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Böttrich / Ego / Eißler, Abraham in Judentum, Christentum und Islam

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Judentum, Christentum und Islam

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Christfried Bçttrich, Beate Ego,Friedmann Eißler

Abraham

in Judentum, Christentum und Islam

Vandenhoeck & Ruprecht

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Die AutorenDr. theol. Christfried Bçttrich ist Professor f�rNeues Testament an der Universit�t Greifswald.

Dr. theol. Beate Ego ist Professorin f�rAltes Testament an der Universit�t Osnabr�ck.

Dr. phil. Friedmann Eßler ist Wissenschaftlicher Referentan der Evangelischen Zentralstelle f�r Weltanschauungsfragen

(EZW) in Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet �ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-525-63398-4

Umschlagabbildung:Abraham (Fresko in der Synagoge von Dura Europos, 3. Jh.)

� 2009 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen / www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgesch�tzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenenF�llen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile d�rfen ohnevorherige schriftliche Einwilligung des Verlages çffentlich zug�nglichgemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung f�r

Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany.Druck und Bindung: c Hubert & Co, GçttingenGedruckt auf alterungsbest�ndigem Papier.

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Reihenvorwort

Juden, Christen und Muslime haben es nicht leicht miteinander.Gemeinsam schçpfen sie aus dem reichen Fundus der großenbiblischen Erz�hlungen. Sie bekennen einen einzigen Gott, derHimmel und Erde erschaffen hat. In ihrer Geschichte sind sievielfach aufeinander bezogen undmiteinander verflochten. Aberje grçßer dieN�he, umso sch�rfer gestalten sich bekanntlich auchdie Konflikte. Die lange Geschichte j�disch-christlich-islami-scher Beziehungen war h�ufig von Abgrenzung und Feindselig-keit, von Pogromen, Kreuzz�gen, Vçlkermorden und Terrorak-ten begleitet. Nat�rlich hat es auch an Phasen eines friedlichenMiteinanders nicht gefehlt. Die kulturelle Hochbl�te jener er-staunlichen j�disch-islamischen Symbiose im Spanien des 11./12. Jh. etwa hat sich auf unvergessliche Weise in die Annalen dereurop�ischen Geschichte eingeschrieben. Einzelne Persçnlich-keiten vermochten schon immer die Gr�ben religiçser Differen-zen zu �berbr�cken.Doch die breiteMasse derGl�ubigen tut sichnach wie vor schwer damit, in den jeweils Anderen auch Bruderund Schwester sehen zu kçnnen. Zu schwer wiegen die Erfah-rungen jahrhundertelanger Konflikte. Dabei ist die Verst�ndi-gung in unserer zunehmend enger vernetzten Welt dringlicherals je zuvor.

Als besondere Schwierigkeit imUmgang miteinander machensich dabei immer wieder sowohl die Asymmetrie der Beziehun-gen als auch die Strukturverschiedenheit der drei abrahamischenReligionen bemerkbar. Die Bez�ge zueinander haben unter-schiedliche Proportionenund ein unterschiedliches Gewicht. Dietheologischen Kategorien der einen Religion sind nicht einfach

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mit denen der anderen kompatibel. Dennoch gibt es �ber diepragmatische Notwendigkeit hinaus, in unserer modernen, ge-f�hrdetenWelt zu einem friedlichenMiteinander zu finden, aucheine breite Basis an theologischer Gemeinsamkeit. Christen undJuden sind in dieser Erkenntnis in den zur�ckliegenden Jahr-zehnten schon weit vorangekommen. Das Gespr�ch mit demIslam hingegen steht noch ganz an seinen Anf�ngen. Vor allemaber fehlt es daran, das Spezialwissen der wenigen, die in einemDialog engagiert sind, auf der Basis allgemeiner, selbstver-st�ndlicher Kenntnisse zu verbreiten.

An dieser Stelle mçchte die vorliegende Taschenbuchreiheihren Beitrag leisten. Die wichtigste Voraussetzung f�r jede Be-gegnung besteht darin, einander wahrzunehmen und vonein-ander Kenntnis zu erlangen. Das erweist sich gerade dort alsbesonders wichtig, wo die drei abrahamischen Religionen ge-meinsame Traditionen aufnehmen. Hier setzt die Taschenbuch-reihe an. Sie besch�ftigt sich mit den pr�genden Gestalten jenerbiblischen Erz�hlungen, die bei Juden, Christen und Muslimengleichermaßen von Bedeutung sind. Dabei kommt der alttesta-mentlich-j�dischen �berlieferung grundlegende Bedeutung zu.Auf sie beziehen sich die neutestamentlichen Schriften sowie dieWerke der im zweiten Jahrhundert beginnenden christlichenTheologie zur�ck. Der Koran und die daran anschließende isla-mische Tradition wiederum nehmen j�dische und verschiedenechristliche Traditionen auf und gestalten sie neu. Diese Liniensollen hier sichtbar gemacht werden.Dabei geht es sowohl umdieGemeinsamkeiten, die durch den gemeinsamen Stoff bestimmtsind, als auch um die Unterschiede, die vom Kontext der jewei-ligen Glaubensgemeinschaft ihre Pr�gung erhalten.

Mit den großen Gestalten der �berlieferung verbinden sichzugleich wichtige Themenbereiche. Das erste Buch �ber „Abra-ham“ ist der grundlegenden Frage nach der Bedeutung desGottesglaubens gewidmet. Ein zweites Buch �ber „Jesus undMaria“ geht der Einzigartigkeit dieser besonderen Familie nach,wobei vor allem die Differenzen hervortreten. An der Gestalt des„Mose“ reflektiert das dritte Buch die Rolle des Rechtes und derEthik. Was es mit dem Ph�nomen der Prophetie auf sich hat, istGegenstand eines vierten Buches �ber „Elia und andere Pro-

6 Reihenvorwort

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pheten“. Die Schçpfungsthematik kommt schließlich im f�nftenBuch anhand der Traditionen um „Adam und Eva“ zum Zuge.

Erfahrungsgem�ß ist die Angst vor Fremdemdort amgrçßten,wo man es nicht oder nur ungenau kennt. Wenn diese Taschen-buchreihe deshalb grundlegende Kenntnisse vermitteln kann, istschon ein wichtiger Schritt zur Verst�ndigung getan. Dabei l�sstder Blick auf das, was andere glauben und was anderen wichtigist, die eigene Tradition noch einmal in einem ganz neuen Lichterscheinen. Auch dazumçchten die B�cher dieser Reihe anregen.

Die drei Teile jedes Buches sind mit aller notwendigen Fach-kompetenz f�r j�dische, christliche und islamische Theologie,jedoch von einem gemeinsamen christlichen Standpunkt ausgeschrieben. Auch das anvisierte Lesepublikum wird sehrwahrscheinlich ein vorwiegend christlich gepr�gtes sein. Den-noch hat das Bem�hen Vorrang, dem Selbstverst�ndnis vonJuden, Christen und Muslimen so weit wie mçglich gerecht zuwerden. Denn bei aller Suche nach Gemeinsamkeit kann es nichtdarum gehen, die Grenzen in einem großen Einerlei zu verwi-schen. Vielmehr soll die vorurteilsfreie Aufmerksamkeit f�rein-ander auch ein kundiges, konstruktives Gespr�ch ermçglichen.

Bei den Bibeltexten handelt es sich in der Regel um eigen-st�ndige �bersetzungen, die bekannte Formulierungen nocheinmal in ein neues Licht r�cken.

F�r den Beginn dieser Taschenbuchreihe gibt es keine ange-messenere Bezugsperson als Abraham. In seinem Namen findensich gegenw�rtig wieder die drei „abrahamischen“ Religionenzum Gespr�ch zusammen. Die alte Segensverheißung, dieAbraham in allen drei Religionen mit der Vçlkerwelt verbindet,best�rkt auch die Hoffnung auf ein befreites, neues Miteinander.

Reihenvorwort 7

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Inhalt

Abraham im Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Einleitung: Der Freund Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112. Die biblische Abrahams�berlieferung . . . . . . . . . . . . . 133. Die Figur Abrahams in den außerbiblischen Texten

des antiken Judentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224. Zusammenfassung und Ausblick: Abraham als

Ged�chtnisfigur und Seinsgrundlage f�r Israel . . . . . . 535. Literaturhinweise (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Abraham im Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621. Einleitung: Alte Geschichte in neuer Perspektive . . . . 622. Abraham in den Schriften des Neuen Testaments . . . . 673. Abraham in der christlichen �berlieferung . . . . . . . . . 1024. Ausblick: Gemeinsame Zug�nge zu Abraham . . . . . . . 1115. Literaturhinweise (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Abraham im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1161. Einleitung: Wie der Islam von Abraham erz�hlt . . . . . 1162. Abraham im Koran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1273. Abraham in der nachkoranischen �berlieferung . . . . 1674. Ein Ausblick: Abrahamische �kumene? . . . . . . . . . . . 1795. Literaturhinweise (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

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Beate Ego

Abraham im Judentum

1. Einleitung: Der Freund Gottes

Es ist ein Zufall der Geschichte, dass wir heute �berhaupt einebildliche Darstellung Abrahams besitzen, die aus der Zeit desantiken Judentums stammt: Als n�mlich die Bewohner der StadtDura-Europos am Eufrat sich im Jahre 256 n.Chr. vor den her-anziehenden Sassaniden sch�tzen wollten, sch�tteten sie kur-zerhand die R�ume ihrer unmittelbar hinter der Stadtmauergelegenen Synagoge mit Sand aus, um ihre Befestigungen zuverst�rken.Die Situationwar so bedrohlich, dassman sichumdieWandmalereien, die erst wenige Jahre zuvor bei der Restaurationder Synagoge angebracht wurden und die vielerlei biblischeSzenen abbildeten, keine Gedanken machen konnte. So fandendann Arch�ologen viele Generationen sp�ter in den 20er und30er Jahren des 20. Jh. bei der Ausgrabung der Stadt zahlreicheFresken, die fast vollst�ndig erhalten waren, weil der Sand unddas warme Klima sie �ber die Jahrhunderte hin konservierthatten – darunter auch eine Darstellung Abrahams: Ein �ltererMann, mit einer Tunika bekleidet, mit einem ruhigen, fast de-m�tigen Gesichtsausdruck steht unter dem Himmelszelt undblickt uns direkt an. Wer ist dieser Abraham? Vielf�ltig sind dieliterarischen Abrahamsbilder, die uns in der Hebr�ischen Bibelund in den zahlreichen �berlieferungen des antiken Judentums,die in den Jahrhunderten vor und nach der Zeitenwende ent-standen, erhalten sind. Die biblische �berlieferung nennt ihnzum erstenMal den „FreundGottes“ (Jes 41,8) und bringt so zumAusdruck, dass diese Gestalt ein ganz besonderes, enges Got-tesverh�ltnis hatte. Tats�chlich wird dies nicht nur in der bibli-

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schen Abrahams�berlieferung deutlich, sondern auch in einerVielzahl von sp�teren antikj�dischen Erz�hlungen: Abraham,der nach dem einzigen, wahren Gott fragt; Abraham, der zahl-reiche Versuchungen besteht; Abraham, der bereits vor der Gabeder Mosetora am Sinai dem gçttlichen Gesetz treu ergeben ist;Abraham, der die Menschheit in den Wissenschaften undK�nsten unterweist. In all diesen Motiven, von denen wir imFolgenden hçren werden, spiegeln sich Ideale verschiedenerStrçmungen in Israel und im antiken Judentumwider. Sie zeigenauch, auf welch kreative Art und Weise das antike Judentum mitseinen Traditionen umgegangen ist und wie die Menschen mitund in diesen �berlieferungen in ihrer Geschichte gelebt haben.Traditionen gehçren nicht der Vergangenheit an, sondern dienendazu, die Gegenwart zu gestalten.

�ber den historischen Abraham verraten diese �berliefe-rungen freilich nur wenig. Nach der biblischen Chronologie f�lltdie V�terzeit in das fr�he zweite Jahrtausend v.Chr. Die bibli-schen und fr�hj�dischen Texte sind damit �ber 1000, wenn nichtfast 2000 Jahre nach dieser sog. „V�terzeit“ entstanden. Er-schwerend f�r eine historische Spurensuche ist auch die Tatsa-che, dass keine außerbiblischen Zeugnisse f�r Abraham und dieanderen Erzv�ter und Erzm�tter Israels existieren. So kann mannur ganz allgemein feststellen: Die Lebenswelt Abrahams wieauch die der anderen Erzv�ter und -m�tter ist die Welt derBergnomaden, die an den R�ndern und in den weniger frucht-baren Gegenden des Kulturlandes lebten und die sich von denProdukten ihrer Schafe und Ziegen ern�hrten. Ihre Lebensweise,ihre Namen und auch ihre Rechtsbr�uche passen gut in das Bild,das wir aus anderen Texten �ber dieWelt des Vorderen Orients inder ausgehenden Bronzezeit gewinnen kçnnen. So ist anzuneh-men, dass sich in der Abrahamserz�hlung – wie auch in denGeschichten um Isaak und Jakob und ihre Frauen – die Erinne-rung daran spiegelt, dass der St�mmeverband Israel zumindestteilweise eine nomadische Vergangenheit hat. In der ausgehen-den Bronzezeit verbanden sich Nomaden des Kulturlandes mitanderen Gruppen, die ihre Wurzeln in den kanaan�ischen St�d-ten bzw. außerhalb des Landes in der W�ste hatten. Die promi-nenteste Gruppe ist dabei die sog. Exodus-Gruppe, die aus

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�gypten kam. Sie alle einte schließlich das Bekenntnis zu demeinen Gott JHWH. So wie sich mehrere Gruppen zu der GrçßeIsrael formierten, so verbanden sich im Laufe der Zeit auchverschiedene Ursprungsgeschichten zu jenem großen Gesamt-werk, das uns heute in den B�chern des Pentateuchs vorliegt.Deutlich kommt in diesem Zeugnis zum Ausdruck, dass Israelseine Existenz nur als eine Geschichte des gçttlichen Schutzesund des gçttlichen Segens begreifen kann, der diesem Volk vorallen anderen Vçlkern zukommt und dieses grundlegend vonjenen unterscheidet.

Diese Themen sind in der alttestamentlichen Wissenschaftbreit diskutiertworden, sie kçnnen aber hier nichtweiter verfolgtwerden. Es ist vielmehr Abraham als literarische Gestalt, die nunimZentrumdes Interesses dieserAusf�hrungen stehen soll. Nacheinem �berblick �ber die biblischen Abrahamstexte und einerkurzen Reflexion zu ihrer Entstehungsgeschichte sollen vor allemzentrale Motive der antikj�dischen Abrahams�berlieferungpr�sentiert werden. Da der hier vorgegebene Rahmen es nichterlaubt, auf alle Belege detailliert einzugehen, wurden verschie-dene Schwerpunkte gesetzt und in ihren verschiedenen Facettenbeleuchtet. Ein Schlusskapitel wird dann auf einige weitere Mo-tive der antikj�dischen Abrahams�berlieferung hinweisen undversuchen, deren wesentliche Linien zusammenzufassen. Abra-ham erscheint als Repr�sentant der richtigen Gotteserkenntnisund als eine Art „Schwellengestalt“, die zwischen Israel und derVçlkerwelt steht; in ihm spiegelt sich sowohl Israels Gottesglaubeals auch sein Verh�ltnis zu den Vçlkern.

2. Die biblische Abrahams�berlieferung

Ausgangspunkt f�r alle Ausf�hrungen zu Abraham und seinerFamilie ist die biblische Abrahamsgeschichte, die sich in Gen12,1–25,11 findet. Diese Geschichte, die mit Gottes Ruf anAbraham einsetzt und mit seinem Tod endet, schließt sich direktan die biblische Urgeschichte mit ihren zahlreichen Stammb�u-men an. Aus Sem, einem der drei Sçhne Noachs, gehen in derLinie �ber Arpachschad viele Generationen hervor, bis schließ-

Die biblische Abrahams�berlieferung 13

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lich Terach als Vater von „Abram, Nahor und Haran“ vorgestelltwird (Gen 11,26). Erst im Folgenden wird die n�chterne Abfolgeder Generationen unterbrochen. Denn nun erfahren wir, dassHaran noch zu Lebzeiten seines Vaters Terach inUr stirbt. Abramund Nahor nehmen sich jeweils eine Frau, wobei aber Sarai,Abrams Frau, unfruchtbar ist. Im Folgenden f�hrt Terach alleMitglieder der Familie nach Haran, einer Stadt im nçrdlichenMesopotamien. Dort stirbt er im Alter von 205 Jahren. Hier alsoist zum ersten Mal von Abraham und Sara die Rede, wobei dieseauff�lligerweise zun�chst unter den weniger bekannten Na-mensformen „Abram“ und „Sarai“ vorgestellt werden. Dazuwerden wir nachher noch mehr hçren. Auf jeden Fall setzt dieeigentlich Abrahamserz�hlung erst nach dieser eher n�chternwirkenden Aufz�hlung von genealogischen Fakten ein. Jetztn�mlich hçren wir in Gen 12,1–3 die ber�hmten Worte, wonachAbram sein Vaterland, seine Verwandtschaft und seines VatersHaus verlassen soll und Gott ihm große Nachkommenschaft undSegen verheißt (Gen 12,1–3).

Aus der Abfolge der Geschlechter tritt also eine einzelne Ge-stalt und ein einzelnes Geschehen heraus und wird zum Mittel-punkt einer Geschichte. Dabei ereignet sich noch etwas ganzUnerwartetes: Das weltimmanente Geschehen çffnet sich hin zurTranszendenz: Gott selbst spricht mit seinen Verheißungen undseinem Segenswort zu Abram.

Mit keinem Wort erfahren wir in der biblischen Erz�hlung,wann dies geschieht, zu welchem Zeitpunkt, in welchem Jahr, zuwelcher Jahres- oder Tageszeit – wir hçren auch nicht, warumdies geschieht und warum es gerade Abram ist, dem Gott sichredend zuwendet. Wir finden vielmehr eine �ußerste Reduktionauf dasWesentliche: Ein Menschwird von Gott angesprochen, ersoll seine vertraute Umgebung verlassen und in ein fremdes,unbekanntes Land ziehen. Die Dramatik des Befehls wird dabeistilistisch unterstrichen: W�hrend der Ausgangsort Abrams mitden drei Begriffen: Land, Verwandtschaft und Vaterhaus inkonzentrischen Kreisen genau angegeben wird, ist die Beschrei-bung des Ziels seiner Wanderschaft, „das Land, das Gott ihmzeigen wird“, ganz offen gestaltet. Wir erfahren zun�chst wederdie Richtung, noch die Lage, geschweige denn den Namen des

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Ortes, zu dem Abram, der Sohn Terachs, ziehen soll. Erst imFolgenden soll deutlich werden, dass es sich hier um das LandKanaan handelt.

Gottes Aufforderung an Abram ist mit einem Segenswortverbunden: Gott verspricht ihm, ihn zu einem großen Volk zumachenund ihmBer�hmtheit und Ehre zu verschaffen. Das Endedes Abschnittes mit dem Imperativ : „Du sollst ein Segen sein“(Gen 12,3) zeigt, dass Abram auch die Aufgabe hat, den von Gottempfangenen Segen weiter zu geben. Schließlich wird deutlich,dass diejenigen, die Abram als Segenstr�ger akzeptieren, andieser Segenskraft partizipieren kçnnen. Diejenigen aber, dieAbram die Segenskraft absprechen, ja ihn verfluchen, werdenihrerseits verflucht werden. Der letzte Satz des Abschnittes fasstalles pr�gnant zusammen: In Abram sollen gesegnet werden alleGeschlechter der Erde. Der Segen, der Abram zuteil wird, strçmtgleichsam �ber und gilt allen Geschlechtern der Erde. Solchek�hnen Aussagen sind gesamtbiblisch auf dem Hintergrund derUrgeschichte zu lesen: Mit der Geschichte von der Vertreibungaus dem Paradies, den Erz�hlungen von Kain und Abel und demTurmbau von Babel war diese weitgehend eine Geschichte derLebensminderung; mit Abram aber kommt wieder der Segen indieWelt, der sich von ihm aus in die Vçlkerwelt hinein ausbreitet.

Ohne R�ckfragen, ohne Verzçgerung und ohne Zweifel machtsich Abram gemeinsam mit seiner Frau Sarai, seinem Neffen Lotund seinemGesinde auf, um in jenes bislang unbekannte Land zuziehen. In Kanaan angekommen, gelangt Abram zun�chst bisnach Sichem. Gott verheißt dieses Land seinen Nachkommen;Abram reagiert darauf, indem erGott einenAltar baut und seinenNamen anruft. Schließlich zieht Abram �ber Bethel, wo ebenfallsein Altarbau erfolgt, in den S�den des Landes, so dass ergleichsam symbolisch das gesamte Land durchzogen hat.

In dieser Ouvert�re zur Abrahamserz�hlung sind die zentra-lem Themen der biblischen Abrahamsgeschichte, Nachkommenund Land, expliziert; durch die Thematik „Nachkommenschaft“wird gleichzeitig indirekt auch Sarai, die Frau Abrams, als tra-gende Figur der Handlung eingespielt. Von hier aus entwickeltsich die Erz�hlung nun logisch weiter. Das erste bestimmendeThema der biblischen Abrahamserz�hlung ist die Erf�llung der

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Nachkommensverheißung. Dem Versprechen Gottes am Anfangder Erz�hlung, wonach Gott Abram zu einem großen Volk ma-chen will, stehen widrige Umst�nde entgegen. Bereits aus Gen11,30 wissen wir von der Unfruchtbarkeit Sarais, außerdem istAbrambei seinemAuszug ausHaran bereits 75 Jahre alt. Aber dieSituation soll sich im Folgenden noch mehr versch�rfen: EineHungersnot zwingt Abram mit seiner Frau nach �gypten, in dieGetreidekammer Pal�stinas, zu ziehen. Dort wird die k�nftigeErzmutter durch den Pharao gef�hrdet, der Sarai wegen ihrerSchçnheit begehrt. Abram gibt seine Frau zu seinem eigenenSchutz als seine Schwester aus und siewird tats�chlich andenHofdes Pharaos geholt. Gott aber errettet Sarai. Nun kçnnen Abramund Sarai reich beschenkt �gypten verlassen und wieder in dasS�dland nach Kanaan ziehen (12,10–20). An dieser Erz�hlungscheiden sich die Geister : W�hrend manche Ausleger hier Ab-rams Kleingl�ubigkeit, ja geradezu seine Feigheit entdeckenwollen, verstehen andere die Erz�hlung als einen Beleg f�r dieKlugheit und List des Erzvaters.

Wenn wir den Erz�hlstrang der Nachkommensverheißungweiterverfolgen, spielt im Folgenden die Geschichte in Gen 15eine herausragende Rolle. Gott antwortet auf Abrams Klage mitder Verheißung, dass Abrams Nachfahren so zahlreich wie dieSterne des Himmels sein werden; Abram vertraut auf das gçtt-liche Wort, und es wird ihm „zur Gerechtigkeit angerechnet“(Gen 15,6). Sein Verhalten wird also von Gott in seiner Ange-messenheit und Richtigkeit best�tigt. Abram wird so zum „Vaterdes Glaubens“ und zum Urbild einer gottgef�lligen Existenz.

Auch das folgende Kapitel Gen 16 widmet sich demThema derNachkommenschaft Abrams: Wegen der Unfruchtbarkeit Saraisentschließen sich Abram und Sarai dazu, Hagar, Sarais �gypti-sche Magd, als Leihmutter zu benutzen – nach außerbiblischenZeugnissen war dies ein Rechtsbrauch, der auch andernorts imAlten Orient, so zum Beispiel in Babylonien, �blich war. Ausdieser Verbindung von Abrammit Hagar geht Ismael hervor, derzum Stammvater eines wilden, freien W�stenvolkes wird (16,1–16). Auch hier habenmancheAusleger einenHinweis auf AbramsKleinmut und sein mangelndes Gottvertrauen sehen wollen.Wenn Gott aber Abram verheißen hat, dass er zum Vater vieler

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Vçlker werden soll, ist nunmit dieser Geschichte der erste Schrittzu diesem Ziel bereits getan. Gen 17 erz�hlt von einer weiterenEpisode, in der Gott Abram – und auch Sarai – die Verheißungeiner großen Nachkommenschaft zusichert. Dieses Versprechenwird hier als „Bund“ (hebr. berit) bezeichnet. Als Abram bereits99 Jahre alt ist, verheißt Gott ihm n�mlich noch einmal, dass erreiche Nachkommenschaft haben wird. Hier nun wird „Abram“in „Abraham“ umbenannt. Vermutlich waren diese beidenNamen urspr�nglich einfach einmal zwei Formen ein und des-selben semitischen Personennamens, der soviel bedeutet wie:„Der Vater (des Stammes) ist erhaben“ oder aber „Der Vater (alsBezeichnung f�r den Schutzgott) ist erhaben“.

In Gen 17 wird der Name „Abraham“ nun in einemWortspielals „Vater vieler Vçlker“ (hebr. av-hamon) gedeutet und so zumSymbol der gçttlichen Verheißung. Die Beziehung zwischen Gottund Abraham bezieht sich auch auf Abrahams Nachkommen-schaft, wenn es nun in einer Gottesrede heißt: „Und ich willaufrichten meinen Bund zwischen mir und dir und deinenNachkommen nach dir f�r alle Geschlechter zu einem ewigenBund, auf dass ich dir und deinen Nachkommen nach dir Gottsein werde“ (Gen 17,7). Zeichen dieses Bundes ist die Beschnei-dung, die amachten Lebenstag einesm�nnlichenKindes erfolgensoll. Hier nun erfolgt auch die Umbenennung von „Sarai“ in„Sara“ und die Verheißung, dass sie einen Sohn bekommen wird(Gen 17,19). Nach demBesuch der dreiM�nner bei AbrahamundSara in Mamre, bei dem diese Abrahams und Saras Gastfreund-schaft erfahren d�rfen und Sara prophezeien, dass sie �ber dasJahr tats�chlich einen Sohn bekommen wird, erz�hlt Gen 21 vonder Geburt dieses Kindes. Es erh�lt den Namen Isaak, waswçrtlich: „er bzw. man lacht“ bedeutet. Eine Deutung diesesNamens wird von Sara selbst gegeben, wenn sie sagen kann:„Gott hat mir ein Lachen bereitet. Jeder, der davon hçrt, wird imHinblick auf mich lachen“ (21,6). Vermutlich soll dies nichtheißen, dass Sarawegen ihres „sp�tenKindes“ ausgelachtwerdensoll, sondern vielmehr auf die Freude ihrer Mitmenschen ver-weisen. Außerdem bringt Sara mit eigenen Worten die tran-szendente Seite desGeschehens zumAusdruck:DasWunschkindist ein Geschenk Gottes!

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Angesichts dieser Geschichte wirkt das, was im Folgendenerz�hlt wird, wie ein Sprung ins kalte Wasser : Nachdem es zurEntzweiung von Isaak und Ismael gekommen ist (21,9–21), sollAbraham auf Gottes Befehl hin seinen geliebten Sohn Isaak alsOpfer darbringen und auf diese Art und Weise seinen unbe-dingten Gehorsam gegen�ber dem gçttlichen Wort demonstrie-ren. Erst in letzter Minute wird Isaak durch Gottes Eingreifengerettet, und es ist vor allem der Glaube und das VertrauenAbrahams, das in dieser Erz�hlung herausgestellt werden soll(Gen 22). Nach Saras Tod heiratet Abraham Ketura. Sie wird dieMutter von sechs Sçhnen, die zusammenmit ihrenNachkommenwiederum Stammv�ter von Vçlkern werden, die die W�stenge-biete bewohnen (25,1–6).

Das zweite Leitthema der Abrahamerz�hlung, das Thema desLandes, wird nach der Ouvert�re in Gen 12,1–9 mit der Ge-schichte von der Trennung von Lotweiter entfaltet.Weil das Landf�r Abraham und Lot und ihre Herden zu eng geworden ist,trennt sich Lot von Abraham und nimmt in Sodom in der damalsnoch fruchtbaren Gegend am Toten Meer Wohnung (Gen 13,6–12). Das Bemerkenswerte dieser Erz�hlung ist Abrahams Groß-z�gigkeit, mit der er seinem Neffen das fruchtbarere Land�berl�sst. Am Ende der Erz�hlung erfolgt eine erneute Bekr�f-tigung der Landverheißung (Gen 13,14–18). Nach der eigenar-tigen Geschichte vom Bundesschluss zwischen den Tierh�lften,in der Gott Abraham abermals den k�nftigen Besitz des Landesverheißt (Gen 15,13), wird das Motiv des Landbesitzes auch inGen 21,22–34 eingespielt: Wegen der Rechte an einem Brunnenkommt es zu einer Auseinandersetzung mit den Knechten desPhilisterkçnigs Abimelech; Abraham aber gelingt es durch einevertragliche Vereinbarung, die Streitigkeiten zu schlichten undso f�r beide Parteien eine gedeihliche Lebensgrundlage zuschaffen. Die Landthematik erscheint außerdem auch in Gen 23:Abraham, ein Fremdling in Kanaan, erwirbt die Hçhle Machpelain Hebron von ihrem urspr�nglichen Besitzer, einem Hethiter,um dort seine zwischenzeitlich verstorbene Frau Sara zu be-statten. Damit wird er der rechtsm�ßige Besitzer eines wenn auchkleinen Teils des verheißenen Landes.

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Schließlich enth�lt die Abrahamsgeschichte noch weitere Er-z�hlungen, diemit derGestalt Lots verbunden sind.NachdemLotam Toten Meer Wohnung genommen hat, wird er bei einer mi-lit�rischen Auseinandersetzung verschiedener Kçnige mit seinerganzen Habe in den Norden des Landes verschleppt. SowieAbrahamvon dieser Geschichte Kunde bekommen hat, eilt er los,um seinen Neffen zu erretten. Nach seiner R�ckkehr begegnet erMelchizedek, dem Priester der Stadt Salem, der Abraham segnet.Umgekehrt erkennt Abraham dessen Herrschaft an, indem erihm den Zehnten von allem – im vorliegenden Kontext wohl derKriegsbeute – gibt. Ansonsten demonstriert Abraham seineSelbstlosigkeit, indem er auf die gesamte Kriegsbeute verzichtet(Gen 14). Schließlich aber ereilt Lot ein eigenartiges Schicksal:Weil die Leute seiner Stadt Sodom den bei ihm zu Besuch wei-lenden Engeln, die hier in Menschengestalt auftreten, gewaltt�tiggegen�bertreten, wird die Stadt Sodom wie auch Gomorra ver-nichtet (Gen 19,1–29). Nur Lot kann sich mit seinen Tçchtern indas nahe gelegene Gebirge retten. Durch eine inzestuçse Ver-bindung mit seinen Tçchtern wird Lot zum Stammvater derMoabiter und Ammoniter, zwei der Nachbarvçlker Israels, dieçstlich des Toten Meeres wohnen (Gen 19,30–38).

So kann im Hinblick auf die biblische Abrahamserz�hlungzusammengefasst werden: Abraham erscheint hier als eine idealeGestalt. Gegen�ber seinen eigenen Leuten erweist er sich alsmutig und selbstlos, gegen�ber Fremden ist er gastfreundlichund auf Ausgleich und Frieden bedacht – ja sogar listig, umBlutvergießen und Gewalttaten zu verhindern. W�hrend sich dieLandverheißung nur ein St�ck weit realisiert, wird die Erf�llungder gçttlichen Nachkommensverheißung breit dargestellt. Dabeiist entscheidend, dass der von Gott verheißene Segen explizitsowohl auf Isaak als auch auf Ismael �bergehen soll ; auf die Ge-stalt Isaaks, der ja wiederum der Vater Jakobs, des StammvatersIsraels, ist, wird insofern besonderes Gewicht gelegt, da er auchEmpf�nger des gçttlichen Bundesschlusses sein soll (Gen 17,21).

Wenn sich die biblische Abrahamsgeschichte insgesamt auchals koh�rente, fortlaufende Geschichte pr�sentiert, so ist sie dochnicht auf einen einzigen Autor zur�ckzuf�hren. Die biblischeAbrahamserz�hlung ist vielmehr in einem l�ngeren Prozess

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„gewachsen“, der wohl mehrere Jahrhunderte gedauert hat. Dieszeigen verschiedene Dubletten: Das Motiv der Gef�hrdung derAhnfrau erscheint sowohl in Gen 12,10–20 als auch in Gen 20,1–18; ebenso wird Hagars Vertreibung in die W�ste gleich zweimalerz�hlt, n�mlich inGen 16,6–13 undGen 21,9–21. Hinzu kommtnoch die Tatsache, dass die Geschichte zahlreiche stilistischeUnterschiede aufweist; dies wird vor allem deutlich, wenn manden Text in seiner hebr�ischen Ursprache liest und studiert. Wieman sich das Wachstum dieses Textes im Einzelnen vorzustellenhat, wird in der alttestamentlichen Wissenschaft seit vielen Jah-ren ausgiebig diskutiert, von einem wissenschaftlichen Konsensist man jedoch weit entfernt. Da diese komplexe Problematik indem hier vorgegebenen Rahmen nicht dargelegt werden kann,m�ssen einige Hinweise gen�gen. Sicherlich standen am Anfangdes Traditionsprozesses m�ndliche �berlieferungen, und es istauch anzunehmen, dass der Abraham-Sara-Erz�hlkranz, der imweitesten Sinne um die Geburt des ersehnten Sohnes Isaak kreist(Gen 12*.16*.18*.21*) sowie der Abraham-Lot-Erz�hlkranz (Gen13*.18*19*) zu den �ltesten Teilen dieser Geschichte gehçrten,die aus vorexilischer Zeit stammen. Im Laufe der Zeit wurdedieser Grundstock durch weitere Erz�hlungen wie z.B. der Ge-schichte der Ahnfrau am Hofe Abimelechs (Gen 20) „angerei-chert“. Von entscheidender Bedeutung ist die Verbindung desMaterials mit der sog. Priesterschrift, die als Reaktion auf dieErfahrung der Exilierung Israels entstand. Nun werden die ein-zelnen Erz�hlungen durch Stammb�ume und knappe Zeitanga-ben in ein breiteres genealogisches und chronologisches Ger�steingebunden und theologisch weiter durchdrungen. Diese„Theologisierung“ zeigt sich f�r unseren Textbereich besondersdeutlich in der �berlieferung vom Bundesschluss mit Abrahamund der Beschneidung (Gen 17). Dieses Kapitel ist neben Gen 23die einzige priesterschriftliche Erz�hlung in der gesamtenAbrahams�berlieferung, ansonsten enth�lt diese Schicht nurknappe Notizen (Gen 12,4b.5; 16,1a.3.15; 21,1b–5; 25,7–11a).Einzelne Teile der Abrahams�berlieferung werden jener großentheologischen Strçmung zugeordnet, die man in der alttesta-mentlichen Wissenschaft als „deuteronomistisch“ bezeichnet.Sie wurden vermutlich erst in den Text eingef�gt, als die Pries-

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terschrift mit dem Deuteronomistischen Geschichtswerk ver-bunden wurde (Gen 15,6; 18,19; 22,15–18; 26,3b–5).

In diesem Wachstum der Abrahamstradition spiegelt sich einSt�ck weit auch die Glaubensgeschichte Israels wider. Dies kannexemplarisch an der Erz�hlung vomBund und der Beschneidungentfaltet werden:Wenn die Verheißung anAbraham, die auch diefolgenden Generationen mit einschließt, mit dem Terminus desBundes (hebr. berit) bezeichnet werden kann und zudem miteinem Zeichen verkn�pft wird, so wird deutlich, dass die beste-henden �berlieferungen gleichsam an die aktuelle Situationangepasst werden: Israel befand sich in der Exilszeit in einerKrise, da angesichts des Verlustes des Kçnigtums, des Tempelsund des Landes doch massive Zweifel aufkamen, inwieweitJHWH �berhaupt noch auf Seiten seines Volkes stand. Die Er-z�hlung in Gen 17 kann geradezu als Beschwichtigung einersolchen Glaubenskrise verstanden werden. Im R�ckgriff auf dieVorzeit und den Stammvater Israels wird die besondere Bezie-hung zwischen Gott und Israel als ein Bund pr�sentiert, eineBeziehung, die durch ein kçrperliches Merkmal eine unmittel-bare Symbolisierung erf�hrt. Einweiteres Beispiel f�r eine solche„Aktualisierung“ der Abrahams�berlieferung und ihre Anpas-sung an die gegenw�rtigen Werte stellt auch die StilisierungAbrahams als eine dem gçttlichen Gesetz ergebene Gestalt dar,auf die sp�ter noch genauer eingegangen werden soll.

Aber auch andere biblische Texte außerhalb der eigentlichenAbrahamsgeschichte zeigen die Bedeutung, die diese Gestalt f�rIsrael in der Exilszeit hatte. So belegt ein kleiner Abschnitt ausdem Buch Ezechiel, der ebenfalls in die Exilszeit zu datieren ist,dass die im Lande Gebliebenen sich als die wahren Abrahams-kinder betrachteten und daraus ihren Anspruch auf das Landbegr�ndeten (Ez 33,24). Der Prophet Deuterojesaja wiederumverweist darauf, dass Gott Abraham gesegnet und ihm Nach-kommen geschenkt hat, und ermçchte Israel damitMutmachen,auch in der gegenw�rtigen Notsituation auf Gottes rettendesEingreifen und sein Erbarmenmit seinemVolk zu vertrauen. DerZielpunkt, auf den diese Worte hinauslaufen, ist dabei der Wie-deraufbau Zions, aus dessen �de eine Art Paradies erstehen soll(Jes 51,1–3).

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So belegen diese biblischen Texte, dass bereits in der Zeit, alsdie biblische Abrahamserz�hlung noch im Wachsen war, dieTraditionen als solche auch außerhalb dieser im Entstehen be-griffenen literarischen Grçße produktiv aufgenommen wurdenund im Hinblick auf die Bew�ltigung der aktuellen Krise fun-gierten. Abraham repr�sentiert mit dem Empfang des Segensund der gçttlichen Verheißung eine Idealfigur der Gottesbezie-hung; da er der Repr�sentant Israels schlechthin ist, vermag ergleichzeitig Israels Hoffnung auf die gegenw�rtige Erf�llungeiner solchen Idealit�t zu bekr�ftigen.

3. Die Figur Abrahams in den außerbiblischen Textendes antiken Judentums

3.1. Grundlegendes: Die Quellen

Die Figur Abrahams, von der uns die biblischen Erzelternge-schichten so ausf�hrlich erz�hlen, spielt auch in der Literatur desantiken Judentums, die in den Jahrhunderten vor und nach derZeitenwende angesichts bedeutender historischer Ereignisse inder hellenistischen und rçmischen Zeit entstand, eine bedeu-tende Rolle. Dabei werden einerseits narrative L�cken der bi-blischen Abrahams�berlieferung gef�llt und andererseits be-stimmte einzelne Erz�hlz�ge breiter ausgeschm�ckt, so dass diebiblische Basisgeschichte ganz neue Akzentuierungen erf�hrt.

Verschiedene, zum Teil auch recht unterschiedliche Quellenspielen bei diesem �berlieferungsprozess eine entscheidendeRolle. Als wichtigste Quellen sind zun�chst jene Werke zu nen-nen, die die biblischen Inhalte relativ frei nacherz�hlen und die inder Wissenschaft als „rewritten Bible“ bezeichnet werden. Hierw�re an erster Stelle auf das sog. „Jubil�enbuch“ zu verweisen,das im Zusammenhang mit der makkab�ischen Erhebung ent-stand, oder auf die „Biblischen Altert�mer“ und die „ApokalypseAbrahams“, beides Werke, die in die Jahrzehnte nach der Zer-stçrung des Zweiten Tempels im Jahre 70 zu datieren sind. EineNacherz�hlung der biblischen Erz�hlungen findet sich auch inden „J�dischen Altert�mern“ des j�dischen Geschichtsschrei-

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bers Josephus (ca. 38–100 n.Chr.), der Zeitzeuge des J�dischenKriegs gegen die Rçmer und der Zerstçrung des JerusalemerTempels (66–70 n.Chr.) war.

W�hrend aber die Texte der „rewritten Bible“ urspr�nglichHebr�isch oder Aram�isch verfasst worden sind, hat Josephussein Werk auf Griechisch verfasst. Dies h�ngt nicht zuletzt auchmit der Intention dieses Verfassers zusammen: Josephus warzun�chst Befehlshaber im J�dischen Krieg gegen Rom; nachseiner Gefangennahme bei der Schlacht von Jotapata (67 n.Chr.)lebte und wirkte er aber im Lager des Feldherrn Vespasian bzw.seines Nachfolgers Titus. Mit diesem ging er nach dem Sieg derRçmer nach Rom, wo er das rçmische B�rgerrecht sowie einePension vomKaiserhaus erhielt. In Romverfasste er seineWerke.Dabei schrieb er vor allem f�r die Gebildeten Roms, denen erzeigenmçchte, dass seinVolk ein hohes kulturellesNiveau besitztund keineswegs – wie dies vielleicht durch die Attacken der Ze-loten nahe liegen kçnnte – ein Volk von gewaltt�tigen Fanatikernist. F�r die Darstellung der Abrahamsgestalt ist vor allem seinWerk „Antiquitates Judaicorum“, die „J�dischen Altert�mer“,wichtig, das Anfang der 90er Jahre in Rom erschien.

Von einem apologetischen Interesse ist auch das Werk desj�dischen Religionsphilosophen Philo (20 v.Chr. bis 40 n.Chr.)gepr�gt, der um die Zeitenwende im �gyptischen Alexandrienlebte. Dort gab es eine große j�dische Diasporagemeinde. Philoschrieb zwei große Abhandlungen zu unserem Thema, n�mlich„�ber Abraham“ (De Abrahamo) und „�ber Abrahams Wan-derung“ (De Migratione Abrahami). Weitere Hinweise auf dieGestalt Abrahams finden sich in sekund�rem Kontext in seinemWerk „�ber die Tugenden“ (De virtutibus) § 212–217. Charak-teristisch f�r Philos Bibelauslegungen ist, dass er sowohl denwçrtlichenSinn als auchden allegorischen SinnderTexte darlegt.F�r die Abrahams�berlieferung heißt das konkret: Neben einerparaphrasierenden Nacherz�hlung der biblischen Abrahamsge-schichte erfolgt eine allegorische Auslegung der biblischen Texte,die einzelne Elemente als Hinweise auf abstrakte Vorg�nge be-greifen. Diese allegorische Art der Auslegung hat Philo aus dergriechischen Denkwelt �bernommen, wo sie vor allem f�r dieHomerexegese von Bedeutung war. Da die alten Mythen von den

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Gçttern und ihren K�mpfen nicht mehr zeitgem�ß waren, ent-wickelte sich nach l�ngeren Vorl�ufen vor allem in Alexandriaseit dem 3. Jh. v.Chr. ein System, das die alten Erz�hlungen im�bertragenen Sinne als Hinweise auf tiefer gehende, abstrakterePrinzipien lesen konnte. Vor diesem Hintergrund kann PhilosWerk in gewisser Art undWeise als eine Synthese charakterisiertwerden, die die j�dische, biblisch gepr�gte Tradition mit dergriechischen Kultur und ihren Werten verbindet. Damit wird ersowohl den Anforderungen der j�dischen Tradition gerecht, f�rdie die biblischen Texte in ihrem Wortsinn f�r die Konstitutionder Identit�t bedeutsam waren, als auch den Anforderungen derwissenschaftlichen philosophischen Tradition Alexandrias. Au-ßerdemkann er so zeigen, dass die biblischen Texte nicht nur vonpartikularem Interesse f�r das Volk sind, sondern eine universaleKomponente enthalten.

Die rabbinischen Texte aus dem sog. Midrasch schließlichhaben wiederum einen ganz anderen Charakter. Diese Literatur,die in den Jahrzehnten und Jahrhunderten nach der Zerstçrungdes Jerusalemer Tempels im Jahre 70 n.Chr. entstanden ist,kommentiert die biblischen Texte kursorisch. Auf ein biblischesZitat folgt die Interpretation, die relativ frei viele neue, zum Teilauch �berraschende narrative Details erg�nzt und so dem bi-blischen Text Tiefe und Konkretion verleiht. Im Hinblick auf dierabbinische Sicht der Abrahamsgestalt steht der Midrasch Be-reschit Rabba, die Auslegung zum Buch Genesis, an erster Stelle;dar�ber hinaus existieren in diesen breiten Informationen abernoch zahlreiche weitere Auslegungen biblischer Verse, die – oft-mals ganz �berraschend – auf Abraham bezogen werden kçnnen.

3.2. Abraham als Vater vieler Vçlker

Die biblische �berlieferung pr�sentiert Abraham als „Vatervieler Vçlker“, denn von ihm soll nicht nur das Volk Israel ab-stammen, sondern auch die Nachkommen Ismaels sowie dieKinder der Ketura, die ja wiederum alle als Stammv�ter ver-schiedener Vçlker gelten. Vor dem Hintergrund der Tatsache,dass Abraham nicht nur der Großvater Jakobs, sondern auch der

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Großvater Esaus ist, erçffnet sich zudem eine weitere genealo-gische Linie.

Diese Rolle Abrahams als Vater vieler Vçlker, die durch diebiblische �berlieferung vorgegeben ist, wird in den verschiede-nen �berlieferungen des antiken und mittelalterlichen Juden-tums ganz unterschiedlich gestaltet. Ein Blick auf die �lterenTraditionen aus der hellenistischen Zeit zeigt zun�chst, dass einesolche Sicht nicht ungeteilte Zustimmung fand.

Hier sind zun�chst die Ausf�hrungen zur Beschneidung imJubil�enbuch aufschlussreich. �hnlich wie im biblischen Berichtin Gen 17 befiehlt Gott Abraham, alle Sçhne am 8. Tag zu be-schneiden (Jub 15,13 f). Die Beschneidung wird hier mit derVorstellung von Engeln bzw. D�monen verbunden. Israel, dessenAufgabe es ist, die Sçhne am 8. Tag zu beschneiden, wird von denEngeln besch�tzt, wohingegen Gott die anderen Vçlker, dieebenfalls unter seinem Machtbereich stehen, den D�monen�berantwortet hat.Außerdembetont der Erz�hler hier das bereitsim Bibeltext anklingende Motiv, wonach jeder, der das Gebot derBeschneidung nicht h�lt, sein Leben verwirkt hat. W�hrend derBibeltext dieses Gebot wohl auf Angehçrige des Volkes Israelbezieht und ganz allgemein erz�hlt, dass Ismael, mit dem Gottzwar keinen Bund aufrichtet, dennoch unter dem gçttlichenSegen steht und auchbeschnittenwurde (Gen 17,20 f.25 f), grenztdas Jubil�enbuch diesen Nachfahren sowie auch den sp�tergeborenen Esau als Enkel Abrahams explizit aus dem gçttlichenVerheißungsgeschehen aus und betont, dass sie Gott nicht zusich „nahegebracht“ und nicht auserw�hlt habe. Alle Vçlkeraußer Israel werden von D�monen beherrscht (Jub 15,26–32).Wie Karl-Josef Kuschel deutlich gemacht hat, wird hier Abra-ham eindeutig als Eigentum Israels reklamiert, und nur seineNachkommen gelten als Empf�nger des gçttlichen Segens.Damit wird seine Rolle, Vater vieler Vçlker zu sein, ein St�ckweit relativiert.

Der zeitgeschichtliche Hintergrund, in dem das Jubil�enbuchentstanden ist, macht eine solche ablehnende Haltung gegen�berden anderen Vçlkern, die diese geradezu d�monisiert, ver-st�ndlich. Das Judentum dieser Zeit war tief gespalten: W�hrendein Teil sich der hellenistischen Kultur çffnete, vertraten andere

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