Ausmaß der Hin- oder Rückreaktion bei verschiedenen Reaktionen außerordentlich unterschiedlich sein kann. Als Beispiel sei die Ammoniaksynthese formuliert: 2 2( ) 3H N 2 NHR 3+ Eine für die Berechnungen bequemere Schreibweise ergibt sich, wenn man die Edukte wie bei einer algebraischer Gleichung nach rechts bringt, wobei die stöchiometrischen Koeffizienten neu definiert werden müssen:

( ) 0 A B C X Y ZA B C X Y ZR ν ν ν ν ν ν+ + + + + + +

3

3

NH

(2.2)

Beispiel der Ammoniaksynthese:

2 2

2 2( ) 0 ( 3) H ( 1) N 2 NH

H N

R

ν ν ν

→ − + − +←

↑ ↑ ↑

Die stöchiometrischen Koeffizienten der Edukte werden negativ und die der Produkte positiv gezählt. Damit gilt für die Reaktion (R) zwischen den Komponenten Si :

( ) Si ii

R ν= ∑0: Edukt0: Produkt

i

i

νν

<>

(2.3)

νi = vorzeichenbehafteter stöchiometrischer Koeffizient. Führt man eine chemische Reaktion ausgehend von den Edukten durch, werden der stöchio-metrischen Reaktionsgleichung entsprechende Mengen umgesetzt.

B.2.2 Die Gibbssche Reaktionsenergie Wird die chemische Reaktion bei konstanten T und p durchgeführt, gilt für die differentielle Änderung der Gibbbs-Energie:

i ii

dG dnμ= ∑ (2.4)

Der Umsatz kann zwischen Null und dem der Stöchiometrie entsprechenden vollständigen Wert νi variieren. Wie man aus dem Zusammenhang der differentiellen Zeitgesetze der Reaktion weiß, sind die Umsätze der einzelnen Komponenten nicht unabhängig voneinander. Mit der Definition der Größe λ als Reaktionslaufzahl kann man schreiben

i idn dν λ= (2.5)

Hiermit ergibt sich aus Gl.(2.4)

i i i ii i

dG d dμν λ μν λ⎛ ⎞= = ⎜ ⎟⎝ ⎠

∑ ∑ (2.6)

Division durch dλ liefert die Größe ΔRg

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,

i i Rip T

G gμν Δλ

∂ ⎛ ⎞⎛ ⎞ = =⎜ ⎟ ⎜ ⎟∂⎝ ⎠ ⎝ ⎠∑ (2.7)

als molare Gibbs-Reaktionsenergie. Wie noch später gezeigt wird, muss für eine spontan ablau-fende Reaktion gelten: dG ≤ 0. Im Gleichgewicht ist dG = 0.

Gleichgewicht: 00 : dann d 00 : dann d 0

R

R

R

ggg

ΔΔ λΔ λ

=< >> <

Reaktion verläuft in positiver Richtung

Reaktion verläuft in negativer Richtung

Der Zusammenhang zwischen der Gibbsschen Energie G einer Reaktion und der Reaktionslauf-zahl λ kann folgendermaßen dargestellt werden: Wie Gl.(2.7) zeigt, ist ΔRg jeweils die Steigung an die Kurve G = f(λ) bei Druck und Tempera-

tur konstant. Im Gleichgewicht geht G durch ein Minimum, an dem ΔRg Null ist. Die Reaktion kann deshalb links vom Gleichgewicht nur von den Edukten und rechts davon nur von den Pro-dukten aus spontan zum Gleichgewicht ablaufen. ΔG ist die Differenz der Gibbsschen Energien von Produkten und Edukten. Mit lni i iRT a0= +μ μ , kann man formulieren:

( , )

lnR

R i i i

g T p

g RTΔ

Δ ν μ ν= + ia∑ ∑0

0 (2.8)

wobei 0( , )R R ig g T pΔ Δ ν= = iμ∑0 0 Der Bezugszustand mit dem Index 0 steht jeweils für den für die Reaktionskomponente sinnvol-len Bezugszustand (* für Mischungen und Lösungsmittel, ∞ für gelöste Komponenten). Der zweite Term auf der rechten Seite von Gl.(2.8) lässt sich folgendermaßen schreiben:

( )1 2 331 2ln ln ln .... lni i

i i i iia a a a a νν ν aν νν Π= = ⋅ ⋅ =∑ ∑ (2.9)

Π ist das Produktsymbol, das die Aktivitäten multiplikativ verknüpft. Hieraus kann man den Reaktions-Quotienten (Massenwirkungsbruch) QR festlegen:

iR

i

Q aiν= ∏ (2.10)

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Damit ergibt sich aus Gl.(2.8):

(2.11) lnR Rg g RTΔ = Δ +0 RQ

R

Im Gleichgewicht (eq) ist ΔRg = 0, so dass gilt

(2.12) ( ) ( )0 ln lnR R Req eqg RT Q g RT Q= Δ + ⇒ Δ = −0 0

B.2.3 Die Gleichgewichtskonstante Wir definieren damit die Gleichgewichtskonstante KR (Massenwirkungskonstante) der Reaktion durch:

( )0 ( )( , ) = = ei Rg RT

R R ieqi

K T p Q a ν −Δ⎛ ⎞= ⎜ ⎟⎝ ⎠∏ (2.13)

Somit kann man auch schreiben:

(2.14) ln lnR Rg RT K RT QΔ = − + R

Bei der Aufstellung von Reaktionsgleichungen und bei der Angabe von Gleichgewichtskonstan-ten ist folgendes zu beachten: • Zu einer Gleichgewichtskonstanten ist immer die Reaktionsgleichung anzugeben, da die

Gleichgewichtskonstante der Rückreaktion gleich dem Kehrwert der der Vorwärtsreaktion ist.

• Zur genauen Kennzeichnung müssen in den Reaktionsgleichungen der Aggregatzustand und weitere spezifizierende Bezeichnungen der Komponenten angegeben werden. Um bei gleichzeitiger Verwendung verschiedener Standards Verwechslungen zu vermeiden, müssen die verschiedenen Massenwirkungsbrüche und -konstanten bei Bedarf geeignet indiziert werden!

• Die Gleichgewichtskonstante ebenso wie der Reaktions-Quotient sind dimensionslose Grö-ßen.

• Es ist ohne Probleme möglich, bei Reaktionen zwischen Komponenten, die in verschiedenen Aggregatzuständen eingesetzt werden, die Bezugszustände und die Konzentrationsmaße ent-sprechend den Komponenten geeignet zu wählen.

• Sind bei einer Reaktion feste Stoffe beteiligt, dann wird deren Aktivität für die reine feste Phase gleich 1 gesetzt.

• Zur Vereinfachung werden bei der Berechnung von Gleichgewichtskonstanten anstelle der Aktivitäten meist nur die entsprechenden Konzentrationen verwendet.

• Für die Berechnung von Gleichgewichtskonstanten von Reaktionen in flüssiger Phase ist ein weiterer Referenzzustand für den Aktivitätskoeffizient sinnvoll:

Für eine Reaktion von links nach rechts gilt: ln ( / ) 0R Rg RT Q K RΔ = <

)

. Es folgt: QR < KR. Wenn eine Reaktion also in positiver Richtung verläuft, ist der Massenwirkungsbruch kleiner als KR: die Produktkonzentrationen sind noch zu klein, die Eduktkonzentrationen zu groß. Bei

ist es umgekehrt. 0R gΔ >

B.2.4 Der Standard-Bezugszustand Für den Standardzustand ergibt sich unter Verwendung des chemischen Standardpotentials

der reinen Substanz i der Standardwert der Gleichgewichtskonstanten: 0 ( ,i i T pμ μ=

exp( ( )) exp( ( ))R R i iK g RT Rν μ= − Δ = − T∑

Der Standardzustand ist durch T = 298,15 K und p = 1,013 bar festgelegt.

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B.2.5 Die Reaktionsenthalpie Neben der Gibbsschen Reaktionsenergie, die bei konstanten Druck und Temperatur die maximal mögliche Nutzarbeit des Reaktionssystems darstellt und mit ihrem Vorzeichen angibt, ob die Reaktion spontan oder nicht spontan abläuft, sind die meisten Reaktionen auch mit einer Ände-rung des Wärmeinhaltes verbunden, die in Wärmekraftmaschinen genutzt werden kann. Die bei einer Reaktion bei konstantem Druck umgesetzte Wärme ist die Enthalpie H. Somit ist dem chemischen Standardpotential iμ die molare Standardenthalpie zugeordnet. ihDa Energien nicht absolut bestimmt werden können, müssen alle Energiebeiträge einer chemi-schen Reaktion auf die gleiche Referenz bezogen werden. Da die Bildungsenthalpie eines Moleküls die Differenz des Energieinhaltes des Moleküls gegenüber denen der das Molekül auf-bauenden Elemente ist, ist es sinnvoll, die Bildungsenthalpien der Elemente in deren stabilen Modifikationen bei Standardbedingungen gleich Null zu setzen.

ih (Elemente in stabiler Modifikation) = 0 Jmol-1 bei T = 298,15 K und p = 1,013 bar.

Die iμ sind neben den Werten der molaren Standard(bildungs-)enthalpien in der Literatur in umfangreichen Tabellen niedergelegt, z.B. in Atkins „Lehrbuch der Physikalischen Chemie“ im Anhang unter der Bezeichnung . Diese Tabellen sind für die praktische Berechnung von Gibbsschen Reaktionsenergien ungemein nützlich!

ih

f GΔ

B.2.6 Beispiele von Gleichgewichtsreaktionen

B.2.6.1 Wasserdissoziation

+ -2H O H (aq) + OH (aq)

Werte:

H2O (l) H+(aq) OH- (aq)

Standard: c0 = 1 mol⋅dm-3

μ / kJ⋅mol-1 - 237 0 (def) - 157

h / kJ⋅mol-1 - 286 0 (def) - 230

Somit: 1157 ( 237) 80 kJ molR g −Δ = − − − = + ⋅ bzw. 141,0 10RK −≈ ⋅

1230 ( 286) 56 kJ molRh −Δ = − − − = + ⋅ Daher gemäß Gl.(2.13):

+ -

2

H OH

H O

( / M) ( / M)R

c cK x

⋅⎛ ⎞= ⎜ ⎟

⎝ ⎠

Da die Gibbssche Standard-Reaktionsenergie stark positiv ist, ist die Dissoziationskonstante sehr klein, so dass man setzen kann: H O2 1x ≈ Damit gilt

+ -2 1

H OHM 10R Wc c K K −⋅ = ⋅ = = 4 2M

-

+H OHc c⋅ wird als Ionenprodukt des Wassers und KW als Ionenproduktkonstante bezeichnet. Der pH-Wert ist definiert als:

log Ha

pHc

+⎛ ⎞= − ⎜

⎝ ⎠⎟ (2.15)

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Bei der Dissoziation von Wasser -

2H O H OH+→ +← werden gleich viele Anionen wie Kationen erzeugt, so dass gilt + -H O

c cH

= und c = 1 mol⋅dm-3 = 1 M:

+7 3

WH10 mol dmc K − −= = ⋅

B.2.6.2 Lösen eines Salzes

hier: (Glaubersalz = GS) 2 4 2Na SO 10 H O⋅

2-4 2GS(s) 2 Na (aq) SO (aq) 10 H O(l)+→ + +←

Daher mit KR = KR(T,p) und M = mol⋅l-1:

4 2

2 1Na SO H O

GS

( / M) ( / M) ( )R

c c xK x

⋅ ⋅=

0

3 L

Da xGS = 1 und ergibt sich: 2H O 1x =

4

2Na SO MRc c K⋅ = = (2.16)

Sättigungskonzentration cs von GS:

4

3Na SO2 und , daher: 4s s sc c c c L= = c=

bzw. 34sLc = . z.B. bei 0°C: . 3

s0,115 M , so dass c 0,31 ML ≈ ≈

Gleichgewicht ohne Bodenkörper: c c4

2Na SO L⋅ <

B.2.6.3

O

!

NO-Bildung aus den Elementen in der Gasphase

2 2N O 2N+

Für die Gleichgewichtskonstante ergibt sich:

0

2 2

2NO

N Oe

RGRT

RxK x x

Δ−

= = (2.17)

a) T = 298 K, p = 1 bar 0 31173,1 kJ/mol, so dass 4,4 10

180,5 kJ/mol > 0R R R

R R

g g K

h h

−Δ = Δ = = ⋅

Δ = Δ =

Also bei x gemäß Gl.2 2N O0,8 und 0,2x= = (2.17)

16NO 2,7 10x −= ⋅

b) T = 2000 K, p = 1 bar

Ionenprodukt Ionenprodukt- oder Löslichkeitskonstante

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Hier ist , so dass bei dieser Temperatur (unter Verwendung obiger Werte für

4(2000 K) 4 10RK −≈ ⋅

2 2N Oundx x )

3 3NO 0,008 8 dm / mx ≈ = !

Also: Großer Gleichgewichtsanteil von NO bei hohen (Verbrennungs-)Temperaturen (hohem Wirkungsgrad η), unter Abkühlung wegen kinetischer Hemmung normalerweise keine Rückkehr ins Gleichgewicht. (Abhilfe z.B. beim Kfz: Katalysator) (unterhalb 150°C: 2

1NO O NO2+ → 2

B.2.6.4

, MAK-Wert von NO2: 5 ppm = 5 ml/m3!)

Bildung von CO im Boudouard-Gleichgewicht

( )2C(s) CO (g) 2CO g+

Für die Gleichgewichtskonstante gilt damit: 0

2 2

2 2CO CO

C CO COe

RGRT

Rx x Kx x x

Δ−

= = =⋅

wenn der feste Kohlenstoff rein vorliegt. 0 2120 kJ/mol, so daß 9,0 10

173 kJ/mol > 0R R R

R

g g K

h

−Δ = Δ = = ⋅

Δ =

2

B.2.6.5

g

Daher ist im Gleichgewicht bei Umgebungsbedingungen praktisch kein CO zu finden. Aber mit wachsenden (Verbrennungs-)Temperaturen ergibt sich ein starker Anstieg der CO-Bildung (s. anorganische Chemie: Boudouard-Gleichgewicht und Ellingham-Diagramm) wie bei NO. Bei 2000 K erhält man (auf die in den vorangehenden Beispielen gezeigte Weise) mit

für die Gleichgewichtskonstante einen Wert, der sogar weit über 1 liegt. Wieder gilt: Unter Abkühlung wegen kinetischer Hemmung normalerweise keine Rückkehr ins Gleichgewicht. Nur wegen dieser Hemmung kann CO im Alltag zum Problem werden. (Auch hier technisch Abhilfe durch Katalysatoren)

4(2000 K) 6 10RK ≈ ⋅

Technische Ammoniaksynthese Das Gleichgewicht von

2 2 3N ( ) 3H ( ) 2NH ( )g g+

liegt unter Standardbedingungen wegen 134 kJ molRg −Δ = − auf der Seite des Ammoniaks. Allerdings besteht eine sehr starke Reaktionshemmung, die auch bei Verwendung technisch ver-fügbarer Katalysatoren (Eisen-Alkalihydroxid-Tonerde) erst durch Temperaturerhöhung auf über 450°C wirksam beseitigt werden kann. Da die Reaktion mit (Reaktions-wärme) exotherm ist, wird ihr Gleichgewicht durch eine so starke Temperaturerhöhung aber weit auf die Seite der Edukte verschoben, so dass die Ammoniakausbeute sehr klein wird. Man macht sich daher bei der technischen Ammoniaksynthese zunutze, dass sich die Menge an Gas verrin-gert und somit negativ ist, und wirkt der unerwünschten Verschiebung des Gleichgewichts durch eine starke Erhöhung des Drucks entgegen.

192 kJ molRH −Δ = −

RvΔ

Bei 500°C und 250 bar werden so im technischen Verfahren (Haber-Bosch-Verfahren) Ausbeu-ten von etwa 15% erzielt. Weitergehenden Umsatz erreicht man, indem man das gebildete Am-

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moniakgas durch Tiefkühlen (Verflüssigen des Ammoniaks) oder durch Auswaschen aus dem Gasgemisch entfernt.

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B.2.7 Redoxreaktionen und Nernstsche Gleichung Viele chemische Reaktionen in flüssiger Phase laufen unter Ladungsübertragung von einem Reaktionspartner auf einen anderen ab. Die Abgabe eines oder mehrerer Elektronen ist eine Oxi-dation, die Aufnahme eine Reduktion.

(2.18) 1 2 1Red + Ox Ox + Red2

Pro Formelumsatz werden z Elektronen ausgetauscht (z > 0). Falls eine solche Reaktion in homogener Phase abläuft, kann nach Einstellen des ungehemmten Gleichgewichtes die Gleich-gewichtskonstante aus den Aktivitäten der Reaktionspartner bestimmt werden. Mess- und nutz-bar sind hier nur die Reaktionsenthalpie und die Volumenarbeit (Verbrennungsmotor, Raketen-antrieb, thermische Heizungen mit Gas, Holz oder Öl). Die Elektronen werden direkt zwischen den Reaktionspartnern ausgetauscht. Es ist aber auch möglich, Redoxreaktionen einem elektrochemischen Gleichgewicht zu unter-werfen, wobei der Ladungsfluss über einen äußeren metallischen Leiter geführt und gesteuert werden kann. Damit die Reaktionspartner nicht direkt in Kontakt kommen (siehe oben), müssen sie in dieser Galvanischen Zelle (Galvanische Kette, galvanisches Element, Batterie, Akkumulator) räumlich durch eine für sie undurchlässige Membran getrennt werden. Die Membran (Elektrolytbrücke) selbst muss für das Lösungsmittel und für Ionen, die nicht an der Reaktion beteiligt sind, perme-abel sein. Zur Herleitung der notwendigen Gleichungen gelte weiterhin T, p = const. Für die beiden Teilreaktionen gilt dann:

1 1

2 2

links: Red Ox +

rechts: Ox + Red

z e

z e

− (2.19)

Die Elektronen werden durch die Metallelektroden (Platindraht) ab- und/oder zugeführt. E

1ϕ 2ϕ

0lim el

IU E

→=

Werden die beiden Elektroden kurzgeschlossen, ist das System ungehemmt und es fließt ein Strom I solange, bis sich zwischen den Redoxpartnern das Gleichgewicht eingestellt hat. Werden hingegen die Elektroden getrennt oder über einen beliebig hohen Widerstand miteinan-der verbunden, kann man an den Elektroden bei verschwindend kleinem Strom das Potential E – die elektromotorische Kraft EMK – bestimmen

2E 1ϕ ϕ= − . (2.20)

An dem Widerstand R eines Verbraucher liegt die Spannung Uel = E - R⋅I an.

Platindraht

I

dqel

Red2/ Ox2Red1/Ox1

Elektrolytbrücke

70

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Aufgrund der Redoxgleichung (2.19) spielt sich bei positivem Umsatz an der linken Elektrode die Oxidation ab, dem System fließen über die rechte Elektrode also Elektronen (negative Ladungen) zu, so dass hier die entsprechende Reduktion stattfindet. Dabei gilt für die umgesetzte Ladung Δqel Ladung Elektron

(2.21) o( )el Lq z q N z FΔ = − ⋅ = −

Hier ist F die Faraday-Konstante. Sie ist gegeben durch:

3 1Ladung eines (+1)-wertigen Stoffes 96, 10 As mol485StoffmengeF −≈ ⋅=

wobei 19

0 0mit Elementarladung 1,6022 10 AsLF N q q −= = ≈ ⋅

Die elektrische Arbeit Δwel pro Mol Formelumsatz ist identisch mit der molaren Gibbsschen Reaktionsenergie . Damit ergibt sich unter Verwendung von Gl.R gΔ (2.21):

(2.22) elRw g zΔ = Δ = − FE

Für E folgt:

1RE gzF= − Δ (2.23)

Zusammen mit Gl.(2.11) ergibt sich die Nernstsche Gleichung:

01 ln ln lnR R RRT RT RT

RE g Q KzF zF zF zF= − Δ − = − Q (2.24)

E wird elektromotorische Kraft oder EMK oder auch Redoxpotential der Reaktion genannt. Wie die Herleitung zeigt, handelt es sich um eine Gleichgewichtsspannung. Gemäß Gl.(2.24) ist sie genau dann von Null verschieden, wenn das Massenwirkungsgesetz nicht erfüllt ist, wenn also KR ≠ QR ist. Das Massenwirkungsgesetz beschreibt das ungehemmte Reaktionsgleichge-wicht (oder Massenwirkungsgleichgewicht), bei dem die Reaktion unter Erschöpfung ihrer Triebkraft zu Ende geht (E = 0). Dagegen liegt bei E ≠ 0 ein elektrochemisches Gleichgewicht vor. Die Reaktion wird durch Eingriff von außen, nämlich durch die räumliche Trennung der Redoxpaare und die Unterbrechung des äußeren Stromzweigs daran gehindert, bis zum Errei-chen des Massenwirkungsgleichgewichtes (ΔRg = 0) weiterzulaufen. Meist schreibt man die Nernst'sche Gleichung abgekürzt in der Form:

0 ln RRTE E z F= − Q (2.25)

E0 ist die Standard-EMK oder das Standard-Redoxpotential der Reaktion. Mit Gl.(2.24) gilt:

0 1ln RRT 0

RE Kz F z F= = − Δ g

pro Formelumsatz ausgetauschte Ladung

(2.26)

71

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Also genügt es, eine der Größen E0, KR oder ΔRg0 zu kennen, um die beiden anderen berechnen

zu können. Das gilt natürlich auch für die auf (T , p ) bezogenen Werte E , KR und ΔRg . Jede galvanische Zelle besteht aus zwei Teilzellen, in denen sich jeweils ein Redoxsystem befin-det. In einer Telzelle findet die Oxidation, in der anderen die Reduktion statt. Um allgemeingül-tige Berechnungen an galvanischen Zellen durchzuführen, gilt für diese die Stockholmer Kon-vention: • Jede Teilreaktion wird als Reduktion formuliert:

i iOx + Redz e−

• Für jede Teilreaktion wird eine Nernstsche Gleichung angesetzt.

Red0

Oxln i

i

i i

aRTE E zF a= −

• Die EMK der gesamten galvanischen Zelle ist dann die Differenz zwischen der Zelle, in der die Reduktion stattfindet, und der der Oxidation.

RedRed0 0

Ox Ox

(Reduktion) (Oxidation)

ln ln ji

i j

i j

i j

E E E

aaRT RTE E EzF a zF a

= −

⎛ ⎞= − − −⎜ ⎟

⎝ ⎠

• Ist die galvanische Zelle (Kette) entsprechend dieser Konvention aufgebaut, ist das Potential E positiv und die zugehörige Gibbssche Reaktionsenergie negativ.

• Oxidationsmittel werden reduziert, Reduktionsmittel oxidiert. Da man ebenso wie bei der Gibbsschen Energie nur Energiedifferenzen bestimmen kann, sind auch die EMK-Werte nur als Spannungsdifferenzen zwischen der rechten und der linken Redox-reaktion bestimmbar. Um auch für Teilreaktionen EMK-Werte angeben zu können, hat man sich auf die Konvention geeinigt, dass das Standardnormalpontential E der Reaktion

22H (aq) 2e H (g)+ −+

in wässriger Lösung gleich Null gesetzt wird.

2( , ) 0,000def

E H H V+ = .

Mit dieser Konvention sind für viele Redoxreaktionen E -Werte tabelliert (Spannungsreihe). Ein gängiges Beispiel für eine galvanische Kette ist das Kupfer-Zink-Element (Daniell-Element) mit der Reaktion

(2.27) 12 1 2

2

OxOx Red Red

Cu Zn( ) Cu( ) Zns s+ + → + 2+

Ihre EMK wird gemäß Gl.(2.25) bei T , p mit z = 2 beschrieben durch

2 2

2 2

CuZn Zn

ZnCu Cu

25,7 mV 25,7 mVln ln2 2c a c

E E Ec ca+ +

+ +

⋅= − = −

⋅,

da die Aktivitäten der beiden reinen Metalle gleich 1 sind. Aus Tabellen kann man erhalten: E = 1,11 V.

Daraus ergibt sich mit Gl.(2.26): 1214 kJ molR g −Δ = − und . Der sehr große

Wert von

373 10RK ≈ ⋅

RK zeigt, dass die Redoxreaktion der Gl.(2.27) praktisch vollständig auf der rechten

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Seite liegt. Gemäß Massenwirkungsgesetz ist das Gleichgewichtsverhältnis der Kupfer- zur Zinkionenkonzentration gleich dem Kehrwert von RK , also . Ausreichen-den Vorrat an metallischem Zink vorausgesetzt, kann man also ausschließen, dass nach Ablauf der Reaktion in der Lösung noch irgendein Kupferion anzutreffen sein wird!

2 237

ZnCu / 0,3 10cc + +−≈ ⋅

Die folgende Skizze zeigt den Ablauf des Reaktionsgeschehens in einer galvanischen Kette bei Stromfluss. Dabei ist angenommen: , d.h. 0R RQ K E< > und 2 1elU Eϕ ϕ= − < (womit I > 0):

Wegen aller weiteren Details siehe Versuch "Elektromotorische Kraft galvanischer Ketten" des Grundlagenpraktikums, wo galvanische Ketten, Redoxreaktionen und Nernst'sche Gleichung ausführlicher behandelt werden.

1ϕ ϕ I2

Red1

Ox1e- e-

Ox2

Red2I

73

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B.2.8 Gekoppelte Reaktionen

B.2.8.1 Energetik gekoppelter Reaktionen Beispiel: physiologische Phosphorylierung von Glucose (Glu). Wir betrachten die Reaktion (R1) iGlu P Glu-6-Ph + → 0 1

1 25 kJ mol 0R g −Δ = >

"inorganic phosphate" Glucose-6-Phosphat - aktivierte Glucose

Da die Reaktion endergon (Δrg0 > 0) ist, kann sie nicht merklich von links nach rechts ablaufen. (Genauer: das Gleichgewicht liegt weit auf der linken Seite.) Als weitere Reaktion ziehen wir hinzu: (R2) iATP ADP + P → 0 1

2 41 kJ mol 0R g −Δ = − < !! (R1) + (R2) ergibt die Gesamtreaktion: (R) Glu ATP Glu-6-Ph + ADP + → wobei g g0 0 0 1

1 2 15kJ mol 0R R R g −Δ = Δ + Δ = − < !! Das bedeutet: Wenn man die Aktivierung der Glucose so ablaufen lässt, dass das Phosphat nicht dem Lösungs-vorrat an freiem anorganischem Phosphat, sondern direkt dem "energiereichen" ATP entnommen wird (wenn man die Reaktionen R1 und R2 also in entsprechender enzymatischer Reaktion mit-einander koppelt), entsteht eine exergone Gesamtreaktion, deren Gleichgewicht auf der Seite der aktivierten Glucose liegt. Veranschaulichung: Ungekoppelt Gekoppelt

Glu-6-Ph(R1)

(R2)

Glu + Pi

ATP ADP + Pi

Glu + Pi Glu-6-Ph

ATP ADP + Pi

(R1)

(R2)

In einer Folgereaktion wird ADP wieder in ATP zurückgeführt. Eine solche Reaktionsfolge ist typisch für alle biochemischen Reaktionen, die in lebenden Organismen ablaufen.

74

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B.2.9 Säure-Base-Gleichgewichte und pH-Berechnungen Der pH-Wert einer wässrigen Lösung ist folgendermaßen definiert:

pH log Hac

+⎛ ⎞= − ⎜

⎝ ⎠⎟ (2.28)

Etwas weniger genau schreibt man in der Regel: pH logH

c += − Die Berechnung des pH-Wertes ist ein gängiges Problem physikalisch-chemischer Praxis und insbesondere in der Biologie/Biochemie von Bedeutung. Eine Vielzahl physiologischer Reaktio-nen hängt von Protonenübertragungen ab und reagiert deshalb sehr empfindlich auf Änderungen des pH-Wertes (Protein- und Enzymchemie, Redoxreaktionen, Photosynthese, protonenabhängi-ger Transport, Puffersysteme). Lösungen einprotoniger Säuren und Basen werden an verschiede-nen Stellen des Grundlagenpraktikums behandelt (Versuche "pH-Bestimmung mit der Glaselekt-rode", "Leitfähigkeit von Elektrolytlösungen"). An dieser Stelle sollen, abseits von Näherungen, allgemeine Beziehungen dargestellt werden, die auch in komplizierteren Fällen eine (relativ) einfache Bestimmung des pH-Wertes einer Lösung erlauben. Vereinfachend werden ideale Lösungen vorausgesetzt (Alle Aktivitätskoeffizienten sind gleich 1). Zur Berechung des pH-Wertes einer wässrigen Lösung von Säuren und Basen gilt folgendes: • Es sind die Mengenbilanzen aller Säuren und/oder Basen aufzustellen: z.B.

0HA HA A

c c c −= + , 22 2

0H A H A HA A

c c c c− −= + + , 0B B HB

c c c += + , 0MOH MOHM

c c c+= +

• Es sind alle Gleichgewichtskonstanten der beteiligten Säuren und Basen zu formulieren:

H Aa

HA

c cK

c+ −= ,

2

,1H HA

aH A

c cK

c+ −

= und 2

,2H A

aHA

c cK

c+ −

= , BHb

BH

cK

c c+

+

= , M OHb

MOH

c cK

c+ −

=

und stets W H OHK c c+ −=

• Es gilt die Elektroneutralität der Lösung:

0c z c z+ + − −+ =∑ ∑ .

• ci sind die Konzentrationen der Ionen i und zi deren Ladungen. • Es bestehen dann ebenso viele Gleichungen wie gesuchte Konzentrationen, die zur Bestim-

mung der H+-Konzentration kombiniert werden. • Die resultierende Gleichung ist mindestens 2. Grades in der H+-Konzentration. Dieser Grad

erhöht sich linear mit jedem Säure-Base-Gleichgewicht. Von den n Lösungen, die die Glei-chung n. Grades liefert, ist nur eine Lösung für die H+-Konzentration chemisch sinnvoll, und zwar: .0 ges

SäureHc c+< <

B.2.9.1

c

pH-Wert einer Lösung einer starken Säure

Die starke Säure HCl sei mit der Konzentration c0 in Wasser gelöst. Sie ist in Wasser vollständig dissoziiert.

Damit gilt: und 0Clc − = W H OH

K c c+ −= .

Die Elektroneutralität liefert:

H OH Cl

c c c+ − −= + (2.29)

75

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Damit ergibt sich:

20 0

2 2 20 0 0 0

1 1 14 4 2

WWH H H

H

W WH H H

Kc c c c c Kc

c c c c K c c c K c

+ + +

+

+ + +

= + ⇒ − =

− + = + ⇒ = ± + 20

14

(2.30)

Von den beiden mathematisch möglichen Lösungen ist nur die mit dem positiven Vorzeichen chemisch sinnvoll, da die Protonenkonzentration positiv sein muss.

0 20

1 41 12

WH

Kc cc+

⎛ ⎞= + +⎜

⎝ ⎠⎟

c

(2.31)

Falls kann der zweite Term der Wurzel in Gl.20 4 Wc K>> (2.31) gegenüber 1 vernachlässigt

werde, so dass . Im umgekehrten Fall sorgt KW dafür, dass die H+-Konzentration nicht unter 10-7 mol dm-3 fallen kann.

0Hc + =

Fügt man zu einem bestimmten Volumen einer Säure mit bekannter Anfangskonzentration 0HClc

kontinuierlich definierte Mengen an Base zu, lassen sich für jeden Punkt die Konzentrationen der Reaktionspartner berechnen und als Konzentrations- bzw. pH-Diagramm darstellen. Der Punkt, an dem die Menge an zugesetzter Säure gleich der an zugesetzter Base ist, ist der Äquivalenz-punkt der Titration. Er ist bei Säure-Base-Titrationen immer durch eine starke Änderung der H+-Konzentration ausgezeichnet.

ξ0 0.5 1.0 1.5 2.00.0

0.005

0.01

c

cCl-

cOH-cNa+

cH+

Umsatz 0NaOH

HCl

cc

ξ =

Konzentrationsdiagramm Titration einer 0.01 N HCl mit 0.01N NaOH

0 1 2

2

6

8

10

12

14

gelb

rot

orange

ξ

pHpH-Diagramm Titration einer 0.01 N HCl mit 0.01 N NaOH Indikator: Methylrot pKS = 5.3

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B.2.9.2 pH-Wert einer schwachen Säure Die schwache Säure HA sei mit der Konzentration c0 in Wasser gelöst. Sie ist in Wasser nur teilweise dissoziiert. Damit gilt:

0 ; H AHA DA

HA

a ac c c K

a+ −

⋅= + = und W H OH

K c c+ −= (2.32)

Die Elektroneutralität liefert:

H OH A

c c c+ − −= + (2.33)

Der Ersatz von cHA durch (c0 – cA-) und der Übergang zu Konzentrationen liefert:

00

DH AD A

DA H

c c KK cc c c K

+ −

− +

c⋅

= ⇒ =− +

Damit ergibt sich für die Elektroneutralität:

0W D

HDH H

K Kcc c K+

+ +

= ++

c (2.34)

( )3 20D W D DH H H H

c c K K c K c K c+ + + ++ = + + ⇒

( )3 20D W D WH H H

c c K c K K c K K+ + ++ − + = D (2.35)

Dies ist eine Gleichung 3. Grades in H

c + , die mit Hilfe von Mathematikprogrammen leicht

gelöst werden kann. Falls und 20 Wc K> 0D WK c K>> , kann KW gleich Null gesetzt werden, so

dass sich Gl.(2.35) vereinfacht zu:

2 00 0D DH H

c c K K c+ ++ − = (2.36)

Diese Gleichung gibt wieder eine sinnvolle Lösung (die zweite ist negativ):

041 12

DH

D

K ccK+

⎛ ⎞= + −⎜ ⎟⎜ ⎟

⎝ ⎠

ξ0 0.5 1.0 1.5 2.00.0

0.005

0.01

c

cAc-

cOH-cNa+

cH+

Konzentrationsdiagramm Titration einer 0.01 N Essigsäure (HOAc) mit 0.01N NaOH

77

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0 1 2

2

6

8

10

12

14

farblos

rot

ξ

pH pH-Diagramm Titration einer 0,01 N HOAc mit 0,01 N NaOH Hier nur Indikatoren mit größerem pKS verwendbar: pKS = 9. Im pH-Bereich 4-5 befindet sich ein Puffergebiet, das dem pKS - Bereich der Essigsäure entspricht.

B.2.9.3

1 ++

pH-Wert einer zweiprotonigen (zweibasischen) Säure Als Beispiel wird eine zweiprotonige (bzw. zweibasige) Säure H2A, z.B. Oxalsäure oder Schwe-felsäure betrachtet. Es ist hier ohne prinzipielle Bedeutung, ob das Säuremolekül neutral oder geladen ist. Die Dissoziationsgleichungen der 1. und 2. Stufe lauten:

(2.37) 2 - + - 2-

2H A HA H ; HA A HK K

+

Die Ki sind die Dissoziationskonstanten (Massenwirkungskonstanten der Dissoziationsreaktion). Man beachte, dass der Dissoziation der einprotonigen Form die Dissoziationskonstante K2 zuge-ordnet ist und der zweiprotonigen Form entsprechend die Dissoziationskonstante K1. Die Reaktionen der Gl.(2.37) sind über H+ und AH- gekoppelt, wobei Letzteres sowohl als Base (Protonenakzeptor) als auch als Säure (Protonendonator) auftritt. Die Massenwirkungsgesetze der beiden Reaktionen sind:

- +

2

HA H2

H A

c cKc = (2.38)

2- +

-

A H1

HA

c cKc = (2.39)

Wenn H2A, HA- und der deprotonierte Säurerest A2- mit den Anfangskonzentrationen c0,1, c0,2 und c0,3 in der Lösung vorgegeben werden (vorgelegte oder Ausgangskonzentrationen), so ist die Gesamtkonzentration der Säure

(2.40) 0 0,1 0,2 0Ac c c c= + + ,3

,3

HA- und A2- sind als Salze MHA und M2A zugegeben, so dass für die Kationenbilanz gilt 0 0,2 02Mc c c= +

Die Elektroneutralität lautet jetzt:

20 2MH OH HA A

c c c c c+ − −+ = + + − (2.41)

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Aus den Gleichungen (2.38),(2.39) und (2.40) ergibt sich:

2-

+ +

0A2A

1 2 1H H

11 / /( )

cc K c K K

=+ +

c (2.42)

+

-

+ +

0HA2HA

1 1 2 1H H

11 / /( )

cc K c K c K K

=+ +

c (2.43)

+

2+ +

20H

H A A21 2 1 2 1H H

11 / /( )

cc K K c K c K K

=+ +

c (2.44)

Diese Ausdrücke kann man mit W H OHK c c+ −= in Gleichung (2.41) einsetzen:

+

+ + + +

0 0HA A2 2

1 1 2 1 1 2H H H H

1 121 / /( ) 1 / /( )

WMH

H

cKc c c cc K c K c K K c K c K K+

+

+ = + ++ + + +

0

1

(2.45)

Auflösen nach H

c + liefert:

( ) ( ) ( )+ + +

4 3 0 2 0 0 0 02 2 1 A 2 1 AH H H

1 2

2M M W MH

W

c c K c c K K c c K c K K c c K

K K K

+⎡ ⎤ ⎡+ + + + − − + ⋅ − −⎣ ⎦ ⎣=

W ⎤⎦ (2.46)

Gleichung (2.46) ist 4. Grades in

Hc + . Sie kann entweder numerisch gelöst oder unter

entsprechenden Bedingungen vereinfacht werden. Wird zu einer Säurelösung schrittweise eine starke Base BOH mit den jeweiligen Konzentratio-nen zugegeben, dann lässt sich die Protonenkonzentration als Funktion der Zugabe an BOH berechnen. So wird aus Gl.

0Bc

(2.45):

+

+ + + +

0 0 0HA A2 2

1 1 2 1 1 2H H H H

1 121 / /( ) 1 / /( )

WM BH

H

cKc c c c cc K c K c K K c K c K K+

+

+ + = + ++ + + +

0

1

(2.47)

Dies führt zu den Titrationskurven, die für verschiedene Säuren typische Form haben. In nachfolgender Abbildung zeigt Kurve die idealisierte Titrationskurve einer Oxalsäurelö-sung. Aufgetragen ist der pH-Wert gegen die vorgelegte Hydroxidkonzentration. Die Anfangs-konzentration der Säure beträgt 0 10,5 mol lAc −= . Die Dissoziationskonstanten sind

und 5 11 6,5 10 mol lK − −= ⋅ 2

2 5,9 10 mol lK 1− −= ⋅ , so dass pK1 = 4,19 und pK2 = 1,23. Zum Vergleich zeigt Kurve die idealisierte Titrationskurve einer starken einprotonigen Säure mit der Anfangskonzentration 11,0 mol l − und

79

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-2

0

2

4

6

8

10

12

14

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2

cOH- /mol l-1

pH

2

1

3

Kurve entsprechend die Titrationskurve einer einprotonigen schwachen Säure mit der Disso-ziationskonstanten K1.

80

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B.3 Heterogene Phasengleichgewichte In Kapitel B.2 haben Sie Gleichgewichte chemischer Reaktionen kennen gelernt, bei denen Komponenten mit einander unter Bildung neuer Substanzen umgesetzt wurden. Diese Reaktio-nen fanden meistens in einem System statt, das einen einheitlichen Aggregatzustand hatte. Ein System kann aber auch Bereiche mit unterschiedlichen Aggregatzuständen haben, in denen sich Komponenten aufhalten und miteinander reagieren können. Zur Untersuchung solcher hetero-gener Systeme ist es notwendig, die Phase zu definieren: Eine Phase ist ein homogenes Teilsystem des heterogenen Gesamtsystems mit einem definier-ten Aggregatzustand, in dem die intensiven Zustandsgrößen überall den gleichen Wert haben. Z.B. Gasphase, flüssige Phase, feste Phase.

B.3.1 Phasendiagramme von Einkomponentensystemen Aus der Erfahrung weiß man, dass chemische Substanzen in der Regel in mindestens drei ver-schiedenen Aggregatzuständen (fest, flüssig, gasförmig) unter jeweils verschiedenen äußeren Bedingungen (Druck und Temperatur) auftreten können. Füllt man eine reine Substanz in einen Zylinder mit einem (reibungsfrei) beweglichen Deckel, so dass keine Fremdsubstanz (Luft o.ä.) vorhanden ist, kann man durch Wärmezufuhr(-abfuhr) Q und Kraftanwendung auf den Deckel Temperatur und/oder Druck p sowohl von außen einstellen als auch messen. Eine Messreihe über einen großen Temperatur- und Druckbereich ergibt dann z.B. das folgende allgemeine Phasendiagramm (Zustandsdiagramm, p-T-Diagramm) eines einfachen Einkompo-nentensystems, wenn man noch gleichzeitig die auftretenden Phasen beobachten kann:

p

T

p1

T1

sl

g

dT

dp

Tripelpunkt

kritischer Punkt Schmelzen

Verdampfen

Sublimation

(p T )1 1

(p T )2 2

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Die feste Phase (s) ist bei hohen Drucken und niedrigen Temperaturen, die Gasphase (g) bei hohen Temperaturen und niedrigen Drucken zu finden. Die flüssige Phase (l) befindet sich zwi-schen beiden Phasen. Die Phasen selbst sind gegeneinander durch Trennlinien abgesetzt, an denen sich ein Phasengleichgewicht einstellen kann. An diesen Trennlinien sind beide benach-barten Phasen koexistent.

• Trennlinie fest-flüssig: Schmelzkurve • Trennlinie fest-gasförmig: Sublimationskurve • Trennlinie flüssig-gasförmig: Verdampfungskurve

Jeder Punkt auf einer Trennlinie entspricht einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen, wobei die Grenze zwischen beiden Phasen (Oberfläche des flüssigen Wassers in Kontakt mit der Gas-phase, Oberfläche eines Kristalls in Kontakt mit der flüssigen Komponente u.s.w.) materie- und wärmedurchlässig und deformierbar sein muss. In der Regel existiert mindestens ein Punkt – Tripelpunkt –, an dem drei Phasen gleichzeitig koexistent sind. Die Verdampfungskurve endet im kritischen Punkt, an dem die Unterschiede zwischen Gasphase und flüssiger Phase verschwinden.

B.3.2 Die Gibbssche Phasenregel Bei der Beobachtung des Experimentes erkennt man, dass in einigen Bereichen Druck und Tem-peratur gleichzeitig geändert werden können, ohne dass eine Änderung an den Phaseneigen-schaften zu beobachten ist. Falls aber zwei Phasen gleichzeitig auftreten, ist es nicht mehr mög-lich beide Zustandsgrößen unabhängig zu verändern. Im Phasengleichgewicht kann nur noch eine der beiden von außen beeinflusst werden, während sich die zweite von selbst einstellt. Im Tripelpunkt kann keine Zustandsgröße mehr verändert werden, ohne dass das Tripelpunkts-Gleichgewicht verlassen wird. Die quantitative Beschreibung dieses Sachverhaltes erfolgt mit der Gibbsschen Phasenregel, die hier für ein System mit mehr als einer Komponente formuliert wird, aber natürlich auch für ein Einkomponentensystem gilt.

• Die Zahl der Komponenten sei K • Die Zahl der Phasen sei P • Die Zahl der frei einstellbaren Variablen, d.h. die Zahl der Freiheitsgrade sei F.

• Da jede Komponente i in jeder Phase j mit einem Molenbruch xi

j auftreten kann, müssen in der Regel zur Beschreibung aller Komponenten in allen Phasen K⋅P Angaben gemacht wer-den; Hinzu kommen noch die 2 Variablen p und T. Somit sind primär zur Beschreibung des heterogenen Mehrkomponentensystems K⋅P + 2 Angaben nötig.

• Da aber Beziehung zwischen den Komponenten und den Phasen bestehen, müssen diese in der Zahl der Variablen berücksichtigt werden. • Da die Summe aller Molenbrüche in einer Phase gleich 1 ist, verringert sich die Zahl aller

Konzentrationsangaben um P ⇒ K⋅P + 2 – P • Da jede Komponente i sich in jeder Phase j aufhalten kann, bedeutet das im Gleichge-

wicht, dass die Konzentration einer Komponente i in einer Phase durch die Konzentratio-nen in allen anderen Phasen festgelegt ist. Da das für alle Komponenten gilt, existieren dann K⋅(P – 1) Gleichgewichtseinschränkungen, die auch noch die Anzahl frei wählbarer Zustandsvariablen verringern.

• Als Endergebnis ergibt sich für die Zahl frei wählbarer Zustandsvariablen (Freiheits-grade)

82

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( )2 12

2

F K P P K PK P P K P KK P

= ⋅ + − − ⋅ −

= ⋅ + − − ⋅ += + −

(1.1)

Für ein Einphasengebiet (P = 1) des Einkomponentensystems (K = 1) gilt: F = 1 + 2 – 1 = 2 Für eine Gleichgewichtskurve (P = 2, K = 1) gilt: F = 1 – 2 + 2 = 1 Im Tripelpunkt sind 3 Phasen vorhanden, so dass kein Freiheitsgrad mehr übrig bleibt. Im kritischen Punkt kommt noch eine weitere Einschränkung (Nebenbedingung) hinzu. Hier werden die Eigenschaften beider Phasen gleich, was einer Einschränkung um einen Freiheitsgrad entspricht, so dass auch im kritischen Punkt die Zahl der Freiheitsgrade Null ist. Die Definition der Komponente ist noch durch das Auftreten chemischer Gleichgewichte präzi-siert. • Die Anzahl der bei einer chemischen Reaktion auftretenden Stoffe wird jeweils um die

Anzahl der vorhandenen chemischen Gleichgewichte zur Bestimmung der Komponentenzahl reduziert.

• Entstehen bei einer Reaktion zwei oder mehr Reaktionsprodukte in einer gemeinsamen Phase, sind deren Konzentrationen nicht mehr unabhängig voneinander wählbar, was eben-falls die Anzahl der Komponenten verringert. Beispiele:

• Die Reaktion enthält 3 Stoffe; es besteht ein Gleichge-wicht und Ammoniak und Salzsäure entstehen zu gleichen Teilen in der Gasphase. Somit ist die Zahl der Komponenten dieses Systems gleich 1.

( ) ( ) ( )4 3NH Cl s NH g HCl g⎯⎯→ +←⎯⎯

• Bei der Reaktion entsteht aus Kalk festes Calciumoxid und gasförmiges Kohlendioxid, die zwar in äquivalenten Mengen, aber in verschiedenen Phasen entstehen. Somit ist hier die Zahl der Komponenten gleich 2.

( ) ( ) ( )3 2CaCO s CO g CaO s⎯⎯→ +←⎯⎯

B.3.3 Phasengleichgewichte in Einkomponentensystemen

Für das Gleichgewicht einer Komponente A zwischen zwei Phasen α und β gilt

( )A Aα β

Die Gleichung 2.8 in Kapitel

lnR R ig g RTΔ Δ ν= + ia∑0

lässt sich dann folgendermaßen formulieren

( ) ( ) ( )( ) ( ) ( ) ( )( ) ( ) ( ) ( )

Produkte Edukte,

, ,

, ,

R i i i

A A

A A

g p T

p T p T

p T p T

β α

β α

Δ ν μ ν

μ μ

μ μ∗ ∗

= +

= −

= −

iμ∑ ∑ (1.2)

Da bei reinen Komponente die Zusammensetzung in den Phasen festliegt, können nur die Zustandsvariablen p und T so lange variiert werden, bis sich Gleichgewicht eingestellt hat. Dann gilt

( ) ( ) ( ) ( )* *,A A ,p T pα βμ μ= T (1.3)

Da die Phasengrenze wärmedurchlässig und deformierbar ist, stellen sich eine einheitliche Tem-peratur und ein einheitlicher Druck in beiden Phasen ein.

83

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( ) ( )

( ) ( )

T T

p p

α β

α β

=

= (1.4)

B.3.4 Die Abhängigkeit des chemischen Potentials von Druck und Tempera-tur

Da auf der Gleichgewichtslinie viele Gleichgewichtspunkte beliebig dicht beieinander liegen, kann, ausgehend von einem Punkt mit den Koordinaten (p1,T1), ein neuer Punkt mit den Koordi-naten (p2,T2) durch kleine Änderungen dp und dT erreicht werden. Hierdurch ändert sich das chemische Potential in beiden Phasen um einen gleichen Beitrag dμ

( ) ( ) ( ) ( )* *,A Ad p T d pα βμ μ= ,T

B.3.4.1

(1.5)

Um Gl.(1.5) auswerten zu können, ist es notwendig, die Temperatur- und Druckabhängigkeit zu kennen.

Energie, Arbeit, Wärme und Entropie Das chemische Potential bzw. die molare Gibbssche Energie setzt sich zusammen aus Beiträgen der Wärme und der mechanischen Energie. Jede Energieform lässt sich darstellen als das Pro-dukt einer extensiven und einer dazugehörenden (konjugierten) intensiven Zustandsgröße. So gilt für die • Mech. Volumenarbeit: Wmech = V⋅p (V = Volumen, p = Druck)

• Oberflächenarbeit: WOberfl = A⋅γ (A = Oberfläche, γ = Oberflächenspannung)

• elektrische Arbeit: Welektr = q⋅U (q = Ladung, U = el. Spannung)

• kinetische Energie: Ekin = 1/2 p⋅v (p = Impuls, v = Geschwindigkeit)

• Reversible Wärme: Q = S⋅T (S = Entropie, T = Temperatur) Die nicht direkt messbare Entropie S (extensive Zustandsfunktion) wurde hier als eine neue Zustandsvariable eingeführt, um eine analoge Formulierung für die Wärme zu erhalten. Sie stellt eine fundamentale Größe in der statistischen Thermodynamik dar und ist auch von grundlegen-der Bedeutung für die Behandlung von reversiblen und irreversiblen und spontanen bzw. nicht spontanen Prozessen. Die Entropieänderung spontaner Prozesse ist immer positiv: dS > 0. Für die molare Gibbssche Energie G, die In diesem Fall mit dem chemischen Potential der reinen Komponente ist, ergibt sich damit

dg vdp sdT= − (1.6)

wobei v das molare Volumen und s die molare Entropie ist. Beide Größen können selbst von Druck und Temperatur abhängig sein. Da die Gibbssche Energie eine Funktion beider Variablen p und T ist, gilt für das Differential dg:

pT

g gdg dp dT vdp sdTp T

⎛ ⎞∂ ∂⎛ ⎞= + = −⎜ ⎟⎜ ⎟∂ ∂⎝ ⎠⎝ ⎠ (1.7)

Hiermit gilt für die beiden Differentialquotienten:

84

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T

p

g vp

g sT

⎛ ⎞∂=⎜ ⎟∂⎝ ⎠

∂⎛ ⎞ = −⎜ ⎟∂⎝ ⎠

(1.8)

Wird z.B. die Gibbssche Energie bei konstantem Druck als Funktion der Temperatur bestimmt, ist die Entropie bei einer bestimmten Temperatur die negative Steigung dieser Funktion an die-sem Punkt. Umgekehrt kann man die Gln.(1.8) verwenden, um die Gibbssche Energie von einem bekannten Bezugspunkt bei anderem Druck oder anderer Temperatur zu berechnen:

( ) ( ) ( )2 2

1 1

2 1 1, , ,T T

pT T

gg T p g T p dT g T p sdTT∂⎛ ⎞= + = −⎜ ⎟∂⎝ ⎠∫ ∫ (1.9)

( ) ( ) ( )2 2

1 1

2 1 1, , ,p p

p pT

gg T p g T p dp g T p vdpp

⎛ ⎞∂= + = +⎜ ⎟∂⎝ ⎠

∫ ∫ (1.10)

B.3.4.2 Die Temperaturabhängigkeit des Dampfdruckes Einsetzen von Gl.(1.6) in Gl.(1.5), wobei der Index A weggelassen wurde, da die Gleichungen allgemein für eine reine Komponente gilt:

( ) ( ) ( ) ( )* * * *v dp s dT v dp s dTα α β β− = − (1.11)

Umformung ergibt:

( ) ( )( ) ( ) ( )( )( ) ( )

( ) ( )

* * * *

** *

** *

s s dT v v dp

sdp s sdT vv v

β α β α

β αα β

β αα β

ΔΔ

− = −

−= =

(1.12)

*sα βΔ → ist die Änderung der Entropie bei dem Phasenübergang α → β. Analoges gilt für die Volumenänderung. Mit dem Phasenwechsel ist eine Änderung des Wärmeinhaltes der reinen Substanz verbunden. So muss beim Schmelzen die Schmelzwärme, beim Verdampfen die Verdampfungswärme auf-gebracht werden. Da diese Wärmen bei konstantem Druck und konstanter Temperatur aufge-bracht werden, sind sie gleich der Enthalpieänderung . Der Phasenübergang ist streng reversibel, so dass auch gilt:

*hα βΔ →

**

DQ dHdST T

hs

Tα β

α β

ΔΔ →

= = ⇒

= (1.13)

Einsetzen in Gl.(1.12) liefert:

*

*

hdpdT T v

α β

α β

ΔΔ→

= (1.14)

Das Vorzeichen der Steigung dp/dT wird durch die Volumenänderung bei dem Phasenübergang festgelegt. Im Falle der Verdampfung und der Sublimation ist die Volumenänderung immer positiv, so dass auch die Steigung positiv ist, da die Verdampfungs- und die Sublimationsenthal-

85

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pie positiv sind. Bei dem Schmelzvorgang ist die Volumenänderung fast aller Stoffe positiv mit einigen wenigen Ausnahmen: Wasser, Gallium Quarz (Tridymit). Falls eine der Phasen die Gasphase ist, lässt sich Gl.(1.14) mit zwei Näherungen vereinfachen. 1. Näherung: Da das molare Volumen der Gasphase weit entfernt vom kritischen Punkt wesentlich größer ist als das der kondensierten Phase, kann geschrieben werden:

* * *( ) *( ) *( )g l gl gv v v v vα βΔ Δ→ →≡ = − ≈

Diese Näherung gilt nicht mehr in der Nähe des kritischen Punktes. 2. Näherung: Die Gasphase möge sich ideal verhalten

*( )g RTvp

=

Damit wird aus Gl.(1.14) für den Verdampfungsvorgang:

*

2vaphdp p

dT RTΔ

= (1.15)

Nach Trennung der Variablen p und T wird daraus

*

2vaphdp dT

p R TΔ

= (1.16)

Diese Gleichung lässt sich unter der einschränkenden Bedingung leicht integrieren, wenn man annimmt, dass die Verdampfungsenthalpie temperaturunabhängig ist. Wenn man sich zusätzlich noch auf die Standardbedingungen (T0, p0) bezieht, muss die Verdampfungsenthalpie auch für diesen Zustand (der auch als Grundlage in Tabellenwerken dient) angegeben werden:

* *0vap vaph hΔ Δ≡

Die Integration beider Seiten liefert:

0 0

* *0 0

20 0

1 1lnp T

vap vap

p T

h hdp dT pp R T p R T T

Δ Δ ⎛ ⎞= ⇒ = − ⎜

⎝ ⎠∫ ∫ − ⎟ (1.17)

Diese Gleichung liefert den Zusammenhang zwischen dem Gleichgewichtsdampfdruck der Komponente und der Siedetemperatur

*0

00

1 1exp vaphp p

R T TΔ⎡ ⎤⎛ ⎞

= ⋅ − −⎢ ⎥⎜⎝ ⎠

⎟⎣ ⎦

(1.18)

bezogen auf die Standard-Normalbedingungen. Durch eine Messung der Siedetemperatur bei verschiedenen Drücken lässt sich aus Gl.(1.17) die Verdampfungswärme einer reinen Komponente bestimmen.

ln p ++

++

++

+

+

+

++

++

++

1/T

m = - Δ vap H /R0

86

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Die gemessenen Punkte liegen auf einer schwach gekrümmten Kurve. Die Tangente an diese Kurve ergibt die Verdampfungsenthalpie bei den Bedingungen p, T. Für sehr hohe Temperaturen 1/T → 1/Tc ~ 0 wird die Krümmung sehr stark: 1. Näherungen in der Herleitung gelten nicht mehr, 2. Verdampfungsenthalpie verschwindet am kritischen Punkt Die Dampfdruckgleichung kann zur Bestimmung von Siedetemperaturen bei verschiedenen Dru-cken verwendet werden, wenn die Verdampfungsenthalpie und der Siedepunkt T1 bei einem Druck p1 bekannt sind.

012

12 2 10 1

2

1 1lnln

vap vap

vap

h hp T 0 1Tpp R T T h RTp

Δ Δ

Δ

⋅⎛ ⎞= − ⇒ =⎜ ⎟

⎝ ⎠ − (1.19)

Die Destillation einer Substanz muss unter vermindertem Druck erfolgen, falls Siedepunkt bei Normaldruck so hoch, dass Substanz durch die hohe Wärmezufuhr instabil wird. Wenn die Verdampfungsenthalpie nicht bekannt ist, kann man diese unter Verwendung der Ver-dampfungsentropie zumindest abschätzen, wenn man weiß dass die Verdamp-

fungsentropie ist für viele Substanzen nahezu konstant den Wert hat (Trouton-Regel):

0 0vap vaph sΔ Δ= ⋅ 1T1l −1

0 85vap s J K moΔ −≈

Substanz T K 1 1

0vap s J K molΔ − − He 4,2 21,8 H2 20,4 44,4 CH4 108 75,3 Na 1155 84,5 CS2 319 85,4 C6H6 353 88,7 CHCl3 334,7 92,0 Hg 632 94,6 Zn 1180 98,3 H2O 373 108,8 C2H5OH 351 112,5 CH3CO2H 390,9 61,9

Helium und Wasserstoff fallen als besonders leichte Partikel aus dieser Regel heraus. Bei Wasser und Ethanol ist der Gewinn an Entropie größer, da die Wasserstoffbrücken der flüssigen Phase gelöst werden müssen, während Essigsäure in der Gasphase Dimere bildet, und damit der Entro-piegewinn kleiner ausfällt.

87

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B.3.5 Phasengleichgewichte mit mehreren Komponenten

B.3.5.1 Verdampfungsgleichgewicht zweier Komponenten bei konstanter Temperatur Die Phasengrenze zwischen der Gasphase sei wärmedurchlässig, deformierbar und permeabel für alle Komponenten. Damit gilt

( ) ( )

( ) ( )

( ) ( )

l g

l

l gi i

g

p p

T T

=

=

=μ μ

(1.20)

Für die chemischen Potentiale ergibt sich im Falle idealer Mischungen:

( ) ( ) ( ) ( )* *, ln , lnl g ii i i

pp T RT x p T RTp

+ = +μ μ (1.21)

Für die beiden chemischen Potentiale der reinen Komponente gilt aber, dass sie nur bei dem der Temperatur entsprechenden Dampfdruck pi

* identisch sind:

( ) ( ) ( ) ( )* **,l gi i i i

*,p T p=μ μ T (1.22)

In Verbindung mit Gl.(1.10) ergibt sich

( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )

( ) ( )( )

* *

*

* * * ** *

* *

, ln ,

ln ln

i i

i

p pl l g g i

i i i i i i i

p p

pg l i

i i i

p

ln pp T v dp RT x p T v dp RTp

pRT x v v dp RTp

+ + = + +

= − +

∫ ∫

μ μ

(1.23)

Mit den schon vorher gemachten Näherungen wie unter B.3.4.2 erhält man:

* *

*

ln ln ln lni ii

i

ii

i

i

p p pRT x RT RT RTp p p

pxp

= + =

⇒ = (1.24)

Diese Gleichung ist als Raoult-Gleichung bekannt. Der Gesamtruck setzt sich aus den Partialdrucken der beiden Komponenten zusammen.

( )

( )

* * *

* * *

1A B A A B B A A A B

B A A B

*p p p x p x p x p x p

p x p p

= + = ⋅ + ⋅ = ⋅ + − ⋅

= + − (1.25)

Diese Gleichung liefert den linearen Zusammenhang zwischen dem Gesamtdruck und der Zusammensetzung x in der flüssigen Phase. Für die Zusammensetzung y in der Gasphase gilt:

* *

;A A BA A B

p p py x y xp p p

= = = = BB

pp

(1.26)

Da das Phasengleichgewicht bei konstanten p und T gilt, stehen eine Gasphase mit der Zusam-mensetzung yA und eine flüssige Phase mit xA im Gleichgewicht. Wenn der Druck der reinen Komponente A kleiner ist als der der Komponente B, dann ist der Druck p immer größer als pA

* und damit yA < xA und umgekehrt yB > xB BB. Das bedeutet, dass sich die flüchtigere Komponente B

88

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in der Gasphase anreichert. Die Darstellung p = f(x) ist das Dampfdruckdiagramm einer binä-ren idealen Mischung. Falls sich die Mischungen real verhalten, muss anstelle des Raoultschen Gesetzes (1.24)geschrie-ben werden:

,*

i reali i i

i

pa x f

p= ⋅ = (1.27)

Kombination von Gl.(1.27) mit Gl.(1.24) liefert:

, ,* *

,

i real i ideal i reali i i

i i

p px f f f

p p= ⋅ = ⇒ = ,

i ideal

pp

(1.28)

Im Realfall bestehen zwei Möglichkeiten der Wechselwirkungen (WW) der Komponenten mit-einander: 1. Anziehende WW A ⇔ A und B ⇔ B > WW A ⇔ B

Tendenz zur Entmischung ⇒ positive Abweichungen vom Raoultschen Gesetz:

, , , , und A real A ideal B real B idealp p p p≥ ≥ Der Gesamtdruck p = pA,real + pB,real kann größer werden als die Partialdrucke der reinen Kompo-nenten. Dies führt zu einem Druckmaximum (Azeotrop).

*p

l

pB

pA*

0 1

g

xB

p

p

p

A

B

xB10

l

g

x BxB

l g

*

*

89

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Im Dampfdruckdiagramm ist ein azeotropes Maximum zu finden, bei dem die flüssige und die Gasphase gleiche Zusammensetzung haben. Die Raoultschen Geraden sind auf der Seite der rei-nen Komponenten Tangenten an die realen Partialdrucke. Die positiven Abweichungen von den Raoultschen Geraden zeigen fast alle binäre Mischungen. Es ist aus dem Diagramm zu erkennen, dass die Aktivität ai einer Komponente stets kleiner oder gleich 1 ist, selbst wenn der Aktivitätskoeffizient größer als 1 ist. 2. Anziehende WW A ⇔ A und B ⇔ B < WW A ⇔ B

Tendenz zur Verbindungsbildung ⇒ negative Abweichungen vom Raoultschen Gesetz:

, , , , und A real A ideal B real B idealp p p p≤ ≤ Der Gesamtdruck p = pA,real + pB,real kann kleiner werden als die Partialdrucke der reinen Kom-ponenten. Dies führt zu einem Druckminimum (Azeotrop).

p

l

pA*

0 1

g

xB

pB*

Das Dampfdruckdiagramm zeigt ein Azeotropes Minimum.

B.3.5.2 Verdampfungsgleichgewicht zweier Komponenten bei konstantem Druck Die Phasengrenze zwischen der Gasphase sei wärmedurchlässig, deformierbar und permeabel für alle Komponenten. Damit gilt

( ) ( )

( ) ( )

( ) ( )

l g

l

l gi i

g

p p

T T

=

=

=μ μ

(1.29)

Für die chemischen Potentiale ergibt sich im Falle idealer Mischungen:

( ) ( ) ( ) ( )* *, ln , ll gi i i n ip T RT x p T RT yμ μ+ = + (1.30)

Die chemischen Potentiale der beiden reinen Phasen stehen bei der Siedetemperatur Ti* der rei-

nen Komponente i im Gleichgewicht miteinander. ( ) ( ) ( ) ( )* ** *, ,l g

i i i ip T pμ μ= T

In Verbindung mit Gl.(1.9) ergibt sich:

90

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( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )

( ) ( )( )

* *

* *

* * * ** *

* * *

, ln ,

ln ln

i i

i i

T Tl l g g

i i i i i i iT T

T Tg l

i i vap i i i

T T

ln ip T s dT RT x p T s dT RT

s s dT s dT RT y RT x

μ μ

Δ

− + = − +

− = = −

∫ ∫

∫ ∫

y

(1.31)

Wenn die Verdampfungsentropie als temperaturunabhängig angenommen wird, kann das Integ-ral gelöst werden:

(1.32) ( )*

* * * ln lni

T

vap i vap i i i i

T

s dT s T T RT y RT xΔ Δ= − = −∫

Die Verdampfungsentropie ist bei dem Siedepunkt der reinen Komponente mit der Ver-dampfungsenthalpie nach * *

vap i vap i is hΔ Δ= *T verknüpft:

( )*

** ln lnvap i

i ii

hT T y x

RT TΔ

− = −⋅ i (1.33)

Diese Gleichung wurde für das Verdampfungsgleichgewicht bei konstantem Druck hergeleitet, sie gilt aber ganz allgemein mit der Näherung der konstanten Entropieänderung beim Phasen-übergang für jedes isobare Phasengleichgewicht. Im Falle eines binären Systems A, B kann geschrieben werden:

( )

( )

**

*

**

*

exp

exp

vap AA A A

A

vap BB B B

B

hy x T T

RT T

hy x T T

RT T

Δ

Δ

⎡ ⎤⎢ ⎥= ⋅ −⎢ ⎥⋅⎢ ⎥⎣ ⎦⎡ ⎤⎢ ⎥= ⋅ −⎢ ⎥⋅⎢ ⎥⎣ ⎦

(1.34)

Die Summe aus beiden Gleichungen liefert mit yA + yB = 1 B

( )

( ) ( )

**

*

* ** *

* *

1 exp

exp exp

vap BB

BA

vap A vap BA B

A B

hT T

RT Tx

h hT T T T

RT T RT T

Δ

Δ Δ

⎡ ⎤⎢ ⎥− −⎢ ⎥⋅⎢ ⎥⎣ ⎦=

⎡ ⎤ ⎡⎢ ⎥ ⎢ ⎥− − −⎢ ⎥ ⎢ ⎥⋅ ⋅⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎣ ⎦ ⎣ ⎦

⎤ (1.35)

Diese Gleichungen (1.34) und (1.35) zeigen, dass der Zusammenhang zwischen der Siedetemperatur und der Zusammensetzung der Mischung nicht linear ist. Die Darstellung ist in folgendem Bild angegeben:

l

g

0 1xB

xBgxB

l

TA*

TB*

T

91

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Hier erkennt man, dass Die Substanz mit dem niedrigeren Siedepunkt in der Gasphase angerei-chert ist. Dies ist die thermodynamische Grundlage der fraktionierten Destillation. Falls sich die Mischungen nicht ideal verhalten, ergibt sich im Falle der Tendenz zur Entmi-schung ein azeotropes Siedepunktsminimum.

T

xB10

l

g

xBl xB

g

TA*

TB*

Tendenz zur Verbindungsbildung macht sich im Siedediagramm durch ein azeotropes Siede-punktsmaximum bemerkbar

T

xB 10

l

g

xBl xB

g

TA*

TB*

B.3.5.3 Gleichgewicht zwischen zwei flüssigen Phasen an einer starren Membran, die nur für eine Komponente durchlässig ist.

Da in diesem Fall die Phasengrenze starr ist, ist dV = 0, so dass der Druck in beiden Phasen ver-schieden sein kann. Die Phase I enthalte eine Mischung, während die Phase II nur die reine Komponente 1 enthalte, für die auch die Phasengrenze durchlässig sei.

I, flüssig, , p T n , I i I μi I

II, flüssig , p T n , II 1,II 1,IIμ*

Gleichgewicht bedeutet:

( ) ( )*1, 1,,I I II II ,p T pμ μ= T (1.36)

92

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und

( ) ( )*1, 1, 1,, lnI I I II II

* ,p T RT x p Tμ μ+ = (1.37)

Da das chemische Potential der reinen Komponente in beiden Phasen bei pII identisch ist, ergibt sich

( ) ( )* * *1, 1 1, 1,

*1 1,

, ln

ln

I

II

I

II

p

I II I II IIp

p

Ip

,p T v dp RT x p T

v dp RT x

μ μ+ + =

= −

∫ (1.38)

Da das molare Volumen der flüssigen Phase nur ganz wenig druckabhängig ist, kann die Integ-ration leicht durchgeführt werden:

(1.39) ( )* *1 1 ln

I

II

p

I IIp

v dp v p p RT x= − = −∫ 1,I

2,

Da die rechte Seite von Gl.(1.39) positiv ist, muss pI größer als pII sein. Die Differenz zwischen beiden Drücken ist der osmotische Druck pI - pII = Π. Falls der Molenbruch der Komponente 1 (Lösungsmittel) nahe 1 ist, kann der Logarithmus lnx1 zu -x2 genähert werden. Hiermit ergibt sich die bekannte Formel der Osmose:

*1 Iv RT xΠ ⋅ = ⋅ (1.40)

Der osmotische Druck ist dafür verantwortlich, dass die Zellflüssigkeit in Pflanzen gegen die Gravitation nach oben gepumpt wird, oder dass im Sommer die reifen Kirschen nach einem Regenschauer platzen. Wenn man auf die Phase I einen Druck einwirken lässt, der höher als der osmotische Druck ist, kann der Prozess umgekehrt werden, so dass das Lösungsmittel aus der Lösung durch eine geeignete Membran herausgepresst werden kann. Diese „umgekehrte Osmose“ ist das Prinzip der Entsalzungsanlagen von Meerwasser.

B.3.5.4 Dampfdruck einer reinen Flüssigkeit in einer Gasmischung Eine flüssige reine Substanz (1), die mit einer beliebigen Gasphase bei konstanter Temperatur im Gleichgewicht steht (Normale Luftatmosphäre über Wasser), hat in dieser Gasmischung einen definierten Molenbruch y1. Für das Gleichgewicht gilt:

( ) ( ) ( ) ( )* *1 1, ,l g

1lnp T p T RTμ μ= + y (1.41)

Das Phasengleichgewicht der reinen Komponente in beiden Phasen ist bei dem Dampfdruck p* der reinen Substanz gegeben.

( ) ( ) ( ) ( )* **1 1,l g

i*,ip T pμ μ= T (1.42)

Bei dem Übergang zum aktuell herrschenden Druck muss über die Molvolumina der reinen Komponente integriert werden:

93

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( ) ( ) ( ) ( ) ( )

( ) ( ) ( ) ( ) ( )

1

1

* * **1 1 1

* * *1 1

, ,

, ,

pl l

ip

pg g

ip

*1

l

g

p T p T v dp

p T p T v

μ μ

μ μ

= +

= +

∫ dp

1ln

(1.43)

Einsetzen in Gl. (1.41) liefert:

( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )

( ) ( )( )

* *1 1

*1

* * * ** *1 1 1 1 1 1

* *1 1 1

, ,

ln

p pl l g g

p p

pg l

p

p T v dp p T v dp RT

v v dp RT y

μ μ+ = + +

− = −

∫ ∫

y

(1.44)

Unter den bekannten Näherungen, dass das Volumen der Gasphase sehr viel größer als das der flüssigen ist, und dass sich die Gasphase wie ein ideales Gas verhalte, ergibt sich hieraus:

*

*ln lni

p

iip

dp pRT RT RTp p

= = −∫ y (1.45)

Diese Gleichung liefert mit y1 = p1 /p das Ergebnis,

*11*

1

ln ln pp1RT RT p

p p= − ⇒ = p

B.3.5.5

(1.46)

dass der Partialdruck der Komponente 1 in der Gasmischung (Luft) dem Dampfdruck der reinen Komponente bei der gegebenen Temperatur T gleich ist.

Schmelzgleichgewicht (Kryoskopie) Es wird ein Phasengleichgewicht zwischen einer flüssigen Lösung einer Substanz im Lösungs-mittel und dem reinen festen Lösungsmittel behandelt, wobei der Druck stets konstant gehalten wird.

I, flüssig, , p T n , 1,l μ1,l

II, fest , p, T n , 1,s 1,sμ*

Gleichgewicht bedeutet:

( ) ( )*1, 1,,l s ,p T pμ μ= T (1.47)

und

( ) ( )*1, 1 1,, lnl

* ,sp T RT x p Tμ + = μ (1.48)

Da das chemische Potential der reinen Komponente 1 in beiden Phasen bei T1* identisch ist,

ergibt sich

94

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( ) ( )

( )

* *1

* *1 1

* * * * * *1, 1 1, 1, 1, 1 1,

* * *1, 1, 1 1,

, ln ,

ln

T T

l l l sT

T T

l s fus lT T

1

sT

p T s dT RT x p T s d

s s dT s dT RT x

μ μ

Δ

− + = −

− = =

∫ ∫

∫ ∫

T

1,

(1.49)

Falls die Schmelzentropie im untersuchten Bereich temperaturunabhängig ist, gilt

( )*

1

* * *1 1 1 ln

T

fus fus lT

s dT s T T RT xΔ Δ= − =∫ (1.50)

Für die Schmelzentropie gilt * *1 1fus fuss hΔ Δ= *

1T und somit:

( )* *

1 11, *

1

ln fusl

h T Tx

RT TΔ −

=⋅

(1.51)

Da die linke Seite der Gleichung nie größer als Null ist, kann die Temperatur im Schmelz-gleichgewicht nie größer als die Schmelztemperatur der reinen Komponente sein. Das bedeutet, dass die Zugabe einer Komponente (Alkohole, Glycole, Kohlenhydrate, Kochsalz o.ä.) zu einem Lösungsmittel dessen Schmelzpunkt erniedrigt. Beispiele dazu sind: Auftausalz auf Straßen, Frostschutz (Glycole) im Autokühler, Frostschutz (Kohlenhydrate) in Pflanzenzellen. Auch Milch, Bier, Wein und Schnäpse gefrieren erst unterhalb von 0°C. Auch hier kann für den Fall, dass der Molenbruch des Lösungsmittels nahezu eins ist, der Loga-rithmus in Reihe entwickelt werden, so dass sich als Endgleichung der Kryoskopie ergibt:

( )

*1

2, 2*1

fusl

hx T

R T

ΔΔ≈ (1.52)

Die Kryoskopie kann zur Bestimmung der Molmasse M2 einer unbekannten Substanz, die in einem Lösungsmittel mit der Molmasse M1 gelöst ist, folgendermaßen eingesetzt werden:

Der Molenbruch des gelösten Stoffes ist 2 2 22

1 2 1 2

n n m Mxn n n M m

1

1

⋅= ≈ =

+ ⋅. Damit ergibt sich:

( )

( )2**1 112 1 2 2

22 **2 1 1 1 11

1 1fusKr

fus

M R Thm M m mT M KM m m h TR T

ΔΔ

m TΔ Δ Δ⋅

≈ ⇒ = =⋅

(1.53)

KKr ist die kryoskopische Konstante, die nur Daten des Lösungsmittels enthält. m1 und m2 sind die eingewogenen Massen des Lösungsmittels und des gelösten Stoffes. Da die Näherungen in Gl.(1.53) umso weniger schwerwiegend sind, je kleiner der Molenbruch der gelösten Substanz ist, führt man in der Regel mehrere Messungen mit verschiedenen Einwaagen m2 durch, und ext-rapoliert die berechneten Molmassen M2(m2) auf m2 = 0.

B.3.6 Verdampfungsgleichgewicht einer reinen Komponente in der Gasphase mit einer flüssigen Lösung

Eine flüssige Lösung, die mit dem festen, reinen Lösungsmittel im Gleichgewicht steht, wurde im vorigen Kapitel behandelt. Da sich über einer solchen Lösung natürlich auch eine Gasphase befindet, kann man sich auch fragen, welche Bedingungen für das Verdampfungsgleichgewicht bestehen. Falls der zur Lösung zugesetzte Stoff ein Salz oder ein Feststoff ist, kann man davon ausgehen, dass nur das Lösungsmittel an dem Verdampfungsgleichgewicht beteiligt ist. Somit besteht folgendes Gleichgewicht:

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I, flüssig II, gas

p,T,n1,l,μ1,l p,T,n1g,μ1*,g

Gleichgewicht bedeutet hier

( ) ( )*1, 1,, ,l gp T pμ μ= T (1.54)

und

( ) ( )*1, 1 1,, lnl p T RT x p Tμ + = * ,gμ

B.3.6.1

(1.55)

Hier können zwei Fragen behandelt und beantwortet werden.

Dampfdruck über der Lösung

Da der Druck in diesem Gleichgewicht nicht dem Druck *1p entspricht, bei dem die reine

Komponente bei fester Temperatur T im Phasengleichgewicht wäre, müssen beide chemischen Potentiale auf diesen Druck bezogen werden:

(1.56)

( ) ( )

( )1

*1 1

* * *1, 1 1, 1, 1, 1 1,

* * *1, 1, 1 1,

, ln ,

ln

p p

l l l gp

p p

g l vap lp p

p T v dp RT x p T v dp

v v dp v dp RT x

μ μ

Δ

∗ ∗

∗ ∗+ + = +

− = =

∫ ∫

∫ ∫

1

*g

p

Da dieses Gleichgewicht immer sehr weit vom kritischen Punkt entfernt ist, sind die bisher gemachten Näherungen bezüglich des Verdampfungsvolumens auch hier gültig: *

1vapv RTΔ = p Damit ergibt sich:

* *1 1

*1 *

1

ln lnp p

vap lp p

RT pv dp dp RT RT xp p

Δ = = =∫ ∫ 1, (1.57)

Und damit

*1, 1lp x p= ⋅ (1.58)

Der Dampfdruck der Komponente in der Lösung ist damit kleiner als der der reinen Komponente bei gleicher Temperatur.

B.3.6.2 Siedetemperatur der Lösung Das Phasengleichgewicht (1.55) kann auch dazu verwendet werden, den Siedepunkt des Lösungsmittels in der Lösung zu berechnen. Bei gegebenem Druck p steht die reine Komponente bei der Temperatur T im Phasengleichgewicht. Somit muss das Gleichgewicht auf diese Temperatur bezogen werden.

*1,vap

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( ) ( )

( )

* *1, 1,

* *1, 1,

* * * * * *1, 1, 1, 1, 1, 1, 1,

* * *1, 1, 1 1,

, ln ,

ln

vap vap

vap vap

T T

l vap l l g vap gT

T T

l g vap lT T

T

p T s dT RT x p T s

s s dT s dT RT x

μ μ

Δ

− + = −

− = − =

∫ ∫

∫ ∫

dT

(1.59)

Da auch hier die Verdampfungsentropie als temperaturunabhängig angenommen werden kann, gilt damit

( ) ( )*

1,

*1* * * *

1 1 1, 1, 1,*1,

lnvap

Tvap

vap vap vap vap lvapT

hs dT s T T T T RT x

Δ Δ= − = − = −∫ (1.60)

Da die Verdampfungsenthalpie positiv ist, muss T größer als sein. Das bedeutet, dass das Lösungsmittel erst bei höherer Temperatur verdampft.

*1,vapT

Somit kann man im Winter folgende Phänomene auf verschneiten oder vereisten Straßen beobachten: Wird Salz auf die Straßen gestreut, schmelzen Eis oder Schnee unter Bildung einer flüssigen Salzlösung unter 0°C. Wenn dann am Ende des Winters die Sonne Schnee und Eis zum Schmelzen und das Wasser zum Verdampfen bringt, bleiben die mit Salz behandelten Straßen noch wesentlich länger feucht als die nicht bestreuten Flächen, zumal durch ein partielles Verdampfen von Wasser die Salzkonzentration in der noch vorhandenen Lösung steigt und damit der Dampfdruck noch kleiner und die Siedetemperatur noch höher wird.

B.3.7 Zusammenfassung • Die Bedingung des Gleichgewichtes in einem System, das aus mehreren Phasen und aus

mehreren Komponenten bestehen kann, ist durch dμ = 0 gegeben. • Bei einem ungehemmten inneren Gleichgewicht haben alle Phasen des Systems gleichen

Druck p und gleiche Temperatur T. Außerdem ist das chemische Potential μi jeder Kompo-nente bei gegebenen Druck und Temperatur in allen Phasen gleich.

• Bei Einkomponentensystemen ist die Steigung der Gleichgewichtskurve gegeben durch das Verhältnis der Phasenübergangsentropie zum Phasenübergangsvolumen. Hieraus kann unter bestimmten Bedingungen die Clausius-Clapeyron-Gleichung für das Verdampfungsgleich-gewicht abgeleitet werden.

• Die Verdampfungskurve einer reinen Komponente beginnt im Tripelpunkt, an dem die feste, die flüssige und die Gasphase im Gleichgewicht stehen, und endet im kritischen Punkt, an dem die Unterschiede zwischen flüssiger und Gasphase verschwinden.

• Die Steigungen der Verdampfungskurve und der Sublimationskurve sind immer positiv. Die Steigung der Schmelzkurve ist für die meisten Stoffe positiv, nur für wenige Substanzen, bei denen die flüssige Phase eine höhere Dichte als die feste hat, ist sie negativ. Die wichtigste Substanz, die hierzu gehört, ist Wasser.

• Steht eine reine flüssige Substanz über eine starre Membran, die für diese Substanz durchlässig ist, mit einer Mischung dieser Substanz mit weiteren Komponenten im Gleich-gewicht, ist der Druck in der Mischung erhöht (Osmotischer Druck).

• Wenn in einem Schmelzgleichgewicht das reine feste Lösungsmittel mit einer flüssigen Mischung im Gleichgewicht steht, dann hat die Lösung immer eine tiefere Schmelztempe-ratur, einen niedrigeren Dampfdruck und eine höhere Siedetemperatur als das reine Lösungsmittel.

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• Bei Siedediagrammen gilt für ideale Mischungen das Raoultsche Gesetz. Reale Mischungen können eine Dampfdruckerhöhung (Tendenz zur Entmischung) oder eine Dampfdrucker-niedrigung (Tendenz zur Verbindungsbildung) aufweisen. In beiden Fällen ist am Extrem-wert des Dampfdruckes (Azeotrop) die Zusammensetzung in flüssiger und Gasphase gleich.

• Jede Flüssigkeit unter einer beliebig gemischten Gasphase hat in dieser Gasphase bei gegebener Temperatur einen Partialdruck, der dem Dampfdruck der reinen Komponente bei dieser Temperatur gleich ist. Ist die Gasphase so groß, dass sie beliebig große Mengen an gasförmiger Substanz aufnehmen kann, trocknet die Flüssigkeit aus. Hierauf beruhen sehr viele Trocknungsprozesse.

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