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(Aus dem Physiologischen Institut der Universit~t H~mburg.)

Uber die Aufnahme yon Traubenzucker durch den Muskel und die sogenannte physiologische Permeabflit~t.

Von Alfons Jakob und Rudolf Mon(1.

(Eingegangen am 15. Ju l i 1937.)

Die Voraussetzungen, die dem Problem der Zellpermeabilit/s zugrunde liegen, sind erstens dureh die optimalen Gleiehgewichtsbedingungen gegeben, die zwisehen Ze]linnerem und umsptilender Aul~enlSsung bestehen und unter anderem in der verschiedenen Ionenmisehung innen und aul~en zum Ausdruck kommen. Zweitens mu$ die Aufnahme der ffir den Zellbetrieb notwendigen Substanzen und die Abgabe yon Stoff- wechselendprodukten gew/ihrleistet sein. Aus diesen beiden, aus dem physiologischen Verhalten der Zellen abgeleiteten Forderungen wird man auf besondere Eigenschaften der Zellgrenzschiehten schlieBen mfissen, deren genaue Analyse die Vorbedingung ffir das Verst~.ndnis der Permeabi]it/ttsvorg/s bildet. Dutch die Untersuchungen von M o n d und Mitarbeitern 1 sind eine Reihe der Bedingungen gekls worden, die ffir den Austausch der Ionen zwischen AuBenflfissigkeit und Ze]]innerem mal~geblieh sind. l:telativ wenige gen~ue Kenntnisse besitzen wir dagegen fiber die Permeabilit/it der Zellen ffir vieIe andere Stoffe. Abgesehen yon dem AufnahmevermSgen ftir kleinmolekulare Verbindungen wird die Permeabilit/s mit den lipoiden Bestandteilen der Zellgrenzsehichten in Zusammenhang gebracht. Wenn auch naeh den vielen experimente]]en Erfahrungen hieriiber kein Zweifel an der allgemeinen Riehtigkeit dieser Vorstellungen besteht, so ist die Lipoid- 15sliehkeit, welehe die Voraussetzung ffir das Eindringen gewisser Sub- stanzen bildet, nicht geniigend genau abgegrenzt und yon den nieht ausreichend erforsehten Eigenschaften der an dem Aufbau der Zell- membran beteiligten Lipoide abhiingig. Jedenfal]s bestehen noeh gewisse Diskrepanzen zwischen den oben angedeuteten allgemeinen Forde- rungen, die man ~m die Permeabilit/s der Zellen stellen muB und be- stimmten experimentellen Erfahrungen.

Dazu gehOrt insbesondere die Frage nach der Permeabiliti~t der Muskeln ffir Traubenzucker. Diese Substanz wird zweifellos yore Muskel verbraueht und auf dem Blutwege den 5~uskeln zugeffihrt. Die Tatsache der Aufnahme durch die Muskelfasern kann nicht bestritten werden. Nun aber hat Overton ~ festgestellt, dal~ Muskeln, die in Traubenzucker- lSsungen gelegt werden, diesen nicht aufnehmen - - also fiir diesen lebens- wichtigen Stoff impermeabel seien ~ und zwar deswegen, well

1 Mond: Protoplasma 9, 318 (1930). - - e Overton: :Pflfigers Arch. 92, 115 (1902).

~ber die Aufnahme yon Traubenzucker dureh den Muskel. 275

Traubenzueker nieht zu den lipoidlSslichen Substanzen gehSrt. Man hat versucht, den offensichtlichen Widerspruch, der hierin enthalten ist, dadurch zu fiberbrficken, da~ man die Annahme einer physiologischen Permeabilit~t eingeschaltet hat ~. Was aber soll darunter verstanden werden ?

Es w~re nichts dagegen einzuwenden~ wenn man die Permeabilits s die beim ~bergang yore l~uhezustand in den der Funktion an Zellen auftreten kSnnten, ~ls physiologische Permeabilit~t bezeiehnet. Es soll nieht erSrtert werden, ob die bisherigen Untersuehungen, die sieh mit dieser Frage befassen, ausreiehende Beweise f/ir derartige Permeabilit~tts~nderungen beigebracht haben. Selbst wenn das der Fall w/~re, so k6nnte dieser Begriff der physiologisehen Permeabilit/~t nieht ffir die Aufkl/~rung der Zuekerpermeabilit/~t des Muskels in An- sprueh genommen werden. Denn der Muskel mu~ aueh in der Ruhe Zucker aufnehmen. Diese unter norm~len Bedingungen vorhandene Permeabi]it/it ist die gegebene, deren Ursachen zu untersuchen w/~ren. Es ist nicht einzusehen, welcher Erkenntniswert darin gelegen sein soll, eine physiologische Perme~bilit/~t gegen eine physikalisehe, n/~mlieh eine solche, die auf Grund unserer derzeitigen Kenntnisse erkl/s werden kann, abzugrenzen. Eine derartige Unterseheidung ist yon keinem Nutzen, dean sie kame darauf hinaus, etwas, das uns noch unbekannt ist, mit einem besonderen Namen zu belegen.

Abgesehen yon dieser grunds/itzliehen Stellungnahme erseheint es aber iiberhaupt zweifelhaft, ob die experimentellen Befunde Overtons, die den Anlal] zur Aufstellung des Begriffs der physiologischen Per- me~bilit/~t gegeben haben, einer Kritik standhalten. Overton hat Muskeln fiber l~nge Zeiten in TraubenzuckerlSsungen gelegt, die mit NaC1-LSsung versetzt waren. Seine Muskeln befanden sieh demnach in einem Milieu, das vom I~ormalen weitgehend ~bweieht. Und man kann deshalb den Verdacht s daI] seine Muskeln einer Ver~nderung unterlegen h~ben und ihre Permeabilit/~tseigensehaften yon denen norm~ler abweiehen. Wenn das zutr/~fe, wfirden a]le weiteren Argumente entfallen, die auf der Voraussetzung beruhen, da~ Overton die normale Permeabilit/tt des Muskels untersueht hat.

Um eine Entscheidung dieser Frage herbeizuffihren, h~ben wir die Overtonsehen Untersuchungen fiber die Zuekerpermeabilit'~t des Muskels mit einer Methode fiberpriift, die dem damaligen Stand der allgemein physiologisehen Kenntnisse gegen/iber wesentlieh verbessert ist und die Empfindlichkeit der Muskelfasern gegen ~nderungen der ionalen Zu- sammensetzung der UmspfilungslSsung beriicksichtigt. Wir h~ben des- halb die hinteren Extremit/iten yon Fr6sehen mit /~quilibrierten Salz- 16sungen, die Na, K, Ca, C1 und HC0~ in der Zusammensetzung des Blutes enthielten, durehstrSmt. Die H'-Konzentration wurde dureh

1 Siehe dazu ~. HSber: Phys. Chemie der Zelle und Gewebe. Leipzig 1926. Pili igers Arch. f. d. ges. Physiol . Bd. 239. 19

276 Alfons Jakob und Rudolf Mond: Aufn~hme yon Tr~ubenzucker

en tsprechende Gemische von CO 2 und NaHCO~ auf p~ 7,4 einregulier t . Die Methodik is t die gleiehe, die yon M o n d und A m s o n 1 und M o n d und Net ter 2 angewendet wurde und dor t genauer beschr ieben ist. Der modi- f izier ten R i n g e r - L S s u n g wurde Tr~ubenzucker in verschiedenen Mengen zugesetzt . Bei den hohen Traubenzuckerkonzen t ra t ionen wurden Mi- schungen der isotonischen ZuckerlSsung mi t der R i n g e r - L S s u n g her- gestell t . Schlie•lich un te r sueh ten wir uuch das Verha l t en reiner Trauben- zuckerlSsungen.

Nach der Verdrs des Blutes und der Gewebsflfissigkeit durch anfs reichliche Durchs t rSmung wird der Druck s ta rk her~b- gesetzt und die Durchs t rSmung langsam fiber 30 Min. in Gang gehal ten. I n der Tabel le 1 s ind verzeichnet die durchgeflossenen Mengen, die Durchs t rSmungsdauer , die Traubenzucke rkonzen t ra t ionen (~nalysier t n~ch Hagedorn - Jens en ) der Ausgangs- und der Durchs t r5mungsl6sung, die Differenz als Ausdruck der Aufnahme und die prozent ische Auf- nuhme. Aul~erdem wurden die C]-Konzent ra t ionen der AusgangslSsung und der Durehs t rSmungslSsung als Kon t ro l l en festgestel l t , um eventuel l durch die Durchs t rSmung bedingte al lgemeine Konzent ra t ionsverseh ie - bungen zu erkennen, die eine Aufnahme yon Traubenzucker vor t~usehen kSnnten. C1 wurde deshalb an~lysier t , well frfiher yon M o n d und A m s o n

(1. e.) nachgewiesen worden i s t , dal~ die Muskelfaser ffir CI' im- permeabe l ist. Es wurden insgesamt 59 der~rt iger Durehs t rSmungen ausgefi ihrt , die ohne Ausnahme in gleichem Sinne verliefen. I n der Tabel le 1 sind nur einige dieser Versuehe angefi ihrt .

Tabe l l e 1.

Durch- strSmte D~uer l~enge in l~in. in ccm

8 7,5 7 7 5 7

10 8 6 6 6 7,5 8 7 6 6,5 6

Cling-%

Durch- Ausgang str6mung

370 370 370 360 364 362 369 365 350 351 370 370 380 375 379 377 376 362 365 364 379 367 284 281 174 173 115 118

nag-% Truubenzncker

Ausgang

25,2 25,2 33 37 56 77

156 158 532 711

1700 2230 2580 2900 3460 3460 3880

Durch- Differenz strSmun~

24,6 25

34 3 48 8 67 10

139 17 140 18 470 62 633 78

1470 ~ 230 1900 i 330 2190 I 390 2630 270 3440 i 20 3460 I - - 388o / - -

Z~m~hme in %

6 11 14 13 11 12 12 11 13 15 16 10

1 Mond u. Amson: Pfliigcrs Arch. 220, 69 (1928). - - 2 Mond u. Netter: Pfliigers Arch. 224, 702 (1930).

durch den Muskel und die sogenannte physiologische Permeabfliti~t. 277

Die Ergebnisse sind eindeutig. Bis zu etwu 30 mg- % besteht Gleich- gewicht zwischen der Muskelfaser und der i)urchstr6mungsl6sung. Traubenzucker wird nicht aufgenommen. Bei Steigerung der Zucker- konzentration diffundiert dieser in den Muskel ein, und zwar absolut um so mehr, je h6her die Zuckerkonzentration der Durchstr6mungs- 16sung ist. Die Aufnahme ist prozentual etwa konstant, was auf die Proportionaliti~t zum Konzentr~tionsgefalle hinweist. Die Mus/cel/aser ist demnach permeabel /iir Traubenzucker, 8olange noeh die Ionen der Ringer.L6sung in der DurehstrSmungslSsung zugegen sind und die normale Strulctur der Zellgrenzschieht gewahrt bleibt. I~einen Tr~ubenzucker- 16sungen gegenfiber verhi~lt sich der Muskel als impermeabel. Hier ist offenbar die Erkl/~rung ffir die Befunde Overtons zu suchen. Overton hat nicht die Perme~bilit/tt des normalen Muskels untersucht, sondern die auch aus anderen Untersuchungen bekannte ,,dichtende" Wirkung yon Zucker auf die Zellgrenzschichten festgestellt, und aus seinen Be- funden den unrichtigen Sehlul~ gezogen, dab der normale Muskel flit Traubenzucker impermeabel sei. Damit entfallen nunmehr auch alle weiteren Erw/~gungen, die zur Annahme einer sogenannten physiologi- schen Permeabilit/tt ffihrten.

Wir haben in unseren Untersuchungen die Tatsache testgestellt, dab bei Erhaltung der gegebenen Feinstruktur die Muskelfaser ffir Traubenzucker permeabel ist. Wir sind uns jedoch darfiber klar, dab eine Erkl~rung der Traubenzuckerpermeabilit/~t noch nicht gegeben werden kann. Die bisherigen Vorstellungen fiber allgemeine Lipoid- 16sliehkeit sind unzureichend. Auch ist es nieht wahrscheinlich, dab der Porendurchmesser der Fasergrenzschichten so grog ist, dab Trauben- zuckermolekfile hindurchgelassen werden. Dagegen spricht die spe- zifische und besehr/~nkte selektive Ionendurchl/~ssigkeit des Muskels. Man kann gewisse MutmaBungen darfiber anstellen, welche Eigenschaften die Fasergrenzschichten haben mfiBten, um nnter t~erficksichtigung ihrer sonstigen Permeabilit~tsverh/tltnisse Iiir Traubenzucker durch- lgssig zu sein und wird auf die M6glichkeit gewisser ehemischer Zwischen- reaktionen in der Membran hinge~iesen. Hieriiber jedoch k6nnen nur auf diese Frage gerichtete Untersuchungen AufschluB geben.

Zusammenfassung. Die hinteren Extremit/~ten yon Fr6schen werden unter m6glichster

Wahrung der physiologischen Bedingungen mit traubenzuckerhaltigen LSsungen durchstr6mt, und es wurde festgestellt, dab die Muskeln Traubenzucker aufnehmen, solange eine gfinstige ionale Zusammen- setzung der Durchstr6mungsl6sung vorhanden ist. In reinen Trauben- zuckerl6sungen verliert der Muskel seine Permeabilit/~t ffir den Zncker.

Der Befund Overtons, dab der Muskel ffir Traubenzucker impermeabel sei, wird auf unzureiehende experimentelle Bedingungen zurfickgeffihrt und damit der sogenannten physiologischen Permeabilit/~t, die im An- schluB an die Festst~ellung Overtons entwickelt wurde, der Boden entzogen.

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