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    Untersuchungshaftentscheidungenvon Ermittlungsrichtern in derRepublik Moldau

    Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    Decisions on Arrestby Investigative Judgesin the Republic of Moldova

    An Assessment from

    the International Point of View

    Deciziile de arestare pronunatede judectorii de instrucie

    n Republica Moldova

    O analiz din punct de vedere internaional

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    Untersuchungshaftentscheidungenvon Ermittlungsrichtern in derRepublik Moldau

    Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    Decisions on Arrestby Investigative Judgesin the Republic of Moldova

    An Assessmentfrom the International Point of View

    Deciziile de arestare pronunatede judectorii de instrucie

    n Republica MoldovaO analiz din punct de vedereinternaional

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    Untersuchungshaftentscheidungenvon Ermittlungsrichtern in derRepublik MoldauEine Einschtzung

    aus internationaler Sicht..............................5

    Decisions on Arrestby Investigative Judges

    in the Republic of MoldovaAn Assessment

    from the International

    Point of View.....................................................31

    Deciziile de arestarepronunate de judectorii deinstrucie n Republica Moldova

    O analiz din punct de vedereinternaional............................. ....................... 57

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    Untersuchungshaftentscheidungen

    von Ermittlungsrichtern in derRepublik Moldau

    Eine Einschtzungaus internationaler Sicht

    Albrecht Stange Oberstaatsanwalt a.D.

    Soros Foundation Moldova

    Deutsche Stiftung fr internationale rechtliche Zusammenarbeit e.V. (IRZ)

    Chiinu Bonn

    Dezember 2010

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    6 Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    Inhalt

    Danksagungen ............................................................................................................................................................................ 7

    Zusammenfassung .................................................................................................................................................................... 7

    Methodologie .............................................................................................................................................................................. 7

    1 Einleitung ........................................................................................................................................................................... 8

    2 Rechtshistorische Entwicklung in der Republik Moldau ................................................................................... 9

    3 Die Republik Moldau und der EuGHMR ................................................................................................................11

    4 Prfungsauftrag .............................................................................................................................................................12

    5 Ausfhrung ......................................................................................................................................................................12

    6 Gesetzesdefizite? ...........................................................................................................................................................13

    7 Defizite in der Gesetzesanwendung .......................................................................................................................14

    7.1 Das sowjetische Erbe ........................................................................................................................................14

    7.2 Aufgabe und Funktion der justiziellen Entscheidung .............................................................................15

    8 Die moldawische Wirklichkeit ...................................................................................................................................15

    8.1 Die Entscheidungsbegrndung ......................................................................................................................15

    8.2 Die Aufgabe der Sprache ...................................................................................................................................16

    8.3 Aktenflle .................................................................................................................................................................17

    8.4 Auswertung der Aktenflle ...............................................................................................................................20

    9 Sonstige Gesprche ......................................................................................................................................................23

    10 Konsequenzen ................................................................................................................................................................23

    10.1Institutionelle und legislative nderungen ................................................................................................23

    10.2 Sonstige Manahmen .........................................................................................................................................24

    10.2.1 Grundstzliches ...........................................................................................................................................24

    10.2.2 Selbstverstndnis ........................................................................................................................................25

    10.2.3 Zusammenspiel der Institutionen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht ..........................26

    10.2.4 Fortbildung ....................................................................................................................................................27

    11 Schlsselbotschaften ...................................................................................................................................................28

    Anlage: Quellen ......................................................................................................................................................................30

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    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 7

    Danksagungen

    Dieser Bericht htte nicht zustande kommen kn-

    nen ohne die offenen Gesprche mit Regierungs-

    stellen und Justizinstitutionen der Republik Moldau

    und ohne meine Gesprchspartner vor Ort.

    Insbesondere mchte ich meine tief empfundene

    Dankbarkeit zum Ausdruck bringen gegenber:

    Herrn Alexandru Tanase, Justizminister der Re-

    publik Moldau, untersttzt von Herrn Vladimir

    Grosu, Vertreter der Republik Moldau beim Eu-

    ropischen Gerichtshof fr Menschenrechte,

    und Frau Rodica Secrieru, Beraterin des Mini-

    sters

    dem Obersten Gerichtshof, vertreten durch Frau

    Raisa Botezatu, Vorsitzende der strafrechtlichenAbteilung und Mitautorin der moldauischen

    Strafprozessordnung,

    dem Hohen Magistratsrat, vertreten durch Herrn

    Dumitru Visternicean als Vorsitzendem und Frau

    Dina Rotarciuk, Mitglied des Hohen Magistrats-

    rates,

    der Generalstaatsanwaltschaft, vertreten durch

    Herrn Andrei Pantea, Erster Stellvertretender

    Generalstaatsanwalt, untersttzt von Herrn Ni-

    cilae Chitoroaga, Leiter der Strafermittlungsab-teilung, und Herrn Ion Caracuian, Leiter der Ab-

    teilung zur Folterbekmpfung,

    Ermittlungsrichtern, Richtern, Staatsanwlten

    und Polizeibeamten in drei verschiedenen Re-

    gionen der Republik Moldau, deren Namen aus

    Grnden der Vertraulichkeit nicht aufgefhrt

    werden,

    den Mitarbeitern der Soros-Stiftung - Moldau,

    insbesondere Herrn Victor Munteanu, Direktor

    des Gesetzprogramms der Soros Stiftung - Mol-

    dau, und Herrn Radu Danii, die die Treffen orga-

    nisiert haben und unschtzbare Dienste bei der

    bersetzung geleistet haben.

    Zusammenfassung

    Staatsanwaltschaftliche Antrge und richterliche

    Entscheidungen in Zusammenhang mit Festnah-

    men und Untersuchungshaft in der Republik Mol-

    dau beachten offenbar vielfach nicht die gesetz-

    lichen Bestimmungen zur vorgeschriebenen Be-

    grndung.

    Beanstandungen des Europischen Gerichtshofs

    fr Menschenrechte hierzu bei mehrfachen An-

    lssen haben nicht zu einem erkennbaren Wan-del in der Haltung der jeweiligen Akteure vor Ort

    gefhrt. Diese Haltung scheint in einer gewissen

    Beziehung zu der Tatsache zu stehen, dass vie-

    le Untersuchungsrichter aus dem staatsanwalt-

    schaftlichen Bereich der sowjetischen Zeit stam-

    men.

    Es hat den Anschein, dass die Bedeutung und Wich-

    tigkeit der Begrndung als Herzstck jeder juristi-

    schen Entscheidung mit dem Ziel, berzeugend

    und nachvollziehbar zu sein, so manchem moldau-ischen Untersuchungsrichter bzw. Staatsanwalt

    nicht gengend zu Bewusstsein gebracht worden

    ist.

    Es kann nicht als selbstverstndlich vorausgesetzt

    werden, dass jeder moldauische Staatsanwalt oder

    Untersuchungsrichter sich der Bedeutung des Be-

    griffs Begrndung voll bewusst ist.

    Es erscheint ein lohnendes Ziel, die bereits begon-

    nenen Fortbildungsbemhungen weiterzufhrenund die Sensibilitt der Akteure dafr, verstndlich

    und nachvollziehbar argumentieren, zu verbes-

    sern.

    Nachfolgende mgliche Unzulnglichkeiten in rich-

    terlichen Entscheidungen haben oft ihre Ursache

    in den von Polizei und Staatsanwaltschaft zuvor

    durchgefhrten Schritten. Aus diesem Grunde ist

    die Beachtung der professionellen Sorgfalt keine

    auf Untersuchungsrichter zu beschrnkende Anfor-

    derung.

    Methodologie

    Ausgangspunkt dieses Berichtes sind verschiede-

    ne Urteile des Europischen Gerichtshofs fr Men-

    schenrechte zur Praxis von polizeilichen Festnah-

    men und zur Anordnung von Untersuchungshaft

    durch Untersuchungsrichter in der Republik Mol-

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    8 Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    dau, insbesondere zu mutmalichen Unzulnglich-

    keiten in den Begrndungen richterlicher Entschei-

    dungen.

    Um diese Vorwrfe besttigen oder widerlegen zu

    knnen, sind eine Reihe von moldauischen (origi-

    nal) Akten, wie in der Anlage im Einzelnen aufge-fhrt, durchgearbeitet worden. Ergnzend sind

    Strafrichter, Untersuchungsrichter, Staatsanwlte,

    Polizeibeamte und Anwlte in drei verschiedenen

    Regionen der Republik Moldau von mir im Juli 2010

    befragt worden. Als Basis fr die Gesprche wurden

    ein oder mehrere Beispiele aus den Originalakten

    den Gesprchspartnern vorgetragen, und diese

    wurden gebeten, sich dazu zu uern, ob die vor-

    gestellten Fakten und Entscheidungen zutreffend

    oder falsch seien. Im Anschluss daran wurden denAkteuren vor Ort Gelegenheit gegeben, zur gegen-

    wrtigen Situation und zu mglichen Mngeln in

    der Praxis Stellung zu nehmen, ebenso zu aus ihrer

    Sicht wnschenswerten gesetzlichen und prakti-

    schen nderungen.

    Zum Hintergrund der gegenwrtigen rechtlichen

    und tatschlichen Lage wurden mir Informationen

    vom Justizministerium, dem Obersten Gerichtshof,

    dem Hohen Magistratsrat (SCM) und von der Gene-

    ralstaatsanwaltschaft der Republik Moldau vermit-telt.

    1 Einleitung

    Die Republik Moldau ist mehrfach vom Europ-

    ischen Gerichtshof fr Menschenrechte in Stra-

    burg dafr gergt worden, ihre Verhaftungspraxis

    stehe nicht in Einklang mit der Europischen Men-

    schenrechtskonvention.

    Anlsslich der Ereignisse von April 2009 in Zusam-

    menhang mit den Wahlen in der Republik Moldau

    ist erhebliche Kritik auch innerhalb der Republik

    Moldau an insbesondere einer Reihe von Entschei-

    dungen von Untersuchungsrichtern laut gewor-

    den.

    Die Soros Stiftung Moldau hat im November

    2009 einen ausfhrlichen, offenen Bericht zur

    Lage der Straustiz in der Republik Moldau

    herausgegeben1.

    Die Kritiker fhren, teils kumulativ, eine Reihe von

    Grnden dafr an, warum es zu solchen Entschei-dungen gekommen sei und noch komme:

    Aus persnlichen oder politischen Erwgun-

    gen bestehe ein Widerwillen gegen die von

    den Untersuchungshaftanordnungen Betrof-

    fenen,

    das Einhalten der Verpflichtung zur sorgfltigen

    und nachvollziehbaren Begrndung der Ent-

    scheidungen entspreche nicht der Mentalitt

    der Untersuchungsrichter,

    bei den betreffenden Untersuchungsrichtern

    bestehe ein Widerwille, sich den gesetzlichen

    Vorgaben zur Entscheidungsbegrndung zu

    unterwerfen,

    die Herkunft der meisten Untersuchungsrichter

    aus dem Bereich der Staatsanwaltschaft oder

    Polizei wirke sich auch jetzt noch in ihren Ent-

    scheidungen aus,

    die gesetzlichen Bestimmungen der Republik

    Moldau seien nicht geeignet, Fehlleistungen zu

    verhindern.

    Die Soros-Stiftung Moldau und die Deutsche Stif-

    tung fr internationale rechtliche Zusammenarbeit

    (IRZ) haben sich erboten, nach Grnden fr die

    Problematik zu forschen und hierzu einen Bericht

    abzuliefern. Die nachfolgenden Ausfhrungen sind

    u.a. Ergebnis eines Informationsbesuches in der

    Republik Moldau im Juli 2010 mit Gesprchen mit

    dem Justizministerium, dem Obersten Gerichtshof,

    dem Hohen Magistratsrat, der Generalstaatsanwalt-

    schaft, sowie einer Reihe von Interviews mit Unter-

    suchungsrichtern, Staatsanwlten, Polizeibeamten

    und Anwlten in der Republik Moldau, darber hin-

    aus der Einsichtnahme in verschiedene Originalak-

    ten.

    1 http://www.soros.org/initiatives/brussels/articles_publications/publications/report-criminal-justice-20091130

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    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 9

    2 Rechtshistorische Entwicklungin der Republik Moldau

    Jede Entwicklung hat historische Hintergrnde. Es

    bietet sich an, die Untersuchung mit der Frage zu

    beginnen, ob Unterschiede in der Handhabung derEuropischen Menschenrechtskonvention bei den

    unterschiedlichen Rechtsordnungen auch etwas

    damit zu tun haben, welche historischen Entwick-

    lungen die jeweiligen Rechtssystem ge- und ber-

    nommen haben und ob die jeweiligen Anwender

    in Ausbildung und innerer Einstellung mit der Ent-

    wicklung Schritt gehalten haben.

    Die heutige Republik Moldau hat seit der Losl-

    sung vom osmanischen Reich im Jahre 1812 eine

    wechselvolle Geschichte hinter sich. Sicherlich diestrksten Spuren hinterlassen hat die Zeit der Zu-

    gehrigkeit zur Sowjetunion von 1940-1991. Eine

    Gesellschaftsordnung, die der Justiz nicht eine

    unabhngige Rolle zubilligt und insbesondere der

    Staatsanwaltschaft die Pflicht auferlegt, eine Ge-

    setzmigkeitskontrolle im Sinne der Interessen des

    Volkes, in der Praxis dann aber eben doch unter der

    gide der Partei, vorzunehmen, hatte zwangslufig

    eine andere Vorstellung von den Aufgaben der Ju-

    stiz als Rechtsordnungen Mitteleuropas, die schonseit 1811 in Frankreich und 1849 in Preuen dem

    Staatsanwalt die Aufgabe zuweisen, nicht nur den

    mutmalich Schuldigen zu verfolgen, sondern auch

    den Unschuldigen vor Verfolgung zu bewahren. In

    noch grerem Mae gilt dies fr den Richter, der

    seine Arbeit an der Wahrung der Freiheitsrechte der

    Brger ausrichten soll, auch und gerade derjenigen

    Brger, die obwohl mglicherweise unschuldig

    auf der Grundlage der Unschuldsvermutung sich

    einen geordneten Justizverfahren stellen.Whrend die westeuropischen Rechtsordnungen

    schon lngere Zeit Entscheidungen ber Eingriffe

    in die Freiheit der Brger ausschlielich einem un-

    abhngigen Richter zuweisen, war im sowjetischen

    System der Staatsanwalt dazu berufen, bis zur

    Durchfhrung des gerichtlichen Hauptverfahrens

    alle Manahmen in eigener Zustndigkeit durchzu-

    fhren, auch Eingriffe in die Freiheit von Brgern.

    Mit der Lsung vom politischen System der Sowje-

    tunion ging bei den frheren Teilstaaten der Sowje-

    tunion ein Umdenken hinsichtlich der Funktion und

    Zustndigkeiten der Justiz einher. Die Akzeptanz

    von und der Beitritt zu der Konvention zum Schutz

    der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Eu-

    ropischen Menschenrechtskonvention (Beitritt

    der Republik Moldau 1997), brachten es mit sich,

    dass Eingriffe in die persnliche Freiheit auch in der

    Republik Moldau nur durch einen Richter erfolgen

    drfen.

    Diese Kompetenz ist in den west- und mitteleuro-

    pischen Rechtsordnungen unterschiedlich um-

    gesetzt worden. Teils wurde und wird ein solcher

    Eingriff denjenigen Richtern berlassen, die spter

    ber mgliche Verurteilungen entscheiden; dannstellt sich allerdings die Frage, ob ein Richter, der in

    der vorgerichtlichen Phase eine Entscheidung ge-

    troffen hat, nicht fr die sptere Entscheidung als

    befangen anzusehen ist. Das inzwischen vorherr-

    schende Modell ist daher eine gesonderte Rich-

    terfunktion fr die Zeit der vorgerichtlichen Phase,

    der meist Untersuchungsrichter genannte Richter.

    Sprachlich kann dies allerdings zu Verwirrung fh-

    ren, wenn ein solcher Richter, anders als etwa u.a. bei

    dem franzsischen Untersuchungsrichter, gar nichtfr Untersuchungen selbst zustndig ist, sondern

    unbeschadet der grundstzlichen Alleinzustndig-

    keit der Staatsanwaltschaft fr das Ermittlungsver-

    fahren (ausschlielich) Entscheidungen ber Eingrif-

    fe in die Freiheitsrechte der Brger in der Phase bis

    zur Anklageerhebung treffen soll. Deutschland hat

    fr diesen Richter daher eine besondere Bezeich-

    nung (Ermittlungsrichter, bersetzbar als Richter

    fr die (Zeit der) Ermittlungen), die gerade verab-

    schiedete rumnische Strafprozessordnung nenntdiesen dort neu eingefhrten Richter Richter der

    Rechte und Freiheiten (Judectorul de drepturi i

    liberti). Zuvor waren dort die allgemeinen Straf-

    richter zustndig.

    Die Republik Moldau hatte nach der Loslsung von

    der Sowjetunion zunchst das alte System der Zu-

    stndigkeit der Staatsanwaltschaft fr Eingriffe in

    die Freiheitssphre whrend der vorgerichtlichen

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    Phase beibehalten und erst 1999 diese Zustndig-

    keit Strafrichtern bertragen und sich dann 2003

    fr die Einfhrung der Funktion eines Ermittlungs-

    richters entschieden. Der entsprechende Art. 7

    Abs. 2 des Gesetzes ber den Richterstatus, 2003

    dementsprechend gendert, aber inzwischen au-

    er Kraft, verlangte als Voraussetzung eine vorhe-

    rige Ttigkeit als Staatsanwalt, Ermittlungsbeamter

    oder Kriminalpolizist oder alternativ richterliche

    Ttigkeit.

    Nach den mir erteilten Informationen war die ur-

    sprngliche Planung, diese Richterposten mit Per-

    snlichkeiten zu besetzen, die sowohl Erfahrung als

    unabhngige Richter hatten als auch eine langjhri-

    ge Erfahrung als Staatsanwalt und damit Erfahrung

    aus der frheren Praxis der Haftanordnungen durchdie Staatsanwaltschaft.

    Eine solche Nutzung staatsanwaltschaftlicher Er-

    fahrungen bei der Ausbung der Untersuchungs-

    richterttigkeit ist auch in anderen Rechtsord-

    nungen nichts Ungewhnliches. In Deutschland

    mit seiner identischen Ausbildung fr Richter und

    Staatsanwlte ist es die Regel, dass die angehenden

    spteren Richter oder Staatsanwlte ihre Laufbahn

    bei einer Staatsanwaltschaft beginnen (wo sie im

    Rahmen der Hierarchie und der Ausbildung durchltere Kollegen von deren Erfahrungen profitieren

    knnen), und dann nach etwa einem Jahr in die

    richterliche Laufbahn wechseln, wo sie oft sogleich

    als Ermittlungsrichter eingesetzt werden. Niemand

    stt sich daran, dass diese Juristen kurz zuvor auf

    der Gegenseite ttig gewesen sind. Dazu ist anzu-

    merken, dass der deutsche Staatsanwalt gesetzlich

    zur Objektivitt verpflichtet ist und auch entlasten-

    den Umstnden nachgehen muss. Blinder Jagdei-

    fer vertrgt sich nicht mit dieser Verpflichtung zurObjektivitt und wrde einem Staatsanwalt eher

    bel genommen. Einige Bundeslnder sehen einen

    Wechsel der Karriere als Voraussetzung fr eine Be-

    frderung an, sodass berufliches Fortkommen dort

    jedenfalls in den unteren Rngen der Justiz niemals

    innerhalb derselben Ttigkeitssparte, sondern nur

    im Zusammenhang mit einem Laufbahnwechsel

    mglich ist.

    Was die Zustndigkeitszuweisung eines deutschen

    Richters betrifft, ist es brigens nicht unblich,

    dass der Richter insbesondere an den unteren

    Gerichten verschiedene Zustndigkeiten zuge-

    wiesen bekommt, z.B. sowohl als Untersuchungs-

    richter ttig ist als auch als normaler Strafrichterund gegebenenfalls auch zustzlich als Zivilrich-

    ter, wobei die Arbeitsbelastung der jeweiligen

    Aufteilungsquote angepasst wird. Der Grund fr

    solche Aufteilung muss nicht notwendigerweise

    sein, dass es nicht gengend Flle fr ein normales

    Arbeitspensum gibt, sondern folgt dem Gedanken

    der Diversifikation der Arbeit und der berlegung,

    nicht die ganze, gegebenenfalls nicht immer als

    angenehm empfundene, Arbeit einem einzelnen

    Richter aufzubrden.Nach den mir erteilten Informationen scheiterte

    die Umsetzung der Reform 2003 in der ursprng-

    lich anvisierten Form daran, dass sich nicht gen-

    gend Richterpersnlichkeiten fanden, die diese

    Doppelqualifikation hatten, bzw., dass diejenigen,

    die sie hatten, sich nicht bereitfanden, ihren ge-

    genwrtigen Richterposten zugunsten eines Ein-

    satzes als Untersuchungsrichter zu verlassen.

    Als sich nicht gengend Kandidaten fr den Po-

    sten eines Untersuchungsrichters fanden, wurde

    zunchst auf die richterliche Vorerfahrung als zwin-

    gende Voraussetzung verzichtet. Schlielich wur-

    den auch Kandidaten aus dem Bereich der Polizei

    akzeptiert. Da Artikel 7 Abs. 2 des Gesetzes ber

    den Status der Richter inzwischen ganz auer Kraft

    ist, ist auch die Lnge der beruflichen Vorerfahrung

    nicht mehr festgelegt.

    ber die Hintergrnde der Schwierigkeiten in der

    Republik Moldau, Untersuchungsrichter aus derRichterschaft zu gewinnen, kann nur spekuliert

    werden. Eine mir gegenber abgegebene mgli-

    che Erklrung knnte sein, dass seinerzeit potenti-

    elle Untersuchungsrichterkandidaten nicht davon

    berzeugt waren, dass dieses Modell sich auf Dauer

    wrde durchsetzen knnen, und dass sie die Sorge

    hatten, gegebenenfalls nicht wieder zurck auf ih-

    ren alten Richterposten zu kommen.

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    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 11

    3 Die Republik Moldau undder EuGHMR

    Die Qualifikation der Richter und die Qualitt der

    richterlichen (und staatsanwaltschaftlichen) Arbeit

    ist eine wesentliche Voraussetzung fr die Einhal-tung der Regeln der Europischen Menschenrechts-

    konvention.

    Beide Eigenschaften sind in Bezug auf die Republik

    Moldau von den davon Betroffenen wie vom Euro-

    pischen Gerichtshof fr Menschenrechte in den

    letzten Jahren vielfach in Zweifel gezogen worden.

    Bis zum 30.06.2010 sind ca. 3.700 Beschwerden

    wegen Verletzung der Menschenrechte gegen die

    Republik Moldau eingereicht worden und 171 Ur-

    teile des Gerichtshofs ergangen2. Nach der (letzten)Lnderstatistik fr die Republik Moldau auf den

    01.01.2009 ergingen von diesen Verurteilungen

    28 % wegen Verstoes gegen das Fair Trial Gebot

    nach Art. 6 MRK, 14 % wegen Verstoes gegen das

    Recht auf Freiheit und Sicherheit nach Art. 5 MRK

    sowie 8 % wegen unmenschlicher oder entwrdi-

    gender Behandlung nach Art. 3 MRK. Von den 171

    gerade erwhnten Urteilen kommt gerade mal ein

    einziges zu dem Ergebnis, dass keine Verletzung

    der Menschenrechtskonvention vorgelegen habe.Die Republik Moldau gehrt zu den 12 Lndern mit

    der hchsten Zahl von Beschwerden beim Europ-

    ischen Gerichtshof fr Menschenrechte. Bezogen

    auf die Bevlkerungszahl hat die Republik Moldau

    einen Spitzenplatz3. Am 31.12.2009 hatte es die Re-

    publik Moldau auf ein anhngiges Verfahren beim

    EuGHMR pro 1.254 Einwohner gebracht, die Bun-

    desreplik Deutschland auf ein Verfahren pro 35.980

    Einwohner4.

    Statistisch kommt eine Verurteilung der Republik

    Moldau beim Europischen Gerichtshof fr Men-

    schenrechte auf 57.000 Einwohner. In Russlandkommt eine Verurteilung auf 800.000 Einwohner, in

    Rumnien auf 250.000 Einwohner etc.5

    Der Bericht des Rapporteur of the Parliamentary

    Assembly of the Council of Europe (PACE) ber die

    Umsetzung von Urteilen des EuGHMR von Mai die-

    ses Jahres in Bezug auf die Republik Moldau befasst

    sich besonders mit den Problemen des Machtmiss-

    brauchs durch Polizeibeamte, den Mangel an effek-

    tiver Verfolgung solcher Missbruche, den schlech-

    ten Haftbedingungen und der Nichtvollstreckunginlndischer Endentscheidungen6.

    Auch wenn ein Teil der Beschwerden und Verurtei-

    lungen durch den EuGHMR die Zeit vor Einfhrung

    der Untersuchungsrichter in der Republik Moldau

    betrifft, ist es keineswegs so, dass mit der Justizre-

    form und der Einfhrung der Untersuchungsrichter

    2003 schlagartig Beschwerden wegen Menschen-

    rechtsverletzungen aufhrten. Dies zeigt nicht nur

    die Statistik des EuGHMR und der gerade genannte

    Bericht des Berichterstatters der parlamentarischenVersammlung des Europarats sondern auch der Be-

    richt der parteibergreifenden moldauischen Kom-

    mission zur Untersuchung der Vorflle von April

    2009 in der Republik Moldau nach monatelanger

    Untersuchung7. Der Bericht fordert die General-

    staatsanwaltschaft ausdrcklich auf,

    2 Jngste Zahlen vom Justizministerium der Republik Moldau zur Verfgung gestellt auf der Grundlage der offiziel-

    len Statistikzahlen des EuGHMR

    s. auch: http://www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/C2E5DFA6-B53C-42D2-8512-034BD3C889B0/0/FICHEPARPAYS_

    ENG_MAI2010.pdf3 http://www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/15E451CD-A67D-4098-A129-70E216F6EAB9/0/Moldova.pdf

    http://www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/C25277F5-BCAE-4401-BC9B-F58D015E4D54/0/Annual_Report_2009_Fi-

    nal.pdf4 a.a.O.5 Quelle: http://politicom.moldova.org/news/in-2007-moldova-was-condemned-at-echr-in-more-cases-than-in-

    the-previous-few-years-91265-eng.html6 Quelle: : http://assembly.coe.int/ASP/NewsManager/EMB_NewsManagerView.asp?ID=55317 http://www.irp.md/item.php?text_id=943

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    12 Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    in allen Fllen zu ermitteln, die festgenommene

    und festgehaltene Personen betreffen, die der Fol-

    ter und unmenschlicher und erniedrigender Be-

    handlung unterworfen waren.

    Der Hohe Magistratsrat solle folgendes berpr-

    fen: In allen Einzelheiten die Gesetzmigkeit des Han-

    delns jedes Richters, der Gerichtsverhandlungen

    auf Polizeistationen durchgefhrt hat.

    Jede von einem Festgenommenen oder von der

    Verwaltung Sanktioniertem erhobene Beschwer-

    de, die sich darauf bezieht, dass Richter ber die

    Misshandlung unterrichtet worden seien aber

    keinerlei Manahmen unternommen htten, die

    Folter und Misshandlung zu verhindern.

    Die Vollstndigkeit und Korrektheit der Anlagejede Akte, die Personen betrifft, die im Gefolge der

    Ereignisse von April 2009 vor Gericht gekommen

    sind.

    Der Hohe Magistratsrat hat dazu erklrt, dass der

    erst dieser Punkte unabhngig von dem Bericht er-

    ledigt worden sei.

    4 Prfungsauftrag

    Solche unverblmten Forderungen sind nur dann

    nachvollziehbar und geeignet, Manahmen auszu-

    lsen, wenn ihnen berprfbare Fakten zu Grunde

    liegen, die eine Erklrung fr mgliche Fehlent-

    wicklungen und Fehlentscheidungen bieten. Erst

    auf einer solchen Grundlage kann es darum gehen,

    ber Abhilfe nachzudenken.

    Die amerikanische Soros-Stiftung Moldau und die

    Deutsche Stiftung fr internationale rechtliche Zu-

    sammenarbeit (IRZ) haben sich deshalb erboten, inAbstimmung mit den im strafrechtlichen Bereich

    verantwortlichen Stellen der Republik Moldau auf

    der Grundlage eines Berichts eines internationalen

    Beauftragten Ursachenforschung zu betreiben und

    gegebenenfalls Vorschlge fr weitere Manahmen

    zu machen.

    5 Ausfhrung

    Mit dieser Aufgabe betraut, habe ich im Juli 2010

    eine Reihe von mir vorgelegten Fallakten studiert

    und whrend eines einwchigen Studienaufent-

    haltes Gesprche mit Vertretern des Justizministe-

    riums, des Obersten Magistratsrates, des Obersten

    Gerichts und der Generalstaatsanwaltschaft ge-

    fhrt sowie Interviews mit einer Reihe von Unter-

    suchungsrichtern, Richtern, Staatsanwlten und

    Polizeibeamten durchgefhrt8.

    Es versteht sich von selbst, dass der Umfang der

    Gesprche und insbesondere des Aktenstudiums

    und der Interviews nicht zwingend zu einem all-

    gemeingltigen Ergebnis fhrt. Es gibt in allen

    Rechtsordnungen unterschiedliche Auffassungen,unterschiedlich begabte Persnlichkeiten und un-

    terschiedlich geschickt gefhrte Verfahren. Auch

    in meinem Land zerreien sich die Presse und die

    Fachffentlichkeit zuweilen den Mund ber den

    Ablauf des einen oder anderen Verfahrens.

    Das heit aber nur, dass keine Rechtsordnung und

    kein Staat vollkommen ist, nicht, dass solche in die

    Kritik geratenen Verfahren nicht geeignet sind, dar-

    ber nachzudenken, warum es zu dem jeweiligen

    Verfahrensablauf gekommen ist und welche Leh-ren daraus gegebenenfalls fr die Zukunft gezogen

    werden knnen.

    Auch in der Republik Moldau habe ich bei der Poli-

    zei, bei der Staatsanwaltschaft und bei Gericht Per-

    snlichkeiten getroffen, die voll guten Willens waren,

    ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen und

    rechtsstaatliche Kriterien einzuhalten. Richtig ist

    aber auch, dass die von mir durchgesehenen Akten

    und die Gesprche mit den Akteuren vor Ort ein-

    deutige Hinweise darauf ergeben haben, dass Hand-lungsbedarf besteht, die Sensibilitt der Beteiligten

    fr die Einhaltung der Kriterien der Europischen

    Menschenrechtskonvention zu schrfen, und dass

    der Paradigmenwechsel bei der Einfhrung der neu-

    en Zustndigkeiten fr Richter nicht immer in dem

    erforderlichen Ausma verinnerlicht worden ist.

    8 Weitere Einzelheiten s. Anlage

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    14/81

    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 13

    6 Gesetzesdefizite?

    Die einschlgigen Gesetzestexte in der Republik

    Moldau geben fr sich genommen nicht notwen-

    digerweise Anlass, rechtsstaatliche Defizite zu be-

    frchten. Sie entsprechen jedenfalls im Ansatz denvergleichbaren Vorschriften vieler anderer Staaten.

    Der EuGHMR hat allerdings bei mehreren Gelegen-

    heiten moniert, dass sich die Akteure in der Repu-

    blik Moldau an diese eindeutigen nationalen Vor-

    schriften gar nicht halten. Ebenso ist beanstandet

    worden, dass in vielen Fllen das Fehlen einer Be-

    grndung die Entscheidung nicht nachvollziehbar

    macht.

    Der erstere Vorwurf ist natrlich besonders schwer-

    wiegend und lsst auf den ersten Blick eigentlichauch wenig Raum fr vermittelnde Erklrungen.

    Dennoch erscheint es hilfreich, in der Analyse da-

    nach zu unterscheiden, ob der Gesetzeswortlaut

    oder der Kontext vielleicht doch einen Anlass fr

    Missverstndnisse bieten, oder ob ein eindeutiger

    Gesetzeswortlaut mglicherweise bewusst mis-

    sachtet worden ist. Erst nach Feststellungen hierzu

    dann aber natrlich insbesondere im letzteren Fall

    stellt sich die Frage, ob es Grnde gibt, die in der

    Persnlichkeit der Akteure liegen.

    Kein Gesetz der Welt ist hundertprozentig dage-

    gen gefeit, nicht alle Fragen zur Anwendung exakt

    und erschpfend zu beantworten. Immer wieder

    sind Gerichte dazu aufgerufen, in solchen Fllen

    den mutmalichen Willen des Gesetzgebers zu er-

    forschen und auszulegen. Es ist aber klar, dass es

    zunchst Aufgabe des Gesetzgebers ist, darauf zu

    achten, bei der Ausarbeitung der Gesetzesformu-

    lierungen Zweifelsfragen gar nicht erst aufkommen

    zu lassen, und die Formulierungen so eindeutig wie

    nur irgend mglich zu gestalten. Je einschneiden-

    der die Gesetzesanwendung fr den betroffenen

    Brger ist, desto wichtiger und unverzichtbarer

    wird dieser Grundsatz. Es versteht sich von selbst,

    dass dies in besonderem Mae fr die strkste Ein-

    wirkung, den Eingriff in die persnliche Freiheit,

    gilt. Dort sollte jede unterschiedliche Auslegungs-

    mglichkeit in der Praxis ausgeschlossen sein.

    Was die polizeiliche Festnahme als Vorstufe des

    richterlichen Untersuchungshaftbefehls betrifft, ist

    durch die Gesetzesnderung 2006 in der Republik

    Moldau ein sehr kritischer Punkt beseitigt worden,

    als zustzliche Erfordernisse als Voraussetzung ei-

    ner polizeilichen Festnahme eingefhrt wurden, die

    den Haftgrnden fr den richterlichen Haftbefehl

    entsprechen. Zuvor war ausschlielich auf Beweis-

    umstnde zur mutmalichen Tatbegehung, wie in

    Art. 166 Abs. 1 CPC aufgefhrt, abgestellt worden.

    Allerdings ist die untere Grenze der Strafandrohung

    von einem Jahr in Art. 166 CPC beibehalten worden

    gegenber der Grenze von zwei Jahren Strafandro-

    hung fr den richterlichen Haftbefehl. Liegen nicht

    zugleich die in Art. 176 Abs. 2 Satz 2 CPC aufgefhr-

    ten Voraussetzungen vor, geht eine solche vorlu-

    fige Festnahme als Vorlufer eines Haftbefehls bei

    Delikten mit einer Strafandrohung von zwischen

    ein bis zwei Jahren ins Leere. Ein Haftbefehl wird au-

    erhalb der besonderen Voraussetzungen des Art.

    176 Abs. 2 S. 2 CPC nicht mglich sein.

    Allerdings gilt fr einen Teil der Manahmen nach

    Art. 176 CPC nicht die Mindestgrenze von zwei Jah-

    ren Strafandrohung, so dass eine Festnahme nach

    Art. 166 CPC nicht in allen Fllen ins Leere geht.

    Andererseits erfordern die Manahmen unterhalbder Ebene der Untersuchungshaft oder der dieser

    gleichstehenden Manahmen wohl in den selten-

    sten Fllen eine Festnahme. So drfte die Vorbe-

    reitung der Entscheidung ber Untersuchungshaft

    wohl der Hauptanwendungsfall der Festnahme

    nach Art. 166 CPC sein. Dann wird aber von den Ak-

    teuren darauf zu achten sein, dass auch schon bei

    der Festnahme die Voraussetzungen des Art. 176

    Abs. 2 CPC vorliegen. Anderenfalls bestnde das Ri-

    siko einer Umgehung der Kernidee der Menschen-

    rechtskonvention. Da in vielen Fllen die richterli-

    che Entscheidung zu spt kommen wrde oder ins

    Leere gehen wrde, wenn der Beschuldigte nicht

    greifbar ist, sehen zwar praktisch alle Rechtsord-

    nungen vorlufige Festnahmen durch die Polizei als

    zeitlichen Vorlauf der richterlichen Entscheidung

    vor. blicherweise wird dabei aber die Verknpfung

    mit dem richterlichen Haftbefehl deutlich gemacht.

    So erlaubt etwa 127 der deutschen Strafprozes-

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    15/81

    14 Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    sordnung der Staatsanwaltschaft und den Beamten

    des Polizeidienstes bei Gefahr im Verzug dann eine

    vorlufige Festnahme, wenn und nur, wenn die

    Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Un-

    terbringungsbefehls vorliegen. Bei flagrante delic-

    to und Fluchtgefahr oder Identifizierungsbedarf ist

    ausnahmsweise fr jedermann ein Festnahmerecht

    statuiert, hnlich wie Art. 168 Abs. 1 CPC dies in der

    Republik Moldau vorsieht.

    Die Problematik scheint auch moldauischen Kolle-

    gen Kopfschmerzen zu bereiten, wobei manchmal

    die alte Gesetzeslage zu Art. 166 CPC noch mehr

    prsent zu sein scheint. Eine Anfrage bei einem Uni-

    versittsangehrigen ergab folgende Antwort:

    Es gibt keine direkte Antwort auf diese Frage

    im Gesetz, d.h. zu sagen, ob es genug ist odernicht . Auf der Grundlage der Interpretation

    des Gesetzes und der Praxis des Europischen

    Gerichtshofs Menschenrechte bin ich aber der

    Meinung, das Ermittlungsverfahren polizeiliche

    Festnahmen grundstzlich nur in den Fllen vor-

    genommen werden knnen, die nicht zurckge-

    stellt werden knnen. Das knnte grundstzlich

    in zwei Fllen passieren: 1.) wenn es ntig ist,

    eine Person davon abzuhalten, weitere Strafta-

    ten zu begehen, sich zu verbergen oder in irgen-deiner Weise die Ermittlungen zu behindern (das

    ist die Aufzhlung aus Art. 166) und 2.) wenn

    es nicht mglich ist, sofort Untersuchungshaft

    zu verhngen. Es knnte natrlich Ausnahmen

    geben wie z.B. flagrante delicto, wenn ein Poli-

    zeibeamter die Personalien des Verdchtigen

    aufnehmen muss, oder wenn es nicht klar ist, ob

    einer der oben genannten Grnde vorliegt oder

    nicht vorliegt.

    Zusammenfassend gesagt ist nach meiner Mei-nung die simple Tatsache, dass ein Zeuge den Be-

    schuldigten beobachtet hat, nicht genug, solange

    es nicht irgendeine andere Begrndung (fr die

    Festnahme) gibt, wie die Fluchtmglichkeit oder

    andere

    Wie unsicher die Akteure vor Ort in dieser Frage

    sind, zeigt auch die Antwort eines Polizeibeamten

    zu derselben Frage:

    Es knnte einen Grund geben, eine Person fest-

    zunehmen, die verdchtigt wird, eine Straftatmit einer Strafdrohung von mehr als zwei Jah-

    ren begangen zu haben, aber nur zusammen mit

    der Begrndung auf der Grundlage der Abs. 2-4

    des Art. 166. Wir (Ermittlungsbeamte der Poli-

    zei) mssen den Staatsanwalt jedes Mal fr eine

    Festnahme konsultieren und wir nehmen nur

    dann jemanden fest, wenn es gengend Grnde

    gibt, nachdem wir eine vorlufige Zustimmung

    des Staatsanwaltes erhalten haben.

    Die Polizei schiebt danach alle Verantwortung auf

    die Staatsanwaltschaft und definiert die gengen-

    den Grnde gar nicht in eigener Zustndigkeit.

    Der Gesetzgeber der Republik Moldau sollte daher

    die Voraussetzungen fr eine polizeiliche Festnah-me nach Art. 166 CPC berarbeiten und noch mehr

    mit den Bestimmungen fr den richterlichen Haft-

    befehl koordinieren.

    7 Defizite in derGesetzesanwendung

    Soweit die Begrenztheit meiner Recherche- und In-

    terviewmglichkeiten dies zulsst, scheinen mir die

    Probleme weniger in den gesetzlichen Vorschriften

    selbst als vielmehr in ihrer Auslegung und Anwen-

    dung zu liegen.

    7.1 Das sowjetische ErbeAbstrakt gesehen sind solche Defizite kein Vorrecht

    irgendeiner bestimmten Rechtsordnung. Meine

    vergleichbaren Erfahrungen der letzten zehn Jahre

    in neun Staaten aus dem Bereich der ehemaligen

    Sowjetunion und ihrer Einflusssphre lassen mich

    aber vermuten, dass es insoweit auch ein spezi-fisches sowjetisches Erbe gibt. Es uert sich in

    zwei typischen Erscheinungsformen, wie z.B. Art.

    166 CPC und Art. 176 CPC belegen. Auf der einen

    Seite tendiert die Gesetzgebung in diesen Staaten

    dazu, nicht ein anzustrebendes Ergebnis vorzuge-

    ben und es der Verantwortung des Gesetzesanwen-

    ders zu berlassen, den Weg dazu selbststndig zu

    beschreiten, sondern es werden ganze Kataloge

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    16/81

    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 15

    von abzuarbeitenden oder zu beachtenden Kriteri-

    en aufgefhrt. Der Erfolg dieser Gesetzes- und An-

    wendungstechnik ist, dass diese Kriterien besten-

    falls sklavisch abgearbeitet werden und auch als

    abschlieend betrachtet werden, obwohl sie dies

    sinnvollerweise nicht immer sein mssten. Auf der

    anderen Seite und noch viel bedeutsamer wird

    Gesetzesanwendung nicht als ein Prozess angese-

    hen, der dem Empfnger nachvollziehbar vermittelt

    wird, sondern als Mitteilung eines Ergebnisses.

    7.2 Aufgabe und Funktion derjustiziellen Entscheidung

    Dieser Mechanismus ist aus zwei Grnden fatal.

    Zunchst wird bei einer solchen Darstellung den

    Rechtsmittelinstanzen verwehrt, die Entscheidung

    sachlich zu berprfen, weil sie keinerlei Material

    angeboten bekommen, ber das sie entscheiden

    knnten. Die ersetzende Entscheidung in der zwei-

    ten Instanz ist dann eine im Prinzip vllig selbst-

    stndige Entscheidung, die, schon gar wenn sie

    ebenfalls nicht inhaltlich begrndet wird, nicht die

    Funktion erfllen kann, die Richtigkeit der inhaltli-

    chen Arbeit und Bewertung der ersten Instanz zu

    besttigen oder zu widerlegen, und die deshalb

    auch nicht den Zweck erfllen kann, Hilfe fr zu-

    knftige Entscheidung in hnlicher Prozesssituati-

    on zu geben.

    Vor allem aber verkennt diese Gesetzes- und An-

    wendungstechnik die Funktion der Justiz im Ver-

    hltnis zur Gesellschaft und insbesondere zum be-

    troffenen mndigen Brger.

    Rechtstreue kann vom Brger nur dann verlangt

    werden, wenn er aus den gesetzlichen Vorschriften

    erkennen kann, was von ihm verlangt wird, und

    wenn ihm in der Gesetzesanwendung verdeutlichtwird, wo und inwiefern er gegen die gesetzlichen

    Pflichten oder Tatbestnde verstoen hat. Die Mit-

    teilung, dass er gegen eine bestimmte gesetzliche

    Pflicht verstoen habe, reicht jedenfalls dann nicht

    aus, wenn dies gerade in Zweifel steht. Es gehrt

    deswegen zu den Grundstzen des Rechtsstaates,

    dass Entscheidungen zu begrnden sind. Das deut-

    sche Bundesverfassungsgericht hat dies in vielen

    Entscheidungen unter Berufung auf das in Art. 20

    der deutschen Verfassung angefhrte Rechtsstaats-

    prinzip hervorgehoben. Dass die Strafprozessord-

    nung der Republik Moldau das nicht anders sieht,

    zeigen die vielen gesetzlichen Bestimmungen ber

    die Begrndungspflicht von Entscheidungen der

    Gerichte und Ermittlungsbehrden. Auch Art. 45

    MRK bestimmt ausdrcklich eine Begrndungs-

    pflicht fr die Entscheidung des Gerichtshofes.

    Letztlich ist dies Ausfluss des Gebotes auf ein faires

    Verfahrens nach Art. 6 MRK.

    Es ist eines Rechtsstaates also unwrdig, wenn die

    Betroffenen nicht nachvollziehen und damit auch

    nicht wissen knnen, ob die Entscheidung richtig

    oder falsch ist. Ohne eine nachvollziehbare Begrn-

    dung ist eine Entscheidung im Bereich des Straf-rechts eine hohle Nussschale. Das Ergebnis mag

    noch so richtig sein rechtliche Folgen lassen sich

    daraus nicht ziehen.

    8 Die moldauische Wirklichkeit

    Wenn dies in der nationalen Gesetzgebung wie im

    internationalen Bereich so unumstritten ist, warum

    beklagt der europische Gerichtshof fr Menschen-

    rechte dann in sehr vielen Entscheidungen gegendie Republik Moldau das Fehlen von nachvollzieh-

    baren Begrndungen? Warum zieht sich wie ein

    roter Faden durch fast alle von mir eingesehenen

    Akten und Entscheidungen der Eindruck, es habe

    keine Errterung der zu begrndenden Umstnde

    gegeben?

    8.1 Die EntscheidungsbegrndungDiese Fragen mgen etwas damit zu tun haben,

    was die Akteure unter dem Begriff Begrndungverstehen.

    Die Gesetzgebung der Republik Moldau greift bei

    diesem Begriff genauso wie die Gesetzgebung al-

    ler anderen Rechtsordnungen auf einen Denk- und

    Darstellungsmechanismus zurck, der seit Aristo-

    teles, also seit 2300 Jahren bekannt und ber zwei

    Jahrtausende praktisch unverndert anerkannt ge-

    blieben ist, soweit es den Grundsatz betrifft, dass

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    17/81

    16 Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    Schlussfolgerungen zugrundeliegende Fakten (als

    Prmissen fr die Erwgungen) bentigen und

    dass selbstverstndlich ein sicheres Ergebnis nur

    mglich ist, wenn die Prmissen bekannt und in

    den Denkprozess einbezogen sind. Der Begriff Be-

    grndung bedeutet also, dass der logische Prozess

    der Zuordnung von Fakten zu Folgerungen (und

    umgekehrt) transparent gemacht wird. Nur eine

    Tatsache aufzufhren oder ein angebliches Ergeb-

    nis anzufhren, kann den genannten dynamischen

    Prozess nicht ausreichend widerspiegeln, sondern

    bestenfalls den Ausgangspunkt oder das angeblich

    erzielte Ergebnis bezeichnen.

    Vor diesem Hintergrund und bei dem von mir ange-

    fhrten sowjetischen Erbe sind Gesetzesformulie-

    rungen wie Art. 176 Abs. 3 CPC nicht unproblema-tisch. Sie geben nur einen Hinweis auf die Kriterien,

    die im Rahmen der Abwgung ber den Erlass eines

    Haftbefehls zu errtern sind.

    Die immer wieder in den Antrgen und Entschei-

    dungen ohne weitere Ausfhrungen anzutreffende

    Formulierung .sind nach Art. 176 Abs. 3 CPC be-

    dacht worden ist aber alles andere als eine Erfl-

    lung der gesetzlichen Verpflichtung, diese einzelnen

    Punkte in die berlegungen einzubeziehen. Nach

    deutscher hchstrichterlicher Rechtsprechung wr-den sie als leere Worthlsen anzusehen sein, die be-

    reits die gesamte Entscheidung entwerten wrden.

    8.2 Die Aufgabe der SpracheDer deutsche Philosoph Johann Gottfried Herder

    hat vor ber 200 Jahren bei seinen wegweisenden

    Ausfhrungen ber den Geist der Sprache gesagt:

    Die Sprache/den Stil verbessern, heit den Gedan-

    ken verbessern. Er meinte damit, dass erst, wenn

    Dinge explizit angesprochen und ausformuliertwerden, eine Kontrolle ber die Richtigkeit des (der

    Sprache) zu Grunde liegenden Gedankens mglich

    ist und vor allem, dass die Arbeit an den Sprachfor-

    mulierungen hilft, auch die Aussagekraft des Ge-

    sagten zu schrfen.

    Ausweislich eines Groteils der bei meinem Besuch

    in der Republik Moldau in Augenschein genomme-

    nen Aktenstcke und durchgefhrten Gesprche

    werden diese Grundstze von den Akteuren viel-

    fach beklagenswert wenig beachtet.

    Ich habe Bemerkungen entgegengenommen, dass

    die Sprachfertigkeiten moldawischer Richter nicht

    immer hoch seien. Das kann ich natrlich nicht

    kommentieren. Ich berlasse es den moldawischenStellen, fr Verbesserungen zu sorgen, falls wn-

    schenswert.

    Nun beginnen die Probleme nicht erst bei den

    Entscheidungen und Ausfhrungen der Untersu-

    chungsrichter. Sicherlich ist die Haftentscheidung

    eines Untersuchungsrichters der strkste Eingriff

    in die Freiheit des Beschuldigten. Deshalb ist es ein

    Hauptanliegen der vorliegenden Untersuchung,

    herauszufinden, welche Entwicklung seit der Ge-

    setzesnderung vor sieben Jahren stattgefundenhat und wo in Gesetzgebung und vor allem Praxis

    nderungsbedarf besteht.

    Die Ttigkeit des Untersuchungsrichters baut auf

    auf dem Antrag der Staatsanwaltschaft und auf der

    Festnahme durch die Polizei. So, wie 2006 in der

    Republik Moldau erkannt worden ist, dass auch die

    dem mglichen Haftbefehl vorausgehende Fest-

    nahme an das Vorhandensein von Haftgrnden ge-

    knpft sein muss (und dementsprechend Art. 166

    Abs. 3 CPC in der jetzigen Form eingefhrt wordenist), mssen Polizei und Staatsanwaltschaft schon

    im Vorfeld der Entscheidung des Untersuchungs-

    richters darauf Bedacht nehmen, dass die gesetzli-

    chen Voraussetzungen fr den Erlass eines Haftbe-

    fehls nicht erst bei seinem Erlass vorliegen mssen.

    Das ist in den mir vorgestellten Fllen sehr oft nicht

    beachtet worden. Und diese Nachlssigkeit rcht

    sich. Es ist geradezu symptomatisch, wenn in ei-

    nem Beispielsfall eine Festnahme im polizeilichen

    Protokoll mit dem Vorliegen der Voraussetzungen

    des Art. 166 Abs. 1 Nr. 2 CPC begrndet, aber mit

    keinem Wort auf die zustzlichen Voraussetzungen

    (Haftgrnde) nach Art. 166 Abs. 3 CPC eingegangen

    wird, in dem anschlieenden Antrag der Staatsan-

    waltschaft auf Verhngung von Untersuchungshaft

    dann ebenso wenig auf Haftgrnde eingegangen

    wird und, wenn es ganz schlimm kommt, auch in

    der untersuchungsrichterlichen Haftentscheidung

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    18/81

    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 17

    mehr oder minder die staatsanwaltschaftlichen

    Ausfhrungen ohne eigene Auseinandersetzung

    damit abgeschrieben werden.

    8.3 AktenflleAber selbst wenn solche eklatanten Fehler die Aus-

    nahme sein mgen, zieht sich wie ein roter Faden

    durch alles mir zur Verfgung gestellte schriftliche

    und mndliche Material die Feststellung, dass die

    Begrndungspflicht in sehr vielen Fllen entweder

    missverstanden oder bewusst missachtet wird.

    So findet sich in einem in Gegenwart des Staats-

    anwaltes verfassten und von diesem unterzeich-

    neten Arrestprotokoll die Formulierung (angeb-

    lich "Entsprechend Art. 166 CPC"): "Beging eine

    Straftat, fr die das Gesetz Freiheitstrafe vonmehr als zwei Jahren vorsieht, zugleich gibt es

    vernnftige Grnde anzunehmen, dass er sich

    dem Verfahren entziehen und die Wahrheitser-

    mittlung erschweren wird kein einziges Wort

    darber, welche Straftat in Betracht kommt,

    woraus sich der Verdacht ergibt, und insbeson-

    dere, woraus denn die vorgegebenen vernnf-

    tigen Grnde fr die geuerte Annahme sich

    ergeben. In der am nchsten Tag verfassten Be-

    schuldigungsschrift wird immerhin der zugrun-

    deliegende Tatablauf aufgefhrt, allerdings

    ohne jegliche Beweiswrdigung. In dem sich

    daran anschlieenden Antrag an den Untersu-

    chungsrichter findet sich ebenso wenig eine

    Beweiswrdigung, sondern nur als angeblich

    konkrete Umstnde als Grundlage der Beschul-

    digung die Bemerkung: wenn man sich den

    Beschuldigten ansieht, ist wahrscheinlich, dass

    er die ihm vorgeworfene Tat begangen hat. Der

    Verdachtscharakter werde durch Dokumente

    ber die Entfernung der Waren und andere Be-

    weismittel bewiesen.

    Zu den Haftgrnden wird gerade einmal aus-

    gefhrt, die vorgeworfene Tat werde mit weni-

    ger als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht, aber

    es bestehe ein RZisiko, dass der Beschuldigte

    sich dem Verfahren entziehen oder eine ande-

    re Straftat begehen knnte nicht ein einziges

    Wort, worauf sich diese Annahme grndet. Zu

    den nach Art. 176 Abs. 3 CPC zu bercksichti-

    genden Kriterien fr die Verhngung von Un-

    tersuchungshaft wird nur in Wiederholung des

    Gesetzestextes ausgefhrt, der Staatsanwalt

    und das Gericht wrden diese in Erwgung

    ziehen. Zum Verhltnismigkeitsprinzip wird,

    wiederum ohne Beleg, ausgefhrt, der Be-

    schuldigte habe ein unmittelbares Interesse,

    sich dem Verfahren zu entziehen, falls er frei-

    gelassen werde.

    In der darauf erfolgenden Haftentscheidung

    des Untersuchungsrichters wird anerkannt,

    dass der Beschuldigte seine Mutter untersttze,

    aber sonst ausgefhrt, dass er wegen frherer

    Verurteilungen sich dem Verfahren entziehen

    knne. Zu der danach eigentlich nher liegen-den Begrndung, es bestehe Wiederholungsge-

    fahr, wird nur ausgefhrt, der Beschuldigte sei

    in der Lage, Straftaten zu begehen.

    Jeder auch nur annhernd begabte Jurist und

    normale Mensch kann da die Nagelprobe ma-

    chen: Wenn der Beschuldigte oder sein Ver-

    teidiger vortragen, es gebe keinen vernnfti-

    gen Grund fr die vorgetragene Annahme der

    Staatsanwaltschaft, es bestehe vielmehr kein Ri-

    siko, dass der Beschuldigte sich dem Verfahrenentziehen werde ein doch, gibt es als einzige

    Antwort von Staatsanwalt oder Richter wre

    dann armselig.

    Da ist es in dem konkreten Fallbeispiel nur das

    Sahnehubchen, dass ohne jede Verlngerung

    der Untersuchungshaft erst nach 50 Tagen die

    Gerichtsverhandlung stattfand, in der dann das

    Verfahren gegen den Beschuldigten eingestellt

    wurde.

    In einem anderen Fall wurde in dem Haftbefehls-

    antrag der Staatsanwaltschaft zu den Haftgrn-

    den (ausschlielich) ausgefhrt: Im Augenblick

    argwhnen die Ermittlungsbehrden, dass der

    Beschuldigte sich den Ermittlungsbehrden

    nicht stellen wird. Dieser Argwohn wird durch

    die tatschlichen Umstnde des Beschuldigten

    bewiesen. Die Straftat ist schwerwiegend, was

    zu dem Schluss fhrt, dass der Beschuldigte

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    19/81

    18 Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    Manahmen unternimmt, sich seiner strafrecht-

    lichen Verantwortlichkeit entziehen.

    Die auf dem vorstehenden Antrag ergange-

    ne Entscheidung wiederholt die inhaltslosen

    Wertungen des Antrags, fhrt aber immerhin

    an, dass der Verteidiger des Beschuldigten Tat-

    sachen zum Nichtvorliegen der Haftgrnde

    vorgetragen hatte, nmlich den festen Lebens-

    mittelpunkt des Beschuldigten und dessen

    Schuldeingestndnis, und ausgefhrt hatte,

    dass der Staatsanwalt keinerlei Beweismittel fr

    dessen Wertung vorgelegt habe.

    Die richterliche Entscheidung fhrt anschlie-

    end auf, das Fr und Wider des jeweiligen Vor-

    bringens sei gewrdigt worden um dann zu

    dem Ergebnis kommen, der Antrag des Staats-anwaltes sei begrndet. Als Begrndung fr

    diese richterliche Wertung findet sich allerdings

    nur die Bezugnahme auf den potenziellen ge-

    setzlichen Strafrahmen und die Wiedergabe der

    gesetzlichen Bestimmungen zu den Haftgrn-

    den. Daran schliet sich nahtlos die Bemerkung

    an, das prsentierte Material weise mit Si-

    cherheit darauf hin, dass es vernnftige Grnde

    gebe, dass der Beschuldigte die Straftat began-

    gen habe und dass die Annahme berechtigt sei

    zu glauben, dass es notwendig sei, sicherzustel-

    len, dass der Beschuldigte nicht die Wahrheits-

    findung behindere.

    Die vorstehenden Formulierungen sind eine

    fast wrtliche Wiedergabe einer Beispiels-

    entscheidung in der vom Obersten Gerichts-

    hof der Republik Moldau herausgegebenen

    Beispielssammlung9. Dort allerdings sind die

    entsprechenden Ausfhrungen unterfttert

    mit der Wiedergabe der fr diese Bewertungsprechenden Tatsachen. In der von mir eingese-

    henen Fallakte findet sich an keiner Stelle eine

    Auseinandersetzung mit den von der Vertei-

    digung vorgetragenen Fakten oder mit Tatsa-

    chen, die die Wertung der Staatsanwaltschaft

    untersttzen knnten, mit Ausnahme des Hin-

    weises, dass der Beschuldigte sein Lebensunter-

    halt durch Gelegenheitsarbeiten bestreite, aber

    nicht offiziell beschftigt sei.

    Wie in vielen anderen gerichtlichen Entschei-

    dungen findet sich eine (auch wieder auszugs-

    weise dem gerade genannten Modellbeispielentlehnte) Passage, in der, offenbar zum Be-

    weis der Auseinandersetzung mit dem Ver-

    hltnismigkeitsgrundsatz, das Freiheitsrecht

    nach Art. 5 MRK rezitiert wird, aber im selben

    Atemzug ausgefhrt wird, Untersuchungshaft

    sei gerechtfertigt weil der Beschuldigte die Ab-

    sicht habe, sich der gerichtlichen Verfolgung

    zu entziehen und neue Straftaten zu begehen;

    in einem solchen Fall sei die Freiheitsentzie-

    hung vom Gesetz vorgesehen, sei notwendigin einer demokratischen Gesellschaft und sei

    ein legitimes Mittel. Offenbar ging das Gericht

    davon aus, ein Zitat der gesetzlichen Voraus-

    setzungen ersetze die tatschliche und recht-

    liche Wrdigung.

    Die Vorgehensweise, konkretes Tatsachenvor-

    bringen der Verteidigung ohne jede Auseinan-

    dersetzung unter Bezugnahme auf das in den

    Akten gar nicht wiedergegebene und mgli-

    cherweise gar nicht vorhandene Vorbringen derStaatsanwaltschaft beiseite zu fegen und die

    rechtliche und tatschliche Wrdigung durch

    Gesetzeszitate oder Gesetzesmotive zu erset-

    zen, scheint keineswegs auf die untere Instanz

    beschrnkt zu sein. In der Beschwerde der Ver-

    teidigung gegen den Haftbefehl in dem vorste-

    hend geschilderten Verfahren trug der Verteidi-

    ger vor, es sei nicht bercksichtigt worden, dass

    der Beschuldigte ein glaubhaftes Gestndnis

    abgelegt und seine Tat bereue und einen festenWohnsitz habe. Er habe keine Absicht, das Ver-

    fahren zu behindern oder Zeugen zu beeinflus-

    sen; im brigen habe der Staatsanwalt keinerlei

    Beweise dafr vorgelegt, dass der Beschuldigte

    die Absicht habe sich dem Verfahren zu entzie-

    hen.

    9 Modele de acte judectoreti n procesul penal Sentine, decizii, ncheieri ISBN 978-9975-9959-0-0 S. 186 ff.

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    20/81

    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 19

    Ohne auf das ausdrckliche Gestndnis des Be-

    schuldigten einzugehen, fhrt die Kammer des

    Berufungsgerichts in ihrer Entscheidung aus,

    sie sei von der Tatbegehung berzeugt und

    deshalbbestehe ein Ausnahmefall der auf die

    Notwendigkeit von Untersuchungshaft hinwei-

    se, und zwar

    o wegen der Komplexitt des Falles, der

    Schwere der Tat und des Weiterbestehens

    der Fluchtgefahr und Wiederholungsgefahr

    bei dem Beschuldigten; dieser Verdacht er-

    gebe sich aus dem Charakter der Tat, und

    der Beschuldigte knne in Freiheit eine neue

    Straftat begehen, sich der Strafverfolgung

    entziehen und die Aufklrung behindern,

    o weil das Ermittlungsverfahren sich erst imAnfangsstadium befinde und noch nicht

    alle Ermittlungen abgeschlossen sein; dies

    gebe Anlass zu der Annahme, dass in Frei-

    heit der Beschuldigte die Wahrheitsfindung

    verhindern oder sich den Ermittlungsbehr-

    den entziehen knne,

    o weil die Notwendigkeit, alle Tatumstnde

    aufzuklren, Grund dafr bieten wrde, Un-

    tersuchungshaft anzuordnen.

    Diese Erwgungen wrden alle Argumente derVerteidigung zu Fall bringen. Deshalb knne

    der normale Ablauf des Ermittlungsverfahrens

    nur durch die Verhngung von Untersuchungs-

    haft abgesichert werden.

    Vor Ablauf der Dreiigtagesfrist stellte die

    Staatsanwaltschaft einen Verlngerungsantrag,

    der wortgleich den Text des ersten Antrages

    bernahm, aber mit keiner Silbe auf das Vorlie-

    gen der Verlngerungsvoraussetzungen nach

    Art. 186 Abs. 3 CPC einging. Auch der daraufhin

    ergangene Verlngerungsbeschluss des Unter-

    suchungsrichters ging mit keinem Wort auf die

    Verlngerungsvoraussetzungen ein und wie-

    derholte fast wortgleich seine Ausfhrungen

    aus dem ersten Beschluss. Da verwundert es

    schon nur noch wenig, dass das Berufungsge-

    richt auf die (erneute) Beschwerde der Verteidi-

    gung ebenfalls seine erste Entscheidung wort-

    gleich wiederholte, ohne auf die zustzlichen

    Verlngerungsvoraussetzungen einzugehen.

    Dass die Staatsanwaltschaft den weiteren Ver-

    lngerungsantrag nach einem Monat ohne

    neue Tatsachen und allein mit dem Hinweis,

    dass der Fall bis zum Ablauf der Verlngerungs-periode noch nicht abgeschlossen sei, einreich-

    te, passt in das Bild. Immerhin verwies dann der

    anschlieende Gerichtsbeschluss auf Art. 186

    Abs. 3 CPC, wiederholte allerdings ausschlie-

    lich den Gesetzestext, ohne zu errtern, ob

    dessen Voraussetzungen im vorliegenden Fall

    vorliegen.

    Auch ein weiteres der von mir eingesehenen

    Aktenstcke weist leider ebenfalls die typischen

    Besonderheiten der anderen Verfahrensakten

    auf. Als konkrete Argumente fr die Annahme

    der Flucht- und Verdunkelungsgefahr wird (nur)

    ausgefhrt: Gegenwrtig, zum Zeitpunkt der

    Festnahme, haben die Ermittlungsbehrden

    den Verdacht, dass der Beschuldigte sich den

    Ermittlungen entziehen knnte, die Wahrheits-

    findung vereiteln oder Aktionen gegenber

    mglichen Zeugen ergreifen wird, sie zu fal-

    schen Aussagen verleiten wird und so zu einer

    unangemessenen Sicht des Verfahrensstandes

    fhren wird. Dieser Verdacht wird durch die tat-

    schliche Situation des Beschuldigten bewie-

    sen, insbesondere durch das Risiko, dass er die

    Stadt oder das Land verlsst. Die Ermittlungs-

    behrde kennt zurzeit nicht alle Umstnde die

    zur Begehung der Tat gehren. In Freiheit knn-

    te (der Beschuldigte) die Spuren der Tat verwi-

    schen oder mgliche Gehilfen ber die Gefahr

    der Ermittlungen unterrichten. Die Tat muss als

    besonders schwerwiegend angesehen werden

    und die Bestrafung dafr ist ebenfalls schwer,

    was zu dem Schluss fhrt, dass der Beschuldig-

    te alle Manahmen ergreifen knnte, die straf-

    rechtliche Verantwortlichkeit zu vermeiden und

    die Objektivitt der Ermittlungen zu beeinflus-

    sen.

    Darber hinaus fhrt der Antrag mit dem Be-

    merken, Einzelheiten knnten nur dem Unter-

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    21/81

    20 Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    suchungsrichter gegenber offen gelegt wer-

    den aus, es sei festgestellt worden, dass der

    Lebensstil des Beschuldigten es erlaube, ihn als

    eine sozial gefhrliche Person zu betrachten, die

    in die Gefahr weiterer Tatbegehungen geraten

    knne. In diesem Fall knne die Untersuchungs-haft das Ermittlungsverfahren positiv beeinflus-

    sen, ebenso den Prozess der Beschaffung von

    Beweismitteln, und knne dazu fhren, objektiv

    den Verdacht der Ermittlungsbehrden zu der

    Verwicklung des Beschuldigten in andere Straf-

    taten aufzuklren.

    An diese Ausfhrungen schliet sich das bli-

    che Zitat des Art. 176 Abs.3 CPC an, mit der Ver-

    sicherung, der Staatsanwalt habe dies bedacht

    und unter anderem gewrdigt, dass der Be-schuldigte nicht verheiratet sei und keine Kin-

    der zu unterhalten habe; auerdem habe der

    Beschuldigte nur unregelmige Einnahmen,

    deshalb sei zu befrchten, dass er nicht bei den

    Ermittlungsbehrden erscheinen werde.

    Die Haftentscheidung des Untersuchungsrich-

    ters zitiert diese Ausfhrungen der Staatsan-

    waltschaft, aber auch das Vorbringen des Ver-

    teidigers, der Beschuldigte habe einen festen

    Wohnsitz, gebe seine Schuld zu und werde je-

    der Vorladung der Ermittlungsbehrden folgen,

    es seien im brigen noch keinerlei Beweise da-

    fr vorgelegt worden, dass er sich dem Verfah-

    ren entziehen wolle. Der Untersuchungsrichter

    setzt sich mit diesem Vorbringen neben der

    Standardfloskel, er habe das Fr und Wider ab-

    gewogen allerdings nicht auseinander. Seine

    Haftanordnung begrndet er damit, die Kate-

    gorie der Straftat lasse eine Untersuchungshaft

    zu, der Charakter der Tat und die Tatumstnde

    bten gengend Anlass zu der Annahme, dass

    der Beschuldigte versuchen werde, die Wahr-

    heitsfindung zu verhindern und negativen Ein-

    fluss auf die ordnungsgeme Entwicklung des

    Ermittlungsverfahrens nehmen werde. Das vor-

    gelegte Material biete eine ernsthafte Grundla-

    ge zu der Annahme, dass es notwendig sei, das

    Verhalten des Beschuldigten zu kontrollieren,

    damit er nicht die Wahrheitsfindung verhinde-

    re und sich nicht den Ermittlungen entziehen

    werde. Das vorgelegte Material lasse auch auf

    die Existenz vernnftiger Grnde zu der Annah-

    me schlieen, dass der Beschuldigte in Freiheit

    mit kriminellen Aktivitten fortfahren werde; es

    gebe das Risiko fr die Zerstrung oder Besch-

    digung der Beweismittel.

    Hieran schliet sich wieder die schon erwhnte

    Standardpassage ber die (Nicht-) Anwendbar-

    keit von Art. 5 MRK an. Die Untersuchungshaft

    sei gerechtfertigt und begrndet und notwen-

    dig, weil sie darauf ziele, den Beschuldigten da-

    von abzuhalten, sich dem Verfahren zu entzie-

    hen und neue Straftaten zu begehen.

    Zur Sicherheit wiederholt der Beschluss die vor-stehende Bemerkung gleich noch einmal im

    folgenden Absatz mit praktisch denselben For-

    mulierungen.

    8.4 Auswertung der AktenflleWenn man alle von den Ermittlungsbehrden und

    von den Gerichten in diesen Fallakten niederge-

    legten Argumente zusammenfasst, muss Untersu-

    chungshaft nach Meinung der beteiligten Juristen

    vor Ort offenbar dann verhngt werden, wennmglicherweise eine Straftat mit einer bestimmten

    Strafdrohung begangen worden ist, weil dann zu

    erwarten ist, dass sich der Beschuldigte dem Ver-

    fahren entzieht, bzw. es verhindert.

    Das entspricht weder der Logik, noch der Erfah-

    rung, schon gar nicht den gesetzlichen Bestimmun-

    gen der Strafprozessordnung der Republik Moldau.

    Vielmehr ist eklatant gegen die in der Strafprozes-

    sordnung vorgeschriebene Begrndungspflicht

    verstoen worden.

    Natrlich lassen ein so kurzer Informationsbesuch

    und so wenig umfangreiches Aktenmaterial fr sich

    genommen nicht den Schluss zu, dass alle Verfah-

    ren im Zusammenhang mit der Verhngung von

    Untersuchungshaft in der Republik Moldau genau-

    so ablaufen. Es ist aber schon auffllig, dass die mir

    zugnglich gemachten Aktenstcke alle hnliche

    Eigenheiten aufweisen und noch dazu ber meh-

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    22/81

    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 21

    rere Ebenen der Ermittlungsbehrden und der Ju-

    stiz hinweg.

    Meine Gesprchspartner bei der Anwaltschaft und

    im Pflichtverteidigungsbro stellten den Verlauf

    dieser Flle tatschlich auch als vllig blich dar.

    Gleich beim ersten Gesprch mit der Anwaltsseitewurde mir vorgetragen, dass Entscheidungen der

    Untersuchungsrichter zur Frage des Haftbefehls ei-

    nem festen Schema folgen wrden:

    1. Der Antrag der Staatsanwaltschaft wird wort-

    wrtlich (Copy-Paste) wiedergegeben.

    2. Die Argumente fr die Verhngung von Untersu-

    chungshaft werden aufgefhrt, nie Gegenargu-

    mente gegen die Verhngung.

    3. Die Begrndung des Gerichts ist genau dieselbe

    wie in dem Antrag der Staatsanwaltschaft.4. Es folgt ein Transskript der Bestimmungen der

    MRK ohne jeden Bezug zum Fall. Danach geht es

    weiter mit dem Text aus dem staatsanwaltschaft-

    lichen Antrag.

    Auch in der Begrndung fnden sich Stereotypen:

    1. der Hinweis auf das berschreiten der gesetzli-

    chen unteren Grenze der Strafandrohung, kein Er-

    whnung auf die Unschuldsvermutung,

    2. die Formulierung, dass Untersuchungshaft ver-

    hngt werden msse, ohne dass dazu nhere Fest-

    stellungen niedergelegt werden,

    3. die Feststellung, es bestehe Fluchtgefahr, ohne

    dass dies nher belegt wird,

    4. die Feststellung, es bestehe Wiederholungsgefahr,

    ohne dass dies nher belegt wird.

    Wenn dann von Anwlten Rechtsmittel eingelegt

    wrden, entscheide das Rechtsmittelgericht in der

    Regel wiederum mithilfe der Copy-Paste-Methode.

    Jedenfalls, soweit es die mir vorgelegten Fallaktenbetrifft, war dort eine verblffende bereinstim-

    mung mit dem vorstehenden Szenario zu registrie-

    ren.

    Wenn die zur Verfgung gestellten Fallakten Ausrei-

    er wren, htte im brigen erwartet werden ms-

    sen, dass bei den mndlichen Interviews whrend

    meines Besuches ganz andere Ergebnisse htten

    herauskommen mssen. Das war aber mit einer

    Ausnahme nicht der Fall, als ich jeweils einen oder

    mehrere dieser Flle Akteuren vor Ort bei Polizei,

    Staatsanwaltschaft und bei Untersuchungsrichtern

    mit der Bitte um Stellungnahme und Wertung vor-

    trug.

    Lediglich in Ungheni wurden die fehlenden Darle-gungen der Haftgrnde von allen Gesprchspart-

    nern bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht so-

    fort moniert. Dieser Bezirk fiel mir auch dadurch auf,

    dass dort die Haftbefehlsantragsquote um ein Viel-

    faches niedriger ist als in anderen Bezirken, dem-

    entsprechend auch die Zahl der erlassenen Haftbe-

    fehle, und dass die Quote der von der Staatsanwalt-

    schaft nicht akzeptierten Haftbefehlsvorschlge,

    aber auch die Quote der Haftbefehlsantrge, denen

    nicht stattgegeben worden ist, ebenfalls weitaushher ist als in anderen Bezirken. Dies scheint die

    sachliche Zusammenarbeit zwischen Polizei Staats-

    anwaltschaft und Gerichten nicht zu beeintrchti-

    gen. Es finden nach den mir erteilten Informationen

    vielmehr regelmig Sachgesprche zwischen den

    Ebenen statt. Von der guten Kommunikation auch

    auerhalb der Akten konnte ich mich persnlich

    berzeugen.

    Die Gesprche in anderen Bezirken fielen mit Ab-

    weichungen weitaus weniger positiv aus.Im Bereich der Polizei scheint das Selbstverstndnis

    von ihrer Rolle als Teil der rechtsstaatlichen Aufkl-

    rung von Verdachtsmomenten wegen Straftaten

    noch frderungsfhig. Der Zusammenhang zwi-

    schen dem Vorhandensein (und dem Beleg) der

    gesetzlichen Haftgrnde einerseits und der Zuls-

    sigkeit einer Festnahme andererseits scheint vielen

    Polizeibeamten nicht immer klar zu sein.

    Angesprochen auf mgliche Defizite in der Anfer-

    tigung der Arrestprotokolle und der weiteren Ent-

    scheidungen fallen vielfach nichtssagende Ausfh-

    rungen oder uerungen, die massive Vorurteile

    oder eine nicht immer nachvollziehbare Berufsauf-

    fassung verraten, auf. Auffllig ist weiterhin, dass

    viele Polizeibeamte sich hinter der Verantwortung

    der Staatsanwaltschaft verstecken, die ja ohnehin

    die Entscheidungen bei Festnahmen treffen msse.

    Dazu passt allerdings wenig, dass etwa ein langge-

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

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    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 23

    Generell bewerten die von mir interviewten Anwl-

    te die Arbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und

    Untersuchungsrichter in der Republik Moldau ber-

    wiegend negativ.

    Gleichzeitig scheint eine gewisse Tendenz bei den

    Anwlten erkennbar zu sein, nicht in allen denkba-ren Fllen Rechtsmittel gegen Untersuchungshaft-

    entscheidungen einzulegen. Dies wurde mir von

    Anwaltsseite damit erklrt, dass sich viele Anwl-

    te angesichts ihrer Erfahrungen wenig Erfolg von

    Rechtsmitteln versprechen. Natrlich sind auch an-

    dere Erklrungen denkbar. Die eine knnte die Sor-

    ge sein, dem Mandanten knne im Hauptverfahren

    sein Widerstand gegen Untersuchungshaft nachtei-

    lig ausgelegt werden. In allen Rechtssystemen der

    Welt gibt es im brigen Anwlte, die ihre Ttigkeitmit dem geringstmglichen Aufwand ausben.

    9 Sonstige Gesprche

    ber die Gesprche mit Akteuren vor Ort hinaus

    hatte ich whrend meines Aufenthaltes Gelegen-

    heit, die mglichen Konsequenzen aus den Urteilen

    des Europischen Gerichtshofs fr Menschenrechte

    mit dem Justizministerium der Republik Moldau,

    dem Obersten Gerichtshof der Republik Moldau,dem Obersten Magistratsrat und der Generalstaats-

    anwaltschaft zu errtern.

    Das Justizministerium, welches ber seinen Vertre-

    ter beim Europischen Gerichtshof am dichtesten

    mit den Rgen des Europischen Gerichtshofs kon-

    frontiert ist, hat die Problematik offen benannt und

    sein Interesse an und seine Mitwirkungsbereitschaft

    zu Manahmen zur nderung der gegenwrtigen

    Situation bekundet.

    Der Oberste Gerichtshof und dort die (Mit-) Autorin

    der seinerzeitigen gesetzlichen Vorschriften haben

    die eingangs meines Berichtes bereits zitierte Ent-

    wicklung in der Rekrutierung von Untersuchungs-

    richtern geschildert und beklagt, dass die ursprng-

    lichen Vorstellungen ber die notwendigen persn-

    lichen Voraussetzungen sich nicht htten umsetzen

    lassen, weil nicht gengend Bewerbungen einge-

    gangen seien.

    Es gibt dort auch berlegungen, ob durch eine

    temporre Zuweisung des Untersuchungsrichter-

    postens innerhalb eines Gerichts Verbesserungen

    eintreten knnten. Wegen der unterschiedlichen

    Herkunft der Richter gebe es allerdings ein gefhl-

    tes 2-Klassen-Richter-System, so dass es schwierig

    sei, auer in Notfllen, Untersuchungsrichterposten

    aus dem Kreis der Strafrichter zu besetzen.

    Der Oberste Magistratsrat hat sich bei den Gespr-

    chen eher etwas zurckhaltend in der Frage einer

    generellen Problematik geuert und die Auffas-

    sung vertreten, dass man auf einem guten Wege

    sei.

    Die Generalstaatsanwaltschaft hat das Vorhanden-

    sein von Problemen durchaus eingerumt und hofft,

    durch intensive interne Kontrolle und Fortbildungdem Anspruch auf rechtsstaatlich korrekte Ttigkeit

    der Staatsanwaltschaft gerecht zu werden.

    10 Konsequenzen

    Wenn nun als Ergebnis des Studienaufenthaltes ge-

    wisse Konturen in der Rechtswirklichkeit der Repu-

    blik Moldau sichtbar zu sein scheinen, ist zu prfen,

    welche Mglichkeiten es gibt, diese als negativ ge-

    werteten Erscheinungen zuknftig zu vermeiden.

    10.1Institutionelle und legislativenderungen

    Von auen betrachtet stellt sich die Frage, ob bei

    den Ernennungsvoraussetzungen fr den Posten

    des Untersuchungsrichters in der besonderen Si-

    tuation der Republik Moldau die Vorerfahrung als

    Staatsanwalt wirklich den Vorzug verdient vor der

    offenbar greren inneren Distanz eines langjh-

    rigen unabhngigen Richters. Ich versage mir al-lerdings, hierzu umfangreiche Systemnderungen

    vorzuschlagen. Das kann auch nicht Aufgabe eines

    auswrtigen Experten sein. Wie die Republik Mol-

    dau damit umgeht, dass auch nach sieben Jahren

    Systemwechsel in den Zustndigkeiten und Voraus-

    setzungen fr die Verhngung von Untersuchungs-

    haft noch Akteure ttig sind, die den Wechsel von

    sowjetischen System nicht vollstndig verinnerlicht

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    25/81

    24 Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    zu haben scheinen, fllt in die Verantwortung des

    Parlaments und der Justizorgane, soweit es um

    mgliche Gesetzesnderungen und Personalent-

    scheidungen geht.

    10.2 Sonstige ManahmenUnterhalb dieser Ebene scheint aber doch eine Rei-

    he von Denkansten mglich und erforderlich.

    10.2.1Grundstzliches

    Die Erfahrung in vielen Staaten auch und gerade

    des ehemaligen sowjetischen Einflussbereiches

    zeigt, dass der Rechtsstaat darauf angewiesen

    ist, dass die Akteure sich mit ihm identifizie-

    ren. Eine innere Einstellung kann nur bedingt

    durch gesetzliche Vorschriften oder hierarchi-

    sche oder disziplinarische Kontrolle beeinflusst

    werden. Es ist erforderlich, dass sich die Akteure

    ihrer Macht, der Gefahr des Machtmissbrauchs

    und ihrer Verantwortung bewusst sind. Solche

    Persnlichkeiten fallen nicht vom Himmel, aber

    es gibt sie. Man muss sie richtig auswhlen, rich-

    tig ausbilden und richtig frdern.

    Dazu passt nicht, dass Akteure, die ber Frei-

    heitsrechte der Brger entscheiden, im wirt-

    schaftlichen und sozialen Gefge des Landes

    oder auch nur ihrer Profession so weit unten

    angesiedelt sind, dass sie der Versuchung des

    Machtmissbrauchs oder der Korruption auch

    in Form der politischen Beeinflussung ausge-

    setzt sind. Es wre ein wohlfeiler Ratschlag, eine

    entsprechend hohe Entlohnung zu fordern;

    staatliche Ressourcen sind nicht unbegrenzt.

    Was aber immer mglich ist, ist, den sozialen

    Status entsprechend auszugestalten. Wenn

    man akzeptiert, dass ein Untersuchungsrich-

    ter eine besonders hohe Verantwortung fr

    die Freiheitsrechte potentiell Unschuldiger hat

    (aber auch fr den geordneten Ablauf der Straf-

    rechtspflege) muss man dann nicht auch ak-

    zeptieren, dass dieser Untersuchungsrichter in

    der Struktur des Gerichtes eine herausgehobe-

    ne Stellung hat? Natrlich muss man dann fr

    diese Positionen auch die beruflich und charak-

    terlich besonders Geeigneten auswhlen, aber

    das fllt leichter, wenn der berufliche Anreiz

    dementsprechend hoch ist. Organisatorisch las-

    sen sich da verschiedene Mglichkeiten vorstel-

    len. Der eine oder andere Anreiz durch Vergn-

    stigungen scheint auch denkbar, etwa der, auf

    Dienstortwnsche oder die zeitliche Arbeits-

    zeitgestaltung bei Frauen mit Kindern einzuge-

    hen. Eine andere Mglichkeit wre, berufliches

    und finanzielles Fortkommen davon abhngig

    zu machen, dass fr einen gewissen Zeitraum

    eine Untersuchungsrichterfunktion ausgebt

    worden ist, ebenso, dass bestimmte Qualifizie-

    rungsmanahmen etwa im Rahmen der Fort-

    bildung beim Obersten Gerichtshof absolviert

    worden sind. Auch ein organisiertes Rotations-

    prinzip wrde dazu fhren, dass die offenbar

    gegenwrtig faktische Zweiklassengesellschaft

    der Richter aufgebrochen wrde und die Per-

    snlichkeiten, die bei Einfhrung des Untersu-

    chungsrichtermodells in der Republik Moldau

    Wunschkandidaten waren, verstrkt eine solche

    Funktion bernehmen, ohne um ihren sozialen

    und beruflichen Status zu frchten.

    Denkbar wren aber auch durchaus weiter-

    gehende Manahmen. Es knnte sich lohnen,

    ber Konsequenzen bei Versten gegen die

    Begrndungspflicht nachzudenken. Zunchst

    muss klar sein, dass ein Beschluss ohne aus-

    reichende Begrndung per se der Aufhebung

    unterliegt, weil er, wie oben ausgefhrt, gegen

    das Rechtsstaatsprinzip verstt. Bei anderen

    Beratungsmissionen ist der Vorschlag gemacht

    worden, man knne sogar noch einen Schritt

    weiter gehen und solche Verste auch ohne

    ausdrckliche Rge durch die Gegenseite mit-

    tels Einlegung eines Rechtsmittels von Amts

    wegen prfen, so dass z.B. die Vollstreckung

    eines solchen Haftbefehls als rechtswidrig und

    unwirksam anzusehen wre. Dies wrde unter

    Rechtssicherheitsgesichtspunkten allerdings

    sehr problematisch sein, weil sich die Frage

    stellt, ob z.B. eine gerichtliche Entscheidung

    vom aufnehmenden Beamten in der Haftan-

    stalt berprft werden kann und schon gar

    soll.

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

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    Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht 25

    Viel Spielraum fr Verbesserungen scheinen

    mir noch beim Aktionsradius der Verteidiger

    zu liegen. Es ist an anderer Stelle bereits dar-

    auf hingewiesen worden, dass die Verteidiger

    in Haftsachen aus Sicht eines auslndischen

    Beobachters sehr wenig Gebrauch von ihren

    Beschwerde- und Kontrollmglichkeiten ma-

    chen, vielleicht aber auch deshalb, weil gerade

    die Kontrollfunktionen unterentwickelt zu sein

    scheinen.

    Unter dem Rechtsstaatsgesichtspunkt muss

    vllig eindeutig sein, dass eine Entscheidung

    im Haftbefehlsverfahren nicht mglich ist auf

    der Grundlage von Tatsachen, ber die die Ver-

    teidigung sich nicht zuvor ein Bild hat machen

    knnen. Der in der einen Beispielsakte nieder-

    gelegte Text in der Antragsschrift der Staats-

    anwaltschaft, die Tatsachen zur Begrndung

    zu den Haftgrnden knnten ausschlielich

    dem Untersuchungsrichter gegenber offen

    gelegt werden, ist schlicht rechtsstaatswidrig,

    weil eklatant gegen das Fair-Trial-Gebot versto-

    end. Auch mir ist aus meiner jahrzehntelangen

    staatsanwaltschaftlichen Praxis die Situation

    bekannt, dass aus ermittlungstaktischen Grn-

    den bestimmte Tatsachen der Verteidigung und

    dem Beschuldigten gegenber noch nicht of-fen gelegt werden sollen, weil sonst das Ermitt-

    lungsziel gefhrdet ist. Dafr ist aber ein Preis

    zu zahlen, der nach der Unschuldsvermutung

    nicht vom Beschuldigten zu entrichten ist. Der

    Untersuchungsrichter ist eben kein hheres

    Wesen, welches fr die Richtigkeit der Entschei-

    dung garantiert. Er kann seine Entscheidung

    deshalb legitimerweise ausschlielich auf Tatsa-

    chen sttzen, zu denen auch die Verteidigung

    rechtliches Gehr gehabt hat. Wenn die Staats-anwaltschaft bestimmte Tatsachen noch nicht

    offenlegen will, muss sie in Kauf nehmen, dass

    dann das offene Material noch nicht fr einen

    Haftbefehl ausreicht. Alles andere wre Mani-

    pulation.

    Auch in meinem Land ist erst im Laufe der Zeit

    die Erkenntnis gewachsen, dass auch im vorge-

    richtlichen Verfahren der Verteidigung Kontroll-

    mglichkeiten zum Begleiten der Ermittlungen

    gegeben sein mssen. So gewinnt die Verteidi-

    gung bei uns nach dem Gesetz erst mit dem Ab-

    schluss des Ermittlungsverfahrens und der An-

    klageerhebung ein uneingeschrnktes Akten-

    einsichtsrecht. Nach der deutschen hchstrich-

    terlichen Rechtsprechung und auf der Grund-

    lage der Rechtsprechung des EuGHMR kann

    der Verteidigung aber die Einsicht in die bei

    der Staatsanwaltschaft befindlichen Vorgnge

    nicht willkrlich vorenthalten werden, sondern

    es muss dargelegt werden und kann gege-

    benenfalls gerichtlich berprft werden dass

    es ermittlungstaktische Gesichtspunkte gibt,

    die einer Akteneinsicht entgegenstehen. Auch

    wenn diese verstndlicherweise nicht in allen

    Einzelheiten dargelegt werden mssen, fhrt

    eine Tuschung durch die Staatsanwaltschaft

    dazu, dass spter wegen Verstoes gegen das

    Fair-Trial-Gebot erhebliche prozessuale Pro-

    bleme entstehen. In jedem Fall muss auf der

    Grundlage der Rechtsprechung des Europ-

    ischen Gerichtshofs fr Menschenrechte dasje-

    nige Material, welches der Entscheidung ber

    den Haftbefehl zu Grunde gelegt werden soll,

    offen gelegt werden.

    10.2.2Selbstverstndnis

    Durch alle Kontakte mit vor allem Polizeibeam-

    ten und Staatsanwlten zieht sich der Tenor, man

    msse doch dem Verbrechen begegnen. Das ist

    selbstverstndlich richtig. Die Menschenrechts-

    konvention setzt dabei allerdings Grenzen. Der

    Zweck heiligt nicht alle Mittel. Folter, Tuschung

    oder sonst unfaire Verhaltensweisen sind nach der

    Menschenrechtskonvention kein zulssiges Mittel

    der Strafverfolgung. Was noch wichtiger ist: Die

    Menschenrechtskonvention geht vom Primat der

    Unschuldsvermutung aus. Vor der Strafverfolgung

    liegt deshalb die Aufklrung, ob sich denn ber-

    haupt die Unschuldsvermutung widerlegen lsst.

    Fr das Selbstverstndnis von insbesondere Poli-

    zei und Staatsanwaltschaft, aber natrlich auch fr

    die beteiligten Richter, ist deshalb von elementarer

    Bedeutung dass sie die Aufklrung eines Sachver-

  • 8/12/2019 Report Stange Final 0

    27/81

    26 Untersuchungshaftentscheidungen von Ermittlungsrichtern in der Republik Moldau Eine Einschtzung aus internationaler Sicht

    haltes ergebnisoffen betreiben. Viele Sprachen,

    so auch die deutsche, sprechen deshalb auch von

    Ermittlungsbehrden und erst in zweiter Linie

    von Verfolgungsbehrden. Das ist nicht nur eine

    sprachliche Belanglosigkeit. Wer seinen Arbeitser-

    folg oder den seiner Untergebenen daran misst,

    wie viele Anklagen erhoben oder Verurteilungen

    erreicht worden sind, und nicht daran, wie viele

    Sachverhalte aufgeklrt worden sind, gert in die

    Gefahr, den rechtsstaatlichen Auftrag aus den Au-

    gen zu verlieren. Sowohl bei Einfhrung der Staats-

    anwaltschaft durch Napoleon, vor allem aber auch

    bei bernahme dieser Institution in Deutschland

    1849 war es explizite Aufgabe der Staatsanwalt-

    schaft, dafr Sorge zu tragen, dass Beschuldigte

    ihrer gerechten Bestrafung zugefhrt werden aber

    auch, dass Unschuldige vor ungerechtfertigter Ver-

    folgung bewahrt werden. Bis heute verliert das der

    eine oder andere Polizeibeamte oder Staatsanwalt

    zuweilen aus den Augen.

    Das ist eine Erscheinung, die ich durchaus auch in

    meinem Land beobachte. In einem Land mit der

    Geschichte der Republik Moldau ist es, denke ich,

    aber von besonderer Bedeutung, bei der Auswahl

    der Akteure, in der Menschenfhrung und in der

    Fortbildung diesem Gedanken besondere Beach-

    tung zu schenken.

    10.2.3Zusammenspiel der InstitutionenPolizei, Staatsanwaltschaft undGericht

    In praktisch allen demokratischen Rechtsordnun-

    gen gibt es im Bereich der Strafrechtspflege ein Ne-

    beneinander und Miteinander von Polizei, Staats-

    anwaltschaft und Gerichten. Das macht auch Sinn

    aber es macht nur dann Sinn, wenn jede dieser

    Institutionen einen eigenen Zustndigkeits- undVerantwortungsbereich hat.

    Es ist typisch fr das sowjetische System, dass dort

    die Konturen zwischen diesen drei Bereichen ver-

    wischt waren. Die Gerichte hatten eine gesellschaft-

    liche Aufgabe, die von der Politik bzw. der Partei,

    zuweilen auch im Einzelfall, vorgegeben wurde. Die

    Rolle der Staatsanwaltschaft bestand in der Aus-

    bung der Gesetzmigkeitskontrolle im Sinne der

    Politik, nicht darin, eine Zwischenstation zwischen

    der polizeilichen Ermittlungsarbeit und der forensi-

    schen Bewertung durch die Gerichte darzustellen.

    Dieser historische Hintergrund und das unterschied-

    lich langsame Loslsen von diesem Hintergrund

    sind typisch fr fast alle Nachfolgestaaten der So-wjetunion oder Staaten im ehemals gesellschafts-

    politischen Einflussbereich der Sowjetunion. Nur

    so scheint mir zu erklren zu sein, dass auch heute

    no


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