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Tereus und die Danaiden bei Aischylos Author(s): Karl August Neuhausen Source: Hermes, Vol. 97, No. 2 (1969), pp. 167-186 Published by: Franz Steiner Verlag Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4475583 . Accessed: 05/05/2011 16:21 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at . http://www.jstor.org/action/showPublisher?publisherCode=fsv. . Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Hermes. http://www.jstor.org

Tereus und die danaiden bei aischylos

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Tereus und die Danaiden bei AischylosAuthor(s): Karl August NeuhausenSource: Hermes, Vol. 97, No. 2 (1969), pp. 167-186Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/4475583 .Accessed: 05/05/2011 16:21

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TEREUS UND DIE DANAIDEN BEI AISCHYLOS

Die durch verschiedene Schwierigkeiten belasteten Verse Aesch. Supp. 58-67 sind nach H. J. ROSE' sehr eingehend von E. W. WHITTLE2 behandelt worden; das Ergebnis seiner griindlichen textkritischen Untersuchungen bildet im wesentlichen eine Bestatigung des von J. VtRTHEIM3 hergestellten Wort- lautes. Neue M6glichkeiten der inhaltlichen Interpretation eroffnet die von WHITTLE in einem weiteren Aufsatz4 vorgeschlagene Lesart vO LoZ statt voQioCLL (68/69). Die paldographisch bestechende Konjektur muB - unabhangig davon, ob ihre Begriindung ausreicht oder nicht - als Beitrag zur L6sung des bisher kaum beachteten5, aber entscheidenden Problems gewiirdigt werden: Warum vergleicht Aischylos die Lage der Hiketiden ausgerechnet mit den tragischen Ereignissen, die mit dem Namen des Tereus verknulpft sind? Worin ist das tertium comparationis zu erkennen, das die Wahl gerade dieses Beispiels und damit Analogieschluisse rechtfertigt? Die Aufgabe, die Gemeinsamkeiten der beiden mythologischen Exempla nachzuweisen, bildet eine notwendige Konsequenz der Gleichsetzung rw'q xOCl eyx (o63UP'rO ... 8O'c t&v .V. . 7Op-

... (68-72) und stellt sich vor allem deshalb als dringlich dar, weil dem Paradeigma offenbar eine wichtige Funktion zuerkannt ist. Tc'q XoaL eyco impli- ziert die fur das Selbstverstandnis der Danaiden ausschlaggebenden tber- einstimmungen und Ahnlichkeiten, die Aischylos voraussetzt und dement- sprechend verstanden wissen will.

Zur Klarung dieses Sachverhalts ist es deshalb unerheblich zu ermitteln, an welche der von den Interpreten in Erwagung gezogenen Gattinnen des Tereus6 Aischylos an dieser Stelle denkt; als v6llig gesichert kann lediglich der Name des Tereus gelten: 0"o rCX TXpetocg . . . &XO6ou (60f.). Der relativische AnschluB &M'' (63) beweist, daB nur eine einzige koXoZo gemeint sein kann, wie vor allem von VURTHEIM7 einleuchtend begrundet worden ist. Das Schicksal

1 A Commentary on the Surviving Plays of Aeschylus, Amsterdam I957, 20f.

2 Notes on the Text of Aeschylus, Supplices 58-67: ripao. Studies Presented to G. THOMSON (= Acta Univ. Car. Philos. et Hist. I), Prag I963, 245-255.

3 Aischylos' Schutzflehende (mit Text und Kommentar), Amsterdam 1928. 4 Two Notes on Aeschylus, Supplices: ClQu I4, I964, 24-31.

5 Ansatze zu Erwagungen im hier verstandenen Sinne lassen neben WHITTLE (I964,

30f.) kurze Bemerkungen in den Kommentaren von C. KRUSE (Stralsund i86i, I45) und J. OBERDICK (Berlin I869, 95f.) erkennen; aktuell erscheint eine Deutung des Vergleichs Supp. 57 ff. auch in Anbetracht der kritischen Feststellungen von A. F. GARVIE, Aeschylus' Supplices: Play and Trilogy, Cambridge I969, 64.

6 Vgl. neben dem RE-Art. 'Tereus' von A. LESKY folgende Art.: 'Aedon' (I I, 467 -

474), 'Itys' (IX 2, 238I), 'Philomela' (XIX 2, 25I5-25I9) und 'Prokne' (XXIII I, 247-

252); uber Metis als Gattin des Tereus s. U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Aischylos Interpretationen, Berlin I914, 28.

7 VURTHEIMs Argumentation (I66) richtet sich offenbar auch in diesem Fall gegen WILAMOWITZ (Aisch. Int. 28), dessen Qbersetzung (*Sie klagt und trauert. . . ) vollig

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der Tip?oc 6 -XoZ wie immer sie geheiBen haben mag - muB insgesamt

dem Los der Danaiden sehr verwandte Merkmale aufweisen'. Dank dieser aus dem Wortlaut bei Aischylos sich notwendig ergebenden Erkenntnis ist zugleich die Methode der folgenden Vberlegungen festgelegt. Das Handeln und Verhalten der Danaiden soll zuerst soweit als m6glich dem gesamten Erfahrungskomplex, der allein durch die Erinnerung an Tereus fir die Danaiden ebenso wie fur das Publikum im Theater offenbar hinreichend gekennzeichnet ist, vergleichend gegenubergestellt werden; die spater vor allem von Sophokles und Ovid ent- wickelten Kernmotive der Tereus-Sage werden logischerweise, auch wenn es keine direkten Zeugnisse gibt, schon von Aischylos als allgemein bekannt vor- ausgesetzt und dienen deshalb ganz der textimmanenten Interpretation 2.

Wenn die subjektiven Empfindungen der Danaiden zum Zeitpunkt der Parodos und ihre Auswirkungen bis in die letzten Einzelheiten geklart sind, ist die Basis geschaffen, im Hinblick auf die gesamte Trilogie objektiv zu prufen: Wo liegen die Grenzen des Vergleichs ? Sind die Danaiden berechtigt, das Tereus- Modell fur sich voll zu beanspruchen ?

Zunachst teilen die Danaiden mit der Tjpe[ &oXoZoq ein auBeres Geschick, das Los der Vertreibung aus den angestammten Wohnsitzen ('15cm 64). Die An- gabe 6"&' &7rt6 x?w p o -uTC v T' epyo6vxv (63) enthalt dieselbe inhaltliche Aus-

sage wie die Mitteilung der Danaiden gleich zu Anfang der Parodos: ALcuv 8?

xurro5aU6t 74vocV 6UyZOpTOV EUpbLa cpeyopv (4f.). f ?Syo?Lvv' wird nicht dadurch

eingeschrankt, daB die Danaiden ihrem Vater dankend bescheinigen: . ..

7reGQVOt.LCOV XuVat'T a?ZEV e'7rxpLVEV CqeuyeLV &lv6V &LX xC' aXLoV (I2-I4);

yp&yev bestatigt ausdrucklich das V. 4 verkundete Faktum, und ebenso lBt die vielberufene yuivoptoc (8) das Motiv der Flucht erkennen 3. Auch die Erklarung

offen IaBt, auf welche der vorher genannten beiden Personen sich dieser Satz bezieht (W. ebd.: i.. . er horte die Stimme der Metis, der klagenden Gattin des Tereus, und die der Aedone, die der Falke verfolgt. #). Gerade dieser Widerspruch zeigt, daB die Leiden der beiden Schwestern kausal aufs engste miteinander verknuipft sind, und bestatigt so zugleich die Zulassigkeit des in diesem Aufsatz angewandten Verfahrens.

1 Da die Namen der Prokne und Philomela, die man herkommlicherweise mit Tereus in Verbindung bringt, vor Sophokles nicht belegt sind, kaime es in einer Aischylos- interpretation einer petitio principii gleich, sich auf bestimmte Personen festzulegen. Alles, was die Gattin des Tereus und ihre Schwester von Tereus erlitten haben und was sie getan haben, muB als einheitliches Geschehen betrachtet werden.

2 Eine quellenkritische Untersuchung - z. B. im Sinne von J. DIETZE, Komposition und Quellenbenutzung in Ovids Metamorphosen, Hamburg 1905 (wo uXbrigens der Tereus- Mythos nicht erortert wird) - erscheint infolgedessen nicht geboten; Aufschluisse hinsicht- lich der Frage, welche Funktion das Paradeigma innerhalb der Tetralogie erfuillt, WaBt ein solches Verfahren nicht erhoffen.

3 Selbst wenn man die weitgehend akzeptierte Emendation BAMBERGERS (OciuToy1veL

9uiocvopioc 8) als verbindlich voraussetzt und mit WILAMOWITZ (Aisch. Int. I5) dem Chor die Behauptung unterstellt, der Ehe mit den Agyptern *>aus angeborener Mannerfeindschaftt entflohen zu sein, bleibt logischerweise die Tatsache bestehen, dal3 die Danaiden tatsachlich

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des Scholiasten - ?pyo[u'vx im Sinne von 8tCOX ?I - trifft auf die Danaiden

zu und wird z. B. I045f. bestatigt (&LoYLOZq; vgl. I48); denn die Flucht aus der L\'oc yfh'v (4f.) setzt die Verfolgung seitens der Agypter ebenso voraus wie die bereits V. 27 (3Kcxc,' 'xh?v) bundig formulierte Bitte um Aufnahme als Schutzsuchende. Diese prinzipiellen Vbereinstimmungen lassen die Konjektur von MARTIN - XCO)PO)v TpO'pv) statt Z. 7QorapC&v t' - und andere Emenda- tionen (s. WHITTLE I963, 25I-253) entbehrlich erscheinen, zumal da 7ro-octwv die Erinnerung an den Nil wachruft; denn die Danaiden bekundeten bereits gleich im Er6ffnungssatz des anapastischen Teiles (NLMou 4) ihre Herkunft, und gerade die von allen codd. iuberlieferte Form NctoXspi 7rapa&V (7I) unmit- telbar im AnschluB an den Vergleich mit der Tereus-Sage macht es wahrschein- lich, daB Aischylos auch in dieser Hinsicht eine Parallelisierung bewuBt erstrebt. Deshalb verrat der Vorschlag von MARTIN eine grundsatzlich richtige Einsicht, wie auch VtURTHEIM I67 einraumt: #.. . zugunsten dieser Anderung Martins kann gesagt werden, daB der Vergleichungspunkt mit dem Schicksal der Danaiden eben in der Vertreibung &not -(Cov auv&ov ronwv liegt ((. Da aber der durch die Konjektur erreichte Gewinn nicht grdBer ist, als die Inter- pretation des iuberlieferten Textes zulaBt', bleibt die entscheidende Erkenntnis in jedem Fall gesichert.

vor der Verwirklichung des ya,uos ALyU ToYeV75 die Flucht ergriffen haben; cpuE,avoptm

impliziert in jedem Fall die cpu K. v. FRITZ (Die Danaidentrilogie des Aischylos, in: Antike und moderne Trag6die, Berlin I962, I6I) hat nun aber gezeigt, daf man ai'Toyevet im Sinne von 'aus sich selbst entstanden' auffassen muB3; auf diese Weise stellt sich ein einleuchtender Gegensatz heraus: )>nicht durch VolksbeschluB verbannt . . ., sondern aus einem allein der eigenen Brust entsprungenen EntschluB3 zur Flucht vor diesen Mdnnern (. Diese Erklarung widerlegt zugleich Vermutungen, die z. B. H. SPIER, The Motive for the Suppliants' Flight, Class. Journ. 57, I96I/2, 3I5-3I7, fur zulassig halt. Allerdings muB trotz der Vorbehalte bei v. FRITZ (4791) anerkannt werden, daB auch die Lesart aiutoyevq, die jetzt wieder M. L. ROSENKRANZ, Nota eschilea, Philologus io8, I964, 293-295, ver- teidigt, zumindest vor dem irrefiihrenden Postulat einer angeborenen Mannerfeindschaft schutzt; man kann sich dabei auBerdem (gegen die Einwande von 0. HILTBRUNNER,

Wiederholungs- und Motivtechnik bei Aischylos, Bern I950, 8ff.) z. B. auf folgende Argu- mentationen berufen: 0. KOENNECKE, Rez. v. F. HELMREICH, Der Chor im Drama des Aschylus, Kempten I915, in: Wochenschr. f. Klass. Philol. 33, I9I6, 387f.; K. KUNST, Die Frauengestalten im attischen Drama, Wien und Leipzig 1922, 3f.; A. ELISEI, Le Danaidi nelle 'Supplici' di Eschilo, StudIt 6, 1928, 204f.; M. UNTERSTEINER, Note alle Supplici di Eschilo, Athenaeum I3, I935, 300. Vgl. D. KAUFMANN-BuHLER, Begriff und Funktion der Dike in den Tragodien des Aischylos, Diss. Heidelberg 195I, 49, und GARVIE 2I8 ff.

1 Das gleiche gilt fur die Anderung XpCcPcv ZrOTICPUV (S. WHITTLE I963, 252 f.). Der Ver- zicht auf xZcp&cov hat die Aufgabe einer wichtigen Parallele zur Folge, da als einzige vergleich- bare Gemeinsamkeit die FluBnahe bestehen bleibt. Gerade dieser Vergleichspunkt er- scheint weniger geeignet, auch wenn man berucksichtigt, daB i?6v zugleich x6pov voraus- setzt; aber selbst in diesem Fall ist der Zusatz Xc?)pCow notwendig, da Tf#?cov sich nicht allein auf 7o-ro,u beziehen kann. Auch die Danaiden berufen sich ja auf ihre Heimat, das Land am Nil (A/\c Z,'v 4f.), und ihre 7r'X,t (7), die sie verlassen muBten; Zxpc,v bzw. '45tov (63 f.) entspricht diesen Angaben genau. So leiden die verfolgten Danaiden unter ihrer gegen-

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Das Motiv der Trennung bzw. der Flucht schafft die Grundlage fur eine weitere Gemeinsamkeit; die notwendige Folge bildet die Klage uiber dieses schwere Geschick. Die Analogie zur Trauer der omxrpok T-ptx &`1oyBoq (60f.)- sr~vtZ ,v oLx-rov acv (64) - wird ein oovo7r6?Xoq ox-rov Cxov (gemaB 58 f.) logischerweise folgendermaBen rechtfertigen k6nnen: Auch die Danaiden er- kennen, wie ihre Selbstdarstellung in der Parodos beweist, ihre bedrohte Lage und empfinden ihre Not in kaum zu ubertreffendem MaBe. Denn obwohl sie Danaos (ihrem 7rcarrp xocx 3oi'Xocpxoq xocx a-caxcpxoq ii f.) Dank schulden, bleibt

das Faktum bestehen, daB sie &xae (I3) zu ertragen haben. Das BewuBtsein zu leiden tritt dann ja auch eindringlich und iiberwaltigend hervor im Klagelied (II2-II6): toLG(rLc 7&a5za [tcXeoc &peoYL6va ?e&yco I ?LycOC POap&a xpuoMtU0rZ |

C 4 Z11OLCrv pUf17r= j iCOaOC yOoc0 lie -qi6. Die Leitworte ax?a, naa,

C>eto. und y6oro erklaren den verzweifelten Wehruf x 3ua&yxpvTOr 7rs6voL (I26)

ebenso wie die auf sich selbst bezogene Mahnung der Danaiden (385 f.) ,u for.

Z-9VO LX-TCCOU XOTo4 I uanapa 'Xwou4 Tcoc,&6vroq o'L'x-oLq. Bezeichnenderweise ist die Ursache fuir die a`roc, -no'Ci5 und n6vot plotzlich eingetreten; diesen RiickschluB erlaubt das Adjektiv & r.p6IxpuX (72): -x X cpr.?g6OupTO4 ...

(xZ7rm TV ... 7.ap?.C&V a7trep60c%xpuv Ir xcp Xocv. Auch hierin gleichen sich die Erfahrungen der Danaiden und der Tnpzx oc&OOoZoq, da deren Leid auf der pl6tzlich erregten Leidenschaft des Tereus beruht; auf einen gliicklichen, jeden- falls ungetriibten Zustand folgt jah der Umschlag ins Ungliick. Nicht nur das augenblickliche Leid, sondern auch die Form der Entstehung dieses Leides und ihre unmittelbaren Folgen verbinden so das Schicksal der Danaiden mit dem Los der TNpzc 0oXoq.

Aus diesem Grunde ist es einleuchtend, daB die Klagen fiber solche r,zaoc in neuen 'Weisen' (v6lo,auo) bekundet werden. WHITTLES Anderung (vo90ozor) zeichnet sich durch den Versuch aus, auch die Parallele zur Leidensgeschichte der Io (Supp. 50ff.) sichtbar zu machen. Nun liegt aber der Schwerpunkt des Vergleiches der V. 57 ff. - wie T-r xodt 'y6 (69) beweist - auf den Gemeinsam- keiten mit der Tereus-Sage. Deshalb kann das traditionelle Verstandnis des Ausdrucks 'Ixovaor.ar vo4totar -'in hellenischen Weisen' (WILAMOWITZ, Aisch. Int. 29), 'auf hellenische Weise' (VUYRTHEIM) - noch hohere Wahrscheinlich- keit beanspruchen; denn i. veranschaulichen die Danaiden so die Verwandt- schaft ihrer Wehklagen (vgl. IIz -ii6!) mit den Klageliedern der in eine Nachtigall verwandelten T-npe &o oZoq, und 2. gleichen sie sich als o4,uoq &veX-~VO6aro?oq (234) bewuBt den griechisch empfundenen y6oro der T1p'a !oyoq

wartigen Lage ebenso sehr wie die Tlp1ac &Xoxoy, die als Xtp%YXxToq &-v zwar auch auf die einer Nachtigall vertrauten Gebiete verzichten mul3, vor allem aber den Gegensatz zu dem Zustand vor der Verwandlung empfindet (N. WECKLEIN, Aschylos: Die Schutzflehen- den, Leipzig 1902, 3I): ))Sie klagt um das verlorene Heim in Attika, nach welchem sie auch als Gattin des Tereus sich sehnte. # Damit ist wiederum eine einleuchtende Gemeinsamkeit des Schicksals der T-%pet &Xoxo6 mit dem der Danaiden gewonnen.

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ebenso wie der einem Griechen uberhaupt vertrauten Form eines jXeYoq (II5) anl. Diesem Bestreben wird die Berufung auf die 'Ih6vLoL VoL0o sicherlich gerech- ter. In beiden Fallen handelt es sich nur um die Hervorhebung von Klage- weisen, deren Formen sich in einer wesentlichen Hinsicht gleichen; die Tnpeta &Xoxoo verwendet infolge ihrer Verwandlung eine neue 'Weise' wie die agypti- schen Danaiden1, die sich einer neuen, eben der griechischen Sprache be- dienen miissen. So gilt die Erklarung von WHITTLE selbst (I963, 254) auch fur

den emendierten Text (plv statt veov 64): )>Tereus' wife mourns in bird- language instead of in Greek, while the Danaids lament in Greek (69 'IovLoLar v6pooLa) instead of in their native tongue. <

Trotz der bisher nachgewiesenen charakteristischen Gemeinsamkeiten, die eine Beobachtung der auBeren Notlage der Danaiden deutlich nahelegt (vgl. aokazL 6o), ist die eingangs gestellte Frage noch nicht voll beantwortet. In der Tat reichen die Motive der Flucht, der Verfolgung und der Trauer nicht ganz aus, um gerade den Vergleich mit Tereus begreiflich zu machen; aus der Mythologie sind viele Schilderungen bekannt, die wenigstens teilweise ahn- lichen Situationen gelten. Die Umstande, die schlieBlich jeweils zu dem schrecklichen 7rvho; (7rzvlZv 64) fuhrten, mulssen deshalb eine noch tiefere Ursache erkennen lassen. Worauf zielt Aischylos besonders ab? LaBt sich neben dem auBeren auch ein inneres Geschick geltend machen, das die Be- rufung auf Tereus nahelegt ?

Die Losung dieser Fragen kann durch die Auswertung einiger Fragmente des sophokleischen Tereus (Fr. 523 -538 N. 2) vorbereitet werden. Worauf be- zieht sich die lapidare Feststellung c?yeLv&, f1p6xvn, 8TXov (Soph. Fr. 526) und 7- prv (Fr. 533) ? Aus den bisherigen Beobachtungen folgt zunachst, daB beide Angaben grundsatzlich denselben Sachverhalt voraussetzen wie 7a5a, a&r&v

und 7rovoL bei Aischylos (Supp. II2, I3, I26). Die Gnome des Fr. 533 laBt in Ver- bindung mit Fr. 532 weitere Schlusse zu. lJOLxtLXoCUL8ct &-aocL (Soph. Fr. 533) erinnert an die Charakteristik der Agypter bei Aesch. Supp. 750 (8O?o.dTL?)

ebenso wie an Supp. iiof. (aCr ... a&7rocov p?ocyvou'); umgekehrt verrat der Wunsch der Danaiden G ,q yeVc4aL apc,A AlyiXTrou yC'? (Aesch. Supp. 335) das Bestreben, das wahrscheinlich von Prokne oder Philomela selbst beklagte Verhangnis abzuwenden: rovg a? aouvAa . . . Cuy6v x &vayxac. Da kein Zweifel daruiber bestehen kann, daB die Sentenzen bei Sophokles auf das Ver- halten des Tereus abgestellt sind, legen die sprachlichen und sachlichen Uber-

1 Die Gleichsetzung der beiden Verhaltensweisen kann man auBerdem mit dem Hin- weis auf Ag. 1140ff. rechtfertigen. Wenn der Chor Kassandra vorhalt &acpl 8' aiars IpoeZq

vVO6wv xvozov und sich zu demselben Vergleich veranla3t sieht, den die Danaiden fur sich selbst in Anspruch nehmen (ot& 'xLt iou&& &x6peroq poiq, 9e5, yGkOxTOLq cppea'v "ITruV "Ihuv caivouo' 'Cap~LyckX xocxotc &i180v 'Lov), so ist damit fur die Tkpelo aoXoZo wie Supp. 7 ff. (69: v4LOLa) einm vo6 im Sinne eines Klageliedes vorausgesetzt. Die Konjektur von WHITTLE lIat sich so auch im Hinblick auf Ag. I I40 ff. schwerlich aufrechterhalten.

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einstimmungen bei Sophokles und Aischylos die Vermutung nahe, daB zwi- schen Tereus und den Agyptern in bezug auf Prokne bzw. Philomela einerseits und die Danaiden andererseits eine bestimmte Beziehung besteht. Die Sorge der Danaiden, die Supp. 335 eine so ausgepragte Form gefunden hat, muB durch die vollige Unsicherheit der zukuinftigen Ereignisse erklart werden. Diese Unsicherheit wird bei Aischylos wie bei Sophokles auf die Unwagbarkeit des Ratschlusses des Zeus zurtickgefiihrt; x 6a'4rag i oix ?a'rtV 7rX V Al6O OV'

-(lV p6?XX0vTcv tylIao ... (Soph. Fr. 53I) entspricht xoc&ZV ̀ (pparoL (Supp. 95) innerhalb des Gebetes an Zeus (86-iii). Das Leitwort Tt)v ptzX;k6VT@wV IaBt sich auch bei Aischylos wortlich nachweisen; am SchluB des ersten Teiles der Trilogie ist das Schicksal der Danaiden noch immer so unbestimmt wie zum Zeitpunkt der Parodos, so daB die Magde den Danaiden nach ihrer dringenden Bitte an Zeus (o peyax Zei) cbrocXeL, y4ov A'YU zOYZv9 toL, I053 f.) mit Recht entgegenhalten: a' 86 y' oV'x 01Ga450 T0 ['XXOv (Io56). Warum sind die Danaiden von Angst erftillt, wenn sie an die Zukunft (TO6 p6?COv) denken ? Diese Frage ist aufs engste verkniipft mit dem Tereus-Paradeigma: Wie wirkt sich die Erinnerung an das Leid der TynppLocx &oXoo auf die Vorstellungskraft der Danai- den aus? Welche Beftirchtungen sind mit dem Namen des Tereus fur die Zu- kunft unvermeidlich verbunden?

Betrachtet man die verschiedenen Versionen der Sagen um Aedon, Prokne und Philomela', so lassen sich trotz der zahlreichen Variationen wesentliche Ubereinstimmungen nachweisen. Gemeinsam ist fast samtlichen Fassungen das Motiv der Gewaltsamkeit. Diese Konstante verbindet die megarische, kleinasiatische und attische Uberlieferung der Aedon-Sage mit der von Prokne und Philomela. Vor allem bei Sophokles, der die Sage in der weitgehend maB- geblichen, auch von Ovid ulbernommenen Form gepragt hat, erscheint Tereus, wie schon aus den oben vorgelegten Fragmenten erschlossen werden kann, als

bppt-5. Konsequenterweise schildert auch Ovid (Met. 6, 424ff.) den Vorgang der Gewalttat 2. Besonders dieses Motiv unterscheidet den Tereus des Sophokles von der spateren Fassung im gleichnamigen Drama des Philokles (RE s. v. Prokne, 249, 53-55). Gerade diese erstmalige Abweichung von der Norm bei Philokles beweist, daB das Prinzip der Gewaltsamkeit zuvor allgemein als das hervorragende Merkmal der Sage angesehen wurde. Nur unter einer solchen Voraussetzung ist es verstandlich, daB der Name des Tereus eine bestimmte Gedankenverbindung bewirkt, die 0. SCHROEDER in seinem Aufsatz IIPOKNH, Hermes 6i, I926, 43I, gestuAtzt auf ein Scholion zu Ar. Av. I02, in folgende Worte kleidet: ))DaB hier bereits die Schwesternsage vorliegt, kundigt sich

1 Vgl. die S. I67 Anm. 6 genannten RE-Art. Aedon (469, igf. und 50f.; 471, 21f.;

473, 47f.), Philomela (25i6, 22f.) und Prokne (248, 34f.; 249, 53-55). 2 Met. 6, 524 f.... fassusque nefas et viyginem et unam I vi superat; die Bestatigung dieses

nefas versucht Philomela selbst zu geben: . . . per vim sibi dedecus illud I illatum (6o8f.).

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schon an in dem Namen des Unholdes Tereus, der die Gattin verriet, um die Schwagerin zu schanden, ein echter pU', 7t(p& t6 r-p%ev... <. Auch die Erklarer, die wie WELCKER und WILAMOWITz eine Metis als Gattin des Tereus postulieren, berufen sich auf das Leitmotiv. So unterstellt z. B. WILAMOWITZ, obwohl er sich im Hinblick auf die Personen von der traditionellen Version distanziert1, dem Tereus ohne weiteres die aus den Sagenkreisen um Aedon, Prokne und Philomela vertraute Einstellung (ebd. 283). Ebenso gelangt K. KUNST2 zur Bestatigung des Motivs der Gewalt.

Wenn dem Vergleich der Lage der Danaiden und des Geschickes der

TYp%La aoxo &oo Berechtigung zuerkannt werden soll, ist ein analoges Verfahren der Interpretation erforderlich. GewiB3, der Unterschied zwischen Tereus und den Agyptern ist unverkennbar; der verheiratete Tereus tut der Schwester seiner &c?XoZo, also einer Verwandten, Gewalt an. Aber gerade auf dieses Prinzip der Gewaltsamkeit kommt es hier allein an. AuBerdem sind die Danai- den sogar blutsverwandt mit ihren Verfolgern. Wenn also der Name des Tereus eine bestimmte Assoziation hervorruft, wirkt sich die Ubertragung auf das Verhaltnis der Danaiden zu den Agyptern so aus: Tereus und die Agypter erfillen im Hinblick auf ihre Verwandten dieselbe Funktion. Daraus folgt: was Tereus tatsachlich veriibt hat, beftirchten die Danaiden ihrerseits als mogliche Tat; sie haben Sorge, daB die Freier - ahnlich wie Tereus - gegen ihren Willen und widerrechtlich das erklare Ziel - den y&aJ.o- mit Gewalt erreichen werden.

Die Angst der Hiketiden muB3 sich in dem Grade steigern, in dem sie sich vergegenwartigen, wozu der Thraker Tereus in seinem egrenus amor fahig war; Ovid hat die innata libido, cupiditas und crudelitas des als barbarus verstandenen Tereus so eindrucksvoll geschildert, daB es nicht schwerfallt, die Gedanken der Danaiden nachzuvollziehen3. Dabei ist es gar nicht notwendig, eine vollige Ubereinstimmung mit dem Tereus-Modell zu erwarten, wie es z. B. die Uber- setzung von Supp. 8i -85 bei WILAMOWITZ (Aisch. Int. 29) nahelegt: #. . . so haBt wenigstens ganz und gar die Vergewaltigung ... Es ist aber auch fur die, welche fliehen, . . . der Altar eine Zuflucht vor der Vergewaltigung<i. Ausschlag-

1 Aisch. Int. 283: )>Hier darf nicht der Vorwitz kommen und sagen, die Geschichte wei3 ich besser; sie steht ja im Ovid. Wir lernen, daf3 sie auch ganz anders erzahlt ward und mit anderen Namen als Prokne und Philomele. (( Selbst wenn diese Vermutung GewiBheit ware, ist der Wert der Erzahlung Ovids fur die Interpretation des Aischylos nicht gemindert; es lassen sich entscheidende Vbereinstimmungen zwischen den Motiven, die Ovid ent- wickelt, und der Version, der Aischylos folgt, nachweisen.

2 Textkritische Bemerkungen zu den Hiketiden des Aischylos, PhW 43, I923, 500. 3 Vgl. Met. 455 -460 (Non secus exarsit conspecta virgine Tereus, I quam si quis canis

ignem supponat aristis ... .; sed et hunc innata libido I exstimulat, pronumque genus regionibus illis I in Venerem est . . ), 465f. (Et nihil est quod non effreno captus amore I ausit), 467 (cupidoque revertitur ore), 533 f. (0 diris barbare factis ! o crudelis !), 56I f. (fertur I saepe sua lacerum repetisse libidine corpus).

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gebend fur die Auswertung des Paradeigma des Tereus ist nur das Prinzip, das die Handlung des Tereus voraussetzt.

Bereits aus dem Teil der Parodos, der den Versen 57 ff. unmittelbar vorauf- geht, darf mit groBerer Bestimmtheit, als man vielfach gewagt hat, auf das eigentliche Motiv der Flucht und der Sorge der Danaiden geschlossen werden. In Verbindung mit der Charakteristik des 6co 'pLa-r- Alyu-ntToyZv7 zwingt der Wunsch . . .6OXoLvto 7pLv rOTr exrpwv, JV $0L4 V ?eLpy?a,SrTpLiVOL

n0cpaMkYep0v vT6V' &x6vrwv 't7ivat (36 -39) zu der Folgerung: Die Danaiden empfinden eine tiefe Abneigung (&x6v-rwv!) gegenuiber dem von den Vettern erstrebten yok[o4 und sehen in der Zielsetzung der Agypter eine i,XpG. Bezeich- nenderweise sind die Hiketiden von der Richtigkeit ihrer Beurteilung so sehr uberzeugt, daB sie die Zustimmung des Zeus (86ff.) erhoffen und mit der Be- strafung der i,Zpt der Vettern rechnen; Aischylos hat die AaLvoLoc bzw. UPppl

der Agypter nicht weniger eindringlich vorgestellt als Ovid die des Tereus: Cr6&Cd 8L4 et4pLV | pT LOV, olv va'OL, I 7rUtLV L &4L6v yac4ov -re0 |

89UGapCxpO06xLOGt ypeaV, x xa aLavoLaV p.LXVO?LV X6vrpov `zcv ' (XTOV, a-_

TO 8' &r&ToCV VeTryVOUq (Supp. I04-III).

Diese {'3ptg kann sich, wie aus V. 38 und 39 (ar zrpLt&VJ.voL und ax6vroov) gleichfalls folgt, grundsatzlich in jeder Form von Gewalt aufBern, d. h. sie beruht auf dem Prinzip, daB der Starkere dem Schwacheren seinen Willen aufzwingt. Mit Recht betont deshalb NESTLE1, daB nicht )>das Begehren der Agypter an sich, sondern die Form, in der sie es durchzusetzen versuchen, die Form der Gewalt, Vergewaltigung<( das Wesen ihres Handelns ausmache; denn

UPppl ist nicht ))der Eros selbst, sondern seine Auswirkungen, etwa das was wir mit Vergewaltigung bezeichnen<(. Folgerichtig bestimmt die Antithese von Gewalt und Ohnmacht wahrend des ganzen Dramas das Verhaltnis der Danai- den zu den Freiern2. Der Konflikt wird deshalb erst dann beendet sein, wenn die Danaiden ihre Ablehnung (*x6vrtv 39) aufgeben und sich freiwillig (exoi5amL) zum yo&,o4 bereit erklaren. Pelasgos macht den Herold auf diesen entscheidenden Kern des Konflikts aufmerksam (940f.):

TOU S X0UaC4 0?SV XOC' ?UV0VhV Cg~G)VV

CyOtq XV, ereLp euGepf 7rLOL 0o'yo .

Freilich geben sich die Agypter keinen Illusionen uber die Einstellung der Um-

worbenen hin, sondern sie setzen sich im Gegenteil kraft ihrer Gewalt bewuBt tuber die Einwilligung der Danaiden hinweg (86i -863): a' a' V vad vodx P &aI

1 W. NESTLE, Menschliche Existenz und politische Erziehung in der Trag6die des Aischylos, Stuttgart I934 (= Tub. Beitr. z. Altertumswiss. 23), I5.

2 Zum Eo-Motiv s. die Liste bei 0. HILTBRUNNER 38; die zentrale Bedeutung dieses Motivs hat sehr klar N. WECKLEIN in seiner Rez. von F. FOCKE, Aeschylus' Hiketiden (NGG, Philol.-hist. Kl. I922) hervorgehoben: #.>. . fehlt das Hauptmotiv, das des Zwan- ges. (PhW 43, I923, 505). Vgl. auch B. SNELL, Aischylos und das Handeln im Drama, Leipzig I928 (= Philol. SuppI. 20, I), 52.

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Tereus und die Danaiden bei Aischylos I75

T&ax 6Xe0o4 &Xe0q, -X La TCo?0x ypo5k. Der Hinweis auf die Not- wendigkeit des e9arr3 Xoyo4 (94I) bestatigt die schon in V. gf. festgelegte Bewertung: yc4Lov Alyu6t'ou TOCLacov &aepr 7' 0oco4tevou (8L&voLoxv). Selbst- verstandlich hat eine aLaXvoLao O&Garp einen y4toq &ar5e zur Folge; die 'u'pp der Aygpter verletzt die &4uq (37). Wesentlich ist deshalb die Erkenntnis, daB die Danaiden zum Zeitpunkt der Besinnung auf das Leid der TIpLxC &?CXoZoq zugleich die Konsequenzen eines yckSot mit den S6hnen des Aigyptos klar vor Augen haben. Die Analogie zu Tereus und seinem y&Fo4 uaayvoq ist folglich unschwer erkennbar; das Verhalten der Agypter unterscheidet sich zumindest potentiell nicht von dem des Tereus und verdient insofern die gleiche Beurteilung, da jeweils dieselbe Handlungsweise zugrunde liegt.

Diese Folgerung impliziert vor allem auch die der (v3pq der Agypter gewidmete Antistrophe r (IO4-III), deren Inhalt WILAMOWITZ in seiner Editio maior des Aischylos (Berlin I9I4) 339 durch Begriffe erklart, die dem Kenner der Tereus-Sage vertraut sind: #.. . cum re vera effloruerit in animis obstinatis {j3pts, et haec incitetur furore cupiditatis et ad scelera pelliciatur((. Der furor cupiditatis, den WILAMOWITz den Agyptern nachsagt, kennzeichnet in gleichem MaBe - wie am anschaulichsten Ovid darstellt - den Thraker Tereus, und auch die Auswirkungen der cupiditas sind jeweils gleich: scelera, zu denen sich die Agypter offenbar hinreiBen lassen, hat Tereus langst be- gangen; vgl. Ov. Met. 6, 473 (sceleris molimine), 578 (indicium sceleris), 539, 56i (facinuts), 524 (ne/as), 474 (crimen). Alle diese Urteile treffen prinzipiell zugleich auch auf die x&p5xvoL (Supp. 9I4) aus Agypten zu, da die Charak- teristik des barbarus (Ov. Met. 6, 5I5 und 533) aus Thrakien bzw. seiner vis (vgl. 0. S. 172 Anm. 2) auf ihr Verhalten tibertragen werden kann. Denn Aischy- los verwendet analog dasselbe Kriterium wie Ovid (vitium Met. 6, 460); Danaos begreift die Einstellung und die Taten der Agypter wie seine T6chter im Sinne von & xN,uara, deren Bestrafung im Hades GewiBheit sei (Supp. 228- 23I). Auch Pelasgos und die Argiver erkennen die a&7axo arIo und 0oiptp-

,pam, zu denen die Agypter fahig sind; der entscheidende VolksbeschluB

,uVOT' xA05a PLcz a-r6?ov YuvlX^v (Supp. 943 f.) zielt auf den Kern der Auseinandersetzungen (,3acx - vis) ab und enthalt deshalb die eigentliche Begriindung der These des Pelasgos (xalt t6?XV atmp'rv oJ3= v CpX6oaoc cpevL 9I5) ebenso wie die Widerlegung der Selbstrechtfertigung der Agypter (rL 3'

rxpytoxra. -wr6)v8' ipot &XY oSrp 9I6). Die Terminologie und Argumentation bei Aischylos stellt also sicher, daB fur die Bewertung der Agypter dieselben Grundsatze gelten wie fur das scelus (facinus, ne/as, crimen) des Tereus.

Die Danaiden nehmen so bereits in der Parodos die Verurteilung vorweg, die Philomela bei Ovid Tereus gegenuiber post facinus (Met. 6, 56i) - im Sinne von per vim sibi dedecus illud illatum (Met. 6, 6o8f.) - zu spat ausspricht. Wenn man auBerdem bedenkt, daB Ovid Philomela getreu dem herkommlichen Motiv sich auf ihre virginitas (536) berufen laBt, wird zugleich verstandlich,

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warum die Danaiden als TopOvoL gerade bei Artemis ihre Zuflucht nehmen: ... 7rcOCVL.. 6a7veL &oypoZq O'Cayaoe6 &P'Avn A8 6a oc yeve'a& (Supp. I44 -I50, Text nach WILAMOWITZ). Da sie Schutz vor ihren Verfolgern suchen, ist ihre Bitte an Artemis nicht etwa als Beweis fur ihre angebliche angeborene Mannerfeindschaft (vgl. S. i683; I77; I83) zu werten, sondern als Konsequenz ihrer Einschatzung der U(3pL4 der Agypter zu verstehen. Artemis als 'A.d"r, vermag in der Tat den Danaiden als MBVTreg die Hilfe zu gewahrleisten, die Philomela als virgo nicht mehr erflehen konnte. Die Danaiden versuchen des- halb durch die Anrufung der Artemis lediglich zu erreichen, daB ihnen von seiten ihrer barbarischen Verwandten das erspart bleibt, was Tereus, der barbarus, seiner Verwandten zufuigte; ihre ausgepragteste Form findet dieses Bestreben SUPP. I030-I034: e7dmOL A &yv& aTO?ov OC tCOp?vo, L 8 V7' v&yx o t oc ??koL Kuvkpaxq atyL0v rXoL T63' cROV.

Das unheilvolle 'Vorbild' des Tereus wirkt sich so bestimmend auf das Selbstverstandnis der Danaiden aus. AufschluBreich ftir das AusmaB des Krifteverhaltnisses zwischen den Sohnen des Aigyptos und den T6chtern des Danaos sind die Implikationen des Adjektivs xLpx'Xcx-oq (62). Dieses Ver- haltnis kann durch zwei grdBere Textzusammenhange naher erlautert werden:

a) Die Stelle Prom. 853ff. unterstutzt nicht nur die Lesart ocuToyevn in V. 8 der Supp., sondern erhellt vor allem die Beziehung der Danaiden zu ihren Verfolgern, den Agyptern:

7repLT'nfl O'C7r (XU5 YeVVO 7rV XOVTCL4

7XLv 7rp6q "Apyo4 ou 'xo5a' ?U XeV6'aeL

855 &XvG70opoO, qpryouroc auyyev! yOCLOv O 7J0L o ?T0,UV0 lp VOC4,

XLPXOL 7ex?L(oV OU paxpOv b LCLCULVOL,

yL06G O-%Z.VOVTre OV) .POCCE11o)

Motiv und Verlauf der Flucht der Tochter des Danaos finden demnach in der Prophezeiung des Prometheus eine sehr eindrucksvolle Veranschaulichung; Aischylos setzt die Agypter xLpxoL, die Danaiden entsprechend ?xeLL gleich und erzielt damit eine besondere Wirkung der bereits vertrauten Charakteristik der Hiketiden. Ubertragt man das von Prometheus gewahlte Bild auf Supp. 62, so ergibt sich von selbst, daB die Agypter ebenso wie Tereus als X6pXOL vor- gestellt werden und ihre Opfer somit als xtpx'XcXroL Vogel, als Schwalben bzw. als Tauben. Auf diese Weise rucken die Agypter und Tereus, obwohl sich dessen Situation verschoben hat, in eine Linie; sie verbindet als ausschlag- gebende Gemeinsamkeit ein Prinzip, das durch den Vergleich mit den x'pxorL sinnvoll nachempfunden wird.

b) Eine nicht weniger uberzeugende Bestatigung der bisherigen Interpre- tation enthalt innerhalb der Supp. der Passus 223-229:

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Tereus und die Danaiden bei Aischylos I77

. .. Lv ayv LaZ6,O4 (t)4 7XrS?loc6&V

'L4ra?& XL,pXCV TWV 0pO77rep(O 06x 225 ez,pcv 6'LoxctLv xOCa [LcLVOV' vOV yevoq.

OpVL,Oq OpVL4 7t&)4 av & yv .oL ypoycov; O a' Oav y,Ocv &xou6av &xovroc, TOpC

&yvoc, y6VOLV av;

Aischylos legt so in deln Supplices dem Verhaltnis zwischen Danaiden und Agyptern dasselbe Bild zugrunde wie im Prometheus; auch Danaos versteht die Lage seiner Tochter im Sinne einer Gegeniuberstellung von 7xLa'Xer. und xLpxoL. Tereus und die Agypter erfillen also nach der Vorstellung des Danaos ebenso wie nach dem Empfinden der T6chter selbst die gleiche Funktion. Bedeutsam sind weitere ltbereinstimmungen zwischen Supp. 223 ff. und Prom. 853ff. Die Anktindigung o'U ixo03' Xeuar.T (Prom. 854) weist zumindest formal auf Supp. 227 (&xouaocv) und 39 (&x6vTcov) und bezeichnet auch inhalt- lich denselben Sachverhalt, da die entsclieidende Begriindung - peuyouam

auyyzvn yakov Mv'.L&v - unmittelbar folgt. Gerade dieses Motiv tragt

zugleich wesentlich dazu bei, die Hypothese einer angeborenen Mannerfeind- schaft derDanaiden zu widerlegen (vgl. S. i683 mit S. I76 und I83 bzw. i83'). Die Flucht der Hiketiden (s. yLu&you6ac) ist die Folge ihrer Abneigung gegentiber ganz bestimmten Mannern (s. auyycvn yckov &vLcveJLCv); der gesamte Satzteil - von peuyouJao bis OV?L4)L)V - erklart den pragnanten Ausdruck yuiavopta

(Supp. 8). Andererseits deutet auch die Charakteristik der Agypter-

pLUOVtLe o0 ppafoU4 ya.ou- darauf hin, daB ihre Zielsetzung der

yGPoq - durchaus nicht jedes Mittel rechtfertigt; wenigstens die Form ihres

Werbens (DIipeV?ew) - im Kern sogar die RechtmaBigkeit ihres Anspruches (oUr 0p-aOCGL,ou y0pouq und E c'-o%teVOL cppvocq) - ist so im Prometheus wie in den Supplices (s. u.) in Frage gestellt. Dank der wirkungsvollen asyndeti- schen Junktur &xouaocv axovTo4 7rapo wird in den Supplices sowohl die Ein- stellung des Danaos als auch die seiner Tochter voll verstandlich. "Axouacav bestatigt die Selbstdarstellung in V. 39 (&xOvtowv), wahrend "XOvTo0 McXpO

nachtraglich die Funktion rechtfertigt, die die Danaiden in V. iiff. dem Vater zuschrieben. Aus diesem Grunde kann man in der Verbindung 6axouaocv &xovToq

7&poc eine gelungene Zusammenfassung der schon aus den Anapasten der Parodos vertrauten Argumente erkennen. Ebenso verhalt es sich grundsatzlich mit den iibrigen charakteristischen Angaben.

Das von Aischylos gewahlte Beispiel der Abhangigkeit der tsLr.XL4aeq von

den xLpxoL ist in seinen Konsequenzen voll ausgesch6pft und laBt einige wesentliche Analogieschlulsse zu. Zunachst haben die Beziehungen zwischen den Danaiden und den Agyptern einerseits und zwischen Tereus und seiner zk?o?q andererseits das Verwandtschaftsverhaltnis (0Op07r1epCOv bzw. PocLa.tcov 224 f.) gemeinsam und werden j eweils in derselben Form vorgestellt; diese Form findet in der Gegentiberstellung Opvu,oq opvLq (226) ihre allgemeine

Hermes 97,2 12

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Pragung. Den Danaiden droht so auch nach diesem Vergleich von ihren feind- lichen Verwandten dasselbe Schicksal wie den Opfern des Tereus und der xtpxoL. Dabei ist die Wirkung des Vergleiches drastisch erh6ht durch die Provokation einer bestimmten Vorstellung. (Iocycwv wird entscheidend vor- bereitet durch EXAPFv ... pLaLO'V'TCOV yevoq; uLOuvLv und cpaysZv kenn- zeichnen dasselbe Geschehen. Das Verhalten der xLpxor beruht demnach ein- deutig auf dem Prinzip der Gewalt. Allein dieses Prinzip wird auf die Bezie- hungen zwischen Danaiden und Agyptern - entsprechend yoqtCv axouaov

XoV-o4 Wpcx (227) -ibertragen. Abwegig ware es deshalb, wollte man ,uLo.v6vtovv y6vo4 von ypayov isolieren; denn auf diese Weise mtiBte eine Analogie zu VtatVO6V6'vov als verbindlich anerkannt werden. Eine solche Inter- pretation verbietet sich schon deshalb, weil die Heirat unter Verwandten weder in Griechenland noch in Agypten als pAaa galt, sondern sogar als natiirlich empfunden wurdel; im Einklang mit dieser Auffassung billigt Pelasgos den Agyptern gemaB der aytaTLeoc (Supp. 387-39I)2 prinzipiell ihr Recht zu. Sehr zutreffend folgert darum WECKLEIN a. a. 0. 429, daB der eigent- liche Grund des Vergleiches )#mit a&xouav &aovtoq s&poc angegeben< sei, d. h., daB die Erbt6chter mnicht zu Sklavinnen herabgewtirdigt und nicht wider ihren Willen von dem nachsten Anverwandten zur Ehe gezwungen werden< sollen.

Da also in dem Motiv der Gewalt und des Zwanges der Kern der Ausein- andersetzungen in den Hiketiden des Aischylos zu erkennen ist, werden auch die tibrigen Auswirkungen des Paradeigma Supp. 223 ff. voll verstandlich; die Leitworte p6fpo4 und Mayve'Lv setzen entscheidende Gemeinsamkeiten zwischen dem xLpxXaroq e6p04 und den Danaiden voraus. 4Io6roo (224) kennzeichnet die Einstellung der Danaiden wahrend der Parodos ebensosehr wie wahrend des ganzen Dramas; Angst ist die selbstverstandliche Folge des Zustandes, der die Danaiden mit der xLpx?Xao4oq TNpetcx &oXoZo und den xLpx?0c?oL

treXex allgemein verbindet. Ebenso wesentlich fur die Schltissigkeit der Parallelisierung ist die Bewertung eines moglichen y4o'C zwischen Danaiden und Agyptem. Seit der Charakteristik der aL&voLoc &a6f3c der Aigyptos- sohne steht fest, daB die Danaiden einen y&[oq mit den Vettern als Gakr3p' verwerfen. Danaos unterstutzt diese Einschatzung ausdrticklich; die beiden Satze irsc av &yve6ot cpoayLXv und 7r6q &v yoq.3v &xouGav axovroq 7t&p%

&yvo6 yevoL' ocv enthalten mit dem Anspruch auf allgemeine Anerkennung eim eindeutiges moralisches Kriterium, das auf der Ablehnung jeder Form von Gewalt beruht. Danaos bestatigt so, daB auf Grund des von den Agyptern verkbrperten Handlungsprinzips in einem mit Gewalt erzwungenen yo'4oq der Tatbestand eines y&'oq &vayvoq bzw. &Car5es als erfiillt zu betrachten ist. Folglich gilt fur den von dem :6a04 A.yu oyev- erstrebten yao' wieder-

1 Die richtige Begriundung schon bei C. KRUSE 14I f. 2 Zur Sache vgl. besonders N. WECKLEIN, Studien zu den Hiketiden des Aeschylos,

SB Muinchen, Philos.-philol. u. hist. Cl. Jg. I893, Bd. 2, 424 und 429.

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Tereus und die Danaiden bei Aischylos I79

um derselbe Grundsatz wie fuir das scelus des Tereus; daB die Handlungsweise des Tereus, wenn man von Philokles absieht, Gemeingut darstellt, beweist die Qbereinstimmung der Terminologie (MavMyVo4 impius) bei Aischylos und Ovid, der dem facinus des Tereus noch eine besondere Nuance beizugeben versteht (Met. 6, 473 f.: ipso sceleris molimine Tereus I creditur esse pius laudem- que a crimine sumit; vgl. 482: neque enim minus impius esset). Danaos gibt also den Tochtern recht, wenin sie ihr Los wie in V. 57ff. mit den verhangnis- vollen Ereignissen um Tereus vergleichen. Die potentielle Gefahr eines yo4Fo avayvoc wird durch die Argumentation des Danaos auf jeden Fall noch deutlicher beschworen und fur die Danaiden selber immer bedrohlicher; das unheilvolle Beispiel des Tereus weist in eine bestimmte, auch von Danaos vorausgesehene Zukunft. Die Analogie der V. 223 ff. ist folglich ebenso klar wie die der Kernstelle V. 57ff., deren Verstandnis auch ohne die Hilfe eines OLCOV0t6?X0o gesichert ist.

Nach der Bestatigung, die die oben vorgelegte Interpretation der V. Supp. 57ff. durch Prom. 853 ff. und Supp. 223 ff. erfahren hat', ergibt sich bei einem konsequent durchgefuihrten Vergleich der beiden Sagenkreise eine letzte Gemeinsamkeit. Vom Schicksal des Sohnes der Tjpeta &C?XoZq (0uvrL'5ncn

N 7toLgq ,u6pov 65) heiBt es: 'iq aopro6ovwq C'4XV0 7tp64 XsLP6O eaV aUG-

ucQTOpo4 x6qou -Ou <v (65-67). Der Akt der Gewalt fuihrt in allen Versionen der Tereussage zu einem Mord; die Ermordung des Knaben ist die charak-

1 Das Prinzip der Abhangigkeit und Verfolgung lkft sich natiurlich auch durch ahn- liche Beispiele veranschaulichen; bezeichnenderweise setzen auch alle uibrigen 'similes' (GARVIE 64), die die Hiketiden wahlen, Supp. 57-72 sachlich voraus. Pelasgos gegen- uiber vergleichen sic sich mit dem vom Wolf verfolgten (?uxo&wx'Toq) Kalb: IL' [Le TaV LX6LM Vpuy&aOc 7?PL=pPOI1QV, I ?OUXOL)XTO0V C) 8X4LUXLV i4L 7r&Tp0CLI | W&ToL,q 'lV' &?xa 7tiauvO

IL -U- I x? ?pp&CouaO POT-PrL [x&ou; (Supp.35o -353). I)ie Situation entspricht genau der Not der Danaiden; die einzelnen Begriffe sind lediglich Variationen derselben Lage. Pelasgos schwebt gleichf alls die von den Danaiden in der Parodos beschworene Analogie vor, wenn er ihnen zusichert: O5TOL 7tTePC0YV &p7tuyutz (a'> &xca OaVV (5IO) - ein Bild, das in den Danaiden die Erinnerung an die Worte ihres Vaters (223f.) ebenso wie an das Los der xLpxmaToq Tp%tLa oiXoZo; wachruft und ihre Angst noch steigert, da sie die Apxot in ihrer Phantasie die Gestalt von ap&xovxwq annehmen lassen: ?X' eL apox6vTov 8aqppovcov &xtLLOMLV

(5II). Verstandlicherweise werden die Verfolger deshalb in der h6chsten Stufe der Furcht als &pxXvot bzw. kXLMVOL empfunden (vgl. 886f. und 895f.). Sehr ahnlich schildert wiederum Ovid die Angst der von Tereus bedrohten Philomela (Met. 6, 527-530): Illa tremit, velut agna pavens, quae saucia cani ore excussa lupi nondum sibi tuta videtur; I utque columba suo madefactis sanguine plumis horyet adhuc, avidosque timet, quibus haeserat, ungues. Das Bild der furchtsamen columba ist vollig gleich dem der als 7rete?Laeq vorgestellten Danaiden; ein Raubvogel wie xLpxoi ist bei Ovid notwendigerweise vorausgesetzt. Ovid bestatigt folglich die Analogieschliisse, die die Vergleiche bei Aischylos gestatten; Philomela und die Danaiden werden als 7XetCBeq bzw. columbae verstanden, die ihren Verfolgern - Tereus und den Agyptern - wehrlos ausgeliefert sind. Das gleiche gilt im Prinzip auch fuir das von Ovid gewahlte Verhaltnis der agna zum lupus; agna entspricht 0oc'4axt (35I), und lupus ist sogar w6rtlich in XuxoaLcoxro; (ebenfalls 35I) enthalten. Die Schilderung Ovids erganzt somit sehr eindrucksvoll die einheitliche Selbstdarstellung der Danaiden.

12*

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i8o KARL AUGUST NEUHAUSEN

teristische Folge der Freveltat des Tereus. Reduziert man diesen Vorgang auf das allgemeine Prinzip, das in der Angabe wXvro ebenso wie in Ci5-'ocp6vwq enthalten ist, so ist das tertium comparationis zur Danaidensage gesichert. Bereits in den Anapasten der Parodos (33-36) - also fast unmittelbar vor dem Tereus-Paradeigma - hatten die Hiketiden den Tod ihrer Verfolger einem yokpoq &ae43 eindeutig vorgezogen: ... XotLVTo. Dieser Wunsch weist in eine verhangnisvolle Richtung: OXOLVTo impliziert bereits die M6g- lichkeit eines gewaltsamen Untergangs der Agypter; offen bleibt lediglich noch die Form der Verwirklichung dieses radikalen Endzieles. DaB die Danaiden, obwohl sie keineswegs grundsatzlich als Amazonen verstanden werden diurfen (vgl. K. v. FRITZ und S. I833), zu Extremen neigen, beweist schon innerhalb der Parodos ihr EntschluB, den Selbstmord fur den Fall zu wahlen, daB ihre ?LvraxL (I74) nicht erhort werden; an die wiederholte Bitte aTzpppto agev&

pxyoc [aupo, EUvocq &vapxv ? ?, ocya,uov &oc Cqtov expUyeV (I4 1I43

I5I -I53) schlieBt sich die scharf formulierte Drohung an: 8? p , . . . Znvx 'r6,v xL)6[XLTcV x60ac a6Uv %X(BoLq Opr(aOVaL4 bavUo5ao, pL TUXo0UaL k62V

'O?U?GLcV (I54-i6i). Diese Ankiindigung ist, wie die V. 455-467 be- weisen, sehr ernst gemeint. Nimmt man die Aussagen XOWLVTO (36) und xp- TIVcOLc avoi6at (I60) zusammen, wird auf jeden Fall verstandlich, wie es zu der schrecklichen Mordnacht kommen konnte, die Jo (Aesch. Prom. 859ff.) so drastisch geschildert hat; wer anderen offen und ernsthaft den Tod wiinschen kann und aus demselben Grund vor Selbstmord nicht zuruckschreckt, ist auch selbst zum Mord fahig. Der Zorn der Danaiden steht folglich dem X6TO5 der

T-p%oc &o?xoZo (Supp. 67) bzw. der ira der Prokne bei Ovid' faktisch nicht nach; in beiden Fallen fiuhrt derselbe Vorgang zu denselben Reaktionen, d. h. zu Cpovot gemaB oc&pop6voq (Supp. 65) 2. Dabei entsprechen der Tat der Prokne bei Ovid3 bei Aischylos die Ausdriicke 4Xux6oV "Ap?L aupIv-rv vuxwT-

ypoupnT cpaplc (Prom. 86of.), xTeZvat (866) und ~tLp6Vo0q (868) ebenso wie die biindige Aussage yuvw yo&p "v8p' `x1artov oCvo0 Gepe, I fah'xtoXrv ?v

cypocymaLcyt PcXaoc iLcpo (862 f.) 4.

1 Met. 6, 6o9f.: ... Ardet et iram non capit ipsa suam Procne; 623: ... tacitaque exaestuat ira; 627: . . . infractaque constitit ira.

2 Wollte man deshalb etwa die Zahlen i und 49 gegeneinander abwagen und infolge- dessen einen wesentlichen Unterschied geltend machen, wuirde man den Kern der Sache verfehlen; die Ermordung des 7rcxa (Supp. 65) beruht ebenso wie die der Agypter prinzi- piell auf nur einer Entscheidung. Vor allem das Verhalten der Hypermestra (s. u.) beweist, daB ihre Einstellung die ihrer 49 Schwestern voll aufwiegt.

3 Met. 6, 6I3 ( ... in omne nefas ego me ... paravi) - ein EntschluB, dem die Tat un- mittelbar folgt: . . . nec plura locuta I triste parat facinus (622 f.).

4 Noch wirkungsvoller ist die Schilderung bei Horaz: Quae velut nactae vitulos leaenae singulos eheu lacerant (c. 3, II, 41 f.); denn die verschiedenen Vergleiche aus dem Tierbe- reich, die das Verhaltnis des Tereus und der Agypter zu Prokne, Philomela und den Dana- iden betreffen, sind jetzt in genau umgekehrtem Sinne zu verstehen: Die Danaiden werden als reiBende Tiere vorgestellt, ihre Opfer sind ihre einstigen Verfolger.

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Tereus und die Danaiden bei Aischylos I8I

Diese konsequente Haltung der Danaiden muB bis zu einem gewissen Grade tiberraschen; denn im Gegensatz zu Tereus und den Agyptern werden sowohl die Danaiden als auch die beiden Schwestern - ganz im Sinne Hypermestras bei Aischylos (Prom. 868: 6wvoXxL) und bei Ovid' - als hilflose Geschopfe, zumindest als unkriegerisch und also Ares feindlich dargestellt 2, wie j a auch besonders die zahlreichen Vergleiche zeigen, die ihre Furcht und Angst be- treffen. Im Segenslied auf Argos werden gerade Ares und seine verheerenden Schaden nachdrucklich abgewehrt (Supp. 637, 665, 682). Die Wuinsche der Danaiden sind eindeutig auf das abschreckende Beispiel der Agypter abgestellt, die ja ein ausgepragtes martialisches Gebaren kennzeichnet. Diese Beobachtung ergibt sich nicht nur aus der einheitlichen Schilderung der izipcg und 3oc der Agypter wahrend des gesamten Dramas. Die Sorge der Danaiden (74I f.) ist mit Recht - vgl. z. B. WILAMOWITZ, Aisch. Int. I5 - als Hinweis auf fruihere

Gewalttaten der Agypter verstanden worden; die Danaiden setzen die kriege- rische Haltung der Vettern als bestimmenden, unveranderlichen und allgemein anerkannten Charakterzug voraus (s. auch 750f.). Wesentlich fur die Gleich- setzung der Agypter und des Tereus muB es sein, daB gerade Tereus als Sohn des Ares galt (Belege bei ROSCHER s. v. T.). Abstammung und Verhalten des Tereus stimmen - so muB sich die Lage fur die Danaiden darstellen - vollig mit dem uiberein, was die Agypter entweder bereits getan haben oder durch- zusetzen drohen.

Blickt man auf die nachgewiesenen grundsatzlichen Gemeinsamkeiten der Sagenkreise um Tereus und die Danaiden zuruick, erkennt man, daB dem Paradeigma des Tereus eine dramatische Funktion zuerkannt ist, die weit uiber die Parodos der Hiketiden hinausweist: Das Tereus-Modell beherrscht die Selbstvorstellung der Danaiden bis zur Katastrophe und nimmt so fur den Gesamtaufbau der Trilogie eine Schltisselstellung ein. Das Verhalten der Dana- iden vereinigt die charakteristischen Motive, die das Schicksal der Prokne und Philomela bestimmen; auf die Erfahrung des Leides der Philomela folgt die Reaktion im Sinne der Prokne. Da innerhalb des Vergleiches Supp. 57ff. die Handlungsweise des Tereus allein als Ursache der tragischen Entwicklung anzusehen ist, ist es logisch, wenn Aischylos sich auf die Erinnerung an Tereus beschrankt und auf andere Namen verzichtet. Im Rulckblick auf Tereus ist fur

Femina sum et virgo, natura mitis et annis (Her. I4, 55); vgl. 56 und 65f.! 2 Die Sentenz yuv? VvveOta' oU8,v' oUx vea'r' "Ap- (Supp. 749) ist naturlich als

Selbstaussage zu verstehen und gewinnt dadurch entscheidend an Wirkung, daB die sehr treffende Charakteristik der Agypter (749-5I) direkt gegenuibergestellt ist. Bezeichnender- weise ist die Selbstaussage der Danaiden von Sophokles in seinem Tereus (Fr. 524, I -3) sogar formal uibernommen worden; yuv-r ... oiu8av ist ersetzt durch 7 yuvocLxeLoc cpuaLq o'8a', und ZxcpL entspricht genau tovcoftTa'. Folglich trifft weder auf die Danaiden noch auf Prokne oder Philomela die Anschauung des Orest (Soph. El. 1243f.: .. . xciv yUvoLc'v ct "Ap I |vearwv), sondern die der Elektra zu, die sich genau wie die Danaiden (Supp. I49f.) auf Artemis als oduv &c.d-ro beruft (Soph. El. I239).

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die Danaiden ihr vergangenes, gegenwartiges und zukiinftiges Schicksal bei- spielhaft einbeschlossen.

Dieses Ergebnis ermoglicht - unabhangig vom Selbstverstandnis der Danaiden - Einsichten in die tragischen Zusammenhange des aschyleischen Dramas. Denn die Einmultigkeit und Geschlossenheit, die die Einstellung der Hiketiden unter dem EinfluB des Tereus-Paradeigma kennzeichnet, ist letzten Endes durch das Verhalten der Hypermestra entscheidend zerstort worden: ,LVocv a? 7=od%v '4IZpoq % E 76 ty J XtLVaL CUv vuvov, &?XX' ObrXuvUVn-

CrToaL| y'v6[LY~ auOLV 8? aMT? pov 3OU?aL, j XXV?LV vacxXL pa&xov

V tocptvoq (Prom. 865 -868); die gleiche Haltung zeichnet wiederum Hyper-

mestra bei Ovid aus'. Ihre Entscheidung enthalt eine grundsatzliche Kritik der Schwestern; die Ermordung der Agypter ist fur Hypermestra, wie auch die Reflexion bei Ovid beweist2, ein ne/as und so dem lacinus (bzw. scelus) der Prokne3 ebenso gleichzusetzen wie der von den Danaiden so scharf verurteilten Einstellung der Aigyptoss6hne (O& Xx&Mc); diese Gleichsetzung ist so auch formal durch die tVbereinstimmung der negativen Werturteile sichergestellt. Da Hypermestra die Einheit der Danaiden erst in der Mordnacht bricht, ist der Ausgangspunkt fur die entscheidende Frage gegeben: haben die Danaiden recht, wenn sie das Tereus-Modell so weit anwenden, wie es ihr Mord erkennen laBt, oder ist Hypermestra im Recht, die vor diesem Extrem zurtickschreckt ?

Die Beantwortung dieser Fragen setzt eine Prufung der Rechtsverhaltnisse des Tereus und der Agypter voraus. Tereus, ein verheirateter Mann, kann sich gegenuber der Schwester seiner Frau nur auf das Prinzip der Gewalt berufen. Gewaltsamkeit ist zwar auch das charakteristische Merkmal der Agypter; aber sie k6nnen sich auBerdem - wie bereits angedeutet4 - auf andere, uiber- zeugendere Argumente sttitzen , zumal da sie als Unverheiratete im Gegensatz

1 Vgl. den gesamten Brief Hypermestras an Lynkeus (Her. I4), besonders 49f. (Et

timor et pietas crudelibus obstitit ausis, castaque mandatum dextra refugit opus) und 5f- (Quod manus extimuit iugulo demittere ferrum, I sum rea); esse ream praestat quam sic placu- isse parenti (7) gibt sogar formal die Alternative bei Aischylos (Prom. 867 f.) wieder.

2 Hypermestra versteht ihr Verhalten, fir das sie eine harte Kerkerstrafe erleiden mul3 (Ov. Her. I4, 3ff. und Hor. C. 3, II, 46: ... quod viro clemens misero peperci), bewuBt als Gegensatz zu den facta nefanda (Ov. a. a. 0. I6) ihrer saevae sorores (15) bzw. ihres saevus pater (53): sie beruft sich auf pietas (49, 84, I29; pius: 4, I4, 64, I23) und wertet

folgerichtig die grausame Ermordung der gerade vermahlten Agypter (nex: I2; caedes: 8, I9, 59; crudelis: 49) als crimen (2, 8o), scelus (6, 15; ebenso Hor. a. a. 0. 25 und Prop. 4, 7, 68) und nefas (I6: facta nefanda), da die der pietas genau entgegengesetzte Haltung (impius 26; ebenso Hor. a. a. 0. 30f.) zugrundeliegt. Nichts kann die kontraren Positionen besser beleuchten als das bittere Urteil: ... laudarer, si scelus ausa forem (6).

3 Aesch. Supp. 65-67 entspricht Ov. Met. 6, 60gff. 4 Vgl. S. I78 mit Anm. I und 2. Vor allem auch die Unschliussigkeit des Pelasgos von

Beginn an (s. besonders Supp. 344) bis zur endgfiltigen Entscheidung zeigt, daB das Recht nicht so vbllig einseitig verteilt ist, wie die Danaiden wahrhaben wollen; s. auch GARVIE 212 ff.

5 Das gewalttatige Auftreten des Herolds (872ff.), durch das die Agypter wiederum

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Tereus und die Danaiden bei Aischylos I83

zu Tereus prinzipiell ein Recht auf Werbung und damit auf den y4toq haben. Folglich ist das, was das Wesentliche der Tat des Tereus ausmacht, - objektiv betrachtet - nicht ohne weiteres dem von den Agyptern (wenn auch mit Gewalt) erstrebten Ziel gleichzusetzen; daB es schlieBlich zu einem wenigstens vertraglich gesicherten y&cios gekommen ist, zeigt dann ja auch, wo selbst auf seiten der Agypter die Grenzen der Gewaltsamkeit liegen. Diese Unterschiede werden von den Danaiden ganzlich ignoriert oder verworfen. In ihrer Vorstel- lung ist fur die Beurteilung der Agypter allein die Verhaltensweise maBgebend, die durch das Tereus-Paradeigma verdeutlicht wird. Diese Einseitigkeit birgt, obgleich sie subjektiv wohl verstandlich ist, eine groBe Gefahr. Zwar ist es verfehlt, von einem angeborenen MannerhaB der Danaiden zu sprechen (vgl. S. i683; 176; I77); die eindringliche Mahnung des Danaos an seine T6chter, ihm in der fremden Stadt keine Schande zu machen (Supp. 996-IOO9), hat nur Sinn unter der Voraussetzung, daB die Danaiden eines solchen vou-&&ruoc auch wirklich bediirfen und deshalb keineswegs prinzipiell mannerfeindlich einge- stellt sind . AuBerdem sind die Danaiden, wie mit Sicherheit anzunehmen ist 2,

nach der Ermordung der Agypter entsuhnt und doch noch verheiratet worden. Aber bevor es zu diesem vers6hnlichen Ende der Tragodie - ahnlich wie in der Orestie - kommen konnte, muBten die Danaiden verschiedene Lehren hin- nehmen.

Innerhalb des Hiketidendramas weisen nicht nur Pelasgos 3, sondern vor allem auch die Dienerinnen auf die Bedeutung des y4toq hin. Sie erinnern an die Erfahrungen in der Vergangenheit - ptr& 7roUCv a yo'p wv ae rsu-rc I -itpo-rp0V 1tX0L yevo xiv (Supp. -050f.) und empfehlen deshalb sogar den von den Danaiden nochmals mit Nachdruck verschmahten y4uo4 AMyu7nto- yevs (Io52f.) als die beste Losung des Problems: ro ~e,V u v a -otov Zso L

(I054). Dieser Rat wird sehr wirkungsvoll untersttitzt durch den Preis der Hera fast gleichgestellten Aphrodite und ihres Gefolges (Supp. I034-I042);

von vornherein ins Unrecht gesetzt werden, darf nicht daruiber hinwegtauschen, daB3 wenigstens vom Standpunkt des menschlichen Rechts (vgl. v64)t n6X6co und xocc'r v6opou4

TOUq O'LxO?v Supp. 388 -390) ein Besitzrecht der Agypter iuber die Danaiden vorliegt (s. dazu KAUFMANN-BtHLER 45 f.). Fur freundliche Hinweise danke ich H. DILLER.

1 Ein weitverbreitetes, folgenschweres Vorurteil enthalt das Referat von W. KRAUS, Ai- schylos: Die Schutzsuchenden, Frankfurt/M. I948, 152: ))Wie kommt der Vater, so hat man sich gefragt, der doch das grundsatzlich sprode Wesen dieser Jungfrauen kennt, zu so un- angebrachten Mahnungen ? . Die durch das Verhalten der Agypter bestimmte Einstellung der Danaiden darf man nicht im Sinne einer Typologie deuten; eine solche Betrachtungs- weise wird der Kom6die des Hellenismus gerechter als der Tragodie des Aischylos. Die Danaiden stellen nicht einen 'Typ' dar wie etwa die Amazonen, sondern entwickeln ihren Charakter von ihrer puE,xvoptoc (Supp. 8 im Sinne von Prom. 855 f.) bis zu ihrer von Aphrodite selbst vorbereiteten Wiedervermahlung (s. u.).

2 Vgl. neben K. v. FRITZ (passim) auch A. LESKY, Die griechische Tragodie, Stuttgart I9643, 98, und Geschichte der griechischen Literatur, Bern-Muinchen i9632, 282.

3 Vgl. SuPP. 338: olftivoq tv oU'Zo5 (txov au%?l pporoZl.

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der Hinweis auf die Sphare der gbttlichen Ordnungen muB sich entscheidend auf die Beurteilung der Danaiden auswirken. Ganz im Dienste der eindring- lichen Mahnungen des SchluBteiles der Supplices steht das Satyrspiel Amymone, in dem - wie K. v. FRITZ einleuchtend entwickelt hat (igif.) - das tragische Geschehen der Trilogie 'komisch variiert' wird. Die tiefe Abneigung der Amy- mone gegenilber dem zudringlichen Satyrn, der ihr Gewalt antun will, ent- spricht genau der durch das Tereus-Modell bestimmten Einschatzung der Agypter seitens der Danaiden. Die Losung des Konfliktes im Satyrspiel ge- wahrleistet das Verhalten Poseidons, das sich grundsatzlich von dem des Satyrn, des Tereus und der Agypter unterscheidet; Poseidon richtet sich nach dem Gesetz Aphrodites - Supp. I038- IO40: tu2oc&XOLVoL Z yp&SOC atocpi 7CapevV j fl|o&Oq r, Out'0?rV onapVoV | T 6XXTOPL HseoL - und handelt folglich so, wie Pelasgos es von den Agyptern vergeblich fordert (Supp.

940f.: . . e. 7rsp m rLOL X6yoq); auf der anderen Seite ist genau die Haltung vorausgesetzt, die Hypermestra kennzeichnet (Prom. 865: ... 4?upog

$gi?L). Da also - ganz im Sinne von Supp. 940f. (..x. Ouaq . . . xT

R)VOLOCV qppCVWV &yoL4 av) -7cet&X und 'tsUppo; bzw. 7r6o'? den Erfolg der Werbung sichern1, kann Poseidon dem Satyrn (Fr. I5 N.: &pcu6xOV xv aBo&oc) seine Bestimmung ebenso zuweisen wie Amymone, der Tochter des Danaos: cOL ,U?V yapezaG = [lop6LV, yoqizZv 8' [to' (Fr. I3 N.).

Gerade dieses Gebot konnen die Danaiden, obwohl ihre Natur #>im Grunde eine weibliche, dem E'pcog offen stehende, zur Ehe bestimmte ist(( (K. v. FRITZ

I9I), infolge ihrer einseitigen Bewertung des Anspruches der Agypter nicht mehr anerkennen und haben so die Warnung ihres Vaters (Supp. 996ff.), die einer tibertriebenen Huldigung an Aphrodite galt, ins gerade Gegenteil ver- kehrt2. lhre extreme Haltung geht so weit, daB sie sich nicht mehr umstimmen lassen: ru 's $&?XyOLq "v &k)?X-Tov (Io5). Diese radikale Einstellung schliel3t die M6glichkeit einer maBvollen Besinnung aus; die Pflicht, die Grenzen des von den Danaiden geltend gemachten Rechtes zu bedenken, bleibt den Diene- rinnen vorbehalten; ,te'rpLov vi3v ?`Co e'Uxou (I059) weist in dieselbe Richtung wie -a' kCov p.iv &yok4v (Io6I). ))Den Gottern gegentiber das MaB nicht zu verlieren, d. h. keiner Gottheit die ihr gebuihrende Anerkennung zu ver-

1 Bemerkenswerterweise entsprechen Jd&OL (Supp. 941) und ll19oZ (IO40), ?>XxOpL

(I040) und 9XArL (Prom. 865), 'Wepoq (Prom. 865), ll64*oq (Supp. I039) und xar' rSuvotocv

cpPv7w (940) einander inhaltlich und formal. 2 Ausgenommcn bleibt natuirlich Hypermestra, deren positive Einstellung zum yasuoq

sie wenigstens zu diesem Zeitpunkt von den uibrigen Danaostochtern unterscheidet: Una

de multis face nuptiali digna . . . (Hor. a. a. 0. 33 f.); sie ist so der sprbden Lyde, die an die

von Poseidon umworbene Amymone im Satyrspiel der Danaidentrilogie erinnert, ebenso

wie ihren Sohwestern als Koatrastfigur gegenubergestellt. Zur Entlastung der Danaiden

tragt der Umstand bei, daB ihrer Einstellung zu den Agyptern offenbar das fehlt, was das

Leitwort Venus bei Horaz (50) fur Hypermestra beweist; diesen RuckschluB erlaubt auch

Supp. 337: '4q a' &v (90,05a' 6VOLTO T06o XEXrWLVOVu;

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Tereus und die Danaiden bei Aischylos I85

sagen#< (KRAUS 153), ist zweifellos das, was Aischylos als Tragiker lehren will. Im konkreten Sinne besteht die Verletzung der gottlichen Ordnungen darin, daB die Danaiden sich entgegen der Mahnung Supp. I034ff. gegen Hera und Aphrodite auflehnen; die )>Verletzung ihrer zarten Weiblichkeit durch die rohe Art ... der Aigyptoss6hne hat sie herausgeworfen aus der natuirlichen Ordnung des Weiblichen ... <( und sie ))mit Abscheu erftillt gegen jede Ehe und gegen jede Verbindung mit dem Mann# (K. v. FRITZ I83 bzw. I85). Der Preis des ep&o als kosmisches Gesetz in dem bertihmten Aphroditefragment (44 N.) dient ganz der Wiederherstellung der gbttlichen Ordnungen, wie sie durch die Wiedervermahlung der Danaiden sichtbar zum Ausdruck kommt.

Die Schuld der Danaiden liegt folglich nicht so sehr darin, daB sie das Tereus-Modell auf ihr Verhaltnis zu den Agyptern iibertragen; dieses Verfahren ist vielmehr vom subjektiven Standpunkt aus sehr einleuchtend und auch objektiv insofern zulassig, als die vpq und &a'PeLao der Agypter tatsachlich auf ihrer Gewaltsamkeit beruht1, also auf das Verhalten zurtickzuftihren ist, das die Agypter vor allem mit Tereus gemeinsam haben. Die Grenzen des Tereus-Paradeigma offenbaren sich erst, wenn man das AusmaB des An- spruches, den die Danaiden ableiten, in Rechnung stellt. MaBlosigkeit bestimmt ihr Verhalten von ihrer ))wehleidigen Selbstschilderung<# (KRAUS I24) in der Parodos bis zu ihrer starren Ablehnung einer versohnlicheren, einsichtsvolleren Haltung, die den Mord hatte verhindern k6nnen. Gerade jene pathetische Form der Klagen, die dem Leid der Philomela und Prokne bei Ovid in jeder Weise angemessen erscheint, gibt zwar ebenso treffend auch das subjektive Empfinden der Danaiden bei Aischylos wieder. Da sie aber faktisch den wesent- lichen Unterschied zwischen Tereus und den Agyptern auBer acht lassen, ihren Rechtsanspruch so extrem ubersteigern und infolgedessen schlieBlich gegen ein gottliches Gebot verstoBen, kann gleichzeitig die objektive Berechtigung des Tereus-Modells nicht mehr voll anerkannt werden; selbst wenn die Agypter auf Grund ihres Tereus so sehr verwandten Charakters den Tod verdient haben sollten, trifft die Danaiden eine ebenso groBe Schuld, da ihre Mordtat derselben Verurteilung sicher ist 2. Mit Notwendigkeit - ahnlich wie in anderen Dramen des Aischylos3 - ftihrt das Selbstverstandnis der Danaiden zum tragischen

1 Zu diesem Ergebnis gelangt auch KAUFMANN-BtHLER (47-49) vom Dike-Problem her; den dort ausgewerteten Stellen sind vor allem Supp. 104 ff. und 749 -751 hinzuzufuigen (vgl. auch K. v. FRITZ i87f.). In der Tat besteht die objektive Schuld der Agypter darin, daB sie ihren menschlichen Rechtsanspruch dem gottlichen Recht nicht unterordnen, sondern dieses bewuBt verletzen.

2 DaB die Freveltat der Danaiden obj ektiv nicht gunstiger bewertet werden kann als das Verhalten der Agypter, gibt auch Hypermestra bei Ovid zu verstehen: finge viros meruisse moyi: quidfecimus ipsae? (Her. I4, 63); im selben Sinne GARVIE 213 -5.

3 *Notwendigkeit und Frevel zugleich ( (A. LESKY, Die griech. Trag...., III) war auch der Muttermord des Orest. Allerdings kann sich Orest auf einen g6ttlichen - Apollons -

Befehl berufen, die Danaiden nicht; auf3erdem kennzeichnet Orest vor allem im Gegensatz

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Verhangnis; der Gattenmord ist die letzte Konsequenz, die die Berufung auf die Tlpeaod &oxoy impliziert. So kommt dem Tereus-Paradeigma eine doppelte Funktion zu; es tragt wesentlich bei zum Verstandnis der subjektiven Vor- stellungen der Danaiden, die ihr Handeln bis zum frevelhaften Freiermord bestimmen, und laBt so zugleich objektiv jene Grenzen erkennen, deren Ver- letzung zwangslaufig schwere Schuld nach sich zieht. Bedenkt man, daB sich das Leitbild des Tereus von der Parodos der Supplices an auf die gesamte Tetralogie auswirkt, wird eine kuinstlerische Gestaltung sichtbar, die nicht geringer einzuschatzen ist als die Entwicklung bestimmender Motive in den ubrigen erhaltenen Dramen des Aischylos .

Bonn KARL AUGUST NEUHAUSEN

zu allen anderen Gestalten der aschyleischen Trag6die die Erkenntnis der beiden kontraren Rechtsspharen (vgl. Cho. 46I) und die Einsicht in die Widerrechtlichkeit seiner eigenen Tat. DaB *dieselbe Tat Notwendigkeit ... und zur selben Zeit doch schwerste Schuld e (A. LES-

KY, Gesch. d. griech. Lit...., 277) bedeuten kann, zeigen auch die tragischen Voraus- setzungen, die zum Brudermord in den Septem fuhren. Der Hauptvorwurf, den Eteokles gegen Polyneikes richtet, ist derselbe, den die Danaiden gegen die Agypter erheben: Asebie und Hybris (vgl. KAUFMANN-BtHLER 52). Eteokles hat - wie die Danaiden - insofern recht, als Polyneikes - wie die Agypter (und auch wie Agamemnon und Klytaimnestra) - gegen g6ttliches Recht verstoBt. Wenn H. DILLER (im Hinblick auf die nachgewiesene entscheidende Tatsache, daB sich die Danaiden auf Grund ihrer Gleichsetzung der Ver- haltensweisen des Tereus und der Agypter fuir berechtigt halten, ihre Vettern umzubringen) - brieflich - bemerkt, daB )#in dem guten Gewissen, in dem der Mensch an seine Taten herangeht, der tragische Irrtum liegt#, so rechtfertigt diese Bestatigung der vorgelegten Interpretationen zugleich den Versuch, die Kerngedanken der Danaidentrilogie in grol3erem Maf3e, als es die Friuhdatierung zulassen konnte, mit den Leitmotiven der ubrigen Trag6dien zu vergleichen (s. auch S. i861). Eine solche systematische Betrachtungsweise wuirde sicherlich - ganz im Sinne von W. NESTLE (Gnomon Io, I934, 4II) ebenso wie von A. LESKY (Gesch. d. gr. Lit., 272; Die gr. Trag., 86) - wenigstens zeigen lassen, daB den Motivationen in den Supplices keine 'archaische Komposition' zugrunde liegt, und so zu- gleich einiges zu den grundlegend neuen Erkenntnissen beitragen helfen, die seit der Publikation des Ox. Pap. 20 (I952), 2256, fr. 3 und dem bahnbrechenden Aufsatz von A. LESKY (Hermes 82, 1954, I -I 3; vgl. Die tragische Dichtung der Hellenen, G6ttingen 2I964, 59-7I, 230) im Hinblick auf die Tragodie des Aischylos und die attische Trag6die uberhaupt gewonnen worden sind (s. auch H. LLOYD-JONEs, Ant. Class. 33, I964, 356-

374, und A. F. GARVIE 88-I40). 1 Eine vergleichende Untersuchung der Parodoi laBt deshalb wichtige Aufschltlsse hin-

sichtlich der dramatischen Kunst des Aischylos erwarten. Da das Tereus-Modell die wesent- lichen Motive der Parodos der Supplices enthalt, ist zugleich die Beantwortung der grund- legenden Frage, welche Funktion die Parodos innerhalb des Hiketidendramas erfuillt, entscheidend vorbereitet. Wer mit GARVIE (123) zu dem Ergebnis gelangt )>Aeschylus ... seems to have tried in various ways to integrate his prologues in the dramatic structure of his plays((, kann sich gerade auf Supp. 57-72 berufen, da dieser Vergleich nicht nur in das Drama integriert ist, sondern als einziger alle Formen der Selbstdarstellung der Danaiden erklart und deshalb nicht etwa als Exkurs aus dem Gesamtzusammenhang gelost werden darf.