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Colloquien der Deutschen Orient-Gesellschaft Band 7 2013 Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat

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Colloquien der Deutschen Orient-Gesellschaft

Band 7

2013

Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

Tempel im Alten Orient 7. Internationales Colloquium

der Deutschen Orient-Gesellschaft 11.-13. Oktober 2009, München

Im Auftrag des Vorstands der Deutschen Orient-Gesellschaft

herausgegeben von Kai Kaniuth, Anne Löhnert, Jared L. Miller,

Adelheid Otto, Michael Roaf und Walther Sallaberger

2013

Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

Die Bände 1-3 der Reihe sind in der Saarländischen Druckerei & Verlag GmbH, Saarwellingen erschienen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Bibliographieinformation published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the internet at http://dnb.dnb.de.

Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter http: I /www.harrassowitz-verlag.de

© Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen .jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Memminger MedienCentrum AG Printed in Germany

ISSN 1433-7401 ISBN 978-3-447-06774-4

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX

Vortrags-Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI

Wilfrid Allinger-Csollich Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat ..... .

Claus Ambos Rituale beim Abriß und Wiederaufbau eines Tempels

Reinhard Bernbeck Religious Revolutions in the Neolithic? "Temples" in Present

19

Discourse and Past Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Jerrold S. Cooper Sex and the Temple . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Margarete van Ess Babylonische Tempel zwischen Ur III- und neubabylonischer Zeit: Zu einigen Aspekten ihrer planerischen Gestaltung und religiösen Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Frederick Mario Fales The Temple and the Land 85

Uri Gabbay The Performance of Emesal Prayers within the Regular Temple Cult: Content and Ritual Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Susanne Görke Hethitische Rituale im Tempel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Markus Hilgert "Tempelbibliothek" oder "Tafeldepot"? Zum rezeptionspraktischen Kontext der "Sippar-Bibliothek" . . . . . . . . 137

Michael Jursa (Wien) Die babylonische Priesterschaft im ersten Jahrtausend v. Chr. . . . . . . . 151

VI Inhalt

Kristin Kleber The Late Babylonian Temple: Economy, Politics and Cult . . . . . . . . . . . 167

Kay Kohlmeyer Der Tempel des Wettergottes von Aleppo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Walter Kuntner und Sandra Heinsch Die babylonischen Tempel in der Zeit nach den Chaldäern . . . . . . . . . . 219

Anne Löhnert Das Bild des Tempels in der sumerischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Nicolo Marchetti Mesopotamian Early Dynastie Statuary in Context . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Stefan M. Maul Das Haus des Götterkönigs: Gedanken zur Konzeption überregionaler Heiligtümer im Alten Orient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

Wiebke Meinhold Tempel, Kult und Mythos: Zum Verhältnis von Haupt- und Nebengottheiten in Heiligtümern der Stadt Assur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Andreas Müller-Karpe Einige archäologische sowie archäoastronomische Aspekte hethitischer Sakralbauten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Adelheid Otto Gotteshaus und Allerheiligstes in Syrien und Nordmesopotamien während des 2. Jts. v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

Frances Pinnock Syrian and North Mesopotamian Temples in the Early Bronze Age . . 385

Shahrokh Razmjou and Michael Roaf Templesand Sacred Places in Persepolis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

Michael Roaf Temples and the Origin of Civilisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427

Ingo Schrakamp Die "Sumerische Tempelstadt" heute: Die sozioökonomische Rolle eines Tempels in frühdynastischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

Ursula Seidl Bildschmuck an mesopotamischen Tempeln des 2. Jahrtausends v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467

Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat

Wilfrid Allinger-Csollich (Innsbruck)

Two axioms have proved very infiuential for research on the Mesopotamian ziggurat: The outer appearance of the ziggurat has been determined through the differing interpretations of the AnubelSunu text. lts function has been de­duced from Lenzen's developmental model, which saw the ziggurats of the first millennium BC as successors to the temples on terraces ofthe third millen­nium BC. Current work on the ziggurat of Borsippa and the results obtained by van Ess on the ziggurat of Warka have produced new evidence relevant to the development of both appearance and function. For the first time, the arrangement ofthe steps can be discussed with recourse to archaeological evi­dence. Of particular importance is the recognition that the Neo-Babylonian ziggurat of Borsippa featured a lower first platform, surrounded, as in Choga Zanbil, by temenos buildings, which existed in Borsippa until the Parthian period. The encroachment of the lateral stairs and the removal of the central stairway created an appearance similar to that of Assyrian ziggurats. The most significant change occurred during the Parthian period, when the entire complex was, as in Nippur, converted into a military stronghold. These results also bear on the relationship of"base" versus "high temple".

Die Dissertation von Lenzen an der Fakultät für Bauwesen der Technischen Hoch­schule in Dresden über die Entwicklung der Ziqqurrat von ihren Anfängen bis zur Zeit der 3. Dynastie von Ur hat unser Bild vom Aussehen und von der Funktion einer Ziqqurrat nachhaltig beeinflusst (Lenzen 1941, 51-60). Ausgehend von den Befunden in Uruk an der "Anu-Ziqqurrat" und vor allem an der Hochterrasse in Eanna, sieht er einen ungebrochenen Weg bis zu den Stufentürmen der Ur 111-Zeit. Er schließt aus allen von ihm angeführten Belegen, "daß die archaischen Hochterrassen im Wesen dasselbe sind, wie die Zikurrati der III. Dynastie von Ur und der Folge­zeiten" (Lenzen 1941, 55). Es ist wichtig zu betonen, dass Lenzen nie den Begriff "Ziqqurrat" für eine Hochterrasse verwendet, sondern nur auf einen entwicklungs­geschichtlichen Gang hinweist.

Es hat sich aber verschiedentlich eingebürgert, bei Tempel- oder Hochterrassen des 3. Jahrtausends von "Ziqqurrat" zu sprechen (Parrot 1949, 52- 55 und Busink 1969-70, 91- 93 für alle Hochterrassen; Hrouda 1971, 114-115; Abb. 40 für die frühdynastischen

2 Wilfrid Allinger-Csollich

Terrassen von Ur und Obed; Heinrich 1982, 100-101 für alle Hochterrassen seit der Uruk-Zeit außer denen von Khafaji und Obed; Heinrich 1982, 102). Diese kontrovers diskutierten Ansichten über den Begriff "Ziqqurrat", der erst als akkadisches Wort ziqqurratu ab der altbabylonischen Zeit nachweisbar ist, greift Pfälzner in seiner Arbeit über das Tempeloval von Urkes auf (Pfälzner 2008, 425-426). Ausgehend vom sumerischen Wort gigunu für den auf einer Hochterrasse stehenden Tempel und der späteren Übernahme dieses Wortes in der Ur III-Zeit für den Stufenturm sieht er keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen einer Hochterrasse und einer klassi­schen Ziqqurrat, so dass er für die Verwendung des Wortes Ziqqurrat für alle Tempel auf Hochterrassen plädiert (Pfälzner 2008, 426). Eine mögliche Gefahr bei einem sol­chen Vorgehen ist eine verallgemeinernde Sichtweise, die Zusammenhänge verdecken kann. Außerdem werden z. B. die Tempelterrassen des 1. Jahrtausends stillschweigend von dieser Regel ausgenommen. Würde man in dieser Richtung konsequent weiterden­ken, gäbe es z. B. in Babyion und Borsippa jeweils zwei Ziqqurrate, den Tempel auf einer Hochterrasse und daneben den Stufenturm. Eine solche Ansicht würde aber doch weitgehend als sehr abwegig empfunden werden, da es dann dort keinen "Tempel zur ebenen Erde" mehr gäbe.

Wir haben immer noch ein Bild von einem Stufenturm, welches letztendlich auf Herodot (Hdt. 1,181) zurückgeht und sich heute noch kaum von dessen Grundzügen unterscheidet: Eine Ziqqurrat ist demnach ein mehr oder weniger großer Unterbau, auf dem ein Tempel steht. So drückte das zuletzt Pfälzner aus:

Eine prinzipielle typologische Unterscheidung zwischen ,Hochterrasse' und ,Ziqqurrat' ist nicht sinnvoll. Die beiden Begriffe können, auch für das 3. Jahrtausend, synonym zueinander verwendet werden. Dies bedeutet, dass man zwischen einstufigen, mehrstufigen und oben abgetreppten Hochterras­sen/Ziqqurraten/Gigunas unterscheiden kann (Pfälzner 2008, 426).

Bei den gängigen Rekonstruktionsversuchen von Stufentürmen wird der Tempel auf der Spitze des Turmes nicht als mögliches Diskussionsobjekt betrachtet. Die in der "Esagil-Tafel" (Text und Interpretation bei Allinger-Csollich 1998, 290-309) ge­nannten Heiligtümer werden - obwohl das dort nicht dezidiert so beschrieben wird -zu einem einzigen Tempelbau zusammengefügt. So bliebe auch nach Berücksich­tigung der Esagil-Tafel eine Ziqqurrat eine monumentale Subkonstruktion, auf der ein Tempel platziert ist.

Sowohl Schmid (1995, bes. 96-103), der nach Grabungen am Kernmas­siv in Babyion die Ziqqurrat-Problematik am klarsten und vollständigs­ten dargestellt hat, als auch van Ess (2001, 323) anlässlich ihrer Bearbei­tung des Ur !li-zeitlichen Stufenturms von Uruk, sehen dagegen eine klare Trennung zwischen einer Hochterrasse und einem Stufenturm, wie er uns ab der Ur 111-Zeit entgegentritt und lehnen auch eine einheitliche Bezeichnung ab. Die bei­den sind es auch, die die letzten Rekonstruktionen von babylonischen Stufentürmen vorgelegt haben, van Ess von der Ur 111-zeitlichen Ziqqurrat von Uruk und Schmid vom Turm von Babylon.

Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat 3

Die Rekonstruktion des äußeren Bildes der Ziqqurrat von Babyion erarbeitete Schmid anband der Esagil-Tafel, wobei er das in Resten vorgefundene archäologi­sche Material in seine Interpretation einarbeitete (Abb. 1). Die Höhe der einzelnen Stockwerke bestimmte er nach einer von mehreren möglichen Auslegungen der Esa­gil-Tafel und führte die Seitentreppen, die in Ansätzen am Turm erhalten waren, bis zur erschlossenen Oberfläche des ersten Stockwerkes. Die Mitteltreppe musste er aus

Abb. 1. Rekonstruktion der Südfassade des Turmes von Babyion nach Schmid (1995,

Plan 10).

Platzgründen bis zur zweiten Stufe durchziehen, sodass kein direkter Zugang von der ersten zur zweiten Stufe möglich war. Ab der zweiten Stufe schlug Schmid eine Führung der Treppenläufe ähnlich wie in Tchoga Zanbil (Abb. 2) im Inneren des Turmes bis zum Tempel auf der Spitze des Turmes vor, der aus den in der Esagil-Tafel genannten Heiligtümern und Räumlichkei­ten zusammengesetzt ist (Schmid 1995, 120-121: Rekonstruktion der Maße der einzelnen Stockwerke (Terrassen); 125: Rekonstruktion der Treppen im oberen Turmbe­reich; 132- 136: Rekonstruktion des Hochtempels).

Abb. 2. Rekonstruktion des Aufganges und Schnitt durch die SW-Treppenanlage von Tchoga Zanbil nach Ghirshman (1966, 54, Fig. 36, 37).

4 Wilfrid Allinger-Csollich

Die sogenannte Sch0yen-Stele aus Oslo scheint uns aller Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Aussehen und Funktion einer Ziqqurrat zu entheben (Sch0yen Collection, MS 2063; s. Abb. 3). Die Stele stammt aus dem Kunsthandel und wurde zuletzt in einem eher unbefriedigenden Beitrag diskutiert (Montero-Fenoll6s 2008, 229-230). Meinen Ausführungen liegt nur die im Internet vorgestellte Rekonstruk­tionszeichnung Sch0yens zugrunde, die dieser nach der meinem Wissen nach noch nicht publizierten Aufnahmezeichnung von Andrew George angefertigt hat (Abb. bei Montero-Fenoll6s 2008, 229).1

Abb. 3. Die sogenannte Sch0yen-Stele (Sch0yen Collection, MS 2063).

Was ist auf dieser Stele zu erkennen? Wir sehen einen König, nach der Inschrift Nebukadnezar Il., der vor der Ansicht einer Ziqqurrat und einem darüber liegen­den Grundriss des Hochtempels dargestellt ist. Diese Kombination ist äußerst un­gewöhnlich, vor allem deshalb, da es sonst meines Wissens kein Dokument gibt, auf dem Ansicht und Grundriss (oder auch König und Grundriss) nebeneinander dargestellt sind. Darüber hinaus stellt die detailgerraue Darstellungsweise der Pläne eine Besonderheit dar. Die Zeichnung wiederum ist - für eine Königsstele - erstau­nenswert flüchtig in dem Sinne ausgeführt, als z. B. die Vor- und Rücksprünge in verschiedenen Größen und ganz unregelmäßig eingefügt worden sind oder die Mauern des Hochtempels fast alle unterschiedliche Stärken haben.

Betrachten wir zuerst die Ansicht des Turmes und untersuchen seine Maßhaltig­keit: Unter Zugrundelegung der auf archäologischem Wege ermittelten Maße der Ziqqurrat von Babyion sei die Grundlinie 90 m. Die Höhe des Turmes liegt dann um die 90 m, denn seine Höbe entspricht, wie bei Herodot und den meisten Interpreten

Internet: http://www.Scheyencollection.com/babylonian _ files/ms2063bs.jpg (einges. 10.4.201 0). [Inzwischen erschienen in A. R. George (ed.), Cuneiform Royal Inscriptions and Related Texts in

the Seheyen Collection. CUSAS 17 (2011), 153- 169.]

Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat 5

der Esagil-Tafel beschrieben, der Seitenlänge. Die erste Stufe der "Scheyen-Ziqqur­rat" hat eine Höhe von 27 m. 30 m gibt die Esagil-Tafel nach einer ihrer Interpreta­tionsmöglichkeiten an. Das ist insofern von Wichtigkeit, als in dieser Stufe auf der Seheyen-Stele erstmalig die Seitenstiegen eingezeichnet sind und zwar genau nach der Art, wie sie in den gängigen Rekonstruktionen angenommen wird. Die Mittel­stiege führt im Plan der Seheyen-Stele hingegen nur auf die erste Stufe, was daran liegt, dass sich der weitere Aufbau z. B. von der Rekonstruktion Schmids insofern unterscheidet, als alle fünfweiteren Stufen 8,1 m (also insgesamt 40,5 m) hoch sind, wobei sie sich regelmäßig in ihren Längenabmessungen verjüngen. Während die erste Stufe abgeböschte Wände aufweist, sind die Wände der weiteren Stufen senkrecht eingezeichnet (Schmid 1995, Plan 10: Rekonstruktion der Südansicht, hier Abb. 1). Wie ein breiter ausgeführter Rücksprung in der Außenseite der Mitte der zweiten Stufe schließen lässt, sind die weiteren Stiegenaufgänge, wie in Tchoga Zanbil vorgefunden (Ghirshman 1966, 52-57) und wie von Schmid vermutet, im Inne­ren der Ziqqurrat angelegt (Schmid 1995, 120). Die Vor- und Rücksprünge der untersten Stufe sind klar aufgeteilt und entsprechen in ihrer Anordnung genau dem Befund in Babylon. Die anderen Vor- und Rücksprünge, die nicht aus den Grabungen bekannt sind, wurden so angeordnet, dass sie die größeren und kleineren Abstände zwischen den Rücksprüngen auf das zur Verfügung stehende Breitenmaß der jeweiligen Stufe ganz unregelmäßig irgendwie aufteilen. Diese Stufengliederung entspricht derjenigen auf dem Plan der Tontafel VAT 8322 im Vorderasiatischen Mu­seum (Abb. 4; VAT 8322: Jakob-Rost 1984, 59- 62; Allinger-Csollich 2008,576 Abb. 392, vgl. 584). Auf der Zeichnung, die laut Inschrift die "Ziqqurrat von Marduk" dar­stellt, haben die Stufen die gleichen Abstände zueinander und auch die Stufenanzahl stimmt, soweit das aus dem Fragment gesagt werden kann, mit dem Ziqqurrat-Plan der Seheyen-Sammlung überein.

Abb. 4. Vorderasiatisches Museum Berlin, Tontafel VAT 8322. Digitale Umsetzung mit Markierung der erkennbaren Linien des Fotos bei Allinger-Csollich (2008, Abb. 392).

6 Wilfrid Allinger-Csollich

Das Heiligtum auf der obersten Stufe der Ansicht auf der Sch0yen-Stele hat im angenommenen Maßstab eine Höhe von unglaubhaften 22,5 m, wobei es sich an­scheinend in fünfunterschiedlich hohe Abschnitte aufgliedert. Die Ansicht kann mit dem darüber dargestellten Grundriss nicht in Deckung gebracht werden, was bei der sonstigen Detailgenauigkeit höchst merkwürdig ist. Vergleicht man die Fassaden­wand des Tempels, so stimmt diese zwar äußerst genau mit dem erdachten Rekon­struktionsvorschlag von Schmid überein, lässt jedoch nur schwerlich die Gliederung in die fünf Abschnitte des Grundrisses zu (Schmid 1995, 145; Taf. 17. 18).

Die Aufteilung der Räume im quadratischen Tempel entspricht in etwa den schon früher gemachten Vorschlägen, besitztjedoch entgegen anderen Interpretationen der Esagil-Tafel nicht vier, sondern nur eine Eingangstüre, wodurch es möglich wird, eine Breitcella mit Nische zu schaffen. Der Eingang ist äußerst ungewöhnlich und gar nicht einem babylonischen Tempel entsprechend angelegt; durch diese Form wird ein seitlicher Zugang zur Cella ermöglicht. Ansonsten finden wir den rechteckigen Plan Schmids weitgehend spiegelverkehrt dargestellt (Abb. 5).

Abb. 5. Spiegelverkehrte Darstellung des Rekonstruktionsvorschlages des Tempels auf der obersten Stufe der Ziqqurrat von Babyion durch Schmid (1995, Plan 18).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Abbildungen auf der Sch0yen-Stele eine eigenartige Mischung von aus bestimmten Interpretationen der Esagil-Tafel Be­kanntem und der Tafel VAT 8322 darstellen.

Die Pläne aus Oslo vermitteln folgendes Ziqqurrat-Bild: Eine Ziqqurrat ist ein Heiligtum auf einem gewaltigen abgestuften Unterbau. Ihre Breite entspricht der Gesamthöhe. Die unterste Stufe weist eine Höhe von einem Drittel der Seitenlän­ge auf, die anderen Stufen sind gleichmäßig hoch ausgebildet, so wie sie auf der Tontafel VAT 8322 dargestellt sind. Die Treppenaufgänge entsprechen weitgehend

Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat 7

dem archäologischen Befund in Babyion und dem Rekonstruktionsvorschlag durch Scbmid. Die Raumeinteilung des Heiligtums auf der Spitze gleicht in groben Zügen den bisher aus der Esagil-Tafel gewonnenen Vorschlägen. Zusammengenommen bie­tet die Stele eigentlich nichts Neues - sie bestätigt vielmehr altbekannte Interpreta­tionen bis in kleinste, ja selbst hinein in bisher rein erdachte Details. Letzteres muss aus meiner Sicht äußerst bedenklich stimmen.

Wenden wir uns den Grabungen und Untersuchungen am Stufenturm von Bor­sippa zu, die 20 Jahre angedauert haben und bei denen angestrebt wurde, den Fokus auf archäologisch-technische Aspekte zu legen, um eine neue Herangehensweise an das Ziqqurrat-Problem zu ermöglichen: Nicht die schriftliche Quelle sollte der Aus­gangspunkt sein, von dem der Befund zu interpretieren ist, sondern der Befund sollte das Verständnis der schriftlichen Quelle ermöglichen (Allinger-Csollich 1991; 1998). Diese Arbeiten sind auf Grund der gewonnenen Materialfülle noch nicht abgeschlos­sen und aus diesem Grunde kann noch keine sinnvolle Rekonstruktion versucht wer­den. Naturgemäß kommen in einem solchen Zeitraum aber viele neue Befunde zu Tage, die wegen der zahllosen technischen Details, die zu überdenken sind, nicht in dem Maße gewürdigt wurden, wie es ihnen eigentlich hätte zukommen können. Im Gegenteil: Stimmte ein Befund in Borsippa nicht mit der gängigen Meinung über­ein, · so redete man gerne von einem "Sonderfall Borsippa". Doch Borsippa ist kein Sonderfall, sondern der einzige Fall! Es seien im Folgenden zwei Detailfragen aus­gewählt, um das zu demonstrieren, und zwaramBegriff der sogenannten "Füllung" und an der Höhe der ersten Stufe.

In Borsippa konnte klar nachgewiesen werden, dass der Kern aus Lehmziegeln zur Zeit Nebukadnezars II. nur bis zu einer ganz bestimmten Höhe hochgezogen wurde, nämlich bis zur Oberkante des Unterbaus (Allinger-Csollich 1991, 444-450), über dem der statisch wichtige Verbindungsbau als Armierungsplatte liegt (Allinger­Csollich 1991, 469- 480). Der Lehmziegelkern wurde dabei im gleichen Arbeitsgang mit dem Mantel aus gebrannten Ziegeln errichtet (Allinger-Csollicb 1998, 116-121). Obwohl dieser Befund schon vor 18 Jahren veröffentlicht worden ist, sprach man trotzdem weiterbin in Babyion von einer zeitlieb auch in die Zeit Nebukadnezars II. anzusetzenden Errichtung eines Unterbaus, bei dem zuerst der Mantel gebaut worden und dann in einem zweiten Arbeitsgang mit dem Kernziegelwerk gefüllt worden wäre. Während in Borsippa dieser Befund zur Bautechnik eindeutig belegt werden kann, stützt sich die für Babyion vorgeschlagene Bauabfolge nicht auf einen archäo­logischen Befund, sondern lediglieb auf die Auslegung des Begriffes "Füllung" in einem Gründungszylinder Nebukadnezars II. (Scbmid 1995, 80- 84). Abgesehen von den Datierungsvorschlägen für den Kern des Etemenanki, die an sieb hinterfragt werden müssen (Kuntner/Heinscb/Allinger-Csollich 2009, 269- 271; Allinger­Csollicb/Heinsch/Kuntner 2010, 30; Allinger-Csollich 2008), widerspricht der heute greifbare archäologische Befund am Stufenturm von Babyion völlig dieser Ansicht, weil dort der Kern unter dem Mantel liegt. So wurde hier der Textbefund dem archäologischen Befund vorgezogen (Abb. 6).

8 Wilfrid Allinger-Csollich

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Abb. 6. Ziqqurrat von Babylon: Ost-West Schnitt durch den Lehmziegelkern mit den Umrissen der 1913 festgestellten aufliegenden Mantelteile. Schmid (1981, Beilage 18.

Ausschnitt).

Das Bauprinzip der Babyionier war zwar tatsächlich die "Füllung"- deswegen auch die Verwendung des Wortes durch Nebukadnezar - doch die beiden Komponenten Rahmen und Füllung, die gemeinsam lagenweise erfolgten, sind als bautechnische Einheit zu sehen. Diese Technik hatte den großen Vorteil, dass Bauvorgaben, die mit einer großen Arbeiteranzahl durchgeführt werden mussten, genauestens eingehalten werden konnten (Allinger-Csollich 1998, 111- 132).

Auf Grund der Befunde in Borsippa kann heute festgestellt werden, dass der Ausgangspunkt für jede Planung und für die Bauorganisation der einzelne Ziegel als Maßeinheit war. Ein Baumaß war, nachdem der Grundriss mit Maßschnüren vor­gezogen worden war, in einer bestimmten Ziegelanzahl vorgegeben; dies steht im Gegensatz zur heutigen Praxis, derzufolge ein gegebenes Maß mit Ziegeln belegt wird, und es ist gleichzeitig der Grund - auf den nicht genug hingewiesen werden kann - für die Entstehung der überlieferten Ziegelpläne (Allinger-Csollich 1998, 153-211).

Der Nachweis der Ziegelraster war einer der großen Erfolge der Grabungen an der Ziqqurrat von Borsippa. Bestätigt wurden diese Befunde durch die Bauweise der Plattform des Tempels Ezida, die auf die gleiche Art, nur mit dem Unterschied erfolgte, dass die Füllung des Ziegelrasters aus einer Lehmschüttung bestand, die viel leichter zu erkennen war als die im Ziegelwerk des Turmes (Allinger-Csollich 1998, 143-146). Dadurch war gesichert, dass die große mit Ziegeln zu belegende Fläche des Turmes in "Planquadrate" eingeteilt worden war, die in einem zweiten Arbeitsgang gefüllt worden sind. So wurde es möglich, aus kleinen Mauerbereichen, in denen das Raster rekonstruiert werden konnte, Schlüsse auf das Gesamtausmaß der in einer bestimmten Höhe des Turmes zu belegenden Fläche zu ziehen. Da das Raster mit jedem neuen Stockwerk einem neuen Maß angeglichen werden musste, ist

Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat 9

die Linie des Überganges von einem Stockwerk zum anderen feststellbar, auch wenn keine Außenwand mehr vorhanden ist. Eine Rekonstruktion des Turmes auf rein archäologischem Wege wird dadurch ermöglicht (Allinger-Csollich 1998, 127-132).

Abb. 7. In der Bautechnik von Schüttungen in "Ziegelrastern" in der Tempelterrasse des Ezida in Borsippa ist das Prinzip der "Füllung" am deutlichsten erkennbar. Im Raum hinter der Hauptcella-Rückwand (links) konnten die zweireihigen Lehmziegelstege eines Ziegelrasters (am Boden) in der Lehmschüttung festgestellt werden. In jeder zweiten Lage (= jedes zweite Rastersystem) befindet sich in der Terrasse der Steg an der gleichen Stelle. Im Profil sind zwischen den Ziegellagen die ziegelfreien Räume (= Schüttung) erkennbar; dort treffen wir auf die Stege an einer anderen Stelle. Das Mauergewicht des Tempels verformte die Terrasse bogenförmig. Ziegelgröße 32 x 32 x 12 cm. Foto:

Allinger-Csollich.

Zeitlich gesehen besteht die Ziqqurrat von Borsippa aus zwei Türmen, einem älteren Turm, der nicht genau datierbar ist, aber auf Grund der Bautechnik an den Anfang des 2. Jahrtausends zu setzen ist, und darauf aufgebaut einem jüngeren Teil, der eindeutig Nebukadnezar II. zugeordnet werden kann, da ausnahmslos alle Ziegel seinen Stempel tragen und vier Gründungszylinder von ihm in diesem Bereich in situ gefunden worden sind (Allinger-Csollich 1991, 390-436). Ganz auszuschließen ist jedoch eine noch jüngere Phase nicht, da gerade im obersten erhaltenen Bereich sich zwar keine Veränderung im verwendeten Ziegelmaterial, aber offensichtliche, jedoch noch unpublizierte, Veränderungen in der Bautechnik zeigen. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass im obersten erhaltenen Bereich in späterer Zeit unter Ver­wendung der Ziegel Nebukadnezars weiter gebaut worden ist.

10 Wilfrid Allinger-Csollich

In den letzten Jahren der Grabungen an der Ziqqurrat in Borsippa gelang es am Westeck des Turmes, den Verfallschutt des Baus zu durchstoßen und in die strati­graphisch ungestörten Bereiche der am Turm anliegenden Schichten und Architek­turreste vorzudringen. Leider konnte hier der Gründungshorizont der Ziqqurrat aus dem 2. Jahrtausend noch nicht erreicht werden (Abb. 8).

Abb. 8. Das Westeck der Ziqqurrat von Borsippa: (A) Schnitt durch die von Nebu­kadnezar II. angebaute unterste Stufe (parthische Kaverne), (B) Ansicht der unters­ten Stufe, (C) Außenwand und Westeck der alten Ziqqurrat, (D) Lehmboden auf der untersten Stufe, (E) Kern und (F) Mantel der Ziqqurrat Nebukadnezars II. Foto:

Allinger-Csollich.

Was hier aber angetroffen wurde, war die unterste Stufe der Ziqqurrat. Diese Stufe war offensichtlich von Nebukadnezar II. an die hohe erste Stufe des alten Turmes angebaut worden, was das Aussehen der Ziqqurrat grundsätzlich veränderte. Für die Tempelbauten, die in einem Abstand von ungefähr 2 m entlang der Außenwand

Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat 11

dieser untersten Stufe angelegt wurden, muss eine Laufzeit, die über die neubaby­lonische Zeit hinausgeht, angenommen werden (Abb. 9). Sie ragten in ihrem letzten Stadium über die unterste Ziqqurratstufe hinaus.

Abb. 9. Die Tempelmauer, die entlang der untersten Stufe der Ziqqurrat Nebukadnezars II. entlang der NW-Wand verläuft. Foto: Allinger-Csollich.

Die Höhe der untersten Stufe ist für das Erscheinungsbild der Ziqqurrat ausschlag­gebend. Bisher wurden alle Rekonstruktionen z. B. der Ziqqurrat von Babyion nach einer Interpretationsmöglichkeit der Esagil-Tafel vorgenommen, indem nämlich eine "Kolossalstufe" von 30 m Höhe angesetzt wird (zuletzt Keetman 2005, 77-84). Es muss nachdrücklich festgehalten werden, dass die erste Stufe der Ziqqurrat von Bor­sippa die einzige neubabylonische Ziqqurat-Stufe ist, die archäologisch nachgewie­sen werden konnte. Ihre Höhe beträgt nicht 30 m, sondern maximal15 m, wobei die gerraue Höhe noch nicht festzuhalten ist, da hier der Gründungshorizont noch nicht erreicht werden konnte.

12 Wilfrid Allinger-Csollich

Direkt auf der Stufe wurden die Reste von Lehmbauten im gängigen Format der neubabylonischen (und späteren) Zeit gefunden. Sie waren direkt auf der Lauffläche der obersten Lage der Stufe errichtet worden (vgl. Abb. 8 D). Bauten auf Ziqqurrat­Stufen waren vorher nur in Ur gefunden worden. Dort konnten die Reste von einem Heiligtum aus gebrannten Ziegeln freigelegt werden, das nach Woolley vermutlich von der Ur III-Zeit bis in die neubabylonische Zeit bestanden hat.

In die Zeit des Nabonid datiert er Mauerwerk auf der ersten Terrasse des unters­ten Stockwerkes, welches wie in Borsippa aus Lehmziegeln bestand (Woolley 1939, 109- 110; Pl. 59-60, Pl. 84 und Rekonstruktion auf Pl. 86). Ein weiterer wichtiger Befund steht im Zusammenhang mit den Treppenaufgängen. Ähnlich wie in Babyion war auch in Borsippa die Mitteltreppe entfernt worden. In Borsippa war allerdings der "Schatten" der zentralen Treppe sehr klar ausgeprägt (Allinger-Csollich 1991, 460-463).

Abb. 10. Hinten: Durch den Einsturz einer partbischen Kaverne entstand ein Schnitt durch die unterste Stufe am Westeck der Ziqqurrat von Borsippa. Vorne: Durch diesen Einsturz wurde auch das Lehmziegelmauerwerk, welches direkt auf der Stufe aufliegt, in zwei Teile

zerrissen. Ansicht von SW gegen NO. Foto: Allinger-Csollich.

Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat 13

Abb. 11. Das Lehmziegelmauerwerk aus 32 x 32 x 12 cm großen Ziegeln auf der Nebukad­nezar II.-zeitlichen untersten Stufe am Westeck der Ziqqurrat von Borsippa. Es lehnt an dem äußerst brüchigen Ziqqurrat-Mauerwerk vom Beginn des 2. Jtsd. an. Foto: Allinger-Csollich.

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Abb. 12. Das Gebäude in der Mitte der SO-Seite der ersten Stufe der Ziqqurrat von Ur ist auf Grund der einfach abgetreppten Türlaibung als Heiligtum anzusprechen. Erhalten sind zwei Mauern (C) auf dem Terrassenboden (B), die senkrecht zum aufsteigenden Mauerwerk der zweiten Stufe (A) angelegt sind. Die Ergänzung des Mauerwerkes durch Woolley (D) wurde von ihm unter der Prämisse einer zentralliegenden Tür angelegt, ist jedoch nicht gesichert, da hier das Ziegelwerk abgebrochen ist. In der Ostecke befindet sich eine Vertiefung, die Woolley als Ausnehmung für einen Tilrangelstein anspricht. Nach Woolley (1939, Plate 84).

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Abb. 13. Rekonstruktion des Heiligtums auf der ersten Stufe der Ziqqurrat von Ur. Blick von Osten in Richtung Westen. Ausschnitt aus Woolley (1939, Plate 86).

Abb. 14. Das Heiligtum auf der ersten Stufe der Ziqqurrat von Ur während der Aus­grabungen: (A) Die obere Terrassenmauer des Urnamma. (B) Der Terrassenbelag von Urnamma. (C) Die Larsa-zeitlicbe Mauer. (D) Das Ziegelwerk des Nabonid. (E) Erste Quermauer des Urnamma. (F) Zweite Quermauer des Urnamma mit darüber liegendem jüngeren Mauerwerk. (G) Lehmziegelwerk des Nabonid. Nach Woolley (1939, Plate 59a).

Gedanken über das Aussehen und die Funktion einer Ziqqurrat 15

Am Südeck konnte eine Seitentreppe mit einer ähnlich wie in Babyion ausgeführten stufenartigen Brüstung freigelegt werden (Allinger-Csollich 1991, 451-455). Die ur­sprüngliche Ansicht, dass die Treppe in das Turminnere verlegt worden sei, bestätig­te sich nicht, sondern es wurde klar, dass zumindest die Treppe, die vom Südeck aus ansteigt, überbaut und nicht mehr verwendet worden war (Abb. 15).

Abb. 15. Die Ansicht der westlichen Seitentreppe der Ziqqurrat von Borsippa am Südeck, von SW her gesehen vor der Freilegung im Tiefschnitt. Rechts knapp über dem Bodenschutt die Treppenwange, darüber und am Eck selbst der Treppenüberbau.

Foto: Allinger-Csollich.

Das stimmt mit dem Befund in Nippur überein, wo ebenfalls die Treppe durch einen Überbau unbenutzbar gemacht wurde (Abb. 16). Wann in Borsippa dieser Überbau erfolgte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, doch sprechen Baubefunde dafür, dass es in nachbabylonischer Zeit erfolgt ist. Es gab also eine Zeit, in der die Stufen­türme von Borsippa und Nippur keine Seitentreppen mehr hatten. Die Stratigraphie in Borsippa und der Befund in Nippur scheinen dafür zu sprechen, dass die Mittel­treppen nicht von dieser Maßnahme betroffen waren.

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Abb. 16. Nippur, Ziqqurrat, östliche Seitentreppe: (A) Treppenwange, (8) Treppe, (C) Treppeninnenwand = Ziqqurrat-Außenwand, (D) Treppenfüllung, (E) Treppen­

überbau. Foto: Allinger-Csollicb.

Zur äußeren Ansicht des Stufenturmes ist aus archäologischer Sicht zu sagen, dass der Turm in den unteren Bereichen mit Bitumen schwarz angestrichen war. Etwa ab der Mitte der heutigen Höhe des Turmes von Borsippa sind direkt auf dem ver­brochenen Mauerwerk aufliegend Abertausende kleine Bruchstücke von blau gla­sierten Ziegeln gefunden worden, darunter auch blaue Glasurreste mit den Resten von weiß glasierten Keilen als Inschriften. Spuren anderer Glasurfarben fehlen. Das heißt, dass im obersten Bereich der Ziqqurrat eine Verkleidung mit blau glasierten Ziegeln angebracht war, entweder an den obersten Stockwerken oder am Heiligtum selber.

Um auf die Befunde in Ur und Borsippa zurückzukommen, so sei festgehalten, dass eindeutig bewiesen ist, dass die Stufen der Stufentürme teilweise mit Bauwer­ken besetzt waren. Bei einem Vergleich der Heiligtümer im sogenannten Tieftempel des Esagil, die aus dem archäologischen Befund als Ausgangspunkt der Beweisfüh­rung ermittelt sind, mit denjenigen, die in der Esagil-Tafel als Heiligtümer auf der Ziqqurrat genannt werden, fällt auf, dass der archäologische Befund im Tieftempel dem schriftlichen für die Räume auf der Ziqqurrat gleicht (Allinger-Csollich 2004, 8-20). Vom Gesamtmaß eines Heiligtums müssen die Mauerstärken eines freiste­henden Gebäudes abgezogen werden, wobei eine Mauerstärke auf einer Langseite fortfällt. Das kann nur bedeuten, dass das Gebäude an eine Mauer angebaut war, im

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vorliegenden Falle sehr wahrscheinlich an die Außenwand einer Stufe, wie es der Befund in Ur auch zeigt. Das wiederum bedeutet, dass die Heiligtümer sich nicht in einem einzigen Gebäude, wie bisher stets angenommen, befunden haben, sondern auf die verschiedenen Stockwerke der Ziqqurrat - so wie der Befund sich darstellt - aufgeteilt waren. Dann, so ergibt sieb als Schluss, befand sich auf der Spitze der Ziqqurrat nur noch das Allerheiligste.

Somit kann abschließend festgehalten werden, dass der Aufbau und die Funktion einer Ziqqurrat denen eines Tempels zur ebenen Erde entsprechen: Die verschiede­nen rituell bedeutsamen Bereiche eines Tieftempels mussten durchschritten werden, um zum Allerbeiligsten auf der Spitze zu gelangen. Jede Stufe hatte demnach ihre eigene rituelle Funktion.

Eine Ziqqurrat ist also ein hochragender Tempel, der in einem sehr engen Ver­hältnis zu "seinem" Tieftempel steht. Dieses Verhältnis gebt so weit, dass sogar identische Maßverhältnisse zu beachten sind. Eine Ziqqurrat ist kein massiver Un­terbau für einen ganzen Tempel auf der Spitze und keine Übereinanderschichtung von Terrassen, auf deren oberster dann der Tempel steht. Aus diesem Grunde ist es auch nicht angebracht, bei einem Tempel auf einer Terrasse von einer "Ziqqurrat" zu sprechen.

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