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---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Stefan Lotze „Graf Dracula“ 112011-18-04 adspecta Theaterverlag
Graf Dracula basierend auf und frei nach dem Roman:
„DRACULA“ von BRAM STOKER
in einer Bearbeitung von Stefan Lotze
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Stefan Lotze „Graf Dracula“ adspecta Theaterverlag
1
Inhalt – Über dieses Stück
Der transsylvanische Graf Dracula entwickelte sich in den letzten über 100 Jahren, seit Bram
Stokers Roman und zahlreichen Verfilmungen zum Edelmann der Vampire erschienen sind.
Die phantastische Geschichte um Unsterblichkeit, Erotik und die Macht der Triebe bildet die
Vorlage für Stefan Lotzes Version des Vampirklassikers.
Europa Ende des 19. Jahrhunderts. Der junge englische Immobilienmakler Jonathan Harker,
geschäftlich unterwegs in den Südkarpaten, folgt der Einladung eines alten Grafen. Bereits
kurz nach der Ankunft auf dem Schloss entdeckt er, wer sein Gastgeber wirklich ist: Dracula,
der Fürst der Vampire. Als Dracula ein Foto von Jonathans Verlobter Mina sieht, ist es um
den Meister der Dunkelheit geschehen: Mina gleicht Draculas verstorbener Braut Elisabetha
aufs Haar!
Dracula überlistet Jonathan und reist blutdürstend und voller Sehnsucht zu Mina nach
London, während der junge Engländer als Gefangener im Schloss des Grauens wiederholt
von drei lüsternen, vampirischen Schönheiten bedrängt wird. Viel Spannung verspricht der
Kampf des verschroben, witzigen Vampirjägers van Helsing, der mit leidenschaftlicher
Hingabe versucht, das Leben der jungen Mina zu retten und die Pläne des Grafen zu
durchkreuzen: Die Verwandlung der Welt in ein Reich der Finsternis!
Autor Stefan Lotze hat nun eine neue Version dieses Vampirklassikers entwickelt. Seine
Bearbeitung verbindet verschiedene Theater-Elemente: Neben Spannung und dramatischen
Auseinandersetzungen bereichern Witz, Frohsinn und Romantik diese Versionen des
Vampirspiels. Etwas Comedy oder besserer ausgedrückt leichte Ironie durchkreuzen die
Spielszenen immer wieder. Beachtenswert ist auch, dass Lotze bewusst wenig
Rollenpersonal aufbietet. 14 Rollen umfasst die Besetzung, sodass auch ein kleineres
Ensemble endlich diesen Theaterklassiker zu Aufführungen bringen kann. Natürlich kann mit
einer Statisterie das Bühnenpersonal weiterentwickelt werden. Die verschiedenen
Bühnenbilder können mit sehr geringem Aufwand auf die Bühne gezaubert zu werden.
Spieldauer: ca. 120 Min.
Personen: 14 (8m / 6w)
Professor Abraham van Helsing,
holländischer Wissenschaftler für übernatürliche Phänomene
KREATUREN DER NACHT:
Graf Dracula, Fürst der Nacht, genannt Prinz Vlad
Die Rote, eine Untote
Die Blonde, eine Untote
Die Schwarze, eine Untote
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Stefan Lotze „Graf Dracula“ adspecta Theaterverlag
2
MENSCHEN IM TAGESLICHT:
Jonathan Harker, ein junger Rechtsanwalt und Immobilienmakler
Wilhelmina Murray, Lehrerin, seine Verlobte, MINA genannt
Lucy Westenra, beste Freundin von Mina
Mrs. Westenra, Lucys Mutter
Arthur Holmwood, Lord, Verehrer von Miss Lucy
Quincey Morris, Texaner, Verehrer von Miss Lucy
Dr. Jack Seward, Irrenarzt, Verehrer von Miss Lucy
Renfield, Irrer – früher einmal Rechtsanwalt
Zeitungsverkäufer (kurzer Auftritt, kann auch durch Doppelbesetzung besetzt werden)
Spielorte:
1. Akt: Schloss Dracula in Transsylvanien
2. Akt: London – Irrenanstalt / Park
3. Akt: Haus Westenra
4. Akt: Haus Westenra
5. Akt: Haus Westenra
6. Akt: Haus Westenra
8. Akt: Haus Westenra
9. Akt: Gruft im Garten am Haus Westerna
10. Akt: Gruft im Garten am Haus Westerna
11. Akt: Waldlichtung – Wegkreuzung in Transsylvanien
12. Akt: Ruine einer Kapelle in Transsylvanien
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3
Prolog
Mina: (tritt auf)
Guten Abend, Ladies und Gentleman! Mein Name ist Wilhelmina Harker, geborene Murray.
Ich möchte Ihnen heute Abend, an der Schwelle zur Nacht, eine wahre Begebenheit aus
meinem Leben erzählen. Folgen Sie mir ins Europa am Ende des 19. Jahrhunderts in das
geheimnisvoll Jahr als just die Gebrüder Lumière den Cinématographe erfunden haben. Wohl
der Nacht. Nun: Es gibt Phänomene in dieser Welt, die unseren geistigen Horizont
übersteigen und unser Leben völlig verändern! Unbekannte Sphären, außerhalb unseres
begrenzten menschlichen Horizontes, tanzen in unserer Vorstellungskraft und schaffen
Verirrungen. Oft Verwirrungen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Dunkle Mächte
jenseits der Grenzen unseres Daseins. Von Zeit zu Zeit überschreiten jene Schatten die
Grenzen, durchbrechen den Nebel der Gezeiten und dringen in unsere Welt ein. Blitzartig
ergreifen dämonische Spiegelbilder Besitz von unserer Seele. (kurzer Moment der Stille) Die
Nacht. Der Nebel. Die Schatten. Kein Spiegelglanz im Licht des Monds. Nebel durchzog
alles! Das Haus auf den Klippen! Und nirgendwo im Irgendwo war die liebe Lucy zu finden.
Ein Rätsel! Oh Lucy! Liebe, süße, kleine Lucy – Ruhe sanft! Ich sehe noch alles so deutlich
vor Augen. Der Garten mit all seinen Blumen. Blumen im weißen Nebel verschollen. Keine
Spur von Lucy. (kurzer Moment der Stille) In jener verfluchten Nacht suchte ich sie überall.
Erst im Garten und dann im Haus. Dann wieder im Garten. Doch nirgends war sie zu finden.
Die Nacht war voller Nebel und Dunkelheit. Kein Mond? Kaum Mond! Als die Nebelschwaden
sich lichteten schien der volle Mond wieder hell. Da erkannte ich deutlich: Lucy. Sie lag vor
der Terrassentür im Salon. Und dann diese Stille! (hält inne) Sie war allein, so dachte ich,
denn nirgends schien auch nur eine Spur von etwas LEBENDIGEM zu sein. Welch Irrtum. Als
ich mich über sie beugte, merkte ich, dass sie schlief. Ihre Lippen waren leicht geöffnet. Ihr
Atem war nicht gleichmäßig und ruhig wie sonst, sondern sie atmete mühsam und keuchend,
als schnüre ihr etwas die Kehle zu. Ich friere noch immer, wenn ich an diesen Anblick denke.
Vor allem überkam mich ein Schauer, als ich sah, wie leicht bekleidet sie war. Ich berührte
ihren Arm. Sie fühlte sich heiß an, ihr Puls raste. (blickt sich um ) Plötzlich hatte ich das
Gefühl, dass uns jemand beobachtet. Da war was! – Was, das weiß ich heute aus eigener
Erfahrung nur zu gut. (kurze Stille – locker erzählend weiter) Lucy kam zu sich und begann, in
meinen Armen zu zittern wie ein Kind voller Angst. Ich brachte sie in ihr Zimmer. Zum Glück
trafen wir keine Menschenseele. Bevor wir hochgingen, nahm sie meine Hand und flehte
mich an, niemandem ein Wort über diese Nacht des Nebels zu erzählen. Erst zögerte ich,
doch dann versprach ich es ihr. Ob es richtig war? Hätte ich damals geahnt, was aus dem
Nebel über uns kam, ich hätte nicht geschwiegen. Aber lassen Sie mich, verehrtes Publikum,
die Ereignisse von Beginn an erzählen. Jene dunklen Ereignisse, die unser Leben für immer
und ewig verändern sollten. Tauchen Sie mit uns ein in die Geheimnisse, die die Nacht zu
Tage bringt. Es begann alles damit, dass mein Verlobter Jonathan Harker aus geschäftlichen
Gründen nach Südost-Europa reiste – nach Transsylvanien.
Stimme Dracula:
Mein Freund, Willkommen in den Karpaten! Ich erwarte Sie bereits ungeduldig. Die Eilpost
nach Bukowina fährt um drei Uhr morgens ab. Für Sie ist ein Platz reserviert. Meine Kutsche
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wartet am Borgo-Pass und bringt Sie auf mein Schloss. Ich hoffe, dass Sie eine angenehme
Reise hatten und dass Ihnen mein schönes Land gefällt. Ihr Freund Graf Dracula.
1. Akt: Schloss Dracula
(Dracula und Jonathan, mit Koffer, betreten die Bühne.)
Dracula:
Willkommen in meinem Hause. Kommen Sie frei herein. Gehen Sie gesund wieder und
lassen Sie etwas von der Freude zurück, die Sie mit hereingebracht haben!
Jonathan:
Welch außergewöhnliche Begrüßung. Sehr freundlich.
Dracula:
Willkommen auf meinem Schloss, mein englischer Freund! (blickt ihn an) Sie sind jung, sehr
jung, voller Leben! Voller Blut!
Jonathan:
Sie sind wohl der berühmte Graf Dracula?
Dracula: (verneigt sich)
Wohl der Nacht! Ich bin Graf Dracula (erhebt sich und nimmt Jonathans rechte Hand) und
heiße Sie, Mr. Harker, auf meinem Schloss sehr willkommen.
Jonathan: (zieht seine Hand zurück; schaut sie sich an)
Welch kalte Hände!
Dracula:
Junger Freund, kommen Sie nun herein! Fühlen Sie sich willkommen! Denn Sie bedürfen des
Essens und der Ruhe. Wohl der Nacht, deren Luft so angenehm kühl ist. Sicher haben Sie
auch nach der langen Reise das Bedürfnis, sich zu erleichtern und ein wenig zu erfrischen.
Ich hoffe, dass Sie alles hier zu Ihrer Zufriedenheit vorfinden. (er nimmt den Reisekoffer von
Jonathan)
Jonathan:
Oh, nicht doch, Graf, bitte machen Sie doch keine Umstände um meine Person.
Dracula:
Keine Widerrede! Sie sind nicht nur mein Geschäftspartner, sondern auch mein Gast. Und
Gastfreundschaft wird in meinem Land sehr groß geschrieben. Also: ich dulde keinen
Widerspruch, so oder so nicht!
Jonathan:
Sehr wohl, Graf Dracula!
Dracula:
Ich freue mich außerordentlich, dass Sie den weiten Weg über die Berge hierher gefunden
haben.
Jonathan: (blickt sich um)
Welch Unmengen von Büchern! Wissen ist Macht!
Dracula:
Ja, schauen Sie sich die Bücher meiner bescheidenen Bibliothek ruhig an, junger Freund.
Diese Bücher sind meine besten Freunde. Und Wissen ist nicht nur Macht, sondern auch
Freiheit.
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Jonathan:
Oh, wie ich sehe sind auch einige Bücher aus meiner Heimat in ihrem Besitz. (deutet auf
einige Bücher) Hier: London! Dort: England! Und da: Sogar über Schottland!
Dracula:
Nun, seitdem ich mich mit dem Gedanken trage, das grandiose London einmal selbst
aufzusuchen, haben die Bilder in den Büchern mir viel Vergnügen bereitet. Wissen Sie, Mr.
Harker, ich möchte gern einmal durch die Straßen Ihrer prächtigen Hauptstadt gehen, um an
dem regen Leben im Mittelpunkt des Empires selbst teilzunehmen.
Jonathan:
In London pocht das Leben am Puls der Zeit, wie das Blut in den Adern.
Dracula:
Blut? Nun! Für mich sind Sie nicht nur als Vertreter meines Anwalts hier, um mir die
Einzelheiten eines Grundstückkaufes in London zu erläutern, sondern ich hoffe auch, dass
Sie mir einige Zeit Gesellschaft leisten, um mir möglichst viel von England und seinen
Bräuchen zu erzählen. Ich will Alles wissen.
Jonathan:
Gern! Selbstredend, Graf, natürlich werde ich Ihnen gern über das Empire erzählen.
(Man hört einen Wolf heulen.)
Dracula:
Hören Sie, wie sie rufen: Die Kinder der Nacht.
Jonathan:
Ich verstehe nicht?
Dracula:
Ah, Sir, nun ihr Stadtbewohner könnt euch eben nicht in die Seele eines Jägers versetzen.
Die Jagd nach Blut, um die unstillbar Gier zu bedienen.
Jonathan:
Gier? Blut? Schrecklich! Aber verehrter Graf: In diesem Land wimmelt es von Wölfen, da
könnte man eine Armee von Jägern gebrauchen.
Dracula: (harsch)
Mr. Harker, Sie sind in Transsylvanien! Und CANIS LUPUS gehört nach Transsylvanien wie
das Pferd nach England.
Jonathan:
In England sind alle Wölfe bereits ausgestorben.
Dracula:
Entspricht es nicht eher der Wahrheit, dass die Kinder der Nacht ausgerottet wurden?
Jonathan:
Das stimmt! Verzeiht, Graf Dracula! Gestatten Sie mir eine Frage?
Dracula:
Nur zu!
Jonathan:
Im letzten Dorf vor dem großen Wald erzählte mir eine alte Frau von den Bräuchen Ihres
Landes. Was hat es mit den blauen Flammen auf sich?
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Dracula: (lacht)
Ein alter Volksglaube, der mit der Sankt-Georg-Nacht verbunden ist. Sie weisen auf einen
vergrabenen Schatz hin.
Jonathan:
Ein wirklich seltsamer Aberglaube!
Dracula: (wird wieder harsch)
Bedenken Sie: Wir sind hier in Transsylvanien, und Transsylvanien ist nicht England. Unsere
Sitten und Gebräuche unterscheiden sich von den Ihrigen!
Jonathan:
Verzeihen Sie, Graf, ich vergaß.
Dracula:
Schon gut! Nun, setzen Sie sich doch und erzählen mir endlich von England und dem
Grundstück, das ich kaufen möchte. (beide setzen sich an den Tisch) Und greifen Sie zu,
junger Freund. Frisches Obst wird Ihnen gut tun, es kommt direkt von der Krim.
Jonathan:
Zu gütig, Graf! Nun, das Grundstück liegt in Purfleet, das heißt etwas östlich vom Zentrum
Londons. Der Name des Anwesen ist: Carfax. Es ist von einer hohen alten, massiven Mauer
aus großen Steinen umgeben. Auf dem Grundstück stehen zahlreiche Bäume, wodurch es
reichlich schattig ist.
Dracula: (erhebt sich)
Schatten – wundervoll! Auf Sonnenschein lege ich keinen Wert. Sonnenschein und blitzende
Fontänen, für die mag sich eine fröhliche Jugend begeistern. Ich liebe die Dunkelheit und die
Schatten. Carpe noctem!
Jonathan:
Das Haus selbst ist sehr groß. Es enthält tatsächlich noch Teile aus alten Zeiten. Davon
zeugen im Keller die mittelalterlichen Fundamente. Das Haus besitzt sogar ein altes Verlies
und eine Kapelle. Es soll sehr ruhig und einsam dort sein.
Dracula: (erhebt sich)
Mein altes Herz hat so viele Tote zu betrauern. Ich bin in meiner Trauer am liebsten allein. Da
ist eine Kapelle ein würdiger Ort.
Jonathan: (schneidet sich mit dem Messer – BLUTEFFEKT)
Au! Verflucht!
(Dracula wendet sich zu Jonathan. Er sieht das Blut und sein Blick ist von dämonischer Gier.
Er geht auf Jonathan zu und erblickt dann das Kreuz an Jonathans Hals. Er weicht zurück.)
Dracula:
Nehmen Sie sich in Acht, Mr. Harker! Nehmen Sie sich in Acht! Seien Sie achtsam, dass Sie
sich nicht nochmals schneiden. In diesem Land ist es gefährlicher, als Sie vielleicht denken
und sicherlich nicht für Ihre Gesundheit förderlich, mein junger Freund.
Jonathan:
Ich werde Ihren Rat beherzigen.
(Man hört einen Wolf heulen – dann kräht der Hahn)
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Dracula:
Schon wieder eine Nacht zu Ende! Wie unhöflich von mir, denn ich habe Sie um Ihren
wohlverdienten Schlaf gebracht. Am Abend sehen wir uns hier wieder. Schreiben Sie doch
bitte Mr. Hawkins, dass Sie gut hier angekommen sind. Schlafen Sie gut und träumen Sie
wohl! (ab)
Jonathan: (blickt sich um)
Das ist also Schloss Dracula und sein Schlossherr. Scheint freundlich zu sein, dieser Graf,
wenn auch etwas verschroben. Irgendwie habe ich dennoch ein mulmiges Gefühl. Gut, dass
ich schon während der Reise ein Tagebuch führte, an dessen Beginn ich Minas Adresse
niederschrieb, denn falls mir etwas zustoßen sollte, wird man ihr das Tagebuch nach England
schicken. (ab)
(Lichtwechsel. Kurze Musikeinspielung. Während der Musik tritt Jonathan ins Zimmer und
studiert in einem Buch. Der Graf tritt auf)
Dracula:
Wohl der Nacht! Carpe noctem!
Jonathan:
Guten Abend, Graf Dracula.
Dracula: (setzt sich)
Schon wieder über den Büchern, junger Freund?
Jonathan:
Ich will alles für den Kaufvertrag ordentlich bearbeiten, Graf.
Dracula:
Haben Sie denn auch gut geschlafen?
Jonathan:
Ziemlich unruhig. Ich fand keine Ruhe.
Dracula:
Oh! Das tut mir aber sehr leid! Warum?
Jonathan:
Das Heulen der Wölfe raubte meiner Seele die Ruhe. Erst bei Sonnenaufgang schlief ich ein.
Ich habe fast den ganzen Tag verschlafen.
Dracula:
Nichtsdestotrotz! Wir müssen heute einige geschäftliche Korrespondenzen erledigen.
Jonathan:
Sehr wohl, Graf Dracula.
Dracula:
Haben Sie außer Ihrem ersten Brief an Mr. Hawkins noch andere geschrieben?
Jonathan:
Nein.
Dracula:
Dann schreiben Sie sie jetzt, junger Freund. Teilen Sie Ihren Verwandten und Freunden mit,
dass Sie weitere vier Wochen bei mir bleiben.
Jonathan:
Wirklich? Das wusste ich noch gar nicht.
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Dracula:
Dann wissen Sie es jetzt. Ich lege großen Wert darauf.
Jonathan:
Aber – ich…
Dracula:
Nein, nein ich dulde keinen Widerspruch! Ihr Arbeitergeber Mr. Hawkins hat mir ausdrücklich
versichert, dass Sie alles tun würden, um mich zufrieden zu stellen.
Jonathan:
Selbstverständlich. Unsere Klienten stehen immer an erster Stelle
Dracula:
Gut so! Er schrieb mir auch, dass Sie ein würdiger Ersatz für Ihren unwürdigen Vorgänger,
Mr. Renfield sind.
Jonathan:
Gott – Renfield? (nachdenklich) Was aus dem wohl geworden ist – keiner sah ihn je wieder.
Dracula:
Ist auch besser so!
Jonathan:
Wie bitte?
Dracula:
Nur so ein Gedanke! Wir sind uns also einig, Mr. Harker?
Jonathan:
Ich habe verstanden, Graf. Ich werde noch heute Nacht diese Briefe schreiben.
Dracula: (erhebt sich)
Ich möchte Sie ausdrücklich davor warnen, außerhalb Ihres Zimmers zu schlafen, junger
Freund. Diese Gemäuer sind alt und bringen denen schlechte Träume, die am falschen Ort
schlafen. Nehmen Sie diese Warnung ernst! Sollten Sie jemals gegen meinen Rat
verstoßen...
(Dracula macht eine Handbewegung, als wolle er sich die Hände in Unschuld waschen.)
Jonathan:
Ich werde Sie nicht enttäuschen, Graf.
Dracula: (nimmt das Foto von Mina in die Hand und wirkt beim Anblick von Minas Foto auf
einmal verzaubert)
Oh! Wirklich reizend und sehr bezaubernd! Der glücklichste Mann auf Erden ist der, der das
Eine findet: Die wahre Liebe.
Jonathan:
Oh, Sie haben das Bild von Mina gefunden! Wir wollen gleich nach meiner Rückkehr heiraten.
Sind Sie verheiratet, Graf? (Stille) Graf? (Stille) Sind Sie verheiratet?
Dracula: (nachdenklich – sehr melancholisch)
Ich war einmal verheiratet. Doch das scheint eine Ewigkeit her zu sein. Sie ist gestorben.
Jonathan:
Oh, das tut mir Leid. Verzeihen Sie mir bitte. Ich war taktlos.
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Dracula:
Elisabetha. Mein Leben bedeutet ohne sie bestenfalls Qual. (betrachtet wieder das Bild) Ihre
Braut wird ohne Zweifel eine liebevolle Ehefrau abgeben.
Jonathan:
Ich habe Sehnsucht nach ihr und Heimweh. Sie verstehen?
Dracula:
Aber, aber, junger Freund, ich habe schließlich bisher nicht geknausert, oder?
Jonathan:
Keineswegs, Graf Dracula.
Dracula:
Was ich Sie aber noch fragen wollte, Mr. Harker, mein Freund – ….
Jonathan:
Nun?
Dracula:
Braucht man für die Verschiffung von Gütern in einen englischen Hafen einen lokalen Anwalt
oder könnte ich meine Angelegenheiten auch selbst regeln?
Jonathan:
Lokale Angelegenheiten können von unserer Kanzlei in jedem Hafen abgewickelt werden.
Ihnen steht aber frei, auch selbständig zu agieren. Das tun oft Geschäftsleute, die nicht
wünschen, dass irgendjemand Kenntnis von ihren Geschäften hat.
Dracula:
Ich danke Ihnen für die Auskunft und Wohl der Nacht! (ab – ein Wolf heult auf)
Jonathan:
Schönen Abend, Graf! (er betrachtet Minas Foto) Oh süßer Engel, geliebte Mina. Wie ich dich
vermisse! Du bist so weit weg und doch meinem Herzen so nah. Werden wir uns je
wiedersehen? Ich liebe dich auf immer und ewig, was auch kommen mag! Ich werde wieder
in mein Tagebuch schreiben. (beginnt zu schreiben) Ein merkwürdiger Mensch, dieser Graf
Dracula. Irgendwie hat er großherzige menschliche Züge, aber im nächsten Augenblick
erscheint er so, als wäre nichts Menschliches an und in ihm – kein Leben. Ein lebendiger
Toter! Er muss sehr einsam sein. Und dieses Schloss ist beängstigend. Türen, überall Türen
und alle verschlossen und verriegelt! Kein Diener weit und breit! Außer dem Grafen habe ich
noch überhaupt keinen Menschen gesehen - niemand im Schloss außer ihm und mir! Und
seit Tagen sehe ich ihn nur in der Nacht! Diese nächtliche Lebensweise zerstört meine
Nerven. Ich starre auf meinen eigenen Schatten und habe dabei die schrecklichsten
Einbildungen. Draußen die fernen Berge, das raue Meer schwarzer Baumwipfel, der Riss
einer tiefen Schlucht. Alles, selbst der Himmel von dichter samtener Schwärze, nur vom
fahlen Mond bestrahlt. Und niemand hier drinnen im Schloss... – nur der Graf... mein
Schatten und ich...! Ich fürchte mich... entsetzlich... oder werde ich wie ein Kind von meinen
eigenen Ängsten betrogen? Wie ein Kind? Oh mein Gott, dieses Schloss ist ein Gefängnis!
(Jonathan sinkt auf den Stuhl zusammen. Er schläft ein. Die Vampirinnen können auch
tanzend auftreten. Sie umgarnen Jonathan. Er erwacht langsam. Er fühlt sich wie in einem
wachen Traum. Gesprochen, mit wirkungsvoller Musik unterlegt.)
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Blonde:
Sieh da! Gesunder Menschenverstand, träume süß!
Schwarze:
Geh vor, Schwester! Du kommst zuerst, wir folgen.
Rote:
Du hast das Recht, den Anfang zu machen. Schau ihn dir an.
Blonde:
Er ist jung und stark! Die Adern voll Lebenssaft! Jede von uns darf ihn einmal küssen.
Blonde: (streichelt Jonathan)
Was für ein Prickeln in dieser Haut. Voller Leben!
Schwarze: (fühlt seinen Puls)
Was für ein Puls in diesen Adern! Voller Wärme!
Rote: (streichelt ihn auch)
Und dieses Fleisch ist heiß! Voller Lust!
(Dracula kommt blitzschnell. Er hat einen Sack bei sich. Jonathan öffnet die Augen, aber stellt
sich schnell schlafend.)
Dracula:
Zurück, Teufelsweiber! Wie könnt ihr es wagen, euch an ihm zu vergreifen? Habe ich euch
nicht ausdrücklich verboten, ihn auch nur zu betrachten? Zurück, sage ich, ihr Höllenbiester!
Dieser Mann gehört mir! Nehmt euch in Acht, dass ihr ihn nicht wieder belästigt, sonst habt
ihr es mit mir zu tun!
Blonde: (spöttisch)
Ha! Geschwätz! Du hast selbst nie geliebt, Meister! Du liebst niemals!
Dracula:
Doch, auch ich kann lieben und ihr wisst es selbst aus der Vergangenheit, nicht wahr?
Schwarze:
Vergangenheit! Erinnerung! Alles weg und verblasst. Aus der Traum. Schau uns nur an und
du kannst sehen, was du aus uns gemacht hast.
Rote:
Vergangenheit! Mein Fürst, wir wollen jetzt Lust und Liebe!
Blonde:
Meister! Höre. Uns treibt die unstillbare Gier.
Schwarze:
Die wahre Macht, die du uns gegeben hast. Lass sie uns wieder spüren.
Rote:
Diese schändliche, unendliche, verzehrende, zerstörende und ewig unstillbare Gier.
Blonde:
Nach Blut!
Schwarze:
Die Gier nach Blut!
Rote:
Blut heißt, ewig verdammt in den Schatten der Nacht leben.
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11
Dracula:
Ihr dürft ihn nach eurem Willen haben, wenn ich mit ihm fertig bin.
Blonde:
Wenn...wenn...wenn! Das sagt du uns immer, Meister!
Schwarze:
Bekommen wir denn heute nichts? Wir sind ganz leer und brauchen was…
Rote:
Jetzt ist die Nacht! Jetzt ist die Zeit! Gib uns Blut, Meister!
(Dracula gibt ihnen den Sack. Sie schauen hinein.)
Blonde:
Die Ewigkeit beginnt heute Nacht, Schwestern!
(Die drei ab. Dracula ebenfalls.)
Jonathan: (erwacht)
Oh mein Gott! Was war das? Mein Verstand, ich werde verrückt! Ich bin in den Klauen des
Leibhaftigen gefangen! Er ist ein Vampir mit drei Teufelsweibern, die mich aussaugen wollen.
Ich muss hier raus! Ich muss aus diesem verfluchten Schloss fliehen. Gott steh mir bei! (ab)
(Vorhang. Musikeinspielung)
2. Akt: London – Irrenanstalt und Park
(Auf der linken Bühnenseite ist die Irrenanstalt von Dr. Seward mit der Zelle von Renfield, in
diese die Zuschauer aber Einblick haben müssen. Rechte Bühnenseite zeigt Park mit
Parkbank, Laterne und Bäume / Büsche deuten eine typische Parkanlage in London an. Evtl.
im Hintergrund eine Mauer)
London – Irrenanstalt
(Renfield sitzt in seiner Zelle. Dr. Seward tritt auf)
Seward: (liest aus der Krankenakte)
R. M. Renfield, ehemaliger erfolgreicher Anwalt in der Kanzlei Hawkins. Er kehrte vor kurzem
von einer Geschäftsreise aus Transsylvanien zurück. Vollkommen unvermutet erleidet er
plötzlich einen Nervenzusammenbruch. Jetzt ist er besessen von einer Art Blutgier und
ernährt sich hauptsächlich von Fliegen und Maden.
Renfield:
Dr. Seward, wie wäre es mit einem kleinen Appetithäppchen? (er reicht ihm einen Teller mit
Fliegen und Maden) Vorzüglich, sag ich Ihnen, und sie bewirken ein Kribbeln im Mund.
Seward:
Ich verzichte, Mr. Renfield! Wie fühlen Sie sich heute Abend?
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Renfield:
Ich fühle mich viel besser als Sie, mein Doktorlein!
Seward:
Ihre Ernährung macht mir Sorgen. Sie ist ekelhaft!
Renfield:
Oh nein, sie ist sehr nahrhaft! Viel Eiweiß! Und lebendig schmecken die Tierchen doppelt so
gut. Denn: Jedes lebendige Leben, das ich aufnehme, gibt mir lebendiges Leben zurück.
Seward:
Blödsinn! Eine Fliege gibt Ihnen Leben? Nun: Für einen Geisteskranken, wie Sie es sind,
muss ich mir eine neue Klassifizierung ausdenken. Sigmund Freud sieht sowas wie Sie nicht
vor! (Tonfallwechsel – er wirkt jetzt selber Irre) Spinnen! Ha! Was ist mit Spinnen? Spinnen
fressen Fliegen!
Renfield: (lüstern)
Ja – Spinnen fressen die auf! Zack, sind sie weg!
Seward: (ihn reizend)
Und was ist mit kleinen, piepsenden Spatzen?
Renfield: (von dem Gedenken besessen)
Oh ja... sagten Sie Spatzen...ja? Ich will einen Spatz. Seine Kehle! Ich drehe sie einfach –
knack – um!
Seward: (stark reizend)
Oder etwas Größeres? Gar eine Katze!
Renfield:
Oh ja, ein Kätzchen! Ein Kätzchen, ein nettes, kleines, verspieltes Kätzchen! Dann könnte ich
mit ihm spielen, ihm alles Mögliche beibringen und es füttern – füttern bevor ich sein...!
(Seward wieder im normalen Zustand, aber er reizt nun Renfield immer stärker. Renfield fällt
in einen besessenen Zustand!)
Seward:
Möchten Sie nicht lieber eine Katze?
Renfield: (lüstern, sabbernd)
Oh ja...Hm... Eine fette, ausgewachsene Katze! Ich habe nur um ein Kätzchen gebeten, weil
ich dachte, Sie würden es nicht zulassen, dass ich eine Katze bekomme.
Seward:
Ja, eine schöne, große, fette Katze!
Renfield:
Eine ausgewachsene, fette Katze mit viel Blut! Davon hängt mein Seelenheil ab!
Seward: (jetzt nüchtern)
Ihr Seelenheil?
Renfield: (noch besessener – kommt auf Seward zu)
Ja! Ich brauche Leben! Ich brauche Leben für den Meister!
Seward: (neugierig)
Für den Meister? Was für ein Meister?
(Renfield umgarnt Seward besessen. Im Verlauf wird deutlich, dass er ihn anfallen wird.)
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13
Renfield:
Der Meister wird kommen. Und er hat mir versprochen, dass er mich unsterblich macht!
Seward:
Wie?
Renfield:
Unsterblich! (jetzt fällt er Seward wie ein Vampir an) Unsterblich!
Seward: (voller Panik – versetzt ihm einen Schlag)
Hilfe! Aufhören, sofort aufhören! Du widerlicher Bastard von einem Geistesgestörten!
(Renfield fällt zu Boden und wimmert. Seward atmet tief durch und verlässt die Zelle.)
Renfield: (schreiend)
Der Meister wird kommen! Ich brauche Blut! Blut bedeutet Leben! Unsterbliches Leben! Der
Meister ist nah! Es lebe der Meister!
London – Park
(Ein Zeitungsverkäufer erscheint auf der Szene. Mina tritt auf und setzt sich auf
eine Parkbank. Der Graf erscheint – er trägt eine Sonnenbrille. Er fixiert Mina.)
Zeitungsverkäufer: (spricht ins Publikum)
Sonderausgabe des Dailygraph! Sonderausgabe des Dailygraph! Wolf entflieht aus dem
Londoner Zoo!
(Dracula fixiert Mina. Mina erhebt sich und blickt sich fragend um.)
Dracula:
Sieh mich! Sieh mich jetzt!
(Mina nimmt Dracula wahr. Blickt ihn fragend an.)
Zeitungsverkäufer:
Geisterschiff im Hafen! Mannschaft verschollen! Heftigster Sturm der Geschichte fegt über
England! Geisterschiff! Kapitän tot! Am Steuerrad erhängt! Entlaufener Wolf versetzt London
in Angst und Schrecken! (zu Dracula) Möchten Sie eine, Sir?
(Dracula kauft eine Zeitung.)
Danke, Sir.
(Dracula liest. Der Zeitungsverkäufer verlässt die Bühne, indem er die Schlagzeilen weiter
ruft. Dracula geht lesend weiter und rempelt Mina an. Sie blickt ihn fragend an.)
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14
Dracula:
Oh! Ich bitte um Verzeihung! Pardon. Vor kurzem bin ich aus dem Ausland hier eingetroffen.
Verzeihen Sie, aber ich kenne mich nicht in Ihrer Stadt aus und weiß nicht wo. Oh! Mylady,
Sie sind eine bildschöne Dame...
Mina: (ihm ins Wort fallend - schnippisch)
Sie bekommen für sechs Penny überall einen Stadtplan! Guten Tag. (sie wendet sich zum
Gehen)
Dracula: (hinterher)
Verzeihung, Mylady, ich habe Sie beleidigt. Nun: Ich bin auf der Suche nach dem
Kinematographen. Ich hörte, er sei ein Wunderwerk der Zivilisation.
Mina: (dreht sich um)
Sie bevorzugen also Kultur? Dann besuchen Sie doch ein Museum. London ist voll davon.
Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich bin in Eile. (wendet sich wieder zum Gehen ab)
Dracula:
Mylady, Sie sind sehr reizend und anmutig, dazu intelligent. Eine so wunderschöne Dame
sollte nicht allein in einer so großen Stadt unterwegs sein.
Mina: (dreht sich wieder um – scharfer Tonfall)
Was fällt Ihnen ein? Kennen wir uns denn? Warum belehren Sie mich? Sagen Sie, kenne ich
Sie, Sir? Sind Sie mit meinem „Ehemann“ bekannt? Ich glaube, ich werde die Polizei rufen?!
Dracula:
Ehemann? Verzeihung! Ich gedenke, Sie nicht mehr zu belästigen.
Mina:
Verzeihung ist wohl Ihr liebstes Wort, was? (kurzer Moment Stille – Mina dann sanfter) Sir, ich
bin sehr unhöflich gewesen. Wenn Sie auf der Suche nach dem Kinematographen sind, ich
geleite Sie hin.
Dracula: (freundlich)
Oh, Mylady, ich danke. Darf ich die Ehre haben, mich Ihnen vorzustellen? Ich bin Prinz Vlad.
Mina:
Ein wirklicher Prinz?
Dracula:
Sehr wohl. Ein Prinz aus den Wäldern Europas. Ihre Wünsche sind mir Befehl.
Mina:
Ich bin Wilhelmina Murray, Prinz! Ich wollte gerade heimgehen. Ich bin schon spät dran.
Dracula:
Mylady Mina, so allein unterwegs, das darf nicht sein. Ich möchte Ihnen meine Begleitung
anbieten. Ganz unverfänglich, nur aus Höflichkeit! Ich kann es nämlich nicht ertragen, wenn
eine Dame so allein durch die geheimnisvollen Straßen und Gassen einer großen Stadt eilen
muss.
Mina:
Sehr gern, Prinz Vlad.
Dracula: (er zieht Mina in seinen Bann)
Ich fühle mich geehrt, Mylady Mina. (Handkuss) Es wird mir ein großes Vergnügen sein, süße
Mina. Wie hinreißend Sie sind...
Mina:
Prinz, aber, aber ich…
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(Dracula hält sie am Arm fest und zieht sie ganz nah an sich.)
Mina: (erschrocken – ängstlich)
Lassen Sie mich!
(Sie stockt. Dracula zieht sie noch stärker in seinen Bann.)
Mina:
Mein Gott, wer sind Sie?
Dracula:
Ich habe die Ozeane überquert, um dich zu finden.
Mina:
Ich kenne Sie! Ich habe Sie schon einmal gesehen, aber wo? Wann?
Dracula:
Wenn du mein Wesen suchst, dann lebst du meinen Traum noch einmal. Elisabetha. Und
wenn du in mein Herz siehst, dann werde ich dich in meine Arme schließen. Hab keine Angst
vor mir, süße Mina, ich bin der Engel, nach dem du verlangst. Die Ewigkeit beginnt heute
Nacht...
(Er will sie beißen. Kann es aber dann nicht. Hält inne. Mina kann sich losreißen – sie atmet
schwer durch.)
Mina: (rennt völlig verstört ab)
Auf Wiedersehen, Prinz Vlad.
Dracula: (allein – ihr nachblickend)
Wir werden uns wiedersehen, süße Mina! Und dann werde ich dir sagen, dass ich für dich
sterben würde. Ich würde mein Leben für dich geben, Elisabetha, denn Anfang und Ende, all
das bist du. Wenn die Zeit reif ist, werde ich dich zu meiner Königin der Nacht machen und dir
zeigen, was es heißt, unsterblich zu sein. (ab)
London – Irrenanstalt!
(Renfield hockt in der Ecke. Die Zwangsjacke liegt zu einem Bündel geschnürt in einer Ecke.
Seward auf.)
Seward:
Renfield, ich lasse ihre tägliche Ration halbieren!
Renfield:
Wieso? Was wollen Sie? Ich esse immer auf! (zeigt ihm einen Teller) Sehen Sie! Leer!
Seward
Ja, der Teller mit den Fliegen und Maden. Der Teller ist leer. Und der Suppenteller?
Renfield:
Voll!
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Seward:
Es wird doch nicht für Sie solch Ungeziefer gekocht!
Renfield:
Nun, meine lieben Freunde haben sich noch nie über euren Fraß beschwert?
Seward:
Ich warne Sie, Renfield. Ich bin heute schlecht gelaunt. Ich habe sehr schlecht geschlafen
und noch nicht gegessen.
Renfield: (reicht ihm den Teller)
Darf ich Ihnen ein paar Maden oder Fliegen anbieten? Haben viel Eiweiß!
Seward:
Renfield, Sie Sind erbärmlich primitiv!
Renfield:
Doktorchen fühlt sich leer!
Seward:
Ja! Wahrscheinlich! Wieso?
Renfield:
Nun: Ich tippe Liebeskummer! Und nichts ist gefährlicher als ein Chef, der Liebeskummer hat.
Er wird sich in die Arbeit stürzen. Tja und seine Arbeit bin ICH.
Seward:
Oh genau: Renfield ist meine Arbeit! Also, dann wollen wir mal!
Renfield:
Nein! Nicht!
Seward:
Rapport und Visitation. Los, los! Also: Wie geht es uns heute; Mr. Renfield?
Renfield:
Oh, mir ganz gut, aber dieselbe Frage möchte ich an Sie richten, Sir.
Seward:
Renfield, lenken Sie nicht ab! Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie ihre Tierliebe zügeln müssen.
Ha, aber Ungeziefer zieht Ungeziefer an! (beginnt zu notieren) Für diese Art der Krankheit
hatte ich letzte Nacht eine plötzliche Eingebung: pathologische Zoophagie.
Renfield:
Pathologische Zoopha – hä?
Seward:
Pathologische Zoophagie.
Renfield:
Und das bedeutet...?
Seward:
Krankhafte Tierfresserei!
Renfield:
Aber Doktorchen! Fressen ist so billig! Sagen wir: abbilden oder begreifen. Mit jedem Bissen
mache ich mir die Evolution zur Gegenwart und begreife sie, indem ich sie schmecke. Haben
Sie eigentlich mal versucht, mit dem Mund zu schauen und wahrzunehmen? Sinnorientiert –
verstehen Sie. Sie würden mehr begreifen.
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Seward:
Renfield! Renfield! Was soll ich mit Ihnen diskutieren? Sie sind eine lebendes Experiment!
Die Theorie der Pathologischen Zoophagie wird in die Psychologie-
Geschichte eingehen und mein Name wird auf ewig mit ihr verbunden sein. Ich werde
Englands Sigmund Freud sein.
Renfield:
Die Ewigkeit liegt in der Nacht und in der Unsterblichkeit, aber nicht in einem Eintrag in einem
Buch, das einem Feuersturm zum Opfer fallen kann.
Seward:
Albernheiten! Dummheiten! Lassen Sie das Gefasel!
Renfield:
Mein Doktorchen, geben Sie mir noch ein paar Tage! Ich bin schon weit gekommen. Es ist
Leben da, künftiges starkes Leben. Es ist alles Leben im Menschen.
Seward:
Und doch ist nicht alles im Leben im Menschen auch MENSCHLICH! Erkenntnis hat ihren
Preis. Was wollen Sie, Renfield?
Renfield:
Ich will endlich das Kätzchen, das Sie mir versprochen haben! Sie wissen, mein Seelenheil
hängt davon ab!
Seward:
Also gut. Nach dem Rundgang sollen Sie ein Kätzchen bekommen.
London – Park
(Abenddämmerung. Dracula und Mina treten auf.)
Dracula:
Mylady Mina, ich freue mich sehr, dass wir uns sobald schon wiedersehen. Daran hätte ich im
Traum nicht gedacht. Ich danke Ihnen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Sie bereiten
mir eine große Freude, Mylady.
Mina:
Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Prinz.
Dracula:
Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen diese Rose schenke, denn die Rose und Mylady, sind die
Schönheiten durch die die Nacht gekrönt wird.
Mina:
Prinz Vlad, sie schmeicheln mir und wie schön doch diese Rose ist. Und so stolz!
Dracula:
Die Rose, die Königin der Blumen. Doch ihre Dornen verlangen nach Blut. Die rote Blüte, die
Fee, will Ihre Seele. Doch bei mir sind Sie sicher.
Mina:
Erzählen Sie mir doch von Ihrer Heimat.
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Dracula:
Innerhalb der ganzen Schöpfung gibt es für mich keinen paradiesischen Ort! Die Berge und
Wälder im leuchtenden Grün des Smaragds, durchzogen mit leichtem Nebel.
Mina:
Ja, so stell ich es mir auch vor. Ein Land bewachsen mit gewaltigen Zauberwäldern,
umgeben von majestätischen Bergen. Blumen von solch blühender Pracht, wie diese Rose,
wie man sie bei uns nirgendwo findet. Der Duft dieser Blumen erfüllt und verzaubert nicht nur
die Luft am Tag, sondern auch die Nächte. Die Sinne werden verzaubert und man fühlt sich
wie in einem Märchenland.
Dracula:
Sie beschreiben meine Heimat, als hätten Sie sie mit eigenen Augen gesehen.
Mina:
Es liegt an Ihrer Stimme, Prinz Vlad, Ihre Stimme ist wie die Stimme in einem Traum, der
mich seit Wochen verwirrt. Wenn ich doch nur wüsste…?
Dracula:
Nun –
Mina:
Sagen Sie es mir frei und offen: Was ist mit der Prinzessin?
Dracula:
Welche Prinzessin?
Mina:
Sie sind ein Prinz und wo ein Prinz ist, gibt es immer eine Prinzessin. (verfällt in leichte
Trance) In fließenden weißen Gewändern. Ihre Haare: Schwarz wie Ebenholz und
hochgesteckt, kunstvoll geflochten wie eine Krone. Ihre Lippen: Rot wie Blut. Ihre Augen:
Braun wie die Kastanie. Und ihr Gesicht! Ihr Gesicht ist ein Fluss voller Tränen der Trauer
und des Herzwehs. Diese Prinzessin weint, sie klagt – klagt aus einer jenseitigen Welt! Was
ist mir ihr?
Dracula:
Es gab eine Prinzessin: Elisabetha!
Mina:
Elisabetha...wie das klingt... wie ein Zauber aus fernen Ländern.
Dracula:
Sie war die Dame mit der stolzesten Schönheit aller Fürstentümer der Welt. Ein schändlicher
Betrug raubte ihr einstmals ihren Prinzen. Da sprang sie in den Tod. In jenen Fluss, von dem
Sie sprachen. Sie heißt seitdem in meiner Heimat die Flussprinzessin.
Mina:
Ich muss gehen, Prinz, leben Sie wohl.
Dracula:
Wann darf ich Sie wiedersehen?
Mina:
Bald! Prinz Vlad! Bald (ab)
Dracula: (ihr anrufend)
Ich werde an dieser Stelle jeden Abend dieses Sommers auf Sie warten, geliebte Mina –
meine Elisabetha! (ab)
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London – Irrenanstalt
Seward treten auf. Renfield in seiner Zelle.
Seward:
Mit jedem neuen Tag finde ich auch einen neuen Renfield vor. Wie eine Schlange häutet sich
seine Seele! Ich komme da nicht mehr mit! Ich halte mit seinen Veränderungen nicht mehr
Schritt. Dieser Typ ist völlig übergeschnappt. In einem Moment winselt er wie ein
unterwürfiger Jagdhund und dann erbricht er auf einmal ein ganzes Federbüschel! Wie eine
Katze, die einen Vogel gefressen hat. Pah, man sollte Renfield aufs Nachbargrundstück
werfen. Da wimmelt es von Ratten. An denen kann sich dieser Widerling laben.
Renfield: (macht sich bemerkbar – laut – er hat eine Katze im Arm)
Der neue Eigentümer scheint viel vorzuhaben!
Seward:
Wieso?
Renfield:
Gestern wurden schwere Kisten angeliefert – sie kamen von dem russischen Schiff, das
neulich vor Yorkshire auflief.
Seward:
Woher wollen Sie das denn wissen, verrückter, eh verehrter Mr. Renfield!
Renfield:
Einer der Wärter hat es gesehen und erzählt! Er sagte auch, dass die Kisten mit staubiger
Erde gefüllt seien.
Seward:
Ha, ha – staubige Erde – so ein Blödsinn! Diese Federbüschel machen Ihnen die Kehle
trocken, was? Dann wollen wir mal sehen, wie es Renfield heute geht!
Renfield: (spricht an Seward vorbei)
Es ist Mitternacht! Der Bräutigam kommt! Die Braut muss sich bereit machen! Wohl auf!
Seward:
Wie meinen Sie denn das jetzt?
Renfield: (beachtet Seward gar nicht – sondern redet sich langsam in Rage)
Meister, ich erwarte Ihre Befehle! Sie werden mich doch nicht übergehen, verehrter Meister?
Sie lassen mich doch in den Festsaal? Ich bin bereit. (windet sich auf dem Boden)
Seward:
Renfield!
Renfield: (wird wild)
Die Ewigkeit beginnt in der Nacht!
Seward:
Renfield!
Renfield: (immer wilder - tobt)
Ich werde geduldig sein und warten, Meister! Warten auf das KOMMEN in der Nacht! (lacht
dämonisch)
(Man hört einen Wolf heulen – Musik – Vorhang)
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3. Akt: Haus Westenra
(Während der Musik betritt Mina die Szene. Sie setzt sich, um den Brief von Jonathan zu
lesen.)
Mina:
Endlich ein Zeichen von Jonathan! Endlich ein Brief. (Sie öffnen den Brief und liest.)
Stimme von Jonathan:
Liebste Mina! Alles ist hier in Ordnung. Der Graf hat darauf bestanden, dass ich noch einige
Zeit hier bleibe, um ihn mit den englischen Sitten und Gebräuchen bekannt zu machen. Mehr
kann ich nicht sagen, außer dass ich dich liebe. In ewiger Treue Jonathan.
(Mina drückt den Brief ans Herz und beginnt in einem Buch zu lesen. Lucy noch im OFF.)
Lucy: (auf dem OFF)
Mina! Wir sind zurück! Wo bist du, liebste Mina?
Mina:
Im Salon.
Lucy: (schnell auf)
Bücher! Tag ein – Tag aus! Unsere gebildete Mina. Wahrscheinlich steckt dein
anspruchsvoller Jonathan dahinter. Er zwingt dich wohl sämtliche Werke der Weltliteratur
aufzusaugen.
Mina:
Lucy, wie redest du denn über meinen Verlobten!
Lucy:
Ich hoffe, dass dein Jonathan auch seinen Aufgaben als Liebhaber gänzlich gewachsen ist?
Mh, wie weit seid ihr? Komm, verrate es deiner lieben Lucy!
Mina:
Wir haben uns geküsst, sonst war nichts.
Lucy:
Was? Geküsst? Du Glückliche! Ich habe noch nicht mal einen Kuss oder gar einen
Heiratsantrag bekommen. Und dabei bin ich bereits über zwanzig und praktisch eine alte
Schachtel. Auf dem besten Weg eine alte Jungfer zu werden.
Mina:
Du bist albern, Lucy!
Lucy:
Ich bitte dich Mina! Ich bin zur ewigen Einsamkeit verdammt! Ist doch wahr! Du kannst dich
glücklich schätzen. Du hast einen knackigen Verlobten, auch wenn ihr momentan weit
voneinander getrennt seid.
Mina:
Heute habe ich endlich einen Brief von meinem Liebsten bekommen.
Lucy:
Oh, wie süß! Reizend! Was schreibt er denn?
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