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Fachthemen

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik 88 (2011), Heft 9

1 Typisierte Holzbinder

Als holzarmes Land musste die DDR40 % des jährlich verbrauchten Schnitt -holzes importieren [1]. Wie in allenBereichen des Bauwesens konzen-trierte sich die Entwicklung im Holz-bau auf die Produktion materialspa-render Tragwerke. ArchitektonischeBelange blieben demgegenüber, auchnach Überwindung der Nachkriegs-nöte, stets zweitrangig. Dafür wurdendie wenigen hergestellten Trägertypenin einer bemerkenswerten Planungs -tiefe immer perfekter typisiert, was zuextrem gewichtsreduzierten Konstruk-tionen führte. So umfasst zum Beispielder Katalog H 8633 PEB „Klebebinderaus Holz, stahlunterspannt, Dachnei-gung 25 %, Binderabstand 3000 mmund Aussteifungselemente“, 1986 vomVEB Kombinat Bauelemente und Fa-serbaustoffe in Leipzig herausgegeben,103 Seiten. Er enthält sämtliche Mon-tagehinweise, statischen Angaben undZeichnungen für Binder, Pfetten, Gie-belkonstruktionen, Deckenträger undAussteifungen.

1.1 Nagelbinder

Genagelte vollwandige Hohlquer-schnitte mit Kanthölzern als Gurteund schräg verlaufenden seitlichenBrettern traten ebenso wie die ausBrettern zusammengenagelten Voll-wandbinder ab 1935 auf [2]. Auf-grund des Stahlmangels erlebten diegenagelten Binder ihre große Blüte-zeit während und nach dem 2. Welt-krieg.

In der DDR konzentrierte mansich auf die Bauweise des aus einzel-nen Brettern und Bohlen zusammen-gesetzten Binders. Es wurden aus -schließlich fachwerkartige Nagelbrett-binder in Serie produziert. Satteldach-und Pultdachbinder kamen in derDDR vorrangig im Landwirtschafts-bau bei Scheunen und Ställen, aberauch bei Industrie- und Schulbautenzum Einsatz.

Eine Übersicht der in der DDRunter Federführung des Instituts desVEB Kombinat Bauelemente und Fa-serbaustoffe Leipzig (BAUFA) typisier-ten Trägerarten gibt Bild 1.

Die Satteldachbinder der BS- undBT-Serie waren für die Stahlbetonske-lett-Montagebauweise bestimmt undwurden vorrangig für landwirtschaft-liche Bauten eingesetzt. Der Binder-abstand von 3 und 4,50 m entsprachdem Grundraster für Stahl be ton ske -lettbauten in der DDR. Das Gewichtder untergehängten Decke bei Warm-bauten bewegte sich zwischen 30 und60 kg/m2. Die Trapezbinder BT konn -te man mit einer Mittelunterstützungauch zu Satteldachbindern zusam-mensetzen.

Die Binder der U-Serie wurden(ebenso wie die Binder BS 158–165)für die traditionelle Wandbauweiseentwickelt. Die Binderabstände be-trugen maximal 1,85 m. Neben dengezeigten Satteldach- und Steildach-bindern existierten auch trapezförmigeNagelbinder. In der Übersicht sind dieparallelgurtigen Pultdachbinder derSerie BP (Länge 6–12 m, Binderab-stand 3 m, 10 % Dachneigung) nichtenthalten.

Eine noch wirtschaftlichere Her-stellung der Binder ermöglichte dieNagelplattenbauweise. In der letzten,1991 erschienenen Systemübersichtder BAUFA wird ein Kostenvorteilvon 30 % angeführt. Die als Gang-Nails bezeichneten Nagelplatten wur-den 1955 in den USA patentiert und1971 in der BRD für das Bauwesenzugelassen. Alle Stäbe der Binder be-stehen aus gleich dicken, meist 60 mmstarken Kanthölzern. Die Füllstäbestoßen stumpf auf die durchlaufen-den Gurte und werden durch seitlicheingepresste Nagelplatten verbunden.In der DDR scheiterte die Einführungder Nagelplattenbauweise aufgrunddes Devisenmangels, so dass die Na-gelbinder bis 1990 in traditionellerArt mit Schablonen und Presslufthäm-

Martin TascheHenrik BaumgartenGunter Zinnert

Typisierte Stabtragwerke aus Holz in der DDRvon 1955 bis 1990

Der Aufsatz behandelt typisierte Stabtragwerke aus Holz, die in der DDR ab 1955 ent-wickelt wurden. Als Anwendungsgebiete galten überwiegend landwirtschaftliche Nutz-bauten, aber auch Lagerhallen und Dächer von Schulen und anderen Gesellschaftsbau-ten. Nach Kenntnis der Autoren handelt es sich um den ersten Versuch, derartige typi-sierten DDR-Tragkonstruktionen vergleichend darzustellen. Dieser Aufsatz schließt sichthematisch dem Aufsatz im Heft 8/2011 der BAUTECHNIK über typisierte stählerne Stab-tragwerke in der DDR an.

Typified wooden frame structures in the GDR from 1955 until 1990. This article outlinestypified wooden frame structures, which were developed in the former GDR from 1955until 1990 primarily for farming facilities, but also for storage buildings and roofs of socialbuildings. From the level of the author’s awareness this is the first publication discussingtypified structures of the GDR in a comparative way. This article completes the articlepublished in the issue No. 8/2011 of BAUTECHNIK about typified steel frame structures inthe GDR.

DOI: 10.1002/bate.201101505

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mern hergestellt wurden [3]. In derDDR konzentrierte man sich anstattdessen auf die unterspannten Leim-holzbinder. Heute spielen Nagelplat-tenbinder zum Beispiel bei der Über-dachung von Supermarktfilialen einegroße Rolle.

1.2 Unterspannte Leimholzbinder

In den 1950er Jahren wurden in derDDR Leimholzträger vor allem fürholzsparende Decken angewandt. Fürden Einsatz von Leimbindern fürDachtragwerke, wie er in der Bundes-republik bereits erfolgte, sind aus zudieser Zeit in der DDR keine Bei-spiele bekannt.

1963 startete die Produktion derersten typisierten Leimholzbinder (BK-Serie, Bild 2a und b). Kennzeichnendwaren die geradlinige Satteldachformmit 25 % Dachneigung und die gegen-seitige Verspannung der Traufpunktemit Stahlzugstäben. Bei Warmbauten(beheizten Räumen) wurde zusätzlicheine Unterdecke angeordnet. Je nachNutzung (Warm- oder Kaltbauten) undSchneelastzone betrug der Binderab-stand entweder 3, 4,50 oder 6 m.

In der verbesserten Serie BSwurden die Sparren zusätzlich unter-spannt und die Biegemomente in denSparren deutlich reduziert (Bild 2c).Ein Beispiel ist die Neue Reithalle inMoritzburg aus dem Jahr 1980 mit24 m weit spannenden Leimholzbin-dern vom Typ BS 157.1 [4] (Bild 3).

1976 meldete der Ingenieur Pe-ter Suhling einen dem Polonceau-Trä-ger (Bild 4) ähnlichen Binder zum Pa-tent an [5]. Durch das Fehlen einerDiagonalen war der Schnittkraftver-lauf von der Formänderung unter Lastabhängig. 1980 wurde der Typ Suhlingals D-Serie eingeführt (Bild 2d) undermöglichte eine nochmalige Stahl-einsparung von 40 % gegenüber dervorherigen Bauserie BS [6]. Tabelle 1zeigt deutlich die Reduzierung derMassen für unterspannte Satteldach -träger aus Leimholz am Beispiel ei-nes Dachbinders für Warmbauten mit21 m Spannweite und 3 m Binderab-stand. Das verantwortliche VEB Kom-binat Bauelemente und Faserbaustoffe(BAUFA) in Leipzig gab jährlich einezusammenfassende Darstellung deslieferbaren Typensortiments heraus.

Stahlunterspannte Satteldachträ-ger wurden überwiegend für landwirt-schaftliche Nutzbauten (Ställe, Scheu-

Bild 1. Übersicht der typisierten Nagelbrettbinder in der DDR (Auswahl) (BA Binderabstand, WB Warmbau, KB Kaltbau, DN Dachneigung)Fig. 1. Overview of typified nailed trusses in the GDR (selection)

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nen) bis 24 m Spannweite eingesetzt.Die Dacheindeckung erfolgte mit leich-ten vorgefertigten Asbestzement-Well-tafeln, deren krebserregende Fasernin der Regel erst bei einer mechani-schen Bearbeitung freigesetzt werden.

Bis zum Ende der DDR wurdenwegen begrenzter Produktionskapazi -täten von Leimholz die fachwerkarti-gen Nagelbinder in größerer Anzahlhergestellt. Zusammen stellten die ty-pisierten Leim- und Nagelbinder über90 % der hölzernen Dachtragwerkedar [1].

1.3 Hallen aus Leimholzbindern

Neben den stahlunterspannten Sat-teldachträgern wurden auch ganzeHallen aus Leimholzbindern typisiert(Bild 5). Am häufigsten wurde die La-gerhalle BS 170.1 für landwirtschaft-liche Bauten errichtet (Bild 5a). Eherselten baute man den 2-Gelenk-Rah-menbinder ohne aufgelöste Rahmen -ecken (Bild 5c). Aufgrund der Kor -rosionsbeständigkeit der Leimbinderwurden speziell für die Kalidünger-Industrie im Raum Magdeburg-Halleund an der Werra in Thüringen ge-sonderte Hallen in Serie gefertigt(Bild 5b, d). Die Dacheindeckung derKaltbauten (KB) erfolgte in der Regelmit Asbestzement-Welltafeln.

Eine Ausnahme bilden die vierkegelförmigen Kalisalzlagerhallen mit56 m Durchmesser in Zielitz bei Mag-deburg, die nicht als Stab-, sondernals einschaliges Raumstabwerk wir-ken [8] (Bild 6). Die vier 1972–1973erbauten Hallen stehen noch heuteund sind ein seltenes Beispiel hölzer-ner räumlicher Tragwerke in der DDR.Aufgrund der notwendigen Montage-unterstützung der Sparren im Bauzu-stand mit Gerüsttürmen konnte sichdiese Bauweise gegen die langen Hal-len mit Kehlbalkenbindern (Bild 5d)jedoch nicht durchsetzen. Es sindkeine Folgeprojekte bekannt.

2 Zusammenfassung und Ausblick

Die den serienmäßig hergestelltenTragwerken der DDR zugrunde lie-genden Bauteilkataloge erleichtern er-forderliche Nachrechnung immens. Imwenig geordneten Übergang der DDR-Wirtschaft in die Marktwirtschaft nach1990 wurden die Unterlagen jedochentweder entsorgt, gingen verschollenoder gelangten in den Privatbesitz von

Bild 2. Übersicht der in der DDR entwickelten unterspannten Leimholzbinder Fig. 2. Overview of underspanned laminated timber beams in the GDR

Tabelle 1. Gewicht eines Dachbinders für Warmbauten mit 21 m Spannweite und3 m Binderabstand; Werte aus Katalogen IK 61-39 (1962) und H 8633 PEB (1986)Table 1. Weight of a truss for warm buildings with 21 m span width based on a3 m grid. Values from catalogs IK 61-39 (1962) and PEB 8633 H (1986)

Jahr Dachbinder Holz in kg Stahl in kg

1962 BK 1-210 833 168

1986 D 21.1a 367 116

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Bild 5. Typisierte Hallen in Leimbauweise der DDR; Binderabstand (BA) für Höhenlagen bis 450 m ü. NN (Harz bis375 m) mit Grundschneelast s0 = 0,7 kN/m2 [7]Fig. 5. Typified halls with laminated timber beams in the GDR; distance of trusses for snowload s0 = 0,7 kN/m2

Bild 3. Neue Reithalle in Moritzburg,1980; Leimholzbinder Typ BS 157.1,Spannweite 24 m (Foto: P. Tiedtke)Fig. 3. New riding hall in Moritzburg,built 1980; laminated timber beamtype BS 157.1, span width 24 m

Bild 4. Polenceau-Träger, ab 1839Fig. 4. Polonceau-truss, since 1839

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Ingenieurbüros. Letztere entwickeltensich häufig aus den ehemaligen Pla-nungsabteilungen der Baukombinateheraus. Nur in Einzelfällen sind dieKataloge in Bibliotheken, Bauämternoder anderen Institutionen öffentlichzugänglich. Dies stellt ein gravieren-des Problem dar, denn fehlende Bau-werksinformationen bedingen aufwän-dige Untersuchungen vor Ort und er-schweren den Planungsprozess beiSanierungen. Der Aufbau eines um-fassenden Archivs von DDR-Bauteil-katalogen ist deshalb mehr als wün-schenswert. Das Archiv des Institutsfür Baukonstruktion an der TU Dres-den stellt sich als Sammelstelle zurVerfügung.

Weiterführende Informationenund Querbezüge, die aus dem Gebotzur Kürze an dieser Stelle weggelas-sen wurden, finden sich in [9] und derim Abschluss befindlichen Disserta-tion des Erstautors [10].

Dank

Ohne die Hilfe vieler Personen, ins-besondere von Mitarbeitern ehemali-ger Betriebe der BAUFA und in Bau -ämtern, hätten wichtige Informatio-

nen gefehlt. Diesen Personen sei andieser Stelle herzlich gedankt.

Literatur

[1] Rug, W., Kreißig, W.: Die Weiterent-wicklung des Ingenieurholzbaues in derDDR. bauen mit Holz (1988), H. 11,S. 758–766.

[2] Seidel, E.: Fortschritte des Bauinge-nieurwesens im neuen Deutschland1933 bis 1943, VII. Die Entwicklungdes Holz-Nagelbaues. Die Bautechnik21 (1943), S. 204–207.

[3] Rug, W.: 100 Jahre Holzbau und Holz -bauforschung. In: Bund Deutscher Zim-mermeister (Hrsg.): 100 Jahre BundDeutscher Zimmermeister. Karlsruhe:Bruderverlag, 2003.

[4] Brüllke, S.: Reithalle des Hengstdepotsin Moritzburg. Architektur der DDR(1984), H. 11, S. 666–668.

[5] Wirtschaftspatent WP 125 151, ange-meldet am 23. 03. 1976 von Dipl.-Ing.Peter Suhling. Vergleiche: Bauplanung –Bautechnik 33 (1979), S. 187.

[6] Kofent, W.: Dachkonstruktionen inHolzklebebauweise mit neuem Trag -system. Bauplanung – Bautechnik 33(1979), H. 5, S. 250–251.

[7] Kofent, W., Stenker, H., Michael, A.:Zum Stand und zur Entwicklung derHolzklebebauweise in der DDR. Bau-

planung – Bautechnik 36 (1982), H. 1,S. 37–39.

[8] Stenker, H., Hellbach, R.: Runde Salz-lagerhalle für die Kaliindustrie. Bau-planung – Bautechnik 26 (1972), H. 6,S. 270–273.

[9] Baumgarten, H., Zinnert, G.: Die Ent-wicklung des Holz- und Stahlhallen-baus in Chemnitz von 1860 bis 1970.Diplomarbeit. TU Dresden, Institut fürBaukonstruktion, 2009.

[10] Tasche, M.: Analyse von Entwick-lungssträngen im Konstruktiven Inge-nieurbau anhand bestehender Bau-werke in Sachsen, Sachsen-Anhalt undThüringen. Im Abschluss befindlicheDissertation. TU Dresden, Institut fürBaukonstruktion.

Autoren dieses Beitrages:Dipl.-Ing. Martin TascheDittmann + Ingenieure Bauplanung GmbH & Co. KG, [email protected]. Henrik BaumgartenIngenieurbüro Geudner & Partner GbR, Gö[email protected] Dipl.-Ing. Gunter ZinnertHOCHTIEF Solutions AG, Consult IKS Energy,Frankfurt/[email protected] Archiv des Instituts für Baukonstruktion an derTU [email protected]

Bild 6. Salzlagerhalle in Zielitz bei Magdeburg, erbaut 1973; kegelförmiges zentralsymmetrisches einlagiges Raumstabwerkmit 56 m Durchmesser [8]Fig. 6. Salt storage hall in Zielitz near Magdeburg, built 1973; cone-shaped central-symmetrical single-layer space truss with56 m diameter


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