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Page 1: Über die Größenverhältnisse der roten Blutkörperchen beim Neugeborenen und Säugling

(Aus der Kinderklinik der St/tdtisehen Krankenanstalten und dem S/~uglingsheim in Dortmund. - - Prof. Dr. Engel.)

l~ber die Gri) l~enverhi i l tnisse de r r o t e n B l u t k i ) r p e r c h e n b e i m

N e u g e b o r e n e n u n d S~ug l ing .

Von Dr. IIeiilen und Dr. Sehalloer.

(Eingeganffen am 20. April 1928.)

])as rote Blutbild des gesunden Erwachsenen ist durch eine ausge- sprochene Gleichheit t ier einzelnen Zellen hinsichtiich des Durchmessers und der Form ausgezeichnet. Der Durchmesser wird yon allen Autoren mit 7,4 bis 7,5 # angegeben. Gegenfiber dieser Isocytose des Erwachsenen finder sich beim Neugeborenen eine hochgradige physiologische Ani- socytose, und zwar fiberwiegen die groBzelligen Elemente, die Makro- cyten.

Mitteilungen fiber zahlenm~Big festgelegte Durchmesserbestimmun- gen fanden wir nur in 2 Arbeiten. Die ersten VerSffentlichungen verdanken wir Wichmann und Schi~rmeyer, die bei ihren umfangreichen ,,Unter- suchungen fiber den Durchmesser der roten BlutkSrperchen" auch Messungen bei Neugeborenen vornahmen, jedoch das fibrige S~uglings- alter nicht berficksichtigten. Diese Autoren kommen zu dem Ergebnis, dab bei Neugeborenen der Durchschnittsdurchmesser wesentlich grSBer ist als beim Erwachsenen und bei ihren eigenen Mfittern, und dab weiter der Unterschied zwischen grSBtem und kleinstem Durchmesser ebenfalls grSBer ist als bei den Mfittern und Erwachsenen. Ihre Ergebnisse stim- men mit den unsrigen iiberein, aber sie erstrecken sich, wie gcsagt, nur auf das Neugeborenenblut.

Paschert nahm Durchmesserbestimmungen bei 2 Frfihgeburten im Alter yon 6 und 10 Tagen, 11 S~uglingen im Alter yon 6 Wochen bis 12 Monaten -- also nicht bei normalen Neugeborenen -- vor. AuBerdem maB er den Erythrocytendurchmesser bei 9 Kindern yon 2--13 Jahren und einer 20jahrigen Vergleichsperson. Nach den Ergebnissen yon Paschert liegt die,,Durchschnittsgr(il3e der roten BlutkSrperchen zwischen 7 und 7,5/~, und sie ist beim S~ugling. die gleiche wie beim ~lteren Kind und Erwachsenen. Eine Ausnahme sollen demnach nur Neugeborene (nach Wichmann und Schi~rmeyer) und unreife Friihgeborenc machen.

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106 Hei[~en und Sehalloer: ]~ber die Gr66enverhiUtnisse

Die Ergebnisse Pascherts erscheinen von vornherein zweifelhaft. Es ist kaum anzunehmen, dab nur der Neugeborene mit seinen gr6~eren Erythrocytendur~hmessern eine Sonderstellung einnimmt und schon nach der Neugeborenenperiode das Gr61~enverhi~ltnis der Durchschnitts- werte mit dem der Erwachsenen iibereinstimmt. Seine Untersuchungen erstrecken sich auf eine viel zu geringe Anzahl yon S~uglingen, um all: gemeine Giiltigkeit beanspruchen zu k6nnen. Schlu6folgerungen werden weder yon Paschert noch von Wichmann und Schiirmeyer gezogen, son- dern nur die Befunde zahlen- und kurvenm~Big mitgeteilt.

Was zuni~chst die Technik anbetrifft, so haben wir unsere Durehmesser- bestimmungen, ebenso wie PascItert mit dem Zeiflschen Okularmikrometer vor- genommen. Wir konnten uns davon iiberzeugen, dal~ die Messungen im Ausstrich naeh Giemsa-F~rbung dieselben Durchschnittswerte ergaben, wie die yon Erythro- eyten, die in Hirudinplasma des Spenders suspendiert waren. Aueh bei Suspension in physiologischer Kochsalzl6sung erhielten wir dieselben Werte.

Unsere Untersuchungen erstrecken sich auf 35 Sguglinge aller Alters- stufen, darunter 10 Neugeborene bis zum 10. Tage. Weiter machten wir Bestimmungen bei 4 Erwachsenen als Vergleichspersonen und nahmen noch 2 Messungen von Erythrocyten aus Nabelvenenblut vor.

Was zun~chst unsere Ergebnisse von Durchmesserbestimmungen yon Erythrocyten gesunder Erwachsener anbetrifft, so fanden wir hier in 4 Fgllen iibercinstimmend Durchschnittswerte yon 7,5/~ (Tab. 1). Der

Unterschied zwischen den Tabelle 1. Durchmesserwerte der Erythrocyten

yon 4 gesunden Erwachsenen. Der Mittelwert (berechnet aus 200 Zellen) war in jedem Fall 7,5~,. Untersehied zwisehen gr56tem und kleinsten Durchmesser betr~gt

nur 2,5--2,75 #.

Nr. Name und Alter in Gcschlccht Jahren

Sch. ~ 31 B. 9 28 H. ~ 34 B. 9 25

mittel

7,5 7,5 7,5 7,5

Durchmesser gr6~ter kleinster

8,5 6,0 8,75 6,2 8,7 6,25 8,75 6,0

gr6•ten und kleinsten Durchmessern ist sehr ge- ring und betriigt nur 2,5 bis 2,75/~. Ungleich gr6Ber ist nun der durchschnittliche Durchmesser der Erythro- cyten beim Neugeborenen, und wir fanden hier als mittleren Weft etwa 9,3/~ (Tab. 2). Auffallend sind vor allem auch die grof3en Un- terschiede zwischen den

Grenzwerten, denn die gr61~ten Zellen haben einen Durchmesser von 12,2/~, w~hrend der der kleinsten zwischen 4 - -6 # liegt. Gegenfiber den Erwachsenen, dcren Erythrocyten nur eine geringe GrSGendifferenz von 2,5 # aufweisen, ist also die Anisocytose beim Neugeborenen sehr ausgesprochen, und die Unterschiede zwischen den kleinsten find gr6B- ten Zellen betragen 6 bis 8,2 #. Sie ist auch in den spgteren Monaten noch deutlich vorhanden, wenn sich die Durchschnittswerte schon denen der Erwachsenen nghern, wie es um den 6. Lebensmonat der Fall ist.

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der roten BlutkSrperchen beim Neugeborenen und Si~ugling. 107

Tabelle 2. Durchmesserwerte der Erythrocyten yon gesunden Sduglingen, dem Alter nach geordnet.

Durchschnittswerte gleich naeh der Gebur$ und in den ersten Lebenstagen am grbBLen (his 9,3 #), ebenso die Grenzwerte (grSi~ter Durehmesser 12,2/*, kleinster 4,0 ft). Unterschied z~schen grOi]tem und kleinstem Durchmesscr (8,2 Ft [ !]) gegcn- fiber 2,5 ~ beim Erwachsenen. Vom 6. Monat ab attm~hlich Ann~herung an

die GrSBenverhMtnisse beim Erwachsenen.

Nr.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 2O 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

~alne A l t e r _ _ _ _ ~ Stunden Monate ] Tage ]

R

2 4 6

lX/u 21/2

3 41/2 5 5

, 5

5 6 63/4 7 7 8 9 91/2

102/4 11 11 18

Mittel _ _ Durchmesser

grS•ter ] kleinsLer

4,0 4,1 6,3 7,2 7,0 7,2 7,0 7,7 7,0 6,2 5,5 7,6 7,6 7,2 6,6 7,1 6,5 4,2 7,7 7,2 6,0 7,0 6,9 6,5 6,2 7,2 6,2 6,5 6,4 6,0 6,2 4,2 6,5 6,2 6,0 5,5

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108 HeiSen und Schalloer: t)ber die Gr0flenverh~ltnisse

Tabelle 3. D u r c h m e ~ e e r w e r t e y o n E r y t h r o c y t e u g e s u n d e r S d u g l i n g e u n d E r w a c h ~ e n e r

S. 108 u. 109). Unten Durchmesserwe~e yon 4 Erwachsenen: dcr grSB~e Tell der cnth~lt. ]~ei den Neugeborenen und jungen S/iuglingen (obere l~eihen) umfaBt

8,5--9,75 # haben (deutliche ,,Rechtsverschiebung"). Vom

Name

D u d e n s l i / t

K a n ] e s t k y

J u n g e n o t h

S c h u l z

K l a w u h u

B e c h a . . . .

M i c h a l e n

Schd i / e r

S t u ~ h o l d

D e l w e s

L a n f f e . R o s e n t I m l

W i l d . . . .

W a l u t s c h e k

S c h l i e n k a m p .

~ t e i n i n g e r .

N i e d e c k e r . .

W u n d e r l i c h

P a n t h e r . . .

W a l l i s . . .

S c h a n t e n . .

J~ruch S c h a l l o e r . .

H e i f l e n . .

M e y e r . . .

I _ _

} unmittelbar nach der Geburt

. - - - - 13A 6

_ l _ lO - - I - - 16

c~ - - - - 22 c~ - - - - 35

- - 1 V 2 - ~, - - 21h

- - 4V2 ? - - 5

- - 5 - - 5

C~ - - 63/4 - - 7

? - - 8 ? - - 9 $ - - 9V4

8~ I--[ 11 ~ 1 1 ! -

Erwachsene

L I _ _ _ IL

1 2 3 4 5 d 7 8 9 10 ll[l.O

Rubrik :

SpaRe:

Gr61$e in /~ ;

w l w

1 1 - -

-I - - i

- - i

- - i

- - I

- - t

- - , - - r 1 i - I - - i 1 _ _ i

- - , - - 3 1

l l 2 3 2 1 1 2 115

- - i - - 6

111 11 - - , 1 3 7 - - , 1 4 1 - - , - - 1 5 - - , 4 2 10

1 I - - 2 / 2

2

in den ersten Lebenswochen fiberwiegen bei weitem die Makrocyten. Auf Tab. 3 haben wlr die Durchmesserwerte von je 100 Zellen der GrSl~e nach geordnet. Wir best immten also jedesmal die Durchmesser von 100 Ery th rocy ten und zeichneten die Werte einzeha auf. ])ann zhhlten wir die ZeUen yon gleicher Gr6Be zusammen und bes t immten ihren pro- zentualen Anteil. Die Tabelle enthiilt 36 Spalten. In der ersten Spalte ist yon den ausgezahlten Ery throcyten jedesmal die Anzahl derjenigen Zellen verzeichnet, die den kleinsten ausgemessenen Durchmesser yon 4 # bat ten. Die ngchste Spalte gibt die Zahl der roten Blutk0rperchen mi t dem niichst grSl~eren Durchmesser, namlich 4,25/~ w i e d e r . Die dri t te enth~lt die Zellen mi t Werten yon 4,5 # usw. Der jedesmalige Unterschied betragt 0,25/t. Die letzte Spalte enthMt die Erythrocyten

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der roten Blutk6rperchen beim Neugeborenen und Si~ugling. 109

ikrem prozentualen Anteil nach 9eordnet. (Erlguterung der Tabelle s. Text gellea entf/~llt auf Rubrik III , die so]the mit einem Durchmesser von 7--8/e Rubrik IV den grSBten Teil der Zcllen, die bier einen Durchmesser yon 6. Monat ab allm/ihliche Verteilung wle beim Erwachsenen.

I~ 1&115 16 17 1 8 ~ _ ~ 1 2 0 21~--~'a 98 ~ 2 6 26 27] 28 ~O 80 ~1__ ~'2 8a 84 '}S ,86

I -i2 _j__

li- -13 -[6 715

-[4 -[2

~i22 I!16 Ig!22 I17 }3 26

12 20 H % 10 18 1Ti24

[0[ 27 9 28 T 29 8 26

- I - ! - - - - ,i 1

i

- - - - I - - m m

-_ - i - -_ -

mit grSl]tem Durohmesser, und zwar mi t einem solchen yon 12,75/*. Durch starker gezeichnete Linien ist die Tabelle in 6 gr6Bere Rubriken eingeteilg, deren jede 6 Spalten umfal]t.

Bei 4 Erwachsenen enbfg]lt i ibereinstimmend der grSBte Teil der Zel- len auf Rubr ik 3, die die Anzahl der Ery throeyten mi t einem Durchmesser yon 7 - - 8 , 2 5 # enthgl~. Von 100 BlutkSrperchen ]~rwachsener haben durchschnittlich 90 Zellen einen Durchnesser yon 7--8,25 ~u. Vergleichen wir dami t die Verh~Itnisse beim Neugeborenen in den ersten 6 Woehen, so sehen wir, dal] die gr61]te Anzahl der Ery throcyten denjenigen l~ub- riken angehSr~, die solche mi t grOBeren Durehmessern angeben, da8 also in der Tabelle eine deutliehe Verschiebung nach rechts (hier natfir- lich nich~ ira Sinne Arneths gebraucht) besteht. 60--70% der Zellen

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110 Heil3en und Schalloer: l~ber die Gr6~enverh~ltnisse

entfallen auf die 4. Rubrik mi t Werten yon 8,5--9,75 #. 10--20% sogar auf Rubrik 5, die Zellen mit 10--11,25/~ enth~lt. Aber auch in den Spal- ten, denen Ery throcyten mi t sehr kleinem Durchmesser angeh6ren, sind in den ersten Lebenswochen vereinzelte Zel]en anzutreffen. I m ganzen aber iiberwiegen bei weitem die Makrocyten. Ers t im 5. und 6. Monat t r i t t eine allmahliche Ann~herung an die Gr(il~enverh~ltnisse des Er- wachsenen ein.

.Was sagt uns nun die physiologische Aniso-Makrocytose der Neuge- borenen und jungen S~uglinge ? Bevor wir diese Frage zu beantworten versuehen, wollen wir zuni~chst er6rtern, ob auch beim Erwachsenen dasselbe Blutbild beobachtet wird und unter welehen Bedingungen es hier auftri t t . Wir haben dann vielleicht die MSglichkeit, dureh Analogie- sehlfisse uns Klarhei t fiber die Ursache und Bedeutung der besonderen Verh~ltnisse beim Neugeborenen z u verschaffen.

Beim Erwachsenen k o m m t es zur Ausbildung einer sti~rkeren Aniso- cytose, wenn das Knochcnmark sich im Zustande erh6hter T~tigkeit befindet, wenn also eine lebhafte Regeneration besteht. Als solche die Funkt ion des Markes steigernden Reize wirken bekanntlieh Blutverluste, namentlich kurz anhaltende, etwa Aderl~sse, bei sonst gesunden Er- wachsenen. Rein morphologisch s t immt das dann auftretende, post- h~tmorrhagisehe Blutbild durehaus mi t dem der Neugeborenen fiberein. Aul3er der uns hier interessierenden Anisocytose linden wir ni~mlieh, ebenso wie beim Si~ugling, alle die Merkmale, die das jugendliche Blut- bild eharakterisieren, soweit es sich um Zellen des myeloisehen Systems] also um Ery throcyten und Leukocyten handelt. So t re ten als mor- phologisches Kri ter ium der Jugend unter den Erythroeyten kern- haltige Formen auf, welter reichlieh vital granulierte Zellen, die in beiden Fi~llen etwa 10 % betragen k(innen, wiihrend sie beim gesunden Erwachsenen nur ganz vereinzelt zu etwa 0,1% naehweisbar sind. Stets finden sich polychromatische Zellen, und zwar sind vorwiegend die Makroeyten mi t basischen Farbstoffen farbbar. Aueh die Anisocytose ist nichts weiter als ein morphologisehes Zeichen der Jugend und Unreife der Erythroeyten.

Dagegen sind nie Poikilocyten und basophil punktierte Erythrocyten nach- weisbar, ebensowenig wie im Blu~ des Neugeborenen, ein Beweis dafiir, dab diese Zellbildungen degenerative und nicht regenerative Erscheinungen sind, wie auch Grawltz und Naegell gegenfiber Bi~rlcer betonen.

Was das wei~e Blutbild angeht, so spiegelt sich die gesteigerte Funk- tion des Knochenmarkes nach akuten Blutverlusten in der fiir die sekun- d~re An~mie charakteristischen neutrophilen Leukocytose wieder. Das Neugeborenenblut zeigt ebenfalls eine Neutrophilie, die wie die post- hamorrhagische der Erwachsenen einen ausgesprochen regenerativen Charakter tri~gt, n~mlich eine starke Linksverschiebung der Kerne und

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der roten BlutkSrperehen beim Neugeborenen und S~ugling, 111

ein zart basophil granuliertes Protoplasma, dessen Struktur in fixierten Methylenblaupr~paraten sehr deutlich zur Darstellung gebracht wer- den kann.

Morphologiseh besteht also ebm weitgehende (Sbereinstimmung zwlschen dem regenerativen Blutbild des Erwachsenen und dem nor- malen Bild des Neugeborenen. Es liegt deshalb nahe, die physiologisehe Anisocytose der Erythroeyten beim Neugeborenen ebenfalls als eine Teilerseheinung eines regenerativen Blutbildes aufzufassen. Als starke plastische, das Knochenmark zu lebhafter Erythropoese anregende Reize k6nnten die Geburt und vor allem die neuen Lebensbedingungen, denen der Neugeborene sich so unvermittelt anpassen mug, angesehen werden. Es wiire sehr wohl denkbar, dab die physiologische Atmungsinsuffizienz der Neugeborenen, ~hnlich wie der Sauerstoffhunger beim Erwachsenen, eine intensive Reizwirkung auf das Markgewebe ausiibe. Diese Annahme w~re bereehtigt; wenn das Fetalblut keinen regenerativen Charakter trfige. Wir wissen aber (Bi~rker, Ndgeli), dab das fetale Blutbild, ganz abgesehen yon der Sonderstellung, die es durch die Megaloblastose ein- nimmt, ebenfalls alle Merkmale der Jugend und Unreife tr~gt, also auch die Anisoeytose. Aueh das Nabelvenenblut, das wir in 2 Fi~llen untersuch- ten, zeigte dieselben Verh~ltnisse wie beim Neugeborenen (Tab. 4). Von einem Einflul~ der Atmungs- insuffizienz kann in dieser Zeit aber gewii] nieht die Rede sein. Der morphologische Be/und der Unrei[e, der die Erythrocyten des Neugeborenen kennzeichnet, ist daher zum Tell aicher eln Hinein- ragen eines /etalen Zustandes in

Tabcl]e 4. Durchmesserwerte yon Ery- throcyten aus Nabelvenenblut. Kein Un- terschied gegenliber dem Bcfund beim

Neugeboreneu.

Ge- Durchmesser

sch lech t m i t t l e r e r gr6ater kleinster

8,68 8,69

10,5 11

5,2 6,0

die Nachgeburtszeit hinein. Die Merkmale der Jugend sind somit in er- ster Linie eine Teilerscheinung der allgemeinen Zellunreife und -labilit~t des Neugeborenen.

DaI3 das Blutbild der Neugeborenen nieht ohne weiteres mit dem regenerativen Blutbild des Erwachsenen identifiziert werden kann, geht aus einem fiir die funktionelle Bedeutung fundamentalen Untersehied hervor, auf den wir bisher noch nicht hingewiesen haben. Es handelt sich um den H~moglobingehalt, der bekanntlich bei den sekund~ren posth~morrhagischen An~mien stets vermindert ist: der Index ist kleiner als 1, und im gef~rbten Ausstrieh verr~t sieh dieser Farbstoffmangel dureh die Bli~sse und verminderte F~rbekraft der Zellen. Die Erythro. cyten der Neugeborenen sind dagegen dutch eine gute H~moglobln- fiillung ausgezeichnet, und wir finden der physiologisehen Polyglobulie entspreehend, Werte yon 120 bis 160 Hb/% Sahli mit einem Index von

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]12 Hefl]en und Sehalloer: ~ber die GrSSenverh~ltnisse

1 und gr6Ber. Ffir die physiologisehe Funktion der Erythroeyten ist aber lediglich der Hb-Gehalt maGgebend, denn die Sauerstoffkapazit~t geht naeh den Untersuchungen yon Hii/ner, Bi~rker, Morawitz u. a. genau dem Hb-Gehalt parallel, und zwar binder ein Gramm Hb 1,34 0~ oder CO bei 0 ~ Temperatur und 760 mm Hb. Funktionell sind also die Erythrocyten der Neugeborenen leistungsf~higer als die mit mangelhafter I-Iamoglobin- menge ausgestatteten, iiberstiirzt gebildeten Jugendformen, die bei leb- halter Generation nach Blutverlusten bei Erwachsenen kompensatorisch in die Blutbahn treten. Die l)bereinstimmung mit dem regenerativen Blutbild ist also bei Neugeborenen nur eine morphologisehe, aber keine funktionelle. Die morphologischen Kriterien der Jugend, die die Ery- trocyten der Neugeborenen an sich tragen, sind -- wie gesagt -- haupt- s~ehlieh als Ausdruek und Teilerscheinung der bekannten aUgemeinen Zellunreife und -labiliti~t aufzufassen. Morphologisch ist die Unreife der Gewebszellen allerdings nicht nachweisbar, wohl abet dureh die biologische Methode der Sauerstoffzehrung, wie sieh Morawitz und seine Sehule in die Klinik eingefiihrt haben. Wit wissen aus diesen Untersuehungen, dal3 sowohl die Erythroeyten der Neugeborenen als aueh die posth~mor- rhagisch gebildeten Jugendformen der Erwachsenen durch ihren hohen Sauerstoffbedaff charakterisiert sind. Diese gesteigerte innere Atmung ist abet auch eine ]~igentfimliehkeit jugendlieher Gewebszellen, wie War. burg nachgewiesen hat. Ebenso eindrucksvoll lehrt uns aber die Klinik die allgemeine Zeilunreife und -empfindliehkeit der Neugeborenen und Si~uglinge, und ihr verdankt die S~uglingspathologie im wesentlichen ihre Sonderstellung. Was speziell die BlutzelIen anbetrifft, so zeigt sich die erh6hte Empfindliehkeit der weil~en Blutk6rperchen in dem schnellen Auf- treten schwerer, degenerativer Strukturver~ndelamgen beiinfekti6sen und toxischen Prozessen, wie wir sie ffir die akuten I)urchfallserkrankungen der Si~uglinge zuerst besehrieben haben. Fiir das erythroblastische System ist das schneUe Auftreten ani~mischer Zust~nde und das Krank- heitsbild der Jaksch-Hayemschen Angmie, die kein Analogon in der Er- wachsenenpathologie hat, kennzeiehnend. Solange keine pathologischen Reize einwirken, ist der gesamte Zellstaat seinen Funktionen gewachsen. Bei pabhogenen Einfliissen zeigt sieh seine erh6hte ]~mpfindlichkeit in der schnellen Entwieklung sehwerer und noeh dazu besonderer, dem S~uglingsalter eigentiimlicher Krankheitsbilder.

Zusammen/assung. 1. Bei der physiologischen Anisocytose der Neugeborenen und jungen

Siiuglinge iiberwiegen die groi~zelligen Elemente, die Makrocyten. 2. Der Durehschnittsdurchmesser betrggt in den ersten Tagen und

Wochen naeh der Geburt 8,5 bis 9,3 Ft, gegeniiber 7,5 # beim Er: wachsenen.

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der roten Blutk6rperchen beim Neugeborenen und S~ugling. 113

3. Der Untersehied zwischen grSBtem und kleinstem Durchmesse~ betrEgt beim Neugeborenen und jungen S~ugling 6 bis 8,2 #, beim Er. waehsenen 2,5 ~.

4. Morphologiseh stimm~ das rote und weil]e Blutbild des Neuge- borenen durchaus mlt dem regenerativen Blutbild der elnfaehen post- h~morrhagisehen An~mie gesunder Erwaehsener iiberein.

5. Die Erythroeyten der ~eugeborenen sind aber, im Gegensatz zu denen des Erwaehsenen nach Blutverlusten, dutch einen normalen Hi~moglobingehalt ausgezeiehnet. Sie sind deshalb als funktioneU den reifen Erythrocyten gleiehwertige Zellen anzusprechen.

6. Die Anisocytose der Neugeborenen ist nieht eine Teilerscheinung einer lebhaften Erythropoese, ausgelOst dutch die Geburt und neuen Lebensbedingungen. Denn sie is t aueh ein Charakteristieum des Fetal- blutes. Sie muB deshalb als ein Hineinmgen eines fetalen Zustandes in die Neugeborenenzeit und als Ausdruck der allgemeinen Unreife, wie sie aueh fiir die Gewebszellen eharakteristiseh ist, gedeutet werden.

Dortmund, Kinderklinik der Stiidtisehen Krankenanstalten.

Zeitsehritt fflr Kinderheilkunde. 46. 8


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