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1 Bitte zitieren als: Schneider, F. M., Knop, K. [Karin], Krömer, N., Reich, S., & Weinmann, C. (2014). Gute Unterhaltung?! Lernen und Bildung mit unterhaltenden Medienangeboten. In-Mind Magazin, 5(3). Retrieved from http://de.in-mind.org/article/gute-unterhaltung-lernen-und-bildung-mit- unterhaltenden-medienangeboten Gute Unterhaltung?! Lernen und Bildung mit unterhaltenden Medienangeboten Frank M. Schneider, Universität Hohenheim/Universität Mannheim Karin Knop, Universität Mannheim Nicola Krömer, Universität Erfurt Sabine Reich, Universität Mannheim Carina Weinmann, Universität Mannheim Keywords: Entertainment-Education, Unterhaltung, positive Medienwirkung, sozial- kognitive Lerntheorie, Rollenmodell, Involvement, Identifikation Teaser Bringen uns TV-Sendungen die neusten Erkenntnisse aus der Wissenschaft näher? Lernen wir in Computerspielen etwas über den Völkermord in Darfur? Verändern Radioserien unser Gesundheitsverhalten? Die unterhaltsame, mediale Vermittlung von Informationen, Einstellungen, Werten und Verhaltensweisen hält Einzug in sämtliche Bereiche unseres Alltags. Der Fachbegriff dafür ist Entertainment-Education. Aber was verbirgt sich dahinter? Wie kann man die Wirkung erklären? Und: Ist die Wirkung tatsächlich nachgewiesen?

Gute Unterhaltung?! Lernen und Bildung mit unterhaltenden Medienangeboten

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Bitte zitieren als:

Schneider, F. M., Knop, K. [Karin], Krömer, N., Reich, S., & Weinmann, C. (2014). Gute

Unterhaltung?! Lernen und Bildung mit unterhaltenden Medienangeboten. In-Mind Magazin,

5(3). Retrieved from http://de.in-mind.org/article/gute-unterhaltung-lernen-und-bildung-mit-

unterhaltenden-medienangeboten

Gute Unterhaltung?! Lernen und Bildung mit unterhaltenden Medienangeboten

Frank M. Schneider, Universität Hohenheim/Universität Mannheim

Karin Knop, Universität Mannheim

Nicola Krömer, Universität Erfurt

Sabine Reich, Universität Mannheim

Carina Weinmann, Universität Mannheim

Keywords: Entertainment-Education, Unterhaltung, positive Medienwirkung, sozial-

kognitive Lerntheorie, Rollenmodell, Involvement, Identifikation

Teaser

Bringen uns TV-Sendungen die neusten Erkenntnisse aus der Wissenschaft näher? Lernen

wir in Computerspielen etwas über den Völkermord in Darfur? Verändern Radioserien unser

Gesundheitsverhalten? Die unterhaltsame, mediale Vermittlung von Informationen,

Einstellungen, Werten und Verhaltensweisen hält Einzug in sämtliche Bereiche unseres

Alltags. Der Fachbegriff dafür ist Entertainment-Education. Aber was verbirgt sich dahinter?

Wie kann man die Wirkung erklären? Und: Ist die Wirkung tatsächlich nachgewiesen?

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Gute Unterhaltung?! Lernen und Bildung mit unterhaltenden Medienangeboten

Warum brennt im Kühlschrank das Licht, wie kommt ein Astronaut ins All und was

macht er da? Das sind Fragen, die in der Sendung mit der Maus leicht verständlich und

lebensnah beantwortet werden. Außerdem bringen Maus, Elefant und Käpt’n Blaubär die

Großen und Kleinen zum Lachen. Ist die Sendung mit der Maus aber nun eher unterhaltsam

und lustig oder informativ und bildend? Diese Fragen stellen sich Zuschauer/-innen der Lach-

und Sachgeschichten wohl eher selten. Und auch für Fernsehproduzenten

und -produzentinnen schließen sich Unterhaltung und Information keinesfalls aus. Sie

erkennen und nutzen die Potentiale unterhaltsamer Bildungsangebote. Die Wissenschaft

hingegen hat sich jahrzehntelang intensiv mit den unerwünschten Wirkungen massenmedial

vermittelter Inhalte beschäftigt (z. B. bezogen auf Aggression, Sucht oder Vorurteile). Die

Forschung zu erwünschten Medienwirkungen fristete eher ein Nischendasein (vgl. Trepte,

2004). Wenn aber Medieninhalte negative Auswirkungen haben, warum sollen dann nicht

auch positive Wirkungen von ihnen ausgehen können? Genau diesem Bereich widmet sich

die Entertainment-Education (EE)-Forschung. Von EE ist immer dann die Rede, wenn

Botschaften so gestaltet und in Medienangebote eingebunden werden, dass sie den

Nutzerinnen und Nutzern Wissen, Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen auf eine

unterhaltsame Art und Weise vermitteln (Singhal, Cody, Rogers, & Sabido, 2004).

Wie sind die ersten EE-Angebote entstanden?

Die Idee, sozial relevante, positive und bildende Inhalte in mediale

Unterhaltungsformate zu integrieren, reicht bis in die 1960er Jahre zurück. Die Kernidee

stammt von Miguel Sabido, einem mexikanischen Produzenten, der verschiedene Radio- und

TV-Angebote entwickelte. Deren Inhalte sollten sozialen Wandel begünstigen und taten dies

auch nachweislich. Sabido beschäftigte sich mit der Wirkung der erfolgreichen peruanischen

TV-Seifenoper Simplemente María, die in vielen lateinamerikanischen Ländern ab 1969 zur

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besten Sendezeit ausgestrahlt wurde (Singhal & Rogers, 1999). Die Zuschauer/-innen

verfolgten den sozialen Aufstieg der weiblichen Hauptfigur, die ihre selbstgesetzten Ziele

trotz widriger Umstände erreicht, und wurden dadurch motiviert, ihre Schul- und

Berufsausbildung zu verbessern. Die Folgen waren eine zunehmende Landflucht, der

steigende Wunsch weiblicher Teenager, berufstätig zu werden, eine erhöhte Schulbildung bei

Hausmädchen und ein besserer Umgang mit Hausangestellten.

Ebenfalls Ende der 1960er Jahre etablierte sich die Sesamstraße. Bei diesem wohl

erfolgreichsten EE-Format stehen z. B. Zählen lernen, Farben unterscheiden können und die

Vermittlung von relevanten Sozialkompetenzen im Vordergrund (vgl. NDR-Sendung „Als

die Sesamstraße nach Deutschland kam“).

Der EE-Ansatz wird in hohem Maße im Gesundheitsbereich (HIV-Aufklärung,

Krebsprävention; vgl. Youtube-Video: Video 1) und im Sozialbereich (Gewalt in der Familie,

Familienplanung) genutzt und auch auf den Bereich der politischen Bildung (Abbildung 1)

erweitert (Singhal et al., 2004). Und auch wenn Produktionen darauf verzichten, schädigende

Verhaltensweisen darzustellen, ist das im weitesten Sinne als EE zu fassen. So wurden z. B.

TV-Seifenopern wie Marienhof für ihre verantwortungsvolle Darstellung von

Rollenmodellen mit dem Rauchfrei Siegel ausgezeichnet.

--- Abbildung 1 etwa hier einfügen ---

Warum und wie wirken EE-Angebote?

Wie kann man sich nun die Wirkungen von Medienangeboten vorstellen, die bewusst

oder implizit als EE-Produkt geplant wurden? Mithilfe der sozial-kognitiven Lerntheorie

Albert Banduras (z. B. 2001) kann erklärt werden, wie Menschen am Modell (z. B.

Mediencharaktere) erwünschte Verhaltensweisen lernen. Drei Arten von Rollenmodellen

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kommen hierbei zum Einsatz. 1) Das positive Rollenmodell zeichnet sich durch diverse gute

Eigenschaften und Verhaltensweisen aus und wird für sein angemessenes Verhalten belohnt

(z. B. Spongebob). 2) Das negative Rollenmodell wird häufig als Gegenspieler/-in in

Medienangebote eingebaut und dient vorrangig zur Abgrenzung. Häufig wird das negative

Rollenmodell für sein unangemessenes Verhalten bestraft (z. B. Kater Karlo in Walt Disneys

Micky Maus). 3) Das transitionale Rollenmodell wandelt sich im Verlauf der Geschichte

vom Saulus zum Paulus, also vom zunächst negativen Vorbild zur sympathischen Figur, die

gute Eigenschaften repräsentiert (z. B. Nils Holgersson oder Pinocchio). Positive und

transitionale mediale Vorbilder sind für die Nutzer/-innen erstrebenswerte

Identifikationsfiguren im Rahmen von EE-Angeboten; negative Charaktere hingegen bergen

die Gefahr unerwünschter Wirkungen und sollten daher vermieden werden (Bandura, 2001).

Bestehen Anknüpfungspunkte oder Ähnlichkeiten zwischen den jeweiligen medialen

Rollenmodellen und den Nutzerinnen und Nutzern, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die

Verhaltensweisen auch tatsächlich übernommen werden.

Mit Erkenntnissen aus der Überzeugungs- und Involvementforschung (Moyer-Gusé,

2008) kann darüber hinaus erklärt werden, wie sich die Zuschauer/-innen engagiert mit den

Geschichten und Figuren beschäftigen. Wird die Medienbotschaft als besonders unterhaltsam

erlebt und findet eine hohe Identifikation mit den Charakteren statt, so kann die wiederholte

Nutzung des EE-Angebotes gefördert werden. Eine Art Beziehung zu den Figuren

(parasoziale Beziehung) und positive Bewertungen der Charaktere führen zu geringerem

Widerstand gegenüber Argumenten in einer bildenden Botschaft und können bisherige

Verhaltensweisen um neue erweitern. Können sich Mediennutzer/-innen mit einem

Mediencharakter identifizieren und nehmen sie hierbei große Ähnlichkeiten zwischen sich

und der Figur wahr, so halten sie sich hinsichtlich unterschiedlichster Themen- und

Problembereiche (z. B. Gesundheitsvorsorge) auch in stärkerem Maße für betroffen. Dies

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wiederum kann die Auseinandersetzung mit der Botschaft erhöhen. Besonders relevant für

die Übernahme von Verhaltensweisen sind die subjektiv wahrgenommene

Selbstwirksamkeitserwartung und die Annahme, dass sich durch eine Verhaltensänderung

Vorteile für die eigene Person ergeben. Auch diese Prozesse werden durch die

wahrgenommene Ähnlichkeit mit Mediencharakteren und die damit einhergehende stärkere

Identifikation gefördert. Die verantwortungsvolle und zielgruppensensible

Figurenentwicklung ist daher ein wichtiger Punkt innerhalb der EE-Produktion (Moyer-Gusé,

2008).

EE ist besonders geeignet, um bestimmte Zielgruppen zu erreichen, die sich anderen

Kommunikationswegen verschließen (z. B. bildungsferne Bevölkerungsgruppen; vgl. Singhal

et al., 2004). EE ist medienübergreifend relevant und wird sowohl im Radio, Fernsehen aber

auch in Computerspielen und Smartphone-Apps genutzt.

Wirkt EE tatsächlich…

im Radio?

Vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern wird das Radio eingesetzt, um im

Sinne Sabidos das Verhalten der Bevölkerung zu ändern. Wo Internetzugänge und

Fernsehanschlüsse zur Ausnahme gehören, ist die informierende Radiounterhaltung

besonders wichtig, um Zielgruppen flächendeckend zu erreichen.

Die Radioserie Twende na Wakati (Let’s Go with the Times) in Tansania ist ein

klassisches Beispiel für ein solches EE-Radioprogramm. Von 1993 bis 2002 wurden von

Radio Tansania in Kooperation mit zwei tansanischen Ministerien 676 Episoden zu Themen

der Familienplanung, Geschlechtergleichstellung und HIV-Prävention in der Landessprache

Swahili gesendet (Vaughan, Rogers, Singhal, & Swalehe, 2000). Die Radiosendung handelt

von dem promiskuitiven LKW-Fahrer Mkwaju, seiner schwierigen Beziehung zu seiner

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Ehefrau und beider Verhältnis zu befreundeten Ehepaaren, die als Rollenmodelle für

Familienplanung und Sexualverhalten dienen. In Studien wurde untersucht, ob das EE-

Radioprogramm Wissen, Einstellungen und Verhalten der Zuhörer/-innen veränderte

(Vaughan et al., 2000). Die Sendung führte nachweislich dazu, dass die Radiohörer/-innen

mehr über die Verbreitung und Prävention von HIV wussten und mehr mit anderen darüber

sprachen als vergleichbare Personen aus einer bestimmten Region Tansanias, in der die

Sendung in diesem Zeitraum nicht gesendet wurde. Auch waren die Hörer/-innen stärker für

das persönliche Risiko sensibilisiert, an AIDS zu erkranken, und schätzten ihre Chancen

höher ein, sich vor der Krankheit zu schützen. Darüber hinaus verringerten sie die Anzahl

ihrer Sexualpartner/-innen und benutzten häufiger Kondome.

Während das Radio als Verbreitungsmedium für EE-Botschaften in

Entwicklungsländern einen großen Stellenwert einnimmt, hat das Fernsehen in entwickelten

Ländern besonderes Potential.

...im Fernsehen?

Aufgrund der hohen Reichweite insbesondere in entwickelten Ländern kann via TV

praktisch jede Zielgruppe erreicht werden. Die Zielpersonen müssen dabei selbst wenig

Aufwand leisten, weil sie quasi in ihrer Komfortzone abgeholt werden (Arendt, 2013). Ein

besonderer Stellenwert wird fiktionalen, narrativen Medienformaten zugesprochen, da sie

Nutzer/-innen auf emotionaler Ebene ansprechen und involvieren. Dies erhöht sowohl

Aufmerksamkeit als auch Erinnerungsfähigkeit – wichtige Voraussetzungen für erfolgreiches

Modelllernen im Sinne der sozial-kognitiven Lerntheorie. Zudem kaschieren die Narrativität

und das emotionale Involvement der Zuschauer/-innen die Überzeugungsabsicht der

Medienangebote und begünstigen deren Verarbeitung mit nur geringem kognitivem Aufwand

(Morgan, Movius, & Cody, 2009). Eventuelle Widerstände wie z. B. das Finden von

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Gegenargumenten oder das Beharren auf entgegengesetzten Einstellungen und

Verhaltensweisen können dadurch überwunden werden (Moyer-Gusé, 2008).

Untersucht wurde die Rolle von Involvement z. B. in der Studie von Arendt (2013)

zur Vermittlung von gesundem Ernährungsverhalten durch die Kinderserie LazyTown.

Grundschulkinder sahen je zwei Folgen LazyTown, entweder mit oder ohne

Ernährungsbezug, und wurden jeweils davor und danach im Hinblick auf Wissen,

Einstellungen und Verhalten befragt. Die Ergebnisse waren jedoch vergleichsweise

ernüchternd: Zwar wurden die Selbstwirksamkeitserwartungen der Kinder in Bezug auf

gesundes Ernährungsverhalten tendenziell gestärkt, allerdings hatte die Sendung kaum

Auswirkungen auf Faktenwissen und tatsächliches Ernährungsverhalten. Das lag

möglicherweise daran, dass die Kinder die Sendung nur einmal gesehen hatten. Daneben

könnte die unfreiwillige Auseinandersetzung mit der Sendung bei den Kindern Widerstände

ausgelöst haben, die Sendungsinhalte zu lernen oder das eigene Verhalten zu überdenken. Die

eher künstliche Situation – einmaliges und erzwungenes Sehen einer Sendung und

anschließende Befragung – ist ein generelles Problem solcher Studien.

Morgan et al. (2009) untersuchten dagegen die Zuschauer/-innen in ihrer natürlichen

Mediennutzungssituation in ihrer Studie zu Organspende-Storylines in den US-Serien CSI:

NY, Numb3rs, House, und Grey's Anatomy. Die Autoren konnten zeigen, dass das emotionale

Involvement beim Sehen der Sendung das Faktenlernen verbesserte und die Motivation

erhöhte, beobachtetes Verhalten nachzuahmen. Befragungen von Seherinnen und Sehern der

betreffenden Folgen ergaben zudem, dass deren Einstellung zur Organspende und ihre

Absicht, Organe zu spenden tatsächlich beeinflusst wurden. Abseits ihres positiven Resümees

zur Wirkung von EE in diesen TV-Serien verdeutlichten die Autoren jedoch, dass der

förderliche Effekt von Involvement prinzipiell auch zur Vermittlung von falschem

Faktenwissen führen kann.

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Dies kann etwa dann geschehen, wenn durch TV-Inhalte Tatsachen falsch oder

verzerrt dargestellt werden. Ein in der Öffentlichkeit diskutiertes Beispiel dafür ist der

sogenannte CSI-Effekt. Allgemein bezeichnet dieser Effekt die durch TV-Krimiserien wie

CSI: Crime Scene Investigation beeinflusste öffentliche, teils falsche bzw. verzerrte

Wahrnehmung forensischer Ermittlungsmethoden. Beispielsweise zeigt eine Studie von Ley,

Jankowski und Brewer (2012), dass die Serie CSI DNA-Tests als schneller durchführbar und

zuverlässiger darstellt als dies in der Realität der Fall ist. Ob dies dazu führt, dass

Geschworene höhere Ansprüche an forensische Beweise haben, ist Gegenstand aktueller

wissenschaftlicher Untersuchungen.

Abschließend lässt sich festhalten, dass das Fernsehen ein potentes Medium für EE

ist, sich Effekte jedoch teils schwer nachweisen lassen und mitunter sogar problematische

Implikationen haben können. Auch Computerspiele eignen sich gut für EE. Durch ihre

Interaktivität ergeben sich medienspezifische und gänzlich neue Vermittlungsformen.

...in Computerspielen?

Elham ist 14 Jahre alt und sucht in Darfur nach Wasser. Sie ist auf der Hut vor der

Miliz, die jeden Angehörigen einer anderen Volksgruppe gefangen nimmt. Die Pfeiltasten

bewegen Elham in eine Richtung und mit der Leertaste duckt und versteckt sie sich. Ihre

Geschichte lernen die Spieler/-innen bei dem Computerspiel Darfur is Dying kennen und

sollen so mit Elhams täglichen Problemen vertraut werden. Durch Interaktivität und die

Kontrolle über die Spielfiguren wird eine tiefere Charakterbindung als in traditionellen

Medienangeboten ermöglicht. Zentrale Mechanismen sind dabei die [Identifikation] mit den

Akteuren und Akteurinnen und die Empathie für die Spielcharaktere. Beispielsweise

untersuchten Peng, Lee und Heeter (2010) inwiefern sich das Spielen von Darfur is Dying

auf die Hilfsbereitschaft der Versuchspersonen in Bezug auf die Darfurkrise auswirkt. Sie

verglichen dabei Spieler/-innen mit Personen, die das Spiel passiv beobachteten oder die eine

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Nachricht über das Thema lasen. Die Forscherinnen verglichen die drei Gruppen auch

danach, wie stark die Versuchspersonen die Perspektive der Betroffenen übernahmen. Die

Ergebnisse zeigten, dass Computerspieler/-innen sich stärker in die Rollen, Emotionen und

Gedanken der Spielcharaktere einfühlen konnten als Leser/-innen. Allerdings fanden die

Wissenschaftlerinnen keine bedeutsamen Unterschiede zwischen aktiven Spielerinnen und

Spielern und passiven Spielbeobachterinnen und -beobachtern. Sie zeigten jedoch, dass

größeres Mitgefühl die Hilfsbereitschaft für die Darfurkrise erhöhte.

Für die Wirksamkeit der oben beschriebenen Prinzipien wie Modellernen,

Involvement und Identifikation bei Computerspielen sprechen auch die Ergebnisse einer

Metaanalyse (Greitemeyer & Mügge, 2014). Zwar beeinflusste das involvierte und

wiederholte Spielen von gewalthaltigen Computerspielen aggressives Verhalten; prosoziale

Spiele hingegen lösten aber prosoziale Emotionen und Gedanken aus. Diese Wirkungen

wiederum hielten für eine Zeit nach dem Spiel an und konnten so auch das Verhalten

beeinflussen.

Fazit und Ausblick

Negative Medieninhalte haben negative Wirkungen – positive Medieninhalte positive

Wirkungen? Da das menschliche Erleben und Verhalten stets durch viele verschiedene

Einflüsse bestimmt ist (z. B. Persönlichkeit, soziales Umfeld, Situation), wären solche

einfachen Pauschalaussagen fehl am Platz. Die EE-Forschung zeigt aber, dass Rollenmodelle,

Involvement- und Identifikationspotential wichtige Merkmale des Medienangebots darstellen,

wenn es darum geht, gezielt bestimmte Erlebens- und Verhaltensweisen zu fördern. Wenn

mithilfe von unterhaltsamen Angeboten uninteressierte, aber relevante Zielgruppen erreicht

werden (Singhal et al., 2004), sind diese Elemente entscheidend, um diese Menschen von den

“richtigen” Informationen, Werten und Verhaltensweisen zu überzeugen.

Dabei bleibt allerdings fraglich, was die „richtigen“ Ziele sind. Gesellschaftliche Ziele

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– wie Bildung und Gesundheit für alle oder Hilfsbereitschaft – dienen dem Allgemeinwohl

und scheinen per se „gut“ zu sein. Was aber, wenn sich hinter EE-Strategien ausschließlich

wirtschaftliche Interessen verbergen wie die Verkaufssteigerung von Produkten (Abb. 2) oder

der Einsatz von EE-Strategien zu Werbezwecken (Abb. 3)?

--- Abbildungen 2 und 3 etwa hier einfügen ---

Das bewusste Abwägen der Vor- und Nachteile solcher Medienangebote setzt

gegebenenfalls eine komplexere, kritischere, weniger unterhaltsame Auseinandersetzung mit

dem Thema voraus. Neuere Forschung deutet darauf hin, dass bestimmte

Unterhaltungsangebote auch das leisten könnten, da sie eher zum ergebnisoffenen

Nachdenken und zu weiteren Gesprächen anregen (eudaimonisches Unterhaltungserleben) als

zu einer unreflektierten Übernahme dargebotener Argumente und Verhaltensweisen (siehe

InMind-Beitrag zu unterhaltsamer Politikvermittlung: Schneider, Bartsch und Otto, 2013).

Schließlich werden auch die zunehmende Medienvielfalt und der Medienwandel

weitere Erkenntnisse zur EE-Wirkung liefern: Die Verbreitung und Nutzung von

Mobilgeräten und entsprechenden Apps verändert schon jetzt die weltweite Mediennutzung.

Mit Spiele-Apps können Schulkinder effektiv trockene Unterrichtsinhalte auf attraktive bzw.

unterhaltsame Weise lernen (Huizenga, Admiraal, Akkerman, & den Tam, 2007). Video- und

Audiomaterial kann auf Mobilgeräten gestreamt werden und bestimmte Zielgruppen noch

besser erreichen (Jones & Lacroix, 2012): Wer z. B. die Antwort auf unsere Eingangsfragen

erfahren möchte, kann sich das auf der Die-Maus-im-All-Webseite anschauen oder die

entsprechenden Maus-Podcast-Beiträge auf sein Smartphone laden. Die Maus als positives

Rollenmodell ist selbstverständlich auch zur ISS geflogen und somit am Puls der Zeit – auch

im Bereich der multimedialen Entertainment-Education.

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Glossar [Begriffe im Text unterstrichen]

Eudaimonisches Unterhaltungserleben [siehe vorhandenes InMind-Glossar]

Identifikation ist ein Zustand, bei dem eine Person sich in den medialen Charakter

hineinversetzt und somit dessen Perspektive (z. B. Motive, Emotionen, Gedanken und Werte)

übernimmt.

Involvement beschreibt, wie stark oder schwach Personen sich einem Medienangebot

zuwenden (“sich bei der Mediennutzung engagieren”). Ein hoher Involvementgrad ist durch

aktive Informationssuche, hohe Verarbeitungstiefe und hohen sozialen Einfluss

gekennzeichnet. Man unterscheidet zwischen dem Involvement auf Handlungsebene

(narratives Involvement) und Involvement auf Charakterebene.

Metaanalyse [siehe vorhandenes InMind-Glossar]

Parasoziale Beziehung: Mediennutzer/-innen können im Zeitverlauf soziale Beziehungen zu

Mediencharakteren und -personen aufbauen, die Ähnlichkeit mit Face-to-face-

Kommunikation und sozialen Beziehungen im realen Alltag haben.

Rollenmodelle sind Charaktere oder (Medien)Personen, die als Vorbild fungieren.

Seifenoper (Soap Opera) ist ein Begriff für eine Unterhaltungsserie im Rundfunk (Radio

oder Fernsehen), häufig mindestens einmal bis mehrmals wöchentlich als Fortsetzungs- oder

Endlosserie ausgestrahlt.

Selbstwirksamkeitserwartungen [siehe vorhandenes InMind-Glossar]

Sozial-kognitive Lerntheorie (Bandura, 2001): Menschen lernen nicht nur durch

Verhaltenskonsequenzen (z. B. Belohnung oder Strafe), sondern auch durch Beobachtung

(Lernen am Modell). Ob erfolgreich von einem Modell gelernt werden kann, hängt u. a. von

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Merkmalen der Situation, des/der Beobachtenden, des Modells und deren Beziehung ab.

Mediale Rollenmodelle können in diesem Sinne als Aufmerksamkeitsgeneratoren,

Erinnerungshilfen, Motivatoren und Verhaltensmodelle dienen und sind hierdurch für

Lernprozesse zentral.

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Literaturverzeichnis

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Video 1

--- Beschriftung für Video 1: Zusammenschnitt aus 30 Jahren Entertainment-Education der

H3C http://youtu.be/2r3LaMm7koU ---

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Abbildung 1

--- Beschriftung für Abbildung 1. Israelischer Premierminister oder palästinensische

Präsidentin? In der politischen Simulation PeaceMaker wählen Spieler/-innen eine der Rollen

und müssen den Israel-Palästina-Konflikt friedlich lösen. (Bild: Benutzeroberfläche

PeaceMaker, Courtesy of Impact Games LLC) ---

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Abbildung 2

--- Beschriftung für Abbildung 2. Spielerisches Fitbleiben mit der Wii Fit am Madrider

Flughafen (Bild von David Lee King via Flickr) ---

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Abbildung 3

--- Beschriftung für Abbildung 3. Problematisch bei Entertainment-Education: Wenn beliebte

Figuren zu kommerziellen Zwecken eingesetzt werden. („Sesame Street Sells Out“ von Mike

Licht, NotionsCapital.com, lizenziert unter CC BY 2.0) ---