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Vampirglaube und orthodoxe Kirche im osmanischen Südosteuropa. Ein Fallbeispiel für die Ambivalenzen vorsäkularer Rationalisierungsprozesse Ioannis Zelepos Die Auseinandersetzung mit südosteuropäischer Kulturgeschichte in der osma- nischen Periode ist bis heute stark von Forschungsperspektiven geprägt, die bereits im 19. Jahrhundert etabliert wurden und seitdem kaum in Frage gestellt worden sind. Das betrifft in erster Linie die Wahrnehmung dieser Periode als eines historischen „Einschubs“ zwischen Mittelalter und Moderne, der dement- sprechend entweder unter Rückgriff auf vorangegangene Epochen definiert wird, z.B. als „postbyzantinisch“ 1 , oder aber im Hinblick auf die Folgezeit, wo- für der Begriff „vormodern“ signifikant ist, der in diesem Zusammenhang häu- fig gebraucht wird. Bis zu einem gewissen Grade reflektieren solche und ähn- liche Begriffskonstruktionen auch den Unwillen insbesondere der älteren For- schung, in der osmanischen Periode eine selbstständige Epoche südosteuro- päischer Kulturgeschichte mit spezifischer Eigendynamik zu erkennen. Dies liegt weniger daran, dass es an diesbezüglichen Indizien mangeln würde, als vielmehr an der Dominanz eines konkurrierenden Deutungsmusters, das die Osmanenzeit vornehmlich in Kategorien von Fremdherrschaft fasst und mit Vorstellungen kultureller Stagnation sowie unfreiwilliger Abkoppelung der christlichen Balkanvölker von Europa assoziiert. Diese wertende und im Kern statische Wahrnehmung der osmanischen Periode wurde aus naheliegenden Gründen vor allem in den südosteuropäischen Nationalhistoriographien kulti- 1 Zum Ausdruck „postbyzantinisch“ vgl. etwa den begriffsbildenden Klassiker: Nicolae IORGA, By- zance après Byzance. Bukarest 1935. Auch in der Historiographie zum Osmanischen Reich gibt es solche Deutungsmuster. So wird die Periode vom Tod Mehmets III. bis zu den Tanzimat-Reformen als „postklassisch“ bezeichnet, vgl. etwa Surayia FAROQHI (Hg.), The Cambridge History of Tur- key, Bd. 3: The Later Ottoman Empire (1603–1839). Cambridge 2006, wo dieser Begriff als Epochen- merkmal fungiert.

Vampirglaube und orthodoxe Kirche im osmanischen Südosteuropa

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Vampirglaube und orthodoxe Kirche im osmanischen Südosteuropa. Ein Fallbeispiel für die Ambivalenzen vorsäkularer Rationalisierungsprozesse Ioannis Zelepos Die Auseinandersetzung mit südosteuropäischer Kulturgeschichte in der osma-nischen Periode ist bis heute stark von Forschungsperspektiven geprägt, die bereits im 19. Jahrhundert etabliert wurden und seitdem kaum in Frage gestellt worden sind. Das betrifft in erster Linie die Wahrnehmung dieser Periode als eines historischen „Einschubs“ zwischen Mittelalter und Moderne, der dement-sprechend entweder unter Rückgriff auf vorangegangene Epochen definiert wird, z.B. als „postbyzantinisch“1, oder aber im Hinblick auf die Folgezeit, wo-für der Begriff „vormodern“ signifikant ist, der in diesem Zusammenhang häu-fig gebraucht wird. Bis zu einem gewissen Grade reflektieren solche und ähn-liche Begriffskonstruktionen auch den Unwillen insbesondere der älteren For-schung, in der osmanischen Periode eine selbstständige Epoche südosteuro-päischer Kulturgeschichte mit spezifischer Eigendynamik zu erkennen. Dies liegt weniger daran, dass es an diesbezüglichen Indizien mangeln würde, als vielmehr an der Dominanz eines konkurrierenden Deutungsmusters, das die Osmanenzeit vornehmlich in Kategorien von Fremdherrschaft fasst und mit Vorstellungen kultureller Stagnation sowie unfreiwilliger Abkoppelung der christlichen Balkanvölker von Europa assoziiert. Diese wertende und im Kern statische Wahrnehmung der osmanischen Periode wurde aus naheliegenden Gründen vor allem in den südosteuropäischen Nationalhistoriographien kulti-

1 Zum Ausdruck „postbyzantinisch“ vgl. etwa den begriffsbildenden Klassiker: Nicolae IORGA, By-

zance après Byzance. Bukarest 1935. Auch in der Historiographie zum Osmanischen Reich gibt es solche Deutungsmuster. So wird die Periode vom Tod Mehmets III. bis zu den Tanzimat-Reformen als „postklassisch“ bezeichnet, vgl. etwa Surayia FAROQHI (Hg.), The Cambridge History of Tur-key, Bd. 3: The Later Ottoman Empire (1603–1839). Cambridge 2006, wo dieser Begriff als Epochen-merkmal fungiert.

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viert, erwies sich jedoch zugleich als bestens kompatibel mit eurozentrischen Perspektiven der internationalen Südosteuropaforschung. Eine zentrale Schnitt-stelle bildet dabei nach wie vor die implizierte Gleichsetzung von Moderni-sierung und Nationalstaatsbildung, wobei diese beiden Begriffe nicht selten als Chiffre füreinander stehen und somit austauschbar sind. Für diese Gleichsetzung können durchaus inhaltliche Gründe geltend gemacht werden, denn es steht außer Frage, dass Nationalstaatsbildungen und Moderni-sierung in engem Wechselverhältnis zueinander standen. Abgesehen davon je-doch, dass ihr eine latent deterministische Tendenz innewohnt, ist sie denkbar schlecht geeignet, historische Entwicklungsaspekte und insbesondere Innova-tionsphänomene in vornationalen und vorsäkularen Kontexten angemessen zu erfassen. Für das osmanische Südosteuropa liegt dabei ein zentraler Aspekt in der Frage nach dem Verhältnis von Orthodoxie und kritischem Rationalismus im Rahmen eines Modernisierungsprozesses2, der sich in dieser Region seit dem 18. Jahrhundert am besten dokumentierbar in Gestalt einer zunehmend intensiven Rezeption der westeuropäischen Aufklärung manifestierte. Die dies-bezügliche Forschung nimmt in dieser Hinsicht üblicherweise eine recht ein-deutige Rollenverteilung vor, indem sie die orthodoxe Kirche unter Hinweis auf ihren konservativ-traditionalistischen Grundzug in erster Linie als einen Faktor der Stagnation begreift und in dieser Eigenschaft zugleich als eine Folie für die Betrachtung der überzeugten Aufklärer nutzt, denen umso mehr Aufmerk-samkeit gewidmet wird, als ihre Zahl im osmanischen Südosteuropa insgesamt als recht überschaubar bezeichnet werden kann. Natürlich ist die genannte Zuschreibung in vieler Hinsicht schlüssig und lässt sich mit einer Vielzahl empirischer Belege stützen, darunter nicht zuletzt die überaus heftige Ableh-nung, mit der die orthodoxe Kirche im 18. Jahrhundert etwa kopernikanischem

2 Die Vieldeutigkeit und potentielle Mißverständlichkeit des Modernisierungsbegriffs kann an die-

ser Stelle nicht weiter erörtert werden. Unter „Modernisierung“ wird hier in weitem Sinne ein übergreifender allerdings nicht determinierter Wandlungsprozeß von gesamtgesellschaftlicher Relevanz verstanden, der durch wachsende Dynamisierung gekennzeichnet ist und sich auf sehr unterschiedlichen Handlungsebenen – ökonomischen, sozialen, kulturellen, wie auch geistesge-schichtlichen – abspielt, zwar nicht überall zeitgleich und mit derselben Intensität, aber aufgrund vielfältiger Wechselverhältnisse eindeutig als kohärentes Phänomen erfaßbar.

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Heliozentrismus, newtonscher Physik und anderen Erkenntnissen der moder-nen Naturwissenschaft begegnete.3 Ihre undifferenzierte Verabsolutierung führt jedoch zu einseitigen und im Er-gebnis verkürzenden Wahrnehmungen der Aufklärung in Südosteuropa, was insbesondere dann der Fall ist, wenn Ideentransfer und Rezeptionsprozesse ausschließlich linear definiert und auf schlichte Adaptionsmechanismen im Rahmen von intentionalem Handeln reduziert werden. Dass es sich dabei um weit komplexere und in der Praxis oft höchst ambivalente Phänomene handelte, wird dabei ebenso leicht ausgeblendet, wie der Umstand, dass die Herausfor-derung der Aufklärung auch in der orthodoxen Kirche selbst Wandlungspro-zesse auslöste. Deren Bedeutung für den allgemeinen Modernisierungsdiskurs in der Region sollte jedoch nicht unterschätzt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass kirchliche Deutungsmacht hier noch viel weniger erodiert war als im Westen und dass religiöses Schrifttum im orthodoxen Südosteuropa noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in der Regel ungleich breitere Adressatenkreise erreichte, als es die Werke selbst der prominentesten Aufklärer jemals ver-mochten.4 Auf den folgenden Seiten wird versucht, einen solchen Wandlungsprozess, der innerhalb der orthodoxen Amtskirche des Osmanischen Reiches stattfand und in seiner Art die Rezeption von aufklärerischem Rationalismus reflektiert, nach-zuzeichnen und die damit verbundenen Ambivalenzen aufzuzeigen. Als kon-kretes Fallbeispiel dient dabei der Umgang der Kirche mit dem Glauben an Vampire bzw. Wiedergänger, der im orthodoxen Südosteuropa weit verbreitet war und infolge seiner Medialisierung im 19. und 20. Jahrhundert sogar zu

3 Siehe dazu exemplarisch die Arbeit von: Vasilios MAKRIDES, Die religiöse Kritik am kopernikani-

schen Weltbild in Griechenland zwischen 1794 und 1821. Aspekte griechisch-orthodoxer Apologe-tik angesichts naturwissenschaftlicher Fortschritte. Frankfurt/M. 1995.

4 Das läßt sich anhand von Auflagenzahlen, Subskribentenlisten und Verteilernetzen dokumentie-ren. Zur griechischsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts siehe einschlägig: Émile LEGRAND, Bibliographie Hellénique, ou description raisonneé des ouvrages publiés par des Grecs au dix-huitième siècle, 2 Bde. Paris 1918 und 1928. Zur quantitativen Dominanz des religiösen Schrifttums im selben Sprachraum während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe: Filippos ILIOU, Βιβλία και αριθµοί. Η µαρτυρία των τραβηγµάτων, Historica 14/15 (1991), 157–216. Die Befunde sind durchaus repräsentativ für das gesamte orthodoxe Südosteuropa, wo das Griechische in diesem Zeitraum außerdem eine Sonderstellung als Bildungssprache hatte.

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einem regelrechten Markenzeichen volkstümlichen Aberglaubens in dieser Re-gion avancierte.5 Die Frage nach den Wurzeln und den kulturanthropologischen Dimensionen des Vampirglaubens in Südosteuropa ist schon seit einiger Zeit Gegenstand ernsthafter kulturanthropologischer Forschungen, auf die an dieser Stelle jedoch nicht näher eingegangen werden kann.6 Hier ist lediglich festzuhalten, dass dieses Phänomen spätestens seit dem Spätmittelalter dokumentiert ist und offenbar bereits damals die orthodoxe Kirche in ihrer Eigenschaft als normative Instanz beschäftigte. Eines der ältesten dokumentierten Beispiele dafür bildet eine Abhandlung, die spätestens im 16. Jahrhundert auf Athos verfasst wurde und folgenden Titel trägt: Untersuchung des Markus von Serres über Vampire, und warum die Heilige Kirche Gottes nicht akzeptiert, dass diese Seuchen verursachen und Menschen fressen, wie man annimmt.7 Ihr Verfasser beschreibt darin zunächst das Phänomen, indem er die äußeren Symptome nennt, die bei exhumierten Leichen gemeinhin als Indizien für Vampirismus gedeutet wurden (Haarwuchs, verlängerte Zähne, rötliche Gesichtsfarbe, aufgedunsener Leib etc.), und übliche Behandlungsme-thoden aufzählt (Durchbohrung des Körpers bzw. des Herzens und/oder der Leber der Leiche mit einem Holzpfahl, Verbrennung etc.). Es folgt eine Wider-legung, die sich auf die Autorität der Kirche beruft und versucht, zumindest

5 Siehe dazu exemplarisch die Arbeiten von: Dieter HARMENING, Der Anfang von Dracula. Zur Ge-

schichte von Geschichten. Würzburg 1983, und Hagen SCHAUB, Blutspuren. Die Geschichte der Vampire. Auf den Spuren eines Mythos. Graz 2008.

6 Siehe dazu Peter M. KREUTER, Der Vampirglaube in Südosteuropa: Studien zur Genese, Bedeutung und Funktion. Rumänien und der Balkanraum. Berlin 2001.

7 Μάρκου µοναχού Σερρών Ζήτησις περί βουλκολάκων και δια τί ου δέχεται η αγία του θεού εκκλησία, ότι υπʹ αυτών γίνωνται τα θανατικά, και υπολαµβάνοµεν ηµείς ότι υπʹ αυτών εσθιόµεθα. Der Text befindet sich im Kod. Nr. 520 des Iviron-Klosters auf Athos und wurde von Spyridon Lampros ediert in der Zeitschrift Νέος Ελληνοµνήµων 1 (1904), H. 4, 336–352. Die Datierung des Textes auf das 16. Jahrhundert markiert lediglich einen ungefähren Terminus ante quem, der sich allein auf das Alter des Kodex stützt. Dieser enthält jedoch nicht das Original son-dern eine Abschrift, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Abhandlung, über deren Verfasser ansonsten nichts bekannt ist, deutlich früher entstanden ist. Zur Begrifflichkeit sei an-gemerkt, dass der hier verwendete Terminus βουλκόλαξ (anderswo auch βρικόλαξ bzw. βρυκό-λαξ) in den griechischen Quellen durchweg synonym mit τυµπανιαίος (bzw. τυµπανίας oder τυµπανίτης) gebraucht wird.

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einige der genannten Symptome auf natürliche Weise zu erklären.8 Wie bereits der Titel andeutet, richtet sich dies jedoch vor allem gegen die Vorstellung, dass Vampire Seuchen verursachen und Menschen fressen würden, wohingegen eine grundsätzliche Verurteilung des Vampirglaubens an sich zumindest in explizi-ter Form nicht vorgenommen wird. Diese Auslassung könnte theoretisch zwar darauf zurückgeführt werden, dass der Verfasser dies für selbstverständlich hielt folglich keiner besonderen Erwäh-nung würdigte, jedoch sind im vorliegenden Fall auch noch andere Erklärungs-möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Dabei ist zu zunächst zu berücksichtigen, dass die schlichte Leugnung übersinnlicher Phänomene aus der Perspektive reli-giöser Argumentationen naturgemäß immer ein sensibles Unterfangen darstellt, weil davon eine potenzielle Gefährdung des ganzen Lehrgebäudes ausgeht, was umso mehr dann zutrifft, wenn zu dessen integralen Bestandteilen der Glaube an Wunder, Engel und Dämonen gehört, wie es im Christentum der Fall ist. Abgesehen davon ist hier aber auch noch ein weiterer Aspekt von Bedeutung, der mit den jurisdiktionellen Kompetenzen der orthodoxen Kirche im Osmani-schen Reich zu tun hat. Die osmanischen Sultane übertrugen bei der Eroberung Südosteuropas dem orthodoxen Klerus durch Privileg Kompetenzen weltlicher Rechtsprechung, was zwar im Grunde nur eine in der Region bereits vorher bestehende Realität sanktionierte, jedoch zur Einbindung der Kirche in das Institutionsgefüge des Staates beitrug und insofern einen wichtigen Schritt zur nachhaltigen Herrschaftskonsolidierung in Gebieten darstellte, die überwiegend von orthodoxen Christen bevölkert waren.9 In der Praxis erstreckte sich die

8 Das betrifft etwa die Veränderung der Körperhaltung sowie das Wachstum von Haaren und Fin-

gernägeln bei Verstorbenen (EBD., 345 f.). Interessanterweise wird dabei auch auf den Faktor menschlicher Einbildungskraft verwiesen (EBD ., 348). Insgesamt argumentiert der Verfasser jedoch nicht stringent, sondern gefällt sich in zahlreichen Exkursen, deren offensichtlicher Zweck in der Präsentation eigener Gelehrsamkeit besteht, siehe etwa 343 f. über Pilze, gefolgt von einigen (Pseu-do-)Etymologien, sowie 351 f. über die Körpersäfte nach Galen.

9 Als Ausgangspunkt wird dabei üblicherweise die Einsetzung von Gennadios Scholarios als Patri-arch von Konstantinopel durch Mehmet II. im Jahre 1454 zugrunde gelegt, siehe dazu: Gunnar HE-RING, Das islamische Recht und die Investitur des Gennadios Scholarios (1454), Balkan Studies 2 (1961), 231–256. Siehe zu diesem Thema auch: Theodore PAPADOPOULLOS, Studies and Documents Relating to the History of the Greek Church and People under Turkish Domination. Brüssel 1952; Nikolaos PANTAZOPOULOS, Church and Law in the Balkan Peninsula during the Ottoman Rule. Thessaloniki 1967; Paraskevas KONORTAS, Οθωµανικές θεωρήσεις για το Οικουµενικό Πατριαρ-

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kirchliche Jurisdiktion weitgehend auf Auseinandersetzungen um Privatbesitz und/oder auf familien-, ehe- sowie erbrechtliche Angelegenheiten. Allerdings hatten kirchliche Gerichtshöfe kein Monopol auf die Rechtsprechung unter Orthodoxen, für die bei Bedarf auch die islamischen Gerichte offen standen. Auch konnten sie in der Regel nicht auf staatliche Exekutivorgane zurückgrei-fen, um Urteile durchzusetzen, so dass als faktisches Machtmittel für die Aus-übung der kirchlichen Rechtsprechung letztendlich nur die Verhängung religiö-ser Strafen zur Verfügung stand. Das betraf namentlich die Exkommunikation, die üblicherweise für alle möglichen Vergehen ausgesprochen wurde, ganz ei-nerlei, ob diese religiöser Natur waren oder nicht.10 Je nach Schwere des Tat-bestands gab es dabei verschiedene Stufen, die sich aus der zeitlichen Dauer sowie der Intensität der Exklusion des Verurteilten ergaben (Ausschluss von der Kommunion, vom Gottesdienst, vom Kirchengebäude, von der Gemeinde etc.). Absolute Höchststrafe bildete dabei die als „Anathema“ bezeichnete Verurtei-lung über den leiblichen Tod hinaus, die (jedenfalls im Prinzip) als irreversibel galt und somit ewiger Verdammnis gleichkam. Nach einer theologisch-dogmatisch zwar gänzlich unbegründeten, in der Praxis darum jedoch nicht weniger verbreiteten Auffassung, führte die ewige Ver-dammnis dazu, dass der Leib des Verstorbenen infolge des unerlösten Zustands seiner Seele nicht verwesen konnte und er zum Wiedergänger bzw. Vampir wurde. Diese enge Koppelung von Exkommunikationsfluch und Wiedergänger-tum war nicht nur fester Bestandteil volkstümlicher Alltagskultur, was sich un-ter anderem an Personenflüchen ablesen lässt, die in der Region bis zum heuti-gen Tage in Gebrauch sind, sondern wurde auch in offiziellen Bannformeln der orthodoxen Amtskirche verwendet, was ihre feste Verankerung im gesellschaft-lichen Bewusstsein eindrücklich dokumentiert.11

χείο. Βεράτια για τους προκαθήµενους της Μεγάλης Εκκλησίας (17ος–αρχές 20ού αιώνα).

Athen 1998, zur Verflechtungsgeschichte von Kirche und osmanischem Staat. 10 Siehe dazu einschlägig: Panagiotis Panagiotis MICHAILARIS, Αφορισµός. Η προσαρµογή µιας ποινής στις ανάγκες της Τουρκοκρατίας. Athen 1997.

11 Siehe exemplarisch aus einer Fülle von Beispielen folgenden Auszug aus einem Synodalschreiben, das Kyrillos Loukaris (1572–1638) in seiner Eigenschaft als Patriarch von Konstantinopel im Jahre 1621 zur Aufhebung eines Beschlusses des Metropoliten von Philadelphia (de facto das geistliche Oberhaupt der Orthodoxen im venezianischen Herrschaftsbereich) erließ (zitiert nach Manousis MANOUSAKAS, Συλλογή εγγράφων περί των µητροπολιτών Φιλαδελφείας, Θησαυρίσµατα 6

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So lässt sich feststellen, dass der volkstümliche Vampirglaube ganz unabhängig davon, wo seine kulturgeschichtlichen Ursprünge in Südosteuropa zu verorten sein mögen, im konkreten Kontext der osmanischen Orthodoxie eine eindeutig systemstabilisierende Funktion erfüllte, da er es ermöglichte, aus unverwesten Leichen vermeintlich handgreifliche Beweise nicht nur für die Existenz der ewigen Verdammnis abzuleiten, sondern – wichtiger noch – für die Macht der kirchlichen Justiz, deren Autorität sich dadurch wirksam unterstreichen ließ. Dieser Zusammenhang zwischen Vampirglauben und den praktischen Belangen orthodoxer Rechtsprechung im Osmanischen Reich lässt sich sehr gut anhand eines Traktats illustrieren, das zwischen 1697 und 1701 entstand und den Titel Über die Exkommunikation trägt. Es hat durchaus offiziellen Charakter, denn es stammt vom damaligen Patriarchen von Jerusalem, Chrysanthos Notaras (1669–1707), der es im Auftrag des Fürsten der Walachei, Constantin Brâncoveanu (1654–1714) verfasste.12 Chrysanthos war als Patriarch nicht nur einer der fünf höchsten Würdenträger der Ostkirche, sondern zählt auch zu den bedeutend-sten orthodoxen Gelehrten seiner Zeit, aus dessen Feder unter anderem die ers- te ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit den Lehren des Kopernikus stammt, die im osmanischen Südosteuropa artikuliert wurde.13

(1969), 7–11, hier 38 f.): „Wenn aber jemand widerspenstig und ungehorsam diese unsere patriarchale Entscheidung nicht befolgt […] sei er exkommuniziert aus der Gemeinschaft Gottes, verflucht und ohne Vergebung und er soll unverwest bleiben nach seinem Tode, jetzt und in Ewigkeit, und zum Vampir wer-den, und er habe die Flüche der Heiligen Väter der Konzile von Nikaia und möge die Lepra des Gehasi erben und die Schlinge des Judas.“ („Αν δε απειθής και ανυπότακτος αθετήση τήνδε την ηµετέραν πατρι-αρχικήν απόφασιν […] αφορισµένος [είη] από Θεού, κατηραµένος και ασυγχώρητος και άλυτος µετά θάνατον εν τω νυν αιώνι και τω µέλλοντι και τυµπανιαίος και εχέτω τας άρας των αγίων πατέρων των εν Νικαία συνόδων και κληρονοµησάτω την λέπραν του Γιεζί και την αγχονήν του Ιούδα.“).

12 Der Text ist ediert von: Panagiotis MICHAILARIS, Η πραγµατεία του Χρυσάνθου Ιεροσολύµων «Περί αφορισµού». Athen 2002.

13 Es handelt sich dabei um seine Εισαγωγή εις τα Γεωγραφικά και Σφαιρικά, die 1716 in Paris er-schien. Chrysanthos verwarf dort den Heliozentrismus, was wenig verwunderlich ist, da er darin mit fast allen seiner klerikalen Zeitgenossen in Ost und West übereinstimmte. Interessant ist dage-gen, dass er sich dabei nicht erster Linie auf die Heilige Schrift als göttliche Offenbarung stützte, was in rein theologischer Hinsicht völlig hinreichend gewesen wäre, sondern vielmehr dahin-gehend argumentierte, dass die astronomischen Phänomene ebenso gut auch durch den schrift-konformen ptolemäischen Geozentrismus erklärt werden könnten (dass er mit den Beobachtun-gen eines Galilei offensichtlich nicht vertraut war, versteht sich, allerdings teilte er auch diese Eigenschaft mit den meisten seiner klerikalen Zeitgenossen in Ost und West). Damit akzeptierte er

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Das Traktat enthält eine ausführliche und systematisch aufgebaute Erläuterung der Exkommunikation und ihrer verschiedenen formalrechtlichen Aspekte so-wie eine sehr pragmatische Kritik an der zeitgenössischen Anwendungspraxis, in deren Rahmen der Verfasser auch für die sorgfältige Einhaltung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit plädiert und vor übermäßigem Gebrauch warnt, der zu Abnutzungserscheinungen führen würde.14 Der Schlußteil des Traktats wird mit einer klaren Aussage über den Zusammen-hang zwischen Exkommunikation und Wiedergängertum eingeleitet: „Alles was wir bisher erwähnt haben, sind Folgen, welche die lebendigen Exkommunizierten betref-fen; was jedoch aus der Exkommunikation folgt, wenn die Exkommunizierten sterben, ist nur eine einzige Sache, allerdings die schrecklichste und schlimmste, nämlich der Vampir ...“15 Dies wird daraufhin im Einzelnen erläutert, wobei das erkennbare Hauptanlie-gen des Verfassers darin besteht, auch in dieser Hinsicht ein systematisiertes und in sich schlüssiges Bild zu präsentieren. Gleich zu Beginn betont er daher ausdrücklich, dass Wiedergängertum grundsätzlich auf göttliches Einwirken zurückzuführen und folglich als Wunder zu betrachten sei – eine Feststellung, die er übrigens umgehend zum Anlaß für einen bezeichnenden Seitenhieb gegen die römisch-katholische Kirche nimmt: „Also mögen die römischen Papisten [...] auch dadurch beschämt sein, die behaupten, es gäbe heutzutage in der Ostkirche keine Wunder mehr, denn auch dieses Wunder der Vampire stopft ihnen den Mund, und

unausgesprochen den Primat des Empirieprinzips, das einen Kernaspekt aufklärerischen Denkens und moderner Naturwissenschaft darstellt. Zu Person, Werk und Bedeutung von Chrysanthos Notaras siehe: Pinelopi STATHIS, Χρύσανθος Νοταράς Πατριάρχης Ιεροσολύµων. Πρόδροµος του Νεοελληνικού Διαφωτισµού. Athen 1999.

14 Siehe MICHAILARIS, Η πραγµατεία του Χρυσάνθου Ιεροσολύµων, 65/636–646: „… denn die Ge-wohnheit nimmt jeder Sache die Furcht. […] Wenn die hochrangigen Priester die große Exkommunikation für große Anlässe und Sünden aufsparen würden, wäre sie nicht so verachtet, aber da sie sie für jede Bagatelle aussprechen, scheren sich die Leute nicht darum, denn sie haben sich daran gewöhnt.“ („… επειδή και η συνήθεια αφαιρεί εις κάθε πράγµα τον φόβον […] οθεν οι αρχιερείς αν εκρατούσαν τον αφορισµόν δια µεγάλας αιτίας και αµαρτίας, δεν ήτον τόσον καταφρονεµένος, αµή διατί τον δίδουν εις κάθε παραµικράν αιτίαν, δεν τον πολυψηφούσιν, επειδή και τον εσυνήθισαν.“).

15 EBD., 89/1308–1314: „Ταύτα όσα είπαµεν ως ενταύθα, είναι τα αποτελέσµατα οποία προέρχονται εις τους ζώντας αφορισµένους· εκείνο δε οπού συνακολουθεί και έπεται από τον αφορισµόν αφʹ ού αποθάνουσιν οι αφορισµένοι, είναι ένα και µόνον· αλλʹ όµως το πλέον φοβερόν και τροµερόν ήτοι ο τυµπανίας, δηλαδή το αποτέλεσµα των τυµπανιαίων ή τυµπανιτών …“

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sie sollten es nicht für Lug und Trug halten ...“16 – Vampire figurieren hier also als Bestandteil eines recht offensiv artikulierten Konzepts orthodoxer Eigenidenti-tät. Der Verweis auf die Wunderhaftigkeit des Phänomens mag aus säkularer Per-spektive mit einem rationalisierenden Ansatz unvereinbar erscheinen, erfüllte im vorliegenden Kontext jedoch genau diese Funktion, indem er etwas, das eigentlich in der Grauzone von Volks- bzw. Aberglauben lokalisiert war, in die Sphäre des durch Kodifizierung legitimierten christlichen Dogmas eingliederte. Abgesehen davon ermöglichte die Berufung auf das Wunder als Ausdruck der Allmacht Gottes – dessen Ratschlüsse für den Menschen bekanntlich allenfalls partiell ergründbar sind – auch die Erklärung verschiedener ansonsten rätsel-hafter Phänomene, z.B. warum auch Verstorbene zu Vampiren werden konnten, die zu Lebzeiten gar nicht exkommuniziert worden waren, und warum es ande-rerseits exkommunizierte Tote gab, denen dieses Schicksal erspart blieb. Tat-sächlich nimmt die Erörterung dieser Fragen den Großteil des Schlußkapitels in Anspruch, was zugleich ein Indiz für die Bedeutung liefert, die sie im Alltags-leben der Gläubigen gehabt haben dürften.17 In diesem Zusammenhang stellt der Verfasser auch einige Überlegungen über mögliche Gründe für die ver-schiedenen Hautfarben von Vampiren an, die potentiell typologisierenden Cha-

16 EBD., 89/1327–1332: „Όθεν και εκ τούτου ας αισχύνονται οι ρωµανιόλοι παπίσται, ή κάλλιον ειπείν τα παπίδια, οπού λέγουσιν ότι τώρα δεν γίνονται θαύµατα εις την ανατολικήν εκκλησίαν, επειδή και τούτο το θαύµα των τυµπανιαίων τους αποστοµίζει, το οποίον ας µην το νοµίζουσιν ψεύδος και απάτην …“

17 EBD., 89–104, siehe etwa 89/1323–1326: „… denn es trifft nicht nur die Schuldigen, sondern manchmal auch die Unschuldigen, also die Frauen, die Diener und die Tiere der Exkommunizierten.“ („… επειδή και διαπερνά όχι µόνον εις τους ενόχους, αλλά καµίαν φοράν και εις τους µη ενόχους, δηλαδή εις τας γυναίκας, εις τους δούλους και εις τα κτήνη των αφορσιµένων.“); 93/1435–1439: „Manchmal wird die Strafe also ohne Sünde verhängt, zum Exempel und zur Furcht für die Menschen, damit sie keine Morde und große Verbrechen begehen.“ („Κάποιαις φοραίς λοιπόν η ποινή ίδεται χωρίς αµάρτηµα, δια παράδειγµα και φόβον των αν(θρώπ)ων, εις το να λείπουσι δηλονότι από φόνους και µεγάλα κακά.“); und 103 f./1724–1731: „… der Vampir ist also normalerweise das Ergebnis der Exkommunikation und Verdammung durch die Priester, nicht aber notwendigerweise und immer, sondern nur dann, wenn der dies bewirkende Gott es will, denn wir sehen, dass die Verdammten nicht immer Vampire werden, diese nennt man aber einfach nur Exkommunizierte …“ („Είναι λοιπόν ο τυµπανιαίος αποτέλεσµα επό-µενον του αφορισµού και της κατάρας των αρχιερέων και ιερέων, και όχι αναγκαίον και παντο-τινόν, αλλʹ όταν µόνον θέλη να γίνεται ο εργαζόµενος τούτο θεός, διότι βλέποµεν πώς δεν γίνον-ται πάντοτε οι κατηραµένη τυµπανιαίοι, λέγονται δε οι τοιούτοι απλώς µόνον αφορισµένοι …“).

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rakter haben, obwohl auf ein solches Unterfangen letztlich verzichtet wird.18 Auch in dieser Hinsicht zeichnet sich ein Bemühen um Systematisierung ab, das für das ganze Traktat typisch ist, übrigens auch daran erkennbar wird, dass der Verfasser am Ende des Textes Rechenschaft über seine Informationsquellen gibt und sich dabei die Argumente logischer Schlüssigkeit sowie empirischer Evi-denz beruft.19 Darin zeigen sich Ansätze einer durchaus wissenschaftlichen Methodik, die jedoch nicht auf säkularem Skeptizismus beruhte, sondern vielmehr dem prag-matischen Zweck diente, einen offensichtlich weit verbreiteten Aberglauben in das etablierte religiöse Ordnungssystem einzubinden und auf diese Weise kon-trollierbar(er) zu machen. Im 18. Jahrhundert kam es in dieser Hinsicht zu einer Umdeutung, die schließ-lich zur klaren Distanzierung der orthodoxen Kirche vom Vampirglauben führ-te, in ihrer Form jedoch alles andere als widerspruchsfrei war. Als wichtige Re-ferenzquelle ist in diesem Zusammenhang eine Kanonsammlung zu nennen, die im Jahre 1800, also fast exakt einhundert Jahre nach Abfassung des Traktats von Chrysanthos, unter dem Titel Πηδάλιον [Steuerruder] in Leipzig erschien und bis heute den Rang eines kanonischen Standardwerks der orthodoxen Kirche hat.

18 EBD., 105/1763–1773: „Dass einige von ihnen völlig schwarz sind, einige schwärzlich und einige anders-

farbig, scheint entweder von den unterschiedlichen Sünden zu kommen, oder von der unterschiedlichen körperlichen Beschaffenheit und Eigenschaft des Toten, oder auch von der unterschiedlichen Grabeserde […] aber eigentlich müssen wir sagen, dass wir auch dafür den Grund nicht wissen und er nur Gott bekannt ist.“ („Το πώς δε κάποιοι απʹ αυτούς είναι ολότελα µαύροι, τίνες µελανοί, τίνες δε άλλου χρώµατος, τούτο φαίνεται να προέρχεται ή από την διαφοράν των αµαρτήµατων, ή από την διάφορον κράσιν των ποιοτήτων του νεκρού ή και από την διαφοράν της γης των µνηµάτων […] ή αληθέστερον να ειπούµεν και τούτων η αιτία είναι άγνωστος εις ηµάς, και µόνον τω θεώ γνωστή.“).

19 EBD., 105 f./1774–1787. Er beruft sich – wenn auch ohne genaue Stellenangaben – auf orthodoxe Kanoniker wie Aristinos, Balsamon und Zonaras und stellt dann fest (1779 f.): „Und wenn auch einige Dinge hinzugefügt wurden, so doch nicht ohne Grundlage, sondern erstens, weil sie sich logisch aus der Natur und Eigenschaft der Exkommunikation selbst ergeben, zweitens, weil andere weise Lehrer dasselbe sagen und drittens, weil sie niedergeschrieben wurden auf Grundlage genauer Untersuchung …“ („Τούτα οπού είπαµεν εώς τώρα περί του αφορισµού, αν καλά και δεν ευρίσκονται όλα οµού ρητώς εις τινα διδάσκαλον σηµειωµένα, σποράδην όµως περιέχονται εις τους παλαιούς ερµην-είς των ιερών κανόνων, Ιωάννην τον Σχολαστικόν, Βαλσαµών, Αριστηνόν και Ζωναράν· ειδέ και τινα προσετέθησαν αλλά όχι χωρίς θεµέλιον, το ένα διατί συνάγονται κατά λόγον από την φύσιν και ιδιότητα του αυτού αφορισµού, το άλλο ότι τα ίδια λέγουσι και άλλοι σοφοί διδάσ-καλοι και το τρίτον, ότι εγράφησαν µε ακριβή έρευναν …“).

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Sein Verfasser war Nikodimos Agioreitis (1749–1809), der aufgrund seines um-fangreichen Œuvres, das im 19. und 20. Jahrhundert in Griechenland, Rumänien sowie in Russland rezipiert wurde, ohne Frage zu den bedeutendsten theologi-schen Schriftstellern der neuzeitlichen Orthodoxie zählt.20 Das Steuerruder markiert aus verschiedenen Gründen einen epochalen Wende-punkt, denn es war nicht nur die erste orthodoxe Kanonsammlung im osmani-schen Südosteuropa, die gedruckt erschien, sondern stellte auch inhaltlich ein Novum dar, da es den gattungsbedingten Anspruch, ein möglichst vollständiges Regelwerk für das Alltagleben der Gläubigen zu liefern, in weit höherem Maße erfüllte als alle seine Vorgängerwerke.21 Das lag einerseits an der Systematik seines Textaufbaus, andererseits an den ausführlichen volkssprachlichen Erläu-terungen, nicht zuletzt aber auch an einem Schlagwortregister im Anhang, mit dem sich relevante Bestimmungen zu unterschiedlichsten Themen mühelos auf-finden ließen. Selbstverständlich wurde auch das Schlagwort Vampire in dieses Register aufge-nommen und mit einem Verweis versehen. Dieser führt den Leser zum 66. Ka-non Basilius’ des Großen (ca. 330–379), der eigentlich das Thema Grabraub be-handelt. Die Anmerkung, deren Umfang ein Vielfaches des eher lakonischen Kanontextes ausmacht („Der Grabräuber wird für zehn Jahre von der Kommunion ausgeschlossen.“ [„Ο τυµβωρύχος εν δέκα έτεσιν ακοινώνητος έσται.“]), ist je-doch einer ausführlichen Erörterung zum Vampirglauben gewidmet, den Niko-dimos mit eindringlichen Worten zu widerlegen versucht: „Es ist angemessen, dass wir in vorliegender Anmerkung hinzufügen, wie verurteilungswürdig jene Priester oder Laien sind, welche Gräber öffnen, um, wie sie sagen, die von ihnen so genannten Vampire zu finden und diese zu töten. Oh, was für ein elender Zustand der Unwissen-heit, in den die heutigen Christen gefallen sind!“22

20 Zu Person und Werk siehe einführend: Gerhard PODSKALSKY, Griechische Theologie in der Zeit

der Türkenherrschaft (1453–1821). Die Orthodoxie im Spannungsfeld der nachreformatorischen Konfessionen des Westens. München 1988, 377–382. Nikodimos wurde darum im Jahre 1955 auch offiziell heilig gesprochen.

21 Für eine historische Würdigung des Steuerruders siehe: PAUL Metropolit von Schweden und ganz Skandinavien, Η κανονική συλλογή «Πηδάλιον», in: Χαριστείον Σεραφείµ Τίκα Αρχιεπισκό-που Αθηνών και Πάσης Ελλάδος, Thessaloniki 1984, 147–166.

22 Siehe (auch zu den folgenden Passagen, zit. nach der 3. Aufl. aus dem Jahre 1864 bzw. Faksimile-edition, Thessaloniki 1998): „Αρµόδιον είναι εις την παρούσαν υποσηµείωσιν να προσθέσωµεν

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Auf diese Einleitung, deren letzter Teil geradezu ein Kernmotiv der zeitgenössi-schen Aufklärer im orthodoxen Südosteuropa aufgreift, folgt eine Reihe von Ermahnungen, die sich direkt an die Leser richten: „Brüder in Christo23, was für Irrtümer sind das, denen ihr anhängt? Was für dumme und kindische Vorstellungen, die ihr glaubt? Was für lächerliche Ränke sind das, mit denen Euch die Dämonen vom festen Glauben an Gott fernhalten und euch verspotten wie die unverständigen Kinder? Ich sage euch damit Ihr es wißt, dass Vampire niemals entstehen und es sie auf der Welt nicht gibt. Die Vampire, von denen Ihr sprecht, sind nichts anderes als ein falscher und kindischer Aberglaube, der aus eurer Furcht und eurem Unglauben entstanden ist ...“24 Im Verweis auf Dämonen zeichnet sich bereits eine Ambivalenz ab, die auch die weitere Argumentation kennzeichnet: „Es gibt keine Vampire, weil es unmöglich ist, dass der Teufel jemals einen Toten erweckt oder machen kann, dass ein vor ein oder zwei Monaten gestorbener Körper Blut oder Fingernägel hat [...] wie ihr euch einbildet. Die Vampire sind eine einfältige Vorstellung, denn wenn jemand diejenigen, die behaupten Vampire gesehen zu haben, genau befragt, wird er feststellen, dass sie das nur sagen, weil sie es von jemand anderem gehört haben. So scheint es mir oftmals und an vielen verschiedenen Orten geschehen zu sein.“25

πόσης καταδίκης είναι άξιοι εκείνοι οι Ιερείς ή λαϊκοί, οπού ανοίγουν τους τάφους, δια να εύρουν, λέγουν, τους παρʹ αυτών καλουµένους Βρικολάκους και να τους θανατώσουν. Ώ της ελεεινής καταστάσεως και αγνωσίας, εις την οποίν έφθασαν οι τωρινοί Χριστιανοί!“ NIKODIMOS [AGIOREITIS], Πηδάλιον της νοητής νηός της Μιας Αγίας Καθολικης και Αποστολικής των Ορθοδόξων Εκκλησίας, Thessaloniki 1998 (Nachdruck der Ausgabe 31864), 623 f.

23 Die Bezeichnung Christ bezieht sich hier wie in allen Schriften von Nikodimos Agioreitis ent-sprechend der damals allgemein üblichen Terminologie exklusiv auf Orthodoxe, während Ange-hörige anderer christlicher Konfessionen, soweit sie Erwähnung finden, mit abweichenden Begrif-fen bezeichnet werden, die latent bis akut negativ konnotiert sind, z. B. „Lateiner“, „Papisten“ (vgl. Anm. 13), „Lutherokalviner“ oder schlicht „Häretiker“.

24 Siehe Πηδάλιον, EBD.: „Χριστιανοί αδελφοί, τί πλάνες είναι αυταίς οπού έχετε; τί µώροι και νηπιώδεις λογισµοί, εις τους οποίους πιστεύετε; τί περιπαίγµατα είναι αυτά µε τα οποία σας χωρίζουν οι δαίµονες από την εις Θεόν αδίστακτον πίστην, και σας περιπαίζουν ωσάν τα ανόητα παιδιά; Σας λέγω και σας πληροφορώ, ότι Βρικόλακες δεν γίνονται ποτέ, ούτε είναι εις τον κόσµον. Οι Βρικόλκες οπού εσείς λέγετε, άλλο δεν είναι, παρέξ µία ψεύτικη και παιδαριώδης πρόληψις, οπού εγεννήθη από τον φόβον και την απιστίαν σας …“

25 EBD.: „Δεν είναι Βρικόλακες, διατί αδύνατον είναί ποτε ο διάβολος να ασηκώση νεκρόν και το προ ενός, η δύω µηνών αποθαµµένον σώµα να το κάµη να έxη αίµα, ή ονύχια […] καθώς εσείς φαντάζεσθε. Οι Βρικόλκες είναι ένας ανόητος λογισµός, διατί, αν ακριβώς εξετάση τινάς εκεί-νους οπού λέγουν, πώς είδαν Βρικόλακας, θέλει εύρει, πὠς αφʹ ού αυτοί ειπούν, ότι άλλος τις

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Der Hinweis auf das Fehlen von Beweisen zeugt von einer den Prinzipien ratio-naler Empirie folgenden Auseinandersetzung mit dem Vampirphänomen, das hier übrigens anders als in den beiden zuvor untersuchten Texten auch aus-drücklich als „Aberglaube“ charakterisiert wird. Zugleich weist die Passage aber auf die Schwierigkeit hin, mit Hilfe derartiger Argumente die Existenz von Vampiren zu bestreiten, wenn man andererseits gemäß christlicher Lehre die Existenz des Teufels und der Dämonen anerkennt. Noch deutlicher wird dies im Schlußteil der Anmerkung, der eklatante Widersprüche enthält. Dort beruft sich der Verfasser auf den Kirchenvater Johannes Chrysostomos (344/49–407), „der jene als unvernünftig tadelt, die glauben, dass die Seelen derjenigen zu Dämonen, d.h. Vampiren werden, die ermordet oder gehängt werden oder überhaupt gewaltsam sterben; er sagt nämlich [...], dass nicht die Seelen von diesen zu Dämonen oder Vampiren wer-den, sondern von jenen Christen, die sündhaft leben und die Schlechtigkeit der Dämo-nen nachahmen.“26 Mit dieser Gleichsetzung von Dämonen und Vampiren (die selbstverständlich nicht auf Johannes Chrysostomos zurückgeht sondern auf Nikodimos) wird die gesamte vorherige Argumentation für die Nichtexistenz letzterer ad absurdum geführt. Mehr noch: Die Behauptung, dass ein Christ sich allein schon durch ein sündhaftes Leben für seine posthume Verwandlung zum Dämon bzw. Vampir qualifizieren könne, bedeutete eine massive Vergrößerung der Gruppe poten-tiell Betroffener und erlaubte bei konsequenter Betrachtung sogar den Schluß, dass in Anbetracht der Sündhaftigkeit menschlicher Natur dieses Schicksal im Grunde für jeden eine wohl wahrscheinliche Zukunftsperspektive darstellte. Da es schwerlich die Absicht des Verfassers gewesen sein kann, sich selbst zu widersprechen und damit seinen eigenen normativen Anspruch zu untergraben, ist davon auszugehen, dass ihm die tiefen logischen Brüche in seiner Argumen-tation vermutlich gar nicht bewußt waren. Dies als Begleiterscheinung eines letztlich traditionellen religiösen Denkens zu interpretieren, mag im vorliegen-

τους το είπε, καταντούν τέλος πάντων εις το να το ειπούν τούτο. Έτσι µου εφάνη ως πολλάκις επί των πραγµάτων εις πολλούς τόπους ηκολούθησε τούτο.“

26 EBD.: „… πώς ελέγχει εκείνους τους ανόητους οπού νοµίζουν πώς γίνονται δαιµόνια, ταυτόν ειπείν, Βρικόλακες, αι ψυχαί εκείνων οπού φονευθούν, ή κρεµασθούν, ή µε βίαιον θάνατον απο-θάνουν· λέγει γαρ […] ότι δεν γίνονται αι ψυχαί των τοιούτων δαιµόνια ή βρικόλακες, αλλʹ εκείνων των Χριστιανών οπού ζουν εις αµαρτίας και µιµούνται την των δαιµόνων κακίαν.“

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den Fall naheliegend erscheinen und hätte jedenfalls auch ganz der Selbstwahr-nehmung von Nikodimos Agioreitis entsprochen, der sich erklärtermaßen als Hüter der Orthodoxie und ihrer Traditionen ansah. Gerade vor diesem Hintergrund stellt sich allerdings umso mehr die Frage, was dann eigentlich die Motive für seine Verurteilung des Vampirglaubens waren, die sich in dieser ausdrücklichen Form offenbar gar nicht ohne weiteres auf die orthodoxe Tradition berufen konnte und sogar in diametralem Widerspruch zu Auffassungen stand, wie sie nur hundert Jahre zuvor etwa der gelehrte Kir-chenfürst Chrysanthos Notaras vertreten hatte. Einen Hinweis liefert in diesem Zusammenhang der Umstand, dass der Verfasser in seiner Widerlegung den Vampirglauben ursächlich auf einen elenden Zustand der Unwissenheit zurück-führt, in den die heutigen Christen gefallen seien. Damit greift er einen zentralen Topos zeitgenössischer aufklärerischer Argumentation auf, wobei er das Phäno-men zugleich als ein aktuelles Gegenwartproblem präsentiert, als deren unaus-gesprochenes Kontrastbild eine vermeintlich bessere, wenn auch zeitlich nicht näher definierte Vergangenheit fungiert. Noch deutlicher läßt sich der Gegenwartsbezug dieser Problemwahrnehmung bezüglich des Vampirglaubens in einer weiteren Schrift von Nikodimos Agio-reitis erkennen, die nur drei Jahre nach dem Steuerruder erschien und wie dieses einen starken normativen Anspruch verfolgte. Es handelt sich um die 1803 in Venedig publizierte Χρηστοήθεια των Χριστιανών [sinngemäß Sittenlehre der Christen], ein Handbuch für die christliche Lebensführung nach Leitlinien eines ausgeprägt puritanischen Frömmigkeitsideals, das in dieser Form im ortho-doxen Raum ebenfalls neuartig war.27 Im Rahmen einer allgemeinen Verurtei-

27 Der Text besteht aus einer ausführlichen Auflistung von Ge- und (vor allem) Verboten, die sich

u. a. auf das Spielen, Singen, Tanzen, Musizieren und sogar Lachen beziehen und darüber hinaus eine religiös begründete Arbeitsethik propagieren. Derartige restriktive Regelwerke waren im orthodoxen Raum zwar nicht unbekannt, richteten sich aber traditionell ausschließlich an Mön-che, während sie in der Sittenlehre explizit auf alle Gläubigen und insbesondere den Laienstand ausgeweitet wurden. Dieses Werk, das 1937 auch in rumänischer Übersetzung in Bukarest er-schien, wurde im 20. Jahrhundert von griechischen Theologen wie Christos GIANNARAS (Ορθο-δοξία και Δύση στη Νεώτερη Ελλάδα. Athen 1992, 207) kritisiert, der es als Manifestation eines „pietistischen Moralismus“ abendländischer Prägung charakterisierte, welcher mit dem Wesen au-thentischer Orthodoxie unvereinbar sei – dies wird allerdings von anderen Theologen vehement bestritten, die im Hinblick auf die orthodoxe Authentizität der Sittenlehre zu exakt gegenteiligen

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lung von magischen Praktiken, Astrologie, Hellseherei u.a. wird auch hier der Vampirglaube thematisiert, wobei der Verfasser teilweise wortwörtlich seine Ausführungen im Steuerruder wiederholt: „Oh, was für ein elender Zustand der Un-wissenheit, in den die heutigen Christen gefallen sind! Brüder in Christo, was für Irr-tümer sind das, denen ihr anhängt? Was für dumme und kindische Vorstellungen, die ihr glaubt?“28 Direkt daran anschließend folgt jedoch eine Ermahnung, deren Position im Text nahe legt, dass es sich um eine Neuschöpfung handelt und die auch inhaltlich sehr aufschlußreich ist: „Schämt Ihr Euch denn nicht ein wenig, dass Ihr zum Gespött und Gelächter und Schimpf [...] aller Nationen werdet? Denn auch die Nationen spotten über Euch, dass nur Ihr Christen [sc. Orthodoxen, vgl. Anm. 23] es seid, die an Vam-pire glauben, und keine andere Nation auf der Welt.“29 Es wäre zwar anachronistisch, dem hier verwendeten Begriff „Nation“ [έθνος] unhinterfragt die gleiche Semantik zuzuschreiben, die er heutzutage infolge von Nationsbildungsprozessen angenommen hat, die zu Zeiten von Nikodimos Agioreitis allenfalls in ihren ersten Anfängen steckten, jedoch läßt der Schlußteil des zitierten Satzes klar erkennen, dass hier tatsächlich „Nationen“ im Sinne von „Völkern“ gemeint sind.30 Allerdings basierte das dabei zugrunde liegende Iden-titätskonzept augenscheinlich nicht auf ethnischer, sondern auf konfessioneller Zugehörigkeit, was nicht nur traditionellem kirchlichen Verständnis entsprach, sondern auch mit der seit Jahrhunderten etablierten Herrschaftspraxis des Staates korrelierte, dessen Untertan Nikodimos war, so dass vieles dafür spricht,

Einschätzungen gelangen, siehe etwa: Georgios METALLINOS, Συναντήσεις. Ερευνητικές ανιχ-νεύσεις στην ιστορία και το παρόν. Athen 2005, 63–90. Der Disput ist für die vorliegende Frage-stellung insofern von Interesse, als er die Beliebigkeit derartiger Authentizitätsdebatten illustriert.

28 Siehe Nikodimos [Agioreitis], Χρηστοήθεια των Χριστιανών. Περιέχουσα Λόγους ψυχωφελεστ-άτους δεκατρείς, ρυθµίζοντας επί το βέλτιον τα κακά ήθη των Χριστιανών. […] Venedig 1803, 184 auch zur folgenden Passage.

29 EBD.: „Δεν εντρέπεσθε και ολίγον, οπού εγίνετε περίπαιγµα, και γέλως, και όνειδος […] εις όλα τα Έθνη; δια τί και τα Έθνη σας περιπαίζουν, πώς εσείς µοναχοί οι Χριστιανοί είσθε, οπού πιστεύετε, ότι είναι βρικόλακες, και όχι κανένα άλλο Έθνος του Κόσµου.“

30 Prinzipiell wäre nach älterer Terminologie ein Gebrauch von „Nationen“ bzw. „Nationalen“ [„έθνη“/„εθνικοί“] als Synonym für „Heiden“ denkbar (in Analogie zum lateinischen „gentes“ bzw. „gentiles“), das ist hier aber ausgeschlossen durch die Formulierung „nur ihr Christen […] und keine andere Nation“.

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dass er mit der hier angesprochenen christlichen bzw. orthodoxen Nation im Grunde das osmanische millet-i-rum meinte.31 Dass der Vampirglaube ein Phänomen war, das im Wesentlichen den Raum des orthodoxen Südosteuropa betraf und insofern ein kulturgeographisches Spezi-fikum darstellte, scheint ihm ebenso bewußt gewesen zu sein wie schon ein Jahrhundert vor ihm Chrysanthos Notaras. Während dieser daraus aber unter Hinweis auf göttliche Wunderkraft noch einen Beleg für die Stärke der Ortho-doxie ableiten konnte, war dies für Nikodimos, der zu Beginn des 19. Jahrhun-derts schrieb, offensichtlich keine denkbare Option mehr. Die Bewertung hatte sich vielmehr ins Gegenteil verkehrt, denn der Vampirglaube wurde nun als Manko begriffen, das die orthodoxen Südosteuropäer dem Spott der „anderen Nationen“ aussetzte. Obwohl – bzw. gerade weil – letztere nicht näher konkre-tisiert werden, deutet dieses Argument auf das Vorhandensein einer Konkur-renzwahrnehmung hin, was auch durch den Appell an die Ehre der Adressaten („Schämt ihr Euch denn nicht ...“) bestätigt wird. Diese Konkurrenzwahrnehmung läßt sich in ihrer Art als Reflex auf die tiefgrei-fenden gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Veränderungen interpretie-ren, die zu dieser Zeit im osmanischen Südosteuropa stattfanden und in deren Zuge es zu einer zunehmenden Infragestellung des etablierten Status quo kam. Das betraf auch die orthodoxe Kirche als Teil der alten Ordnung, die ihre tradi-tionelle Deutungshoheit nunmehr durch die säkularen Botschaften der Aufklä-rung gefährdet sah. Der Paradigmenwechsel, der sich damals im kirchlichen Vampirdiskurs vollzog, war Ausdruck dieser Konfliktlage, denn er war klar er-kennbar durch das Bemühen motiviert, religiöse Wortmacht aufrechtzuerhalten. So läßt sich abschließend feststellen, dass die entschiedene Verurteilung des Vampirglaubens durch die orthodoxe Kirche zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwar ohne Zweifel in Kategorien eines Rationalisierungsprozesses zu fassen ist, dass dieser aber zugleich ein Paradebeispiel für die Ambivalenz von Rezeptions-

31 Dies entsprach einer in diesem Zeitraum sehr verbreiteten Vorstellung, siehe zu diesem Thema:

Ioannis ZELEPOS, „Unser orientalisch-christliches Geschlecht“ – zur Formierung eines osmanisch-orthodoxen Identitätskonzepts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Maria OIKONOMOU/ Maria A. STASSINOPOULOU/Ioannis ZELEPOS (Hgg.), Griechische Dimensionen südosteuropäischer Kultur seit dem 18. Jahrhundert. Verortung, Bewegung, Grenzüberschreitung. Frankfurt/M. 2011, 111–124.

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phänomenen liefert, denn er beruhte eindeutig nicht auf der willentlichen Adap-tion rationalistischer Denkmuster, sondern war vielmehr das Nebenprodukt eines Versuchs, der Ausbreitung von aufklärerischem Säkularismus durch Schaffung eines zeitgemäß elaborierten Konzepts orthodoxer Religiosität ent-gegenzuwirken. Über Erfolg oder Mißerfolg dieses Versuchs zu befinden, kann nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags sein, jedoch dürfte feststehen, dass seine Bedeutung für die moderne Geistes- und Kulturgeschichte des orthodoxen Südosteuropa nicht zu unterschätzen ist.