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W. Kumpf: Ver~inderungen yon Reaktionszeiten und Reaktionsgrenzen 567

65. W. Kumpf (Miinster): Veriinderungen von Reaktionszeiten und Reak- tionsgrenzen beim Wechsel zwischen Antwortmangelsyndrom und Koopera- tion

Changes from Pseudohypacusis to Cooperative Audiometric Behaviour Accompanied by Variations of Latencies and Responding Levels

Summary. Diagrams of responding-latencies between threshold- and supra-threshold levels are different from normal in pseudohypacusis. A substitution of pseudohypacusis by adequate behaviour during audiometry occurred only in single cases. The decrescending responding-levels then were accompanied by normalized responding latencies. The connection between pattern of reaction-times and trustworkiness of threshold estimation is further supported by those observations.

Wenn Audiometer und Patiententaste mit einem Zeitmeggerfit verbunden sind, lassen sich Intervalle zwischen Reizbeginn und Beginn der Reizantwort (AtA) ablesen. Zwischen dem Ende des Tones und dem Loslassen der Taste entsteht ein weiteres Intervall (AtB).

Wie berichtet, benfitzen wir Reizstfirken am minimum audibile bzw. minimum reagibile sowie bei mehreren supraminimalen Pegeln.

Die pegelabhfingige graphische Darstellung der Antwortintervalle kann als Reaktionszeitdiagramm oder Latenzdiagramm bezeichnet werden. Es wurden stets Mittelwerte aus mehreren Zeitmessungen beim gleichen Pegel gewonnen und dargestellt.

Wurden die Probanden nicht zu besonderer Schnelligkeit gedrfingt, gaben die bisher gewonnenen Reaktionszeitdiagramme Auskunft fiber die Mitwir- kungsweise bei der Schwellenbestimmung.

Das Antwortmangelsyndrom liefert gegenfiber den regulfiren deformierte Reaktionszeitdiagramme, h~iufig begleitet von fibermfigigen Antwortinterval- len. Kooperationsbereitschaft und Aggravationsbereitschaft bleiben offenbar fiber lfingere Zeitrfiume und mehrfache Untersuchungen hinweg ziemlich stabil. Daher konnten bisher hauptsfichlich Latenzdiagramme regulfir mitwirkender Personen den Diagrammen aggravierender Personen gegenfibergestellt werden (Kumpf 1981).

Nur selten ergab sich die Gelegenheit eines Vergleichs von Reaktionszeit- diagrammen der gleichen Person im Zustand des Antwortmangelsyndroms und im Zustand der regulfiren Mitwirkung zu einem anderen Zeitpunkt.

Gerade der intraindividuelle Vergleich der beiden Zustfinde k6nnte Aufschlug geben, ob sich im deformierten Reaktionszeitdiagramm allein die audiometriebegleitende Verhaltensst6rung ausdrfickt, oder ob noch andere personengebundene Eigenschaften mitspielen.

Fall 1:

Ein 28j~hriger Bauarbeiter, Jugoslawe, wendete sich abends an den diensthabenden Arzt der Klinik. Er klagte fiber Ohrenschmerzen, die zwanglos durch die vorgefundene Geh6rgangsentzfindung

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Abb. 1, �9 Mittlere Reaktionszeiten im Zustand des Antwortmangelsyndroms. o: Regulgre mittlere Reaktionszeiten. Fall 1., Einzelheiten s. Text. Dezibel-Werte im H6rverlustma6stab

erklfirt schienen. Erst auf Befragen behauptete er, auf dem linken Ohr vor einigen Stunden taub geworden zu sein. Die Tonaudiometrie erzielte links ffr Luft- und Knochenleitung keine Angabe, auch kein Oberh6ren. Rechts Angabe von Hochtonverlusten bis 50dB, gleich ffr Luft- und Knochenleitung.

Am nfichsten Morgen entstand das Audiogrammbild yon Hochtonverlusten rechts bis h6chstens 20 dB, wfihrend links das Bild kombinierter Schwerh6rigkeit auftrat. Die LuftleitungshOrverluste links wurden (bei 50-95 dB) deutlich gr66er angegeben als der H6rverlust ffir Zahlworte. Die sogleich ermittelten Reaktionszeiten ffihrten zu einem Diagramm stark verl/ingerter Antwortin- tervalle nach Reizbeginn (Abb. 1). Nach einer ausffhrlichen Er6rterung mit dem Patienten fiber Motive und Ursachen seiner Simulation yon Taubheit und H6rstOrung gestand er die Nichtbe- antwortung geh6rter Audiometert6ne ein. Danach lieferten ein Tonaudiogramm und ein B6k6sy-Audiogramm normale H6rschwellen. Die nachfolgende Latenzzeitmessung ergab die regulfire Form des Diagramms (Abb. 1).

Fall 2."

Ein 18jShriger Student berichtete, er habe am Vortage unter Schmerzen der linken Gesichtshfilfte und des Ohres innerhalb von Minuten das GehOr verloren. Er babe deshalb bereits mehrere Arzte und drei Krankenh~iuser bzw. HNO-Abteilungen in verschiedenen St~dten aufgesucht. An allen Stellen sei ein H6rsturz vermutet worden. Er erbitte jetzt eine Behandlung in unserer Klinik. Wfihrend der audiometrischen Untersuchung des linken Ohres stellte der Patient nach Andeutung betrfiehtlicher HOrverluste jegliche Mitwirkung ein. Er sei zu ersch6pft. Am folgenden Tage betrugen links die Knochenleitungsh6rverluste zwischen 35 und 50 dB, die Luftleitungsh6rverluste bis 80 dB. Die ,,H6rsturzbehandlung" wurde fortgesetzt. Eine befremdlich wirkende Besserung der Knochenleitungsschwelle am fibern/ichsten Tage gab Anlag zur Erstellung eines ersten Reaktions- zeitdiagramms (Abb. 2). Dieses bekr/iftigte wegen verl/ingerter Latenzen im Verein mit Kurven- deformation die Vermutung der audiometriebegleitenden Verhaltensst6rung. Innerhalb eines weiteren Tages normalisierte sich das Audiogrammbild. Das nun erstellte Reaktionszeitdiagramm zeigt regul~re Intervalle (Abb. 2).

Ver/inderungen yon Reaktionszeiten und Reaktionsgrenzen

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dB

Abb. 2. �9 Mittlere Reaktionszeiten im Zustand des Antwortmangelsyndroms. o: Regul~ire mittlere Reaktionszeiten. Fall 2., Einzelheiten s. Text. Dezibel-Werte im H6rverlustmagstab

Fall 3:

Zur Begutachtung erschien ein 48j/ihriger L/irmarbeiter. In den Akten vorhandene H6rprfifungs- befunde liegen darauf schliegen, dab ibm Aggravation nicht immer fremd gewesen war. Bei der Messung der Antwortintervalle ergab sich jedoch zun/ichst eine erstaunlich gute Mitwirkung, die ohne erkennbaren Anlaf3 abrupt endete. Zuvor korrekt beantwortete Tonpegel wurden nun angeblich nicht mehr geh6rt. Die Intervalle nach Tonbeginn wurden betr~ichtlich lfinger. Die regul~ire Kurvenform wich einer Deformation.

Diskussion

Nur selten gelang es, von der gleichen Person, sowohl mit als auch ohne audiometriebegleitende Verhaltensst6rung, ein Reaktionszeitdiagramm zu gewinnen.

Die geschilderten F/~lle zeigen uns jedoch, dab abnorme Reaktionszeit- diagramme kein unabfinderliches Merkmal einer bestimmten Person sind. Je nach Mitwirkungsweise kann es zum Wechsel zwischen der schwellennahen Kurvenform und der Deformation kommen. Das betrachten wir als weiteren Beleg fiir die M6glichkeit, mittels Zeitmessungen zwischen H6rschwelle und schwellenferner Reaktionsgrenze zu unterscheiden. So ergibt sich erneut die frfiher dargestellte Abgrenzung der reellen psychoakustischen H6rschwellen von aggravierten Reaktionsgrenzen (Kumpf 1981).

Zugleich mit der Ermittlung der H6rschwelle in der Aufl6sung yon 1 -2 dB lfigt sich gegebenenfalls zeigen, dab der Proband nicht mehr aggraviert.

Literatur

Kumpf W (1981) Reaktionszeiten und Fehlverhalten w/ihrend der Ermittlung der Tonh6rschwelle. Laryngol Rhinol Otol (Stuttg) 60:259-263


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