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ZWISCHEN ERFOLG UND UNTERDRÜCKUNG: DER AUFSTIEG DER ZIVILGESELLSCHAFT IM OSTSEERAUM 1760-1810 Doz. Dr. Andreas Önnerfors, Göteborgs universitet, Schweden [email protected] Zeremonial in unbekannter gemischter Ordensgesellschaft, 18.

Zwischen Erfolg und Unterdrückung: Der Aufstieg der Zivilgesellschaft im Ostseeraum 1760-1810

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ZWISCHEN ERFOLG UND UNTERDRÜCKUNG: DER AUFSTIEG DER ZIVILGESELLSCHAFT

IM OSTSEERAUM 1760-1810

Doz. Dr. Andreas Önnerfors, Göteborgs universitet, Schweden

[email protected] in unbekannter gemischter Ordensgesellschaft, 18. Jhd. Schweden

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ORGANISATIONSNAMN (ÄNDRA SIDHUVUD VIA FLIKEN INFOGA-SIDHUVUD/SIDFOT)Aus den Staturen der

Ordensgesellschaft La Tolerance, 1803

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Schwedische Verordnung vom 26.3.1803

Ordensgesellschaften sollen ihre Existenz erklären (gegen Androhung von Geldstrafe und Auflösung)

Staatliche Überprüfung ob in den dort abgelegten Eiden etwas gegen“Moral, Religion oder Gesellschaftsordnung” verstösst

werden angehalten ihre Statuten/Eide und einen Bericht einzureichen

Die Polizeibehörde erhält unbeschränktes Recht, den Veranstaltungen der Ordensgesesllschaften beizuwohnen

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Verzeichnis der Ordensgesellschaften im Archiv der obersten schwedischen Polizeibehörde, Stockholms Stadsarkiv

”wordcloud” mit den Namen der Ordens-gesllschaften

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Wasa: 1Heinola (Lovisa & Sysmä): 2Åbo: 2Gävle: 1Västerås: 1Karlstad: 1Vänersborg: 2Göteborg: 3Stockholm: 25

TOTAL: 38 Gesellschaften

Es fehlen jedoch Berichte von wichtigen Regionen (Län) in Schweden, insbesondere Helsingfors und Karlskrona, wo es jeweils zum Zeitpunkt zirka 5 weitere Gesellschaften gab. Karlstad gab z.B. an, eine Tochtergesellschaft von Karlskrona zu sein. Norway and Sweden with

their Dependencies, London 1808

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ZIVILGESELLSCHAFT:• Interessengemeinschaft

• Freiwilligkeit• Selbstorganisation

• Unabhängigkeit• nicht auf Gewinn

ausgerichtet• selektive Affinitäten (Wahlverwandtschaft)

politische Macht

ökonomische Macht

primordiale Instanzen (Familie, Religion, Herkunft)

GESELLSCHAFT

Individuum

Freie Wahl

Ausdifferenzierung / Emanzipation

Freundschaft?

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Ulrich im Hof (Das gesellige Jahrhundert, 1982) ”Aufklärungsgesellschaft” / ” Sozietät”

Typologie:

(1) Die wissenschaftlichen Akademien und gelehrten Gesellschaften(2) Literarische Gesellschaften und Lesegesellschaften

(3) Gemeinnützige Gesellschaften(4) Ökonomisch-landwirtschaftliche Gesellschaften

(5) Patriotisch-politische Gesellschaften(6) Die Freimaurerei

(7) Religiös-gemeinnützige Gesellschaften

Kriterien:

(1) Die Aktivitäten, Ziele und Gegenstände der Sozietäten stehen im Zusammenhang mit der Reform, der „Verbesserung“ eines bisherigen, als unbefriedigend empfundenen Zustandes. Die Sozietäten treten in eine Lücke des bisherigen Systems.(2) Die Organisation der Sozietät beruht auf Freiwilligkeit, Mitsprache und Mitverantwortung der Mitglieder.(3) Die Sozietät entwickelt durch ihre Spielregeln ein neues gesellschaftliches Bewusstsein.

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Die ”Ordensgesellschaft”: Kriterien anhand der schwedischen Verordnung 1803

• „Grad für Grad“ organisiert, d.h. es gibt innerhalb der Ordensgesellschaft verschiedene Mitgliederstufen (= Idee der schrittweisen Erkenntnis)

• Die Mitglieder legen einen oder mehrere Eide ab (die schriftlich kodiert sind = ordensinterne administrative Kultur)

• Die Mitglieder verpflichten sich zu Erfüllung dieser Eide und somit zur Einhaltung von (normativen) Pflichten und (konkreten) Verpflichtungen (= Pflichtethik!)

• Es gibt (einen) Vorsteher, (= ordensinterne Hierarchie)

• Es ist möglich schriftlich über die Aktivitäten der Ordensgesellschaft Auskunft zu geben (= Chronologie, administrative Kultur)

• „Aufnahme“ ist eigentlicher Anfang der Mitgliedschaft (= Einweihung)

• Es gibt eine ordensinterne Sphäre der „Verschwiegenheit“ (= Geheimnis)

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John Robison, 1798:

“Beweis einer Konspiration gegen alle Religionen und Regierungen in Europa,

ausgeführt in den Versammlungen der Freimaurer,

Illuminaten und Lesegesellschaften”

Krise der aufgeklärten Sozietät im postrevolutionären Diskurs

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Preußen, 1798

United Kingdom, 1799

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5 Kriterien des preußischen Edikts, 1798

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Typologie der 1803 bekannten Ordensgesellschaften

(1) Erfüllen nicht die Kriterien der Verordnung (Warum?) (2) Philosophisch-weltanschauliche Veredelung der Mitglieder

(säkulares ethisches Bildungsprogramm jenseits der Kirche/organisierter Religion)

(3) Patriotisch-protonational (indirekte politische Erwartung)(4) Reines Vergnügen / Zeitvertreib /Dulce (Freizeit)

(5) Philanthropisch sozial – erzieherisch / Utile (sozialpolitische Erwartungen)

(6) Kombinationen von 1-5 Siegel der Ordensgesellschaf

t ”Vereinigte Freundschaft”,

1803

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SCHLUSSFOLGERUNGEN

• Performative Internalisierung von Werten wie „Wohlfahrt, Menschenliebe, Sicherheit, oder Glückseligkeit“ führt zur Entwicklung eines ”diskursiven Kapitals”, das in der Interaktion mit dem Staat mobilisiert werden kann• Leitwerte werden im Innenleben der Ordensgesellschaften utopisch inszeniert und ausgelebt, führen aber auch zu extrovertierter Aktion wie • Wohlfahrtseinsätzen, a) reaktiv gegen Armut, Krankheit, b) pro-aktiv für Gesundheit und Unterricht oder • kulturellen Initiativen (Konzerte oder Theaterveranstaltungen) und schaffen• eine Erwartungs-/ potentielle Verhandlungshaltung gegenüber der politischen Macht als potentiell primärer Lieferer zentraler politischer Güter• das Wandern der zentralen Begriffe in die politische Sprache, wo sie mit der kulturell-sozialen Agenda des Staates verschmelzen können• die Ideenbildung erfolgt auf einer sozialen Basis, durch die performative Lernethik der Gesellschaften Ritueller Gegenstand

des Sing-Sang Ordens