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RUGENDAL UND GARZ. EINE SKIZZE ZU ZWEI MITTEL- ALTERLICHEN KLEINSTADTEN AUF RÜGEN von Sven §Tichert Rugendal war die erste Stadt auf Rügen, existierte aber nur kurze Zeit. Garz blieb das gesamte Mittelalter hindurch die einzige Stadt der Insel. Die kurzlebige Geschichte Rugendals, der Beginn vo nGarz und die Zusammenhänge zwischen beiden Vorgängen gehören zu den dunkelsten Abschnitten in der mittelalterlichen Geschichte Rügens. Das liegt an der geringen Zahl der überlieferten Quellen und an den sich daraus er- gebenden Schwierigkeiten für deren Interpretation. Letztlich handelt es sich um eine Rechnung mit zu vielen Unbekannten, als daß ein befriedigendes Ergebnis erzielt wer- den könnte. Um so wichtiger ist es, alle bekannten Details zusammenzutragen und einer '§ü'ertung zu unterziehen. Der vor kurzem unternommene Versuch dreier Autoren, die Geschichte von Rugendal und Garz im Zusammenhang zu betrachten, wird diesem Anspruch nicht gerecht und hat die vorliegende Skizze veranlassr.' Die Stadt Rugendal erscheint erstmals in einer Urkunde, die zugunsten eines Prie- sters namens Rotger ausgestellt ist. Ihm und seinen Erben verkauften am 29. Sep- tember r3r1 die Ratsherren von Rugendal eine Rente von z4 Mark slavisch., Der Umstand, daß dieses Geschäft mir zuvor eingeholter Zustimmung des Stadtherren, des rügenschen Fürsten §Tizlavs III., abgeschlossen wurde (rcum assensu venerabi- lis domini principis Ruyanorumn), läßt die Begrenzung der Autonomie der kleinen Kommune zutage treten. Die Einkünfte von z4 Mark sollte der Priester aus jenen acht Hufen erhalten, mit denen die Stadt Rugendal anfänglich gegründet worden ist: ,ab octo mansis nostris, quibus primitus civitas nostra est radicata er fundata«. Die Lage der städtischen Geschäftsparrner war ganz offensichtlich äußerst prekär. Um das §Tagnis für den Priester Rotger gering zu halten, setzten die Aussteller der Urkunde Sicherheitsklauseln ftir den Fall ein, daß Rugendal seinen Status als Stadt verlieren und in einen Flecken oder ein Dorf verwandelt würde, daß es verarme, sich enwöl- kere, zugrunde gehe oder verlegt werde (rsi civitas nostra dicta Ruyendal in opidum vel in villam conversa fuerit vel eciam depauperata, depopulata, desolata vel omnino Christine Kratzhe, Heike Reimann, Fred Ruchhöji, Garz und Rugendahl auf Rügen im Mittelalter, in: BSt N. F. 9o (zoo4), S. z5-5z.lm Gegensatz zu den drei Autoren folgt Vf dem Original und schreibt Rugenda.l ohne rhn. Pommersches Urkundenbuch (Veröffendichungen der Historischen Kommission ftir Pommern, Reihe z; im folgenden PUB), Nr. 28y3.

Rugendal und Garz. Eine Skizze zu zwei mittelalterlichen Kleinstädten auf Rügen, in: Baltische Studien 92(2006) S. 9-22

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RUGENDAL UND GARZ. EINE SKIZZE ZU ZWEI MITTEL-ALTERLICHEN KLEINSTADTEN AUF RÜGEN

von Sven §Tichert

Rugendal war die erste Stadt auf Rügen, existierte aber nur kurze Zeit. Garz blieb das

gesamte Mittelalter hindurch die einzige Stadt der Insel. Die kurzlebige GeschichteRugendals, der Beginn vo nGarz und die Zusammenhänge zwischen beiden Vorgängengehören zu den dunkelsten Abschnitten in der mittelalterlichen Geschichte Rügens.Das liegt an der geringen Zahl der überlieferten Quellen und an den sich daraus er-gebenden Schwierigkeiten für deren Interpretation. Letztlich handelt es sich um eineRechnung mit zu vielen Unbekannten, als daß ein befriedigendes Ergebnis erzielt wer-den könnte. Um so wichtiger ist es, alle bekannten Details zusammenzutragen und einer'§ü'ertung

zu unterziehen. Der vor kurzem unternommene Versuch dreier Autoren, dieGeschichte von Rugendal und Garz im Zusammenhang zu betrachten, wird diesemAnspruch nicht gerecht und hat die vorliegende Skizze veranlassr.'

Die Stadt Rugendal erscheint erstmals in einer Urkunde, die zugunsten eines Prie-sters namens Rotger ausgestellt ist. Ihm und seinen Erben verkauften am 29. Sep-

tember r3r1 die Ratsherren von Rugendal eine Rente von z4 Mark slavisch., DerUmstand, daß dieses Geschäft mir zuvor eingeholter Zustimmung des Stadtherren,des rügenschen Fürsten §Tizlavs III., abgeschlossen wurde (rcum assensu venerabi-lis domini principis Ruyanorumn), läßt die Begrenzung der Autonomie der kleinenKommune zutage treten. Die Einkünfte von z4 Mark sollte der Priester aus jenenacht Hufen erhalten, mit denen die Stadt Rugendal anfänglich gegründet worden ist:,ab octo mansis nostris, quibus primitus civitas nostra est radicata er fundata«. DieLage der städtischen Geschäftsparrner war ganz offensichtlich äußerst prekär. Um das

§Tagnis für den Priester Rotger gering zu halten, setzten die Aussteller der UrkundeSicherheitsklauseln ftir den Fall ein, daß Rugendal seinen Status als Stadt verlierenund in einen Flecken oder ein Dorf verwandelt würde, daß es verarme, sich enwöl-kere, zugrunde gehe oder verlegt werde (rsi civitas nostra dicta Ruyendal in opidumvel in villam conversa fuerit vel eciam depauperata, depopulata, desolata vel omnino

Christine Kratzhe, Heike Reimann, Fred Ruchhöji, Garz und Rugendahl auf Rügen im Mittelalter, in: BStN. F. 9o (zoo4), S. z5-5z.lm Gegensatz zu den drei Autoren folgt Vf dem Original und schreibt Rugenda.lohne rhn.

Pommersches Urkundenbuch (Veröffendichungen der Historischen Kommission ftir Pommern, Reihe z; imfolgenden PUB), Nr. 28y3.

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destructa vel in alium locum translata fueritu). Der Priester Rotger sicherte seinen

Kauf auch gegen den Fall ab, daß die acht Hufen nicht bebaut würden: »Si autem

predicti octo mansorum agri [...] non colerenturo. Diese Klausel istvon besonderer

Vichtigkeit. Vordergründig sind die z4 Mark Rente zwar auf die acht Hufen radizierr.Fallen diese aber aus, tritt die Kommune in Haftung. Letztlich ist die Rente also aufdie Kommune gelegt, während die acht Hufen als dingliche Grundlage dafiir dienen,

daß die Kommune die Rente überhaupt aufbringen kann. Ungeklärt bleibt, wie die

Rente aufgebracht werden sollte, wenn Rugendal tatsächlich verarmt, enwölkert oderzugrunde gegangen sein würde.

Fast auf den Täg genau sechs Jahre nach diesem Rentenverkauf der Stadt Rugen-

dal genehmigte Fürst §Tizlav III. am 8. September ryr9 auf Bitten der Bürger und

der Ratsherren der neuen Stadt Garz (»concives et consules nove civitatis Gartzn) den

Verkauf einer Rente von ebenfalls z4Mark an denselben Priester Rotger, und wieder

sollte diese Hebung von den acht Hufen erhoben werden, mit denen die Stadt Garz

anfänglich gegründet worden war.'Als Grund ftr die Verkaußgenehmigung wurde

eine akute Notlage angegeben. Auch in §Tizlavs Urkunde taucht die Sicherheitsklausel

ftir die Fälle aui »si civitas nostra dicta Gartze in opidum vel in villam conversa fue-

rit vel eciam desolate, depopulata vel quocunque modo destructa vel in alium locumtranslata fueritu. Die Formulierung folgt fast wörtlich der entsprechenden'§7'endung

in der Urkunde von Rugendal. Ein urkundlicher Beleg, daß es zu dem genehmigtenVerkauf auch wirklich gekommen sei, liegt nicht vor.

13z6 bestätigten die Ratsherren des Fleckens Garz (rconsules opidi Gartzeo) dem

Priester Rotger dessen Rente von z4 Mark, die er ryry von den Rugendalern gekauft

hatte.' Diese Bestätigung erschien nötig wegen der Verlegung Rugendals nach Garz(ropidi videlicet Ruyendal transpositi in opidum dictum Gartzeo). Dem Priester war

dadurch im engeren Sinne sein Vertragsgegenüber verlorengegangen, ein neuer Part-

ner war aber bereit, an dessen Stelle zu treten. Die Garzer Ratsherren bezeichnen die

Rugendaler ausdrücklich als ihre ,predecessoreso, als ihre Amtsvorgänger, und betrach-

ten sich selber als die Rechtsnachfolger. Allein dieser W'echsel sollte mit der Urkundeabgesichert werden: »lJt non transposicio opidi [...] Rothgerum sacerdotem vel suos

veros heredes in magno vel in parvo videatur ad redditum percepcionem suorum gra-

viter inpedire«.

Die drei Autoren Kratzke, Reimann und Ruchhöft kommen nun ,nach genauer

Analyse der Quellenn zu dem Schluß, ,daß die beiden Urkunden zur Stadtgründung

[sic!] Rugendahls als auch eine Urkunde aus dem Jahr ryr9 mit der ersten Erwfinungder Stadt Garz dieselben acht Hufen betreffeno.' Und in der Tät, schon das oberfläch-

liche Studium allein der Kopfregesten und der Anmerkungen zu diesen im Pommer-

schen Urkundenbuch abgedruckten Quellen legt eine solche Meinung nahe. Es war

Johann Albert Dinnies, der sich Ende des 18. Jahrhunderts als erster zu dieser Frage

t PUB 3287.t PUB 445.5 C. Kratzhe, H. Reimann, F. Ruchhöft (wie An-. ,), S. ll.

N.UGENDAHL UND GARZ

äußerte.6 Dinnies fand die Rugendal-urkunde von rJrS unter den Dokumenten desHeilig-Geist-Hospitales in Stralsund. Dort gehörte sie auch hin, denn r33r stiftete derPriester Rotger im Heilig-Geist-Haus eine vikarie von 24 Mark, und es d.arf getrostangenommen werden, daß es sich um die z4Mark aus dem Geschäft mit Rugendalhandelt.' §7as Dinnies nun aber stutzig machte, war der folgende Eintrag auf Blatt 19in der 1613 angelegten Matrikel von St. Marien in Stralsundr

»Die Garzer im Lande zu Rügen geben von acht Hufen Ackers Rente von ei-ner vicarie z4Mark Hiervon bekommt der Bürgermeister, der es jährlich ein-fordert, ftir seine Mühe dreieinhalb Mark, bleiben ftir den Armen zo Mark g

Schill.o

z4 Mark fur st. spiritus oder z4Ma*ftir St. Marien? Diesen verwirrenden Befundinterpretiert Dinnies so, daß der Priester Rotger zwei Renten über z4 Mark gekaufthabe, die ersre r3r, von den Rugendalern, die er sich ry26 nach der verlegung i.ug.r-dals vom Rechtsnachfolger GarT habe bestätigen lassen, und eine zweite, dr.' ,r17r9von der stadt Garz erworben habe. Die erste Rente sei dann an das Heilig-Geisi-Hospital gekommen, die andere an St. Marien. Dieser Sichtweise folgen Alfred Haasund Ernst \Tiedemann.s Haas ergänzt sie mit dem ernstzunehmendÄ Hinweis, daßdie ftirstliche Genehmigung von r3r9 sich sinnvollerweise nicht auf einen Verkauf ausdem Jahre ry4, der also schon sechs Jahre zurücklag, beziehen lasse. ob die von Din-nies vorgetragene Deutung srimmr, läßt sich nicht leicht entscheiden., Hinzu kommtbei Vergleich der Urkunden von rJrS bzw. r3r9, daß zwar auf der einen Seite sich derVorgang und der Gestus bis hinein in einzelne Formulierungen gleichen, daß auf deranderen Seite aber nicht übersehen werden darfi daß die furstliche Verkaufsgenehmi-gung ftir die Garzer Bürger den Passus enthält, der priester Rotger dürfe die za MarkRente ftir Almosen verwenden. und dies würde sehr gut zu der Angabe in der Matri-kel st. Marien passen, gemäß der die Armen nach Abzug der SpesÄ für den Bürger-meister mit zo Mark 8 Schill. bedacht werden sollten. Eine Parallelität der Vorga.r-ge in Rugendal und Garz, die zu analogen Überlebensstrategien zweier notleid.rrd..Kleinststädte führte, sollte ohne zwingende Gründe nicht auqgeschlossen werden.

lt

Johann Albert Dlnnies, Eine von der Stadt Rügendal auf der Insel Rügen ausgestellte Urkunde mit dem Sie-gel,in: Pommersctre llnmlyqgn, hg. v- ThoÄa Heinrich Gadzbuscä Bd. r,treißwald r78 3, S. 4o_r47.PUB 4y6 bringt die Urkunde (Stadtarchiv Stralsund, Depos. Hl. Geist Nr. 8); Das zweite Str"l.urd., Si"dt-buch (r3ro-r342), bearb. v. Rober-t Ebeling, stra.lsund ryo1, s. t97, Nr. 36g3, den entsprechenden Eintragim Stadtbuch. Irritierend ist allerdings, daß sich die Urkunde von r33r nicht ebenfalk iÄ Archiv des HeiligiGeist-Hauses findet, sondern unter St. Marien abgelegt ist. Offenbar sind Urkunden unterschiedlicher prove-nienz zusammengelegt worden.AJfred Hy1 Rugendahl, in: Rügensches Kreis- und Arreigenblatt, z6 (ts}7), Nr. r5z (Beilage) ; Errct wie-demann, Vom alten.Rugendal. Eine vergssene Stadt auf

-Rügen, in: Rügenscher H.i-atkierd...93z, S.

I9-rzt; ders., Alte Flurnamen von Garz (Mitteilungen d. E.-u.-Arndt-Hä-rt-r..r-. der Insel Rrig., ,,Gan, 7, r), Garz ry58,6. Wanderung.Es ist aber_nicht möglich, sich diesen Fragen nicht zu stellen und, wie es die drei Autoren Kratzke, Reimannund Ruchhoft praktiziert haben, ein Problem einfach zu verschweigen, weil es der eigenen Argumentationzuwiderläuft.

t2 SVEN 'W'ICHERT

Schon Albert Georg Schwartzhat in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Frage be-

schäftigt, wo Rugendal gelegen habe. Er verweist auf die Roskilder Matrikel, in der

die Ansprüche auf den Bischofsroggen, unterteilt nach Kirchspielen, erfaßt sind.'o Da-

nach lag eine ,Nova civitas« im Kirchspiel Swantow. Da das Rugendaler Siegel die

Umschrift ,Sigillum Novae Civitatis Ruyendalen trägt, dürfte die Identität von Ru-

gendal und der »Nova civitasu glaubhaft sein. Schwartz stellt nun fest, daß das imSwantower Kirchspiel gelegene Dorf Mellnitz in der Matrikel nicht erscheint. Daher

vermutet er Rugendal dort und glaubt, daß der Ort nach der Verlegung Rugendals

seinen alten Namen wiedererhalten hätte."'§7'ährend Schwartz von einer Verlegung

Rugendals ausgeht, deutet Dinnies den Vorgang als eine Verschmelzung benachbarter

Kommunen. Folgerichtig spricht sich Dinnies gegen Mellnitz aus, weil es viel zu weit

von Garz enrfernr liegt, als daß eine Verschmelzung der Feldmarken möglich gewesen

wäre. Stattdessen sucht er Rugendal auf der Feldmark von Garz."

r84z meldete sich Charlotte Pistorius im Stralsunder Unterhaltungsblatt Sundine

zu'§7'ort:

»Im Swantower Kirchspiel ist das ehemalige Domänendorf das jetzt ein Gutist, namens Zeircn, vormals Sclten benannt, eingepfarrt. Dieses Gut ist in der

Roschilltchen Matrikel zu zo Haken-Hufen aufgeführt, späterhin aber zu 8 Ha-

kenhufen. Von diesen bischöflich steuerbaren Hakenhufen bewidmete glaublich

der Stifter die Stadt Rugendal mit ro Hakenhufen. Dieses Grundstück grenzt aL

den Langen Berg und die ehemalige Garu.er Feldmark, Rusch und Busch. In

diesem Grundstück liegt eine zu der Zeit mit Holz bewachsene Niederung, all-

hier das alte Moor genannt. [...] Der um etwas im Osten von dem alten Moor

erhabene Grundboden eignete sich, nachdem der Platz von Holz gereinigt war,

ungleich besser zurAnsiedlung deutscher Kolonisten zu einer Landstadt, als der

morastige Boden von Garz. Der Platz, wo die Stadt Rügendal gestanden, hält

ungePähr rz Morgen so ziemlich in Quadrat, der jetzt dlhier unter dem Namen

,das Diestel-Stück bekannt ist.n"

Einer lokalen Überlieferung zufolge ist Rugendal mit dem Dorf Triten identisch gewesen:

,In dem alten Charenz (lies: Garz) waren sieben Burgen; aber so groß die Stadt

auch war, waren doch nur sechzig Bürger darin. Dicht an Charenz stieß eine

zweite Stadt, die hieß Rügendal. Die war fast eins mit Charenz, und beide Städ-

ro Albert Georg Schwartz, Diplomatische Geschichte der Pommersch-Rügischen Städte Schwedischer Hoheitnach ihrem Ursprung und erster Verfmsung, Greifsvald ry55. Die Roskilder Matrikel ist abgedruckt in PUB

1214.rr A. G. Schwartz (wieAnm. ro), S.599.rz J. A. Dinnies (wie Anm. 6), S. r4z.

r3 lCharlotte Pistorius,) Charenz und Rügendal. Zwei Städte der rügenschen Vorzeit, in: Sundine Jg. 1842, S.

247-2SL tt. z5yf., hier S. 255. Der Artikel ist mit ,D. V.n signiert. E. Vied.emann (wie Anm. 8), S. rzo, löst dm

Ritsel um den Autor des Artikels mit glaubhafter Bestimmtheit dahin aui daß sich hinter dem Kürzel die

Tochter des Garzer Propstes, Charlotte Pistorius, verbirgt.

RUGENDAHL UND GARZ 13

te haften zusammen nur einen Gerichtstag. AIs nun der Täufer otto ins Landkam, taufte er auch in Rügendal; in charenz aber ließ ihn der Fürst nicht hin-einkommen. Rügendal war also christlich geworden, und die Einwohner muß-ten nun auch den Zehnten an die Geistlichkeit geben. Das verdroß sie, undsie gingen den Fürsten von Rügen an, sie von den Lasten zu befreien, die diePriester ihnen auferlegt hatten. Der Fürst erklärte indessen, er könne Rügendaldie Lasten nicht wieder abnehmen; wer aber frei werden wolle, der könne nurden Boden wechseln. Da zogen alle Bewohner Rügendals nach charenz, nursechs Bauern blieben wohnen. Die sprachen: ,§fi hebben noch Tiedtl, und vondiesem einen \7orte hat noch bis heute und diesen Täg der Hof Zeiten seinenNamen; den Zeft heißt plattdeursch ,Tiedt,, und wo heute Zeiten liegt, lag frü-her Rügendal.n'a

Die drei Autoren ßGatzke, Reimann und Ruchhöft halten es allein aus dem Grunde,weil die topographischen Gegebenheiten fur eine stadtgründung angeblich ungeeignetseien,r5 ftir undenkbar, daß Rugendal am Langen Berg gelegen h"b., ,rrd die üariÄte,die auf Zeiten deutet, scheinen sie gar nicht zu kennen. Sie verweisen dagegen auf luft-bildarchäologische Prospekrionen, die in der Nähe von Garz eine Ringgrabenanlag.mit einer Grundfläche von r2 Morgen erkennen lassen sollen, die nach Z*g.rir..r,

"Lder Mitte des 18. Jahrhunderts als ,Alter Hofi bezeichnet wurde.,6 Bei Flurblgehungensei eine kleine Menge spätslavischer und eine scherbe der grauen Irdenware-gefurä..,worden. Das dlirftige Ergebnis ließe sich durch intensive Untersuchung sicherlich ver-bessern, aber die drei Autoren warnen vor zuviel optimismus, denn die stadt habe janur kurz bestanden. Das sind die bescheidenen Argumente der d.rei Autoren ftir ihreAuffassung hinsichtlich des orts, wo das ehemalige Rugendal zu suchen sei.

Dazu seien die folgenden Bemerkungen erlaubt: Die funggrabenanlage mußtenicht erst durch Luftaufnahmen entdeckt werden, ein Blick

""r ai. HaginowscheKarte hätte vollkommen genügt, dort ist sie nämlich eingezeichnet. Dazu kommtder Name ,Alter Hofi,, der eben für einen Hof und nicht ftir eine stadt spricht. DieGrundfläche von 12 Morgen paßt ebenfalls besser zu einem Hof, denn diese Flächeentspricht genau einer Hakenhufe des 14. Jahrhunderts.,T Und schließlich ist die Hand-voll slavischer Scherben und vor allem die eine (!) Scherbe der grauen Irdenware wenigüberzeugend. Es ist ärgerlich zu sehen, wie unbekümmert die drei Autoren

",rfgr,rrräeiner durch nichts bewiesenen Behauptung eine unerschütterliche Feststellurr"g mitüberörtlichem Anspruch zimmern:

Rügcnsche Sagen, gesammelt u. bearbeitet vo n Nfred, Haas, Bergen (Rügen) sr935, S. rz7, Nr. 248.C. Kraahe, H. Reimann, F. Ruchhört (wie Anm. r), S. 3g, Anm. i4.Damit entsprechen sie den überlegungen von c. pistorius (wie Anm. 4), s. 249, mit dem unterschied, daßdiese dort nicht Rugendal, sondern ,dL eigentliche Stelle der Stadt Ch"ierr rlläa* ,..-r,.,.oskar Kossmann, Rügen imIlohen Mittelalier, in: Zeitschrift ftir ostforschung 3z (1981) S. ry3-43,hier S. zo6.Die drei Armren.arbeiten dagegen mit pommerschen Maßen ftrr d.n Mo.gJ.,

"gt. ö. räirw, H. Reimann,

F..Ruch.ht;fi (wie Anm. r), s. 79. c. pisnrius (wie Anm. 4), s. z4B, gibt dieirrunäfla.h. üb.ig.r, mit ,ung6-fähr acht Morgenu an.

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t4 SVEN V'ICHERT

»Zv derl ersten Aufgaben einer wachsenden Stadtgemeinde des Mittelalters ge-

hörte - wie das Beispiel Rugendahl zeigr - die Errichung einer Stadtbefesti-

gung durch einen §ü'a11, um zumindest erst einmal eine unverrückbare Begren-

zung des Rechtsbezirkes zu schaffen.n"

Eine ,wachsendeo Kommune wird sich wohl nicht als erstes durch einen aufgeschütte-ten'§7all selbst die Ausdehnung unmöglich machen, abgesehen davon, daß eine fung-grabenanlage kein'§7all ist. Und sollten ausgerechnet die historischen Garzer nichtgewußt haben, was zu ,den ersten Aufgaben einer wachsenden Stadtgemeinde des

Mittelalters gehörte«, die doch das Beispiel Rugendals angeblich unmittelbar vor Au-gen hatten? Nur wenige Seiten zuvor haben die drei Autoren doch die Feststellunggeboten: eine »Befestigung mit Erdwällen oder Mauern besaß Garz wahrscheinlichnicht.o"

Um aber auf die Frage nach dem Standort Rugendals zurückzukommen: '§(/'oher

beziehen die drei Autoren ihre Gewißheit, daß Rugendal auf der Stadtfeldmark vonGarzzu suchen sei? In der schon bemühten Urkunde vor.r)z?, wird doch von »trans-

posiciou, Verlegung, und nicht von einer simplen Vereinigung gesprochen. Obwohldie drei Autoren glauben machen wollen, daß sie die Begründung daftir geliefert hät-ten,'' haben sie einen wichtigen Fingerzeig überhaupt nicht zur Kenntnis genommen:Es handelt sich um die schon oben diskutierte Urkunde von rljr, mit der der PriesterRotger eine Vikarie einrichtete und mit seiner Hebung von den z+Marh rquos habeoin opido Gartzrr, dotierte." Es sind dies die z4 Mark aus den acht Hufen, mit denen dieStadt Rugendal anfiinglich gegründet worden ist.'§ü'enn der Priester nun davon spricht,daß er die Rente aus Garz erhebe, könnte das nicht beweisen, daß diese acht Hufenauf der Stadtfeldmark von Garz zu suchen seien? W'ollte man das annehmen, dannwäre das Problem sicherlich vereinfacht, doch leider ist der Schluß nicht zwingend.

Auf die Zeitum den rr. November r3r4 ist das Verzeichnis der Hebungen datiert,auf die der rügensche Fürst Anspruch erhob." Autor ist deodominus Brunswic«,

der im Kopfregest des Pommerschen Urkundenbuches mit gutem Grund als RitterBraunschweig identifiziert wird. Denn nur ein Jahr zuvor hatte ein Ritter JohannesBraunschweig den Rentenverkaufder Rugendaler an den Priester Rotger bezeugt. DerRitter war also mit den Verhdltnissen Rugendals intim vertraut. In seinem Verzeichnisvon rrr4 wird Rugendal als ,nova civitas« aufgefuhrt. Die Identität denneuen Stadtn

mit Rugendal erschließt sich aus der schon oben angeführten Siegelumschrift ,NovaeCivitatis Ruyendaleu. Das Verzeichnis ist in seinem ausführlichen Hauptteil über die

C. Kraake, H. Reirnann, F. Rachhöfi (wie Anm. r), S. 4o.Ebd., S. lz.PUB 445.C. Kraake, H. Reiruann, F. Ruchhöfi (wie Anm. D, S. 18.PUB 4936 bringt die Urkunde (Stadtarchiv Stralsund, Depos. Hl. Geist Nr. 8); Das zweite Stralsunder Stadt-buch (r3ro-r342), bearb. v. Robert Ebeling, Stralsund ryq, S. 297, Nr. 3683, den entsprechenden Eintrag imStadtbuch.PUB 2918.

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Abb.. :. Die Kane gibt die Liste.i.m Heblngsregister uom rr. Noaember 4r4 (P\JB z9ß) fiir die Kirchspieb Garz(helle Kreis) und suantow 17""*t, Knhd

ffi ?r'n:f;:r;'rt* die Reihenfotge äer orte in diiser Li:te

sogenannte »precaria« erkennbar nach den Rechtsbezirken, den sogenannten Garden,gegliedert. Dort findet sich der Vermerk über die »nova civitas« nicht, wohl aber ineinem der Anhänge mit dem Titel ,excessus terre Ruyeo. Auch hier ist eine räumli-che Gliederung erkennbar. Die ,nova civitas« steht ein wenig von Garz abgesetzt, di-rekt nach Poseritz. Unter dem Rubrum ,redditus annone« wird zudem mitgeteilt, daßdie ,nova civitas« Rugendal über eine Mühle verfuge. In einem anderen, zeitnahenVerzeichnis sind die Einkünfte des Bischoß erfaßt.'n Auch dieses Register folgt einerräumlichen Gliederung. Innerhalb der Garde oder der Kirchspiele werden die Orte in

zt PUB 3214.

L6 SVEN W'ICHERT

Abb. z Das Siegel Rugendtls uistiert nr.r.r

in einm Exempkr und bef.ndet sich imSudtrtrchia Stralsund (Hl. Geist. Nn I uon

rjrj Sep. z9) (Foto H.-J. Hacher).

Abb. j Umzeichnung des Rugmdaler Abb. a Helmsiegel dtsSiegels (Zeichnung S. \Yichrt). rügenschen Fürsten

'Wizka III. uon 4oz(nach 7h. P1l).

einem Rundgang abgeschritten. Der Rundgang im Kirchspiel Swantow, dem das Re-

gister in seiner Aufisrung folgt, beginnt in Puddemin, berührt die Güter eines lJchterund eines Keller, erreicht danach Neparmitz und Swantow, dann die »nova civitas«, es

folgen Ruddevitz, Garlepow,Zeiten und Stubben, und der Rundgang schließt nach

Renz in Düntz. '§7ird diese Reihung in eine Karte eingetragen, ergibt sich die Logikder Liste auf den ersten Blick. Zum Vergleich sind neben den Meldungen für Swan-

row auch die ftir das KirchspielGarz kartiert worden. Beim Kirchspiel Garz ist der

plötzliche Schwenk nach Gützlaßhagen auffillig, der das systematische Bild buch-

stäblich durchkreuzt und ftir die Interpretarion von Bedeutung sein könnte. Es darfangenommen werden, daß der Liste der bischöfichen Einkünfte eine ältere Vorlage

zugrunde gelegen hat, in der Gützlaßhagen noch nicht enthalten war, das folglich am

Ende einfach nachgetragen wurde. Auf diese fut entstand der Bruch in der Systema-

dk. Die Stellung dennova civitas« in der Liste durchbricht dagegen nicht die innere

Logik. Mit Sicherheit ist daraus zu schlußfolgern, daß Rugendal schon vor Gützlaß-

hagen existierthat.Zumanderen ist aber auch festzuhalten, daß die räumliche Zuord-nung im Kartenbild nicht verftlscht ist, denn »nova civitas« mußte nicht nachgetragen

werden, sondern stand schon in der Liste, und zwar an der richtigen Stelle. Die Ver-

teilung der slavischen Besiedlung in der Zeit vom rr. bis zum 13. Jahrhundert ist der

Karte von Fred Ruchhöft entnommen.'5 Sie läßt deutlich erkennen, daß das Kirch-spiel Swantow im Gegensatz zum Kirchspiel Garz in einer dünn besiedelten, teilweise

unbesiedelten Region entstand und wesentlich kleiner ist. Das spricht ftir die deutlichspätere Entstehung des Kirchspiels Swantow Die Kartierung nach den Angaben aus

dem bischöflichen Register läßt erkennen, daß die ,Nova civitas« bzw. Rugendal inder Nähe von Swantow, Neparmitz und Ruddevitz gelegen hat. Dem fürstlichen Regi-

ster darf zusätzlich eine Tendenz in Richtung Poseritz entnommen werden, der schon

angesprochenen lokalen Überlieferung eine weitere Tendenz in Richtung Zeiten.

zs C. Kratzke,H. Reimann,F. Ruchhöfi(wieAn*. r), S. ll

RUGENDAHL UND GARZ 17

Abb. y Siegel Heinrich Borwins II. mn Rostock aus

dem Jahr ntg (nach MUB 258).

Abb. 6 Grofes Siegel uon Garz.

Die Lösung des einen Problems gebiert sofort ein neues, denn die ,Nova civitas«verfügte laut dem bischöflichen Register über zehn Hakenhufen,'u also rund ftinf Hu-fen. Der Priester Rotger schloß r3r3 seinen Vertrag jedoch über eine Rente aus achtHufen." Es ist schlecht vorstellbar, daß Rugendal einerseits eine Rente von acht Hufenverkauft, andererseits bei den zeitnahen bischöflichen Abgaben mit nur ftinf Hufenveranschlagt wurde. In der Verkaußurkunde vom September r3r3 sprechen die Rugen-daler davon, daß die Hebung von jenen acht Hufen genommen werden soll, ,quibusprimitus civitas nostra est radicta et fundata« (durch die unsere Stadt anfänglichlzu-erst/zunächst/früher begründet worden ist)." Das alles Iäßt doch sehr srark vermuren,daß die Rugendaler schon vor September rJrJ von ihrem ersten Standort fortgezogenseien und eine Neugründung durchgeftihrt hätten. Diese hatte ihre Anfangsschwierig-keiten, und so verkauften sie eine Rente aus den acht Hufen ihrer ersten Gründung.Auf den ersten Blick scheint diese Deutung gewagr, doch welche guten Argumentesprächen dagegen?

Über die Motive ftir die Gründung Rugendals läßt sich vorerst keine Klarheit ge-winnen. Konrad Fritze und Rudolf Benl bringen sie mit den Auseinanderserzungendes Rügenfürsten \Tizlavs III. mit Stralsund in Verbindung.,, Benls Vermutung z. B.,daß Rugendals Gründung,vielleicht als Schlag gegen das mächtige Stralsund am Stre-lasund gedachtn war, wird von der kümmerlichen Grundaussrarrung Rugendals mitden bescheidenen acht Hufen nicht recht unterstützt. In diesem Zusammenhang sollauf das Siegelbild der Neuen Stadt Rugendal hingewiesen werden.'o Der Durchmesser

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PUB 3274.PUB 2853.

PUB 2853.

Konrad Fritze, Fürsten und Städtegründungen im Ostseeraum, in: rViss. Zschr. d. E.-M.-Arndt-Univ. Greifs-wald, Gesellschaftswissenschaftliche Reihe 36 Gs8z), S. 79-82 Rudolf Benl, Pommern bis zvTeilung:q;6SlTz,in: Pommern (Deutsche Geschichte im Osten Europr), hg. v. W'erner Bz chholz, Berlin ry99, S. zt-r26, hierS. 8o.

Siehe Abbildung z. Vf ist dem Direktor des Stadtarchives Stralsund, Herrn Dr. Hacker, ftir die rmche Erfül-lung seiner Bitte um Zusendung einer Abbildung dieses Siegels zu großem Dank verpflichtet.

SVEN §TICHERT

beträgt 8o mm. Es zeigt einen rechtsschreitenden Greifen auf einem Podest, unterhalbdes Podestes ragen drei schlanke Dreiecke herauf." Oberhalb des Greifen befindet sichein rechtsgewendeter, von Pfauenfedern fankierter Topfhelm, darauf drei Lilienstäbe.

Dieses Detail entspricht fast exakt dem Helmsiegel des rügenschen Fürsten \Viz-lav III." Schwierigkeiten bereitet das Hauptmotiv des Siegels, der schreitende Greif,das W'appentier der Rostocker Herren. In der besonderen Ausgestaltung mit einem

nach vorne gestellten Flügel, wie sie auch das Rugendaler Siegel zeigt, erscheint der

Rostocker Greif erstmalig an einer Urkunde Heinrich Borwins II. von Rostock (gest.

oz6) aus dem Jahre rzr9.33 Dil Aussage der drei Autoren, daß die Garzm Ratsherren

15z6 rnoch unter dem Siegel der Stadt Rugendahl«3n geurkundet hätten, scheint keineAutopsie des fraglichen Siegels vorausgegangen zu sein, denn sie ist eindeutig falsch.

An der Urkunde von 112635 hängt an Leinenfäden das Bruchstück eines Selretsiegels

aus grünem '§?'achs, das komplett einen Durchmesser von 4o-4t mm gehabt haben

dürfte. Von der Umschrift sind noch die drei Buchstaben »SEC« erkennbar, die ohne

weiteres zu Secretum zu erginzen sind. Vom eigentlichen Siegelbild ist nur ein Kreuzerhalten. Das Garzer Museum bewahrt den Abdruck eines seit den Toer Jahren des

letzten Jahrhunderts vermißten Stempels eines Garzer Sekretsiegels.'u Das Siegelbildzeigt einen Fahnenstock, an dem an einer Querstange ein dreilatziges Banner mit dempommerschen Greifen zu sehen ist. Der Fahnenstock durchbricht den Innenkreis, so

daß das tr(reuz an der Spitze im Bereich der Umschrift liegt. Es darf angenommen wer-den, daß das Sekretsiegel von 9z6 dasselbe Siegelbild üug, nur mit dem Unterschied,daß das Kreuz an der Spitze des Fahnenstocks nicht in den Bereich der Umschrift rag-

te. Mithin ist der im Garzer Museum bewahrte Abdruck znitlich später anzusetzen als

das Siegel yon rjz6. §(i'ann das zweite Sekretsiegel in Gebrauch war, läßt sich derzeitnicht sagen. Noch sind keine Garzer Urkunden mit anhängenden Siegeln erschlossen,

so daß wir auch nicht über durch die Datierung der Urkunden zeitlich einzuordnendeSiegel verfugen.

Der Stempel des einen Durchmesser von 7j mm aufweisenden großen Garzer

Stadtsiegels wird ebenfalls im Garzer Museum verwahrt. Die drei Autoren datierenihn auf das Jahre ry25 und folgen damit den Angaben im Inventarband fiir Rügen, der

sich in der Zeitstellung offenbar auf Ernst '§Tiedemann stützt.37

'§Tiedemann glaubt,

daß der Priester Rotger die Stempel fiir das Stralsunder, das Rugendaler und das Gar-

Die Abbildung bei l. A. Dinnies (wie Anm. 39) hat irtümlich einen auf Rasen schreitenden Greifen. Demfolgte Otto Hupp,Die§/appen und Siegel der deutschen Städte, z. Heft, Frankfurt a. M. 1898, S. 27.

Abgedruckt ist das Helmsiegel beiTheodor ?yl, Die Entwicklung des Pommerschen Wappens (Pommersche

Geschichtsdenkmälea 7), Greifwald r$94,Tafel z.

MUB (Meklenburgisches Urkundenbuch, hg. v. Verein f. mekl. Gesch. u. Alterthumskunde, Schwerin 1863),

S. zy8.

C. Kratzhe, H. Reimann, F. Ruchhöfi (wie Anm. r), S. 35.

PUB 44s.Inventr-Nr.YyzyGt.z.C. Kra*he, H. Reimann, F. Ruchhöfi (wie Anm. ,), S. lZ, Anm. 54; Walter Ohle, Gerhard Baier, Die Ktnst-denkmale des Kreisa Rügen (Die Denkmale des Bezirls Rostock, r),Leipzigrg@, S. r93; E. Wiedemann (wieAnm. 8), AIte Flurnamen, 5. §(l'anderung.

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I.UGENDAHL UND GARZ 79

Ganz Gingst Sogord Wiek

Abb. 7 Garz ran§erte ungeachtet seiner dtutlich besseren rechtlichen Position aufdrrselben Ebene uie die FbchenGingst, Sagard undWiek. Aber schon ein schlichter Verglexh dzr Grä$e der Pfarrkirchen urdratlicht, da$ Garzheinesuegs der primus inter pares ist, sondern dtutlich abfillt. (Gmndrisse au Die Kuutdenhmale dzs'Kreises

Rügen, bearb. a. Walther Ohh u. Gerd Baier Leipzig ryd).

zer Siegel geschnitten habe. Da das vierte Stralsunder Stadtsiegel rJ29 entsrand, ergabsich ftir §Tiedemann die Datierung auf »um r31o«, wie sie im aktuellen Inventar desGarzer Museums verzeichnet ist. Für die Annahme \Tiedemanns gibt es nicht den ge-ringsten Beweis, im Gegenteil, es ist abwegig anzunehmen, daß ein Priester zu solchenherausragenden künstlerischen Leistungen befähigt gewesen wäre. Die Handhabungder Goldschmiedekunst gehörte nicht zu seinem Ausbildungsgang. Für die Datierungdieses großen Siegels gilt das gleiche, was oben ftir das zweite Sekretsiegel gesagt wor-den ist.

Neue Erkenntnisse über den Status von Garz werden sich aus exakten Datierungender siegel allerdings nicht gewinnen lassen. Es ist schon gesagt worden, daß die Zu-kunftsaussichten der jungen Kommune am Beginn des 14. Jahrhunderts düster warenund ihren Ausdruck in den Sicherheitsklauseln fanden, nach denen der Priester Rot-ger seine Einkünfte auch dann bekommen werde, wenn »civiras nosrra dicta Gartzein opidum vel in villam conversa fuerit vel eciam desolate, depopulata vel quocunquemodo destructa vel in alium locum translata fuerito, wie es in der Urkunde von rJrgheißt." ry26 ist nicht mehr von »civiras Gartzeo, sondern vom »oppidum Gartzen dieRede.3'Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von »civiras«, »oppidumo und ,villaoin der zeitnahen Vorläuferurkunde fällt der Gebrauch des Begriffes ,oppidumo auf.

:a PUB 3z.84von r3r9 September 8, ftirstliche Genehmigung des Rentenverkaufs durch Garz an den Priester.t» PUB 445.

20 SYEN VICHERT

rlrl heißt es »ciyitas« Rugendal, r3r9 ,civitaso Garz, 17z6 »oppidum« Rugendal und»oppidumo Garz. Der'§V'echsel von »civitas« zu ,oppidum« in der Urkunde yon :,326

ist unter diesen Bedingungen nicht auf Versehen, Nachlässigkeit oder Unkenntniseiner nachfolgenden Ratsherrengeneration zurückzuführen, sondern als Spiegelung

einer zwischen r3r9 und ry26 erfolgten »conversio civitatis Garze in oppidumn, wie sie

schon r3r3 und auch ryr9 in Aussicht stand. ,Der Niedergang zu einem Fleckenn, den

die drei Autoren ßkatzke, Reimann und Ruchhöft erst ftir das 16. Jahrhundert feststel-

len zu können glauben, hat also schon viel früher stattgefunden.'o Oder besser gesagt:

Es hat gar keinen Niedergang gegeben, weil Garz sich nie über diesen untergeordne-ten Status erhoben hat.

Gottlieb v. Rosen, dem die drei Autoren, ohne ihn zu nennen, folgen, meint den

Niedergang des Ortes daran ablesen zu können, daß er von ry76 bis ry86 nicht, wiees zuvor üblich gewesen war, als »civitas«, sondern als Flecken bezeichnet wurde undzudem ein fürsdicher Stadwogt in Erscheinung traL4t Die Schwankungen in der Be-

griffswahl müssen nun nicht zwingend mit einem tatsächlichen'§V'andel der Erschei-nung einhergehen. Die Verwendung des Begriffes »civitas« kann als Ausdruck vonStolz gedeutet werden, der Übergang zum BegriffrFleckenn als begrifliche Anpassung

an die Realität. Gleich gar nicht können die Aktivitäten eines ftirstlichen Stadwogtes

als Indiz für einen Niedergang der Siedlung gelten, denn dem rechdichen Status tatder Vogt keinen Abbruch.

Zum rechtlichen Aspekt noch ein paar Bemerkungeni rytj gestatteten die Ratmän-ner von Garz den Schustern und Schneidern, sich in Amtern zu organisieren und sich

die Freiheiten und Statuten zu nehmen, wie sie in den Städten mit Schweriner Rechtgalten." Heidelore Böcker zieht daraus den Schluß, daß Garz mit Schweriner Stadt-recht ausgestattet sei." Dagegen behauptet Dieter Pötschke, daß es sich nicht um das

Schweriner Stadt-, sondern um das Schweriner Landrecht gehandelt habe." Letzteres

sieht Pötschke, wenigstens zu Teilen, im Rügenschen Landrecht des Matthäus v. Nor-mann überliefert." Und in der Tät beschäftigt sich der Autor Matthäus v. Normannin seiner Rechtsaufzeichnung auch mit Fragen der Amter bary'. Gilden.as Leider kanndas Rügensche Landrecht in seiner Fassung aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhundertsnichts zur Erhellung der Garzer Vorgänge aus der Mitte des 14. Jahrhunderts beitra-gen, weil es sich entgegen Pötschkes Auffassung nicht um tradiertes Schweriner Land-

C. Kratzke, H. Reinann, F. Ruchhört (wie An-. r), S. lZ.Das älteste Stadtbuch der Stadt Garz auf Rügen (Quellen zur Pommerschen Geschichte, r) bearb. von Gott-lieb v. Rosen, Stettin 1885, S. IV.Ebd., S. z, Nr. 6, und S. 39, Nr. rz4.Heidelore Böcker, Keinstidte und Stadther im Fürstentum Rügen, in: W'iss. Zs. d. E.-M.-A.-Univ. Greifs-wald, Gesellschaftswissenschaftliche Reihe, 36 Gq8Z), S. ror-ro4, hier S. roz.Dieter Pötschhe, Neue rechtshistorische Erkenntnisse zum Rügischen landrecht aufgrund der wiedergefunde-nen Originalhandschrift des Matthäus Normann aus dem Jahre r5zz, in: BSt N.F. 8z Ggg6), S. 64-78, hier S.

69 und S. 72, Anm.64.Ebd., S. 7o. Die Originalhandschrift des Rügenschen landrechtes unterscheidet sich nach frdl. Aukunft Pötsch-kes nicht wesentlich von der schon bekannten Variante bei: Matthaeus v Normanns, vormals Fürstl. Land-vogt aufRügen §ü'endisch-Rugianischer landgebrauch, hg. von Thomas Heinrich Gadzbrcch, Stralsund 1777.

M. v. Normann (wie Anm. +l), Tit. CC)OC{IV: Von den Innungen und Gilden allgemein auf Rügen.

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RUGENDAHL UND GARZ

recht handelt. Matthäus v. Normann schreibt nicht davon, ,daß auf Rügen nebendem »Rügianischen Gebrauche, sowohl dänisches, als auch wendisches und Schweri-ner Recht gelte«, wie Pötschke behauptet,', sondern davon, daß es einst gegolten habe,aber inzwischen abgeschaft sei. unter der Überschrift »Von der allgemeinen Bauern-schaft im Fürstentum Rügen, ihren Rechten und allgemeinem Gebrauch, was vonalters her für wendisches Recht gehalten wurde«" gibt Matthäus v. Normann einenhistorischen Rückblick auf die Rechtspraxis auf Rügen. Danach habe die gleichzeitigeGeltung des wendischen, des dänischen und des Schweriner Rechtes zu Rechtsunsi-cherheit geftihrt. Um hier Abhilfe zu schafFen, sei die Rechtsprechung nur noch aufder Grundlage des sogenannten wendischen Rechtes vorgenommen worden. Zusätz-lich ftlhrt er als Begründung an, daß

,das Fürstentum Rügen nicht dänischer oder schwerinscher Obrigkeit zugehörig,

sondern allein der löblichen Herrschaft Stettin in Pommern usw., die immerwendische Fürsten und Herren, auch die rüganischen nicht Dänen, sondern'§f'enden

gewesen sind und ohne Zwangsmittel den'W'enden unterworfen waren,

so soll allein wendisches Recht auf Rügen angewendet und gebraucht werden.nn,

Es kann sich also beim Rügenschen Landrecht nicht um die älteste erhaltene Auf-zeichnung des Schweriner Landrechts handeln. Ebenso ist Pötschkes Einwand gegenHeidelore Böcker, im Garzer Stadtbuch sei bei dem Verweis zum Jahre 1353 auf das

Schweriner Recht nicht das Stadt-, sondern das Landrecht gemeint, als unbegrün-det abzulehnen. Landrechte haben innerstädtische und zünftische Angelegenheitennicht zum Gegenstand. Gleichwohl ist Heidelore Böckers Ansicht nicht vollständigzu übernehmen, denn der Umstand, daß die Ratsherren

,hebben gheven den schomakeren unde den schroderen in user stat eyn werk,ammet unde ghylde my't aller tubohorynghe, vrygheyt unde myt allen artyke-len, also andere stede hebben, de dar lygghen tu swerynschen rechten,so

muß keinesfalls bedeuten, daß Garz mit Schweriner Stadtrecht begabt gewesen sei.

ZweiJahre später, r3;5, erhalten die Schuster zu Bergen vom dortigen Nonnenklosterals dem Grundherren die Berechtigung zur Bildung einer Zunft. Im darüber ausge-

stellten Privileg findet sich eine Vendung mit dem Verweis auf die Gewohnheitenin anderen Städten, die der bei den Garzer Ratsherren zu lesenden ähnlich ist: »Ockmöghen se entfan knechte in ere werk, se schölen em dun, alse in anderen sted inrecht is«.5' Bergen erkaufte sich sein Stadtrecht erst 1613. Der Einwand, im Bergener

qz D. Pötschke (wie Anm. 44, S. 70.<e M. v. Norrnann (wie Anm. a5), Tit. CII.4g M. v. Norrnann (wie Anm. +l), Tit. CII.5o G. v. Rosen (wie Anm. 4r), S. 39, Nr. rz4.It Zitiert nach dem Abdruck bei Alfred Haas, Beiträge zur Geschichte der Stadt Bergen auf Rügen, Bergen 1893,

s. rz.

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22 SVEN w'ICHERT

Fall sei es ein Privileg des klösterlichen Grundherrn gewesen, in Garz dagegen hätten

die Ratsmänner aus eigener Machwollkommenheit gehandelt, zeigt zwar zwingend,

daß Garz mit einem Stadtrecht ausgestattet gewesen ist, schließt aber nicht ein, daß

es sich um das Schweriner gehandelt habe. Auch in der auf den zr. Juni 477 datier-

ten Bestätigung deoRechticheiden« seitens des pommerschen Herzogs werden diese

nicht näher erläutert."Es bleibt festzuhalten: Zwar ist ein neuer Vorschlag, wie das untergegangene Ru-

gendal lokalisiert werden könne, in die Diskussion eingeftihrt worden, doch bleiben

die blinden Flecke in unserem Bild der Geschichte von Rugendal und Garz erhalten.

Mit der erstmaligen Vorstellung des Rugendaler Siegels ist den Spezialisten die Mög-

lichkeit gegeben, eine Erklärung für die eigenartige Kombination Rügenscher und

vordergründig Rostocker Zeichen zu liefern.

lz Sammlung gemeiner und besonderer Pommerscher und Rügischer Landesurkunden, Bd. II, hg. v. JohannCd Dähnert, Stralsund 1767, S. 464.