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Der freie Wille des Patienten – medizinische Aspekte
Thomas PollmächerZentrum für psychische Gesundheit, Klinikum Ingolstadt
Potsdam, am 23. Januar 2020
Was ist der „freie“ Wille?
• Der Wille als handlungsleitendes Streben• Der Wille als Grundlage eigenen und fremden Handelns• Der Wille als Resultat von Beratung und Überlegung• Der Wille als Voraussetzung von Selbstbestimmung und Verantwortung
Extrinsischer oder intrinsischer
Handlungsimpuls
ÜberlegungBeratung
Wille zur Handlung Handlung
… Definition des Willens
Was ist der „freie“ Wille?
• Determinismus vs. Indeterminismus• Kompatibilismus vs. Inkompatibilismus• Bedingte vs. unbedingte Willensfreiheit
Extrinsischer oder intrinsischer
Handlungsimpuls
ÜberlegungBeratung
Wille zur Handlung Handlung
… Freiheit des Willens und Philosophie
Was ist der „freie“ Wille?
• Klassische Mechanik vs. Quantenmechanik• Libet Experiment (Bereitschaftspotenzial)• Haynes und andere (fMRI)
Extrinsischer oder intrinsischer
Handlungsimpuls
ÜberlegungBeratung
Wille zur Handlung Handlung
… Freiheit des Willens und Naturwissenschaft
Was ist der „freie“ Wille?
Extrinsischer oder intrinsischer
Handlungsimpuls
ÜberlegungBeratung
Wille zur Handlung Handlung
„Ich lache eures freien Willens und auch eures unfreien: Wahn ist mir das, was ihr Willen heißt, es giebt keinen Willen.“
Friedrich NietzscheNachlass, Sommer 1883, 13 [1-36], Zarathustras heilige Gelächter
Was ist der „freie“ Wille?
• Menschen wählen zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten• Die Auswahl hat bewusste und unbewusste Anteile• Die Auswahl ist durch äußere Faktoren beeinflussbar• Menschen verteidigen ihre Wahl auch gegen Widerstand• Menschen Respektieren die Wahlfreiheit anderer• Der Wille des Einzelnen ist ein wichtiges Element jeder sozialen Interaktion
Extrinsischer oder intrinsischer
Handlungsimpuls
ÜberlegungBeratung
Wille zur Handlung Handlung
… der freie Wille im wirklichen Leben
Der freie Wille – eine pragmatische Definition
• Der Wille bezeichnet die Entscheidung für oder gegen eine Handlung• Der Wille ist dann als frei zu bezeichnen, wenn die Entscheidung
- auf der Reflexion eigener Wünsche und Bestrebungen beruht, die zueinander in Beziehung gesetzt und ggf. hierarchisiert werden1 und wenn sie
- ohne äußeren oder inneren Zwang entschieden wird
1Diese Defintion beruht im Wesentlichen auf den Ideen von Harry Frankfurt und Gerald Dworkin
Der freie Wille im medizinischen Kontext
• Einwilligung in die Behandlung• Einschränkungen der Entscheidungsfähigkeit• Einschränkungen der Schuldfähigkeit
Respekt vor der Autonomiedes Patienten
Nicht-SchadenFürsorge
Gleichheit und Gerechtigkeit
Basierend auf Beauchamp and Childress, 1973
ReflexionInformationsverarbeitungInformationsbewertung
Urteilsbildung
PatientArztInformationsaustauch
Entscheidung
Informiertes Einverständnis
Zur Realität von Aufklärung und Einwilligung
• Das Problem der Partizipation – gibt es gemeinsame Entscheidungen ?• Informationsvermittlung oder Informationsaustausch ?• Dr. Google - Aufklärung auf Augenhöhe ?• Schaden durch Aufklärung ?• Einflüsse von Außen – Interessen Dritter ?• Aufklärungsverzicht ?• Selbstbestimmung vs. Patientenwohl ?• Einwilligung in schädliche Eingriffe ?
Der freie Wille im medizinischen Kontext
• Einwilligung in die Behandlung• Einschränkungen der Entscheidungsfähigkeit• Einschränkungen der Schuldfähigkeit
Entscheidungsfähigkeit (Selbstbestimmungsfähigkeit)
• Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens in einem definierten Kontext
• Keine Eigenschaft einer Person, sondern situationsabhängig• Grundlage der informierten Entscheidung über die
Durchführung medizinischer Maßnahmen
ReflexionInformationsverarbeitungInformationsbewertung
Urteilsbildung
PatientArztInformationsaustauch
Entscheidung
Informiertes Einverständnis
Informationsverständnis
UrteilsvermögenEinsichtsfähigkeit
Ausdrucksfähigkeit
Klinische Situationen
• Ungeborene, Säuglinge, Kinder• Bewusstlose Patienten• Akute verwirrte Patienten• Demenz• Psychotische Patienten• …
Einschränkungen der Selbstbestimmungsfähigkeit
Folgen
• Assistierte Entscheidungsfindung (wenn möglich)
• Falls kein informiertes Einverständnis möglich:- Substitution des Behandlungsentscheidung
durch eine Vorausverfügungen (z.B. Patientenverfügung), den mutmaßlichen Willen oder das mutmaßliche Wohl des Patienten
- Notwendigkeit einer Vertretung (z.B. Betreuer) außer in Notfällen
Einschränkungen der Selbstbestimmungsfähigkeit
• Prinzipiell keine Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts („legal capacity“)
• Die Möglichkeit eines Zustandes der Selbstbestimmungsunfähigkeit wird negiert („mental capacity“)
• Entscheidungsfindung nur assistiert, nie substituiert• Keine Hospitalisierung oder Behandlung ohne
Einwilligung, also auch keinerlei Zwangsbehandlung
• Behandlung unter Überwindung des nicht-selbstbestimmten („natürlichen“) Willens eines Patienten
• Besonders strenge Nutzen/Risiko Abwägung• Nur nach Versuchen, unmittelbaren Zwang zu
vermeiden
Zwangsbehandlung
• 26 Jahre alter, athletischer gut trainierter körperlich gesunder Mann
• Erste manische Episode mit Größenideen, gereizter Stimmung und Aggressivität
• Zweitzeitiger Bruch des Dens axis mit akuter Gefahr der Atemlähmung
• Ablehnung einer Operation mit der Begründung eigener (para)medizinischer Fähigkeiten
Zwangsbehandlung
Medizinischer Zwang gegen den freien Willen
Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte der Patientinnen und Patienten, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts, zu erfolgen. Das Recht der Patientinnen und Patienten, empfohlene Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen abzulehnen, ist zu respektieren.§7 Musterberufsordnung der in Deutschland tätigen Ärzte
• §81aA StPO• Infektionsschutzgesetz• Masernimpfung• Öffentlich-rechtliche Unterbringung (Ländergesetze)• Strafrechtliche Unterbringung (§63, 64 StGB)
Der freie Wille im medizinischen Kontext
• Einwilligung in die Behandlung• Einschränkungen der Entscheidungsfähigkeit• Einschränkungen der Schuldfähigkeit
Schuldunfähigkeit
War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar.
Definition
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Art. 19 StGB (Schweiz)
§20 StGB (BRD)
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen [Eingangskriterien] unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Erfüllung der Eingangskriterien
Unfähig ist, das Unrecht …
Erfüllung der Eingangskriterien
Unfähig ist, das Unrecht …
Variante 1 Variante 2
Schuldunfähigkeit
Schuldunfähigkeit
• Redundanz ?• Abgrenzung gegen andere „Zustände“, die zwar
mit der „Unfähigkeit …“ einhergehen, aber nicht als Schuldunfähigkeit gelten sollen?
• Gleichsetzung von Schuldunfähigkeit und psychischer Erkrankung ?
Bedeutung der Eingangskriterien
Zusammenfassung
• Die Freiheit des menschlichen Willens mag philosophisch und naturwissenschaftlich zu Recht in Zweifel gezogen werden, ihre hohe faktische Relevanz für die Medizin ist aber unzweifelhaft.
• Das informierte Einverständnis des Patienten ist medizinethisch ein notwendige Voraussetzung für ärztliches Handeln, stellt aber einen komplexes und störungsanfälliges Konstrukt dar.
• Das Fehlen eine informierten Einverständnisses stellt die Medizin insbesondere dann vor große Probleme, wenn der Patient die Behandlung ablehnt.
• Die enge Verknüpfung von Schuldfähigkeit und psychiatrischer Erkrankung scheint ausgesprochen problematisch.
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