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56 Forschung im CINSaT
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Physikalische Chemie
Zwischen Chemie, Physik und Biologieauf der Spur der Selbstorganisation
Die Arbeitsgruppe von Thomas Fuhrmann-Lieker
gehört zum Fachgebiet Makromolekulare Chemie
und Molekulare Materialien. Dort wird an der Schnittstelle
der naturwissenschaftlichen Disziplinen daran
geforscht, wie Materialien sich auf der Nanometerskala
organisieren können, um diese Strukturen in möglichen
Anwendungen nutzen zu können. Der Standort Kassel
sei für seine Forschung eine ideale Arbeitsumgebung,
erklärt Thomas Fuhrmann-Lieker, da die räumliche
Nähe zu den Fachgebieten der Physik und Biologie,
aber auch zu den Ingenieurwissenschaften einen
intensiven Austausch ermögliche.
Die Prinzipien der Selbstorganisation
Wenn man Materialien zu einem Bauteil,
beispielsweise eine Solarzelle oder eine
Leuchtdiode, zusammensetzt, ist die Struktur weit
entfernt von dem, was die Physikochemiker als
Gleichgewicht bezeichnen. Es wirken Kräfte, die die
Struktur verformen würden, wenn die Materialien diesen
Kräften nachgäben. In diesem Zusammenhang sind
vor allem Bauteile aus „weicher Materie“ interessant,
da wie der Name schon sagt, diese Materialien
besonders leicht verformbar sind. Mit „weicher
Materie“ bezeichnet man im Prinzip alles, was nicht
gasförmig oder ein kristalliner Festkörper ist, also zum
Beispiel Flüssigkeiten, Polymere (Kunststoffe), Gele,
Dispersionen, große Biomoleküle und Flüssigkristalle
(aus denen LC-Displays bestehen).
Das Überraschende ist, dass auf dem Weg von
einem Nichtgleichgewichtszustand in einen
stabileren Zustand spontan geordnete Strukturen
entstehen können, die faszinierende regelmäßige
Muster aufweisen.
Selbstfaltung in dünnen Schichten
Ein Beispiel, das in der Arbeitsgruppe untersucht
wird, ist das spontane „Falten“ von dünnen
Schichten, die aus einem „weichen“ Material zwischen
einem festen Substrat und einer elastischen Deckschicht
bestehen. Normalerweise ist nach der Herstellung der
Schichten durch moderne Beschichtungstechniken
das mittlere Material hinreichend fest, so dass alle
Grenzflächen eben sind. Macht man aber das mittlere
Material weich, zum Beispiel durch Erwärmen oder,
mit neuen, von Thomas Fuhrmann-Lieker entwickelten
Materialien, durch Bestrahlung mit Licht, so sorgen
die vorhandenen Spannungen für ein Aufwellen der
Schichten, und zwar verblüffenderweise in absolut
r e g e l m ä ß i g e n
Lamellen. Das
Aufwellen von
Platten, so Fuhr-
m a n n - L i e k e r ,
sei zwar schon
seit langem ein
Problem der
Mechanik und
finde sich auch
beispielsweise in
der Runzelbildung
Oben: Optische Mikroskopaufnahme des Aufwellens Unten: Prinzip des Aufwellens („Wrinkling“)
Physikalische Chemie
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von Haut, aber die Nanoskala sei hier absolutes
Neuland, da die makroskopischen Voraussagen
an deutliche Grenzen treffen. Erst seit der
Verbreitung des Rasterkraftmikroskopes ist es
möglich, derartige Strukturen überhaupt zu
charakterisieren.
Das Glashaus der Kieselalgen
Ähnliche Prozesse der Selbstorganisation
finden sich auch in völlig anderen Gebieten,
zum Beispiel in der Formbildung von biologischen
Strukturen, der sogenannten Morphogenese. Vor
wenigen Jahren wurde das Entstehen der filigranen
Zellwand von Diatomeen (Kieselalgen) aus Kieselsäure
mit dem Auftreten von Instabilitäten und periodischen
Trennungen von wasser- und ölhaltigen Bestandteilen
erklärt. Damit seien die Algen in der Lage, durch
möglichst wenig genetische Kontrolle regelmäßige
Porenmuster in ihrer Zellwand aus Glas zu erzeugen.
Auch wenn dieses Modell seine Grenzen hat, so ist doch
gesichert, dass organische Bestandteile beim Aufbau
der Struktur eine große Rolle spielen. Fuhrmann-Lieker
geht hier noch einen Schritt weiter: Durch gezielte
Zugaben von speziell funktionalisierter Moleküle bei
der Zucht der Algen werden diese in die Schale
eingelagert, so dass neuartige Kompositmaterialien
mit selbstorganiserten Nanostrukturen entstehen. „Der
Schritt in die Biologie war für einen Physikochemiker
und Materialwissenschaftler erst einmal nicht leicht“, so
Fuhrmann-Lieker, „aber durch das Umfeld des CINSaT
und Frau Dr. Kucki als kompetente Mitarbeiterin aus
der Biologie konnten wir diesen Schritt gehen“. Dieses
Forschungsprojekt erregte bisher einige Aufmerksamkeit
in den Medien, so wurde beispielsweise im WDR-
Magazin Quarks&Co. darüber berichtet.
Anwendungen in der Photonik
Das Faszinierende dieser selbstorganisierten
Strukturen liegt darin, dass ihre Periodizität
im Bereich der Wellenlängen des sichtbaren Lichtes
liegt. Folglich lässt sich damit Licht steuern, und die
Arbeitsgruppe versucht, diesen Effekt auszunutzen.
Eine Hauptzielrichtung ist dabei die Photovoltaik,
da das Einfangen von Licht durch lichtstreuende
Strukturen die Effizienz von Solarzellen verbessern
kann. Durch eine effiziente Einkopplung von Licht
und das effektive Trennen von Ladungen an inneren
Grenzflächen lassen sich mit selbstorganisierenden
Strukturen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
„Wer weiß, vielleicht nutzen ja auch die Kieselalgen, die
wir als Biologische Photonische Kristalle bezeichnen,
ihre Struktur zur Optimierung der Photosynthese“,
spekuliert Fuhrmann-Lieker. „Wahrscheinlich lässt sich
das nicht endgültig klären, aber wir können jedenfalls
viel davon lernen, wie die Natur ihre Bausteine selbst
organisiert.“
Zellwand angefärbter Diatomeen im Rasterelektronenmikroskop (links) bzw. konfokalem Lasermikroskop (unten)
Forschung im CINSaT
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Dr. Thomas Fuhrmann-Lieker
Thomas Fuhrmann-Lieker wurde 1968 in Frankfurt am Main geboren. Bereits
in jungen Jahren zeigte er ein großes Interesse an allen Naturwissenschaften,
wovon zwei Bronzemedaillen bei den Internationalen Chemie-Olympiaden
1986 und 1987 zeugen. Nach dem Chemiestudium in Marburg und Bologna
promovierte er 1997 über funktionale Polymere, ebenfalls in Marburg.
Danach zog es ihn als Postdoktorand mit einem Stipendium des japanischen
Kultusministeriums für zwei Jahre nach Japan an die Kyushu-University.
Nach einem kurzen Aufenthalt an der Universität Duisburg wechselte
Thomas Fuhrmann-Lieker im Jahre 2001 nach Kassel, wo er 2005 im Fach
Physikalische Chemie habilitierte. Seine Forschungsinteressen liegen auf
dem Gebiet der Selbstorganisation und Photonik weicher Materie. Thomas
Fuhrmann-Lieker ist seit 2003 assoziiertes Mitglied im CINSaT und seit 2010
Akademischer Rat an der Universität Kassel.
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