7
Archäologie zwischen Imagination und Wissenschaft: Anne und Patrick Poirier Mit Beiträgen von Aleida Assmann, J an Assmann, Egon Flaig, Anne und Patrick Poirier und Lambert Schneider Herausgegeben von Bernhard Jussen WALLSTEIN VERLAG

Zwischen Objektivität und Imagination: Einleitung

Embed Size (px)

Citation preview

Archäologie zwischen Imagination und Wissenschaft:

Anne und Patrick Poirier

Mit Beiträgen von Aleida Assmann, J an Assmann, Egon Flaig,

Anne und Patrick Poirier und Lambert Schneider

Herausgegeben von Bernhard Jussen

WALLSTEIN VERLAG

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Archäologie zwischen Imagination und Wissenschaft: Anne und Patrick Poirier / mit Beitr. von Aleida Assmann ...

Hrsg. von Bernhard Jussen. -Gättingen : Wallstein, 1999

(Von der künstlerischen Produktion der Geschichte; 2)

ISBN 3-89244-347-5

© Wallstein Verlag, Gättingen I999

Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond Umschlaggestaltung: Basta Werbeagentur, Tuna <::iner

Druck: Moeker Merkur Druck GmbH

Inhalt

Zwischen Objektivität und Imagination: Einleitung Bernhard Jussen

»Rettung aus dem Archiv?« .................. , 7 «Im Brei der Memoire« - Stellungnahmen gegen die Grenz-verwischung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ., 9 Ein Archäologe, der nicht gräbt: Vier Interpretationen »von außen« . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ........... 13

I. Spuren des Ungeschehenen Warum die bildende Kunst der Geschichtswissenschaft nicht helfen kann

Egon Flaig

Das Problem Kulturelles Gedächtnis ist nicht Geschichte als Wissenschaft Interpretation I: Die Ruine einer ungeschehenen Kultur .. . Interpretation U: Allegorese ist keine Historie ....... . Interpretation UI: Warum bildende Kunst nicht über das kulturelle Gedächtnis reflektieren kann . . . . . . . . . . . . »Alles ist Sprache«. Zauberformel und Feigenblatt der Unge-nauigkeit ........................ . Ein Bild ist kein Text und Kunst ist nicht gleich Kunst

2. Das Pathos der Dinge Vom archäologischen Blick in Wissenschaft und Kunst

Lambert Schneider

Kontext und Ziel . Spurensicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archäologie als Zerstörerin - Archäologie als Konstrukteurin Pathos und die Beschwörung von Pseudo-Erinnerung . . .

3. Krypta - Bewahrte und verdrängte Vergangenheit Künstlerische und wissenschaftliche Exploration des Kulturellen Gedächtnisses

JanAssmann

Ästhetische Zeitreisen im Kulturellen Gedächtnis. Kunst und Wissenschaft: AnarciJ.isches und diszipliniertes Gedächtnis Krypta

16 18

23 25

4. Das Gedächtnis als Leidschatz Aleida Assmann

Aby Warburg ...... . Anne und Patrick Poirier

100

103

Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109

5. Histoire de jeux cyniques ou jeux cyniques de l'histoire: Petit journal de l'archeologue, Juin 1998, Anne und Patrick Poirier 111

Zwischen Objektivität und Imagination:

Einleitung

BERNHARD ]USSEN

»Rettung aus dem Archiv?«

Ein führender Vertreter der deutschen Geschichtswissenschaft, Werner Paravicini, hat jüngst in einen Festvortrag gefragt, ob die Geschichts­wissenschaft »Rettung aus dem Archiv« erhoffen könne. Er antwortet mit einem klaren >Nein<, allerdings »nicht deshalb, weil wir einer Er­lösung unbedürftig wären«, sondern weil das Archiv die dringend nötige Rettung nicht bringen kann. Um welche Rettung geht es? Erlösung wovon? »Die Historie«, so die Antwort, »ist perspektivisch geworden«. Verschwunden sei der Glaube an die Existenz historischer Tatsachen, statt dessen bestimme »Argwohn gegenüber jeder Überlieferung und jeder Aussage« die Fachhistorie. Die gegenwärtig tonangebende Geschichtswissenschaft erwarte »keine objektive Wahrheit in und durch die Historie«. Die meisten Historiker dürften - ganz zu Recht - den Zeitgeist ebenso wahrnehmen, wie es in diesen Sätzen skizziert ist. Man muß sich also nur noch darauf einigen, was mit der Feststellung gemeint ist, daß Geschichtswissenschaft perspektivisch ist, daß sie keine objektiven Wahrheiten und keine historischen Tatsachen gewinnt. Mit Werner Paravicini ließe sich die allgemeine Auffassung in folgende Sätze fas­sen: »Was alt zu sein scheint, ist Konstrukt und Erfindung. Was objek­tive Geschichtsschreibung zu sein vorgibt, [ ... ] ist in Wirklichkeit Roman,« folglich »der Historiker unwillentlich Dichter«. So »erlangt anscheinend die Phantasie den gleichen Rang wie die Kritik. Die Fik­tion erscheint als der bessere Teil der Historiographie«, »das Streben nach Objektivität wird belächelt.« Wenn diese Formulierungen tatsächlich den generellen Trend erfassen, dann kann man sich schwerlich der Diagnose von Werner Paravicini entziehen, daß »die Geschichtswissenschaft an der Schwelle ihrer Selbstzerstörung angelangt« ist. »Es drohen [ ... ] Erinnerungskultur statt Geschichtswissenschaft« und - was in der Tat das Fach gefährden würde - ein »Verlust der Erkenntnishoffnung.« Müssen wir also zur Gegenwehr schreiten, das Fach und die Hoffnung auf Erkenntnis ver­teidigen ?I Es spricht, Gott sei Dank, kaum etwas dafür, daß diese düstere Be­schreibung den Trend der Geschichtswissenschaft - zumal der deut­schen - zutreffend erfaßt. Zumindest hierzulande verwechseln nur ein

I WERNER PARAVICINI, Rettung aus dem Archiv? Eine Betrachtung aus Anlaß der 7oo-Jahrfeier der Lübecker Trese, in: Zeitschrift des Vereins für Lübecki­sche Geschichte und Altertumskunde 78, I998, S. I-46, Zitate S. 22, 24, 39 und 45.

7

Zwischen Objektivität und Imagination

paar versprengte Vertreter des Faches die Geschichtswi~sensc~aft mit Dichtung, Geschichtsbücher mit Romanen, Argu~enta~.Ion mI: Phan­tasie. Zwar ist es in der Tat gegenwärtig gängIge Munze, e~ne ge­schichtswissenschaftliche Deutung als »Konstrukt« . zu bezeIc~nen, aber man weiß doch ganz genau, daß ein geschichtswissenschafth~hes Konstrukt keine Erfindung ist. Wer die Arbeiten von Forschern. hes.t, die ihre Wissenschaft als konstruierende Tätigkeit verstehen .(wie dIe Autoren in diesem Band),' findet keine Indizien dafür, daß dIes.e Au­toren ihre Erkenntnishoffnung verloren hätten. Denn man hat dIe K~­tegorie der »historischen Tatsa.che« nicht ~eshalb eliminiert, um SIe durch Kategorien wie »PhantasIe« oder »DIchtung« zu ersetzen. ~her trägt man der Annahme Rechnung, daß .geschichtswisse~schafth.che Arbeit _ um Lambert Schneiders Formuherung aufzugreIfen - mcht Fund ist, sondern Befund, also die Herstellung von. Zusamm~n­hängen.3 Befunde aber sind Deutungen (oder: KonstruktlOnen), keme

Tatsachen. Es ist leicht zu erahnen, warum der zweite Band der Reihe >>Von der künstlerischen Produktion der Geschichte« mit dieser ~ah~end~n Stimme Werner Paravicinis beginnt. Aus Paravicinis Sicht 1St dIe w~s­senschaftliche Auseinandersetzung mit Geschichtsbildern. der zeIt­genössischen Kunst zwar nicht p:inzipell unst~tthaft, a?er I.n der m~­mentanen Situation Wasser auf dIe falschen Muhlen. MIt Bhck auf dIe Reihe >>Von der künstlerischen Produktion der Geschichte« schreibt er:

N eben die Forschung tritt sogar die bildliche Darst~llung v.on. Ge­schichte in der heutigen Kunst - was bedenklich ist, mcht weIl dIeser Blick unerlaubt wäre, sondern weil die Geschichtswisse~schaft ~n ihrer Legitimität zu zweifeln beginnt: Wenn der ~ünstle:Is~he DIs­kurs über Geschichte dem wissenschaftlichen gleIchrangIg 1St, dann kann man sich die jahrelange Quellenarbeit sparen und gleich ein in-

teraktives Environment gestalten.4

Es wird noch zu besprechen sein, daß »Quellenarbeit« und »Environ­ment« ungleiche Begriffe sind, da der eine au~ G~ne~e und der andere auf Darstellung von Erkenntnis zielt. Wenn WIr dIes 1m ~o~ent ~ußer Acht lassen und zudem voraussetzen, daß »gleichrangIg« m dIes~m Argument »austauschbar« heißen soll, dann bleibt eine sehr berechng­te Frage: Wozu lange arbeiten, wenn es auch schneller geht? Freilich, darauf weist Lambert Schneider hin, darf diese zentrale Kontro1lf~age wissenschaftlichen Arbeitens nicht das Argument ersetzen und mcht schon die Antwort suggerieren: »Eine argumentative Ausheb.elung konstruktivistischer Geschichtstheorie ist [ ... ] bislang ausgebl~eben, und mündlich hört man denn auch von Kollegen, wo der Schuh eIge~t­lich drückt: Eine solche Auffassung müsse einfach überzogen sem, denn was wäre sonst all der Aufwand an Gelehrtheit, Ausgrabung und

2 Vgl. unten S. 35 und 38 f. (FLAIG), S. 69 u. Ö. (SCHNEIDER), S. 88 (JAN Ass­

MANN) 3 Vgl. unten S. 72 (SCHNEIDER), ebenso S. 38 f. (FLAIG).

4 PARAVICINI, Rettung (wie Anm. I) S. 39·

8

,Im Brei der Memoire<

Dokumentation, >Faktenkenntnis< und philologisch-hermeneutischer Kritik wert?« Zu klären im Sinne Paravicinis ist also, inwiefern künstlerische und wiss~nsc.haftlic~e Arbeit an der Geschichte nicht »gleichrangig« sind und mWJCfern sIe es doch sind, kurz: wie sie sich zueinander verhalten. Von dieser Frage sind die folgenden Stellungnahmen eines Archäo­logen, eines Althistorikers, eines Ägyptologen und einer Literaturwis­se~schaftlerin .geleitet. Sie werden aus unterschiedlichen Perspektiven zeIgen, daß dIe Beschäftigung mit nicht-wissenschaftlicher Historie das Profil wissenschaftlicher Historie klärt und damit gerade das lei­stet, was Werner Paravicini fordert: einer Delegitimierung der Ge­schichtswissenschaft entgegenzutreten.

»Im Brei der Memoire«-Stellungnahmen gegen die Grenzverwischung

Die Ausgangsüberlegung der Argumentationen ist einfach: In der bil­denden Kunst, in der Literatur, im Film, in der Musik und in den historischen Wissenschaften werden sehr unterschiedliche Verfahrens­weisen zur Erkenntnis des Vergangenen hervorgebracht, - sehr unter­schiedliche Verfahrens weisen, Historie zu betreiben, an den Ge­schichtsbildern (oder: dem kulturellen Gedächtnis) einer Gesellschaft zu arbeiten. Alle diese Formen des historischen Arbeitens haben ihre spezifischen Qualitätsstandards, ihre Leistungsfähigkeit, ihre Gren­zen, ihre spezialisierten internen Diskurse. Die kulturwissenschaft­liche Wende hat die Einsicht durchgesetzt, daß die wissenschaftliche Historie nicht die Lehrmeisterin ist. Sie hat kein Privileg bei den immer neuen Schöpfungen der Vergangenheit. »Der Historiker als akade­mischer Lehrer«, so Ulrich Raulff in seinem Buch über Marc Bloch ».umschrei~t keineswegs das gesamte Feld der Möglichkeiten, Histo~ nker zu sem, Historie zu betreiben und historisches Bewußtsein zu bilden.«5 Wenn dem so ist, dann kann die wissenschaftliche Historie ihren unverwechselbaren Standort nur gewinnen, wenn sie Leistung und Grenzen ihrer Arbeitsweisen abgleicht an den anderen Formen Historie zu betreiben. ' ~abei geht es gerade nicht darum, alles miteinander zu vermengen. Es gIbt Grenzen und Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen historischen Arbeitens, und es ist die Aufgabe des Wissenschaftlers sie zu b.estimmen. Diese Grenzbestimmung ist immer noch ein Kamp/mit zweI G.egnern - einerseits mit jenen, die sich weiterhin entgegen den t~eoret1sche~ ~rundlagen des Faches so verhalten, als gälte es, »objek­tIve Wahrheit m und durch die Historie« zu finden 6 andererseits mit j~nen Zeitge~osse~, di.e vor lauter »Konstruktion« :us dem Auge ver­lreren, daß HIstone mIt dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit zwin­gend auf Formen von Objektivität angewiesen ist. Zwar kann man

5 ULRICH RAuLfF, Ein Historiker im 20. Jahrhundert: Marc Bloch, Frankfurt am Main 1995, S. 26.

6 Wie oben Anm. 1.

9

Zwischen Objektivität und Imagination

nicht oft genug sagen, daß die »Wahrheit« des Historikers letztlich nur »P1ausibilität« meint, eben »plausible und allen herangezogenen Daten nicht widersprechende Behauptung«.7 Aber es führt nicht weit, den Glauben an die historische Tatsache in den Orkus der Wissenschafts­geschichte zu werfen. Jan Assmann erinnert uns daran: »Auch wenn wir hundertmal eingesehen haben, daß Archäologen Organe eines grö­ßeren kulturellen Gedächtnisses sind, [ ... ] auch wenn wir uns von dem falschen Ideal einer unerreichbaren Objektivität hundertmallosgesagt haben ... «, das Problem der Objektivität werden wir nicht los. Arbei­ten wie jene von Anne und Patrick Poirier führen uns »wieder klar vor Augen, was Objektivität ist und woran wir uns zu halten haben«.8 Hier darf, das betonen die Beiträge aus verschiedenen Perspektiven,

keine Grenzverwischung zugelassen werden. Egon F1aig zieht den .Trennungsstrich am deutlichsten, um einer »schleichenden Delegitimierung der historischen Kulturwissenschaf­ten« entgegenzutreten, die er allenthalben am Werk sieht. Dies ist zwar durchaus eine Argumentation im Sinne Werner Paravicinis, aber Egon Flaig dreht den Spieß herum. Wo Paravicini ihn gegen jene richtet, die sich etwa mit künstlerischen Arbeitsweisen an der Geschichte befas­sen, richtet ihn Flaig gegen jene, die dies nicht tun. Gegenüber optimi­stischem Durchhaltegeist (»Die Tatsache wird gerettet werden, weil sie gerettet werden muß«)9 konstatiert F1aig in der Geschichtswissen-

schaft eine

... zunehmende Unfähigkeit, die eigenen forschungspraktischen Operationen auf begründete Weise - ohne Zuhilfenahme institutio-

neller Macht - zu verteidigen.

Die Fachwissenschaft habe »die Entwertung ihres Kernwissens selber begünstigt« durch jahrzehntelange Abwertung der theoretischen Grundlagenarbeit. Nun stehe die Kulturwissenschaft einem Kultur­betrieb hilflos gegenüber, der sich anschickt, »alles im Brei der Memoire zu ertränken« und so die Geschichtswissenschaft zu delegi­timieren.'o Mit anderen Worten: Wer die Grenze zur außerwissen­schaftlichen Historie nicht zu bestimmen vermag, hat keine Waffe gegen die Delegitimierung des eigenen Faches. Um diese Waffen gegen die Delegitimierung geht es F1aig in seiner Auseinandersetzung mit der nichtwissenschaftlichen Historie der Poiriers. Schroff und kompro­mißlos arbeitet er die Autonomie des wissenschaftlichen Diskurses

heraus. F1aig gelangt schließlich zu dem Ergebnis, daß die Kunst ihm als Wis-senschaftler nicht weiterhelfen kann. Schlechterdings keinen Nutzen des künstlerischen Schaffens für die Wissenschaft will er anerkennen. Die Kulturwissenschaft könne aus dem Dialog nichts gewinnen, was sie nicht auch intern entwickeln könne. Gerade in der Formalisierung

7 SCHNEIDER, unten s. 73· 8 JAN ASSMANN, unten S. 88. 9 PARAVICINI, Rettung (wie Anm. I) S. 39·

10 FLAIG, unten S. 20.

IO

)Im Brei der Memoire<

ihr~~ Verf.ahren.sweisen (als? .in der Entwicklung von Objektivität) »druckt SIch dIe Autonomisierung der historischen Kulturwissen­schaft als Wissenschaft aus, die Verselbständigung einer eigenen diszi­plinären Matrix sowie der fortdauernde Prozeß der Ausdifferen­zier.ung« Es s.~i diese .innere .Logik der disziplinären Entwicklung, die stet~? »~me hoh~re ZIrku.latIOn de~ Wissens und der Fragestellungen begunstrgt«. Fiaig redet emer »radIkalen Differenz zwischen der wis­senschaftlichen Produktion und der der bildenden Kunst« das Wort. Anhand von drei treffsicheren Musterinterpretationen arbeitet er eine Chec~liste ab, um schließlich zu dem Ergebnis zu kommen, daß er in der bIldenden Kunst praktisch kein Anregungspotential für seine Wis­senschaft entdecken kann. [1

J an Assmann und Lambert Schneider sehen dies aus verschiedenen Gründen anders. Zwar entwickelt auch Jan Assmann zunächst einmal eine Abgre~zung: Da~ Gedächtnis des Forschers sei ein diszipliniertes, das des Kunstlers em anarchisches. Assmann beschreibt die Ge­schichtswissenschaft im Gegensatz zur Kunst als ...

... ein Kollektivsubjekt, das im Rahmen anerkannter Wissens­~ethoden- und Verfahrensparadigmen Erkenntnisse sammelt. »Ob~ Jektivität« ist nichts anderes als die Einpassung der vom einzelnen Forsc~er gewonnenen Erkenntnisse in diese Rahmenbedingungen. Der emzelne Forscher versteht sich als Emanation dieses erkennen­den Kollektivsubjekts .

Doch »es ge.ht«, so As~mann, »um das gleiche Projekt, wenn auch von ganz verschIedenen Selten und in verschiedener Beleuchtung.« Dieser -::uffassung r::ag man ebensogut ablehnend wie zustimmend gegen­uberstehen konnen, doch kau~ bestreiten kann man ein zweites Argu­ment, an das Jan Assmann ennnert: Die historischen Wissenschaften müssen nicht nur forschen, sie müssen ihre Einsichten auch darstellen müssen das vorgefundene Material »beseelen«. »Alle bedeutende Wis~ senschaft ist ein. Akt der Beseelung.«I2 Welchen Regeln unterliegt diese B.eseelung - logIschen oder ästhetischen? Die Antwort sollte Fachleute ~ICht überraschen, denn sie ist Proseminarstoff, seit Ernst Robert Cur­tlUS' Buch »Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter« von 1:48 zum Lehrkanon gehört: Die Darstellungsweisen, so hat es Cur­tlUS gelehrt, folgen ästhetischen Kriterien. Ein wissenschaftlicher Ver­such ,:ie der seine müsse als Literatur aufgefaßt werden. Auch wenn er als ~Issenschaftler natürlich »auf die >strenge Demonstration< nicht v~rzichten« kann, sein .Darstellungsproblem »reduziert sich [ ... ] auf dIe ~rage der ProportIOn, also auf eine ästhetische Norm«. Nicht »I~gIsche Disposition«, sondern »Evidenz der Anschauung« bestimme s~~ne Darstellungswe~se, di~ er a!s >>Verkettung« und >>Verwebung der F~den« auffaßt, als eme »lrteransche Komposition«, die freilich »nie rem aufgeht«, weil sie an die strenge Demonstration gebunden bleibt.

I I Ebd. S. 23-30 und 48 f. 12 ASSMANN, unten S. 98 und 90 f.

II

INHAl.T

Einleitung ,.

L Der Stiher und \~ine Stiftungen 1. DerTod, das Stifterdasein \.lnd die Karriere

2. Die Stlhungen eines Günstling, .

3. Vum EinsJIZ der Familit"

Il. Di<, Sichcrung des GedJ.chtni~,es. ,.

2J

15

42 58

73

76

. lel

IIl. Die hlmmli,chcn Gütn . . . , . . ." . '." 143 1. Da Tatlsch, die Heiligen und die Hoffnung aut himmliscben BClstand ~::

V. Die Formen der Memoria

1. Der Name und da" Bild . 1. Die Öffentlichkeit <md di~ gutC'nTaten .

3. Da; doppelte GedJ.(htni~ .

Anhang.

Quelkn-und Literatunrnzeichnis ....

Index. , .

Abbildungen und Karte (nach Seit~ 108)

187

'" 210

, 128

. 253

275

276

. 196

317

313

349

365

3: Geschichtswissenschaft und Formwille: Inhaltsverzeichnis aus Hermann Kamp,

Memaria und Selbstdarstellung. Die Stiftun­gen des Kanzlers Ralin, 1993.

Zwischen Objektivität und Imagination

Die Metapher des Verwebens ist gegen die Illusion logisch-wissen-

schaftlicher Deduktion gerichtet. '3 . .

Anders gesagt: Wenn es um die Schreibweisen des Histonschen ge~t, unterwerfen sich Wissenschaftler und Künstler derselben Matnx, nämlich der Ästhetik '4 Damit ist auch deutlich, daß man »jahrelange Quellenarbeit« und »ein interaktives Environment« nicht geg~neinan­der ausspielen kann. 1 5 Quellenarbeit di~nt. de~ Vers~ehen .. DIe .Frage, ob ein Environment die falsche oder dIe nchtlge PrasentatlOn 1st, ge­hört hingegen zu den Problemen der Dars~ellung. Das eine kan~ das andere nicht ersetzen. Jan Assmanns VerweIS auf den große~ A.~thls.to­riker Theodor Mommsen, der für sein Werk den NobelpreIs fur LIte­ratur erhalten hat, markiert exakt die Schnittstelle. üb Mommsen Quellenarbeit betrieben hat oder nicht, steht auf einem ganz anderen

Blatt. '6 Kann man diese Einsicht in eine Darstellungsform bringen? Natürlich kann man es. 17 Ein gutes Beispiel ist Hermann Kamps Buch. »Memoria und Selbstdarstellung« (Abb. 3), unbestreitbar ein Pr~dukt phrel~nger Quellen- und Archivarbeit. Kamp bietet fünf KapItel etwa ßeicher Länge mit je drei Unterkapiteln: einen idealen R~ythmus: Fu~rt Ar­chivarbeit zu rhythmischer Geschichte? Sicher lllcht. Es 1st leIcht zu erkennen, daß Hermann Kamp in seiner Darstellungsform Aspekte sichtbar macht, die zwingend mit Geschichtswissenschaft v~rbunden sind: Die Schreibweise des Historischen. Er bringt durch dIe ~hyth­misierung zum Ausdruck, daß die Anordnung .und Präsentatlon des gefundenen Materials nicht eine Frage des Matenal: oder der Quellen­arbeit ist (der »logischen Disposition«, wie CurtlUS sagte), sondern eine Frage der Ästhetik (der »literarischen Anordnung«).I8 . Jan Assmann, wenn er auf diese Seite geschichtswisse~schafth~hen Ar­beitens hinweist, gelangt also zu einer von Egon Flalg abw.elch:nden Auffassung, indem er Flaigs Konzentration auf die Ge~ese h~stonscher Erkenntnis erweitert und Techniken der Darstellung elllbezieht. Lam­bert Schneider wählt einen anderen Weg, um Flaigs Konsequenz zu entgehen. Er argumentiert lebensweltlich gegen eine schro.ffe ~renz­ziehung zwischen Wissenschaft und ~unst .. Den archlmed.lschen Punkt gewinnt er dadurch, daß er aus .elller. I?lstanZ von zweI Jah~­zehnten die Kunstströmung, der man dIe Pomers zurechnete und dIe man »Spurensicherung« nannte, abgleicht an ~r:nds in den histo­rischen Wissenschaften jener Jahre. Er fragt dabellllcht nach den mate-

13 ERNST ROBERT CURTTUS, Europäische Literatur und Lateinisches Mittel-

alter, Bern 1948, S. 384-3 87. . ' 14 Vgl. dazu ausführlicher BERNHARD JUSSEN, Geschichte schreiben als ~orn:-

problem. Zur Edition der »Schreibzeit«, in: Har:ne Darboven.- Schrelbz~lt, hg. von DEMS. (Von der künstlerischen Produkuon der Geschichte 3), Koln

1999· 15 Wie oben S. 8. 16 JAN AssMANN, unten S. 90 f. . .' .' . 17 Ich nenne hier nur ein Beispiel. Zu weltcren BeIspIelen vgl. meme Emleltung

in den dritten Band der Reihe (wic Anm. 14)' 18 HERMANN KAMP, Mcmoria und Selbstdarstellung. Die Stiftungen des Kanz-

lers Rolin (Beihefte der Francia 30) Sigmaringen 1993·

12

Vier Interpretationen >von außen<

rialen Produkten (wissenschaftlichen Büchern wie künstlerischen Arbeiten) und nicht nach den Techniken der Argumentation, sondern :1ach den dahi~ter stehenden Haltungen. Einer im Sinne Egon Flaigs Ihre Autonomie behauptenden Wissenschaft würde Schneider ihre »gedankliche Gestik« und ihren »sprachlichen Sound« entgegenhalten. Die Argumentationsweisen von Künstlern und Wissenschaftlern mö­gen verschieden gewesen sein, die Arbeitsweisen auch, aber die Attitüde kann dennoch sehr ähnlich sein. Schneider verweist auf eine »Attitüde betonter Bescheidenheit, Vorsicht und N achdenklichkeit«, eine »Geste der Schlichtheit, des >Low«< die in den 70er Jahren den »Spurensicherern« gemein war, ob sie Künstler oder Wissenschaftler waren. '9 Eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Kunst, so muß man das Argument wohl verstehen, ist ein geeigneter Weg, um die Attitüden zu bemerken, die - wiewohl vorwissenschaftlich - in der wissenschaftlichen Arbeit massiv ihre Spuren hinterlassen .

Ein Archäologe, der nicht gräbt: Vier Interpretationen »von außen«

Wenn sich Fachleute aus verschiedenen historischen Wissenschaften mit Werken der bildenden Kunst auseinandersetzen, so stellt sich die Frage nac.h d?m N~tzen natürlich auch mit Blick auf die Deutung der Kunst. DIe VIer BeIträge werfen nicht nur Licht auf aktuelle Probleme in den .historischen .~issenschaften, sie zeigen auch, daß viele Argu­mentatIOnen der Pomers erst deutlich werden mit Hilfe des Fachwis­sens, auf das die Poiriers zugreifen. Die Poiriers arbeiten im Habitus des Archäologen, führen bisweilen auch diese Berufsbezeichnung. Ihre Arbeitsweise wird seit den 70 er J~hren unter eine Kunstrichtung subsumiert, der Günter Metken 1974 eI~en sc~nell akzeptierten Namen gegeben hat: »Spurensicherung«. K~nstlensches Arbeiten als »Spurensicherung« galt dabei als »fiktive Wl.s~en,schaft«.20 Diese Einordnung leitet seither die Deutungen des Pomer schen Werkes. Der erste Beitrag dieses Buches nimmt diese ve~breitete Deu:un~ der Poirier'schen Arbeit als »Spurensicherung« bellll Wort - mIt elllem nüchternen Ergebnis: Wenn die Kunst der Poiriers tatsächlich als Imitation oder Fiktion von Wissenschaft ver­standen werden wollte, dann würde sie schlechterdings versagen. Sie muß anders gemeint sein, um zu funktionieren. Aber wie könnte sie ~emeint sein? Man br.aucht, ein erster Hinweis, nur die Aufzeichungen 111 den AusgrabungsJournalen zu lesen, um zu bemerken, daß der Arch.äologe, der sie verfaßt hat, gar nicht gräbt. Was 1st das für ein Archäologe, der nicht gräbt? Er ist eine Kunstfigur von Anne und Patrick Poirier. Eine Passage aus ihrem »Bericht von der Forschungskampagne 1990 über die Stätte Mnemosyne« gibt dieser Kunstfigur ihr Profil:

I 9 V gl. SCHNEIDER, unten S. 53 f. 20 GÜNTER METKEN,. Spur~nsichcrung. Kunst als Anthropologie und Selbst­

erforschung - Fiktive Wissenschaften in der heutigen Kunst, Köln 1977.

Zwischen Objektivität und Imagination

Im Laufe der letzten Jahre haben wir begonnen, die Archive zusa.n:­menzutragen, die uns ein Mann hint~rlas~en hat, desse~ IdentIta~ hier nicht wichtig ist. Dieser außergewohnlIche Mens~h, eme gespal tene Persönlichkeit, sowohl Architekt als auch Archa?loge, hat uns eine chaotische Masse von Dokumenten, Photograp~Ien, Fragmen­ten und Resten aller Art, Plänen, oftmals kaum ~ntZlfferbaren .Auf­zeichnungen, winzigen oder ries~gen Model~en hmterl~s~e~. WIr ha-b h Kra··ften bemüht dIeses Matenal zu kl.assifIzieren, und en uns nac, .. b I . haben es, wann immer es möglich war, ~n Vitrinen o?er Mo ~. m.lt Schubladen gelegt. Es schien, als habe dle~e Pe:son sI~h vollstan~Ig der Ausgrabung und idealen RekonstruktIon ~mer ~tatte verschne­ben, die er MNEMOSYNE nannte. Trotz mte.nslVer Forschung konnten wir diese Stätte auf keiner Karte der Ennneru?g oder der Utopie finden. Unter anderem hat un~ dieser Ma~n sem~ Au~g:a­bungsaufzeichnungen hinterlassen. WIr reproduzIeren hIer elmge Auszüge, die vielleicht den Sinn seiner Arbeiten etwas erhellen ... 21

Diese Geschichte vom Ordnen eines riesigen und chaotischen Archä~­logen- wie Architekten-Nachlasse~ ~unkt~oniert als Klammer um dIe Arbeiten von Anne und Patrick Pomer. SeIt Ende der 6o~r Jahre haben die Poiriers solche Modelle, Skizzen, AusgrabungsaufzelChungen, Ab­klatsche, Schränke mit Schubladen, Vitrinen, Boxen hergestellt und an-

aesammelt. . B ... . Was soll hier der Blick der >fremden< Fachleute n~tzen? DIe .eltra~e m d· Band machen deutlich, daß diese künstlenschen ArbeIten em~n lesern . .. F h Gutteil ihres Sinns erst preisgeben, wenn man SIe mit Jenem ac WIS-sen liest, auf das die Poiriers zurückgreifen. Die Tem'pel~Modelle der Poiriers sprechen erst, wenn man weiß, wie Tempel wIrklIch aussahen. Die zitierten Mythen sprechen erst, wenn man einen F~chman? fragt, worauf sie sich beziehen, was sie erzählen und was mcht. DIe .Gra­bungstagebücher des Archäologen sprechen erst, wenn man Sie an archäologischen Aufzeichnungen abgleicht, um. sie dann ~iner an?eren T d en der Meditation etwa. DIe GartemnstallatlOnen extsorte zuzuor n , .. sprechen erst, wenn man sie nicht auf antike A~sgrabungsstatten bezieht, sondern auf Erinnerungsgärten de:. RenaI~sance oder der Romantik. Die Gedächtnismodelle der Pomers, dIe oft auf dem Grundriß des menschlichen Gehirns basieren, spreche~ erst, ~enn man sie an wissenschaftlichen Diskussionen über das s?zIale. Ged~ch.t­nis abgleicht. Was bedeutet es, daß die Poiriers das Gedacht~Is »WIe e~n Ding« (Flaig), die ausgegrabenen Bauten al~ »Memona Mundi.« (Werktitel) wie »kulturelle Archetypen« (SchneIder) be~andeln. Alel­da Assmann macht eine Affinität der Poirier'schen ArbeIten gerad~ zu jenen »ungeschützten Gedankengängen« Aby Wa~b~rgs deutlIch, denen die heutige Wissenschaft nicht mehr folgt: 22 dIe m Anlehnung

2 I Anne & Patrick Poirier. Decouvertes et rapports sur les diverses campagnes de fouilles entreprises durant les annees 1988-1989-1990-1991, Bologna 1991, S. 143.

22 ALEIDA ASSMANN, unten S. 101.

Vier Interpretationen >von außen<

an individualpsychologische Modelle entwickelte Auffassung, daß es »einen menschheitlichen Fundus intensiver U rerlebnisse« gebe, ein quasi biologisch bedingtes »Menschheitsgedächtnis«, einen »Leid­schatz der Menschheit«. Dabei macht Aleida Assmann Zwar auch aus­führlich deutlich, was in Flaigs Beitrag ein besonderes Anliegen ist: daß es sich um prinzipiell in der Wissenschaft ausrangierte Denk­muster handelt. Sie wichen in den Kulturwissenschaften der Auffas­sung, daß das »kulturelle Gedächtnis eine prozessuale, soziale Ange­legenheit« ist. Freilich teilt Aleida Assmann nicht die Meinung Flaigs, daß »das kulturelle Gedächtnis mit dem individuellen Gehirn auf radi­kale Weise nichts zu tun« hat. Sie verweist darauf, daß es mit dem Ge­dächtnis als einer sozialen Angelegenheit nicht sein Bewenden hat, daß vielmehr gerade die »Interferenz von biologischem und kulturellem Gedächtnis« ein entscheidendes Problem sei. Gerade dies würden die Poiriers mit ihrer Verbindung von Gehirn und Ausgrabungsruinen emblematisch erfassen.

Wie diese Diskussionen der Wissenschaftler freilich mit dem künstle­rischen Beitrag der Poiriers in diesem Buch zusammenhängen, muß ich offenlassen. Wie schon Jochen Gerz für den ersten Band der Reihe, so haben auch die Poiriers für diesen zweiten mit ihrem Beitrag die betei­ligten Wissenschaftler überrascht. Der Beitrag, den sie für dieses Buch gemacht haben, trägt Zwar den Titel »Journal de l'archeologue«, wie wir ihn von vielen früheren Arbeiten kennen. Der Antikenbezug ist allerdings sehr viel schwächer als in den Arbeiten, auf die sich die Autoren beziehen.

Jochen Gerz hatte zumindest in diesem Punkt ähnlich reagiert wie die Poiriers. In seinem Beitrag »Gründe zu Lächeln« war das Problem, das häufig im Zentrum seiner Arbeit steht und ihm Aufmerksamkeit unter Historikern sichert, nur sehr vermittelt zu greifen: Faschismus und Völkermord. Jenseits dieser Ähnlichkeit der Reaktion aber unterschei­den sich die Umgangsweisen mit Geschichte bei Gerz und den Poiriers deutlich. Jochen Gerz versteht seine Arbeit als Aufklärung, er arbeitet rational-diskursiv und (etwa bei der Inszenierung von Peter Weiss' >Ermittlung< in Berlin oder bei seinem Berliner Mahnmalsentwurf) in einer Weise, die oft als didaktisch, jedenfalls als sehr ernst wahrgenom­men wird.

Anne und Patrick Poirier arbeiten anders, eher spielerisch. Die Arbeit für dieses Buch ist buchstäblich ein Spiel. Auf der Veranstaltung in Göttingen am I2. November I998 war das Billardspiel aufgebaut, das auf den Fotografien des Poirier'schen Beitrags zu sehen ist. Die Tagungsteilnehmer haben es etwas zögerlich benutzt. Die Wörter auf den Kugeln sind sehr weit weg von den grausamen Geschichten, an die sie erinnern können, und der Aufbau tat sein übriges, um die Spieler geradezu zu verleiten, die Verweise auf den Kugeln und Stöcken aus dem Auge zu verlieren, eben einfach zu spielen und dabei die Ge­schichte hinter den Beschriftungen zu vergessen.