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Sonderdruck aus Schweizer Schriften zum Finanzmarktrecht Band 108 Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert Herausgegeben von: Prof. Dr. Dieter Zobl, Prof. Dr. Mario Giovanoli, Prof. Dr. Rolf H. Weber, Prof. Dr. Rolf Sethe Prophylaxe durch Transparenz Rainer Baisch Rolf H. Weber

Prophylaxe durch Transparenz

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Sonderdruck aus

Schweizer Schriften zum Finanzmarktrecht Band 108

Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert

Herausgegeben von: Prof. Dr. Dieter Zobl, Prof. Dr. Mario Giovanoli, Prof. Dr. Rolf H. Weber,

Prof. Dr. Rolf Sethe

Prophylaxe durch Transparenz

Rainer BaischRolf H. Weber

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© Schulthess Juristische Medien AG, Zürich · Basel · Genf 2013 ISBN 978-3-7255-6860-4

www.schulthess.com

XI

Inhaltsübersicht

Anlegerschutz und Behavioural Finance 1

Prof. Dr. Thorsten Hens, Ordinarius für Betriebswirtschaft, Institutsleiter Banking and Finance der Universität Zürich

Experimentelle Ökonomie und Finanzmarktregulierung 13

Amelie Brune, M.A. (Zürich), Assistentin und Doktorandin am Institut für Banking and Finance der Universität Zürich

Beobachtungen zur Geschichte des Anlegerschutzes 25

Prof. Dr. Andreas Thier, M.A. (München), Ordinarius für Rechtsgeschichte, Kirchenrecht, Rechtstheorie und Privatrecht an der Universität Zürich

Das Anlegerleitbild im Wandel der Zeiten 47

Prof. Dr. Franca Contratto, LL.M. (Georgetown), Assistenzprofessorin für Finanzmarktrecht an der Universität Zürich, Rechtsanwältin

Anlegerschutz in der Vermögensverwaltung und Anlageberatung: Zum Projekt eines Finanzdienstleistungsgesetzes für die Schweiz (FIDLEG)

85

Prof. Dr. Susan Emmenegger, LL.M. (Cornell), Ordinaria für Privat- und Bankrecht und Direktorin des Instituts für Bankrecht an der Universität Bern, Rechtsanwältin

Rahel Good, MLaw, Assistentin und Doktorandin am Institut für Bankrecht an der Universität Bern, Rechtsanwältin

Die Know-Your-Customer-Rule im Vermögensverwaltungsauftrag 133

Matthias Trautmann, lic. iur., Assistent und Doktorand am Lehrstuhl für Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Zürich

Prof. Dr. Hans Caspar von der Crone, LL.M. (Yale), Ordinarius für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich, Rechtsanwalt

Inhaltsübersicht

XII

Prophylaxe durch Transparenz? 169

Rainer Baisch, Dipl.-Kfm. univ., MLaw, Assistent und Doktorand am Lehrstuhl für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht der Universität Zürich

Prof. Dr. Rolf H. Weber, Ordinarius für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht an der Universität Zürich, Rechtsanwalt

Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderen Drittvergütungen

213

Dr. Corinne Zellweger-Gutknecht, Lehrbeauftragte, SNF-Habilitandin, Assistentin am Lehrstuhl für Römisches Recht und Privatrecht an der Universität Zürich, Rechtsanwältin

Ausnutzung von Heuristiken und Biases durch Werbematerial von Effektenhändlern

251

Martin Brenncke, LL.M. (Cambridge), Assistent und Doktorand am Lehrstuhl für Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Zürich

Die Schranken der Majorisierung von Gläubigern 291

Priv.-Doz. Dr. Tim Florstedt, Frankfurt/Main

Anlegerschutz durch regulatorisches Enforcement 319

Prof. Dr. Rolf H. Weber, Ordinarius für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht an der Universität Zürich, Rechtsanwalt

169

Prophylaxe durch Transparenz Inwieweit können verschärfte gesetzliche Vorgaben zu den Informations- und

Dokumentationspflichten dem Anlegerschutz dienen?

Rainer Baisch/Rolf H. Weber

Inhalt I. Anlegerschutz als regulatorische Herausforderung 170

A. „Sparer“ als Geschädigte der Lehman-Pleite 170 B. Kunden als „Opfer“ intransparenter Anreize? 171 C. Problem der Informationsasymmetrie: „Disclosed lemons“ 173 D. Ist der „Homo oeconomicus“ überfordert? 175 E. Grenzen von „disclosure“ 177 F. Immanente Grenzen des Anlegerschutzes 181

II. Entwicklungen im Bereich der Regulierung 183 A. Status Quo 183

1. Selbstregulierung ergänzt durch staatliche Regulierung 183 2. Unklarheiten in der Praxis 185 3. Appropriateness und Suitability 187

B. Konzept für neue Vertriebsregeln 189 1. Ausgangslage der FINMA 189 2. Transparentes Produkt: Informations- und Prospektpflicht 191 3. Transparenter Kunde: Eignet sich das Produkt für den Kunden

bzw. der Kunde für das Produkt? 196 4. Transparenz bei der Erbringung der Dienstleistung 200

C. Enforcement – Durchsetzbarkeit von Anlegeransprüchen 204 III. Optimierung des Regulationsansatzes 206

A. Klare Regelung der Vertragsbeziehung 206 B. Absicherung und Labeling 208 C. Risiko-Transparenz statt verschärfter Bewilligungspflicht 209

Rainer Baisch/Rolf H. Weber

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I. Anlegerschutz als regulatorische Herausforderung

A. „Sparer“ als Geschädigte der Lehman-Pleite

In Folge der nicht zuletzt wegen der Subprime-Krise in die Insolvenz gegangenen Investmentbank Lehman Brothers1 waren auch in der Schweiz Anleger vom Ausfall dieses Emittenten betroffen, weil in ihren Depots Produkte lagen, für die nur eine konkursite Lehman-Tochter als Emittentin haftete. Die entsprechenden Zertifikate waren von verschiedenen schweizerischen Depotbanken als strukturierte Produkte2 mit dem Hinweis kapitalgeschützt3 angeboten worden; allerdings war das Emitten-ten-Risiko von diesem Schutzbereich gerade nicht erfasst.4 Neben vielen vergleichs-

1 Am 15. September 2008 wurde für Lehman Brothers die Insolvenz gemäss Chapter 11 beantragt. Die

Krise im US-Subprime-Hypothekenmarkt hat die Schwächen im regulatorischen und aufsichtsrecht-lichen Rahmen gezeigt, die es ermöglichten, dass Finanzunternehmen riskante Produkte an Verbrau-cher mit unzureichender Offenlegung der Risiken angeboten haben. Dabei erwiesen sich die ohne angemessene Aufsicht agierenden Hypothekenmakler und die anschliessende Verpackung der Hypo-thekar-Schulden in komplexe und intransparente strukturierte Wertpapiere als besonders problema-tisch.

2 „Strukturierte Produkte sind innovative und flexible Anlageinstrumente, die eine attraktive Alternati-ve zu direkten Finanzanlagen (wie Aktien, Obligationen, Währungen, etc.) darstellen. Dank ihrer Flexibilität lassen sich auch in anspruchsvollen Marktumfeldern für jedes Risikoprofil passende An-lagelösungen finden. Strukturierte Produkte sind in der Regel Inhaberschuldverschreibungen, für de-ren Erfüllung der Emittent mit seinem ganzen Vermögen haftet. Die Qualität eines Strukturierten Produktes hängt daher von der Bonität des Schuldners (Emittenten) ab.“ Definition des SVSP (Schweizerischer Verband für Strukturierte Produkte) <http://www.svsp-verband.ch/home/faq.aspx? lang=de>. Der FINMA-Bericht zu Lehman und Madoff (FINMA, Madoff-Betrug und Vertrieb von Lehman-Produkten: Auswirkungen auf das Anlageberatungs- und Vermögensverwaltungsgeschäft vom 2. März 2010, 14, <www.finma.ch/d/finma/publikationen/Documents/bericht-lehman-madoff-2 0100302-d.pdf>) schreibt zur Entwicklung dieser Anlageform, 14: „In den letzten acht Jahren kamen strukturierte Produkte in Mode und wurden vielfach als gleichwertige Alternative zu den als zu teuer befundenen und meist einer behördlichen Produktaufsicht unterstellten Fonds betrachtet.“ Die SIX Group und die Deutsche Börse AG haben mit Scoach den grössten Markt für strukturierte Produkte in Europa geschaffen.

3 Der FINMA-Bericht zu Madoff und Lehman (Fn. 2), weist darauf hin, dass sich Anleger partiell „unbewusst“ diesem Emittentenrisiko ausgesetzt haben. Das dann im Oktober 2010 publizierte Dis-kussionspapier „Regulierung von Produktion und Vertrieb von Finanzprodukten an Privatkunden – Stand, Mängel und Handlungsoptionen“ lud zu Stellungnahmen bis im Frühjahr 2011 ein; <http:// www.finma.ch/d/regulierung/anhoerungen/Documents/diskussionspapier-vertriebsregeln-20101110-d.pdf> (FINMA 2010).

4 BGer 4A_525/2011, 03.02.2012, E. 5.2 hält zur Informationspflicht bezüglich des Emittenten-Risikos fest: „ […] das Emittentenrisiko ein sogenannt übliches Risiko sei, über das nicht aufgeklärt werden müsse. […] Der Grundsatz, dass über übliche Risiken, zu denen das Emittenten- oder Boni-tätsrisiko zählt, nicht aufgeklärt werden muss, gilt auch bei strukturierten Produkten.“ Vgl. zu diesem Entscheid auch OLIVER ARTER, AJP 2012, 1317 ff., 1326, der die Ansicht vertritt, dass Banken bei

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weise beigelegten Streitfällen5 kam es auch zu verschiedenen Verfahren vor schwei-zerischen Gerichten, bei denen die klagenden Bankkunden bislang keinen Erfolg hatten.6 Der Fokus lag dabei auf einer möglichen Informationspflichtverletzung, obwohl in einigen Fällen die Diversifikation als Grundsatz einer qualitativ einwand-freien Anlageberatung durch die Bildung eines Klumpenrisikos vernachlässigt wur-de. Im Folgenden wird deshalb auch darauf eingegangen, welche aufsichts- und auftragsrechtlichen Informationspflichten der Finanzintermediär abhängig vom jeweiligen Vertragsverhältnis zu gewährleisten hat.

B. Kunden als „Opfer“ intransparenter Anreize?

Ein weiterer schon lange in der Diskussion befindlicher Aspekt betrifft die Informa-tion über Interessenkonflikte.7, 8 So schreibt die FINMA in ihrem Positionspapier

strukturierten Produkten bezüglich des Emittentenrisikos eine Informationspflicht haben, „denn es ist nicht davon auszugehen, dass einem Anleger bekannt ist, dass auch bei strukturierten Produkten mangels Bildung eines Sondervermögens die Rückzahlung von der Bonität des Emittenten überhaupt abhängig ist“. In KATHRIN HEIM/ANDREA PFIFFNER, Gesetzliche und regulatorische Übersicht, in: Kathrin Heim et al. (Hrsg.), Suitability & Appropriateness, Zürich 2012, 61 ff., 83 ff. wird die Bun-desgerichtspraxis dargestellt.

5 Der FINMA-Bericht zu Madoff und Lehman (Fn. 2), 15, weist darauf hin, dass einige Banken rasch bereit waren, für ihre Kunden die Verluste ganz oder partiell zu übernehmen.

6 Der FINMA-Bericht zu Madoff und Lehman (Fn. 2), 18, kritisiert zwar in diesem Zusammenhang die Verwendung von White Label Fact Sheets, da grundsätzlich die Gefahr besteht, dass der Kunde da-von ausgeht, ein Anlageprodukt des Vertriebsträgers zu erwerben, bei dem er auch das Kreditrisiko platziert sieht. Allerdings seien, „aus Optik des geltenden Rechts“ diese Informationsdokumente „nicht zu beanstanden“, da zumindest „nicht sehr prominent“ auf das Emittentenrisiko hingewiesen wurde. Zusätzlich seien die Kunden „standardmässig (und im Einklang mit der Praxis der FINMA und der Gerichte) über die besonderen Risiken im Effektenhandel mittels von der Bankiervereini-gung erstellten Informationsbroschüren informiert“ worden, so dass der kritisierten Bank mit Bezug auf das „Bild des mündigen Anlegers, von dem das Schweizerische Zivilrecht ausgeht […] aufgrund des geltenden Rechts bezüglich der Ausgestaltung ihrer Verkaufsdokumentationen kein aufsichts-rechtlicher Vorwurf zu machen“ sei.

7 Beispielhaft ist die durch die Bundesgerichtsentscheide BGE 132 III 460 und BGE 138 III 755 geprägte Malaise um auftragsrechtlich zu beurteilende Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Retrozessionen. Die Urteile enthalten die wichtigen Literaturhinweise. Zur Definition: „Retrozessio-nen sind Zahlungen, mit denen ein Finanzintermediär einen anderen für die Zuführung von Anlage-geldern und damit verbundene Dienstleistungen honoriert, wobei das Honorar sich aus den Kosten speist, die dem Anleger verrechnet werden.“ SUSAN EMMMENEGGER, Anlagekosten: Retrozessionen im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: Susan Emmenegger (Hrsg.), Anlagerecht, Ba-sel 2007, 59 ff., 66.

8 Vgl. dazu zuletzt: PETER NOBEL, Das Bundesgericht zu den Bestandespflegekommissionen, Jusletter, 19.11.2012; CORINNE ZELLWEGER-GUTKNECHT, Vertriebsvergütungen – Herausgabepflicht der

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Vertriebsregeln: „Für Kunden ist oft nicht ersichtlich, ob Finanzdienstleister beim Erbringen von Dienstleistungen nur im Interesse ihrer Kunden tätig werden oder ob sie durch zusätzliche Anreize zur Ausführung eines Geschäfts bewogen werden.“9 Das FINMA-Papier erwähnt in Übereinstimmung mit der auftragsrechtlichen Grundprämisse der Fremdnützigkeit, dass die Kunden davon ausgehen, ein Kunden-berater vertrete in erster Linie Kundeninteressen und sich diese Erwartung aber oft als falsch erweise.10

Die in der Schweiz bestehenden aufsichtsrechtlichen Vorschriften verpflichten nicht zur Aufdeckung der betriebsinternen Anreize von Kundenberatern ihren Kunden gegenüber und regeln die Zulässigkeit und Offenlegung von Vergütungen Dritter „nicht umfassend“11. Mit der jüngsten Rechtsprechung hat das Bundesgericht die latenten Interessenkonflikte am Beispiel der Retrozessionen konkretisiert12 und

Vermögensverwaltungsbank, Digitaler Rechtsprechungs-Kommentar, Push-Service Entscheide, 28. November 2012; MONIKA ROTH, Retrozessionen – no sense of timing and reasoning?, Jusletter, 11.02.2013.

9 FINMA-Positionspapier Vertriebsregeln: Regulierung der Produktion und des Vertriebs von Finanz-produkten vom 24. Februar 2012, 11 f., <http://www.finma.ch/d/finma/publikationen/Documents/ pos-vertriebsregeln-20120224-d.pdf> (FINMA 2012).

10 ROLF H. WEBER, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Wolfgang Wiegand (Hrsg.), Basler Kom-mentar OR I, 5. Aufl. Basel 2011, Art. 398 OR N 8; FINMA 2012 (Fn. 9), 12.

11 FINMA 2012 (Fn. 9), 12. In der EU regelt Art. 26 der MiFID-Durchführungsrichtlinie den Umgang mit Vertriebsentschädigungen und anderen Zuwendungen im Wertpapierdienstleistungssektor (Richt-linie 2006/73/EG der Kommission vom 10. 8. 2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wert-papierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definiti-on bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, ABl L 241/26.). Allerdings ist diese Regelung eher schwach. Vgl. dazu FRANCA CONTRATTO/HEIDI ERIKA ERIKSSON, Offenlegung von Vertriebsentschädigungen in der EU: Einheitssprache oder Vielfalt der Dialekte? - Art. 26 MiFID-DRL und dessen praktische Umsetzung durch die Finanzindustrie, GesKR 2009, 300 ff., 314: „[…] die Vorgaben auf europäischer Ebene äusserst vage geblieben sind und es bisher weitestgehend den nationalen Aufsichtsbehörden überlassen war, ob sie sich mittels detaillierten Offenlegungsstandards für eine stringente, anlegerfreundliche Umsetzung von Art. 26 MiFID-DRL stark machen wollen, o-der ob sie es vorziehen, ihre heimische Finanzdienstleistungsindustrie aus Gründen der internationa-len Wettbewerbsfähigkeit so weit als möglich zu schonen“.

12 BGE 138 III 755, E. 8.4: „Vielmehr gilt es unter Berücksichtigung des mit der Herausgabepflicht bezweckten präventiven Schutzes des Auftraggebers vor einer Missachtung der Interessenwahrungs-pflicht zu beurteilen, ob die Besorgnis bestand, die Bank könnte die Interessen des Auftraggebers ausser Acht lassen.“

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festgestellt, dass „die Besorgnis bestand, die Bank könnte die Interessen des Auf-traggebers ausser Acht lassen“13.

C. Problem der Informationsasymmetrie: „Disclosed lemons“

Grundsätzlich gilt die Regel, dass mit höheren Erträgen immer auch höhere Risiken verbunden sind.14 Diese Korrelation wird zwar bei vermeintlich renditeträchtigen Anlageentscheiden gerne verdrängt, darf aber als bekannt vorausgesetzt werden. Klar ist auch, dass der Finanzintermediär in der Regel einen Informationsvorsprung hat, so dass transparente Informationen zu den mit den Renditechancen verbundenen Risiken erforderlich sind. Im Fall des betrügerischen Schneeballsystems von Madoff lag eindeutig eine gravierende Informationsasymmetrie vor.15 Aber auch bezüglich der Lehman-Produkte haben die Anleger mit Zitronen gehandelt,16 und zwar des-halb, weil mit Sicherheit viele Kunden weder den Hintergrund der Produkte noch die hohen Incentives im Vertriebsbereich kannten.17 Zudem wurde im Rahmen der

13 NOBEL (Fn. 8), N 9 ff., kritisiert zu Recht, dass die Ausführungen in BGE 138 III 755, E. 8 zur

wirtschaftlichen Einheit nicht zu überzeugen vermögen. Allerdings darf mit Blick auf die im Urteil relevante Frage nach Interessenkonflikten nicht verkannt werden, dass die Generierung von Ertrag, wo auch immer dieser anfällt und wie dieser intern verbucht wird, verhaltenssteuernd wirken kann.

14 Das Verhältnis von Risiko und Ertrag bzw. Ertragserwartung wurde wirtschaftswissenschaftlich im Rahmen der Portfoliotheorie untersucht, die den Zielkonflikt darstellt, mit dem Kapitalmarktteilneh-mer bei Investitionsentscheidungen konfrontiert sind; vgl. HARRY MARKOWITZ, Portfolio Selection, Journal of Finance, Vol. 7, No. 1, Mar. 1952, 77 ff.; WILLIAM F. SHARPE, Capital Asset Prices: A Theory of Market Equilibrium under Conditions of Risk, Journal of Finance, Vol. 19, No. 3, Sep. 1964, 425 ff.

15 Es kann also davon ausgegangen werden, dass es Fälle gibt, bei denen mehr als Informationsasym-metrie vorliegt; vgl. STEVEN L. SCHWARCZ, Rethinking the Disclosure Paradigm in a World of Com-plexity, University of Illinois Law Review, Vol. 2004, No. 1, 1 ff., der in Fn. 35 die Frage aufwirft, „whether some structured transactions are, or can be, so complex that, rather than an information asymmetry, there is an inherent lack of information on both sides—the originator’s management and the investors“.

16 Schon GEORGE AKERLOF, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mecha-nisms, Quarterly Journal of Economics, Vol. 84 (3), 1970, 488 ff., 495 spricht von „costs of dis-honesty“ im Zusammenhang mit Informationsasymmetrie.

17 Der FINMA-Bericht zu Madoff und Lehman (Fn. 2), 19, erwähnt die Kumulation von Vertriebsrück-vergütungen und Kommissionen, d.h. einige Institute haben sowohl Geld vom Emittenten als auch vom Kunden erhalten. Dies ist (vgl. I.B.) auftragsrechtlich problematisch, weil dem Auftragnehmer im Zusammenhang mit dem Auftrag zufliessende Gelder an sich dem Auftraggeber zustehen; vgl. dazu BGE 132 II 460 und BGE 138 III 755. FINMA 2012 (Fn. 8), 14, fordert in diesem Zusammen-hang dann eine Offenlegung, wenn „beim Vertrieb bestimmter Produkte Vergütungen von Dritten“

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Kommunikation der produkt-immanente Kapitalschutz in den Vordergrund gescho-ben und parallel eine entsprechend deutliche Information bezüglich des Emittenten-Risikos vernachlässigt.18 Gravierende Informationsasymmetrien waren die Folge.19

Gemäss der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung sind Informationsasymmetrien eine Realität auf den Finanzmärkten.20 Die regulatorische Herausforderung ist darin zu sehen, Leitplanken zu setzen, die eine missbräuchliche Nutzung von derartigen Informationsasymmetrien zum Nachteil von Kleinanlegern begrenzen.21 In den genannten beiden Fällen hätten die Anleger indessen nur durch eine Haftung des Verantwortlichen für den Vertriebskanal im Rahmen der Auswahl der Produkte für den Ausfall des Emittenten oder eine entsprechende Absicherung des Emittentenri-sikos22 geschützt werden können.

entgegengenommen oder „Kundenberater für den Vertrieb bestimmter Produkte unternehmensintern vergütet“ werden.

18 Der FINMA-Bericht zu Madoff und Lehman (Fn. 2), 3 f., spricht davon, dass den Anlegern „bekann-te, aber vielfach als vernachlässigbar eingestufte Risiken zum Verhängnis“ wurden. Kritisiert wird im Bericht die Platzierung des Hinweises auf das Emittentenrisiko an „nicht sehr prominenter Stelle“. Auch FINMA 2010 (Fn. 3) 26, spricht diese Problem klar an.

19 Urs ZULAUF, Der „FINMA-Vertriebsbericht 2010“, SZW 2011, 265 ff., 266, geht davon aus, dass „Renditemöglichkeiten einseitig hervorgehoben und Kosten und Risiken nur zurückhaltend darge-stellt werden“.

20 Abweichend von der Idee des vollkommenen Marktes entstehen in der Realität Transaktionskosten zur Beschaffung von Information. Nicht zuletzt tragen divergierende Informationen und Erwartungen dazu bei, dass es zu Transaktionen kommt. Das auf der Erwartung effizienter Kapitalmärkte beru-hende CAPM kann in einer Welt mit vorhandenen Informationsasymmetrien zu Fehlentscheiden füh-ren, wobei bislang kein besseres Modell verfügbar scheint. Vgl. dazu statt vieler: JOSEPH STIGLITZ, The Contributions of the Economics of Information to Twentieth Century Economics, The Quarterly Journal of Economics, Vol. 115(4), 2000, 1441 ff.; Vgl. auch ROLF H. WEBER, Neuere Entwicklung-en des Kapitalmarktrechts, AJP 1994, 275 ff., 276.

21 Der FINMA-Bericht zu Madoff und Lehman (Fn. 2), 20, erkennt Defizite beim Risikobewusstsein der Anleger, welches im Rahmen einer „regulatorischen Kalibrierung des Anlegerschutzes“ zu stär-ken sei.

22 Zwischenzeitlich wurde in Folge der Tatsache, dass die Sicherheit einer Anlage von der Zahlungsfä-higkeit des entsprechenden Emittenten abhängt von der Schweizer Börse SIX im Herbst 2009 ein neuer Mechanismus zur Besicherung von strukturierten Produkten eingeführt: Cosi (Collateral Secured Instruments); <http://www.six-swiss-exchange.com/issuers/services/cosi_de.html>.

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D. Ist der „Homo oeconomicus“ überfordert?

Modelltheoretisch interessant ist, dass der Kunde sowohl seine Informationsbeschaf-fungskosten, welche als Teil der Transaktionskosten23 anzusehen sind, als auch letztlich sein Risiko dadurch zu minimieren glaubt, dass er zur Bank seines Vertrau-ens geht.24 Sein Gegenüber maximiert – wohl nicht nur modelltheoretisch − hinge-gen den Profit und spricht dabei von mündigen Anlegern. Die Komplexität und Fülle von zu verarbeitender Information führt dazu, dass die hinter dem Disclosure Paradigma stehende Idee keine zufriedenstellende Antwort in der heutigen Zeit sein kann.25 Von grosser Bedeutung ist es, Anlagen im Kontext der Theorie effizienter Märkte26 richtig einzuordnen: Bei der Platzierung strukturierter Produkte in Depots privater Anleger kann es eben gerade nicht zu einer derartigen, effizienten Preisbil-dung kommen.27

23 Schon RONALD H. COASE, The Nature of the Firm, Economica 1937/4, 386 ff., hat die Berücksichti-

gung von Transaktionskosten thematisiert. 24 Die Branche hat erkannt, dass es Optimierungsbedarf gibt, vgl. MICHAEL KREBS, Modell zur Risi-

koklassifizierung von Anlageprodukten, ST 2011, 934 ff. 25 SCHWARCZ (Fn. 15), 34: „The complexity of structured transactions undermines the long-held disclo-

sure paradigm, in which sophisticated investors and securities analysts bring market prices into line with disclosure. Even if these parties were to consider hiring teams of experts as needed to decipher complex structured transactions, empirical evidence and theory both suggest that the information asymmetry between companies and their investors will remain.“ Vgl. auch EMILIOAS AVGOULEAS, The Global Financial Crisis and the Disclosure Paradigm in European Financial Regulation: The Case for Reform, European Company and Financial Law Review, Vol. 6 No. 4, 2009, 440 ff., 474: „The old disclose and self-regulate paradigm in financial markets has been widely castigated as the main culprit of the current global financial catastrophe.“ PAULA J. DALLEY, The use and misuse of disclosure as a regulatory system, Vol 34 2007, Fla. St. U. L. Rev.; 1089 ff.

26 Vgl. EUGENE F. FAMA, Efficient Capital Markets, A Review of Theory and Empirical Work, Journal of Finance 25-2, 1970, 383 ff.; DERS., Efficient Capital Markets II, Journal of Finance 46-5, 1991, 1575 ff.; DERS., Market efficiency, long-term returns, and behavioral finance, Journal of Financial Economics 49, 1998, 283 ff.

27 Der Logik folgend, versagt das aus der Effizienztheorie abgeleitete Schutzkonzept, wenn der Pro-dukterwerb nicht über einen Markt erfolgt, an dem die Preisbildung durch informierte Marktteilneh-mer auf beiden Seiten erfolgt. Auch URS SCHENKER, Die rechtliche Position des Kunden, in: Kathrin Heim et al. (Hrsg.), Suitability & Appropriateness, Zürich 2012, 3 ff., 6, weist darauf hin, dass diese Situation gerade bei nicht kotierten Derivaten und strukturierten Produkten entstehen kann: „Da bei derartigen Instrumenten die Disziplin des Marktes fehlt, kommt es in diesem Bereich auch regelmäs-sig zu Problemen: Anleger kaufen überbewertete Produkte oder Instrumente, die mit zu hohen Kos-ten belastet sind.“

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Auch die Anlegerhaltung ist in diesem Kontext von Bedeutung: Beim Erwerb von Aktien begibt sich der Anleger bewusst in die Position des Risikokapitalgebers; beim Erwerb der Lehman-Zertifikate sahen sich hingegen viele Anleger eher als Sparer im Sinne eines Fremdkapitalgebers, der einer kreditwürdigen Bank sein Geld überlässt.28 Zwar kann auch der Fremdkapitalgeber einen Totalverlust erleiden, doch die Anleger gingen überwiegend davon aus, dass ihnen sichere Anlagen verkauft würden. Kapitalgeschützte strukturierte Produkte weisen aber zu tatsächlich gesi-cherten Anlageformen einen bedeutsamen Unterschied auf: Es besteht kein Schutz, wie z.B. bei einem Sparkonto, welches zumindest teilweise durch die Einlagensiche-rung abgesichert ist.29 Auch wird kein aussonderbares Sondervermögen gebildet wie etwa bei kollektiven Kapitalanlagen.30

Es darf erwartet werden, dass die staatliche Regulierung nicht ausschliesslich das Bild des alle verfügbaren Informationen rational zu seiner Nutzenmaximierung verarbeitenden Homo oeconomicus vor Augen haben sollte, und zwar nicht nur, weil dieser Typus im Rahmen von Behavioral Finance/Economics erhebliche Relativie-rung erfahren hat,31 sondern schon allein deshalb, weil die zu verarbeitende Informa-tionsmenge nicht zu bewältigen ist.32

28 Der FINMA-Bericht zu Madoff und Lehman (Fn. 2), 16, zeigt auch auf, dass sogenannte Sparer i.e.S.

von der Lehman-Pleite betroffen waren. 29 THOMAS S. MÜLLER/CHRISTIAN STAUB, Aktuelle Regulierungspraxis bei strukturierten Produkten,

SJZ 2011, 73 ff., 78, gehen davon aus, dass bei schweizerischen Emittenten auch strukturierte Pro-dukte unter den Schutz der Einlagensicherung gestellt werden könnten, indem sie den Kassenobliga-tionen gleichgestellt werden (Art. 37a Abs. 1 BankG).

30 Die Botschaft zur Teilrevision des KAG, Botschaft über die Änderung des Kollektivanlagengesetzes (KAG) vom 2. März 2012, 3662 f., stellt erneut klar, dass strukturierte Produkte bewusst nicht dem KAG unterstellt sind, „womit deren Anlegerinnen und Anleger auch nicht den im KAG vorgesehe-nen Anlegerschutz geniessen“.

31 Statt vieler: GEORGE AKERLOF/ROBERT SHILLER, Animal Spirits - How Human Psychology Drives the Economy, and Why It Matters for Global Capitalism, Princeton 2009; STEFANO DELLAVIGNA/ ULRIKE MALMENDIER, Paying Not to Go to the Gym, American Economic Review, June 2006, Vol. 96 (3), 694 ff.

32 So formulierte schon vor zehn Jahren TROY A. PAREDES, Blinded by the Light: Information Overload and its Consequences for Securities Regulation, Wash. U. L.Q. 81, 2003, 417 ff., 484: „information overload raises doubts about the effectiveness of the disclosure philosophy“. PAREDES weiter: „In-vestors might be better off if the mandatory disclosure system were scaled back by deleting certain disclosure requirements. Solving information overload is not just about deleting trivial disclosure items, however. Some material disclosures might be worth putting on the chopping block too.“

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E. Grenzen von „disclosure“

Immer dann, wenn sich Konsumenten als die schwächere Partei von ihren professio-nell agierenden Vertragspartnern unfair behandelt fühlen, erschallt der Ruf nach dem Regulator, der auch in diesem Fall nicht unterblieb.33 In Folge sind auf nationaler und internationaler Ebene34 verschiedene Regulierungsbemühungen in Gang ge-kommen.35 Das seit langem vorherrschende und bei der Regulierung bislang relativ unkritisch vorherrschende Denkmuster vertraut auf die mit dem Disclosure Para-digma36 einhergehende Erwartung, Prospekte reichten aus,37 um das offensichtlich

33 Im Gegensatz zur Regulierung im Versicherungsbereich unterliegen die modernen Finanzmarktpro-

dukte einer schwächeren Regulierung, da deren Verbreitung erst in den letzten Jahren mit anhaltend niedrigen Zinsen und verstärktem privaten Altersvorsorgebedürfnis deutlich zunahm.

34 Auch in den im Oktober 2011 publizierten OECD-Prinzipien G20 High-Level Principles on Finan-cial Consumer Protection (<http://www.oecd.org/regreform/liberalisationandcompetitioninterven tionin regulatedsectors/48892010.pdf>), 6, wird unter Ziffer 4 am Prinzip Disclosure and Transpar-ency festgehalten, wobei die nachfolgende Formulierung allerdings zeigt, dass dieses Prinzip deutlich umfassender verstanden wird: „Financial services providers and authorised agents should provide consumers with key information that informs the consumer of the fundamental benefits, risks and terms of the product. They should also provide information on conflicts of interest associated with the authorised agent through which the product is sold.“ Dann aber erweiternd: „The provision of ad-vice should be as objective as possible and should in general be based on the consumer’s profile con-sidering the complexity of the product, the risks associated with it as well as the customer’s financial objectives, knowledge, capabilities and experience. Consumers should be made aware of the im-portance of providing financial services providers with relevant, accurate and available information.“

35 Vgl. z.B. zur Entwicklung in Deutschland: ROLF SETHE, Verschärfte Regeln für Anlageberater im Retail-Bereich, in: Hartmut Koschyk/Stefan Leible/Klaus Schäfer (Hrsg.), Anlegerschutz und Stabili-tät der Finanzmärkte, Jena 2012, 131 ff., 140 ff.; NILS PHILIPP, Änderungen im Wertpapierhandels-gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes, in: Mathias Habersack/Peter O. Mülbert/Gerd Nob-be/Arne Wittig (Hrsg.), Stärkung des Anlegerschutzes – neuer Rechtsrahmen für Sanierungen, Bank-rechtstag 2011, Berlin 2012, 13 ff. In anderen Ländern wurde der Vertrieb bestimmter Produkte aus-gesetzt. Ausführlich: BARBARA LAMPE, Die Informationspflicht des Wertpapierdienstleistungsunter-nehmens nach § 31 Abs. 3 WpHG, Diss. Hamburg 2011.

36 Obwohl diese Idee schon den US-Gesetzen Securities Act of 1933 (15 U.S.C. § 77a ff.) und Securi-ties Act of 1933 (15 U.S.C. § 78a ff.) zu Grunde lag, geht SCHWARCZ (Fn. 15), 7 f., davon aus, dass „during the debate over the original enactment of the federal securities laws, Congress did not focus on the ability of investors to understand disclosure of complex transactions“. Die eigentliche Erwartung war, dass „sophisticated market intermediaries−such as brokers, bankers, investment ad-visers, publishers of investment advisory literature, and even lawyers“ den Informationstransfer sicherstellen.

37 SCHWARCZ (Fn. 15), 6, stellte schon nach dem Enron-Skandal und somit lange vor der Finanzkrise die Frage, „whether securities regulation should continue to rely exclusively on disclosure“. Vgl. auch SCHWARCZ, Disclosure’s Failure in the Subprime Mortgage Crisis, Utah Law Review 2008, 1109 ff., 1121: „As complexity increases, the disclosure paradigm of securities law has been dimin-ishing in effectiveness.“

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zwischen Emittent bzw. Vertriebsträger und Kunden bestehende Informationsgefälle zu kompensieren.38

Auch in der EU weist der FSAP von 199939 auf den Disclosure-Ansatz hin, selbst wenn die Regulierungen partiell zwischen Produkten und Dienstleistungen unter-scheiden.40 Regelungen auf Produkte bezogen finden sich vorwiegend in den UCITS-Regulierungen41 sowie in der Prospekt-Richtlinie.42 Dienstleistungen sind

38 Vgl. FRANCA CONTRATTO, FINMA-Vertriebsbericht 2010: Ein Hoffnungsschimmer am Horizont für

die Anleger, Jusletter, 02.05.2011, N 18. 39 Der Financial Services Action Plan aus dem Jahr 1999 war die zentrale Komponente in der EU-

Strategie zur Schaffung eines einheitlichen Markts für Finanzdienstleistungen. Als Massnahme wurde „Commission Recommendation on disclosure of financial instruments“ mit dem Ziel „En-hanced disclosure of the activities of banks and other financial institutions to allow investors to take informed decisions, and to foster market transparency and discipline as a complement to prudential supervision„ genannt; FSAP, 29, <http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/actionplan/index /action_en.pdf>.

40 NIAMH MOLONEY, How to Protect Investors - Lessons from the EC and the UK, Cambridge 2010, 288.

41 Zunächst die Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (englisch: Undertakings for Collective Investment in Transferable Securities), ABl. L 375 vom 31.12.1985, 3. Detaillierte Vorschriften zu diesem Thema sind in der Durchführungsrichtli-nie Richtlinie 2007/16/EG, ABl. L 79 vom 20.3.2007, 11, der EU-Kommission enthalten. Zwischen-zeitlich ist eine neue Fassung mit der Richtlinie 2009/65/EG, ABl. L 302 vom 13.7.2009, 32, in Kraft; am 3. Juli 2012 nahm die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG bezüglich Depotbankfunktionen, Vergütungspolitik und Sanktionen an. Basie-rend auf der Richtlinie 2009/65/EG hatte die Kommission bereits am 1. Juli 2010 ein Programm zur Verbesserung des EU-Rechtsrahmens für Investmentfonds abgeschlossen, indem sie vier Durchfüh-rungsmassnahmen, bestehend aus je zwei Richtlinien und Verordnungen, angenommen hat. Mit der UCITS-Überarbeitung wurde der einfache Prospekt durch das Key Investor Information Document (KIID) ersetzt. Alle offenen und geschlossenen kollektiven Kapitalanlagen, die nicht unter UCITS einzuordnen sind, fallen unter die AIFM-Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010, ABl. L 174 vom 8.6.2011 (englisch: Alternative Investment Fund Manager).

42 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betref-fend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L 345 vom 31.12.2003, 64.

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durch die Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie43 angesprochen, während Mi-FID44 beide Bereiche adressiert.

Bemerkenswert sind die hohen Voraussetzungen, die an ein nichtkomplexes Produkt gestellt werden, weil im Retail-Bereich nur für solche Execution-only-Service ange-boten werden darf, so dass für bestimmte Produkte ein Beratungszwang besteht. In der MiFID-Durchführungsrichtlinie45 regelt Art. 38 d) als eine der zu erfüllenden Bedingungen, dass „in angemessenem Umfang Informationen über die Merkmale des betreffenden Finanzinstruments öffentlich verfügbar“ zu sein haben, die „so gut verständlich sein müssten, dass der durchschnittliche Kleinanleger in die Lage ver-setzt wird, hinsichtlich eines Geschäfts mit dem betreffenden Instrument eine infor-mierte Entscheidung zu treffen“.

Nachdem die FINMA 2009 noch beabsichtigte, im Rahmen der „Verbesserung des Kundenschutzes“, als einem ihrer sieben strategischen Ziele, „angemessene Sorg-falts-, Offenlegungs- und Aufklärungspflichten im Vertrieb von Finanzprodukten“ zu fördern,46 wird vier Jahre später festgestellt47: „Das geltende Recht gewährleistet

43 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über

den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. L 271 vom 9.10.2002, 16.

44 Die europäische Finanzmarktrichtlinie MiFID (Markets in Financial Instruments Directive/Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente; Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Ra-tes vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates) zur Harmonisierung der Fi-nanzmärkte im europäischen Binnenmarkt (ABl L 145 vom 30.4.2004, 1) ist ebenso Teil des FSAP und soll den Anlegerschutz optimieren. Gemäss einer Pressemitteilung der EU-Kommission vom 20. Oktober 2011 (IP-11-1219) soll die MiFID überarbeitet werden: <http://eur-lex.europa.eu/LexUriSer v/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0656:FIN:de:PDF>.

45 Richtlinie 2006/73/EG der Kommission vom 10. August 2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforde-rungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, ABl. L 241 vom 2.9.2006, 26.

46 Vgl. die vom Bundesrat genehmigten Ziele der FINMA <http://www.finma.ch/d/aktuell/Documents/ strategische-ziele-finma-20090930-d.pdf> und die Medienmitteilung vom 30.09.2009 dazu <http:// www.finma.ch/d/aktuell/Documents/mm-strategie-finma-20090930-d.pdf>.

47 Vgl. die vom Bundesrat genehmigten Ziele in der FINMA-Publikation Strategische Ziele der FINMA 2013 bis 2016, 11; <http://www.finma.ch/d/finma/publikationen/Documents/strategische_ziele_ fin-ma-2013-2016-d.pdf> und die Medienmitteilung vom 21.11.2012 dazu <http://www.finma.ch/d/aktu ell/Documents/mm-strategische-ziele-2013-2016-20121121-d.pdf>. Weiter wird darin festgestellt,

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keinen angemessenen Kundenschutz, was das Geschäftsverhalten (Business Conduct) von Finanzintermediären anbelangt. Diesbezüglich hinkt die Schweiz internationalen Regulierungsstandards hinterher.“ Im Fokus steht dabei die Vorstel-lung, dass der Anleger ausreichend geschützt ist, wenn ihm geeignete Informationen über das Risikoprofil einer Kapitalanlage vorliegen.48

Konkretisiert sind diese Ambitionen im FINMA-Vertriebsbericht vom Oktober 2010,49 der auf die im März 2010 von der FINMA veröffentlichten Untersuchungs-ergebnisse in den Fällen Madoff und Lehman50 verweist, die eine Disharmonie zwi-schen Risikoprofilen von Finanzprodukten und deren Käufern diagnostizierten. Spezifisch hielt der Bericht fest, dass das Risikobewusstsein und die Risikobereit-schaft von Kunden zum Teil unzureichend abgeklärt und die vermittelten Produkte nicht ausreichend auf deren persönliche Risikofähigkeit abgestimmt worden seien.51

Darauf aufbauend schlug die FINMA im Februar 201252 ein regulatorisches Mass-nahmenpaket zur Stärkung des Kundenschutzes vor, „um das Kräfteungleichgewicht zwischen Finanzdienstleistern und Kunden zu verkleinern und den Markt zu stär-ken“53 − dessen Umsetzung soll auf Gesetzesstufe erfolgen. Aktuell lässt sich davon ausgehen, dass innerhalb der nächsten beiden Jahre ein Vernehmlassungsentwurf

dass die Schweizer Kunden gegenüber jenen im Ausland benachteiligt werden, indem sie oft nicht ausreichend und transparent informiert werden. Zudem schwächen die lückenhaften Kundenschutz-bestimmungen am Verkaufspunkt (Point of Sale) die Reputation eines qualitätsorientierten Finanz-platzes, weil die vorhandenen Regulierungen keinen angemessenen, international anerkannten Min-deststandard erfüllen.

48 Auch das BGer (4A_140/2011, 27.06.2011, E. 3.1) äusserte sich zur Informationsasymmetrie: „Die Aufklärung des Kunden durch den Beauftragten hat jedoch keinen Selbstzweck, sondern dient dazu, Informationsdefizite auszugleichen“ und verweist auf SANDRO ABEGGLEN, Die Aufklärungspflichten in Dienstleistungsbeziehungen, insbesondere im Bankgeschäft, Diss. Bern 1995, 177.

49 FINMA 2010 (Fn. 3). Vgl. dazu: CONTRATTO (Fn. 38), passim. SUSAN EMMENEGGER, Verhaltensre-geln am Point of Sale: Anlegerschutz an der Schnittstelle zum Kunden, SZW 2011, 278 ff.; OLIVER ZIBUNG, Der Vertriebsbericht der FINMA – ein nächster Schritt zur Verbesserung des Kundenschut-zes sowie zur materiellen Integration der Finanzmarktregulierung?, HAVE 2011, 99 ff.

50 FINMA-Bericht zu Madoff und Lehman (Fn. 2). Der interne Bericht war deutlich kritischer; vgl. BEAT SCHMID, „Der Sonntag“ stellt internen Lehman-Bericht der Finma ins Netz, Sonntag vom 05.11.2011, <http://www.sonntagonline.ch/ressort/wirtschaft/1953/> der die interne FINMA-Version ins Netz stellte: <http://www.sonntagonline.ch/content/1320530686.pdf>.

51 FINMA 2010 (Fn. 3), 2. 52 FINMA-2012 (Fn. 9). 53 FINMA-Medienmitteilung, <http://www.finma.ch/d/aktuell/Seiten/mm-vertriebsbericht-20120224.aspx>.

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vorliegen wird, auf dessen Basis dann ein für alle Finanzdienstleister einheitliches Gesetz entstehen wird.54

F. Immanente Grenzen des Anlegerschutzes

Der Fall Lehman zeigt auch, dass dem Anlegerschutz relativ enge Grenzen gesetzt sind, wenn man marktwirtschaftliche Prinzipien und Gegebenheiten akzeptiert. Die angebotenen Produkte verstiessen nicht gegen gesetzliche Vorgaben und ihr Vertrieb unterlag nicht besonderen Auflagen, denn der Zugang zu modernen Kapitalmarkt-produkten sollte möglichst allen Marktteilnehmern offen stehen.

Im gegebenen Kontext erscheint einerseits immerhin als offenkundig, dass die Ver-mögenseinbussen in den beiden auslösenden Fällen tatsächlich mit der angedachten, innerstaatlich regulierten Transparenz-Optimierung nicht zu verhindern gewesen wären, weil sich die Insolvenz eines Emittenten oder betrügerische Machenschaften dadurch nicht ausschliessen lassen. Offen bleibt indessen, ob durch die nun disku-tierten Ansätze diese toxischen Produkte bei weniger Kunden einen Platz in den Depots gefunden hätten. Weil aber unstrittig alle Anleger, die solche Produkte in ihrem Portfolio halten, die spezifischen Risiken kennen sollten, gilt es deren Infor-mationsniveau und Wissen zu verbessern.

Andererseits sind dem Anlegerschutz auch im Rahmen der gerichtlichen Durchsetz-barkeit von Schadenersatzansprüchen gewisse Grenzen, insbesondere durch die Beweisproblematik, gesetzt. So gelangten die schweizerischen Gerichte – abwei-chend von einigen deutschen Gerichten55 und z.B. einer FINRA-Entscheidung in

54 Vgl. Bericht zur Finanzmarktpolitik des Bundes vom 19.12.2012, <http://www.efd.admin.ch/dokumenta

tion/zahlen/00578/02679/index.html?lang=de>, 36: „Am 28. März 2012 beauftragte der Bundesrat das EFD unter Mitwirkung des EJPD (BJ) und der FINMA damit, eine gesetzliche Grundlage zur Schaffung einer einheitlichen, sektorübergreifenden Regulierung von Finanzprodukten und -dienstleistungen und deren Vertrieb zu erarbeiten.“ Vgl. auch EIDGENÖSSISCHES FINANZDEPARTEMENT (EFD), Hearingbe-richt Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) – Stossrichtungen möglicher Regulierung vom 18.02.2013, <http://www.efd.admin.ch/dokumentation/zahlen/00578/02686/index. html?lang=de>.

55 So sprach das OLG Hamburg Lehman-Zertifikats-Anlegern 7,4 Mio. € Schadenersatz zu (Az. 14 U 291/10); da die beklagte Bank auf den Weiterzug zum BGH verzichtet hat, ist dieses Urteil rechtskräftig; vgl. <www.cash.ch/news/alle-news/74_millionen_schadenersatz_nach_lehmanpleite-120727 6-448>. Allerdings hat der BGH am 26.6.2012 einige zu Gunsten der Kläger ergangene Lehman Urteile aufge-hoben; vgl. Pressemitteilung BGH zu XI ZR 356/10 u.a.: <www.juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht

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den USA56 in ähnlich gelagerten Fällen – bislang zum Schluss, dass Banken entstan-dene Schäden im Zusammenhang mit diesen Produkten nicht zu ersetzen haben, obwohl es wohl partiell in den Bereichen Produkt, Emittent und Risiko im Falle der vertriebenen Lehman-Zertifikate an der notwendigen Aufklärung und Transparenz fehlte.57

Die gerichtlich im Rahmen der Beweislast zu nehmenden Hürden werden durch die verbesserte Dokumentation auf Seiten des Beraters zukünftig eher noch steigen. Die Reaktion der Anbieter zeigt wenig überraschend eine Verstärkung des Trends, die Anleger zu kategorisieren und durch die Unterzeichnung entsprechender Formulare als eine Art qualifizierte Kapitalmarktteilnehmer zu klassifizieren. Dadurch wird aber nur der Kunde transparenter, nicht aber das vermittelte Produkt oder die er-brachte Beratungsleistung. Eine solche Entwicklung führt also nicht zu einer Adjus-tierung von Risikoprofilen zwischen Kunde und Produkt, sondern zur verbesserten Absicherung der Branche gegen Regressforderungen von Kunden.

sprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2012&Sort=3&Seite=1&nr=60703&pos=46& anz=144>. Vgl. dazu auch die Übersicht in Fn. 3 bei SANDRO ABEGGLEN, Schadenersatzansprüche des Kunden gegen den Vermögensverwalter – Beurteilung typischer Argumente, in: Peter R. Isler/Romeo Cerutti (Hrsg.), Vermögensverwaltung III, Zürich 2010, 34 ff.

56 Die Schweizer Grossbank UBS zahlte wegen ungenügender Aufklärung von US-Kleinkunden bezüglich der Risiken von strukturierten Produkten der Investmentbank Lehman fast elf Millionen Dollar, weil Kunden mangelhaft über die Kreditrisiken aufgeklärt worden waren: „FINRA found that UBS failed to emphasize adequately to some investors that the principal protection feature of the Lehman-issued PPNs was subject to issuer credit risk; did not properly advise UBS financial advisors of the potential effect of the widening of credit default swap spreads on Lehman's financial strength, or provide them with proper guidance on the use of that information with clients; failed to establish an adequate supervisory system for the sale of the Lehman-issued PPNs, and failed to provide sufficient training and written supervisory policies and procedures; did not adequately analyze the suitability of sales of the Lehman-issued PPNs to certain UBS customers; created and used advertising materials that had the effect of misleading some customers about specific characteristics of PPNs.“ Bemerkenswert ist auch das in der Pressemitteilung enthaltene Zitat von BRAD BENNETT, FINRA Executive Vice President and Chief of Enforcement, „In cases, UBS' financial advisors did not even understand the complex products they were selling, and as a result, they neglected to disclose necessary information to customers about the issuer's credit risk so in-vestors would understand the magnitude of the potential losses.“; <http://www.finra.org/Newsroom/New sReleases/2011/P123479> und <http://www.finra.org/web/groups/industry/@ip/@enf/@ad/documents/ Industry/p123478.pdf>; UBS muss in den USA Bussgeld zahlen, NZZ Online, 12.4.2011 <www.nzz.ch/ aktuell/wirtschaft/ueber sicht/ubs-muss-wegen-verkauf-von-lehman-produkten-hohes-bussgeld-zahlen-1.10219057>.

57 FINMA 2010 (Fn. 3), 3.

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Nachfolgend wird untersucht, inwieweit die von der FINMA angedachten Mass-nahmen die Umsetzung des angesprochenen FINMA-Ziels unterstützen. Im Vorder-grund stehen die beiden bei einer Transaktion agierenden Personen, der Berater und der Kunde. Wie kann das Verhalten des Beraters durch Regulierung gelenkt wer-den? Wie ist der Kunde zu motivieren, die angebotenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen?

II. Entwicklungen im Bereich der Regulierung

A. Status Quo

1. Selbstregulierung ergänzt durch staatliche Regulierung

Die Selbstregulierung hat in der Finanzbranche eine zentrale Funktion.58 Verbände können in der Regel flexibler und schneller auf Veränderungen und Marktgescheh-nisse im Bereich der Finanzdienstleistungen reagieren, weil sie den Markt und das allgemeine Kundenverhalten kennen. Auch in der Schweiz verzichtet der Gesetzge-ber bislang in einem System der weitgehenden Selbstregulierung auf eine detaillierte gesetzliche Regelung von Mindestanforderungen in der Anlageberatung und über-lässt die Setzung solcher Standards der Branche − im Vertrauen darauf, dass diese um die Aufrechterhaltung ihrer Reputation bemüht ist. Selbstverständlich spielt dabei auch die FINMA eine wichtige Rolle.

Basierend auf den auftragsrechtlichen Informations- und Beratungspflichten (Art. 398 OR) bestimmen sich die einzelnen Pflichten aufgrund der konkreten Um-stände im Einzelfall.59 Eine Konkretisierung ergibt sich aus Art. 11 BEHG und Art. 20 KAG. Art. 11 BEHG wird dabei als sogenannte Doppelnorm angesehen,60

58 Vgl. auch ROLF H. WEBER, Overcoming the Hard Law/Soft Law Dichotomy in Times of (Financial)

Crises, Journal of Governance and Regulation 2012, Vol. 1 Issue 1, 8, m.w.H. 59 Das Bundesgericht hat die Pflichten des Vermögensverwalters im Entscheid BGE 115 II 62 beschrie-

ben. BSK-WEBER (Fn. 10), Art. 394 OR N 9 ff. 60 Vgl. RASHID BAHAR/ERIC STUPP, in: Rolf Watter/Nedim Peter Vogt (Hrsg.), Basler Kommentar

BEHG FINMAG, 2. Aufl. Basel 2011, Art. 11 BEHG N 6 m.w.H.; BGE 133 III 97, E. 5 m.w.H.; WOLFGANG WIEGAND/BERNHARD BERGER, Zur rechtssystematischen Einordnung von Art. 11 BEHG, ZBJV 135 (1999) 713 ff.

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die auf der einen Seite nach Ansicht eines Teils der Lehre privatrechtlich als An-spruchsgrundlage herangezogen werden kann und auf der anderen Seite öffentlich-rechtlichen Charakter hat, weil sie aufsichtsrechtlich von Amtes wegen anwendbar ist. Besondere Bedeutung kommt Art. 11 Abs. 2 BEHG zu, der bei Zunahme der Faktoren Geschäftserfahrung und Fachkenntnis beim Anleger eine quasi proportio-nal fallende Informationspflicht im Kontext der Risikoaufklärung erlaubt. Diesbe-züglich steht dem Berater gemäss den Verhaltensregeln für Effektenhändler61 bei der Durchführung des Effektenhandelsgeschäftes die Vermutung zu, „dass der Kunde die üblichen Risiken kennt, solange er nicht konkrete Hinweise darauf besitzt, dass der Kunde auch diesbezüglich völlig unerfahren ist“62. Basierend auf dieser Vermu-tung erfolgt in der Regel eine standardisierte Erfüllung der Informationspflichten.63

Jedenfalls erfordert die Informationspflicht ein aktives Handeln des Beraters, gerade dann, wenn dieser gewisse Produkte empfiehlt.64 Weil die sich selbst kommentie-rende Selbstregulierung keine Verwässerung der Informationspflicht gemäss BEHG bewirken kann, ist von einer gesetzlich geregelten und aufsichtsrechtlich zu überwa-chenden, umfassenden Informationspflicht auszugehen.65 Hierzu dient den Banken aktuell in der Regel die Informationsbroschüre zu den besonderen Risiken im Effek-tenhandel.66

61 Vgl. Art. 3 Abs. 2 der Verhaltensregeln für Effektenhändler: „Grundsätzlich darf der Effektenhändler

davon ausgehen, dass jeder Kunde die Risiken kennt, die üblicherweise mit dem Kauf, Verkauf und Halten von Effekten verbunden sind“; <http://www.swissbanking.org/801908_d.pdf>.

62 Kommentar 7 zu Art. 3 Verhaltensregeln für Effektenhändler (Fn. 61). Kritisch dazu WOLFGANG WIEGAND, Die Finanzmarktkrise und die Informations- und Beratungspflicht im Bankgeschäft, in: Peter V. Kunz et al. (Hrsg.), Wirtschaftsrecht in Theorie und Praxis, Festschrift für Roland von Bü-ren, Basel 2009, 627 ff., 637.

63 BSK-BAHAR/STUPP (Fn. 60), Art. 11 BEHG N 47 und 54. 64 BSK-BAHAR/STUPP (Fn. 60), Art. 11 BEHG N 55. 65 So auch BSK-BAHAR/STUPP (Fn. 60), Art. 11 BEHG N 56. Vgl. dazu zudem BGE 124 III 155, bei

dem es allerdings um an der Terminbörse in Chicago gehandelte Devisenterminkontrakte ging, eine der zweifellos riskantesten Anlageformen.

66 Die Publikation weist auch bei den strukturierten Produkten in N 111 auf das Emittentenrisiko hin; <http://www.swissbanking.org/11308_d.pdf>. In der älteren Auflage gab es einen Hinweis in N 110.

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2. Unklarheiten in der Praxis

Gerichte und Literatur haben sich in vielfältiger Form mit den Pflichten im Zusam-menhang mit dem Vertrieb von Finanzprodukten beschäftigt. Den gerichtlichen Entscheiden liegen äusserst heterogene Sachverhalte zugrunde, so dass vielfach die besondere Situation nur eine begrenzte Verallgemeinerung erlaubt. Obwohl die Meinungen in der Literatur natürlich divergieren, lassen sich doch gewisse Tenden-zen herausarbeiten.

Die standardisierten Informationen können nach überwiegender Auffassung dann nicht als ausreichend erachtet werden, wenn der Berater gewisse Anlagen aktiv empfiehlt.67 Somit läuft der eine Anlage empfehlende Berater Gefahr, beweispflichtig zu werden, sollte strittig sein, ob individuell z.B. auf ein spezifisches Emittentenrisiko hingewie-sen wurde. Im Rahmen der Kategorisierung der Vertragsbeziehung zwischen Berater und Kunde in drei Fallgruppen68 − Execution-only, Vertrauensverhältnis und Anlage-beratung − zeigen sich deutliche Unterschiede.69 Zu beachten ist, dass es im Zweifel nicht reichen könnte, nur gewisse Mindeststandards erfüllt zu haben. Gerade bei der unterschiedlich abgegrenzten mittleren Gruppe, bei welcher jedenfalls die Folgen der

67 Vgl. ABEGGLEN (Fn. 55), 39 ff., der in dieser Konstellation, es nicht für ausreichend ansieht, den

Kunden nur standardisiert zu informieren; WIEGAND (Fn. 62), 640, geht davon aus, dass die Basisin-formation „in jedem Falle durch eine personen- und einzelfallbezogene Information“ zu ergänzen ist.

68 VALENTIN JENTSCH/HANS CASPAR VON DER CRONE, Informationspflichten der Bank bei der Vermö-gensverwaltung: Kundenprofil und Risikoaufklärung, SZW 2011, 639 ff., 650, nennen drei wesentli-che Fallgruppen: (i) die execution only-Beziehung, (ii) Beziehungen mit einem gesteigerten Vertrau-ensverhältnis zwischen Kunde und Bank sowie (iii) Vermögensverwaltung und Anlageberatung. Nach ABEGGLEN (Fn. 61), 74 f., definiert sich die mittlere Gruppe durch drei Ausnahmen: Aus-kunftswunsch des Kunden, erkennbare Ahnungslosigkeit des Kunden oder ein besonderes Vertrau-ensverhältnis. SUSAN EMMENEGGER, Die Informationspflichten der Bank bei Anlagegeschäften: Tout devient du droit public?, in: Peter V. Kunz et al. (Hrsg.), Wirtschaftsrecht in Theorie und Praxis, Festschrift für Roland von Büren, Basel 2009, 643 ff., 646 ff. nennt die mittlere Gruppe Anlagebera-tung. BGE 133 III 97, E. 7.1: „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, auf die sich die Vo-rinstanz abstützt, wird hinsichtlich der vertragsrechtlichen Sorgfalts- und Treuepflicht der Bank bei der Abwicklung von Börsengeschäften für die Kundschaft zwischen drei verschiedenen Vertragsbe-ziehungen differenziert: die Vermögensverwaltung, die Anlageberatung und die blosse Konto-/Depot-Beziehung“.

69 SCHENKER (Fn. 27), 4, stellt zutreffend fest, dass der später als Execution-only-Kunde eingestufte Anleger personalisiert zugestellte Anlageempfehlungen, die vom Versender als schlichte Werbung klassifiziert wird, als Beratung wahrnimmt, welche gestützt auf die vertragliche Beziehung zur Bank erbracht wird.

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bundesgerichtlichen Sonderverbindung70 zu beachten sind,71 geht es zusätzlich zur prophylaktischen Risikoaufklärung möglicherweise um reaktive Warnpflichten, so dass dem Kunden eine fortlaufende, umfassende Aufklärung und Beratung geschuldet wäre.72 Dieser Aspekt wurde auch im Lehman-Fall dahingehend diskutiert, ob ein

70 BGE 133 III 97, E 7.2: „Die Vorinstanz ist zu Recht zum Ergebnis gekommen, dass im vorliegenden

Fall keine blosse Konto-/Depot-Beziehung bestand, sondern die Beklagte auch als Anlageberaterin zu betrachten ist, obschon dafür keine Grundlage in Form eines ausdrücklich geschlossenen Vertra-ges bestand. Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine solche formelle Grundla-ge entbehrlich, wenn sich wegen einer andauernden Geschäftsbeziehung zwischen der Bank und dem Kunden ein besonderes Vertrauensverhältnis entwickelt hat, aus welchem der Kunde nach Treu und Glauben auch unaufgefordert Beratung und Abmahnung erwarten darf.“ Vgl. dazu auch ROMEO CERUTTI, Rechtliche Aspekte der Vermögensverwaltung im Schweizer Universalbankensystem, ZSR 2008 I, 69 ff., 81.

71 Vgl. BGer 4A_140/2011, 27.06.2011, E. 3.1: „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unter-stehen Personen und Unternehmen, die sich berufsmässig mit dem Anlagegeschäft befassen, bei der Anbahnung und Abwicklung von Verträgen über die Vermögensverwaltung einer besonderen Auf-klärungspflicht. Einen Anlageberater oder Anlagevermittler, der im Hinblick auf die Vermögensver-waltung oder in deren Rahmen tätig wird, treffen neben der erwähnten Aufklärungspflicht auch Bera-tungs- und Warnpflichten, deren gemeinsame Wurzel in der auftragsrechtlichen Sorgfalts- und Treu-epflicht (Art. 398 Abs. 2 OR) liegt. Der Kunde ist hinsichtlich der Risiken der beabsichtigten Investi-tionen aufzuklären, nach Bedarf in Bezug auf die einzelnen Anlagemöglichkeiten sachgerecht zu be-raten und vor übereilten Entschlüssen zu warnen, wobei diese Pflichten inhaltlich durch den Wis-sensstand des Kunden einerseits und die Art des in Frage stehenden Anlagegeschäfts andererseits be-stimmt werden (BGE 124 III 155, 162 f., E. 3a mit Hinweisen). Dabei obliegt dem Beauftragten na-mentlich auch, sich durch Befragung einlässlich über den Wissensstand und die Risikobereitschaft des Kunden zu informieren (BGE 124 III 155, 162 f., E. 3a mit Hinweisen).“ Dies gilt nicht für Spe-kulanten. Vgl. auch BGE 115 II 62, E. 3 a): „Gegenstand der Informationspflicht bildet alles, was für den Auftraggeber von Bedeutung ist. Der Beauftragte hat als Fachmann dem Auftraggeber auch un-aufgefordert über die Zweckmässigkeit des Auftrages und der Weisungen, die Kosten und Gefahren sowie die Erfolgschancen Auskunft zu geben“; BGE 119 II 333, E. 5 a) schränkt die Pflicht aus-serhalb eines Vermögensverwaltungsvertrages wohl etwas ein: „Aus der Treuepflicht folgt als erstes, dass der Beauftragte den Auftraggeber von sich aus und vor Beginn der Ausführung des Auftrages gestützt auf sein Fachwissen nach den Umständen des Falles über Chancen und Risiken der Auf-tragsausführung aufklärt. Diese Pflicht gilt für den Fall, dass zwischen den Parteien ein Vermögens-verwaltungsvertrag besteht, uneingeschränkt, weil der Verwalter die Interessen seines Kunden um-fassend wahren muss. Führt die Bank hingegen nur punktuell Geschäfte für den Auftraggeber aus, ist sie nicht zu einer generellen Interessenwahrung verpflichtet und muss ihn deshalb in der Regel nur auf Verlangen aufklären.“

72 Vgl. EMMENEGGER (Fn. 68). 647: „Für die Anlageberatung und Vermögensverwaltung gilt eine informationsmässige Pflichtenbindung, die deutlich über diejenige der Execution-only-Beziehung hinausreicht. Insgesamt bestehen hier ausgedehnte Aufklärungs-, Warn- und Beratungspflichten, die auf die spezifische Kundin abgestimmt sein müssen. Die Bank muss sich einlässlich mit dem Wis-sens- und Erfahrungsstand der Kundin, ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen, ihren An-lagebedürfnissen (einschliesslich des Anlagehorizonts) und ihrer Risikobereitschaft auseinanderset-zen. Es gilt das Prinzip ‚know your customer‘“. Dazu aber BGer 4A_525/2011, 03.02.2012: „‚Warn-pflicht‘ meint die Verpflichtung der Bank, den Kunden in bestimmten Situationen unaufgefordert vor sich abzeichnenden Gefahren zu warnen, wie z.B. bei einer wesentlichen Bonitätsverschlechterung eines Emittenten von im Depot liegenden Obligationen. Eine solche Warnpflicht für die Zeit nach ge-

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Finanzdienstleister seine Kunden informieren muss, wenn das Rating eines Emittenten sinkt, dessen Papiere sich im Kundendepot befinden. Gerade dann, wenn ein Berater Produkte aktiv empfohlen hat, kann der Kunde erwarten, dass bei dem Berater bekann-ten, deutlich gestiegenen Risiko ein Warnhinweis erfolgt.73

Immer dann, wenn nicht nur ein Kundenauftrag (execution-only) ausgeführt wird oder ohnehin ein Vermögensverwaltungsvertrag besteht, bewegen sich die Beteiligten be-züglich des auftragsrechtlichen Pflichtenkatalogs in einer Grauzone.74 Während auf der einen Seite z.B. bei einer via Online-Banking erworbenen Anlage keine die aktuel-le Order betreffende Informationspflichten zum Zuge kommen können, ist auf der anderen Seite eindeutig, dass der Finanzdienstleister im vertraglich vereinbarten Um-fang das anvertraute Depot verwaltet. Bei jeder Form der Anlageberatung ist nicht geregelt, ob auf eine mangelnde Portfolio-Diversifikation hinzuweisen ist oder gar weitergehende Abklärungen zu Risikoneigung und Anlagezielen zu treffen sind.

Vor dem Hintergrund von an sich bereits de lege lata gesetzlich relativ klar geregel-ten Informationspflichten im Bereich der individuellen Anlageberatung und opti-mierter Broschüren im Bereich der Selbstregulierung, ist zu fragen, welche Lücke die FINMA de lege ferenda zu schliessen beabsichtigt.

3. Appropriateness und Suitability

Mit Blick auf Art. 11 Abs. 2 BEHG kann davon ausgegangen werden, dass im schwei-zerischen Recht das dem Gedanken der Appropriateness (Art. 19 Abs. 5 MiFID) zu-grunde liegende Konzept gesetzlich bereits angelegt ist.75 Die Ausführungen des Bun-

troffenem Anlageentscheid setzt de facto eine ständige Überwachung des Depots voraus, ohne die ei-ne spontane und rechtzeitige Warnung des Kunden nicht möglich ist. Darin liegt aber eine aufwändi-ge Dienstleistung, die üblicherweise nicht unentgeltlich erbracht wird. Bei einer Anlageberatung, die ausserhalb einer eigentlichen Vermögensverwaltung erfolgt, kann der Kunde ohne anderslautende Vereinbarung grundsätzlich nicht erwarten, dass die Bank das Wertschriftendepot dauernd überwacht und ihn gegebenenfalls auf Gefahren hinweist.“

73 Dabei ist allerdings zu bedenken, dass beim Bekanntwerden von Hinweisen bezüglich gestiegener Emittenten-Risiken ein massiver Preisverfall ausgelöst werden kann, was dem noch im Produkt in-vestierten Kunden somit auch schaden kann, wenn er nicht mehr rechtzeitig verkaufen kann.

74 So z.B. auch CERUTTI (Fn. 70), 79. 75 A.M. SCHENKER (Fn. 27), 13, der davon ausgeht, dass das schweizerische Banken- und Börsenrecht

keine Vorschriften zu Suitability und Appropriateness enthält. Die in Art. 11 Abs. 2 BEHG ange-

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desgerichts stellen hingegen klar, dass ein Erfordernis einer Suitability-Prüfung (Art. 19 Abs. 4 MiFID) nicht normiert ist76: „Nicht unter die börsengesetzliche Infor-mationspflicht fallen grundsätzlich die Erforschung der finanziellen Verhältnisse des Kunden sowie die Beurteilung, ob eine Transaktion für einen bestimmten Kunden geeignet ist (Suitability-Prüfung). Aus Art. 11 BEHG kann keine entsprechende Er-kundigungs- und Beratungspflicht des Effektenhändlers abgeleitet werden.“

sprochenen, individuell bestehenden Pflichten sind zwar vorwiegend auf den Aspekt der Risikoauf-klärung reduziert zu verstehen: Um die in Abs. 1 lit a verankerte Informationspflicht, den Kunden „insbesondere auf die mit einer bestimmten Geschäftsart verbundenen Risiken“ hinzuweisen, zu er-füllen, sind „die Geschäftserfahrenheit und die fachlichen Kenntnisse der Kunden zu berücksichti-gen“. Art. 19 Abs. 5 der MiFID fordert nach „knowledge and experience in the investment field rele-vant to the specific type of product or service“ zu fragen, um festzustellen, ob „the investment service or product envisaged is appropriate for the client“. In Art. 19 Abs. 4 MiFID wird darüber hinausge-hend zuvor geregelt, dass bei „investment advice or portfolio management“ individuell „financial si-tuation“ und „investment objectives“ zu beachten sind, um festzustellen, ob das Angebot „suitable“ ist. Daraus kann gefolgert werden, dass suitable höhere Anforderungen stellt (der Anzug muss sitzen) als appropriate, welches so verstanden nur eine Angemessenheit in Relation zu Wissen und Erfah-rung nicht aber zu Finanzsituation und Anlageziel fordert. Der deutsche Text übersetzt allerdings beide Adjektive mit geeignet und auch der französische und italienische Text trifft keine Unterschei-dung. Vgl. auch ABEGGLEN (Fn. 68), 65 ff., m.w.H., der ebenfalls davon ausgeht, dass Art. 11 BEHG keine Pflichten „analog zu Art. 19 Abs. 4 ff.“ statuiert, wobei zwischen Abs. 4 und 5 nicht unter-schieden wird. Mit Blick auf die MiFID-Durchführungsrichtlinie (Fn. 45), „zeigt sich, dass die Un-terscheidung auch in den anderen Sprachen angekommen ist“.

76 Urteil 4A_525/2012 vom 03.02.2012, E. 3.3; so auch schon BGE 133 III 97 E. 5.4. A.A. EMMENEGGER (Fn. 68), 647: „Für die Anlageberatung und Vermögensverwaltung gilt eine informa-tionsmässige Pflichtenbindung, die deutlich über diejenige der Execution-only-Beziehung hinaus-reicht. Insgesamt bestehen hier ausgedehnte Aufklärungs-, Warn- und Beratungspflichten, die auf die spezifische Kundin abgestimmt sein müssen. Die Bank muss sich einlässlich mit dem Wissens- und Erfahrungsstand der Kundin, ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen, ihren Anlagebedürf-nissen (einschliesslich des Anlagehorizonts) und ihrer Risikobereitschaft auseinandersetzen. Es gilt das Prinzip know your customer.

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Die Suitability-Prüfung ist ein Kernelement der MiFID-Regulierung. Dabei liegt der Fokus auf der sich aus den individuellen finanziellen Verhältnissen und den verfolg-ten Anlagezielen ergebenden Risikofähigkeit. MiFID fordert allerdings keine einzel-fallbezogene Prüfung anlässlich einer Anlageentscheidung hinsichtlich der Diversi-fikation des Gesamt-Portfolios, obwohl diesem Aspekt grosse Bedeutung zukom-men sollte. Im Lichte der auftragsrechtlichen Pflichten lässt sich wohl davon ausge-hen, dass bereits nach aktueller Gesetzeslage die Suitability-Prüfung immer dann geschuldet wird, wenn keine Execution-only-Transaktion vorliegt.77

B. Konzept für neue Vertriebsregeln

1. Ausgangslage der FINMA

Angesichts des bereits geschilderten Beispiels zum zwischenzeitlich von der Schweizerischen Bankiervereinigung verschärften Hinweis78 auf das Emittentenrisi-ko bei strukturierten Produkten ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass die

77 So auch SCHENKER (Fn. 27), 24 ff. Vgl. dazu auch EFD (Fn. 54), 32 f. In enger Anlehnung an MiFID

wird eine Angemessenheits- und Eignungsprüfung vorgeschlagen. 78 Vgl. Fn. 61.

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Selbstregulierung Anleger nicht ausreichend schützt; somit stellt sich die Frage, ob und wenn ja, welche weitere staatliche Regulierung erforderlich ist. Die FINMA stellte in ihrem Vertriebsbericht 2010 ein „erhebliches Informationsgefälle und Kräf-teungleichgewicht zwischen Finanzdienstleistern und Privatkunden“ fest.79 Diese Aussage impliziert, dass nicht von einer zufriedenstellenden Selbstregulierung aus-gegangen werden kann, zumal auch nicht alle potentiellen Akteure dieser unterwor-fen sind. Die FINMA peilt die Schaffung eines allgemeinen Finanzdienstleistungs-gesetzes an und beabsichtigt(e?), bis zu dessen möglichem Inkrafttreten eine Ver-ordnung des Bundesrates zu Verhaltenspflichten im Effektenhandel und beim Ver-trieb von Kollektivanlagen vorzubereiten.80

Das FINMA-Positionspapier schlägt neben Regelungen zu Prospekt- und Informati-onspflichten81 vor allem Regeln rund um den Point of Sale vor; dabei werden neben der Eignungs- oder Angemessenheitsprüfung in der Relation Produkt-Kunde vor allem Aufklärungspflichten und mehr Transparenz und Dokumentation gefordert (vergleichbar MiFID). Aber auch das Qualifikationsniveau der Berater kann Gegen-stand der Regulierung sein.82

79 Vgl. FINMA 2010 (Fn. 3), 3. 80 Vgl. FINMA 2010 (Fn. 3), 7. Am 28. März 2012 beauftragte der Bundesrat das EFD, die notwendi-

gen gesetzlichen Grundlagen zur Verbesserung des Kundenschutzes beim Vertrieb von Finanzpro-dukten zu erarbeiten (vgl. Fn. 54).

81 FINMA 2012 (Fn. 9), 10 f., zur Prospektpflicht: „Um den Kundenschutz auf dem Schweizer Finanz-markt zu verbessern, ist für alle in der Schweiz angebotenen standardisierten Finanzprodukte eine Prospektpflicht einzuführen. Die Prospekte sind nach einem vorgegebenen Schema aufzubauen und sollen alle relevanten Angaben über den Produzenten sowie das Produkt selbst enthalten.“ Zusätzlich wird eine Produktbeschreibung vorgeschlagen: „Den Kunden ist vor Erwerb von zusammengesetzten Finanzprodukten eine übersichtliche und kurze Produktbeschreibung vorzulegen. Die Produktbe-schreibung soll die wesentlichen Produkteigenschaften, Risiken und Kosten aufzeigen. Um die Ver-gleichbarkeit zwischen den verschiedenen Produkttypen zu erhöhen, hat der Gesetzgeber Vorschrif-ten zur Ausgestaltung des Dokuments zu erlassen.“ EFD (Fn. 54), 4 und 10 ff., fordert für komplexe Finanzprodukte die Bereitstellung eines Key Investor Document (KID). Dabei soll ein Produkt dann als komplex gelten, wenn die „Wertentwicklung nicht ausschliesslich von der Bonität und Ertrags-kraft des Emittenten abhängig ist“.

82 FINMA 2012 (Fn. 9), 18: „Das geltende Aufsichtsrecht enthält nicht für alle Personen mit Kunden-kontakt klare Anforderungen an deren Kenntnisse und Ausbildungsstand. Nur für Versicherungsver-mittler bestehen ausdrückliche Vorgaben über den Nachweis einer ausreichenden fachlichen Qualifi-kation.“ Vgl. dazu EFD (Fn. 54), 21 ff. Ob das dort auch vorgeschlagene Register für Kundenberater einen Zusatznutzen stiftet, scheint fraglich.

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Auf Produktebene soll eine kohärente, durch eine produktneutrale Prospektpflicht geregelte Beschreibung der risiko-relevanten Produktcharakteristika für eine ausrei-chende Anlegerinformation in den für einen Anlageentscheid relevanten Bereichen sorgen.

Die FINMA geht zutreffend davon aus, dass bereits unter geltendem Recht eine zivilrechtliche Pflicht zur Prüfung besteht, ob ein bestimmtes Produkt oder eine konkrete Finanzdienstleistung für einen Kunden geeignet ist.83 Diese auftragsrecht-lich geschuldeten Pflichten decken die spezifischen Verhältnisse im Rahmen von Beratungs- oder Portfolio-Management-Prozessen aber nicht ausreichend ab, so dass ein genereller Pflichtenkatalog für Finanzdienstleister vorgeschlagen wird, um eine aufsichtsrechtliche Konkretisierung der Leistungspflichten zu erreichen.84

2. Transparentes Produkt: Informations- und Prospektpflicht

a) Disclosure auf Produktebene und Behavioural Finance

Bei Überlegungen zu Disclosure auf Produktebene ist zu beachten, dass anders als bei allgemeinen Überlegungen zur Informationsverarbeitung im Finanzmarkt mit überwiegend professionell agierenden Emittenten viel stärker auch individuelle Aspekte bei der Entscheidungsfindung von Kleinanlegern zu berücksichtigen sind.85 Deshalb lässt sich davon ausgehen, dass die von Seiten der Behavioural Finance86 diskutierten Probleme im Rahmen der rationalen Entscheidungsfindung gepaart mit

83 Art. 19 Abs. 4 MiFID regelt, dass der Vermögensverwalter (und Anlageberater) Informationen über

den Wissensstand des Kunden im Anlagebereich, seine finanzielle Situation sowie seine Anlageziele einzuholen hat. ABEGGLEN (Fn. 68), 79, führt dazu aus: „Die Beratung hat dabei, analog der Suitabi-lity-Prüfung gemäss Art. 19 Abs. 4 MiFID, auf Basis der Kenntnis und unter Berücksichtigung der Anlageziele, finanziellen Verhältnisse und Risikoneigung des Kunden zu erfolgen (es sei denn, der Kunde weigere sich, diese der Bank offen zu legen).“ CERUTTI (Fn. 70), 95 f., warnt hingegen davor MiFID, als Auslegungshilfe zu nutzen.

84 Vgl. FINMA 2010 (Fn. 3), 48; EFD (Fn. 54), 32 ff. 85 Vgl. MOLONEY (Fn. 40), 291, die in diesem Zusammenhang feststellt, dass „effective disclosure

design for the retail markets, and particularly for the expanding universe of complex investment products, represents one of the most intractable of retail market problems“.

86 Vgl. dazu auch die Beiträge von THORSTEN HENS und AMELIE BRUNE in diesem Band.

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dem häufig zu attestierenden, fehlenden Grundwissen, in der Vergangenheit zu we-nig Beachtung gefunden haben.87

Wenn also bei der Konkretisierung des Prospekt-Adressaten ein Anlegerbild zu berücksichtigen ist, welches eben nicht dem Homo oeconomicus entspricht, sondern von Verhaltensmustern und Wahrnehmungsverzerrungen geprägt wird, kann dies bei der Regulierung nicht unberücksichtigt bleiben. Die Verhaltensforschung zeigt, dass verschiedene Grundmuster auftreten, die gerade auch für den Informations- und Beratungsprozess eines Anlegers relevant sein können. Emotional von positiven Hausse-Meldungen beeinflusst werden spontane, möglicherweise zu späte Kauf-Entscheidungen getroffen, beim Verkauf zeigt sich trotz Baisse oft eine gewisse Trägheit. Die positiven Vergangenheitszahlen stimulieren eine Erwartung auf zu-künftige Renditen im gleichen Ausmass, obwohl solche Werte keinerlei Sicherheit für die Zukunft darstellen können. Generell neigen viele Anleger dazu sich zu über-schätzen, obwohl viele Studien zeigen, wie schwer es ist, Leitindices zu schlagen.88

b) Status Quo im Vergleich zur EU

Der schweizerische Gesetzgeber hat die Prospektpflicht nicht für sämtliche Anlage-produkte einheitlich geregelt.89 Während die EU-Regulierung die Prospektanforde-rungen weitgehend vereinheitlicht hat,90 sind die entsprechenden schweizerischen

87 Vgl. dazu IOSCO-Report (<http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD343.pdf>) vom

Februar 2011, Principles on Point of Sale Disclosure, 5: „ […] research indicates that retail investors exhibit a range of behaviours and biases in the decision-making process, including acting on emotion, rather than on facts. These behaviours should be understood and considered to the greatest degree possible when developing a regulatory approach […].“

88 Vgl. DANIEL KAHNEMANN, Thinking, Fast and Slow, New York 2011, 217: „The illusion that we understand the past fosters overconfidence in our ability to predict the future.”

89 Ausführlich dazu: MIRJAM EGGEN, Die schweizerische Prospektpflicht für Effekten - eine rechtsver-gleichende Untersuchung der bestehenden Rechtslage, SZW 2010, 203 ff., passim; MARCO SCHMID, Qualifikation des vereinfachten Prospekts nach Art. 5 KAG, GesKR 2011, 56 ff.

90 Mit Inkraftsetzung der Prospektrichtlinie (Richtlinie 2003/71/EG) wurde im europäischen Rechts-raum für Wertpapiere wie Aktien, Obligationen, Derivate oder Strukturierte Produkte eine weitge-hend kohärente Prospektpflicht geschaffen. Diese wurde zwischenzeitlich angepasst und überarbeitet (ÄnderungsRL 2010/73/EU vom 24. November 2010; ABl. 2010 L 327/1).

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Vorschriften in verschiedenen zivil- und aufsichtsrechtlichen Erlassen zu finden, ohne dass die materiellen Vorgaben eine klare Linie aufweisen würden.91

Von wesentlicher Bedeutung ist die Verständlichkeit der Informationen für den Laien, weil sonst der Zweck der Transparenz verfehlt wird. Bei Kunden ohne be-sonderes Fachwissen ist zu berücksichtigen, dass die tatsächlich für das Risiko rele-vanten Informationen nicht in einer ausführlichen Prospektdokumentation versteckt sein dürfen.92 Somit bietet sich die Zusammenfassung in einem Factsheet an, wel-ches auf einer zentralen Plattform online zur Verfügung stehen sollte.93

c) Vereinheitlichungstendenz EU / CH

Für die kundenfreundliche Vergleichbarkeit verschiedener Produkte in gleichen oder unterschiedlichen Kategorien erscheint eine einheitliche, schematisierte und pro-duktneutrale Prospektpflicht mit Angaben über die Produktcharakteristika, die Ge-winn- und Verlustaussichten und die mit dem Produkt verbundenen Risiken sowie deren rechtliche Qualifikation sinnvoll.94

Die FINMA fordert eine den EU-Regelungen „vergleichbare Vereinheitlichung der Prospektpflicht – und damit eine Angleichung an geltende internationale Stan-dards“95. Eine weitgehend einheitliche Prospektpflicht würde sich auch auf struktu-rierte Produkte zu erstrecken haben, für die de lege lata Art. 5 KAG vereinfachte Prospekte mit den wesentlichen Parametern der jeweiligen Produkte vorschreibt.96

91 EGGEN (Fn. 89), 203; THOMAS WERLEN, Die Neuregelung des europäischen Primärkapitalmarkt-

rechts durch die Prospektrichtlinie, in: Hans Caspar von der Crone et al. (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Bank- und Finanzmarktrechts, FS Dieter Zobl, Zürich 2004, 472; FRANCA CONTRATTO, Konzeptio-nelle Ansätze zur Regulierung von Derivaten im schweizerischen Recht, Diss. Freiburg i.Ue., Zürich 2006, 406.

92 Vgl. auch LUC THÉVENOZ, Une meilleure information des investisseurs privés, SZW 2011, 271 ff., 276, der zutreffend festhält: „Trop d'information tue l'information“.

93 So auch THÉVENOZ (Fn. 92), 277. 94 In diese Richtung zielten bereits die am 30. September 2009 veröffentlichten Strategischen Ziele der

FINMA für die Jahre 2010 bis 2012 (Fn. 46). 95 FINMA 2010 (Fn. 3), 50. 95 FINMA 2010 (Fn. 3), 44. 96 Der vereinfachte Prospekt wird in der KKV (Verordnung über die kollektiven Kapitalanlagen) auch

als Wesentliche Informationen für den Anleger oder englisch Key Investor Information Document (KIID) bezeichnet. Vgl. DIMITRI SENIK/SIMON BANDI/YAEL FRIES, Erste Praxiserfahrungen mit den

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Hingegen fehlen Informationen über den Emittenten und Details zum Aufbau der Produkte. Die FINMA97 formuliert hierzu, dass den Kunden „vor Erwerb von zu-sammengesetzten Finanzprodukten eine übersichtliche und kurze Produktbeschrei-bung“ vorzulegen sei, die „die wesentlichen Produkteigenschaften, Risiken und Kosten aufzeigen“ soll. Vom Gesetzgeber werden „Vorschriften zur Ausgestaltung des Dokuments“ gefordert. Solche Produktinformationen können eine Anlagebera-tung indessen nicht ersetzen und erfordern gewisse Grundkenntnisse.98

Parallel steht der europäische Zug nicht still: Auf Initiative der Europäischen Kom-mission wird auch in der EU an weiteren Vorgaben zur Privatkunden-Information mittels standardisierter Dokumente zu grundlegenden Anlegerinformationen gear-beitet. Für unter den Begriff PRIP (Packaged Retail Investment Products) fallende Produkte soll der Anlegerschutz durch harmonisierte und leicht verständliche Infor-mation dadurch verbessert werden, dass unabhängig davon, wie ein Produkt gestaltet ist oder vertrieben wird, eine kohärente Grundlage für die Regelung von Informati-onspflichten und Vertriebspraktiken auf europäischer Ebene gilt.99

In Deutschland hat der Gesetzgeber nicht zuletzt auch in Folge der europäischen Vorgaben im WpHG100 und der WpDVerOV101 verschiedene Ansatzpunkte zur

KIID-Richtlinien, ST 2012, 551 ff. Zwar bleibt der Begriff des vereinfachten Prospekts im KAG er-halten, aber er ist inhaltlich mit den Bestimmungen für das KIID gleichgesetzt.

97 FINMA 2012 (Fn. 9), 11. 98 So auch SETHE (Fn. 35), 145. 99 Im April 2009 wurde dem Parlament und dem Rat in einer Mitteilung zu den PRIPs dargelegt, wie

vorgegangen werden soll, um die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über Informationspflich-ten und Vertriebspraktiken bei PRIPs mit der Marktrealität in Einklang zu bringen. Definition: „A PRIP is a product where the amount payable to the investor is exposed to (a) fluctuation in the market value of assets or (b) payouts from assets, through a combination or wrapping of those assets, or oth-er mechanisms than a direct holding.” Vgl. Report of the 3L3 Task Force on Packaged Retail Invest-ment Products (PRIPs) vom 6.10.2010, 4, <https://eiopa.europa.eu/fileadmin/tx_dam/files/publica tions/submissionstotheec/20101012-3L3-TF-Report-on-PRIPs.pdf>.

100 Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998 (BGBl. I, 2708), das zuletzt durch Art. 3 des Gesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I, 2415) geändert worden ist).

101 Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpa-pierdienstleistungsunternehmen (Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverord-nung vom 20. Juli 2007 (BGBl. I, 1432), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 5. April 2011 (BGBl. I, 538) geändert worden ist).

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Optimierung des Anlegerschutzes verankert.102 Die Ausgestaltung des regulatori-schen Rahmens setzt neben generellen Verhaltensregeln auch bei den dem Privat-kunden zur Verfügung zu stellenden Informationen an. Zusätzlich bestehen Organi-sationspflichten zur Sicherstellung der tatsächlichen Umsetzung dieser Pflichten.103 Weil in Deutschland die BaFin104 die Aufgabe hat, die Einhaltung dieser gesetzli-chen Vorgaben zu überwachen, kommen auch den ihr zur Kontrolle an die Hand gegebenen aufsichtsrechtlichen Befugnissen und Instrumenten (z.B. Bussgeldvor-schriften) eine wichtige Bedeutung zu. Das AnsFuG105 konkretisierte diesbezüglich durch den Einschub des § 31 Absatz 3a WpHG, dass im Fall einer Anlageberatung dem Kunden rechtzeitig vor dem Abschluss eines Geschäfts über Finanzinstrumente ein kurzes und leicht verständliches Informationsblatt über jedes Finanzinstrument zur Verfügung zu stellen ist, auf das sich eine Kaufempfehlung bezieht. Bei Verstös-sen kann die BaFin Bussgelder106 verfügen.

Das FIDLEG wird durch seine partielle Übernahme von Regelungen der MiFID eine Annäherung des schweizerischen an das EU-Recht bringen, wobei die seit 2007 gültige MiFID nicht alle Erwartungen erfüllt hat, so dass die Europäische Kommis-sion diese Richtlinie deshalb überarbeitet hat. Der Entwurf zu MiFID II wird auf europäischer Ebene kontrovers diskutiert. Noch ist nicht klar, wie der Regulie-rungstext letztlich aussehen wird. Parallel zu MiFID II als Richtlinie ist auch eine Verordnung geplant (MiFIR), wobei somit die in MiFIR enthaltenen Bestimmungen nicht erst in nationales Recht überführt werden müssen und dadurch schneller Gül-

102 Vgl. PHILIPP (Fn. 35), 13. 103 Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss angemessene Grundsätze aufstellen, die notwendi-

gen Mittel vorhalten und Verfahren einrichten und deren Ausführung sicherstellen, um zu gewähr-leisten, dass diesen Verpflichtungen auch nachgekommen wird (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WpHG legt fest, ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss „angemessene Vorkehrungen treffen, um die Kontinuität und Regelmässigkeit der Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistun-gen zu gewährleisten“.).

104 Alles weitere zur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht unter <www.bafin.de>. 105 Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapital-

markts vom 5. April 2011 (Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz, BGBl. I, 538). Zur Umsetzung dieses Gesetzes hat die BaFin am 01.06.2011 ein Rundschreiben zu den Informations-blättern nach § 31 Abs. 3a, 9 WpHG und § 5a WpDVerOV herausgegeben: <http://www.bafin.de/ SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Rundschreiben/rs_1106_wa_informationsblaetter.html>.

106 § 39 Abs. 2 Nr. 15a WpHG.

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tigkeit erhalten. Ein Schwerpunkt sind Regelungen zur Unabhängigkeit von Bera-tung, d.h. wer Zuwendungen Dritter erhält, soll sich nicht unabhängig nennen dür-fen.

3. Transparenter Kunde: Eignet sich das Produkt für den Kunden bzw. der Kunde für das Produkt?

a) Kundensegmentierung

Ein weiterer partiell kontrovers diskutierter Aspekt des Kundenschutzes betrifft die Einteilung der Anleger in unterschiedliche Qualifikationsklassen mit dem Ziel, un-terschiedliche Niveaus an Schutzbedürftigkeit anzuwenden.107 Professionelle Markt-teilnehmer, die als Gegenpartei handeln, haben sicher eine andere Schutzwürdigkeit als kleine Privatanleger. Die Kundensegmentierung geht aber noch weiter: Die Pri-vatkunden sollen nach messbaren Kriterien (z.B. ab 2 Mio. CHF Vermögen) unter-schiedlichen Segmenten zugeteilt werden. In der Regel sind Selbstauskünfte zu den eigenen Erfahrungen einzuholen. Dabei ist aber nicht auszuschliessen, dass der Fi-nanzdienstleister dieses Instrument gerade dazu gebraucht, die Verantwortung auf den Kunden zu übertragen.

Eine Pflicht zur Kundenkategorisierung und einer darauf basierenden Beurteilung der Eignung eines Finanzprodukts für einen bestimmten Kunden (Suitability) setzt die Bereitschaft des Kunden voraus, die benötigten Angaben vollständig zu liefern, um eine Beurteilung der Kenntnisse, Anlageerfahrungen, Vermögenssituation und Anlageziele zu ermöglichen.108 Aus der subjektiven Risikobereitschaft und der ob-jektiven Risikofähigkeit lässt sich ein Risikoprofil des Kunden erstellen. Im nächs-ten Schritt müsste der Dienstleister schliesslich konkret die Geeignetheit einer spezi-fischen Investition an sich und in Relation zur Risikostreuung und Diversifikation des Kundenportfolios prüfen.

107 Vgl. auch MIRJAM EGGEN/CHRISTIAN STAUB, Kundensegmentierung − Panacea oder Abschied vom

mündigen Anleger?, GesKR 2012, 55 ff. 108 Die FSB-Studie Consumer Finance Protection vom 26.10.2011 (<http://www.financialstability

board.org/publications/r_111026a.pdf>) weist auf den Stand der Entwicklung geeigneter Indikatoren in diesem Bereich hin, 1 f. „and few jurisdictions focus on assessing product suitability; indeed, indi-cators for identifying suitability are not well developed“.

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Findet keine Beratung statt, sieht die MiFID zumindest den Appropriateness-Test vor, d.h. die Pflicht die Angemessenheit der Investition zu prüfen.109 Nur bei Exe-cution-only-Geschäften, d.h. wenn es nur um die Ausführung einer Transaktion geht, kann die Pflicht zu einer Angemessenheitsprüfung entfallen, falls der Kunde vorgängig entsprechend informiert wurde. Die FINMA sieht in der Einführung ko-härenter Verhaltenspflichten am Point of Sale das Kernstück zur Verbesserung des Schutzes von Privatkunden beim Erwerb von Finanzprodukten oder der Inanspruch-nahme entsprechender Dienstleistungen.110

In der Praxis ist davon auszugehen, dass der Kunde, wenn ihm Produkte vom Bera-ter angeboten werden, erwartet, dass der Berater eine adäquate Risikobewertung durchgeführt hat. Selbst wenn ein solcher Kunde durch Selbstauskunft zum qualifi-zierten Anleger wird, entfällt bei einer Konstellation wie im Fall Lehman das Anlie-gen nicht, Ansprüche gegen den Finanzdienstleister erheben zu wollen. Ein Regress wegen einer auftragsrechtlichen Pflichtverletzung sollte auf diesem Weg nicht aus-geschlossen werden können.

Bislang kennt das schweizerische Finanzmarktrecht keine produktneutrale Kunden-segmentierung. Das KAG befreit lediglich Anbieter von kollektiven Kapitalanlagen, deren Anteile ausschliesslich an qualifizierte Anleger im Sinne von Art. 10 Abs. 3 KAG vertrieben werden, von bestimmten gesetzlichen Verpflichtungen.111 Weil diese Form der Qualifikation bilateral zwischen Berater und Kunde vorgenommen wird, und Papier den Ruf geniesst, geduldig zu sein, kann dieses Segment mangels sinnvoller Alternativen der Selbstregulierung überlassen werden.112

109 Das heisst, es muss nur geprüft werden, ob der vom Kunden ohne vorherige Anlageberatung ge-

troffene Anlageentscheid angemessen ist, d.h. er aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrungen die mit seinem Anlageentscheid verbundenen Risiken verstehen kann. Eine Prüfung der finanziellen Ver-hältnisse sowie der Anlageziele erfolgt nicht. Im Prinzip reicht eine standardisierte Warnung des Kunden.

110 Vgl. FINMA 2010 (Fn. 3), 50. 111 FINMA 2010 (Fn. 3), 39. 112 Auch in der Botschaft zur Teilrevision des KAG (Fn. 30), 3645, wird dies thematisiert: „Weiter

lehnte sich der damalige bundesrätliche Entwurf des KAG bei der Definition des qualifizierten Anle-gers an der EU-Prospektrichtlinie an. Entgegen diesem Vorschlag wurde während den parlamentari-schen Debatten jedoch entschieden, dass im Gegensatz zum internationalen Standard auch Vermö-gensverwaltungskunden generell als qualifizierte Anlegerinnen und Anleger gelten sollen. Dadurch

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b) Kriterien für die Bildung von Kundengruppen

Als Kriterien zur Einteilung von Kunden kommen Erfahrung und verfügbares Ver-mögen in Frage. Das zweitgenannte Kriterium dürfte sich aber als wenig sachge-recht erweisen, weil auch Vermögende oft nicht in der Lage sein werden, eine adä-quate Risikobeurteilung vorzunehmen; so sehen etwa die Kriterien der EU-Prospektrichtlinie113 sowie der MiFID114 das Vermögen lediglich als einen Indikator für Erfahrung an. Die FINMA hält zutreffend fest, dass bei einzelnen Anlegern nicht immer klar sei, ob ihre Fähigkeiten und Mittel einen Verzicht auf den Schutz für gewöhnliche Anleger rechtfertigten.115 Die FINMA will es deshalb dem einzelnen Anleger selbst überlassen, ob er sich als qualifizierten Anleger deklariert und somit konkludent auf Schutz verzichtet.116

Umgekehrt soll es möglich sein, sich trotz Kenntnis und Erfahrung auf den Kapital-märkten zum einfachen Kunden downgraden zu lassen, um so „von den umfassen-den Aufklärungspflichten für gewöhnliche Kunden zu profitieren“117. Dabei wird aber nicht auszuschliessen sein, dass sich diesen Kunden ein gewisses Anlagespekt-rum verschliesst, weil bestimmte Produkte nur qualifizierten Anlegern vorbehalten werden.

Die FINMA lässt offen, ob bei der Einführung einer produktneutralen Kundenseg-mentierung die Einteilungskriterien durch Regulierung vorgegeben oder den einzel-

erfolgte keine klare Grenzziehung zwischen institutionellen Anlegern und Publikumsanlegerinnen und -anlegern, obwohl diese ein unterschiedliches Schutzbedürfnis haben.“

113 Vgl. Fn. 42. Im Sinne des Anlegerschutzes wird davon ausgegangen, dass es angebracht ist, den unterschiedlichen Schutzanforderungen für die verschiedenen Anlegerkategorien und ihrem jeweili-gen Sachverstand Rechnung zu tragen.

114 Vgl. Fn. 44. Die MiFID spricht von Kleinanleger, professionelle Kunden und Gegenparteien. 115 FINMA 2010 (Fn. 3), 41. 116 FINMA 2010 (Fn. 3), 42. Dies entspricht an sich schon der heutigen Situation: Eine vermögende

Privatperson kann selbst entscheiden, eine schriftliche Bestätigung zu den Vermögensverhältnissen vorzulegen, um so als weniger schutzbedürftiger, qualifizierter Anleger zu gelten. Art. 6 Abs. 1 KKV: „Als vermögende Privatperson gilt, wer gegenüber einem beaufsichtigten Finanzintermediär gemäss Artikel 10 Absatz 3 Buchstaben a und b des Gesetzes oder gegenüber einem unabhängigen Vermögensverwalter oder einer unabhängigen Vermögensverwalterin gemäss Absatz 2 schriftlich bestätigt, im Zeitpunkt des Erwerbs direkt oder indirekt über Finanzanlagen von mindestens 2 Millionen Franken zu verfügen.“

117 FINMA 2010 (Fn. 3), 42.

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nen Finanzdienstleistern überlassen werden soll. Trotz aller Differenzierung ist klar, dass ein Finanzdienstleister bei Anlegern, die sich zu qualifizierten Kunden dekla-riert haben, nicht die Expertise institutioneller Anleger erwartet werden darf.118

c) Grenzen der Segmentierung

Bei den Vorgaben zur Segmentierung ist zu beachten, dass der Kundenschutz nicht dazu führen sollte, Finanzdienstleister abzuschrecken, gewisse Produkte nur noch qualifizierten und somit von Haftungsrisiken befreit zu beratenden Investoren anzu-bieten. In diesem Spannungsfeld kommt der Dokumentation eine wichtige Rolle zu, weil es festzuhalten gilt, ob ein bestimmtes Produkt aktiv gepusht oder eine Reihe von Anlagealternativen mit unterschiedlichen Risikoprofilen mehrerer Emittenten in die Beratung mit einbezogen wurde.

Im Zusammenhang mit der Frage der Qualifikation der Kunden, welche direkte Auswirkungen auf deren Schutz in ihrer Eigenschaft als Anleger hat, liegt der Ge-danke an die Qualifikation der Berater auf der Hand, um nicht den Verdacht auf-kommen zu lassen, dass die Qualifikation des Kunden an die Stelle der Qualifikation der Berater tritt. Dabei ist die Vermutung nicht abwegig, dass viele Berater (z.B. in Bankfilialen) nicht über die Anlageerfahrung oder das Vermögen verfügen, das die von ihnen Beratenen dazu qualifizieren soll, die Risiken einzuschätzen. Den Bera-tern werden intern von den entsprechenden Fachabteilungen Anlageempfehlungen zur Unterstützung der Beratungsgespräche zur Verfügung gestellt, welche diese dann in Beratungsgespräche einfliessen lassen. Es sollte ein wichtiges Anliegen der Finanzindustrie sein, Vertrauen der Kunden in die Beratungsqualität zurückzuge-winnen; die generelle Erwartung des Kunden, qualifizierte, risiko-adjustierte Anla-geempfehlungen zu erhalten, muss dabei im Zentrum stehen.

Weil der Kunde die freie Wahl hat, wem er sein Wertpapierdepot anvertraut, darf bis zu einem gewissen Grad in diesem Punkt den Marktmechanismen und der Selbstre-gulierung vertraut werden. Trotz des durchaus nachvollziehbaren Ansatzes, mög-lichst alle Finanzdienstleister einer gewissen Regulierung zu unterstellen, sei zu

118 FINMA 2010 (Fn. 3), 42. Vgl. Anhang II, Ziffer II.1 der MiFID.

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dieser Frage nur das Folgende kurz angemerkt: Weil die beklagten Anlageverluste in der Schweiz überwiegend bei Kunden auftraten, denen die Lehman-Produkte von namhaften Instituten angedient wurden, wären die Anleger auch nicht durch eine Ausdehnung der Aufsicht auf kleinere Finanzdienstleister zu schützen gewesen.

Mit Blick auf die in der Schweiz vertriebenen Lehman-Produkte ist ohnehin nicht ganz nachvollziehbar, inwieweit solche Regelungen den Anleger geschützt hätten, weil zu Beginn ja weder der Emittent noch die Produkte als besonders riskant einge-stuft worden sind. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei Anwendung der Suitabi-lity-Tests ähnliche Anlageentscheide gefallen und die betroffenen Institute für die Abwehr von Anlegeransprüchen sogar besser dokumentiert gewesen wären.

4. Transparenz bei der Erbringung der Dienstleistung

a) Transparenzdefizite bei Lehman-Produkten

In Kenntnis der eingeschränkten Schutzwirkungen des Suitability-Ansatzes sollte Transparenz in jedem Bereich der einzelnen Aspekte einer angebotenen Beratungs-leistung im Vordergrund stehen – von den beteiligten Parteien bis hin zu möglichen Interessenkonflikten. Diesbezüglich ist die Erweiterung der Aufklärungspflichten vor Vertragsabschluss hilfreich, weil ein Hinweis auf Vertriebsmotivation und Ge-genpartei den einen oder anderen Anlageentscheid beeinflusst. Dem Kunden ist häufig nicht bekannt, welche genaue Funktion seine Kontaktperson am Point of Sale hat und wie deren Beratungsverhalten gesteuert wird. Zu diesen Transparenz-Erfordernissen gehört selbstverständlich die präzise Information zur tatsächlichen Gegenpartei, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass der angepriesene Kapitalschutz beim Ausfall des Emittenten wenig hilft. Einzelne Anleger hätten wohl den Anlage-entscheid betreffend der strukturierten Lehman-Produkte überdacht, wenn die Aus-sagen zum Emittenten und die eingepreisten Provisionen bekannt gewesen wären.

Prophylaxe durch Transparenz

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b) Vorschläge der FINMA

Die FINMA fordert, dass für die Vertragsparteien bereits vor der Durchführung der eigentlichen Beratungs- oder Verkaufshandlungen in schriftlicher Form geklärt sein soll, welche vertraglichen Leistungen gestützt auf das konkrete Vertragsverhältnis geschuldet sind.119 Die vorgeschlagene Aufklärung des Dienstleisters über seine eigene Rolle, sein Unternehmen und seine eigenen Qualifikationen dürfte regelmäs-sig die Kundenentscheide beeinflussen.

Die FINMA nennt im Rahmen aufzudeckender Interessenkonflikte deutlich die Ge-fahr, dass die Wahrung von Kundeninteressen durch Vertriebsvergütungen beeinträch-tigt werden kann: „Erhält ein Beauftragter von einem Produkteanbieter – sei es ein aussenstehender Dritter oder eine andere Einheit im Unternehmen oder Konzern – Vergütungen oder andere vermögenswerte Vorteile, die an den Absatz von Produkten geknüpft sind, birgt dies Interessenkonflikte. Es besteht die Gefahr, dass aus der ange-priesenen Einkaufsvermittlung eine versteckte Verkaufsvermittlung wird.“120

Mit Verweis auf Art. 11 Abs. 1 lit. a BEHG, der für Effektenhändler eine Informati-onspflicht gegenüber den Kunden über die mit einer bestimmten Geschäftsart ver-bundenen Risiken statuiert, und Art. 20 Abs. 1 lit. c KAG, der von einer angemesse-nen Information spricht, schlägt die FINMA vergleichbare Aufklärungspflichten mit Blick auf die angebotenen Produkte und deren Risiken vor. Zur Förderung der Kos-tentransparenz befürwortet die FINMA eine Offenlegung sämtlicher die Rendite beeinflussenden Kosten.

Im aktuellen Positionspapier121 konkretisiert die FINMA ihre Vorschläge und fordert im Rahmen der Verhaltens- und Organisationsregeln verschiedene Restriktionen beim Vertrieb von Produkten, die nicht als einfach zu qualifizieren sind. Als Krite-rien für die Einstufung eines Finanzprodukts als solches einfaches Produkt werden genannt122:

119 Vgl. FINMA 2010 (Fn. 3), 51. 120 FINMA 2010 (Fn. 3), 51. 121 FINMA 2012 (Fn. 9). 122 FINMA 2012 (Fn. 9), 17.

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(1) Verständlichkeit der Funktionsweise,

(2) regelmässige Möglichkeit zur Veräusserung oder zur Rückgabe,

(3) Umfang an öffentlich zugänglicher Produktinformation,

(4) keine über die Anschaffungskosten hinausgehenden Verpflichtungen.

Zudem wird festgehalten: „Produkte mit derivativer Komponente sind in der Regel keine einfachen Finanzprodukte.“ Im Ergebnis wären Execution-only-Dienstleistun-gen für nicht als einfach kategorisierte Produkte nur noch zulässig, wenn eine Ange-messenheitsprüfung123 durchgeführt wurde.

c) Analyse des FINMA-Ansatzes

Die Informationsasymmetrie-Probleme wurden von der FINMA anerkannt, zutref-fend charakterisiert und auch entsprechende Schlüsse gezogen. Weil die statuierten Pflichten aber nur dann dem Kundenschutz dienen können, wenn sich im Streitfall eine Pflichtverletzung nachweisen lässt, ist den Beweisschwierigkeiten zu begegnen, die durch eine mangelnde Dokumentation des Finanzdienstleisters entstehen. Do-kumentationspflichten können zwar einen Beweis der Haftungsvoraussetzungen in zivilrechtlichen Verfahren erheblich erleichtern; wenn die Dokumentation letztlich nicht zum Schutz des Anlegers, sondern zur Verteidigung des Finanzdienstleisters angelegt wird, verfehlt diese den Schutzzweck.

Die FINMA geht zutreffend davon aus, dass Protokollpflichten durch Finanzdienst-leister zu einer Stärkung ihrer eigenen Position führen. In Folge der diskutierten Regelungen wird neben verschärften Informationsanforderungen an die Produktdo-kumentation (II.B.2) eine gesetzlich regulierte Dokumentationspflicht bezüglich des Risikoprofils des Kunden gefordert (II.B.3). Allerdings würde dies allein noch nicht zu einer Adjustierung zwischen Produktrisiko und Kundenprofil führen, weil die

123 FINMA 2012 (Fn. 9), 16, führt zur Angemessenheitsprüfung aus, dass Finanzdienstleister „sich nach

den Kenntnissen und Erfahrungen ihres Kunden erkundigen müssen und gestützt darauf beurteilen, ob der fragliche Produkttyp oder die zu erbringende Dienstleistung für diesen Kunden angemessen ist“. Bei einem negativen Ergebnis wird eine Warnung gefordert, wobei dem Kunden dann aber frei-stehe, das Geschäft trotzdem zu tätigen.

Prophylaxe durch Transparenz

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Regulierung nur das Produkt auf der einen und den Kunden auf der anderen Seite erfasst. Weil es aber gerade auf die Interdependenzen zwischen beiden ankommt, schlägt die FINMA eine Verpflichtung vor, die Angemessenheit von Produkten in Relation zum (Erfahrungs-)Horizont des Kunden zu evaluieren. Somit müsste eine Einzelfalldokumentation zu jeder Transaktion mit nicht einfachen Produkten erfol-gen, auch wenn diese nicht durch eine bankseitig angestossene Anlageempfehlung ausgelöst wurde.

Sinnvoller scheint es demgegenüber, die Gründe zu dokumentieren, die zu einer konkreten Empfehlung an den spezifischen Kunden geführt haben, um den Anleger wirksam zu schützen.124 Dabei wären vom Finanzdienstleister die Produkt-Risiken (inkl. Gewinnaussichten, Kosten etc.) in Relation zum individuellen Risikoprofil des Kunden darzustellen. Die FINMA thematisiert das Geschäftsverhalten der Finanzin-termediäre als Ansatzpunkt für den Kundenschutz und will sich für „international

124 So stellte die deutsche BaFin in ihrem Jahresbericht 2008 (BaFin Jahresbericht 2008, 141, Vertrieb von

Lehman-Zertifikaten, <www.bafin.de>) im Hinblick auf die an sie im Zuge des Vermögensverfalls von Lehman Brothers gerichteten Anlegerbeschwerden fest: „Allerdings geben die nach dem WpHG gefor-derten Aufzeichnungen nur einen Ausschnitt des Beratungsgesprächs wieder. So ist den Aufzeichnungen beispielsweise nicht zu entnehmen, von wem die Initiative des Gesprächs ausging, mit welchen konkre-ten Wünschen der Kunde zunächst in das Beratungsgespräch ging, welchen Verlauf das Gespräch dann nahm und wie lange die Beratung gedauert hat.“ Der deutsche Gesetzgeber hat darauf nicht zuletzt auch nach den Erfahrungen im Nachgang der Pleite von Lehman Brothers, in dessen Folge auch viele deut-sche Kleinanleger massive Verluste erlitten, zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von An-legern aus Falschberatung mit der Einführung des Beratungsprotokolls zum 1. Januar 2010 (§ 14 Abs. 6 WpDVerOV) reagiert: „Das Protokoll nach § 34 Absatz 2a Satz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes hat vollständige Angaben zu enthalten über (1.) den Anlass der Anlageberatung, (2.) die Dauer des Bera-tungsgesprächs, (3.) die der Beratung zugrunde liegenden Informationen über die persönliche Situation des Kunden, einschliesslich der nach § 31 Absatz 4 Satz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes einzuholen-den Informationen, sowie über die Finanzinstrumente und Wertpapierdienstleistungen, die Gegenstand der Anlageberatung sind, (4.) die vom Kunden im Zusammenhang mit der Anlageberatung geäusserten wesentlichen Anliegen und deren Gewichtung, (5.) die im Verlauf des Beratungsgesprächs erteilten Empfehlungen und die für diese Empfehlungen genannten wesentlichen Gründe.“ Bis dahin galt seit der MiFID-Umsetzung, dass Angaben über die mit den Geschäften verfolgten Ziele, die finanziellen Ver-hältnisse und die Kenntnisse und Erfahrungen einzuholen waren. Aufzeichnungen über die Anlagebera-tung konnten unterbleiben, wenn diese Angaben und die erworbenen Produkte zueinander passten (alte Fassung von § 14 Abs. 6 WpDVerOV: „Aufzeichnungen über eine erfolgte Anlageberatung sind dann nicht notwendig, wenn es zu einem entsprechenden Geschäftsabschluss kommt, der […] geeignet ist und dies entsprechend nachvollzogen werden kann. Der Umstand, dass ein Geschäftsabschluss auf einer Be-ratung beruht, muss jedoch stets erkennbar sein.“). Weitere Details sind dem am 31.08.2012 aktualisier-ten Rundschreiben 4/2010 (WA) - Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleis-tungsunternehmen (MaComp) zu entnehmen, <http://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/ DE/Rundschreiben/rs_1004_wa_macomp.html>.

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anerkannte Vorschriften im Kunden- und Anlegerschutz“ einsetzen.125 Es bleibt abzuwarten, ob darunter auch die erwähnten Restriktionen fallen, die in der EU Produkte, welche im Rahmen einer Execution-only-Vertragsbeziehung erworben werden dürfen, einschränken.126

In Deutschland sind zur Kontrolle der Compliance von Finanzintermediären mit den aufsichtsrechtlichen Vorgaben die Beratungsprotokolle127 ein wichtiges Hilfsmittel, deren Prüfung Rückschlüsse auf die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben er-laubt.128

C. Enforcement – Durchsetzbarkeit von Anlegeransprüchen

Eine besondere Bedeutung kommt der Frage nach der Durchsetzbarkeit von Ansprü-chen zu.129 Die FINMA nimmt aufsichtsrechtliche Funktionen wahr und sieht sich als „nicht zuständig für eine zivilrechtliche Beurteilung von Vereinbarungen zwi-schen Finanzdienstleistern und ihren Kunden“130. Die im Zusammenhang mit Lehman-Produkten vor schweizerischen Gerichten ausgetragenen Streitigkeiten brachten den Anlegern bislang keinen Erfolg, obwohl in einigen Fällen die Annah-me von auftragsrechtlichen Pflichtverletzungen als nicht völlig abwegig erscheint.

Unabhängig von der künftigen Ausgestaltung der Finanzmarktgesetzgebung ist über die Stärkung der Stellung von Privatkunden nicht nur durch aufsichtsrechtliche Mit-

125 Vgl. FINMA, Strategische Ziele (Fn. 46), 11. 126 EFD (Fn. 54), 18, deutet darauf hin. 127 Vgl. Fn. 124. 128 Vgl. Pressemitteilung der BaFin vom 4.5.2010 „Markterhebung Beratungsprotokoll: BaFin sieht Ver-

besserungsbedarf“, <http://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Pressemitteilung/2010/ pm_100504_beratungsprotokoll_ergebnisse.html?nn=2819230>. Weitere Informationen sind der zwei-ten Neufassung des BaFin-Rundschreibens MaComp 4/2010 vom 31.8.2012 unter BT 6 zu entnehmen (MaComp: Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisa-tions- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen). Im MaComp sind sämtliche Veröffentlichungen zu den Wohlverhaltensregeln der §§ 31 ff. WpHG zusam-mengefasst, <http://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Rundschreiben/rs_1004_wa_m acomp.html>.

129 Vgl. ausführlich dazu ROLF H. WEBER, Anlegerschutz durch regulatorisches Enforcement, ebenfalls in diesem Band enthalten.

130 FINMA 2010 (Fn. 3), 58.

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tel, sondern auch im zivilrechtlichen Bereich nachzudenken. Die FINMA nannte hierzu 2010 mehrere Regulierungsoptionen131:

Beweislastumkehr im Streitfall

Rücktritts- und Kündigungsrecht

Inhaltskontrolle von Formularverträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen

Kostengünstige Gerichtsverfahren

Sammelklagen

Wird postuliert, dass staatliche, aufsichtsrechtliche Regulierung nur dort zu rechtfer-tigen ist, wo ein Marktversagen diagnostiziert werden kann, darf nicht vernachläs-sigt werden, die offensichtlich bestehenden Hürden bei der Durchsetzung des Privat-rechts zu reduzieren. Das EFD-Papier zum Finanzdienstleistungsgesetz schlägt eine Beweislastumkehr und den Ausbau des Ombudswesens vor.132

Es zeigt sich somit, dass gerade im Rahmen der Beweisfragen eine Stärkung des Kundenschutzes erreichbar scheint. Will man wirksam eine Regelung treffen, bleibt nur, den Berater dafür beweispflichtig zu machen, dass er den Anleger auf das Risi-ko eines Totalverlusts im Zusammenhang mit einem bestimmten Produkt aufmerk-sam gemacht hat. Dabei könnten drastische Hinweise auf dem Titelblatt einer Pro-duktinformation hilfreich sein, welche auf die Möglichkeit des Totalverlusts hinwei-sen – vergleichbar den Warnhinweisen in der Tabakindustrie. Die Aushändigung dieser Information, für welche der Finanzdienstleister beweispflichtig wäre, nähme dem Anleger dann die Möglichkeit, später geltend zu machen, er wäre falsch beraten worden.

Als Alternative zu den existierenden Instrumenten kann die Einführung eines Schiedsgerichts bei der FINMA in Frage kommen,133 dessen Zuständigkeit sich

131 FINMA 2012 (Fn. 9), 21, sagt dazu lediglich, dass die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Ansprü-

chen gegenüber Finanzdienstleistern zu verbessern seien. 132 EFD (Fn. 54), 24 ff. 133 So Vorschlag von PETER NOBEL/NINA SAUERWEIN, Die verfahrensrechtlichen Aspekte des FINMA-

Vertriebsberichts 2010, SZW 2011, 283 ff., 292. Der dort zitierte Fall zeigt, dass Anleger über dieses

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Anleger und Berater beim Kauf von Wertpapieren im Falle von nachfolgenden Strei-tigkeiten unterwerfen. Vergleichbar dem amerikanischen FINRA-Schiedsgericht134 wäre so eine faire und effiziente Beurteilung von vermeintlichen Beratungsfehlern vorstellbar.135

III. Optimierung des Regulationsansatzes

A. Klare Regelung der Vertragsbeziehung

Wenn wie dargestellt resümiert werden muss, dass auch die von der FINMA vorge-schlagenen regulatorischen Anpassungen, die sich nun partiell weiter konkretisiert im Hearingbericht des EFD wiederfinden im Fall Lehman nicht geholfen hätten, weil eine renommierte Gegenpartei mit lange Zeit noch gutem Bonitätsrating relativ unerwartet ausgefallen ist, stellt sich die Frage nach alternativen Lösungen.136 Auf Grund der latent zu konstatierenden Prozessrisiken auf der Seite der in der Regel schlecht dokumentierten Anleger sollte die Prophylaxe im Vordergrund stehen.137

Schiedsgericht ihre Forderungen durchsetzen können: 2009 hat die FINRA einer Tochter der UBS AG auferlegt, eine Lehman-Anlegerin wegen mangelnder Risikoaufklärung zu entschädigen (Award FINRA Dispute Resolution of November 20, 2009, Case Number: 08-04152; in the Matter of the Ar-bitration between Patricia M. Flanagan and UBS Financial Services Inc.; <http://finraawardsonline. finra.org/viewdocument.aspx?DocNB=42906>). Darüber hinaus kam es wegen unzureichender Auf-klärung über das Emittentenrisiko bei kapitalgeschützten Produkten von Lehman Brothers im April 2011 zu weiteren Urteilen gegen UBS-Gesellschaften (vgl. Fn. 56).

134 <http://www.finra.org/AboutFINRA>. 135 Ausführlich dazu FRANCA CONTRATTO, Alternative Streitbeilegung im Finanzsektor, AJP 2012, 217

ff. EFD (Fn. 54), 25 f., stellt eine Ombudsstelle mit Anschlusspflicht und Empfehlungskompetenz oder alternativ eine staatliche Schlichtungsstelle mit (beschränkter) Entscheidungskompetenz zur Diskussion.

136 Wie schon oben unter I.A. erwähnt, wäre bei auch damals von den Finanzintermediären schon ge-schuldeter Beachtung einer sachgerechten Diversifikation in den Kundenportfolios ein Teil des Scha-dens vermeidbar gewesen. Ob zudem bei der Umschichtung von konservativen Anlagen hin zu den margenträchtigeren strukturierten Produkten im Sinne der jüngsten bundesgerichtlichen Rechtspre-chung ausreichende Transparenz bei potentiellen Interessenkonflikten geherrscht hat, ist ein weiterer Punkt, der kritisch hinterfragt werden kann.

137 EFD (Fn. 54), 25, schlägt für den Fall, dass die Ombudsstelle den Anspruch des Kunden für wahr-scheinlich berechtigt hält, aber keine Einigung der Parteien erfolgt, vor, dass der Finanzdienstleister die Prozesskosten unabhängig vom Verfahrensausgang zu übernehmen hat.

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Somit geht es also zentral um die Frage, wie verhindert werden kann, dass Anlegern Produkte aktiv angeboten werden, die nicht zu deren Profil passen. Der Fokus muss klar auf dem aktiven Anbieten liegen, weil im Rahmen der Privatautonomie nie-mandem versagt werden kann, selbst in sein finanzielles Unglück zu rennen.138 Die im Hearingbericht des EFD vorgeschlagene Beschränkung von Execution-only-Transaktionen geht hier zu weit.139 Die Grenzen eines auf die vertragliche Bezie-hung abgestützten Regulierungsansatzes zeigen sich dann aber, wenn der Kunde ein von der einen Bank z.B. via Zeitungsinserat angepriesenes Produkt bei einer anderen erwirbt.140 Deutliche Warnhinweise (vgl. unten III.B.) in Prospekten und Werbung sollten ausreichen, um den Anleger auf die Risiken hinzuweisen.

An Stelle einer Kundensegmentierung scheint eine klare Regelung der Vertragsbe-ziehung mit den daraus resultierenden Pflichten sinnvoll zu sein.141 Sobald ein Kun-de Beratung sucht oder ihm Produkte aktiv empfohlen werden, sollten erhöhte Bera-terpflichten gelten. Dem Finanzintermediär würde die Dokumentation darüber ob-liegen, dass er den Kunden über die Klassifikation des angebotenen oder nachge-fragten Produkts informiert hat. Die korrekte Erfüllung dieser Pflichten, d.h. eine hinreichende Aufklärung zu Risiken, und die Bewertung, ob das empfohlene Pro-dukt eine angemessene Risikoadjustierung aufweist, ist bankintern zu dokumentie-ren, um diese dem Kunden auf dessen Wunsch hin aushändigen zu können.142

138 ISABELLE MONFERRINI/HANS CASPAR VON DER CRONE, Haftung des Effektenhändlers für struktu-

rierte Produkte im ausservertraglichen Verhältnis, SZW 2012, 347 ff., 360, stellen einerseits fest, dass Anlegerschutz nicht bedeuten kann, „jegliche Verantwortung auf die Effektenhändler abzuwäl-zen“, zum anderen dürfe „eine Regulierung nicht derart weit gehen, dass den Anlegerinnen und An-legern zugleich sämtliche Eigenverantwortung abgesprochen wird“.

139 Der EFD-Bericht (Fn. 54), 18, will Execution-only nur für einfache Produkte erlauben, die „gut verständlich sind, den Kunden nicht über die Anschaffungskosten hinaus verpflichten und regelmäs-sig über den Markt verkauft oder an den Produzenten zurückgegeben werden können“.

140 Vgl. OGer ZH LB090093, 23.08.2011, ZR 111 2012, Nr. 30, 75 ff. Der Kläger berief sich ohne Erfolg auf Art. 11 BEHG, nachdem er auf ein in der Tagespresse geschaltetes Inserat hin ein struktu-riertes Produkt über seine Hausbank bezog. Nachdem das Gericht sich ausführlich damit beschäftigt, dass Art. 11 BEHG mangels vertraglicher Beziehung nicht anwendbar sei, führt es dann unter 2.2.4. aus: „Ganz abgesehen davon würde das strittige Inserat in der Tagespresse aber auch den in Art. 11 BEHG statuierten Anforderungen genügen.“

141 So auch EFD (Fn. 54), 16 f. 142 EFD (Fn. 54), 19, nennt vergleichbare Dokumentationsanforderungen. Allerdings sollte auch klar

festgehalten werden, von wem die Initiative für die Beratung ausging und, ob der Impuls für ein be-stimmtes Produkt vom Kunden kam.

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Eine über die bestehende oder im Rahmen der Anpassung an die internationale Ent-wicklung notwendige, bzw. darüber hinausgehende gesetzliche Normierung weiterer Informationspflichten, Prospektvorschriften und Dokumentationen könnte dann sogar an Bedeutung verlieren, weil im Kern des Anlegerschutzes immer die Infor-mation über den sicheren Erhalt oder den potentiellen Verlust des eingesetzten Kapi-tals steht. Es gilt den Kassandraeffekt zu vermeiden.143 Übersteigt die Information die Aufnahmefähigkeit oder auch -willigkeit des Empfängers, ist auch dem Infor-mierenden damit nicht gedient. Produktinformationen sollten also nicht in erster Linie zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben zu konzipieren sein, sondern den Adres-saten im Fokus haben, um letztlich Konfusion durch überreichliche Information zu vermeiden.

B. Absicherung und Labeling

Bemerkenswert ist, dass professionelle Anleger sich schon vor der Lehman-Pleite am Markt vielfach gegen den Ausfall mit einer Prämie abzusichern vermochten.144 Finanzdienstleister könnten diesbezüglich beim Vertrieb ihrer mit einem Kapital-schutzversprechen beworbenen Produkte verpflichtet werden, diese mit einer sol-chen das Emittenten-Risiko absichernden Versicherung ergänzt anzubieten.145 Auf diesem Weg würden zumindest diese Risiken transparent dargestellt und eingepreist.

Neben dem Absichern des Emittenten-Risikos durch eine Ausfallversicherung oder entsprechende Derivate, lässt sich auch auf ein durch ein verbindliches Labeling zu entsprechenden Produkt-Kriterien entwickeltes Anlagekonzept abstellen.146 Ver-

143 Vgl. ROLF H. WEBER, Kassandra oder Wissensbroker – Dilemma im „Global Village“, in: Jürgen

Becker/Reto M. Hilty/Jean-Fritz Stöckli/Thomas Würtenberger (Hrsg.), Recht im Wandel seines so-zialen und technologischen Umfelds, Festschrift für Manfred Rehbinder, Bern 2002, 405 ff.

144 Der unveröffentlichte FINMA-Bericht zu Lehman (Fn. 50) führt unter 4.2.1.4 aus, dass die Berner Kantonalbank einen Grossteil der Kundenpositionen mit einem CDS (Credit Default Swap) abgesi-chert hat.

145 Bei den schon oben erwähnten COSI hinterlegt der Emittent bestimmte Sicherheiten als Pfand bei der SIX, so dass diese Sicherheiten bei Ausfall des Emittenten verwertet werden können, um so den Schutz für die Käufer strukturierter Produkte sicherzustellen. Allerdings muss der Hauptsitz des Emittenten in der Schweiz oder im United Kingdom liegen.

146 Vgl. z.B. auch den von FSC (Financial Services Council) und ASFA (Association of Superannuation Funds of Australia) entwickelten SRM-Ansatz: Standard Risk Measure Guidance Paper For Trustees, Juli 2011, <http://www.superannuation.asn.au/policy/reports#aug2011>. Die FSB-Studie Consumer

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gleichbar den Energiespar-Klassifizierungen könnten gegen den Totalverlust nicht geschützte Produkte z.B. ein C erhalten, diesbezüglich gesicherte, aber von partiel-lem Verlust des eingesetzten Kapitals bedrohte Produkte ein B und tatsächlich – auch bezüglich des Emittentenrisikos − kapitalgeschützte Anlagen ein A.147

Daneben muss auf das Funktionieren des Marktes vertraut werden. Wenn Finanzin-termediäre unterstützt durch (beaufsichtigte?) Ratingagenturen ihre Informations-Transformations-Funktion wahrnehmen und die von den Emittenten publizierten Informationen verarbeiten, können Anleger objektiv beraten werden. Ausreichende Transparenz für die professionellen Marktteilnehmer muss dafür sorgen, dass den potentiellen Risiken die entsprechenden Renditeerwartungen gegenübergestellt sind. Marktversagen durch Phänomene wie Herdentrieb oder Heuristik lassen sich natür-lich nicht verhindern. Allerdings muss der Gesetzgeber insbesondere dort aktiv werden, wo kein Markt herrscht.

C. Risiko-Transparenz statt verschärfter Bewilligungspflicht

Eine generelle Bewilligungspflicht für Produkte oder ein Verbot, bestimmte Produk-te an Privatkunden zu vertreiben, entspricht nicht der wirtschaftlichen Grundord-nung der Schweiz.148 Somit gilt es, gerade bei Produkten, bei denen nicht darauf vertraut werden kann, dass effiziente Märkte die Preisbildung beeinflussen, alterna-tive Schutzkonzepte zu etablieren. Neben allgemein wünschenswerten Entwicklun-gen wie einer besseren Einbeziehung der hier angesprochenen wirtschaftswissen-schaftlichen Fragestellungen zu Anlagerisiken und Informationsasymmetrien schon

Finance Protection (Fn. 108), 4, weist auf die Ausgestaltung der Finanzmarktregulierung in Australi-en hin und betont, dass die Krise dort geringere Auswirkungen auf die Finanz-Systeme in Australien zeigte. Australiens regulatorische Architektur beruht auf einer starken Regulierung und Lizenzierung.

147 Vgl. dazu auch die dem Bericht zur Finanzmarktpolitik des Bundes vom 19.12.2012 (Fn. 54), 19: „Beispielsweise kann ein wirkungsvoller, sich an den Schutzbedürfnissen der Kunden ausgerichteter Kundenschutz etwa in Form einer transparenten Deklarierung des potentiellen Risikos von Finanz-produkten dem langfristigen Interesse eines funktionsfähigen Finanzplatzes entsprechen. Anleger können dadurch als informierte Kunden auftreten und so leichter ihren individuellen Risikofähigkei-ten entsprechende Produkte kaufen. Die Verantwortung für die getroffenen Anlageentscheide soll je-doch beim informierten Kunden bleiben.“

148 Auch diese Themen werden diskutiert vgl. FINMA 2010 (Fn. 3), 46 ff.

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in Sekundar- und Mittelschulen149 bleibt festzuhalten, dass das einer Anlage inhären-te Risiko nur von den wenigsten Anlegern trotz genauem Studiums aller zur Verfü-gung stehenden Produktinformationen nachvollzogen werden kann.150 Insofern wird sich die Wirkkraft verschärfter Prospektanforderungen zum Wohle des Anleger-schutzes als eher gering erweisen. Dies gilt auch für zweiseitige Beipackzettel, die einer aufsichtsrechtlichen Vorgabe zu entsprechen haben, weil diese das Schicksal ihrer pharmazeutischen Namensgeber bezüglich der Intensität der Kenntnisnahme wohl teilen würden.

Solange in Folge tiefer Zinsen die Renditen bei klassischen Sparanlagen marginal bleiben, werden renditeträchtigere Anlagen auch von Anlegern nachgefragt werden, deren Risikoprofil nicht dieser Produkt-Kategorie entspricht. Somit ist auf absehbare Zeit damit zu rechnen, dass Anleger sich im Dschungel der Anlagealternativen verir-ren.

149 Dabei ist die Gefahr im Auge zu behalten, dass von Finanzdienstleister oder deren Organisationen

publizierte Informationen auch eine werbende Funktion zukommt. Vgl. auch MOLONEY (Fn. 40), 374 ff. Investor-Education ist auch ein Bestandteil der EU-Politik; vgl. dazu Communication on EU Con-sumer Policy Strategy 2007–2013 (COM (2007) 99), 11, <http://ec.europa.eu/consumers/overview/ cons_policy/doc/cps_0713_en.pdf>; Europäische Kommission, Weissbuch zur Finanzdienstleis-tungspolitik für die Jahre 2005-2010, <http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= COM:2005:0629:FIN:DE:PDF>, 9: „ […] ist es wichtig, die Transparenz und Vergleichbarkeit dieser Finanzprodukte sowie das diesbezügliche Verständnis der Verbraucher zu erhöhen“. Europäische Kommission, Grünbuch über Finanzdienstleistungen für Privatkunden im Binnenmarkt (KOM 2007, 226), <http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2007/com2007_0226de01.pdf>, 18: „Ver-braucher mit geringer finanzieller Allgemeinbildung tun sich schwer mit dem Verständnis und der Nutzung der Informationen, die sie beim Erwerb von Finanzdienstleistungen erhalten“. Vgl. z.B. auch CESR, Leitfaden für Kunden zur Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) Kapi-talanlage in Finanzinstrumente (CESR/08-003, 2008), <http://www.esma.europa.eu/system/files/08 -003.pdf>, sowie <www.fma.gv.at/typo3conf/ext/dam_download/secure.php?u=0&file=1972&t=133 1636272&hash=c30cab91a8793425c16910aaaf30201d>. Auch in den im Oktober 2011 publizierten OECD-Prinzipien G20 High-Level Principles on Financial Consumer Protection (Fn. 34) wird unter Ziffer 5 das Prinzip Financial Education and Awareness genannt. Ebenso wird im IOSCO-Report ausgeführt (Fn. 87), 5: „Regulators should therefore consider measures to help improve retail investor education in order to enhance their financial literacy and ability to read investment documentation and make informed investment decisions.“; Die IOSCO hat im Februar 2013 einen Report on Inves-tor Education Initiatives relating to Investment Services publiziert, <http://www.iosco.org/library/ pubdocs/pdf/IOSCOPD404.pdf>. der verschiedene Ansätze zur Förderung der Schulung von «retail Investors» vorstellt und die Probleme bei der Messung der Effizient solcher Programme anspricht.

150 Vgl. dazu CONTRATTO (Fn. 38), N 18 m.w.H.; GAĖTANE SHAEKEN WILLEMAERS, The EU Issuer- Disclosure Regime: Objectives and Proposals for Reform, Alphen aan den Rijn 2011, 216 ff.

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Durch verschärfte Dokumentationspflichten im Rahmen der Anlageberatung werden die Finanzdienstleister verpflichtet, die Risiken präziser zu nennen. Es bleibt dabei wohl unvermeidlich, dass bei vielen Anlegern die Chancen im Vordergrund stehen und Risiken in der Hoffnung auf höhere Erträge nur am Rand wahrgenommen wer-den. Solange das Soft Law in Form von Branchenstandards, welche als Auslegungs-hilfe dienen können,151 den Standard nicht hinreichend hoch ansetzt, wird bis zu einer gesetzlichen Klarstellung weiter eine gewisse Unsicherheit verbleiben. Aller-dings bieten schon die vorhandenen gesetzlichen Regelungen einen relativ umfas-senden Kundenschutz,152 wenn die gerichtliche Durchsetzung gelingt.

Prophylaktische Wirkungen einer Transparenz-Offensive sind nur zu erwarten, wenn sich die Finanzmarktindustrie zur Vermeidung potentieller aufsichtsrechtlicher Kon-sequenzen und drohender Kompensationszahlungen ausreichend hohe Standards setzt, überprüft von der FINMA im Rahmen ihrer aufsichtsrechtlichen Funktionen über die Finanzdienstleister, und ein praxisgerechtes Enforcement-Konzept zur Verfügung steht.153

151 BGE 115 II 62, E. 3 a): „Bestehen für eine Berufsart oder ein bestimmtes Gewerbe allgemein befolg-

te Verhaltensregeln und Usanzen, können sie bei der Bestimmung des Sorgfaltsmasses herangezogen werden“.

152 Vgl. WIEGAND (Fn. 62), 638, der davon ausgeht, dass die schweizerischen Gesetze bereits eine hinreichende Basis bieten, den Informationsfluss zum Kunden hin zu optimieren, so dass „in diesem Bereich nicht noch ein Staatseingriff als Konsequenz aus der Krise erforderlich ist“.

153 Vgl. dazu Beitrag von ROLF H. WEBER in diesem Band.