\"Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht!\" Doppelgänger, Tonfilmtechnik und...

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Lihi Nagler, Philipp Stiasny

,,lch will nicht, ich will nicht, ich will nicht!"Doppelgänger, Tonfilmtechnik und Psychoanalyse in RobertWienes Den Anoene (1930)

DER ANDERE (D 1930, R: Robert Wiene)Wiederentdeckt 145, 5. Juni 2009

Es ist eine der eindringlichsten Szenen der deutschen Filmgeschichte:

,.Immer, immer muss ich durch Straßen gehen und immer spür ich, da isteiner hinter mir her - das bin ich selber * und verfolgt mich! [...] Wer

weiß denn. wie es in mir aussieht? Wie es schreit und brüttt da innen?Wie ich es tun muss, nicht witt! Muss, will nicht, muss! Und dann schreiteine Stimme, und ich kann es nicht mehr hören! Hilfe! Ich kann nicht, ichkann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht!" Wir hören die Stimme vonPeter Lorre, der sich in der Rolle des Kindermörders Beckert in Fritz Langs

M (1931) vor dem Tribunal der Unterwelt rechtfertigen soll. Erst sprichter in normaler Lautstärke, wird dann lauter. beginnt zu schreien, seine

Stimme kippt, wird leiser und ist zum Schluss nur noch ein Flüstern. Wirwerden Zeugen, wie Beckert stimmlich, mimisch und gestisch seiner inne-ren Zerrissenheit Ausdruck verleiht, wie er an sich selbst verzweifelt undzusammenbricht, Wir sehen einen Menschen, der voller Grauen den kran-ken, den mörderischen Teil seiner Persöntichkeit erkennt, sein Alter Ego,

sein,,Anderes", seinen Doppelgänger.

Die Szene aus M hat einen vergessenen Gegenpart in Robert Wienes ers-

tem, vom Geist der Psychoanalyse getragenen Tonfilm DrR ANnrRs (1930):

Auch hier geht es um einen Protagonisten mit einer Persönlichkeitsspal-tung und die Frage, wie darauf zu reagieren sei. Und auch hier kulminiertdas Drama in einer Aussprache, in der der Protagonist (gespiett von FritzKortner) sich seinem ,,Anderen" stellen muss und voller Entsetzen ruft:,,Was tue ich? Ich will doch nicht! Ich will nicht, ich witl nicht, ich willnicht!" Damit soll nicht gesagt sein, dass Lang und Lorre sich bewusst aufWienes Film bezogen haben, doch die Nähe ist frappierend. Unabhängigdavon, ob sich direkte Verbindungen zwischen dem Film von 1930 unddem von 1931 herstellen lassen, könnte man von einem gemeinsamen Dis-

kurs sprechen, einem gewissermaßen über Bande gespielten Dialog. Tat-

sächlich erscheint ein solcher Dialog oder Austausch für eine Einordnungvon Wienes DrR Antlnr fundamental.

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Zwei Filme im Dialog. Eine Verlagerung der Aufmerksamkeit auf jenenintertextuellen Diatog und die Wechselwirkungen zwischen Filmerzäh-lung, Technologie und Kino-Diskurs kann dabei für ein besseres Verständ-nis von DER ANDERE hitfreich sein. Wienes Remake von Max Macks gleich-namigem, 1913 uraufgeführtem Fitm steht hier stellvertretend für andereDoppelgängerfilme, von denen Drn Srutrur voN PRAG (1913) und dessen Re-makes von L926 und 1935 die bekanntesten sind. Heute, mehr als g0 Jahrespäter, hat Wienes in Vergessenheit geratener Film eine Wiederentdeckungverdient, wie die l4lorte seiner Biografen Uti Jung und Walter Schatzbergbelegen:,,In seinem ersten Tonfilm [...] arbeitete Wiene an einem Stoff.der in einzigartiger Weise für sein gesamtes 0euvre als Drehbuchautor undRegisseur repräsentativ ist. Viele Themen und Motive, die immer wiederbei ihm auftauchen, werden hier zusammengeführt: das Motiv der Gerech-tigkeit, Gerichtsszenen, sein Interesse an Psychologie. Wahnsinn, Sub-jektivität. Die ausdrücktiche Parteinahme für die psychoanalyse könntedurchaus Ausdruck von Wienes eigenen Überzeugungen sein."1

In den kanonischen Texten von Siegfried Kracauer und Lotte Eisner er-scheinen die Filme des Weimarer Kinos, ihre Inhalte und protagonistenzumeist ats Spiegetbilder der deutschen Gesellschaft, als SpiegeLbildereiner deutschen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft., 0ffen bliebnicht nur die Frage. ob die Vorstellung von Kunst als einem Medium derReflexion und Spiegelung von Realität nicht zu kurz greift, sondern auch,ob man eigenttich Filme, die zu ihrer Herstellung nötige Technologie unddie Gesellschaft, in der die Filme hergestellt wurden, getrennt voneinan-der betrachten könne. Zu schwach wurde auch die soziale und kulturelleBedeutung des Kinos akzentuiert - so, als sei es mögtich, die Geschichteder Moderne auch ohne die Institution Kino zu schreiben. Bei Kracauerund Eisner, aber auch in jüngeren Arbeiten, reflektieren die Fitme desI{leimarer Kinos eine Gesellschaft, die sich auf Hitler zu bewegt und un-ter Klassengegensätzen ächzt; eine Gesetlschaft, deren Künstler und In-tellektuelle die Geheimnisse der deutschen Seele ergründen wollen, derRomantik des 19. Jahrhunderts zu einer Renaissance verhelfen und sichder Psychoanalyse verschreiben; eine Gesell.schaft, die vom unbewäLtig-ten Trauma des Ersten Wettkriegs und den Folgen der einschneidenden

Uli Jung,WalterSchatzberg: RobertWene, DerColigori-ReglsseurBerlin 1995,S. l6l;zuDER ANDERE auch ebd,, S. 154- 163 sowie dies.: Zur Genese eines Filmstoffs: DER ANDERTvonMaxlYack(1912)undRobertWiene(1930). ln:Filmwörts, Nr:28, 1993,S.39-41.I Vgi, Siegfried Kracauer: Von Coligort zu Hitler Eine psychologische Geschichte des deut-schen Films, Frankfurt am lYain 1979 (zuerst Princeton 1947) und Lotte H, Eisner: Dle drj-monische Leinwond. Hg. von Hilmar Hoffmann und Walter schobert. Frankfurt am lyainl98O (zuerst Paris 1952).

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Wirtschaftskrisen der 1920er Jahre bedrückt wird.3 Dass ein Teil der Fitmeüber ihre offensichtliche Selbstreflexivität und Selbstreferenziatität hin-ausweisend auch das Kino selbst und den Diskurs über das Kino reflektiertund womöglich kommentiert, ist dagegen bislang nur wenig erforscht wor-den; Thomas Elsaessers Untersuchungen zum Doppetgängermotiv im Wit-helminischen und im Weimarer Kino sind hier Ausnahmen.a

Die Doppelgängerfilme traten vor allem in Zeiten auf, in denen die Fitm-industrie und die FiLmtechnik vor Umwälzungen stand: Zeiten des Über-gangs und des Zweifels. der hybriden Formen und Weggabelungen.5 Gerade

dann bot sich das Bitd des Doppelgängers an, um im Fitm selbst die Pha-

sen der Unentschiedenheit, des Wandels und der Krise zum Ausdruck zubringen. Erstmals erschienen mehrere Doppelgängerfiguren im Kontextder Kinodebatte um 1913, als Schriftsteller und Bühnenautoren sich vordie Entscheidung gestellt sahen, ob sie ihr schwerverdientes kutturellesKapitat in eine so fragwürdige Form der populären Unterhaltung wie dieKinematographie investieren sottten.6 L926 erklommen Doppetgängerfi-guren erneut die Leinwände, als amerikanische Finanzleute der schwa-chen deutschen Filmindustrie zwar frisches Kapital anboten, zugleichaber auch einen eigenen deutschen Fitmstit zur Disposition stellen woll-ten. Und auch als 1930 die Einführung des Tonfilms den künstlerischen

r Nurangemerkt sei hier, dass Ernst Bloch 1932 den Film von Wiene in einen klaren so-zialpsychologischen Zusammenhang mit der damaligen Wirtschaftskrise und den realen

Abstiegsängsten des f4ittelstandes bringt: Krisen, die die Filmerzählung aber auf eskapis-

tische Weise auszublenden versucht. Der Held aus dem gehobenen lYittelstand kommtzwar zeitweise mit dem Milieu der Kriminellen, Prostituierten und Alkoholiker in Berüh-rung, verliert am Ende aber nicht seinen gesellschaftlichen Status und seinen Wohlstand.Vgl. Ernst Bloch: Bezeichnender Wandel in Kinofabeln (1932), In: Ders.: Ltterorische Auf-sötze. Frankfurt am Main 1985,5.75-78.a Für Elsaesser spiegelt beispielsweise Stellan Ryes DER STUDENT voN PRAG ( l9 l3) kei-

ne kollektive lYentalität; vielmehr beteilige sich der Film an einer Debatte über die Neu-verteilung von kulturellem Kapital, Vgl, Thomas Elsaesser: Weimor Cinemo ond After.

Germony's Historicol lmoginory. New York, London 2000, S.66.

5 DieserAufsatz knüpft im Folgenden an ldeen aus Lihi Nagler: Allegorien der Kultur-kämpfe. Die Doppelgänger-Figuren in DER ANDERE (1913) und DER STUDENT voN PRAG

(1913) und ihre Remakes von I930 und 19)6.|n. montoge AV, Nr. l, 2007,5.140- 166 an.

Die Übersetzung der aus diesem Aufsatz übeinommenen Passagen stammt von JörgSchweinitz. Für eine breit angelegte Studie zum lYotiv des Doppelgängers siehe GeraldBär: Dos Motiv des Doppelgöngers ols Spoltungsphontosie in der Literotur und im deutschen

Stummfilm, Amsterdam, New York 2005.6 Neben DER ANDERE und DrR STUDENTVoN PRAG erschienen l9l3 etwa auch Dtr Au-cEN DEs OLE BRANDTS von Stellan Rye, Wo tsr CoLETT| von lYax lYack und DER DoPPEL-

cANGER von Rudolf del Zopp,

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Errungenschaften des Stummfilms ein Ende zu machen drohte, waren Dop-pelgänger wieder gefragt. Die Kinodebatte erlebte eine NeuaufLage.

Hinter dem fortwährenden Auftreten von Doppelgängern steckte selbst

eine Praxis der Verdoppelung. Das betraf die Wiederkehr des Doppelgän-gers als einer literarischen Figur, die bereits im 19. Jahrhundert exzes-siv eingesetzt wurde, und darüber hinausg_ehend auch die Wiederkehrvon Doppelgänger-Szenarien aus früheren Ubergangszeiten, nämlich inGestalt von Remakes. Die beiden Verfilmungen von Dtn ANDERE aus den

Jahren 1913 und 1930 waren Teil und Reflexionsflächen eines jeweils un-terschiedlichen zeitgenössischen Diskurses; zugleich griffen sie ein schonseit langem etabliertes Motiv auf, weshalb diese Verfitmungen auch das

Erbe älterer Krisen in sich tragen und sich in eine Geschichte von Kriseneinreihen.T Wie verhält es sich nun vor diesem Hintergrund mit dem Re-

make von DER ANDERE?

Dr. Hallers in Zeiten der Psychoanalyse. Wienes Film entstand in ei-

ner Zeit, die das Ende des Stummfilms und - nach Überzeugung mancherZeitgenossen - den Tod des Kinos schtechthin brachte. Er basiert auf Paul

Lindaus Theaterstück gleichen Namens, das seit 1893 mit viel Erfolg aufdeutschen Bühnen gespielt wurde und das Lindau 1913 selbst für eineVerfilmung bearbeitete. Diese Verfilmung durch Max Mack mit dem Büh-nenstar Albert Bassermann in der Hauptrolle gilt als erster deutscher Au-torenfilm. Mit der Hitfe des Drehbuchautors Johannes Brandt aktualisierteWiene Lindaus Theaterstück und Macks Verfitmung: Hatte der frühere Filmdie Persönlichkeitsspaltung des Protagonisten mit Bezug auf eine SchriftHippotyte Taines aus dem Jahr 1886 als Folge eines Sturzes, einer schwe-

ren Krankheit oder Überanstrengung erklärt. so stützte sich das Remake

auf Sigmund Freud und die Annahme psychischer Ursachen. Wienes Filmbasiert demnach wesentlich auf einem damals bereits weit verbreitetempsychoanalytischen Denken, das hier nicht allein als ein wissenschaftli-ches Konzept zur Ausgestaltung der Figurenpsychologie dient, sondern als

ein an sich attraktives Thema behandelt wird. Einiges spricht dafür, das

Remake als eine Allegorie für die Debatte um die Einführung des Tonfilmszu lesen.

7 lYichael Wedel we st darauf hin, dass im lrühen Tonfl m besonders das utopisch-fantas-

tische Stoffreservoir neubelebt wurde Beispie e dafür sind u a ALa,quNr (1918, 1928 und

1930), UNHETyLCHE GESCH cHrEN (1919 und 932) und DERTUNNEL (1915 und 1933),

Vg. lYichae Wedel: Richard Oswald und der Tonfllm, Reg ekonzepte, Produl<tionsstra-

tegien, Genreentwicl<lungen 1930-1935 1n:lürgen Kasten, Armin Loacker (Hg.): Richord

aswald Kirtozwischen Spektoke/, AuftlörungundUnterholtung. Wien 2005, S,317-369, hiers.352.

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DER ANDERE (D 1930): Eduard von Winterstein liest die Besetzungsliste vor. (oben) -Kein fröhliches Paar: Marion (Ursula van Diemen) und Hallers (Fritz Kortner). (unten)

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DER ANDERE (D 1930): \ y'er l<ertet hier wen an? Amalie (Käthe von Nagy) mit MarionsHalsband. (oben) - Die Rückverwandlung von Hallers vor dem Spiegel. (unten)

Diesmal ist der Protagonist Dr. Hallers (erneut von einem Bühnenstarder Zeit, Fritz Kortner, gespieit) ein hartherziger Staatsanwalt, der gleichzu Beginn einen Angeklagten verurteilen lassen will, obwohl dieser nachAnsicht des Psychiaters Dr. Köhler (Eduard von Winterstein) nicht zurech-nungsfähig ist. Im Privatleben liebt Hallers Marion, die Freundin seinerSchwester. die er kaum anzuschauen wagt. Durch ein Zusammentreffenmit ihr in höchste Angst versetzt, ftieht er in sein Arbeitszimmer und er-leidet einen psychotischen Schub, in dem er sein zweites Selbst gebiert. InBrandts und Wienes Version ist der Doppelgänger nun eine bekannte Figurdes großstädtischen Nachtlebens. Er trägt den Spitznamen ,,Der Baron"und ist - obschon ein Dieb - doch ein Mann mit Status. Er trifft auf Ama-tie (Käthe von Nagy), ein Bar-Mädchen, deren Geliebten er als Dr. Hallerszu Handlungsbeginn vor Gericht harsch angeklagt hatte, und versprichtihr, Hallers (also sein erstes Selbst) für sie zu töten.

Nach dem Einbruch ins eigene Haus - in der Rolle des ,,Barons" - undnachdem er während eines Streits mit Amalie in Ohnmacht gefallen ist,wird sich Hallers seiner Persöntichkeitsspattung bewusst und bittet seinenFreund Dr. Köhler, ihn zu untersuchen. Um Hallers die beste Behandlungzu gewähren. konsultiert Köhler zwei Kollegen. Nach deren Diagnose kanneine derart tiefe Persönlichkeitskrise nur mit einem Hospitalaufenthaltkuriert werden (die Lösung. die auch 1913 gewähtt wurde). Köhter hin-gegen glaubt, dass nur das Bewusstwerden des Patienten über seinen Zu-stand und die Suche nach den Ursachen seiner Persönlichkeitsspaltungihn heilen kann. Damit entpuppt er sich als ein leidenschaftticher Un-terstützer der Methoden Freuds. Köhler überzeugt schließlich seine Kol-legen, bis 22lJhr zu warten, die übtiche Zeit von HaUers psychotischenAttacken. Doch diesmal wird der Schub mit dem vollen Ichbewusstsein derIdentitätsspaltung des Patienten eintreten. So erschafft Hallers gleichzei-tig eine Projektion seines Aiter Ego als physischer Anderer, und der Kampfzwischen den beiden beginnt. Nach einer Weile verlässt Hallers den Raumund wendet sich seiner Schwester zu - er ist auf dem Weg der Genesung.

Spiegetbitder fungieren bei Wiene als Leitmotiv und markieren die dra-matischen Wendepunkte. Sie machen Hallers'Konfrontation mit seinemzweiten Ich und seinen Wunsch, sich einer eigenen Identität zu versi-chern. visuell erfahrbar. Als Hallers in der Rolle des ,,Barons" mit Ama-lie auf ihrem Zimmer anbandelt. zeigt die Kamera, wie sich die Frau voreinem Spiegel das von Hallers gerade erst Marion brutal entrissene Ju-welenhalsband anlegt. [Abb. S. 66 oben] Wie ein Schatten steht Hallers',,Anderer" hinter ihr: Amalie erkennt in ihm den verhassten Staatsanwaltwieder und würgt ihn. Er entkräftet ihren Verdacht durch sein Verspre-chen, ihren Feind zu töten. Wenn Hallers dann später in seine eigeneWohnung einbricht, kommt er erneut vor einem Wandspiegel zum Stehen

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und verwandelt sich zurück in sein früheres Ich. [Abb. S. 66 unten] Tat-sächtich realisiert er seine Persönlichkeitsspaltung aber erst bei einemBesuch Amalies in seiner Wohnung: Sie beschutdigt ihn, unterschiedticheRollen zu spielen, und hätt ihm zum Beweis einen kleinen Spiegel vor seinGesicht: Im Zustand höchster, mit den Bildformeln der Hysterie darge-stellten Erregung erbLickt er die Würgemale, die ihm Amalie beigebrachthatte. [Abb. Umschtagbitd] Im Spiegetbild erkennt er den.,Baron" wieder,murmelt die Worte ,,Das bin ich" und kollabiert. Während seines einsamen,von den Therapeuten nur belauschten Ringens um die Heilung seiner Per-sönlichkeitsspaltung kommt es am Ende des Films zur Begegnung Hallers'mit seinem ,,Anderen", dem auch an seiner Kteidung erkennbaren ,,Baron":Wiene inszeniert das nicht mithitfe von Spiegelaufnahmen, sondern einerDoppetbetichtung, die Hallers und den,.Baron" im selben Bitd, im setben

Radm zeigen. [Abb. S. 68 unten] Haliers'erfolgreiches Ringen selbst ge-

staltet Wiene dann als nur auditiv wahrnehmbares Ereignis.8

Das Unbewusste und der Tonfilm. Das Unbewusste, um das DER ANDERE

kreist, hatte den Regisseur Wiene schon 191,9/20 in seinem berühmtes-ten Film DAs CastNrr DEs DR. CALIGAnI beschäftigt. Zehn Jahre später trater nun mit einem Film über die Psychoanalyse in die Epoche des Tonfilmsein. Der Sprechfilm galt Wiene aLs die Therapie-Couch des Stummfilms: Die

Dinge verschieben sich aus dem Unbewussten in die Sprache. Für dieseLesart ist die Figur des Dr. Köhler zentral. Ihr Darsteller, Eduard von Win-terstein, eröffnet den Film in frontaler, den Kinozuschauer adressieren-der Position: Er tritt aus einem Bühnenvorhang hervor und liest langsamuhd theatralisch die Namen der Schauspieler und ihre Rollennamen voneinem Blatt ab; beim eigenen Namen und Rollennamen angelangt, machter eine Kunstpause. [Abb. S. 64 oben] 0ffenbar sollte diese Exposition dietraditionelle Rezeptionshaltung gegenüber einem fiktionalen Werk auf-brechen, die als ,,suspension of disbetief" oder willentliche Aussetzungder Ungläubigkeit bezeichnet wird, und stattdessen signalisieren. dass dieFrage nach dem Bewusstsein ein Schlüssel zum Verständnis des Films ist.Jung und Schatzberg bemerken dazu: ,,Indem von Winterstein aLs Schau-

spieler und ais Köhler auftritt, täßt er die Zuschauer die Fiktionatität derHandlung nicht mehr vergessen. Es handelt sich um ein antirealistisches,um ein verfremdendes Stitmittet, das Wiene in diesem Zusammenhang nur

8 Erwähnenswert st, dass W enes exzesslver Gebrauch von Spiegelungen ke ne Entspre-

chunginderVersonvon l9l3hat, nderHal ersnieaufeinevergeichbareWeisemitsei-nem,,Anderen" konfrontiertwrd, Nur n einerSzene, in derersich nach dem Einbruch

wieder zurückverwandelt rn sein bürgerlrches lch, schaut Hallers in einen 5p egel; die Ka-

mera ze gt ihn a lerdings von der Se te, und so bleibt se n Spiege bild für den Betrachteru nsichtba n

DER ANDERE (D 1930): lm Schattenreich des Gummibaums: Hallers auf der Couch.(oben) - Der Staatsanwalt und der Ganove: Hallers mustert seinen ,,Anderen". (unten)

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schwerlich im Kopf gehabt haben kann."e Wiene könnte sich aber auchganz im Klaren darüber gewesen sein, dass diese Exposition den Realismusdes Films nicht unberührt lassen würde. Es ging ihm woht gerade darum.seinen ersten Tonfilm auf einem höheren - einem metaphorischen - Ni-veau anzusiedeln und keine Reproduktion von Reatität zu fingieren. wieman es angesichts der neuen Medientechnik hätte erwarten können. Aus-dtücktich trat Wiene damit in einen Dialog mit der Version von 1913. Ernutzte eine Form der selbstreflexiven Exposition (die das publikum adres-sierende Präsentation der Schauspieler ats Schauspieler. nicht selten voreinem Vorhang, ergänzt durch Titel mit den Namen von Schauspielern undFiguren), die das frühe narrative Kino auf eine Ebene mit dem Theater he-ben sollte und als modern galt, als die ersten Verfilmungen von Drn ANDERE

und Drn STUDENT voN PRAG erschienen.

Mit diesem gewissermaßen modernen Anachronismus der Expositionkorrespondierte zumindest auf Seiten des Hauptdarstellers Fritz Kortnerauch ein bestimmter Schauspielstit. der in Gestik und Mimik noch dem äl-teren Stummfilm verhaftet schien, ja in seiner Neigung zur übertreibung.zur Exzentrik. zum Chargieren an den expressionistischen Fil,m erinnerte.Mancher Kritiker empfand das als unangemessen: ,.Wenn er, im Kampfmit sich selbst, eine Marmorvase zerschlägt und sich den Kragen abreißt,wenn er sich mit verdrehten Augen im Spiegel betrachtet und aus demEinklemmen und Fallenlassen des Monokels kleine Soloszenen macht, sosind das kteinlich ausgedachte, überflüssige Nuancen, auf die ein Mannvon Kortners Ausmaß verzichten könnte."10

Um seine psychoanalytische Deutung von Hallers'probtem plausibelzu machen, setzte lilliene vor allem auf die im Ergebnis keineswegs per-fekte, aber dennoch virtuos und durchweg diegetisch verwendete Ton-fitmtechnik. Er legt nahe, den Kern des Probtems in Halters ungeklärtemVerhältnis zu Marion zu suchen, in dessen - so Jung und Schatzberg -,perklemmte[r] SexuaLität".11 Thematisiert wird damit eine Krise der tra-ditionetlen Männtichkeit. wie sie gleichzeitig etwa auch DER BLAUE ENGEL

(1930) vor Augen führt. In der Logik des Films ist es Marions Gesang, derHallers'psychischen Zusammenbruch provoziert: Die erste im FiLm darge-stellte Verwandlung Hallers in sein anderes Ich kündigt sich nämlich an.während Marion (gespiett von Ursula van Diemen) am Flügel ein traurigesLied singt, mit dem sie, so klingt es, ihre frustrierte, unerwiderte Liebe

e Jung, Schatzberg: Robert Wene, S, 159,

l0 FW.IFritzWalter]: DERANDERE. In:Ber/lnerBörsen-Courier,Nr:374, 13.8, 1930.Vg|.auch -ma, [Frank lYaraun]: Der Herr Staatsanwalt im Film, In: Deutsche Allgemeine Zei-tung, Nr: 379, 16.8.1930,

Jung, Schatzberg: Robert Wene, S. 157,

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zu Hallers ausdrückt. (Und es mutet ironisch an, dass der nervlich bereitsüberspannte Hallers selbst sie zuvor gebeten hatte, ein Lied zu singen,um dem Gespräch mit ihr aus dem Weg zu gehen.) [Abb. S. 64 unten] Mankönnte meinen, dass Marion sich mit ihrem Gesang an Hallers für seineUnfähigkeit rächt, ihr seine Gefühle mitzuteilen. Während des Liedes

verliert Hatlers dann die Kontro[e über sich, zerschlägt in einem kurzenAnfall von Raserei die Porzellanfigur einer jungen Frau und stürzt kurzdanach aus dem Zimmer. Die erste Handlung, die Hallers nach seiner Ver-

wandtung quasi im Gegenzug begeht, ist eine im Bitd nicht sichtbare, aberhörbare Gewalttat gegen Marion, der er auflauert und eine Kette vom Halsreißt. Was die Gesangsszene offenlegt. ist die Kombination von weiblicherStimme und einer im Lied besungenen unbefriedigten Liebe, welche denMann in eine Falle tappen lässt. Die Bedrohung, die vom weiblichen Ge-

schlecht ausgeht, hat hier damit zu tun, dass der Frau erstmals die Machtder Stimme gegeben wird. So bedarf es denn auch keiner Ursachenfor-schung in der Psyche des Mannes; die Antwort gibt vielmehr das Lied.

Dass die der Frau verliehene Stimme und speziell ihr Gesang nicht nurin DER ANDERE, sondern im frühen Tonfilm auch anderweitig aLs Macht-mittel inszeniert werden, verdeutlicht im gleichen Jahr Richard Oswalds

Tonfilm-Version des vorher schon zweimal stumm verfilmten Romans vonHanns Heinz Ewers, Alraune (1911).1'? Wie Wiene beleuchtet auch 0swaldden Verlauf einer psychischen Krise: Er erzählt die Geschichte eines ver-führerischen Mädchens, das ein Wissenschaftler durch die künstticheBefruchtung einer Prostituierten mit dem Samen eines hingerichtetenMörders erzeugt, das später die Wahrheit über seine Identität herausfindetund zum Schluss einer fatalen Entwicklung unterliegt. Als sich Oswald zu

diesem Fitmprojekt entschtoss und die Hauptrotle - wie in Henrik Galeens

Adaption von 1928 - an Brigitte Helm vergab, setzte er vermutlich auf denWunsch des Publikums, erstmals auch die Stimme des weiblichen Super-

stars zu hören, der im Stummfilm oft auf die Rolle der begehrten, dochseelentosen Frau festgelegt war. Alraune, vorgeblich das Geschöpf der Un-moral, erscheint bei 0swald als Opfer der Umstände. In einer Bar tritt sie

als Sängerin vor männlichem Publikum auf und singt votler Zynismus einLied über die eigene Indifferenz in ihrem Verhältnis zu den Männern, die

sie schlecht behandeln und doch von ihr sexuell abhängig sind. Was undwie sie singt. ist zugleich verführerisch und abstoßend. Wie in DER ANDERE

klingt im Gesang in Arnnullr die tiefe, auf andere Weise nicht artikulier-bare Enttäuschung der Frau durch die Männer in ihrem Leben an; im Ge-

sang bekommt ,,das Andere" eine Stimme.

2 Zu ALR,quNr vgl. auch Wedel: Richard Oswald und der Tonfllm, S.354- 355.

Stimmen. Im Stummfilm war es eine Funktion des Doppetgänger-Motivsgewesen, die Befreiung von einer Schutd auszudrücken, in dem Sinne,dass eine Figur im Unterbewusstsein einen Doppelgänger kreierte, der dieverborgenen Triebe auslebte und die Schutd. die durch dieses Handeln ent-stand, auf sich nahm. Wienes DER ANDERE beginnt mit einer Gerichtsszene,in der Staatsanwalt Hallers mit dem als Gutachter bestellten psychiater Dr.Köhler diskutiert. ob im Geisteszustand des Angeklagten die Ursache desVerbrechens liegen könne. Für Hallers ist die Vorstellung unakzeptabe[,dass die Verbrechen einer Person auf geistige Störungen zurückzuführenseien und damit in einem Zustand der Unzurechnungsfähigkeit gesche-hen. Diese Diskussion ähnelt jener in Fritz Langs erstem Tonfilm M.

In der eingangs erwähnten Szene aus M spricht der Kindermörder Be-ckert vor dem Tribunal der Unterwelt und beschreibt den emotionalenZustand, in dem er sich bei seinen Taten befand. Im Unterschied zu denvor ihm sitzenden Anwesenden sei er kein Krimineller, weil er nicht an-ders handeln könne, weil er unter einem Zwang stehe: Ein Feuer brenntin ihm, eine Stimme spricht in seinem Kopf. er wird auf Schritt und Trittverfolgt von sich selbst und kann sich nicht entkommen. Nur wenn er einKind töte. finde er Frieden mit sich selbst. Nach diesem Geständnis ver-zerrt sich Beckerts Gesicht, und mit unheimlicher Stimme ruft er, .,wieich es tun muss. nicht will! Muss, witt nicht, muss! Und dann schreit eineStimme, und ich kann es nicht mehr hörenl Hitfe! Ich kann nicht, ichkann nicht, ich kann nicht. ich kann nicht!" Die Spaltung seiner persön-tichkeit bricht aus ihm heraus in Form seiner Stimme.13 Sein sogenannterVerteidiger verkündet danach, dass das Moment des Zwangs den Ange-klagten von seiner Verantwortlichkeit enthebe und er als kranker Menschnicht vor einen Richter. sondern vor einen Arzt gehöre; eine Aussage, diehitzige Reaktionen zu Schuld, Schuldbewusstsein und Verantwortlichkeitauslöst.

In DER ANDERE zieht der Psychiater Dr. Köhler zum Schluss zwei Kollegenaus staatlichen Einrichtungen hinzu, um gemeinsam Hallers' Zustand undseine Behandlung zu besprechen. Einer der beiden insistiert darauf, Hal-lers in eine Anstalt einzuweisen und dort zu behalten, weil eine person,die abwechsetnd in unterschiedlichen Bewusstseinszuständen lebe, eine

r Anton Kaes, der in Beckert das Opfer einer Kriegsneurose sieht, spricht mit Bltck aufdiese Szene vom Durcharbeiten einem ,,Re-enactment" - eines kollektrven Traumas,das wesentlich mit dem Widerspruch zwischen dem Verbot des Tötens in Friedenszei-ten und dem Befehl zum Töten in Kriegszeiten zu tun hat. Kaes akzentuier-t dabei die Bedeutung von Beckerts Gestik und Ylimik: ,,Because language has no words for his traumahe resorts to the expressive power of his contor-ted hands and distorted facial features.H s tortured body bears the full weight ofthe unsaid and the unsayable," Anton Kaes: M.London 200 , 2,, überarbeitete Auflage, S.69.

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große Gefahr für die Gesellschaft darstelle. Dagegen meint Köhler, der dieTheorien von Freud unterstützt, dass der erste Schritt zur Heilung darinliege, dem Patienten Einsicht in sein eigenes Problem zu verschaffen. Aufdem Höhepunkt des Films warten die Psychiater, anders als bei der ge-wohnten Freudschen Praxis, bei der der Therapeut als Fragensteller undZuhörer hinter dem auf einer Couch liegenden Patienten sitzt,la außerhalbdes Zimmers, in dem sich Hallers allein aufhält und die bewusste Konfron-tation mit seinem Problem, seinem.,Anderen" entgegensieht - eine Situ-ation. die weniger einer konkreten therapeutischen Methode als vielmehrWienes Spiet mit den Mögtichkeiten des Tonfilms entspringt. Aus Hallers'Zimmer dringen die Geräusche eines lauten Kampfes mit dem ,,Anderen"nach außen. Nachdem der Zuschauer Hallers dabei beobachten konnte, wieer zunächst angespannt im Zimmer wartet und dann mit dem ,.Baron" (inGestalt einer Doppelbetichtung) zusammentrifft, schneidet die Kamera inden Vorraum zu den Psychiatern und zu den Polizisten auf dem Flur. sodass der eigentliche Kampf im Bild unsichtbar bteibt. Der .,Andere" ist hiernur als Stimme präsent. Immer wieder schallt das von Furcht und Peinerfüttte ,.Ich witt nichtl Ich will nicht! Um Gottes Witten, ich witt nichtl"herüber; lakonisch kommentiert Köhter das gegenüber den Kollegen: ,,DieKrise."

Im Gegensatz zu Drn ANlsnr endet M mir der Erkenntnis. dass es Men-schen mit gespattener Persönlichkeit gibt und dass diese Menschen fürihre Umwelt gefährtich sein können. Zugteich spricht Langs Film davon,dass den Taten dieser Menschen, die nicht bei ktarem Bewusstsein ge-handelt haben, mit den Mittetn der Rechtsprechung nicht beizukommensei. Diesem offenen. küht und ganz ohne Rückgriff auf eine höhere Moralargumentierenden Ende steht in DER ANDERE ein gtückLiches und hoff-nungsfrohes, in Bezug auf die Psychoanalyse geradezu gtäubiges Endegegenüber, demzufolge die Kenntnis der Krankheitsursache bereits dasVersprechen der Heilung einschließt. Die Grundvoraussetzungen sind da-bei vertauscht: Während Beckert einem niedrigen sozialen Stand angehörtund wenig Materielles zu verlieren hat, handelt es sich bei Hallers um eineangesehene und privilegierte Persönlichkei| und während unklar bteibt.was aus Beckert wird, geht es bei Halters tedigtich darum, ob er nach sei-ner Heilung wieder als Staatsanwalt wird arbeiten können oder nicht. MitBlick auf die Sozialpsychotogie der Gesellschaft um 1930 fallen also dieLösungsangebote oder Lösungsverweigerungen beider Filme sehr unter-schiedlich aus.

ra Beispielhaft für die Darstellung einertraditionellen Therapie sind die Szenen tn GEHE ly-NrssE ErNER SEELE (D 1926, R: G.W Pabst).

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In das Reich des Tonfilms und damit in das Reich der Sprache trat dasKino rnit der Hilfe eines Psychiaters und eines der berühmtesten Bühnen-schauspieler seiner Zeit, Fritz Kortner, ein. Wiene begann mit Drn ANDERE

einen Dialog mit dem ersten deutschen Autorenfilm und zugleich mit derfrüheren Kinodebatte; erneut griff er das Motiv des Doppelgängers auf, umdas Dilemma darzustetlen, in dem sich die Filmschaffenden in der Über-gangsphase zum Tonfilm befanden. Im Gegensatz zu vielen Skeptikernglaubte Wiene freilich, dass das Kino seine Einzigartigkeit und Virtuositätauch im Zeitalter des Tonfilms behaupten werde.

DER ANDERE (D 1930)

Produktion: Terra-Film AG, Berlin / Verleih: Terra-United Artists, Berlin / Regie: Ro-bert Wiene / Drehbuch: Johannes Brandt, nach dem Bühnenstück von Paul Lindau /Kamera: Nikolaus Farkas / Bauten: Ernö Metzner / Musik: Friedrich Hollaender, WillMeisel, Artur Guttmann / Liedtexte: Kurt Schwabach, Friedrich Hollaender / Produk-tionsleitung: Max Glass

Darsteller: Fritz Kortner (Staatsanwalt Hallers), Käthe von Nagy (Amalie Frieben),Heinrich George (Gastwirt Dickert), Hermine Sterler (Hallers Schwester), Ursulavan Diemen (Marion), Eduard von Winterstein (Dr. Köhler), Oskar Sima (Grün-specht), Julius Falkenstein (Sekretär Bremer), Paul Bildt (Prof. Wertmann), OttoStössel (Medizinalrat Rienhofer) rs

Zensur: 6.8. 1930, Film-Prüfstelle Berlin, Nr. 26514,2.849 m,Jugendverbot;27.8. 1930, Film-Prüfstelle Berlin, Nr. 26709,2.676 m, JugendverbotUraufführung: 12.8. 1930, Berlin (Capitol)

Kopie: Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin, 2.366 m (= ca. 86')

5 Ausführliche Stabangaben bei UlrichJ. Klaus: DeutscheTonflme. l..Johrgong 1929 130.Berlin 1988, S.2l f.

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Felicitas Milke

,,Die Zeit ist für einen solchen Film noch nichtreif"KTNDER, Mürren UND EIN GeNenal (1955) als Vermächtnisvon Erich Pommer

KTNDER, MüTTER UND ErN GENERAL (BRD 1955, R: Laslo Benedek)Wiederentdeckt 155, 5. März 2010

Ein tröstlicher Filmschluss für das Publikum in Deutschland, ein offe-ner für das im Ausland. So unterschiedtich kam im März 7955 der weg-weisende Antikriegsfitm KINDER, Mürrrn UND EIN GENERAL in die Kinos, das

letzte Werk des großen Produzenten Erich Pommer (Hitdesheim 1889 - Los

Angeles 1966).1 Die erste Schlussvariante war vom damaligen deutschenVerleiher verlangt worden, die zweite dagegen entsprach den Vorstellun-gen des Produzenten Pommer, des Autors Herbert Reinecker und des Re-

gisseurs Laslo Benedek. Wie aber kam es zu der höchst ungewöhnlichen,von der Presse genau verfolgten und kommentierten Entscheidung, einenFilm mit zwei verschiedenen Schlussteilen herauszubringen? Und was sinddie Gründe dafür, dass dem Film, trotz hochkarätiger Besetzung und ex-zellentem Stab, trotz begeisterter Kritik und ausländischer Filmpreise, derfinanzielle Erfolg verwehrt btieb? War, wie Pommer befürchtete. ,,die Zeit

[...] für einen solchen Film noch nicht reif"?'z0der lag es im Gegenteil da-ran, dass Mitte der 195Oer Jahre eine enorme Anzahl von Kriegsfilmen indie Kinos kam und Pommers Film schticht unterging?l

Für eine erste knappe Einordnung siehe Wolfgang Jacobsen: Erich Pommer. Ein Produzent

mocht Filmgeschlchte. Berlin 1989, S, 158, | 6 und Ursula Hardt: From Coligori to Colifornio,

Eric Pommer's Life in the lnternotionol Film Wors, Providence, Oxford 1995, S. 195 - l9Z Für

eine ausführlichere Analyse des Films siehe Kapitel 4 der unveröffentlichten Dissertationvon lYark Clement Gagnon: Celluloid Heroes of the Adenouer Ero: Creoting New Citizens in

the Wor Films of the 1950s, Dissertation, Harvard University 2006, S. I l7- 146 und lrmgardWilharm: Über die Schwierigkeiten der Darstellung von Krieg im Film. In: Dies,: Bewegte

Spuren, Studlen zur Zeitgeschichte im Film, H an nover 2006, 5.67 -72; D ies,: Krieg in deut-schen Nachkriegsspielfilmen, ln: Ebd,, S.89- 106 und Dies.: Filme mrt Botschaft und kol-lektive Mentalitäten in der frühen Bundesrepublik. In: Ebd., S. 149 - 170.

2 Derversöhnliche Ausgang. In: DerSpiege/, Nr: 11,9.3. 1955, S.33.

3 Mit Bezug auf Eckhart Schmrdts Zahlen aus dem Jahr 1964 spricht Gagnon: Celluloid He-roes of the Adenouer Ero, S, l2 von 600 Kriegsfllmen unterschiedlicher Herkunft, die zwi-schen 1 953 und 1 958 in der Bundesrepublik gelaufen se en.