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§ 34 Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung (OR 62-67) 651 I. Allgemeines 652 1. Funktion und Stellung des Bereicherungsrechts im Gesetz 652 2. Komparatistische Hinweise 654 3. Gegenstand der Bereicherungsansprüche 656 II. Allgemeine Voraussetzung d er Bereicherungsansprüche 656 1. «Grundlosigkeit» der Vermögensverschiebung 656 2. Sachzusammenhang zwischen Bereicherung und Entreicherung 658 III. Abgrenzungsfragen 659 1. Einteilung des Bereicherungstatbestände 659 2. Verhältnis zu anderen Rechtsbehelfen 660 3. Bereicherungsrechtlicher Grundtatbestand gemäss OR 62-67 im Verhältnis zu kondiktionsrechtlichen Verweisungen und Sonderregeln 663 IV. Insbesondere Tatbestände und Voraussetzungen der Leistungskondiktion 665 1. Verhältnis der allgemeinen Leistungskondiktion des heutigen Rechts zu den gemeinrechtlichen Kondiktionstypen 665 2. Insbesondere die Voraussetzung des Irrtums (OR 63/I) bzw. des Ausfalls des Leistungsgrundes (OR 62/II) 668 3. Erweiterung: Sonderfall der Rückforderung des (seitens des Leistungsempfängers) verwerflich Erworbenen 673 4. Sonderfrage: Kondiktion von Forderungen 675 5. Sonderfrage: Zulässigkeit der «actio de in rem verso»? 677 V. Ausschlussgründe der Leistungskondiktion (OR 66, 63/II) 678 1. Der Grundsatz des Ausschlusses der Rückforderung des zur Verfolgung missbilligter Zwecke Hingegebenen (OR 66) 678 2. Die bundesgerichtliche Praxis zu OR 66 680 3. Keine Rückforderung bei Erfüllung sittlicher oder verjährter Pflichten (OR 63/II) 683 VI. Die übrigen Kondiktionsfälle («Nicht-Leistungskondiktion») 684 1. Allgemeines 684 2. Eingriffskondiktion 684 3. Zufallskondiktion 685 VII. Rechtsnatur und Umfang des Bereicherungsanspruchs 686 1. Grundsatz: Anspruch auf Naturalrestitution 686 2. Obligatorische Natur des Bereicherungsanspruchs 687 3. Berechnung des Bereicherungsanspruchs; Ersatzanspruch bei vereitelter Vindikation 688 4. «Bereicherung» als Vermögens-Differenzgrösse 690 5. Bei der Bereicherungs-Festsetzung zu berücksichtigende Aktivposten 691 6. Umfang der Berücksichtigung von Abzugsposten; «Entreicherungseinrede» im Sinne von OR 64 693 7. Ersatz der Verwendungen (OR 65 bzw. ZGB 938-940) 696 VIII. Verjährung (OR 67) 697 1. Entstehungsgeschichte von OR 67; Kritik 697 2. Der Lauf der Zehnjahresfrist 698 3. Der Lauf der Einjahresfrist 699 4. Unverjährbarkeit des Bereicherungsanspruchs als Einredetatbestand (auch zu OR 67/II) 701 5. Verlängerung der Fristen von OR 67/I bei Bereicherung infolge von Straftaten (analog OR 60/II) 701 6. Zum Anwendungsbereich von OR 67 701

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§ 34 Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung (OR 62-67) 651

I. Allgemeines 6521. Funktion und Stellung des Bereicherungsrechts im Gesetz 6522. Komparatistische Hinweise 6543. Gegenstand der Bereicherungsansprüche 656

II. Allgemeine Voraussetzung d er Bereicherungsansprüche 6561. «Grundlosigkeit» der Vermögensverschiebung 6562. Sachzusammenhang zwischen Bereicherung und Entreicherung 658

III. Abgrenzungsfragen 6591. Einteilung des Bereicherungstatbestände 6592. Verhältnis zu anderen Rechtsbehelfen 6603. Bereicherungsrechtlicher Grundtatbestand gemäss OR 62-67

im Verhältnis zu kondiktionsrechtlichen Verweisungenund Sonderregeln 663

IV. Insbesondere Tatbestände und Voraussetzungen derLeistungskondiktion 6651. Verhältnis der allgemeinen Leistungskondiktion des heutigen

Rechts zu den gemeinrechtlichen Kondiktionstypen 6652. Insbesondere die Voraussetzung des Irrtums (OR 63/I) bzw.

des Ausfalls des Leistungsgrundes (OR 62/II) 6683. Erweiterung: Sonderfall der Rückforderung des (seitens

des Leistungsempfängers) verwerflich Erworbenen 6734. Sonderfrage: Kondiktion von Forderungen 6755. Sonderfrage: Zulässigkeit der «actio de in rem verso»? 677

V. Ausschlussgründe der Leistungskondiktion (OR 66, 63/II) 6781. Der Grundsatz des Ausschlusses der Rückforderung des

zur Verfolgung missbilligter Zwecke Hingegebenen (OR 66) 6782. Die bundesgerichtliche Praxis zu OR 66 6803. Keine Rückforderung bei Erfüllung sittlicher oder verjährter

Pflichten (OR 63/II) 683VI. Die übrigen Kondiktionsfälle («Nicht-Leistungskondiktion») 684

1. Allgemeines 6842. Eingriffskondiktion 6843. Zufallskondiktion 685

VII. Rechtsnatur und Umfang des Bereicherungsanspruchs 6861. Grundsatz: Anspruch auf Naturalrestitution 6862. Obligatorische Natur des Bereicherungsanspruchs 6873. Berechnung des Bereicherungsanspruchs; Ersatzanspruch

bei vereitelter Vindikation 6884. «Bereicherung» als Vermögens-Differenzgrösse 6905. Bei der Bereicherungs-Festsetzung zu berücksichtigende

Aktivposten 6916. Umfang der Berücksichtigung von Abzugsposten;

«Entreicherungseinrede» im Sinne von OR 64 6937. Ersatz der Verwendungen (OR 65 bzw. ZGB 938-940) 696

VIII. Verjährung (OR 67) 6971. Entstehungsgeschichte von OR 67; Kritik 6972. Der Lauf der Zehnjahresfrist 6983. Der Lauf der Einjahresfrist 6994. Unverjährbarkeit des Bereicherungsanspruchs als

Einredetatbestand (auch zu OR 67/II) 7015. Verlängerung der Fristen von OR 67/I bei Bereicherung infolge

von Straftaten (analog OR 60/II) 7016. Zum Anwendungsbereich von OR 67 701

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Literatur

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für Rechtsgeschichte, Bd. 92 (CV), Rom. Abt., Weimar 1975; W. SIMSHÄUSER, WindscheidsVoraussetzungslehre rediviva, AcP 172, p. 19 ff.; A. VON TUHR, Actio de in rem verso, zugleichBeitrag zur Lehre von der Geschäftsführung, Freiburg i. Br. 1895; G. WELKER,Bereicherungsausgleich wegen Zweckverfehlung, ... zugleich ein Beitrag zur Struktur derLeistungskondiktion, Schriften zum Bürgerlichen Recht, Bd. 17, Berlin 1974; W. WILBURG, DieLehre von der ungerechtfertigten Bereicherung nach österreichischem und deutschem Recht, Graz1934.

I. Allgemeines

1. Funktion und Stellung des Bereicherungsrechts im Gesetz

a) An vorderster Stelle der Entstehungsgründe von Obligationen stehen die Verträge, an derenSeite die unerlaubten Handlungen (Delikte) treten. Als Entstehungsgründe von untergeordneterBedeutung werden seit alters die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohneAuftrag aufgefasst. Im Gemeinen Recht werden diese beiden letzteren Typen vonAnspruchs-Entstehungsgründen überwiegend als vertragsähnlich («obligationes quasi excontractu») verstanden und oft auch im Zusammenhang des Vertragsrechts behandelt. ImGegensatz dazu behandelt das OR die «ungerechtfertigte Bereicherung» («Kondiktion») alsTatbestand des Quasi-Delikts, was die systematische Stellung im Gesetz (Regelung imAnschluss an das Deliktsrecht) wie auch das Anstreben einer Symmetrie in Einzelanordnungen1

zeigt. Mit dem Recht der unerlaubten Handlungen hat das Bereicherungsrecht gemein, dass dieRechtsfolgen unabhängig vom Willen der Beteiligten und ohne rechtsgeschäftliche Grundlageentstehen, so dass man bei den Bereicherungs- wie den Deliktsansprüchen von Ansprüchen «exlege» sprechen kann2.

b) Während beim Deliktsrecht der Schaden des Anspruchsberechtigten Ansatzpunkt derAusgleichsregelung ist, geht das Bereicherungsrecht grundsätzlich von der Bereicherung desKondiktionsschuldners aus. Der Bereicherungsanspruch ist nicht auf den Betrag derVermögensverminderung des Entreicherten maximiert; vielmehr ist jede Bereicherungzurückzuerstatten, sofern sie nur aus dem Vermögensbereich des Ansprechers stammt. DasKondiktionsobjekt mag ausnahmsweise für den Verpflichteten grossen, den Berechtigten blossgeringen vermögensmässigen Wert haben. Umgekehrt gleicht der auf die Höhe der Bereicherungbegrenzte Bereicherungsanspruch nicht immer die volle Benachteiligung des Entreicherten aus,

1 Die unglückliche einjährige Verjährungsfrist von OR 67 in Analogie zu OR 60! dazu unten Ziff. VIII/1.2 Die Geschäftsführung ohne Auftrag («negotiorum gestio») wird - systemwidrig - nicht im AllgemeinenTeil des OR, sondern im Besonderen Teil unter den «Einzelnen Vertragsverhältnissen» im Anschluss anden Auftrag behandelt (OR 419-424); Vorstellung des «quasi-Vertrags» oder «quasi-Auftrags».

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weshalb man nicht schadenersatzrechtliche Grundsätze auf das Bereicherungsrecht übertragendarf.

c) Bereicherungsansprüche bestehen grundsätzlich unabhängig von der Frage, weshalb dieauszugleichende Bereicherung entstanden ist. Insbesondere wird nicht vorausgesetzt, dass derBereicherte zur Entstehung der Bereicherung beigetragen hat3 oder gar, dass diesen einVerschulden trifft. Daher ist bei der Leistungskondiktion nicht nach den Gründen desDahinfallens des von den Parteien bei der Leistungserbringung vorausgesetztenLeistungsgrundes zu fragen, entscheidend ist allein die Feststellung, dass der vorausgesetzteLeistungsgrund nicht bestand4.

d) Die auszugleichende Bereicherung und Entreicherung sind zwar faktische, aufgrund derwirtschaftlichen Gegebenheiten zu ermittelnde Grössen, die indessen im Rahmen der gegebenenprivatrechtlichen Rechtslage festzustellen sind; zu berücksichtigen ist die durch Verträgegeschaffene Rechtslage 5, ebenso die sachenrechtlichen Eigentumsverhältnisse. Wer eine Sachegekauft und erhalten, aber nicht bezahlt hat, ist (solange der Vertrag aufrecht bleibt) nichtbereichert, da die Kaufpreisschuld sein Vermögen belastet; ebenso besteht weder Bereicherungnoch Entreicherung, wenn sich eine Sache rechtsgrundlos beim Nichteigentümer befindet: Siekann vom Eigentümer vindiziert (d. h. nach sachenrechtlichen Grundsätzen herausgefordert)werden6.

Werden Bereicherungsansprüche durch obligatorische oder dingliche Rechte des Betroffenenausgeschlossen, so gilt Gleiches nicht von Deliktsansprüchen nach OR 41 ff.: Diese treten inKonkurrenz zu den Bereicherungsansprüchen, und der Anspruchsberechtigte kann sichkumulativ auf beide Rechtsgrundlagen berufen7.

e) Aufgabe des Bereicherungsrechts ist es, bei ungerechtfertigten Vermögensverschiebungeneinen Ausgleich zu schaffen. Dabei ist dieser Ausgleich zum vornherein auf einen engen Kreisklar begrenzter Tatbestände beschränkt, die dadurch charakterisiert sind, dass die Entreicherung(Schädigung) des Anspruchsberechtigten unmittelbar auf die Bereicherung eines anderenzurückzuführen ist und die Vermögensverschiebung einer Rechtfertigung entbehrt. Zumvornherein ist der Gedanke auszuschliessen, dass das Bereicherungsrecht ein Notventil sei, mitdem allgemein unbillige rechtliche Ergebnisse korrigiert werden könnten. Es lassen sich

3 Wie der französische Text von OR 62/I meinen lassen könnte («Celui qui, sans cause légitime, s'estenrichi aux dépens d'autrui ...»).4 Anders nur, wenn der Gesetzgeber in besonderen Tatbeständen besondere Rückleistungsgrundsätzeaufstellt; vgl. dazu unten Ziff. III/3. - Die verfehlte Frage nach dem Grund des Fehlens gültiger causa hatinsbesondere auf die Handhabung von OR 66 in der Praxis einen unheilvollen Einfluss ausgeübt(Rückschluss auf Verwirkung von Bereicherungsansprüchen in Fällen von Vertragsnichtigkeit aufgrundvon OR 20); vgl. dazu unten Ziff. V/1.5 Nicht festzustehen scheint mir, ob dem Bestehen vertraglicher Vereinbarung der Tatbestand derGeschäftsführung ohne Auftrag gleichzustellen ist. V. TUHR nimmt dies an und hält die Regeln vonOR 62 ff. im Falle der Anwendbarkeit von OR 419-423 als ausgeschlossen (V. T./P., § 54/IV/4).6 Vgl. auch unten Ziff. III/2/a und b sowie V. T./P., § 54/IV/1, 2.7 Vgl. auch unten Ziff. III/2/c.

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dadurch nicht etwa die Folgen ungünstiger Verträge, fehlgeschlagener Spekulationen odereinseitig treffende Schläge des Schicksals ausgleichen. Selbstverständlich fällt es auch ausserBetracht, mit der Kondiktion rechtliche Nachteile, die vom Gesetzgeber gewollt oder in Kaufgenommen sind, zu beheben: Die Nachteile, die jemand infolge Verjährung seiner Ansprüche,Verwirkungsfolgen, Eigentumsverlust (durch Ersitzung, gutgläubigen Erwerb anvertrauterSachen usw. seitens Dritter) erfährt, sind nicht zu beseitigen, sowenig als mit der Kondiktion dieAuswirkungen eines unrichtigen, aber rechtskräftigen richterlichen Urteils abgewendet werdenkönnen8.f) Im Falle von Vermögensverschiebungen, die mit Wissen und Willen des Betroffenen erfolgen,erlangt Bereicherungsrecht (als sogenannte «Leistungskondiktion», unten Ziff. IV) zusätzlicheBedeutung, wo die Leistung ins Eigentum des Empfängers übergeht, was im Normalfall beiSachübereignung nicht zutrifft («Kausalität der Eigentumsübertragung, dazu § 4/VIII/4). Dieskommt vorab in folgenden Fällen in Betracht:

- Vermögensübergang infolge von nicht dem Kausalitätsprinzip unterliegenden, «abstrakten»Verfügungen (in der Schweiz bei der Zession, oben § 31/III/4, in Deutschland darüber hinaus inallen Fällen des Erwerbs dinglicher Rechte)9, bei Besitzübertragung10;- bei Geldleistungen und Leistung sonstiger vertretbarer Sachen, die im gegebenen Fall durchVermischung in das Vermögen des Empfängers übergegangen sind (ebenso bei allen anderenFormen originären Eigentumserwerbs zu Lasten eines Dritten), sodann die Leistung von Sachen,die infolge Verbrauchs oder Weiterveräusserung nicht zurückerstattet werden können;- bei Dienstleistungen und anderen Verhaltensweisen, die ohne Rechtsgeschäft (Verfügung) zueiner Bereicherung eines Dritten führen oder mit denen sich jemand bereichert.

2. Komparatistische Hinweise

Das schweizerische und deutsche Bereicherungsrecht beruht weitgehend auf dem römischenKondiktionsrecht, das in einer Reihe gesondert herausgestellter Tatbestandstypen die zuAusgleich Anlass gebenden Fallgruppen erfasste11. Die naturrechtliche Theorie versuchte zumTeil die Aufstellung eines allgemeinen bereicherungsrechtlichen Ausgleichsprinzips, woraufletztlich die in OR und BGB weitgehend

8 Vgl. dazu V. T./P., § 52/IX.9 Vgl. dazu auch unten Ziff. III/2/a.10 Vgl. unten Ziff. 3.11 Vgl. dazu die Lehrbücher zum Römischen Recht und die Pandektenliteratur; weiterhin unten Ziff. IV/1;aus den Quellen bes. Dig, 12, 4-6; Dig. 13, 1-3.

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(wenn auch nicht vollständig) verwirklichte Loslösung von einer beschränkten Typenzahl vonKondiktionstatbeständen zurückgeht. Auch die Beschränkung der Kondiktionsansprüche auf dievorhandene Bereicherung (Entreicherungseinrede nach OR 64) hat im Naturrecht ihre Wurzel.Als nicht realisierbar hat sich dagegen das Bestreben erwiesen, in einer Generalklausel sämtlicheVermögensverschiebungen, die nicht durch eine (wie auch immer verstandene) causagerechtfertigt sind, einer Ausgleichspflicht zu unterstellen.

Das französische Recht kennt eine summarische Regelung der «répétition de l'indu»(CC art. 1376 ff.), im wesentlichen erfassend die Fälle der Leistungskondiktion (vgl. untenZiff. III/1), während andere Tatbestände allenfalls über die Geschäftsführung ohne Auftrag(CC art. 1372 ff.) abgewickelt werden (vgl. auch unten Ziff. III/2d).

Im anglo-amerikanischen Rechtskreis, der in diesem Bereich von romanistischer Traditionnicht beeinflusst ist, fehlt ein allgemeiner Kondiktionstatbestand 12. In der Entscheidpraxiswurden die wichtigsten Fälle trotzdem erfasst, wobei die dogmatische Begründung fallweiseunterschiedlich ist und sich die herausgestellten Prinzipien zum Teil überschneiden. Auf derEbene des Common Law steht (wohl unter kontinentalem Einfluss) die Figur des«Quasi-Contract» im Vordergrund; auch wenn ein gültiger Vertrag nicht zustande gekommen ist,muss nach vertraglichen Prinzipien die Bereicherung (in Form von Geld) zurückerstattet werden.In einer abundanten Praxis (die zum Teil älter ist als die Vorstellung des «Quasi-Contract» inEngland) haben sich als besonders wichtige Fallgruppen herauskristallisiert die «action formoney had and received» (jemand hat aufgrund nichtigen Vertrages oder durch Drohung,Täuschung usw. Geld erhalten und muss dieses zurückerstatten13), die Klage quantum meruit(zum Ausgleich einer Bereicherung aus geleisteten Diensten) oder quantum valebat (Vergütungdes Werts einer Sachleistung)14.

Auf der Ebene des Equity-Rechts haben bestimmte Ansprüche aus «Constructive Trust»(Fingierung eines Treuhandverhältnisses), der den Trustee zur Herausgabe eines aus demVermögen eines anderen oder für dessen Rechnung erhaltenen Vermögenswertes verpflichtet(wobei diesfalls im Gegensatz zur kontinentalen Kondiktion der Anspruch auf Herausgabedinglicher Natur, d. h. im Konkurs privilegiert ist), bereicherungsrechtliche Funktion15.

12 Der Terminus «unjust enrichment» wird zwar angetroffen, hat jedoch nur die Funktion derBeschreibung von Sachverhalten, ohne einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zu formulieren.13 Von der Rückforderung sind jedoch grundsätzlich ausgenommen rechtsirrtümlich erbrachte Leistungen.14 Die genannten Entscheidgruppen weisen auch in Richtung der Argumentation mit faktischemVertragsverhältnis, die zum Bereicherungsrecht Affinität besitzt. Vgl. oben § 16.15 Vgl. die Vertragslehrbücher zum Stichwort «Quasi-Contract» usw., die Lehrbücher zu Equity oderTrust zum Begriff «Constructive Trust». Rechtsvergleichend sei allgemein (d. h. auch für dasfranzösische Recht) besonders auf die einlässliche Darstellung des Bereicherungsrechts beiZEIGERT/KÖTZ, Bd. II, p. 263-330 hingewiesen - aus der Lit. vgl. G. F. PALMER, Law of Restitution,4 vol., Boston 1978.

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3. Gegenstand der Bereicherungsansprüche

Mit der Kondiktion soll «ungerechtfertigtes Haben» ausgeglichen werden, und zwar soweitals möglich in natura durch Rückgängigmachung der nicht gerechtfertigtenVermögensverschiebung (unten Ziff. VII/1). Das bedeutete vorab, dass ungerechtfertigteEigentumsübertragung (oder Pfandbestellung bzw. Einräumung eines sonstigen beschränktendinglichen Rechts) durch Rückübereignung usw. rückgängig zu machen waren. Dieserwichtigste Anwendungsfall der Kondiktion entfällt in der Schweiz infolge der heutigen«kausalen» Auffassung der Verfügungen über dingliche Rechte: Ist das Verpflichtungsgeschäftungültig und damit die Verfügung (Einräumung des Rechts) rechtsgrundlos, ist letztere ohneweiteres unwirksam; der Begünstigte der Verfügung hat kein dingliches Recht erlangt und der«Verfügende» sein Recht nicht eingebüsst, so dass dieser, im Fall der Eigentumsübertragung,sein Eigentum vindiziert, nicht kondiziert 16. Im Bereich des Sachenrechts scheint mir dagegen dieKondiktion bei der materiellrechtlich nicht gerechtfertigten Besitzübertragung ihrenAnwendungsbereich zu bewahren: Da bei der Besitzeinräumung unerachtet des auch hiervorausgesetzten intentionalen Elements der Einräumung der faktischen Sachherrschaftentscheidende Bedeutung zukommt, kann die Wirksamkeit der Besitzübertragung nicht«kausalisiert», d. h. von einem gültigen Rechtsgrund abhängig gemacht werden. Dies bedeutet,dass bei ungerechtfertigter Besitzübertragung durch einen Nicht-Eigentümer dieser seinen Besitznur durch Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung zurückerlangen kann17.

Besteht die Bereicherung in einer Forderung, so ist Gegenstand des Bereicherungsanspruchsdie Forderung selbst (vgl. dazu unten Ziff. IV/4). In allen Fällen der Unmöglichkeit derHerstellung des gesollten Zustandes in natura tritt Ersatzleistung in Geld an dessen Stelle (vgl.dazu unten Ziff. VII/3ff.).

II. Allgemeine Voraussetzung der Bereicherungsansprüche

1. «Grundlosigkeit» der Vermögensverschiebung

a) Abgesehen von der Direktheit der Vermögensverschiebung, d. h. der Unmittelbarkeit desKausalzusammenhanges zwischen Entreicherung des Anspruchsberechtigten

16 Vgl. vorstehend Ziff. 1 und oben § 4/VIII/4.17 So kann z. B. der Mieter, der mit einem Dritten einen (z. B. infolge dessen Geschäftsunfähigkeit)ungültigen Mietvertrag schliesst, die diesem überlassene Sache weder aufgrund des nichtigen Vertragesnoch gestützt auf Besitzesrecht zurückfordern (während der Eigentümer vindizieren könnte), brauchtdaher einen Kondiktionsanspruch.

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und Bereicherung des Verpflichteten (dazu unten Ziff. 2), setzen sämtlicheBereicherungsansprüche gleichermassen voraus, dass die in Frage stehendeVermögensverschiebung «ohne Grund» (grundlos, ohne Rechtsgrund, «sine causa») erfolgt sei;es liegt auf der Hand, dass die Erfüllung rechtlicher Pflichten (insbesondere Erfüllung vongültigen Verträgen) keinen Rückleistungsanspruch zulässt. Die Grundlosigkeit derVermögensverschiebung ist notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung der Kondiktion. DieLeistungskondiktion ist nur unter der Voraussetzung des Nachweises eines Irrtums desLeistenden gegeben, wobei diesem die Beweislast obliegt 18.

b) Der Begriff des Rechtsgrundes, der causa, deren Fehlen Kondiktionsvoraussetzung ist, sollindessen nicht im technisch-präzisen Sinn verstanden werden, den er in den sonstigenZusammenhängen besitzt (vgl. dazu oben § 5). Hinreichender Grund einer Leistung, welcher dieKondiktion ausschliesst und damit einen «Rechtsgrund des Behaltens» beim Empfänger abgibt,ist auch eine Naturalobligation oder eine sittliche Pflicht (OR 63/II, unten Ziff. V/3).19

c) Die causa, deren Entfallen einen Rückforderungsanspruch begründet, darf nicht alsRechtsgrund im objektiven Sinn verstanden werden, sondern stellt einen subjektiven Tatbestanddar: die Intentionen des Leistenden, die bei der Leistungserbringung ausschlaggebend waren20.Sind die die Leistung veranlassenden Momente verwirklicht, kann nicht zurückgefordert werden,selbst wenn dieselben keinen hinreichenden (d. h. rechtlich zwingenden) Grund zur Leistungabgaben, wie umgekehrt die Tatsache, dass ein hinreichender Grund der Leistungserbringungfehlte, für sich noch keinen Kondiktionsgrund abgibt, wenn nicht der Leistende irrte (d. h. aufnicht verwirklichte subjektive Gründe zur Leistung vertraute)21.

18 Dies wird verkannt in BGE 105 II 105, der im Ergebnis vom beklagten Leistungsempfänger denNachweis eines «Grundes des Behaltens» fordert. Vgl. dazu BUCHER, ZSR 1983, 332 ff.19 Als eine die Rückforderung ausschliessende causa muss auch das Erbringen einer Gegenleistungbetrachtet werden, unerachtet der Gültigkeit des den Leistungsaustausch veranlassenden Vertrages, sofernder Ansprecher die Gegenleistung nicht zurückzuerstatten bereit ist. Das gleiche Resultat wird zusätzlichdurch den Gesichtspunkt begründet, dass Kondiktionsansprüche aus synallagmatischen Verträgen demobligatorischen Retentionsrecht im Sinne von OR 82 (BGB §§ 273, 320) unterliegen (vgl. oben § 18/IX).20 In diesem Sinne insbesondere BGE 105 II 92, wonach der Mieter Anspruch für baulicheAufwendungen hat, die ohne Abrede über die Kostentragung, aber in Erwartung eines längerfristigenMietverhältnisses gemacht worden sind.21 OR 63 und unten Ziff. IV/2. - Wenn jemand im Hinblick auf eine geplante Heirat eine Zuwendungmacht, ist die Heirat nicht Rechtsgrund im technischen Sinn dieser Zuwendung, wohl aber dasNichtzustandekommen der Heirat ein Dahinfallen der «subjektiven causa» des Leistenden und damitAnlass der Rückforderung. Daher die traditionelle Möglichkeit der Rückforderung einer vor der Heiratübertragenen Mitgift im Römischen Recht (Dig. 23, 3, 7, 3 bis 9 pr.; KASER, § 59/II/4) und zutreffend derin gleiche Richtung weisende BGE 82 II 436 f. E. 7, 8 (ungerechtfertigt aus den hier im Text genanntenGründen die Kritik bei G./M./K., p. 198: Nicht-Verwirklichung von Motiven einer Zuwendung stellenden Tatbestand des Entfallens der - subjektiven! - causa der Leistung im bereicherungsrechtlichen Sinnedar und können daher Grundlage einer Rückforderung sein); zum Ganzen auch FLUME, p. 155, 161,699 f.

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d) Viele der Besonderheiten und Schwierigkeiten des Bereicherungsrechts rühren daher, dassals Hauptvoraussetzung des Bereicherungsanspruchs nicht etwas Positives, sondern ein negativerUmstand (Fehlen eines Grundes der Vermögensverschiebung) erscheint. Die Zahl der in Fragekommenden Rechtsgründe einer Vermögensverschiebung ist unbegrenzt, das Fehlen jeglichenRechtsgrundes daher direkt unmöglich zu beweisen (Beweis negativer Tatsachen ist ohnehinhöchstens indirekt möglich; «negativa non sunt probanda»). Die Typisierung derBereicherungstatbestände erfolgt daher (ohne dass die traditionelle Doktrin sich hierüberhinreichend klar wäre) vorab unter dem Gesichtspunkt der Art des Nachweises des Fehlens einesRechtsgrundes der auszugleichenden Vermögensverschiebung.

Die Schwierigkeit des Negativbeweises könnte dadurch umgangen werden, dass man demBereicherten den Nachweis überbindet, dass er die zur Diskussion stehende Bereicherung ausgutem Rechtsgrund erworben habe, wobei im Falle des Scheiterns des Nachweises dieBereicherung infolge ihrer Grundlosigkeit herauszugeben wäre. Eine derartige Regel stände inWiderspruch zum unabdingbaren Rechtsgrundsatz, dass derjenige, der von einem anderen etwashaben will, die Voraussetzungen seines Anspruchs darzutun hat, während derjenige, der eineSache oder Leistung in Händen hält, die Vermutung für sich hat, dass sie rechtens erworben sei.Wollte man von diesem Fundamentalprinzip, das im Sachenrecht in der aus dem Besitzfliessenden Eigentumsvermutung (ZGB 930) Ausdruck findet und allgemein in ZGB 8formuliert ist, abgehen, würde jedermann, der etwas erwirbt, gezwungen sein, sich den Beweisdes Rechtsgrundes des Erwerbs zu sichern; es würde der Grundsatz, dass bei Unklarheit derRechtslage und im Zweifel am gegenwärtigen Zustand nichts geändert und der status quoerhalten bleiben soll, in sein Gegenteil verkehrt und damit zwangsläufig Streitlust geschürt. DieBelastung des Ansprechers mit der Beweislast hinsichtlich der Rechtsgrundlosigkeit ist einGrundprinzip des Bereicherungsrechts, das ausnahmslos durchgehalten werden muss22.

2. Sachzusammenhang zwischen Bereicherung und Entreicherung

Damit ein Rückforderungsanspruch entsteht, muss die Bereicherung des Beklagten zulastendes Vermögens des Klägers entstanden sein; es muss, wie oft gesagt

22 Dieses bereicherungsrechtliche Grundprinzip macht sich auch ausserhalb des Bereicherungsrechtsbemerkbar. Wenn in BGE 83 II 210 festgehalten wird, dass der Nachweis der Aushändigung von Geldzur Begründung des Rückforderungsanspruches nicht genüge, sondern vom Kläger insbesondere auch derAbschluss des angeblichen Darlehensvertrages nachgewiesen werden müsse, liegt darin die zutreffendeHaltung, dass es nicht angehe, denjenigen, der Geld erhalten habe, unter der Drohung derRückleistungspflicht zum Nachweis des Grundes der erhaltenen Zuwendung zu verpflichten. - Vgl. auchunten Ziff. IV/2.Nicht zu rechtfertigen ist BGE 105 II 105, wo aus der Feststellung der Nichtexistenz einesSchenkungsvertrages (ohne Vorliegen eines Irrtums) ein Rückleistungsanspruch abgeleitet wird. - So wiehier AGVE 1984, Nr. 7 (= SJZ 1986, p. 197 [Nr. 29]). Vgl. auch SM 1950, p. 332.

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wird, ein Kausalzusammenhang zwischen Bereicherung und Entreicherung23 gegeben sein oder,vorsichtiger ausgedrückt, wenigstens ein Sachzusammenhang bestehen, nur dann kann man voneiner Vermögensverschiebung sprechen, die es kondiktionsrechtlich auszugleichen gilt 24.

Mit diesem Erfordernis soll ausgeschlossen werden, dass positive und negativeVermögensveränderungen, die zwar auf eine gemeinsame Ursache zurückgehen, unter sichjedoch keinen direkten Zusammenhang aufweisen, in die Betrachtungen einbezogen werden: DerRegensommer begünstigt den Hügelbauern und vernichtet die Ernte des den Nassackerbebauenden Landwirts, ohne dass dieser gegen den ersteren einen Anspruch haben dürfte,sowenig wie der Haussier bei eingetretenem Kurssturz einen Anspruch gegen den Baissier.

III. Abgrenzungsfragen

1. Einteilung der Bereicherungstatbestände

Der Nachweis des Fehlens eines Rechtsgrundes gestaltet sich verschieden, je nachdem derEntreicherte selber die Vermögensverschiebung bewirkt (eine Leistung erbracht) hat, oder obdiese ohne sein Zutun eingetreten ist. Im ersten, weitaus wichtigsten Fall spricht man vonLeistungskondiktion, der alle übrigen Fälle der Nicht-Leistungskondiktionen gegenübergestelltwerden können.

Leistungskondiktionen sind am häufigsten gegeben, wenn im Hinblick auf sich nachträglichals unwirksam herausstellende Verträge Vorleistungen erbracht wurden oder wenn der Leistendesonstwie irrte, sei es in der Leistung selber, seiner Leistungspflicht, der Person desLeistungsempfängers usw. Angesichts der unbegrenzten Zahl möglicher Rechtsgründe derLeistung und der Unmöglichkeit, deren gesamthaftes Fehlen darzutun, erfolgt der Nachweis derAbwesenheit - einer causa durch eine indirekte, zweistufige Beweisführung.- Der Ansprecher hatzu zeigen, dass erstens die Leistung im Hinblick auf einen bestimmten Rechtsgrund erfolgte unddass zweitens gerade dieser Rechtsgrund tatsächlich nicht verwirklicht war25. BeiLeistungskondiktionen ist danach zu unterscheiden, ob die Bereicherung durch freiwillige oderunfreiwillige Leistung des Entreicherten ausgelöst wurde. Zur letzteren Gruppe gehören die Fälleder condictio ob turpem vel iniustam causam (unten Ziff. IV/3), der Versäumung desRechtsvorschlages bzw. der Aberkennungsklage usw. Diese fallen insofern aus dem allgemeinenRahmen der Leistungskondiktion, als bei ihnen die Voraussetzung eines Irrtumnachweisesentfällt (unten Ziff. IV/1/c).

23 So etwa V. T./P., § 52/I, p. 473 Anm. 4.24 Zur Bedeutung der kondizierbaren Bereicherung vgl. unten Ziff. VII/3 ff.25 Die im Römischen Recht bzw. der gemeinrechtlichen Doktrin entwickelten Kondiktionstypen (vgl.unten Ziff. IV/1) sind eine Typisierung der Art der Führung dieses Doppelbeweises.

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Nicht-Leistungskondiktionen (Ansprüche wegen Bereicherung in sonstiger Weise) lassen sichetwa danach unterscheiden, ob die Vermögensverschiebung durch Zufall, als welchen auch dasTun eines unbeteiligten Dritten gilt, bewirkt worden ist (sog. Zufallskondiktion)26 oder ob derBereicherte sich den Vorteil selber verschafft hat (sog. Eingriffskondiktion)27. EineZwischenstellung zwischen Leistungs- und Zufallskondiktion nimmt der Fall der Aufwendungenfür eine vermeintlich erworbene fremde Sache ein. Die hier genannten Fälle unterscheiden sichvon den Leistungskondiktionen dadurch, dass das Fehlen eines Rechtsgrundes der Leistungsofort ersichtlich wird: Zufall fragt nicht nach Rechtsgrund, weshalb zufällige Verschiebungenden Nachweis der Rechtsgrundlosigkeit gewissermassen in sich tragen, ebenso Übergriffe, derenUnberechtigtheit offenkundig ist. Deshalb ist in Fällen der Nicht-Leistungskondiktion derNachweis des bei der Leistung vorausgesetzten, nachher jedoch nicht gegebenen Rechtsgrundesüberflüssig, er wird ersetzt durch den Nachweis der Zufälligkeit (Ungewolltheit seitens desEntreicherten) der Vermögensverschiebung, allenfalls Unberechtigtheit des Eingriffs desBereicherten28.

2. Verhältnis zu anderen Rechtsbehelfen

a) zu Vindikation

Mit der Kondiktion sollen Vermögensverschiebungen, d. h. eine ungerechtfertigteVermögensvermehrung und -verminderung ausgeglichen werden. Hiezu besteht kein Anlass,wenn eine Sache zwar in den Besitz eines Nichtberechtigten übergegangen ist, dieser jedoch keinEigentum erworben, sein Vermögen nicht vermehrt hat: der nach wie vor berechtigte Eigentümermacht, um die Sache zurückzuerlangen, sein dingliches Eigentumsrecht geltend und braucht sichnicht auf einen (lediglich obligatorisch wirkenden) Bereicherungsanspruch zu stützen29.

Da Kondiktion nur Platz greift, wo Herausgabeanspruch aus Eigentum oder Besitzrecht30

versagt, ist der Anwendungsbereich des Kondiktionsrechts in Deutschland weitaus grösser als inder Schweiz, angesichts der dortigen abstrakten Auffassung

26 Beispiel: Das dem Ansprecher zustehende geringere Quantum Heizöl fliesst durch Zufall bzw.Fehlmanipulation in das grössere Quantum des Bereicherten ein und wird gemäss ZGB 727/II dessenEigentum.27 Es lässt jemand seine Herde auf der Weide des Nachbarn grasen; der Dieb löst aus der Vermietung desgestohlenen Autos Mietzins.28 Vgl. unten Ziff. IV/1/d und VI.29 Das für das Eigentum Gesagte gilt sinngemäss auch für beschränkte dingliche Rechte und den Besitz. -Vgl. zur Abgrenzung E. STARK, Vorbem. vor ZGB 930-937, N. 64 ff. - Kondiktion wird durchVindikationsmöglichkeit zwischen den gleichen Parteien gegenstandslos, nicht jedoch ausgeschlossen,wenn der Entreicherte bei Dritten vindizieren könnte; vgl. unten Anm. 117.30 Zum Verhältnis zu ZGB 672 vgl. BGE 105 II 94.

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des Eigentumserwerbs bleibt die Eigentumsübertragung auch dann gültig, wenn dasGrundgeschäft (z. B. Kaufvertrag) nichtig ist, so dass das Eigentum kondiziert werden muss.Demgegenüber reduziert sich in der Schweiz die Anwendung des Bereicherungsrechts auf dieFälle, in denen trotz Rechtsgrundabhängigkeit des Eigentumserwerbs der Leistungsempfängerbei nichtigem Grundgeschäft sein Vermögen vermehrt31. Die Kondiktion hat zudem gegenüberder Vindikation eine subsidiäre, ergänzende Funktion: Ist letztere infolge Verbrauchs oderVeräusserung der Sache nicht mehr möglich, kann ein Bereicherungsanspruch an deren Stelletreten32.

Zum Verständnis des Bereicherungsrechtes ist im übrigen die Feststellung erlaubt, dassKondiktion und Vindikation gleiche Funktion haben und sachlogisch soweit als möglicheinheitlichen Grundsätzen unterstellt sein sollen und dass sie sich in der Rechtstradition in engerVerbindung entwickelt haben33.

b) zu vertraglichen Ansprüchen

Soweit jemand eine erbrachte Leistung auf vertraglicher Grundlage zurückfordern kann, kannund braucht er sich nicht auf Bereicherungsrecht zu stützen34. Der Vermieter fordert dieMietsache aufgrund des Mietvertrages zurück (allenfalls vindiziert er sein Eigentum; oben lit. a),ebenso der Darlehensgeber das Darlehen gestützt auf den Darlehensvertrag. Gleichermassen sindAkontozahlungen vertraglich abzurechnen, da sie regelmässig unter der vertraglichenstillschweigenden Vereinbarung erbracht wurden, derzufolge der Empfänger abzurechnen undden Überschuss zu restituieren verpflichtet ist35. Bereicherungsrecht greift dann ein, wenninfolge irgendwelcher Umstände (Dissens, Willensmangel, inhaltliche Unzulässigkeit desVertrags, fehlende Handlungsfähigkeit eines Kontrahenten usw.) der Vertrag ungültig ist undvertragliche Ansprüche abgeschnitten werden.

Kein Bereicherungsanspruch wird begründet, wenn laufende Konten, insbesondere imKontokorrentverhältnis, zu Unrecht belastet oder kreditiert werden, in

31 Vgl. dazu auch oben Ziff. 1 in fine. - Der Unterschied, wonach eine zu Unrecht geleistete Sache inDeutschland nach Bereicherungsgrundsätzen zurückgefordert, in der Schweiz vindiziert wird, wirkt sichpraktisch hauptsächlich im Konkurs des Empfängers aus, wo in Deutschland der Konkurs die geleisteteSache erfasst, der Anspruch des Leistenden in eine Geldforderung umgewandelt und nur im Umfang desKonkursergebnisses befriedigt wird, während in der Schweiz eine Aussonderung des Eigentums desLeistenden möglich ist. Vgl. auch oben § 4/VIII/4.32 Vgl. unten Ziff. VII/3/c.33 Zum Römischen Recht vgl. KASER, § 48/II/3/a (Kondiktion geht auf die empfangene certa res oderpecunia). Hier wurzelt der Grundsatz der Naturalrestitution (vgl. unten Ziff. VII/1).Diese Feststellung soll z. B. Zurückhaltung in der Zulassung der Entreicherungseinrede gemäss OR 64nahelegen und eine analogieweise Anwendung einzelner sachenrechtlicher Grundsätze bei derBerechnung der Bereicherung begründen.34 Vgl. oben Ziff. I/1/d.35 Umgekehrt als hier betreffend Akontozahlung BGE 107 II 220; ähnlich wie hier V. T./P., § 54/IV, Z 1(bei A. 32 ff.). Vgl. dazu auch BUCHER, ZSR 1983, p. 331 f.

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welchem Fall ein Vertragsanspruch in der Höhe des berichtigten Kontostandes besteht.Kondiktionsrechtliche Grundsätze beginnen erst mit der Liquidierung der laufenden Rechnung,d. h. der Ausrichtung des Schluss-Saldos, allenfalls der Saldoanerkennung zu wirken (vgl. oben§ 22/IV/5/b).

c) zu Deliktsansprüchen

Insbesondere in Fällen von Eingriffskondiktion tritt diese in Konkurrenz zuDeliktsansprüchen des Betroffenen36; im allgemeinen wird die Berufung auf Bereicherungsrechtgünstiger sein: Dieses setzt zwar voraus, dass der Anspruch eine Bereicherung des Beklagtennachweist, hat jedoch den Vorteil, dass der Verschuldensnachweis entfällt. DasBereicherungsrecht ist die notwendige Ergänzung des Deliktsrechts, um in Fällen derDeliktsunfähigkeit (Urteilsunfähigkeit, ZGB 18) desjenigen, der in fremdes Vermögen eingreift,den Ausgleich zu gewährleisten: Der deliktsunfähige Dieb müsste nach Deliktsgrundsätzenkeinen Schadenersatz leisten und könnte gestohlenes Geld, wenn es durch Vermischung in seinVermögen übergegangen ist, behalten37.

d) zu Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag

In der neueren Rechtsgeschichte haben sich das Recht der Kondiktion und derGeschäftsführung ohne Auftrag in engem Zusammenhang entwickelt38. Besonders deutlich wirddies im französischen Recht, wo nur die «répétition de l'indu» (CC art. 1376 ff.)bereicherungsrechtlich konzipiert ist, während weitere Fälle über die «gestion d'affaires» imSinne von CC art. 1372 ff. erfasst werden39.

Im Rahmen der echten Geschäftsführung ohne Auftrag überschneidet sich der Anspruch desGeschäftsherrn auf Herausgabe des für seine Rechnung Erworbenen teilweise mit demBereicherungsanspruch, ebenso allenfalls der Anspruch des Geschäftsführers aufVerwendungsersatz. M. E. erlaubt das OR die Annahme von Anspruchskonkurrenz in demSinne, dass der Ansprecher sich wahlweise auf OR 62 ff. wie auch auf OR 419-423 oder abergegebenenfalls, nur auf letztere Bestimmungen berufen kann40. Bei der unechtenGeschäftsführung (die gegen den Willen

36 Ansprüche aus Delikt und aus Bereicherung («Quasi-Delikt») stehen gleichberechtigt nebeneinander.Die Priorität des einen oder anderen Behelfs kann nicht begründet werden. So auchKELLER/SCHAUFELBERGER, p. 13; V. T./P., § 54/IV/3, bei A. 39; GUHL, in Vorauflagen; a. M. G./M./K.,p. 196, die sich für Subsidiarität der Bereicherung aussprechen.37 Die gemeinrechtliche condictio furtiva muss als selbstverständlicher Bestandteil unseresBereicherungsrechts aufgefasst werden, obwohl sie im Gesetz (sei es aus Versehen, sei es alsselbstverständlich vorausgesetzt) nicht genannt wird. Vgl. unten Ziff. VI/2.38 Beide Fälle werden meist als «obligatio quasi ex contractu» verstanden.39 Beide Figuren werden vom CC zusammengefasst und im Kapitel über die Quasi-Kontrakte geregelt. -Vgl. zum folgenden auch oben Ziff. I/2 und V. T./P., § 54/IV/4.40 A. M. aber V. TUHR, a.a.O. (zit. oben Anm. 5).

Während das BGB auf Vorstellung der Schuldverhältnisse hin konzipiert ist und daher dazu einlädt, jedesvorkommende Schuldverhältnis in bestimmtem Sinne (d. h. als vertragliches, deliktisches,kondiktionsrechtliches usw.) zu qualifizieren, ist das OR auf die Obligation (oder ihr positivesGegenstück, den Anspruch) ausgerichtet: Die Feststellung, dass eine bestimmte (z. B.kondiktionsrechtliche) Anspruchsgrundlage besteht, schliesst nicht aus, dass auch die Voraussetzungeneines anderen Anspruchstypus (z. B. Geschäftsführung ohne Auftrag) gegeben sein können.

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des Geschäftsherrn oder gegen dessen Interesse erfolgt) hat der Geschäftsanmasser alles Erlangte(nicht nur seine Bereicherung) herauszugeben (OR 423/I), während er selber (ähnlich wie nachKondiktionsrecht) nur im Falle der Bereicherung des Geschäftsherrn (der z. B. Auslagen ersparthat) einen (bereicherungsrechtlichen) Anspruch auf Verwendungsersatz erlangt. In der Regelwird die Berufung auf Geschäftsführungsregeln für den Geschäftsherrn günstiger sein (zumalhier nicht die einjährige Verjährung von OR 67 gilt)41. Der Geschäftsherr wird sich etwa in denfolgenden Fällen auf OR 423/I stützen: Der Dieb verkauft ein Gemälde, dessen Wert demEigentümer nicht bekannt gewesen war, besonders günstig (abzuliefern ist der ganze Erlös); derDieb vermietet das gestohlene Auto (abzuliefern ist der gesamte Mietertrag, auch wenn derEigentümer nicht vermietet hätte, daher nicht in diesem Umfang geschädigt ist); jemandverwendet die einem anderen zustehenden Immaterialgüterrechte (der Verletzte hat Anspruchauf den ganzen Gewinn)42.

3. Bereicherungsrechtlicher Grundtatbestand gemäss OR 62-67 im Verhältnis zukondiktionsrechtlichen Verweisungen und Sonderregeln

Im vom Gesetzgeber vorausgesetzten Regelfall findet das Bereicherungsrecht direkteAnwendung. In einer Reihe von Sondertatbeständen verweist der Gesetzgeber aufBereicherungsrecht, wobei zu untersuchen ist, ob dieses unverändert anzuwenden ist oder obumgekehrt im Bereich der Verweisung eine besondere Handhabung Platz zu greifen hat bzw. obder Gesetzgeber sogar direkte Abweichungen statuiert. Gemeinsam ist den vom Gesetzgebernormierten Sondertatbeständen, dass in der Regel der Bereicherungsfall (dieRechtsgrundlosigkeit der Zuwendung und die daraus folgende Rückleistungspflicht) als gegebenvorauszusetzen ist und Bereicherungsrecht nur hinsichtlich des Ausmasses der Rückleistungbestimmend wird.

In folgenden Fällen sind die bereicherungsrechtlichen Grundsätze vermutungsweiseunverändert anzuwenden: ZGB 94/II (Rückleistung von Zuwendungen bei Auflösung einerVerlobung), ZGB 515/II und 528/II (Rückforderung von Gegenleistungen bei Auflösung einesErbvertrages durch Tod des Begünstigten oder bei Herabsetzung); weiterhin etwa die Fälle vonZGB 528/I, 565/II, 726/III und 727/III (Vorbehalt des Bereicherungsrechts bei Verbindung undVermischung), OR 31 (beidseitige

41 Vgl. zur Überschneidung der Anspruchsgrundlagen den illustrativen Tatbestand von BGE 55 II 265.42 In den genannten Beispielen würde, da ein Schaden in Höhe des erzielten Erlöses nicht leichtnachweisbar ist, eine deliktsrechtliche Klage vermutungsweise weniger einbringen, «Vorteile» i. S. vonOR 423/I sind ev. umfassender zu verstehen als «Bereicherung» i. S. von OR 62 ff.

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Rückforderung bei Vertragsauflösung wegen Willensmängel)43, OR 39/III (Vorbehalt derKondiktion bei vollmachtloser Stellvertretung), OR 119/II (Rückforderung erbrachter Leistungenbei Unmöglichwerden der Gegenleistung; vgl. oben § 23/IV/2), OR 249/I (Anspruch aufRückleistung bei Aufhebung der Schenkung), OR 423/II (Leistungspflicht des Geschäftsherrnbei unechter Geschäftsführung ohne Auftrag), OR 508/III, 514/II, 679/II.

In einer Reihe von Fällen statuiert der Gesetzgeber eine Ordnung, welche in gewissemUmfang von derjenigen von OR 62-67 abweicht: ZGB 411/I statuiert eine Rückleistungspflichtdes Vertragspartners eines Bevormundeten oder Unmündigen, welche strenger konzipiert ist alseine solche nach Bereicherungsrecht; der Handlungsunfähige selber haftet nur nachKondiktionsgrundsätzen44. Bei Vertragsauflösung kann im Falle der Übervorteilung derBewucherte «das Geleistete» (scil. unter Ausschluss der Entreicherungseinrede von OR 64)zurückverlangen45; ähnlich auch die Herausgabepflicht hinsichtlich des «bezogenen Nutzens» beiNichtzustandekommen eines Vertrages wegen Nichteintrittes einer Bedingung (OR 153/II).

Eigentliche, die Ordnung von OR 62-67 durch andere Grundsätze ersetzendeSondervorschriften finden sich in ZGB 94/III (Ausschluss der Rückforderung von Geschenkenbei Auflösung der Verlobung durch Tod), ZGB 672 (Ersatzpflicht des Grundeigentümers beiBauen mit fremdem Material), ZGB 938 bis 940 (Ersatzpflicht des gut- bzw. bösgläubigenBesitzers, Verwendungsersatz) 46, SchKG 86 (Rückforderung des auf Schuldbetreibung hinbezahlten Betrages im Umfang der Leistung, nicht der Bereicherung) 47. Die praktisch wichtigsteAbweichung vom

43 Vgl. oben § 13/IV/3/b und auch unten Ziff. IV/2/b.44 Vgl. dazu BUCHER, ZGB 17/18 N. 195-199.45 Vgl. dazu oben § 14/III/3.46 Die bereicherungsrechtlichen Grundsätze werden im Falle der Möglichkeit der Sachrestitution durchjene von ZGB 938-940 ausgeschlossen; so ausdrücklich BGE 84 II 377 E. 4. Diese Auffassung, diealtüberlieferter Tradition entsprechen dürfte, vermag sachlich nicht mehr voll zu überzeugen: Gewiss sollder gutgläubige Besitzer aufgrund der blossen Tatsache, dass er eine fremde Sache benutzt und allenfallsein fremdes Recht verletzt hat, nicht ersatzpflichtig werden. Indessen wird durch nichts gerechtfertigt dieFolge, dass er seine dadurch ersparten Aufwendungen (z. B. im Falle des Bewohnens einer fremdenLiegenschaft einen minimalen Mietwert) nicht ersetzen soll. Dass dieser Grundsatz in der Tradition nochnicht verwirklicht ist, erklärt sich dadurch, dass die Kondiktion traditionell auf Naturalrestitutionausgerichtet (der Vindikation gewissermassen parallel geschaltet) ist und die Vorstellung des Ersatzesersparter Aufwendungen erst in einem funktionalisierten «Vermögenswertdenken» des 19. und20. Jahrhunderts möglich wird. Eine subsidiäre Anwendung von OR 62 ff. auf die erspartenAufwendungen (nicht, was weiter gehen würde, auf den Wert der gezogenen Früchte bzw. den objektivberechneten Benutzungswert) scheint daher gerechtfertigt und mit dem Wortlaut von ZGB 938/Ivereinbar (die Ersatzpflicht wird nicht durch die Tatsache des Gebrauchs der fremden Sache, sonderndurch ersparte Aufwendungen ausgelöst). - Kritisch auch V. BÜREN, p. 310 Ziff. 4/b.47 Durch SchKG 86 wird das Kondiktionsrecht nicht ausgeschlossen, sondern ergänzt. Ist die Klage ausSchKG 86 (nach Ablauf eines Jahres ab Zahlung) verjährt, ist immer noch Klage aus OR 63/I möglich,wenn die Verjährungsfrist von OR 67 (die mit Kenntnis vom Anspruch zu laufen beginnt) noch nichtabgelaufen ist. Sie unterliegt im Gegensatz zur Klage nach SchKG 86 der Entreicherungseinrede vonOR 64.

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Bereicherungsrecht findet sich im Recht der synallagmatischen Verträge: beim Rücktritt vomVertrag infolge Leistungsstörungen kann die volle eigene Leistung zurückgefordert werden,nicht bloss die beim Empfänger vorhandene Bereicherung (OR 109/I)48, Anwendungsfälle sindetwa OR 195 Ziff. 1 und 2 (Ersatzanspruch des Käufers bei Entwehrung), OR 208/I, II(Rückleistungspflicht bei Wandelung).

In anderen Fällen wird kraft gesetzlicher Anordnung ein bereicherungsrechtlicherLeistungsmassstab eingesetzt, ohne dass dem Wesen nach kondiktionsmässigeLeistungsausgleichung vorliegen würde, so z. B. ZGB 497, ZGB 528/I, ZGB 579/III (Haftunggutgläubiger Erben bei Ausschlagung gegenüber Nachlassgläubigern für Vorempfänge);ZGB 590/II, OR 422/III, SchKG 291/III.

IV. Insbesondere Tatbestände und Voraussetzungen der Leistungskondiktion

1. Verhältnis der allgemeinen Leistungskondiktion des heutigen Rechts zu dengemeinrechtlichen Kondiktionstypen

a) Gemeinrechtliche Tradition

Das Römische und das ihm folgende Gemeine Recht haben die Kondiktion nur bei Zutreffenbestimmter typisierter Voraussetzungen zugelassen, die im Lauf der Geschichte natürlichWandlungen unterworfen waren49. Im Rahmen der heute als Leistungskondiktion aufgefasstenFälle standen folgende Typen im Vordergrund 50:

- condictio indebiti (Dig. 12, 6) erlaubt die Rückforderung des Geleisteten, wenn der Leistendeeine Schuld zu erfüllen vermeinte, diese jedoch nicht bestand, Beispiele vgl. unten Ziff. 2/g51.

48 Das gleiche gilt umgekehrt für eine vom im Verzug befindlichen Schuldner erbrachte Teilleistung imFalle des Rücktritts des Gläubigers wegen Verzugs der Restleistung, oben § 20/VI/7/b.49 Vgl. die Lehrbücher des Römischen Rechts, etwa KASER, § 48.50 Ich folge hier vorab der Darstellung von K. V. CZYHLARZ , Institutionen des röm. Rechts (1. Aufl. 1888,19. Aufl. 1933, bearbeitet von M. San Nicolò), p. 255 f., die für die zur Zeit der Entstehung von OR undBGB massgebenden Auffassungen typisch sein dürfte.51 Die condictio indebiti als Möglichkeit, eine nichtgeschuldete Leistung zurückzufordern, bietet denAnsatzpunkt zu Verallgemeinerungen; festzuhalten bleibt, dass der Tatbestand im Sinne der Tradition nurdann verwirklicht ist, wenn die zurückzufordernde Leistung nicht nur nicht geschuldet war, sondern derLeistende im Glauben, sie zu schulden, geleistet hat.

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- condictio ob causam datorum oder condictio causa data causa non secuta (Dig. 12, 4;«Kondiktion bei vorausgesetzter, aber nicht eingetretener causa») erlaubt Rückforderung einerLeistung, wenn diese im Hinblick auf eine erwartete, aber nicht erbrachte Gegenleistunggegeben worden war (im Römischen Recht wohl mit dem Hauptanwendungsfall der Leistung imRahmen eines Innominatkontraktes, der nicht klagbar war, im Falle der Abwicklung gegenübereiner Rückforderungsklage eine exceptio pacti gab, sofern man selber erfüllt hatte, jedochRückforderung (condictio) erlaubte, wenn die Gegenleistung ausblieb).- condictio ob iniustam causam (Dig. 12, 5), mit der eine Leistung, deren Entgegennahme (vomEmpfänger aus gesehen) zu missbilligen ist, zurückgefordert werden kann (Rückforderungwucherischer bzw. durch öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht zugelassener Zinse).- condictio ob turpem causam (Dig. 12, 5), womit rechtlich zu missbilligendes Haben beseitigtwerden soll (z. B. Rückforderung eines erpressten Löse- oder Schweigegeldes unerachtet deseingetretenen Erfolges).

Gegenüber diesen mehr oder weniger technisch eingegrenzten Fallgruppen tritt imJustinianischen Recht die condictio sine causa (Dig. 12, 7) auf, welche weitere, sonst nichterfasste Kondiktionen zulassen soll. In der condictio sine causa gehen auch weitereKondiktionstypen auf wie die condictio de bene depensis (Ersatz von Aufwendungen) oder dercondictio causa finita (Rückforderung bei weggefallenem Grund, z. B. bei Widerruf derSchenkung wegen groben Undanks). Es ist aber festzuhalten, dass damit zu keiner Zeit eineallgemeine bereicherungsrechtliche Generalklausel geschaffen werden sollte; als Beispielewerden auch hier Fälle genannt, wo die Leistung im Hinblick auf einen bestimmten, nichtverwirklichten Rechtsgrund erfolgt ist (Hingabe von 100, die der Empfänger als Schenkungauffasst, während sie der Geber als Darlehen versteht: die vom Geber gedachte causa -Darlehensvertrag - ist nicht verwirklicht).

b) Umschreibung der Kondiktionsvoraussetzungen im Gesetz (OR 62/63)

Der schweizerische Gesetzgeber hat nicht am numerus clausus der Kondiktionstypenfestgehalten, anderseits keine Formel einer Generalklausel gefunden, auf die er vertrauenmochte. Resultat ist eine beispielhafte Aufzählung, die an das überlieferte Schema anknüpft, abernicht als erschöpfende Aufzählung oder als geschlossenes System verstanden werden darf. InOR 63 wird die traditionelle condictio indebiti aufgenommen und im übrigen (d. h. in OR 62/II)angespielt auf die condictio causa data causa non secuta («aus einem nicht verwirklichtenGrund»), die condictio ob causam finitam («aus einem nachträglich weggefallenen Grund») undsodann die condictio sine causa («ohne jeden gültigen Grund»). Besonders letztere Formel istmissverständlich, da derjenige Jurist, der den Sinn des gemeinrechtlichen Vorbildes nicht kennt,zu schliessen geneigt wäre, dass auch im Falle der Leistungskondiktion als Basis desRückforderungsanspruches das blosse Fehlen einer gültigen causa genüge, währendvorauszusetzen ist, dass die zurückzufordernde

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Leistung im Hinblick auf einen bestimmten, sich als nicht vorhanden erweisenden Rechtsgrunderbracht worden ist (zu den Auswirkungen im einzelnen vgl. unten Ziff. 2).

c) Gegensatz von Leistungskondiktion und sonstigen Kondiktionstatbeständen

Die Sachlogik fordert eine unterschiedliche Behandlung der Kondiktionstatbestände, jenachdem die auszugleichende Vermögensverschiebung durch den Entreicherten selber veranlasstworden ist oder nicht. Während die Nicht-Leistungskondiktionen lediglich den Nachweismangelnder rechtlicher Rechtfertigung («fehlender causa») der Vermögensverschiebungvoraussetzen, verlangen die Fälle von Leistungskondiktionen durchwegs, dass die erbrachteLeistung nicht bloss grundlos erfolgt sei, sondern vielmehr, dass sie im Hinblick auf einenbestimmten, jedoch nicht vorhandenen Rechtsgrund geleistet wurden (dazu die folgende Ziff. 2).Die in OR 62/I vorangestellte Regel bedeutet nicht: «Jede ohne Rechtsgrund erfolgteVermögensverschiebung ist auszugleichen.» Wäre dies so, hätte die Sondernorm von OR 63/I,insbesondere das dort statuierte Irrtumserfordernis, jede Bedeutung verloren. Richtigerweise sinddie Leistungskondiktionsfälle, wie in OR 63/I und OR 62/II geregelt, als Sondertatbestände zuverstehen, welche die allgemeine Regel von OR 62/I ausschalten in dem Sinne, dass bei vomEntreicherten ausgehenden Bereicherungstatbeständen eine zusätzliche Bedingung desRückforderungsanspruchs statuiert ist (dazu folgende Ziff. 2).

d) Beweislast hinsichtlich Fehlens des Grundes der Bereicherung

Die Unterscheidung der Leistungskondiktionen von den übrigen Kondiktionstatbeständen istschliesslich hinsichtlich der Beweislast-Verteilung wichtig: Die freiwillige Leistung (imBetreibungsverfahren die Unterlassung des Rechtsvorschlages) begründet die Vermutung, dassdie getilgte Schuld als solche tatsächlich besteht, die Leistung auf gutem Rechtsgrund beruht.Wird die Leistung zurückgefordert, hat der Kondizierende zu beweisen, dass der bei der Leistungvorausgesetzte Rechtsgrund fehlt. Beweisrechtlicher Fundamentalgrundsatz ist, dass nichtderjenige, der eine empfangene Leistung behalten will, den Grund des Behaltens (die Gültigkeitdes Erwerbsgrundes) nachweisen muss, vielmehr derjenige, der zurückfordert, einenbereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch darzutun hat, der seinerseits einen Irrtumhinsichtlich des Leistungsgrundes voraussetzt.

Bei den übrigen, nicht auf einer Leistung des Entreicherten beruhenden Kondiktionen bestehtdiese Vermutung nicht: der Ansprecher hat nur die für den fraglichen Kondiktionstatbestandtypischen Merkmale (z. B. die Wegnahme einer Sache heimlich, mit Gewalt oder unter Drohung,die zufällige oder durch Dritte bewirkte Verschiebung einer Sache in das Vermögen desEmpfängers usw.) nachzuweisen, während der Empfänger, der sich der Herausgabe widersetzt,einen Rechtsgrund des Behaltens beweisen muss52.

52 Vgl. auch oben Ziff. III/1, II/1/d.

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2. Insbesondere die Voraussetzung des Irrtums (OR 63/I) bzw. des Ausfalls desLeistungsgrundes (OR 62/II)

a) Funktion der Voraussetzung

Das Wissen des Leistenden um das Fehlen einer Pflicht zur Leistung (d. h. das Bewusstseinder Freiwilligkeit der Leistungserbringung) schliesst einen Bereicherungsanspruch aus 53. Ausdiesem Grund ist der Nachweis des Irrtums (Nachweis der Abwesenheit dieses Wissens)Kernstück der «condictio indebiti». Das Irrtumserfordernis hat grundlegende Auswirkungen:

aa) Es wird die fundamentale Beweisregel, dass derjenige, der etwas erhalten, den status quoverändern will, die rechtlichen Grundlagen seines Anspruchs dartun muss, auch hinsichtlich derRückforderung vom Kläger erbrachter Leistungen gewahrt. Die Tatsache des Erhalts derLeistung mit dem Willen des Leistenden wird als Ausweis dafür genommen, dass einhinreichender Grund für die Leistung vorlag und das Behaltendürfen gerechtfertigt ist; ohnediese Regel müsste der Empfänger der Leistung beweisen, dass ein gültiger Erwerbsgrundvorlag54. Der Grundsatz, dass nicht das Behalten, sondern die kondiktionsweise Rückleistung derRechtfertigung bedarf, bringt ein Element der Stabilität, wie auch der Erleichterung desrechtsgeschäftlichen Verkehrs, das insbesondere bewirkt:- dass der Empfänger einer Leistung sich nicht den Beweis einer Rechtfertigung desEmpfangens sichern muss;- dass der Empfänger einer Leistung, der diese zurück- oder weitergibt, sich für die Herausgabenicht den Beweis sichern muss55;- dass der Empfänger einer Leistung diese selbst dann behalten kann, wenn die Parteien sichnicht auf einen bestimmten Leistungsgrund geeinigt haben (solange nicht der Leistende, für denEmpfänger erkennbar, die Leistung im Hinblick auf

53 Das Herausstellen der «condictio indebiti» in der kontinentalen Rechtstradition geht zurück auf denTitel Dig. 12, 6, der seinerseits von ULPIAN bestimmt ist (zit. Dig. 12, 6, 1): «... si quis indebitumignorans solvit, per hanc actionem (scil. condictio indebiti) condicere potest: sed si sciens se non deberesolvit, cessat repetitio.» (Wen jemand in Unkenntnis eine Nichtschuld bezahlt, kann er mit dieser Klagezurückfordern wenn er jedoch im Bewusstsein, nichts zu schulden, bezahlt, entfällt die Rückforderung).54 Analogie zur Vermutung des Eigentums aufgrund des Besitzes (ZGB 930/I, vgl. auch oben Ziff. II/1/d).55 Dies ist die Erklärung dafür, weshalb es normal ist, dass der Mitarbeiter, der für sein Unternehmeneinen auf seinen Namen ausgestellten Scheck einlöst, sich bei Ablieferung des Geldes keine Quittungausstellen lässt: Der Beweis der Einlösung des Schecks, d. h. des Erhalts einer Leistung, begründet fürsich allein noch keine Rückleistungspflicht.

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einen bestimmten, nicht gegebenen Leistungsgrund erbracht hat und dieser ausfällt)56.bb) Es wird die willentlich durch eine Verfügung ohne gültigen Rechtsgrund geschaffene

Rechtslage aufrechterhalten, auch wenn infolge der Rechtsgrundabhängigkeit der Verfügungdiese ungültig ist (vgl. oben § 4/VIII/4); der Freiwilligkeit und Irrtumsfreiheit der Leistungkommt im Ergebnis die Funktion eines gültigen Rechtsgrundes der Verfügung zu57. Damit wirdzum Beispiel bewirkt, dass die einem Urteilsunfähigen gemachte Schenkung nichtzurückgefordert werden kann, weil der Schenkende nicht irrtümlich oder im Hinblick auf einenausgefallenen Leistungsgrund

56 Vgl. dazu auch oben Ziff. II/1/c. - Zur Illustration ein Beispiel aus der Praxis: Ein Mann gibt einerjungen Dame grössere Beträge zur Ausstattung einer Wohnung (vom Gegenanwalt blumig «Liebesnest»genannt), wobei über den rechtlichen Grund (Schenkung? Darlehen? Ersatz gemachter Aufwendungen?)nicht gesprochen wird. Nach Abkühlung der Beziehungen fordert der ehemalige Verehrer, jederLebensart bar, das Geld zurück. Die Gerichte haben in vier Instanzen die Klage abgewiesen und im Sinneder hier vertretenen Auffassung eine condictio sine causa verneint, obwohl die Vereinbarung einesbestimmten Rechtsgrundes der Leistung nicht erwiesen war. Das Bundesgericht: «DerBereicherungskläger hat nach OR 62/II als Voraussetzung seines Anspruchs den Rechtsgrund, auf der dieZuwendung beruhte, sowie dessen Fehlen zu beweisen» (p. 5 E. 3 des nichtveröffentlichten Urteils vom10.2.1972 i. S. Chr. gegen V. M.). - Im Gegensatz hiezu wird in BGE 105 II 105 dem Empfänger derNachweis eines «Grundes des Behaltens» zugeschoben, aus dem angeblichen Nichtzustandekommeneines Schenkungsvertrages ein Kondiktionsanspruch abgeleitet, obwohl die verfügende Person irrtumsfreieine Zuwendung veranlasst hatte.Das Irrtumserfordernis korrigiert die allzu schematische Regel, dass bei Nichtigkeit eines Vertrages (z. B.Formnichtigkeit) die erbrachten Leistungen zurückzuerstatten seien: Wenn beide Parteien ihre Leistungenerbracht haben, wird dies im Regelfall im Hinblick auf den Erhalt der Gegenleistung, nicht auf dierechtliche Geltung des zugrundeliegenden Geschäfts geschehen sein, so dass bei Aufrechterhaltung desLeistungsaustausches eine Rückforderung mangels Irrtums nicht zusteht. Wird umgekehrt eineSachleistung (z. B. übereignetes Grundstück) infolge des kausalitätsprinzips vindiziert werden, besteht injedem Fall ein Kondiktionsanspruch hinsichtlich des bezahlten Preises.57 Diese Wirkung müsste nicht bloss im Bereich der obligatorisch wirkenden Kondiktionen, sondern auchbei Sach-Rückforderungen gelten, die in Deutschland der Kondiktion, in der Schweiz jedoch aufgrund derRechtsgrundabhängigkeit der Sachübereignung der Vindikation unterliegen (oben Ziff. III/2/a). Wer einevon ihm freiwillig übereignete Sache zurückfordert, hat damit den Nachweis gemäss OR 63/I (Irrtum beider Leistung) oder OR 62/II (Ausfallen des vorausgesetzten Leistungsgrundes) zu erbringen, womitverhindert wird, dass der Empfänger sich den Beweis eines gültigen Erwerbsgrundes sichern muss(Kondiktionsrecht als Ergänzung von ZGB 930). Es wird auch bewirkt, dass etwa im Fall der Nichtigkeiteines Kaufvertrages über ein Grundstück (z. B. infolge Formmangels wegen unrichtiger Verurkundungdes Kaufpreises) im Falle der Abwicklung des Vertrages die Parteien die Leistungen nicht zurückfordernkönnen. Während das Bundesgericht die Rückforderung nur unter dem Gesichtspunkt von ZGB 2 prüft(und dabei freilich durchwegs zu einem Ausschluss gelangt, vgl. die Zusammenstellung der Praxis beiBUCHER, Der Rechtsmissbrauch bei Formvorschriften, in ZBGR 1975, p. 65 ff.), wäre Rückabwicklungganz allgemein auszuschliessen unter dem Gesichtspunkt fehlenden Irrtums bei der Leistungserbringung(darüber hinaus fällt auch in Betracht, dass nach Bereicherungsrecht Fehlen einer causa nichtzwangsläufig Vertragsungültigkeit bedeuten muss, sondern der Erhalt der Gegenleistung als solchebetrachtet werden kann; vgl. dazu oben Ziff. II/1/c, IV/1/c).

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geleistet hat58. Die im Rahmen eines ungültigen Vertrages erbrachte Leistung braucht nichtzurückerstattet zu werden, wenn sie - wie im Regelfall - nicht im Hinblick auf die Gültigkeit desVertrages, sondern in Erwartung der (tatsächlich erfolgten) Gegenleistung erbracht wird.

b) Verhältnis der Tatbestände von OR 63/I und OR 62/II zueinander

Leistungskondiktionen setzen den Nachweis voraus, dass der Kondizierende im Hinblick aufeinen bestimmten Rechtsgrund59 geleistet hat und dieser Grund der Leistung ausgefallen ist. DieFälle der Leistungskondiktion nach OR 62/II und OR 63/I sind als Einheit zu sehen; der ausdiesen Gesetzesvorschriften abzuleitende gemeinsame Gesichtspunkt ist jener des Ausfalls desbei der Leistung vorausgesetzten Leistungsgrundes60. Glaubte der Leistende im Sinne vonOR 63/I, die von ihm erbrachte Leistung zu schulden, stand das Fehlen des Leistungsgrundesobjektiv bereits im Zeitpunkt fest, wurde jedoch vom Leistenden irrtümlich verkannt. DieserSachverhalt ist gleich zu betrachten wie die in OR 62/II exemplifikativ genannten und ingemeinrechtlicher Tradition stehenden Bereicherungstypen; im Falle des «nicht verwirklichtenGrundes» liegt, wie bei der Leistung auf vermeintliche Schuld, der Grund der Leistung imZeitpunkt deren Erbringung nicht vor, mit dem Unterschied, dass der vorausgesetzte Grund nichteine aktuelle Leistungspflicht darstellt (Beispiel: Leistung im Hinblick auf einen mit einemurteilsfähigen Minderjährigen geschlossenen Vertrag, der vom gesetzlichen Vertreter nichtgenehmigt wird). Beim «nachträglich weggefallenen Grund» ist die causa der Leistung bei derenErbringung gegeben, wird jedoch nachträglich aufgehoben (Beispiel: Anfechtung einesVertrages wegen Willensmängel). Der in OR 62/II weiterhin genannte Fall der «Leistung ohnejeden Grund» deckt sich sachlogisch weitgehend mit dem «nicht verwirklichten Grund» (dazufolgend lit. c)61.

58 Dies sollte auch bei Schenkung von Sachen bezüglich deren Vindikation gelten.59 Der dahingefallene Rechtsgrund darf nicht allzu technisch verstanden werden. Es reicht einepsychologische Kausalität, wie z. B. eine bevorstehende Heirat, welche Grund der Zuwendung bildete(BGE 82 II 436).60 Der Leistungsgrund kann nicht nur in einer Leistungspflicht bestehen, sondern auch in der Erwartungeiner freiwilligen Gegenleistung. Dazu BGE 105 II 96, wo dem Mieter ein Rückforderungsanspruch fürdie in Erwartung einer längeren Mietdauer getätigten Aufwendungen zugebilligt wurde. Anders aber inBGE 104 II 202, wo der Mieter einen zehnjährigen Vertrag im ersten Jahr selbst gebrochen hat.61 In der gemeinrechtlichen Tradition ist der Typus der «Leistung ohne jeden Grund» hauptsächlich fürDissenstatbestände gedacht, während derjenige des «nicht verwirklichten Grundes» das Ausbleiben derGegenleistung im Rahmen der nicht klagbaren, wohl aber erfüllbaren Innominatkontrakte erfassen sollte.

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c) «Fehlender Rechtsgrund» einer Leistung allein kein Kondiktionsgrund im Rahmen derLeistungskondiktionen

Festzuhalten ist, dass in OR 62/II keine Generalklausel in dem Sinne erblickt werden darf,dass sämtliche «ohne jeden Grund» erbrachten Leistungen zurückgefordert werden können. DerKondizierende muss vielmehr im Prozess beweisen, dass er im Hinblick auf einen bestimmtenGrund (z. B. Bestehen eines zur fraglichen Leistung verpflichtenden Vertrages) geleistet hat unddieser als gegeben vorausgesetzte Grund nicht besteht. Dieser Schluss folgt aus dergemeinrechtlichen Tradition der «condictio sine causa» (vgl. oben Ziff. IV/1/a), ergibt sich aberauch aus dem Umstand, dass das Fehlen jeglichen Rechtsgrundes angesichts der unbegrenztenZahl möglicher causae als solcher gar nicht erbracht werden kann, sondern nur das Fehlen einesbestimmten Rechtsgrundes beweisbar ist62. Insbesondere ist es unzulässig, im Prozess demBeklagten den Beweis darüber zuzuschieben, dass er eine empfangene Leistung aufgrund gutercausa erhalten hat, wer eine Leistung entgegennimmt, ist nicht verpflichtet, den Empfang zurechtfertigen, um die Leistung behalten zu können63.

d) Beweislast

Aus dem Fehlen von beweisrechtlichen Sondervorschriften ergibt sich, dass derKondizierende zu beweisen hat, dass er irrtümlich oder im Hinblick auf eine ausgefallene causageleistet hat. Diese Beweislastverteilung ist sachlogisch geboten, da nur so die Zwecke desIrrtumserfordernisses gewahrt werden64.

e) Kein Irrtumserfordernis bei unfreiwilliger Leistung

Ein Irrtumsnachweis entfällt aus sachlogischen Gründen bei allen unfreiwilligen Leistungen,insbesondere den Zahlungen im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens 65 oder einerunter Zwang oder Drohung erbrachten Leistung. Der gezwungenermassen Leistende brauchtnicht einmal das Fehlen eines Rechtsgrundes nachzuweisen66; vielmehr hat der den ZwangAusübende, der die erzwungene Leistung

62 Vgl. oben Ziff. II/1/d.63 Lediglich bei Leistung unter Rückforderungsvorbehalt wird eine von jedem Irrtumsnachweisunabhängige Rückforderungsmöglichkeit geschaffen (unten Anm. 71).64 Sie beruht auf guter gemeinrechtlicher Tradition, vgl. (infolge Fehlens von Sondervorschriften)Dresd. E. § 976 ff., sächsisches BGB §§ 1519 ff., ausdrücklich (wie heute OR 63/I) aOR 72/I undZürch. PGB § 1222.65 Ein Irrtumsnachweis hinsichtlich des unterlassenen Rechtsvorschlags wird nicht gefordert, SchKG 86,und hat auch im Rahmen einer Kondiktionsklage gemäss OR 63 diesfalls keinen Platz.66 Dieser Nachweis wäre - vgl. oben Ziff. 2/c, II/1/d - nur im Hinblick auf einen bestimmten Rechtsgrundmöglich, den der unfreiwillig Leistende gar nicht besitzt.

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behalten will, den Behaltensgrund (d. h. das Bestehen seiner Forderung und den Rechtsgrund derLeistung) nachzuweisen67.

f) Kein Irrtumserfordernis bei Leistung eines Urteilsunfähigen

Der (hinsichtlich seiner Leistung) Urteilsunfähige kann nicht «irren», weil seine Motiverechtlich nicht anerkannt werden; es liegt ein Fall von Zufallskondition vor (dazu untenZiff. VI/3). Anderseits ist volle Handlungsfähigkeit (Mündigkeit) nicht Voraussetzung eineskondiktionsbegründenden Irrtums.

g) Beispiele und Einzelfragen

aa) Aus der einheitlichen Betrachtung der Kondiktionstypen gemäss OR 62/II und dercondictio indebiti gemäss OR 63/I ergeben sich auch Folgerungen für das Verständnis desIrrtumserfordernisses:

Zum vornherein fällt ausser Betracht, dass Verschulden des Kondizierenden den Anspruchausschlösse und bloss entschuldbarer Irrtum zur Kondiktion berechtigte, da auch bei den anderenFällen («sine causa» etc.) die Frage nicht gestellt wird, ob das Fehlen des Rechtsgrundes hätteerkannt werden können oder nicht und das Bereicherungsrecht seinem Wesen nach beidseitigverschuldensunabhängig konzipiert ist68. Der Gefahr der Schädigung des Kondiktionsgegners istdurch die Entreicherungseinrede gemäss OR 64 (unten Ziff. VII/6) vorgebeugt.

bb) Der Grund der falschen Annahme einer Leistungspflicht ist gleichgültig, insbesondere istauch Rechtsirrtum ebenso erheblich wie irgendeine unrichtige faktische Annahme 69. Eineanaloge Anwendung der Willensmängel-Regelung findet nicht statt, insbesondere darf nichtentsprechend OR 23/24 gefordert werden, dass der Irrtum des Leistenden «wesentlich» gewesensei.

cc) Eine differenzierte Betrachtung erfordert die Frage, wieweit eine im Zweifel über dieLeistungspflicht erbrachte Leistung kondiziert werden kann. Eine Auffassung, welche denBereicherungsanspruch diesfalls allgemein ablehnt70, geht zu

67 Bei Leistungen im Betreibungsverfahren begründet das Unterlassen des Rechtsvorschlages dieVermutung, dass eine Leistungspflicht bestehe, so dass dem Rückfordernden der Beweis der Nichtschuldüberbunden ist.68 Im Sinne der Zulassung von Bereicherungsansprüchen trotz Schuldhaftigkeit des Irrtums die Praxis seitBGE 64 II 127 E. 5. Dort auch Hinweise auf abweichende Auffassungen und komparatistischeDokumentation, p. 129. Vgl. auch Dresd. E. § 976, der die Kondiktion zulässt «ohne Unterschied, ob derIrrthum entschuldbar oder unentschuldbar gewesen ist, Thatsachen oder Rechtssätze betroffen hat».Anders noch Zürch. PGB § 1220, wonach die Rückforderung entfällt, wenn der «Irrthum ... keineEntschuldigung verdient».69 BGE 64 II 127 E. 5 lit. a; 70 II 272; 98 Ia 193 E. 4/b. Vgl. auch Dresd. E. § 976 (zit. vorausgehendeAnm.) und - abweichend - Zürch. PGB § 1221.70 So insbes. V. T./P., § 52/IV/3 bei Anm. 75. KELLER/SCHAUFELBERGER, p. 62, bejahen einenRückforderungsanspruch nur bei Anbringung eines Vorbehalts, sonst sei er rechtsmissbräuchlich.

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weit. Jemand kann leisten, obwohl er sich Rechenschaft gibt, dass der Grund der Leistungzweifelhaft ist, der Rückforderungsanspruch ist dann begründet, wenn der Leistende dasNichtbestehen des in Betracht gezogenen Leistungsgrundes nachweist.

Zweifel über die Leistungspflicht vermögen nur unter zusätzlichen Voraussetzungen dieKondiktion auszuschliessen: Wenn der Leistende zum Ausdruck bringt, dass er unerachtet derFrage des Bestehens einer Pflicht hiezu definitiv und ohne Rückforderungsvorbehalt eineLeistung erbringen will und bereit ist, ohne Rücksicht auf eine bestimmte causa zu leisten71. Hierist Kondiktion ausgeschlossen, weil die zweifelhafte Leistungspflicht nicht Ursache der Leistungwar, sondern diese schenkungshalber oder ohne Bezugnahme auf einen bestimmten Rechtsgrunderfolgt (vgl. dazu auch oben lit. a/aa, c). Ebenso ist zwar die im Rahmen einer rechtlichenAuseinandersetzung bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage erbrachte Leistung im SinneV. TUHRs72 nicht rückforderbar, wenn sie «dem Frieden zuliebe» und in der Absichtvergleichsweiser Streiterledigung erfolgt (Leistungsgrund ist diesfalls nicht die streitigeLeistungspflicht, sondern die Absicht der Streiterledigung); die Leistung ist indessenkondizierbar, wenn dieser Zweck nicht verwirklicht werden kann, d. h. wenn ein rechtsgültigerVergleich schliesslich nicht zustande kommt oder von der Gegenpartei nicht eingehalten wird73.

dd) Zur Frage der Rückforderung eines in Verletzung von Höchstpreisvorschriften bezahltenÜberpreises vgl. unten Ziff. 3/b.

3. Erweiterung: Sonderfall der Rückforderung des (seitens des Leistungsempfängers)verwerflich Erworbenen

a) Von den römischen bzw. gemeinrechtlichen Kondiktionstypen hat der schweizerischeGesetzgeber neben der condictio indebiti (OR 63/I) in OR 62/II nur die condictiones sine causa,causa data causa non secuta und ob causam finitam beispielshalber erwähnt. Nicht genannt istdie condictio ob turpem causam bzw. ob iniustam causam74. Es kann keinem Zweifelunterliegen, dass der Gesetzgeber diesen in der gemeinrechtlichen Tradition fest verwurzeltenKondiktionstypus nicht ausschliessen

71 Erbringt jemand bei unklarer Rechtslage eine Leistung unter Rückforderungsvorbehalt, ersetzt dies denIrrtumsnachweis im Sinne von OR 63/I: Der Kondizierende hat nur nachzuweisen, dass der zur Zeit derLeistung zwischen den Parteien diskutierte Grund der Leistung nicht verwirklicht ist.72 V. T./P., a.a.O.73 Die m. E. für das heutige Recht zutreffende Auffassung wird im Dresd. E. § 976 zum Ausdruckgebracht, wonach Kondiktion zulässig ist, «wenn die Leistung im Zweifel über das Bestehen einerrechtlichen Verbindlichkeit hierzu bewirkt worden ist, sofern nicht aus den Umständen erhellt, dass dieLeistung auch für den Fall des Nichtbestehens der Verbindlichkeit bewirkt werden wollte». Ähnlichbereits sächsisches BGB § 1523.74 Anders das BGB, das in § 817 Satz 1 auf diesen Kondiktionstyp ausdrücklich Bezug nimmt. ÄhnlichABGB § 1174/I Satz 3 und Zürch. PGB § 1230.

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wollte (wozu kein sachlicher Anlass bestand), vielmehr wurde unbedachterweise angenommen,dieser Fall würde von der exemplifikativen Umschreibung der Kondiktionstypen in OR 62/63mit erfasst75.

Die Anwendungsfälle der condictio ob turpem vel iniustam causam können ohne weiteres demunter dieser Überschrift stehenden Titel der Digesten (Dig. 12, 5) entnommen werden: Geld, dasgegeben wird, um die Begehung eines Verbrechens abzuwenden oder um die Herausgabe einerhinterlegten Sache oder eines (dem Leistenden zustehenden) Dokumentes zu erlangen (Dig. 12,5, 2 pr. und 1)76. Auf die gleiche Linie zu stellen ist der Rückforderungsanspruch desÜbervorteilten gemäss Sondernorm von OR 21/I oder desjenigen, der einen durch irgendwelchePreiskontrollvorschriften nicht zulässigen Überpreis bezahlt hat.

Die traditionelle condictio ob iniustam causam erfasst sowohl Fälle, bei denen eine rechtlichanerkannte causa überhaupt fehlt (das erpresste Lösegeld) wie auch solche, bei denen nur die Artdes Erlangens der Leistung zu missbilligen ist (die durch unzulässige Retention erwirkteHonorarzahlung).

b) Der Tatbestand der Rückforderung des in Verstoss gegen Höchstpreisvorschriftenbezahlten Überpreises ist wohl unter den im Gesetz zwar nicht genannten, aber auch in derSchweiz anzuerkennenden Typus der condictio ob iniustam causam zu subsumieren unddementsprechend die Kondiktion zuzulassen. Dieses Resultat dürfte auch dem legislatorischenZweck der entsprechenden Höchstpreisvorschriften oft am besten dienen (dazu BGE 79 II 204 f.,84 II 179 ff.). Infolge der Nichterwähnung im Gesetz sieht sich die Praxis indessen veranlasst,die Kondiktion unter dem Blickwinkel des Irrtums des Zahlenden zu betrachten und damit oft zueiner Verweigerung der Kondiktion zu gelangen77. Massgeblich müsste letztlich sein, ob derPreisvorschriften statuierende öffentlich-rechtliche Erlass eine Rückforderung von zuvielBezahltem vorbehalten will oder nicht 78.

c) Im Zusammenhang mit der condictio ob turpem vel iniustam causam ist auch die von derPraxis zur Rechtfertigung oder Interpretation von OR 66 berufene Parömie «in pari turpitudinemelior est causa possidentis» (bei gleicher Verwerflichkeit

75 Wie oben Ziff. 1 und 2 gezeigt, hätte die Bezugnahme auf die in OR 62/II und 63/I genanntenKondiktionstypen durch den generellen Hinweis auf den Ausfall der bei der Leistung als Leistungsgrundvorausgesetzten causa ersetzt werden können. Die im Vordergrund stehenden Anwendungsfälle deriniusta vel turpis causa werden davon nicht erfasst: Der bei der Leistung vorausgesetzte Rechtsgrund istgegeben, nur wird er von der Rechtsordnung nicht anerkannt, gibt keinen «Grund des Behaltens» für denEmpfänger, der verwerflich gehandelt hat, ab.76 Würde ein Anwalt ihm anvertraute (nicht geldwerte) Akten unzulässigerweise nur unter derVoraussetzung der Bezahlung einer Honorarnote herausgeben, könnte die Zahlung ohne Nachweis einesIrrtums zurückgefordert werden, vgl. dazu sogleich im Text.77 So BGE 93 II 107 und 85 IV 106. Die Kondiktion wurde (als condictio indebiti gemäss OR 63/I)gutgeheissen infolge Unkenntnis der Höchstpreisvorschrift seitens des Zahlenden in BGE 98 Ia 192.78 Vgl. dazu BUCHER, ZSR 1983, p. 297-300.

- Die Rückforderung ausdrücklich vorbehaltend BewG (Bundesgesetz über den Erwerb von

Grundstücken durch Personen im Ausland) Art. 26/IV lit. b.

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ist der Besitzer in besserer Rechtslage) zu sehen. Der Satz findet sich nicht in den römischenQuellen, sondern wurde vom Gemeinen Recht entwickelt. Es kommt ihm indessen nicht dieallgemeine und weittragende Bedeutung zu, welche ihm heute gerne beigelegt wird. SeineBedeutung lag ausschliesslich darin, bei den condictiones ob iniustam vel turpem causamdemjenigen Partner, auf dessen Seite die Verwerflichkeit begründet lag, die Klageabzuschneiden. Es ist eine Ironie der Kodifikationsgeschichte, dass in der Gesetzgebung dergenannte Kondiktionstypus vergessen wurde, dessen Einschränkung dagegen beibehalten, alsallgemeiner Grundsatz herausgestellt und von der Praxis zu einem Prinzip mit weittragenden undunkontrollierten Konsequenzen gemacht wurde79.

4. Sonderfrage: Kondiktion von Forderungen

Auszugehen ist vom Grundsatz, dass die Bereicherung in natura, nicht umgerechnet in derenGeldwert, zurückzuerstatten ist80. Besteht die Bereicherung darin, dass dem Bereicherten zuUnrecht eine Forderung zugekommen ist, muss dieser Vorgang rückgängig gemacht, d. h. dieForderung rückzediert werden81.

Die grundlos zugekommene Forderung kann sich gegen einen Dritten richten; dies ist derFall, wenn der Entreicherte dem Bereicherten eine Forderung grundlos zediert hat82. Fehlte es aneinem gültigen Grundgeschäft der Zession, so ist diese durch Retrozession rückgängig zumachen83. Eine Klage auf Rückzession wird allerdings kaum praktisch werden84.

Eine ungerechtfertigte Bereicherung kann auch dadurch entstehen, dass der Entreichertezugunsten des Bereicherten eine zwar gültige, jedoch im Sinne des Bereicherungsrechtsgrundlose Forderung gegen sich selber begründet. Dies kann nur

79 Vgl. dazu im weiteren unten Ziff. V/1 und 2. - Grotesk ist es, dass dieser Grundsatz dazu führen kann,dass gerade auch in jenen Fällen die Kondiktion abgeschnitten wird, für welche die condictio ob iniustamvel turpem causam wesensmässig bestimmt ist: z. B. die Rückforderung des Überpreises im Rahmeneines gegen Höchstpreisvorschriften verstossenden Geschäfts. Vgl. die Hinweise bei V. BÜREN,Bemerkungen zu Art. 66 OR, in SJZ 58/1962, p. 225-229, bes. 226 Anm. 4 und 5; im übrigen auch obenlit. b.80 Dieses selbstverständliche kondiktionsrechtliche Prinzip gelangt in der Schweiz fast in Vergessenheit,weil sich angesichts der Kausalität des Eigentumserwerbs kaum Beispiele von Sachkondiktionen findenlassen. Es findet noch Anwendung bei abstrakten Forderungszuwendungen (Zession) und abstraktenForderungsbegründungen. Vgl. dazu das Folgende.81 Keineswegs wird, vor Inkasso, der Forderungsbetrag selbst geschuldet; Kondiktionsgegenstand ist dieForderung einschliesslich des ihr innewohnenden Risikos der Einbringlichkeit.82 Dies wäre anders, wenn man die Zession als kausale Verfügung betrachten wollte, welche Auffassungindessen abzulehnen ist. Vgl. § 31/III/4.83 Was nach Ansicht des Verfassers ohne Errichtung einer neuen Zessionsurkunde sollte geschehendürfen; vgl. oben § 31/III/2/c.84 Vgl. § 31/VII/2.

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im Rahmen echter abstrakter Forderungsbegründung geschehen, z. B. durch Wechselakzept oderin den seltenen Fällen, da der Schuldner materiell-abstrakt sich zu einer bestimmten Leistungverpflichtet85. Die Möglichkeit «abstrakter» Forderungen führt zwangsläufig dazu, dass im Sinnedes Bereicherungsrechts «sine causa»86 eine gültige Forderung begründet werden kann unddiesfalls die Bereicherung in einer Forderung des Bereicherten gegen den Entreicherten besteht 87,vorausgesetzt, dass auch hier die sonstigen Voraussetzungen der Leistungskondiktion (z. B.Irrtum der Forderungsbegründung) gegeben sind. Dies bedeutet nun keineswegs, dass derBereicherungsanspruch durch Klage auf Abtretung der Forderung an den Entreicherten (denSchuldner) geltend gemacht werden muss. Vielmehr erwächst letzterem eine Einrede, mit der erdem Anspruch des Gläubigers aus der sine causa bestehenden Forderung seinen(bereicherungsrechtlichen) Anspruch auf Abtretung (bzw. Nichtgeltendmachung) eben dieserForderung entgegenhalten kann88. Auf diese Situation ist OR 67/II ausgerichtet: Es soll auchnoch nach Jahr und Tag (d. h. nach Ablauf der einjährigen Frist der Kondiktionsverjährunggemäss OR 67/I) der Schuldner der sine causa begründeten Forderung die Einrede erhebenkönnen89.

Praktische Bedeutung erlangt die Kondiktion von Forderungen gegen den Entreicherteninsbesondere bei Wechselakzepten: Liegt die Bereicherung in der grundlosen Hingabe einesWechsels, hat der Entreicherte gegenüber dem bereicherten Wechselnehmer eine Einrede gemässOR 979 (vgl. auch OR 1007) und eine Forderung nach OR 62 f. auf Rückgabe des Wechsels(vgl. unten Ziff. VII/1; zum Ganzen V. T./P., § 23/III, § 52/VIII/4). Der auf den Wechselbezogene Rückforderungsanspruch verjährt binnen eines Jahres gemäss OR 67/I, dagegenentsteht ein neuer Bereicherungsanspruch mit eigenem Fristenlauf mit der Einlösung desWechsels.

85 Vgl. dazu oben § 5/IV/1, 2/d. - In den «normalen» Fällen schuldbegründender Verträge besteht derAnspruch nur im Rahmen des gesamten Schuldverhältnisses und entfällt bei Ungültigkeit desbegründenden Vertrages, ohne zu einer Bereicherung zu führen.86 Vgl. dazu oben Ziff. IV/1/b, 2/c.87 Umgekehrt würde ich, anders als die überwiegende Auffassung in Deutschland, eine Unterscheidungvon Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft beim Erlass nicht für sinnvoll oder notwendig halten (vgl.dazu oben § 22/I/5), so dass sich bei Grundlosigkeit des Schulderlasses eine Aufhebungsmöglichkeit nachden Regeln der Willensmängel ergibt (falls nicht Dissens vorliegt), die im Falle erfolgreicherIrrtumsanfechtung zu Vertragsnichtigkeit und damit automatischem Weiterbestand (ex tunc) der«aufgehobenen» Forderung führt.88 Ein Verrechnungstatbestand im eigentlichen Sinne kann nicht angenommen werden, da es genaugenommen an der Gleichartigkeit der Forderungen fehlt.89 Nach dem wohlbegründeten Grundsatz «Forderung vergeht - Einrede besteht», die z. B. im Rahmen desKaufrechts in OR 210/II Ausdruck findet.OR 67/II ist nicht «sinnlos», wie G./M./K., p. 204 annehmen: Ohne diese Bestimmung könnte derjenige,der eine abstrakte Schuld (z. B. durch Novierung einer vorbestehenden Schuld, Wechselakzept od. dgl.)begründet hat, nach Ablauf eines Jahres nicht mehr einwenden, dass die Forderungsbegründung im Sinnedes Kondiktionsrechts sine causa erfolgt sei. - Zum Ganzen auch V. T./P., § 32/III.

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5. Sonderfrage: Zulässigkeit der «actio de in rem verso»?

Das Römische Recht erkannte die actio de in rem verso zu, wenn ein Gewaltunterworfener(Hauskind, Sklave) eine erlangte Vertragsleistung zugunsten des Gewalthabers verwendet unddamit dessen Bereicherung bewirkt hatte. Von hier ausgehend wurde eine der «Versionsklage»entsprechende Klage gegen den Bereicherten allenfalls auch gewährt, wenn die Leistung an eineunabhängige Person gegangen und von dieser an einen Dritten (insbesondere dessenGeschäftsherrn) geleitet worden war90. Das ALR statuierte einen allgemeinen Anspruch aufErsatz nützlicher Verwendungen91; ähnlich heute noch ABGB § 1041. Der französische CCenthält keine Regel, indessen hat 1892 die Cour de Cassation im berühmt gewordenen «FallBoudier» im praktischen Ergebnis eine Versionsklage gutgeheissen92.

Das schweizerische OR wie das deutsche BGB haben einen der actio de in rem versoentsprechenden Ausgleichsanspruch nicht zuerkannt93. Auch die Praxis hat bisher keineKonzession gemacht. In BGE 87 II 20 hat das Bundesgericht, ohne auf die hier besprocheneTheorie einzugehen, einen Versionsanspruch abgewiesen: Wer einem Darlehensbetrüger Geldaushändigt, kann nicht von demjenigen, der vom Betrüger aus diesem Geld eine«Gewinnbeteiligung» ausgerichtet erhalten hat, diesen Betrag als ungerechtfertigte Bereicherungherausverlangen94. Ebenso ist gemäss BGE 106 II 29 ein Gläubiger, dessen Schuldner sich dieMittel zur Tilgung seiner Schuld durch unrechtmässige Verfügung über das von ihm verwalteteBankkonto eines Dritten verschafft, diesem gegenüber nicht ungerechtfertigt bereichert.

90 Zur actio de in rem verso im Römischen bzw. Gemeinen Recht vgl. WINDSCHEID, II, § 373 Anm. 11,§ 484, evtl. § 421 Anm. 2, KASER, § 49/II/1/b; Dig. 15, 3 («de in rem verso»). Die Klage wird alsselbständiger Typus, nicht als Kondiktionsklage verstanden. Weiterhin D. KÖNIG, DerBereicherungsanspruch des Drittempfängers einer Vertragsleistung nach französischem Recht (Arb. z.Rvgl. Bd. 133, Frankfurt a. M. / Berlin 1967); A. V. TUHR, Actio de in rem verso, zugleich Beitrag zurLehre von der Geschäftsführung, Freiburg i. Br. 1895.91 ALR I, 13 § 262: «Derjenige, aus dessen Vermögen etwas in den Nutzen eines Anderen verwendetworden, ist dasselbe entweder in Natur zurück-, oder für den Werth Vergütung zu fordern berechtigt.»92 Dazu FERID, Bd. 2, p. 936 f»: «Ein Händler hatte einem Gutspächter Dünger geliefert, der zurBestellung der gepachteten Felder verwendet wurde. Da der zahlungsunfähige Pächter seineVerpflichtungen auch gegenüber dem Eigentümer nicht erfüllte, wurde der Pachtvertrag gemäss Art. 1184aufgelöst. Der Händler verklagte den Eigentümer, an den die mit dem gelieferten Dünger bestelltenFelder zurückgefallen waren, aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung. Mit dieserKlage drang der Händler durch.» Vgl. dazu weiter ZWEIGERT/KÖTZ, Bd. II, p. 274 ff.93 Zur Bedeutung von BGB § 822 vgl. das Folgende.94 Vgl. auch V. T./P., § 54/II/2.

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Dagegen ist zu fordern, dass die in BGB § 822 niedergelegten Regeln95 auch in der Schweizangewendet werden96. Es geht darum, nach Möglichkeit zu verhindern, dass bei Entäusserungder Bereicherung der Entreicherte leer ausgeht; insbesondere sollte derjenige, der gestohlenesGeld u. ä. (in gutem Glauben) geschenkt erhält und durch Vermischung originär Eigentumerwirbt, die Bereicherung herausgeben müssen97.

V. Ausschlussgründe der Leistungskondiktion (OR 66, 63/II)

1. Der Grundsatz des Ausschlusses der Rückforderung des zur Verfolgung missbilligterZwecke Hingegebenen (OR 66)

Wie bereits aOR 75 sagt OR 66: «Was in der Absicht, einen rechtwidrigen oder unsittlichenErfolg herbeizuführen, gegeben worden ist, kann nicht zurückgefordert werden.» DieseGesetzesvorschrift ist sachlich gerechtfertigt, soweit sie die Rückforderung einer Gegenleistungfür ein verwerfliches oder widerrechtliches Verhalten («Gaunerlohn») ausschliesst. DieGerichtsbarkeit ist nicht dazu da und dem Richter soll nicht die Aufgabe zugemutet werden, inVerhältnissen allseitiger Korruption Ordnung zu schaffen.

Der auf lange Tradition zurückgehende Rechtsgedanke ist zwar in seinem eigentlichenAnwendungsgebiet gerechtfertigt; im übrigen muss die ausweitende, weder sachlich zubegründende noch mit dem Gesetz zu vereinbarende Auslegung, welche das Bundesgerichtdieser Bestimmung gegeben hat, bedauert werden.

Entstehungsgeschichtlich geht OR 66 auf die condictio ob iniustam causam bzw. ob turpemcausam zurück (vgl. dazu oben Ziff. IV/1/a und IV/3), in deren Rahmen eine Einschränkungnotwendig war, um demjenigen Teil, der verwerflich gehandelt hatte, die Rückforderungabzuschneiden98. Dieser (in der Folge in die

95 BGB § 822: «Wendet der Empfänger das Erlangte unentgeltlich einem Dritten zu, so ist, soweitinfolgedessen die Verpflichtung des Empfängers zur Herausgabe der Bereicherung ausgeschlossen ist, derDritte zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn er die Zuwendung von dem Gläubiger ohne rechtlichenGrund erhalten hätte.» - Damit wird der Hauptbereich der actio de in rem verso allerdings nichtabgedeckt, da nicht bei Vertragsansprüchen, sondern nur im Fall von Bereicherungsansprüchen nach§ 822 gegen den Empfänger vorgegangen werden kann.96 Zur Begründung vgl. V. T./P., § 54/II/1.97 Dabei scheint es richtiger, anders als in BGB § 822 nicht darauf abzustellen, ob infolge der Zuwendungder Entreicherte seinen Bereicherungsanspruch eingebüsst hat, als vielmehr darauf, ob der Anspruchgegen den primär Verpflichteten nicht einbringlich ist.98 So sollte mit der condictio ob turpem causam zwar der Geber eines erpressten Lösegeldeszurückfordern können, nicht jedoch (infolge der eigenen Verwerflichkeit) der Dieb, der ein Schweigegeldbezahlt hatte. In dieser Richtung schon ULPIAN in Dig. 12, 5, 2 pr. gegenüber PAULUS Dig. 12, 5, 1.Dirnenlohn kann nicht zurückgefordert werden; vgl. dazu Dig. 12, 5, 4, 3: «illam enim turpiter facere,quod sit meretrix, non turpiter accipere, cum sit meretrix.». Verwerflich ist, dass die Dirne sich zur Dirnemacht, nicht, dass sie als solche Geld nimmt.

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Parömie «in pari turpitudine melior est causa possidentis» gekleidete) Gedanke hat sich in derGesetzgebung in den Vordergrund gedrängt und schliesslich sich auch dann noch halten können,als die condictiones ob iniustam vel turpem causam als Sondertypen im Gesetz keine Erwähnungmehr fanden (oben Ziff. IV/3). Der vom Gesetzgeber verfolgte Gedanke ist einfach und sowohlaufgrund der pandektistischen Tradition wie des Gesetzestextes leicht zu erfassen: Es sollderjenige nicht zurückfordern können, der mit der Hingabe einen verwerflichen Zweck verfolgthat und dessen Leistungsgrund damit seinerseits verwerflich war, die condictio ob iniustam velturpem causam soll damit auf jene Fälle beschränkt werden, in denen die Verwerflichkeit desLeistungszweckes nur beim Empfänger, nicht auch beim Leistenden liegt.

Hinsichtlich der Gewinnung des Massstabes der in OR 66 genannten «Unsittlichkeit» kannauf § 15/V/2 verwiesen werden. Die weiterhin genannte «Rechtswidrigkeit» des Erfolges ist danngegeben, wenn der Leistende erreichen will, dass der Empfänger durch die Leistung bewegt einedurch das Strafgesetz oder Sonderbestimmungen pönalisierte Tat begehe 99.

Von V. TUHR u. a. wird die Auffassung vertreten, dass eine im Hinblick auf einen wegenSitten- bzw. Rechtswidrigkeit gemäss OR 20 nichtigen Vertrag erbrachte Leistung nichtzurückgefordert werden könne 100. Obwohl im Ergebnis wenigstens teilweise zutreffend, ist dieseBetrachtungsweise bereits im Ansatz verfehlt: Das Bereicherungsrecht soll seinem Wesen nachZuwendungen rückgängig machen; es bezieht sich demnach auf Verfügungsgeschäfte, währendein hiezu verpflichtendes gültiges Verpflichtungsgeschäft in jedem Kondiktionsfall fehlt, dasonst die Bereicherung nicht ungerechtfertigt wäre. Der Grund, weshalb eine causa fehlt, hat imBereicherungsrecht grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben. Massgebend ist, ob im Zeitpunktder Leistungserbringung, d. h. des Vollzugs des Verfügungsgeschäfts, die Zuwendung zu einemverwerflichen Zweck erfolgt oder nicht, was keineswegs bei allen Leistungen aufgrund vongemäss OR 20 nichtigen Verträgen für beide Parteien zutrifft. Zum vornherein muss im übrigenunberücksichtigt bleiben, ob der der Leistung zugrundeliegende Vertrag in geschehener Formnicht hätte geschlossen werden dürfen, weil in ihm z. B. eine übermässige Beschränkung derpersönlichen Freiheit des einen Vertragspartners liegt und der Vertrag gemäss ZGB 27 für diesennicht bindend ist (vgl. dazu oben § 15/VII) oder weil der eine Vertragspartner (z. B. mangels dererforderlichen Bewilligung zum fraglichen Geschäft) den Vertrag nicht

99 Wieweit nicht mit Strafsanktionen bedrohte, sondern durch sonstige ausdrückliche Gesetzesnormverpönte Verhaltensweisen ebenfalls in Betracht kommen, möge offenbleiben.100 V. T./P., § 52/VI/2; ähnlich auch ZR 81, Nr. 54.

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hätte schliessen dürfen101. Die Tatsache, dass eine Leistung im Hinblick auf einen gemäss OR 20nichtigen Vertrag erbracht wurde, sollte nicht als Ausschlussgrund der Rückforderung betrachtetwerden, setzt doch Kondiktion immer Fehlen eines gültigen Leistungsgrundes, d. h. hier Fehleneines Vertrages, voraus. So könnten nach der hier abgelehnten Auffassung die Parteien dannkondizieren, wenn sie den aufgrund von OR 20 beanstandeten Vertrag überhaupt nichtgeschlossen und die gleichen Leistungen vertragslos erbracht hätten102.

Ist das in Frage stehende Geschäft rechtswidrig, so beurteilt sich die Frage, ob die eine oderbeide der unzulässigerweise erbrachten Leistungen zurückgefordert werden können, nicht nachOR 20 oder OR 66, sondern in Auslegung der das Geschäft verbietenden öffentlich-rechtlichenNorm103. Wie in richtiger Sicht der Dinge Vertragsnichtigkeit nur angenommen werden soll,wenn Wortlaut oder Zweck des fraglichen öffentlich-rechtlichen Erlasses diese Rechtsfolgefordert104, muss noch eher gelten, dass die Rückforderung bereits erbrachter Leistungen nur dannversagt ist, wenn der fragliche öffentlich-rechtliche Erlass diese Sanktion verlangt 105.

2. Die bundesgerichtliche Praxis zu OR 66

Während die meisten Entscheidungen des Bundesgerichts eine sinngemässe Verwirklichungdes in OR 66 liegenden Gedankens darstellen, verkennen umgekehrt einige wenige das Wesender Rückforderungsbeschränkung (BGE 74 II 26, besonders schlimm neuestens BGE102 II 402). Generell ist die Rechtsprechung von der Irrmeinung beeinflusst, OR 66 als Ausflussvon OR 20 zu betrachten, was zu dem

101 Das hier für Vertragsnichtigkeit aufgrund von OR 20 Gesagte gilt auch im Falle von«Formnichtigkeit» von Verträgen, deren Abschluss missbilligenswert ist: Wird bei einem Grundstückkaufaus Gründen der «Steuerersparnis» der Kaufpreis zu niedrig verurkundet und ist daher der Vertrag nichtig(vgl. dazu OR/BT, § 5/III/2/f, g), ist Rückforderung des Bezahlten nicht aufgrund von OR 66, sondernwegen Mangels des Irrtums bei der Zahlung (oben Ziff. IV/2) ausgeschlossen, sofern das Motiv derZahlung (Erlangung der Gegenleistung) aufrecht bleibt (selbst die Grundbuchberichtigungsklage entfälltaus gleichen Überlegungen aufgrund von ZGB 2; vgl. OR/BT, § 5/III/2/g).102 Im Ausland wird klar erkannt, dass die Nichtigkeit eines Vertrages wegen Unzulässigkeit des Inhaltsfür sich allein noch keinen Grund darstellen kann, die Rückforderung abzuschneiden. Vgl. BGB § 817und ABGB § 1174 sowie Doktrin und Praxis hiezu, etwa WILBURG, in Klangs Komm. zum ABGB,§ 1174 N. B/I/3; GSCHNITZER, Lehrb. des österr. bürg. Rechts, Schuldrecht, Bes. Teil, Wien / New York1963, § 37/E/4, p. 138.103 Vgl. dazu oben IV/3 und Hinweise Anm. 78.104 Vgl. dazu oben § 15/IV/3 und Anm. 69.105 BGE 79 II 204/5 und 84 II 179 ff. mit Beispiel eines Erlasses, der Rückforderung zulässt (dieseMöglichkeit ist sachlogisch bei den Erlassen mit der Tendenz der Preislimitierung gefordert). Die in BGE82 II 76 E. 4 vertretene Auffassung, dass mangels einer die Rückforderung erlaubendenöffentlichrechtlichen Norm OR 66 durchgreife, stellt die Verhältnisse auf den Kopf!

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im Bereicherungsrecht unzulässigen Abstellen auf die Gründe des Fehlens einer gültigen causader Zuwendung führt. Sodann besteht die Tendenz, den Anwendungsbereich von OR 66 überseine ursprüngliche Funktion der Eingrenzung der condictio ob turpem vel iniustam causam weithinausgehend zu einem formalisierten und wertender Kontrolle entzogenen Rechtsprinzip zumachen.

Im folgenden seien die wichtigsten höchstrichterlichen Entscheidungen zu OR 66 skizziert106:

- BGE 37 II 67 E. 4: Jemand zahlt seinem Schwiegervater grössere Beträge, um diese demZugriff seiner Gläubiger zu entziehen. Die Rückforderungsklage wird unter Berufung aufaOR 75 abgewiesen, was V. TUHR zutreffend als zu weitgehend kritisiert (V. T./P., § 52, p. 492bei Anm. 114). Wäre auch im Konkursfall (zulasten der Gläubiger) so entschieden worden?- BGE 41 II 486. Klient, der mit seinem Anwalt ein (für diesen) verbotenes pactum de quotalitis geschlossen hat, kann das Geleistete, soweit nicht als tarifmässiges Honorar des Anwaltesgerechtfertigt, zurückfordern. Dieser (richtig entschiedene) Fall, der trotz Vertragsmängel dieRückforderung zulässt, zeigt deutlich, dass die Vertragsungültigkeit kein taugliches Kriteriumdes Rückforderungsausschlusses ist, und zwar nicht bloss im Einzelfall, sondern schlechthin.- BGE 66 II 258 ff. Der (nach Erbteilung) bezahlte Lohn für eine erfolgreiche Beihilfe beiErbschleicherei kann gemäss OR 66 nicht zurückgefordert werden (E. 2); Einsicht in dieVerwerflichkeit wird beim Leistenden nicht vorausgesetzt (E. 3).- BGE 74 II 26 f. E. 2, 3. Eine Geldleistung zur Beschaffung von Gold an eine Person, diegemäss damals geltendem Bundesratsbeschluss nicht zum Goldhandel konzessioniert war, kannnicht zurückgefordert werden. Unhaltbar107! Eine Abschwächung erfolgt in BGE 75 II 295, wodie Bedenklichkeit der Regel des BGE 74 II 26 erkannt wird. - Im übrigen statuiert E. 3, p. 295 f.die Regel, dass eine Schuldanerkennung, welche zur Rückerstattung einer nicht kondizierbarenLeistung verpflichtet, ein OR 66 überspielender selbständiger Forderungstitel sei108.

106 Neben den nachfolgend genannten Entscheidungen vermerken die Register derBundesgerichtsentscheidungen noch die folgenden: (zu aOR 75) BGE 19, p. 383 f., 20, p. 610 E. 3-5,25 II 830 E. 2, 26 II 143 E. 2, 29 II 478 f. E. 5. Zu OR 66 neben den unten genannten insbesondere79 II 204/5 und 95 II 41.107 Zur Begründung wird sogar das Römische Recht in Anspruch genommen (p. 28: «Damit - scil. durchOR 66 - wird der schon im römischen Recht geltende Grundsatz ‹in pari turpitudine melior est causapossidentis› auch für das schweizerische Recht anerkannt»). Zu Unrecht, wie oben Ziff. IV/3c gezeigtwurde. - Auf die zitierte Parömie beruft sich die Praxis auch sonst gerne (z. B. BGE 95 II Nr. 6, p. 42).108 Im Tatbestand gemäss BGE 75 II 293 f. war derjenige, der im Rahmen einer unzulässigen,Goldtransaktion empfangene Goldstücke nicht zurückgab, wegen Veruntreuung bestraft worden, wasjedoch unter Zugrundelegung der Praxis gemäss BGE 74 II 26 nicht mehr angängig ist, kann man docheine Sache, die man nicht schuldet, auch nicht veruntreuen (BGE 75 II 295 spricht euphemistisch voneinem «stossenden Zwiespalt» bezüglich Ausschluss der Kondiktion trotz feststehender Veruntreuung).

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- BGE 76 II 369 E. 5 bringt zum Ausdruck, dass eine als Schweigegeld erbrachte und dabeigemäss OR 66 an sich nicht rückforderbare Leistung doch kondiziert werden kann, wenn sieunter Drohung (mit Erstattung von Strafanzeige) geleistet worden war (Anwendung von ZGB 2).- BGE 84 II 180. Dieser Entscheid, der im übrigen die intertemporalrechtliche Anwendbarkeitdes BRB über Massnahmen gegen die Bodenspekulation betrifft, bezeichnet «die vom Gesetzgetroffene Ordnung» (scil. OR 66, gemeint im Verständnis des Bundesgerichts) «als einegesetzgeberisch fragwürdige Lösung, da sie je nach den Umständen zu moralischunbefriedigenden Ergebnissen führen kann» (p. 184)109.- BGE 95 II 38. Ausschluss der Rückforderung von Leistungen mit schmiergeldähnlichemCharakter.- BGE 99 Ia 418. Der Beauftragte, der zu sittenwidrigem Zweck (Auszahlung vonBestechungsgeldern) Geld erhält, dies jedoch nicht instruktionsgemäss verwendet, kann demRückforderungsanspruch OR 66 nicht entgegenhalten.- BGE 102 II 402 ff. Von einer Kleinkreditbank wurde im Verstoss gegen die (inzwischenaufgehobene) Bestimmung von Art. 3/I der VO vom 10.1.1973 über Kleinkredit- undAbzahlungsgeschäfte ein Darlehen eingeräumt, ohne dass ein früheres bereits vollständigzurückerstattet gewesen wäre. Nach dem Bundesgericht ist der Darlehensvertrag nichtig unddaher die Rückforderung der hingegebenen Darlehensvaluta nach OR 66 ausgeschlossen, was,wie gesehen, nicht schlüssig ist: Massgeblich ist allein, ob die Geldhingabe als solche(Darlehensausbezahlung) einen «rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg» anstrebte, waskeinesfalls angenommen werden kann110. Weiterhin muss im Falle der Annahme eines«rechtswidrigen Erfolges» wenigstens dann, wenn die Rechtswidrigkeit nicht auf gemeinemStrafrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen, sondern nur auf Sondererlassen beruht 111, füreine Rückforderungs-Verweigerung verlangt werden, dass der den fraglichen Erfolg

109 Es gelangt hier zum Ausdruck, dass das gesetzgeberische Ziel eines öffentlich-rechtlichen Erlasses dieRückforderbarkeit einer Leistung und nicht deren Ausschluss verlangen kann (p. 185), woraus zu folgernwäre, dass (entgegen BGE 82 II 76 E. 4, oben Anm. 105) OR 66 nicht zur Anwendung kommt, wennnicht der Sinn der öffentlich-rechtlichen Norm den Ausschluss der Kondiktion fordert.110 Nicht das Ergebnis der Darlehensüberlassung als solches ist widerrechtlich, sondern nur dieModalitäten der Einräumung des Darlehens. An der Wurzel der Fehlüberlegungen steht wohl auch hierdie Berücksichtigung des Grundes des Fehlens eines gültigen Vertrages (Nichtigkeit desDarlehensvertrages nach OR 20), welcher Gesichtspunkt im Kondiktionsrecht ausserhalb derBetrachtungen zu bleiben hat (vorstehend Ziff. 1).111 Der englische Jurist unterscheidet zwischen einem «malum prohibitum» und einem «malum per se»,d. h. einer Verhaltensweise, die ein Übel an sich ist, und einer solchen, die bloss ein Übel ist, weil es demGesetzgeber gefallen hat, sie zu untersagen und damit als Übel zu erklären. Der tiefe Sinn, der dieserUnterscheidung zugrunde liegt, sollte auch auf dem Kontinent mehr bedacht werden.

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untersagende Gesetzeserlass die Rückforderung ausschliesse112, im gegebenen Fall schloss diefragliche Verordnung einen Rückforderungsanspruch nicht aus (der angestrebte Erfolg wurdemit scharfen Bussanktionen gesichert)113.

3. Keine Rückforderung bei Erfüllung sittlicher oder verjährter Pflichten (OR 63/II)

Das Gesetz schliesst die Rückforderung aus, wenn jemand eine verjährte Schuld bezahlt odereine sittliche Pflicht erfüllt hat. Es liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Naturalobligationerfüllt wurde, die zwar nicht klagbar war, jedoch im Falle deren Erfüllung eine Einredegewährt114.

Im Falle der Erfüllung einer verjährten Schuld hilft es dem leistenden Schuldner nicht, dass erum die Verjährung nicht wusste. In jedem Fall erfüllt er eine gültige Schuld; dieverjährungsrechtliche Betrachtungsweise, dass eine verjährte Schuld vorerst eine voll gültigeSchuld sei und erst durch die Erhebung der Verjährungseinrede unwirksam gemacht werde, willgerade diesem Sachverhalt Rechnung tragen.

Die Erfüllung sittlicher Pflicht ist insofern ausdehnend zu verstehen, als damit auch alle vonRechts wegen als unklagbare Verbindlichkeiten ausgestalteten Schulden dazu gerechnet werden,so die Forderung des Heiratsvermittlers (OR 416), wie jene aus Spiel und Wette (OR 513). Auchhier ist ein die Leistung veranlassender Irrtum unerheblich (der Leistende glaubte, zur Leistungverpflichtet zu sein), wenn nur eine sittliche Pflicht zu deren Erbringung vorlag. Dagegen wäreeine Rückforderungsklage gutzuheissen, wenn eine Leistung aufgrund einer angenommenensittlichen Pflicht erbracht wurde, die nicht besteht115.

112 Umgekehrt muss die Rückforderung nicht, um möglich zu sein, ausdrücklich zugelassen werden, wiedies im in BGE 84 II 180 zu beurteilenden Erlass zutraf.113 Aufgrund welch nichtiger Umstände nach der bundesgerichtlichen Praxis jemand um seinenBereicherungsanspruch gebracht wird, mag im übrigen daraus ersehen werden, dass die Entscheidung desan die Vorinstanz zurückgewiesenen Falles im Ergebnis davon abhängt, ob der Darlehensnehmer beiAbschluss des fraglichen Darlehensvertrages die frühere Darlehensschuld durch teilweise Verrechnungmit dem neuen Darlehen tilgte oder aber vorgängig der Aushändigung des neuen Darlehens die alteDarlehensschuld in bar zurückzahlte (dies vielleicht mit Geld, das ihm von einem Dritten für einigeMinuten zur Verfügung gestellt war). - Vgl. im übrigen auch Vorauflage, p. 623 f.114 Auch die Regel von Art. 109 von MUNZINGERs Entwurf von 1870 «Ist eine Schuld irrthümlich bezahltworden, bevor sie fällig war, so findet eine Rückforderung nicht statt» hat (trotz deren Nichtaufnahme insGesetz) zweifellos Geltung.115 Vgl. dazu ZR 81, Nr. 54.

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VI. Die übrigen Kondiktionsfälle («Nicht-Leistungskondiktion»)

1. Allgemeines

Die vorstehend besprochenen Leistungskondiktionen unterliegen einheitlichenGesichtspunkten; insbesondere sind sie gegenüber den sonstigen Kondiktionsfällen anzusätzliche Voraussetzungen geknüpft. Hier sind die (praktisch weniger bedeutsamen)verbleibenden Kondiktionstatbestände zu nennen, die nicht auf einer Leistung des Entreicherten,sondern umgekehrt auf einem Eingriff des Bereicherten («Eingriffskondiktion»; im folgendenZiff. 2) oder auf Zufall («Zufallskondiktion»; unten Ziff. 3) beruhen. An Stelle des Nachweisesdes Fehlens eines bei Leistungserbringung vorausgesetzten Rechtsgrundes tritt der Nachweis derRechtsverletzung bzw. der Zufälligkeit der Vermögensverschiebung.

Die Abgrenzung zwischen Eingriffs- und Zufallskondiktion ist gelegentlich zweifelhaft116.Die Abgrenzung spielt auch nur in Sondersituationen eine praktische Rolle: Bei derZufallskondiktion fällt eine Erstreckung der Verjährung auf die Dauer strafrechtlicherVerjährung ausser Betracht (vgl. dazu unten Ziff. VIII/5), der Bereicherte haftet nicht fürzufälligen Untergang (unten Ziff. VII/6/g) usw.

2. Eingriffskondiktion

Die in der romanistischen Tradition unbestrittene condictio furtiva wird im Gesetz nichtausdrücklich genannt, ist aber unzweifelhaft in der Generalklausel von OR 62/I miterfasst. Sieerlangt (gegenüber dem Deliktsanspruch) Bedeutung im Falle der Verschuldensunfähigkeit desDiebes, soweit das Gestohlene (infolge Veräusserung, Verbrauchs usw.) nicht vindiziert werdenkann117. Obwohl die Eingriffskondiktion grundsätzlich verschuldensunabhängig ist, muss aufZufallskondiktion erkannt werden, wenn dies für den Bereicherten, den kein Verschulden trifft(der gutgläubig eingegriffen hat), günstiger ist.

Praktische Bedeutung dürfte die Eingriffskondiktion vor allem bei Immaterialgüterrechtenbesitzen: Unbefugte Publikationen unter Verletzung von Urheberrechten,

116 Zum Beispiel wenn der die Vermögensverschiebung bewirkende Dritte Hilfsperson im Sinne vonOR 55 des Bereicherten ist, jedoch ohne dessen Instruktion gehandelt hat, in welchem Fall man statt anZufallskondiktion (Handlung eines Dritten) an Eingriffskondiktion denken mag.117 Der Eigentümer ist sogar dann nicht verpflichtet, gegen den derzeitigen Besitzer der Sache vorzugehenund diese zu vindizieren, wenn ihm dies möglich wäre (dazu auch oben § 23/VI/4). Wenn er dieVindikation nachträglich doch noch nachholt, hätte der gemäss ZGB 934/I die Sache verlierendeErwerber einen Schadenersatzanspruch gegen den ihm veräussernden Dieb, der Dieb einenBereicherungsanspruch gegen den Eigentümer. Im Sinne einer Weiterführung der in der actio de in remverso enthaltenen Gedanken (vgl. dazu oben Ziff. IV/5) wäre eine Direktklage des Erwerbers gegen denEigentümer vorzuziehen.

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Benutzung patentrechtlich geschützter Verfahren oder markenrechtlich geschützter Zeichen,Nachahmung geschützter Muster und Modelle usw. Eine gleiche Behandlung erfordert auch diekommerzielle Verwendung von Personenbildnissen usw., welche nach den Regeln desPersönlichkeitsschutzes (ZGB 28) nicht ohne Zustimmung des (oder der) Abgebildeten hätteerfolgen dürfen.

Herauszugeben ist (nach Wahl des Verletzten) entweder der (Zusatz-)Gewinn, den derVerletzer durch seine Rechtsverletzung erzielt hat, oder aber der Betrag, der einer invergleichbaren Fällen üblichen vertraglichen Entschädigung (als Autorenhonorar, Lizenzgebührusw.) entspricht 118.

Als einen Fall von Eingriffskondiktion betrachte ich auch das bösgläubige Konsumieren bzw.die bösgläubige Veräusserung einer gutgläubig erworbenen abhanden gekommenen Sache 119;wenn der Erwerber, nach Erlangen der Kenntnis, dass die Sache abhanden gekommen ist(insbesondere während des Prozesses über das Herausgabebegehren), diese konsumiert oderderart veräussert, dass der Eigentümer keine Möglichkeit hat, sie vom neuen Empfängerherauszuverlangen, sollte der Handelnde, der damit die Durchsetzung des Herausgabeanspruchsdes Eigentümers vereitelt, nach den Grundsätzen von OR 62 ff. haften (vgl. auch BGB § 819/I).

Den Fällen der Eingriffskondiktion ist gemeinsam, dass der Bereicherte, der sich über dieUnberechtigtheit des erlangten Vermögensvorteils Rechenschaft gibt oder geben musste, keineEntreicherungseinrede im Sinne von OR 64 erheben kann und für Zufall haftet (vgl. dazu untenZiff. VII/6/g).

3. Zufallskondiktion

In dieser Gruppe sind jene Kondiktionstatbestände zusammenzufassen, bei denen dieBereicherung ohne Zutun des Entreicherten (wie bei der Leistungskondiktion) oder desBereicherten (wie bei der Eingriffskondiktion) zustande gekommen ist. Dabei mag dieVermögensverschiebung durch Handlungen Dritter120 oder aber (in wohl sehr seltenen Fällen)ohne jede menschliche Beteiligung bewirkt worden sein; Beispiele hierfür sind etwa derungerechtfertigte Vermögenszuwachs, der durch

118 Vgl. im übrigen unten Ziff. VII/3; oben § 23/VI/4 und Anm. 37. - Im Falle unbefugter Verwendungvon Personenbildnissen kommt weiterhin ein Genugtuungsanspruch gemäss OR 49 in Frage.119 Jemand kauft gutgläubig eine gestohlene Sache, die er gemäss ZGB 934/I (unter Vorbehalt vonZGB 934/II entschädigungslos) dem Eigentümer herausgeben muss, während weder im Falle derWeiterveräusserung der Erlös noch im Falle des Verbrauchs Ersatz geschuldet wird. Vgl. BGE 71 II 90sowie die sachenrechtlichen Ansprüche gemäss ZGB 940.120 Als «Dritte» haben auch «eigene Leute», d. h. Arbeitnehmer oder Beauftragte des Bereicherten zugelten; die Gesichtspunkte von OR 101 haben in vorliegendem Zusammenhang zurückzutreten.

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zufällige Vermischung von fremdem Bargeld beim Besitzer der Barschaft121 oder im Falle dernicht notifizierten Zession durch Zahlung des debitor cessus an den Zedenten bei diesementsteht122.

Besonders bedeutsam sind hier vor allem auch die von einem Urteilsunfähigen bewirktenLeistungen (z. B. im Vollzug eines wegen fehlender Geschäftsfähigkeit ungültigen Vertrages).Dessen Verhalten ist, da nicht ihm zurechenbar, als zufällig zu qualifizieren; die Frage nach derIrrtümlichkeit der Leistungserbringung darf nicht gestellt werden (oben Ziff. IV/2/f).

In den Bereich der Zufallskondiktion oder Eingriffskondiktion fallen an sich dieVermögensverschiebungen, wie sie sich ergeben aus Verbauen von Material auf demGrundstück eines Dritten und aus der Vermischung bzw. Verbindung beweglicher Sachen, dieins Eigentum des Eigentümers des einen Teils der Sachen übergehen (ZGB 727/II). Zumverbauten Material vgl. die Regeln von ZGB 671-673, die nicht bloss sachenrechtlichen Gehalthaben, sondern zum Teil auch Abweichungen von den Kondiktionsprinzipien von OR 62 ff.aufstellen123. Schliesslich ist in diesem Zusammenhang zu nennen das traditionelle Beispiel desWeidens von Vieh auf fremdem Grund.

VII. Rechtsnatur und Umfang des Bereicherungsanspruchs

1. Grundsatz: Anspruch auf Naturalrestitution

Der Anspruch geht auf Rückgängigmachung der ungerechtfertigten Vermögensverschiebungin natura, d. h. auf Rückerstattung der zu Unrecht ins Vermögen des Bereicherten gelangtenVermögensobjekte. Wertersatz tritt erst dann an Stelle dieser Vermögensobjekte selbst, wennNaturalrückerstattung nicht mehr möglich ist.

Da infolge der kausalen Auffassung der Fahrnisübereignung im Falle derRechtsgrundlosigkeit der Eigentumsübertragung diese ungültig ist und der «Veräusserer» dieseaufgrund seines Eigentums zurückverlangt, bleiben in der Schweiz nur folgende Fälle von aufNaturalrestitution bezogenen Kondiktionstatbeständen:

121 Hier nimmt Literatur und Praxis in langer Tradition (entgegen dem Wortlaut von ZGB 727) nichtMiteigentum der Eigentümer beider Geldmassen, sondern Alleineigentum (mit originäremEigentumserwerb) des Empfängers des fremden Geldes an; vgl. ZOBL, ZGB 727 N. 84 und dort Zitierte,V. T./P., § 52/VIII/2. Das dort für die durch Handlung des Erwerbers bewirkte Vermischung Gesagtemuss a fortiori auch für die zufällige Vermischung gelten.122 Die in der Vorauflage (p. 627) vertretene Auffassung, wonach die Verwertung von nicht demSchuldner zustehenden Vermögenswerten einen Fall auszugleichender Eingriffskondiktion darstellt, lässtsich wohl nicht halten; vgl. die Kritik hiezu von KELLER/SCHAUFELBERGER, p. 74 f.123 Insbesondere ist in derartigen Tatbeständen die kurze Sonderverjährung nach OR 67 nicht gegeben.

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- eine zu Unrecht erfolgte Forderungsabtretung schafft den Anspruch auf Rückzession;- ein abstraktes Schuldversprechen (vgl. oben § 5/IV) muss durch Verzichterklärung(Schulderlassvertrag gemäss OR 115) aufgehoben und der Schuldschein zurückgegeben werden,und in gleichem Sinn ist ein Wechsel zurückzuerstatten;- falls der Schulderlassvertrag als eine abstrakte Verfügung verstanden wird124, muss eineungerechtfertigterweise erlassene Schuld vom zu Unrecht bereicherten Schuldner wieder neubegründet werden;- bei gemäss ZGB 727/II durch Verbindung bzw. Vermischung ins Eigentum des Empfängersübergegangenen vertretbaren Sachen125, sei die Vermischung durch Zufall oder Eingriff desEmpfängers veranlasst worden, in welchem Fall der Eigentümer des ihm entzogenen Quantumsnicht auf den Anspruch eines Ersatzwertes verwiesen ist, sondern (gleiche Qualitätvorausgesetzt) Herausgabe eines entsprechenden Quantums verlangen kann;- besteht die Bereicherung in einer Forderung gegen einen Dritten, stellt die Forderung selber(und nicht deren Geld- oder gar Nominalwert) die Bereicherung dar und kann (soll) daher alssolche kondiziert werden (vgl. als Tatbestand z. B. Fall gem. BGE 87 II 137; dazu auch untenAnm. 139);- ist die Entreicherungseinrede gem. OR 64 (dazu unten Ziff. 6/k) dadurch begründet, dass derentreicherte Bereicherte Vermögenswerte veräussert, dadurch aber seinerseits Forderungenerlangt hat (Verkauf, Schenkungen), können m. E. die fraglichen Ansprüche (auf Bezahlung desKaufpreises, im Fall von Schenkungen, die ihrerseits infolge Urteilsunfähigkeit ungültig sind,auf Rückerstattung) ihrerseits als Bestandteil der Bereicherung betrachtet und in naturakondiziert werden.

Ein weiterer Fall von Naturalrestitution ergäbe sich bei Widerruf einer Schenkung, sofernman hier nicht einen Rückforderungsanspruch eigener Art annehmen will.

2. Obligatorische Natur des Bereicherungsanspruchs

Der Bereicherungsanspruch ist obligatorischer Natur und richtet sich auf Rückerstattung desrechtsgrundlos Erworbenen126. Bei rechtsgrundloser Zession wird

124 So V. T./P., § 53/I. Hier wird demgegenüber die Auffassung vertreten, dass beim Schulderlass nichtzwischen Verpflichtung und Verfügung unterschieden werden muss (oben Ziff. IV/4, Anm. 87 und§ 22/I/5), was dazu führt, dass bei Vertragsungültigkeit die Wirkungen des Schulderlasses automatischnicht eintreten, die vermeintlich erlassene Forderung weiterbesteht.125 Als Beispiel kommt etwa in Frage ein Quantum Rohöl, das mit einer weit grösseren Menge vermischtwird und damit im Eigentum am grösseren Quantum gewissermassen aufgeht.126 Die nicht-dingliche Wirkung der Kondiktion zeigte sich vor allem bei der (in der Schweiz nicht mehraktuellen) Sachkondiktion, die, anders als die Vindikation, im Konkurs des Kondiktionsgegners keineAussonderung erlaubte.

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im Konkurs der Anspruch auf Rückzession umgewandelt in einen Geldanspruch (SchKG 211/I),und dies selbst dann, wenn die fragliche Forderung noch in der Konkursmasse vorhanden ist undin natura retrozediert werden könnte. Aus der obligatorischen Natur folgt auch, dass derBereicherungsanspruch keine «sachverfolgende Wirkung» hat, d. h. bei Weiterzession derrechtsgrundlos abgetretenen Forderung sich nur gegen den Erst-, nicht aber den Zweitzessionarrichtet.

Besteht die Bereicherung in einer Forderung des Gemeinschuldners gegenüber demEntreicherten127, kann der Anspruch auf Erlass der Forderung (bzw. auf Rückgabe desSchuldscheins oder Wechsels) nach Konkurseröffnung nicht mehr in natura durchgesetztwerden. Indessen erwächst dem Entreicherten gegenüber der Klage der Konkursverwaltung eineEinrede128. Die Begründung kann darin erblickt werden, dass der Entreicherte der Forderung derKonkursverwaltung seinen in eine Geldforderung umgewandelten (SchKG 211/I)Bereicherungsanspruch in gleicher Höhe zur Verrechnung stellen kann (die Voraussetzungengemäss SchKG 213 sind gegeben). Sollte die Konkursverwaltung eine Wechselbetreibunganheben und der Belangte infolge der Nichtbewilligung des Rechtsvorschlags (SchKG 182) zurLeistung gezwungen sein, würde dadurch ein neuer Bereicherungsanspruch, der sich gegen dieKonkursmasse richtete, entstehen129.

3. Berechnung des Bereicherungsanspruchs; Ersatzanspruch bei vereitelter Vindikation

a) Beruht die Bereicherung auf einer Zuwendung von Geld oder ohne weiteresgeldwertmässig zu beziffernden Leistung, ist (unter Vorbehalt der «Entreicherungseinrede»,unten Ziff. 6) der fragliche Geldbetrag zurückzuerstatten.

b) In Geldwert zu vergüten sind jene Bereicherungen, die ihrer Natur nach nichtzurückerstattet werden können, wie die durch Arbeits- oder Dienstleistungen dem Empfängerentstandenen oder vom Bereicherten selber durch Verletzung von Immaterialgüterrechtenerlangten Wertvorteile130. Die Höhe der Leistung zum Ausgleich der Bereicherung ist diesfalls sozu bemessen, wie sie in vergleichbaren Fällen vertraglich vereinbart zu werden pflegt. Im Fallevon Arbeitsleistungen fällt es m. E. in der Regel nicht in Betracht, die Höhe der Entschädigungauf die vom Arbeitnehmer versäumten anderweitigen Einkünfte oder die vom Arbeitgeber durchdie

127 Oben Ziff. IV/4.128 So auch im Ergebnis V. T./P., § 54/I in fine.129 Das heisst, der Gläubiger ist vorweg voll zu befriedigen. Vgl. V. T./P., § 52/X Anm. 152 («AusBereicherung der Konkursmasse entsteht eine Masseschuld»). Die Konkursverwaltung handelte, wenn sieden rechtsgrundlos erlangten Wechsel geltend machen würde, in Widerspruch zur materiellen Rechtslage,was nicht zum Nachteil des Wechselschuldners bzw. zur ungerechtfertigten Bevorteilung derKonkursgläubiger führen darf.130 Das erstere ist etwa dann der Fall, wenn der zur Leistungserbringung veranlassende Vertrag ungültigist.

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Arbeitsleistung tatsächlich erlangten Vorteile der Arbeitsleistung zu maximieren. Die Ent- bzw.Bereicherung besteht darin, dass ein unter anderen Umständen bezahlter Lohn weder empfangennoch ausgerichtet worden ist. Ähnliche Überlegungen müssen bei der Verletzung vonImmaterialgüterrechten gelten, wo der Verletzer eine übliche Entschädigung auch dannausrichten soll, wenn die von ihm abgewickelte Transaktion mit Verlust abgeschlossen hat131.Als obere Begrenzung muss jedoch der Wert der erbrachten Leistung im Vermögen desBereicherten gelten132.

Das hier bei der Bereicherungsberechnung im Zusammenhang von Arbeitsleistungen,Persönlichkeitsverletzungen usw. vorgeschlagene weitgehende Abstellen auf Verhältnisse, wiesie bestünden, wenn ein Vertrag geschlossen worden wäre, liegt auf der Linie, wie er von derLehre von den faktischen Vertragsverhältnissen gewiesen wird133; im Arbeitsrecht wird heute inOR 320/III durch Sondernorm vorgesehen, dass bei ungültigen Verträgen die vereinbarteLohnsumme zu entrichten ist, solange das Arbeitsverhältnis faktisch andauert. Diese Lösung istsachgemäss; sie zeigt, dass es ein Fehlargument wäre, anzunehmen, das für den Fall desVersagens vertraglicher Grundlagen vorgesehene Kondiktionsrecht dürfe im praktischenErgebnis nicht Ausgleichsprinzipien mit vertragsähnlichen Wirkungen statuieren.

c) Infolge des Grundsatzes der «Kausalität» der Übertragung dinglicher Rechte (dazu oben§ 4/VIII/4; § 34/III/2/a) wird beim Entfallen des Rechtsgrundes der Übereignung einer Sache derVeräusserer als Eigentümer betrachtet, dem ein Vindikationsanspruch (und nicht wie nach BGBein Kondiktionsanspruch) auf Sachrückleistung zusteht. Dieser Vindikationsanspruch kann sichjedoch in einen Bereicherungsanspruch verwandeln, wenn Sachrückleistung ausgeschlossen,Vindikation unmöglich ist. Während bei einem zufälligen Untergang der Eigentümer die Gefahrträgt, ist bei Verbrauch oder Veräusserung der Sache deren Empfänger bereichert; derVindikationsanspruch verwandelt sich in einen Bereicherungsanspruch auf die an Stelle derSache tretende Bereicherung als deren «Surrogat»134.

131 Daneben hat der Verletzte die Wahl, den effektiv erzielten Gewinn herauszuverlangen, vgl. obenZiff. VI/2. Konkurrierend mit Kondiktionsansprüchen kann der Betroffene auch Ansprüche aus unechterGeschäftsführung ohne Auftrag erheben, die ihm gemäss OR 423/I die Möglichkeit geben, die vom gestorerlangten Vorteile «sich anzueignen», was im Falle eines im Vermögen des Geschäftsführerseingetretenen Gewinns als Anspruch auf Herausgabe der vollen Bereicherung nach Kondiktionsprinzipienzu lesen ist.132 So limitieren BGE 105 II 99, 104 II 204 den Ersatzanspruch (hier des Mieters für gemachteAufwendungen) auf die im Mietobjekt eingetretene Wertvermehrung.133 Vgl. dazu oben § 16.134 Zu Einzelfragen vgl. unten Ziff. 5/b, Ziff. 6/g sowie die Lit. zu dem im Ergebnis ähnlichen BGB§ 818/II. Bei bösem Glauben des Empfängers (d. h. dessen Wissen um seine Rückleistungspflicht unddamit Verschulden) kann neben einer Eingriffskondiktion auch ein Deliktsanspruch in Frage kommen,was vor allem bei Fehlen einer Bereicherung Bedeutung erlangt.

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4. «Bereicherung» als Vermögens-Differenzgrösse

a) Soweit die Rückerstattung nicht, wie es der Kondiktion ursprünglich entspricht 135, in naturaerfolgen kann, ist auf den Begriff der «Bereicherung» abzustellen; die auf eine bestimmte Sachebezogene Rückerstattungspflicht wandelt sich bei Unmöglichkeit der Naturalrestitution in eine«Wertausgleichspflicht»136. «Bereicherung» ist eine Differenzgrösse zwischen zweiVermögenszuständen: Dem (infolge der Bereicherung eingetretenen) Istzustand und demhypothetischen Vergleichszustand, in dem sich das Vermögen des Bereicherten ohne dieauszugleichende Vermögensverschiebung befände137.

Da der Bereicherungsbegriff von einem Sachbezug abstrahiert und auf den«funktionalisierten» Vermögensbegriff abstellt 138, sind die einzelnen Positionen in ihremwirtschaftlichen Wert einzusetzen, Forderungen von zweifelhafter Einbringlichkeit daher z. B.nicht zum Nominalbetrag139.

b) Bei Kondiktionsfällen, die durch Nichtigkeit eines synallagmatischen Vertrages ausgelöstsind, ist zu fragen, wieweit die eigenen Aufwendungen oder Verluste im Zusammenhang mitdem Vertrag als Abzugsposten bei der Berechnung der Bereicherung zu berücksichtigen sind.Die Frage wird sich nur dann stellen, wenn der genannte Gesichtspunkt nicht durch denVindikations- oder Bereicherungsanspruch des Gegners bereits hinreichende Berücksichtigungfindet. Während die sog. Zweikondiktionentheorie140 die Ansprüche der beiden Partner isoliertbetrachten will und damit bei nicht «kondiktionsfähiger» Vermögensverminderung des einenPartners zu Unbilligkeit führen kann, vermeidet dies die sog. Saldotheorie, indem sie dievertragsbedingten Aufwendungen oder Vermögenseinbussen jedes Partners als Abzugspostengegenüber dem gegnerischen Bereicherungsanspruch zulässt, Diese letztere Auffassung verdientgrundsätzlich wohl den Vorzug141.

135 Vgl. dazu oben Ziff. 1.136 BECKER, OR 64 N. 2. Allgemeine Ausführungen sodann auch in BGE 73 II 108/110.137 Wie bei dem ebenfalls eine Differenzgrösse darstellenden Schadensbegriff sind auch hier die beidenVergleichsgrössen und damit die Differenz nicht zu bestimmen ohne Rücksicht auf die die Differenzauslösenden Gründe; die Bestimmung eines Schadens wie einer Bereicherung ist abhängig von der Frage,welche Kausalfaktoren in die Betrachtung einbezogen werden. Vgl. insbesondere unten Ziff. 5, 6.138 «Vermögen» ist kein Begriff der traditionellen Privatrechtsdogmatik, daher mehrdeutig und weitererUntersuchung bedürftig. Als Vermögen ist hier zu betrachten die rechnerische Grösse, die sich in einembestimmten Zeitpunkt als Überschuss aller Aktiven über alle Passiven einer Person ergibt. Vgl. dazuKELLER/SCHAUFELBERGER, p. 22 ff.139 Unter diesem Gesichtspunkt nicht zu halten BGE 87 II 142, wo eine uneinbringliche Forderung wieeine einbringliche behandelt wurde. Vgl. dazu auch Bemerkung unten Ziff. 6/i.140 Die «Zweikondiktionentheorie» wurde in der Schweiz vorab von V. TUHR (V. T./P., § 53/II/3/e undA 39) vertreten.141 Vgl. dazu auch BGE 110 II 247 und weiterhin BUCHER, Komm. ZGB 17/18 N. 191. - Immerhin ist derVorbehalt anzubringen, dass der Anwendungsbereich der Regel nicht leicht abzugrenzen ist und dieAbzugsfähigkeit von Vermögensverminderungen fallweise bestimmt werden muss.

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c) Die beiden vermögensmässigen Vergleichszustände sind auf den selben Zeitpunkt zuberechnen. Massgebend kann nicht der Moment des Eintritts der Bereicherung sein, sondern nurjener der «Rückforderung», wie aus OR 65 folgt 142. Abzustellen ist m. E. auf jenen Zeitpunkt,von dem an infolge privater Anspruchserhebung der Bereicherte mit der Rückerstattung rechnenmusste; vergrössert sich in der Folge während des Prozesses die Bereicherung, muss derAnspruchsberechtigte die Möglichkeit haben, auch diese weitere Bereicherung zubeanspruchen143. Dagegen kann eine nach privater Anspruchserhebung eingetreteneBereicherungsverminderung vom Bereicherten nicht eingewendet werden, soweit er im Sinnevon OR 64 von da an mit Rückerstattung rechnen musste144.

5. Bei der Bereicherungs-Festsetzung zu berücksichtigende Aktivposten

a) Die (im Falle unmöglicher Naturalrestitution) durch Kondiktion auszugleichendeVermögensdifferenz lässt sich einerseits zurückführen auf direkt oder indirekt aus demVermögen des Entreicherten stammende vermögensvermehrende Posten, die ihrerseitswertmässig durch Abzugsposten gemindert werden. Letztere erfordern eine gesonderteBetrachtung (im folgenden Ziff. 6).

In diesem Sinne können als vermögensvermehrende Posten gelten: Der Betrag einergrundlosen, ins Vermögen des Empfängers übergegangenen Geldzahlung, die ungerechtfertigteGutschrift auf Bank oder Post (soweit diese nicht auf Grund der Rechtsbeziehungen zwischenKontoinhaber und Bank bzw. Post zu stornieren ist), der Wert einer durch Verbindung oderVermischung gemäss ZGB 727/II ins Vermögen des Empfängers übergehenden Sache.

b) Als Grundsatz muss sodann die Regel gelten, dass im Falle der Unmöglichkeit derRückgabe einer (infolge des Kausalitätsprinzips im Eigentum des Entreicherten verbliebenen)Sache aus irgendwelchen vom Bereicherten gesetzten Gründen der (Ersatz-)Wert der Sachezurückzuerstatten ist. In diesem Sinne ist der Bereicherungsanspruch ein direktes Surrogat desinfolge Unmöglichkeit der Herausgabe in natura untergegangenen Vindikationsanspruchs.

Diese Regel führt vorab dazu, dass der Bereicherte grundsätzlich nicht geltend machen kann,die Bereicherung (bzw. die erhaltene Sache) sei von ihm verbraucht worden und daher dieBereicherung nicht mehr vorhanden145. Die vermögensmässige Bereicherungsberechnung alsWertdifferenz hat dem Umstand Rechnung zu tragen, dass vermutungsweise die gleichenAufwendungen oder Verfügungen ohne den

142 So auch BGE 73 II 108.143 Bis zu jenem Zeitpunkt, in dem nach kantonalem Prozessrecht der Kläger letztmals neue Faktenbehaupten kann.144 Vgl. auch unten Ziff. 5.145 Vgl. BGE 71 II 153 E. 6, wo zu Recht nicht berücksichtigt wurde, dass die Bereicherung (bestehend ingrundlos empfangenem Geld) «für Krankheit verbraucht worden» sei.

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ungerechtfertigten Empfang vorgenommen worden wären und in entsprechendem Wert dassonstige Vermögen des Bereicherten belastet hätten146 (dazu auch unten Ziff. 6/g).

Durch die Erweiterung des Bereicherungsbegriffs und den Übergang zu«funktionalisierender» Betrachtungsweise, welche im Falle unmöglicher Naturalrestitution nichtmehr einzelne Sachwerte isoliert, sondern deren vermögensmässige Auswirkungen gesamthaftbetrachtet, scheint mir zu folgen, dass im Falle des (gutgläubigen) Wegschenkens einer Sache dieBereicherung nicht wegfällt, sondern deren Wert mindestens teilweise als Bereicherung desSchenkenden aufzufassen ist147. Vermutungsweise wäre ohne den Bereicherungstatbestand eineentsprechende Schenkung aus dem sonstigen Vermögen des Bereicherten gemacht worden;jedenfalls hat dieser die Genugtuung, den Beschenkten erfreut oder verpflichtet zu haben148.

c) Bestandteil der Bereicherung sind, soweit die Bereicherung in der eindeutigenVerfügbarkeit einer Geldsumme und nicht einfach in einer wertmässigen (wenn auch schliesslichdurch Geldzahlung auszugleichenden) Bereicherung besteht, die Zinse, die der Bereichertegezogen hat149. Vom Zeitpunkt der Inverzugsetzung an sind nach üblichen Regeln Verzugszinsezu bezahlen150; bis dahin kann nicht kurzerhand auf den gesetzlichen Ansatz von 5% abgestelltwerden, sondern es ist vom Kondizierenden ein entsprechender Bereicherungsnachweis zuerbringen151. Sofern nach den Umständen die Vermutung besteht, das Geld sei zinstragendangelegt worden, kann ein erfahrungsgemässer Satz auch ohne konkreten Nachweis zugrundegelegt werden152. Beanspruchte der Bereicherte während der Dauer der ungerechtfertigtenVerfügbarkeit des Bereicherungsbetrages Bankkredite, ist der Bereicherungsanspruch nicht inHöhe des Ansatzes der Aktivzinse, sondern der im konkreten Fall vermiedenen Passivzinse zubeziffern.

146 Wieweit die Einwendung zu hören ist, die entsprechenden Aufwendungen und Verfügungen wärenohne die Empfangnahme der ungerechtfertigten Leistungen unterblieben, gehört zu den sich praktischwohl häufig stellenden, delikaten Fragen des Bereicherungsrechts. Dazu unten Ziff. 6 lit. d und BGE82 II 440.147 Anders hier die ältere Literatur, z. B. V. T./P., § 53/II/3/a bei Anm. 31 und ihm folgend anscheinendBGE 73 II 109 (Entscheidgehalt nicht erkennbar).148 Vgl. aber die Möglichkeit des Gegenbeweises des Bereicherten, dass die Verwendung unterbliebenwäre; unten Ziff. 6/d.149 Oder nach den unten Ziff. 6 zu besprechenden Grundsätzen bösgläubig zu ziehen unterlassen hat. - ZurEinbeziehung der Zinsen in die Berechnung der Bereicherung im allgemeinen BGE 40 II 259/60 und61 II 20 sowie weitere dort Zit.150 OR 104 und oben § 20/V/2.151 BGE 80 II 159 letzter Absatz.152 BGE 84 II 186 E. 4.

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6. Umfang der Berücksichtigung von Abzugsposten, «Entre icherungseinrede» im Sinnevon OR 64

a) Im römischen Recht war die Bereicherung auf Erstattung des gesamten Empfangenenausgerichtet, während die Möglichkeit der Beschränkung auf das bei Prozessbeginn nochVorhandene nur in Ausnahmefällen möglich war153. In der Neuzeit wurde die ursprüngliche, andie Naturalrestitution anknüpfende und auch im Falle deren Unmöglichkeit sich an der Grössedes Ersatzwertes orientierende Betrachtungsweise durch vermögensmässiges Denken abgelöstund die Regel statuiert wurde, dass Bereicherung im Sinne von Vermögensvermehrungherauszugeben sei154; erst hier erlangt die Frage Bedeutung, welcheVermögensminderungsposten bei der Berechnung der Bereicherung (vgl. dazu oben Ziff. 4)eingesetzt werden können. Es darf nicht leichthin ein Wegfall der Bereicherung angenommenwerden; im Zweifel ist die Bereicherung mit dem Umfang des «Empfangenen» gleichzusetzen.Bei entgegengesetzter Auffassung würde der Unterschied zwischen den Kondiktionstatbeständenund den Fällen, in denen der Gesetzgeber «Rückleistung des Empfangenen» anordnet155, ohnehinreichende innere Rechtfertigung zu gross. Immer muss in dieser Frage dem richterlichenErmessen Spielraum verbleiben156, der auch die Umstände, die zur Bereicherung geführt haben,mitberücksichtigen und im Falle eines missbilligenswerten Verhaltens der Bereicherten für dieEntreicherungseinrede strenge Voraussetzungen statuieren wird.

b) Ohne weiteres kann der Bereicherte jene Kosten in Abzug bringen, die ihm imZusammenhang der Entgegennahme und Lagerung der ungerechtfertigten Leistung entstandensind 157, gleichermassen sind vorweg abzuziehen die Kosten, welche mit der Rückerstattungverbunden sind 158. Der Frage des Verwendungsersatzes ist OR 65/I gewidmet (vgl. dazu untenZiff. 7).

153 Vgl. M. KASER, Römisches Privatrecht, Bd. I (2. Aufl.), p. 598, Bd. II (1. Aufl.) p. 307 f.154 Wohl unter humanistischem und vor allem naturrechtlichem Einfluss, der auch im Deliktsrecht eineWandlung gebracht hatte in dem Sinne, dass Schadenersatzleistung auf den «Schaden» der Betroffenenzu beschränken sei und nicht zu einer «Bereicherung» des Ersatzberechtigten führen dürfe. DieseDenkweise ist erst in einem vermögensmässig («kapitalistisch») denkenden Zeitalter möglich; imDeliktsrecht fiel dieser Konzeption der früher im Vordergrund stehende Genugtuungsaspekt zum Opfer,der erst in der neuesten Rechtsgeschichte (Persönlichkeitsschutz, Genugtuungspraxis zu OR 47 und 49)wiederum Eingang findet.155 Vgl. dazu oben Ziff. III/3.156 Soweit Abzugsposten berücksichtigt werden und der Bereicherte nicht alles «Empfangene» erstattenmuss, ist der Kondizierende in fraglichem Umfang meist geschädigt. Beruht daher derKondiktionstatbestand auf einem infolge Irrtumsanfechtung nachträglich dahingefallenen Vertrag, kannder Gegner des Irrenden diesen Differenzposten gemäss OR 26 als Schaden geltend machen, falls derIrrtum schuldhaft ist (Parallele dazu oben § 20/VI/7/b bei Anm. 199).157 Fracht, Zoll usw.; vgl. V. T./P., § 53/II/3 bei Anm. 36.158 Falls der Bereicherungsanspruch auf Sachrückerstattung geht, handelt es sich um eine Holschuld, d. h.der Bereicherte ist nicht zur Rückschaffung verpflichtet.

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c) Was von einer empfangenen Leistung durch Zufall unterging, braucht der Empfänger nichtwertmässig zu ersetzen; der Bereicherte soll, wie schon aus dem Bereicherungsbegriff folgt undunbestrittener Tradition entspricht, keine Gefahr tragen159. Probleme ergeben sich jedoch bei inErsatzwerten sich verwirklichenden Risiken: Die mit dem indebite erhaltenen Geld gekauftenAktien sinken im Kurs, ein daraus gewährtes Darlehen wird notleidend. Derartige Umstände sinddann zu berücksichtigen, wenn ein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen Bereicherungund Verlust nachgewiesen ist, es z. B. feststeht, dass die Aktien ohne den grundlosen Empfangnicht gekauft worden wären.

d) Dem Empfänger einer grundlosen Leistung, der diese dergestalt verwendet hat, dass sienicht in natura zurückerstattet werden kann und der daher grundsätzlich deren Wert schuldet(vgl. oben Ziff. 5/b), steht der Nachweis offen, dass ohne den Empfang die entsprechendeVerwendung unterblieben wäre (OR 64,- zur Voraussetzung des «guten Glaubens» vgl. lit. g): Erkann dartun, dass er ohne den Erhalt der grundlosen Zahlung eine damit finanzierte Ferienreisenicht unternommen, eine bestimmte Schenkung nicht ausgerichtet160, ein Automobil nichtangeschafft hätte161. Aber selbst wenn dieser Nachweis erbracht ist, bleibt immer noch einauszugleichender, nach richterlichem Ermessen zu bestimmender Rest: Das Vergnügen derFerienreise und die Stillung des (vielleicht sonst auf andere Weise befriedigten)Reisebedürfnisses verbleibt dem Bereicherten, wie dieser den Wert des angeschafften Autosbehält und den Zweck der Schenkung erreicht hat.

e) Der Bereicherte kann bei klar erwiesenem Kausalzusammenhang allenfalls alsAbzugsposten geltend machen den Schaden, der ihm durch den Bereicherungstatbestand (bzw.die Abwicklung des zur Kondiktion Anlass gebenden ungültigen Geschäfts) verursacht wordenist: Der grundlos übertragene Hund hat - vor der Weiterveräusserung - den Bereichertengebissen, die Kuh dessen übriges Vieh angesteckt162.

f) Die Vermögensminderung kann beim Bereicherten schliesslich durch die Tatsache desRückgängigmachens der Transaktion ausgelöst werden (sog. Rückforderungsschaden), weil derBetroffene auf die Beständigkeit des Erwerbs vertraut und

159 Zu Einschränkungen des Grundsatzes beim bösgläubigen Bereicherten vgl. unten lit. g in fine. - DemUntergang der empfangenen Leistung durch Zufall muss gleichgestellt werden die Verfügung(Konsumieren, Weggeben usw.) durch den urteilsunfähigen Bereicherten, in welchem Fall nicht von«Entäusserung» bzw. fehlendem gutem Glauben gesprochen werden kann (ZGB 18). Vgl. die analogeRegelung von ZGB 938 für die Stellung des gutgläubigen Besitzers.160 Dies gilt nicht nur bei Erhalt von Geld, das zu einer Schenkung bzw. zum Kauf des Schenkobjektsverwendet wird, sondern auch bei Wegschenken der grundlos erhaltenen Sache selbst, in welchem Fallder Wert in die Bereicherungsrechnung eingesetzt wird (vgl. oben Ziff. 5/a).161 Hier besteht ein weiter richterlicher Ermessensspielraum. Vgl. die hiezu in BGE 82 II 439 f.angestellten Überlegungen.162 A. M. KOPPENSTEINER/KRAMER, p. 135, welche die Abzugsfähigkeit verneinen, weil der Schadennicht mit dem Vertrauen auf die «Beständigkeit des Erwerbs» zusammenhängt. Vgl. weiterhin REEB,p. 119.

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entsprechende Dispositionen getroffen hat (Verpassen anderer Gelegenheit des Kaufs oderVerkaufs usw.)163.

g) Gemäss OR 64 können durch Verfügungen des Bereicherten bewirkte Verminderungen derBereicherung nur bei «gutem Glauben» des Bereicherten berücksichtigt werden. Der für denZeitpunkt der Verfügung zu bestimmende gute Glaube bezieht sich vorerst auf dasVorhandensein eines Rechtsgrundes des Empfangs der Leistung oder der Erlangung des Besitzesan der Sache, in der Folge jedoch auch auf die Rechtfertigung des Habens und Behaltens. GuterGlaube kann verloren werden, wenn nachträglich das Haben als grundlos erkannt oderwenigstens zweifelhaft wird (OR 64: «mit der Rückerstattung rechnen musste»)164.

Im Falle der nachträglichen Unmöglichkeit statuiert OR 119/II einenRückerstattungsanspruch des freiwerdenden Schuldners nach Bereicherungsgrundsätzen,während aOR 145/II noch Erstattung der «empfangenen Gegenleistung» anordnete. DieKonzeption des aOR ist insofern auch heute noch als wirksam zu betrachten, als jemand, derseine eigene Leistung noch nicht erbracht hat, nicht definitiv damit rechnen darf, die ihmzugekommene Vorleistung behalten zu dürfen; die Entreicherungseinrede ist m. E. daher selbstdann zu versagen, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Verfügung über die ihmvorleistungshalber zugekommenen Gegenleistung nicht mit dem Unmöglichwerden seinereigenen Leistung und dem daraus resultierenden Bereicherungsanspruch des Gegners rechnenmusste.

h) Die Entreicherungseinrede ist nicht in sämtlichen Zusammenhängen an «guten Glauben»im besprochenen Sinn geknüpft. Die oben lit. a und b genannten Fälle werden nicht erfasst:Notwendige Aufwendungen können auch vom Bösgläubigen in Abzug gebracht werden165. GuterGlaube ist jedenfalls gefordert, wenn die Unmöglichkeit der Naturalrestitution auf Verfügungendes Bereicherten zurückgeht (oben lit. d: Verkauf, Verschenken, Konsum usw.).

Bei bösgläubigem Haben können nicht bloss bereicherungsmindernde Verfügungen desBereicherten nicht berücksichtigt werden, sondern dieser haftet u. U. auch für Zufall, welcher dieempfangene Sache trifft: Insbesondere bei Fällen der Eingriffskondiktion («fur semper in mora»)und wenn der Bereicherte Möglichkeit und Anlass zur Rückerstattung hätte, rechtfertigt es sich,ihn für den Ersatzwert haften zu lassen, wenn die (im Eigentum des Ansprechers verbleibende)Sache bei ihm untergeht oder sich verschlechtert.

163 Ähnlich die Lage bei Bezahlung einer fremden Schuld in der Meinung, selber zu schulden, wenn derGläubiger in Vertrauen auf gültige Tilgung Beweismittel vernichtet usw. Vgl. dazu V. T./P., § 53/II/3/lit. fbei A. 41-44.164 OR 64 nimmt die Beweisregel von ZGB 3 auf. Die Anforderungen an den Beweis sind nicht hoch zuschrauben; die Möglichkeiten der Entreicherungseinrede sind unter Kontrolle zu halten. «Mit derRückerstattung rechnen» muss der Partner eines synallagmatischen Vertrages meist bis zur Erbringungder eigenen Leistung. BGE 82 II 437: Wer im Hinblick auf eine Heirat eine Zuwendung erhält, muss biszum Eheschluss mit dessen Nichtzustandekommen rechnen.165 Anders allerdings dann, wenn eine Nichtannahme oder sofortige Herausgabe möglich undkorrekterweise geboten gewesen wäre.

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i) Die Entreicherungseinrede ist m. E. nicht nur verwirkt, wenn der Bereicherte selber dieseim Sinne von OR 64 bösgläubig ausgelöst hat, sondern auch, wenn die Entreicherung in seinemBereich (seiner Familie, seinem Betrieb usw.) bewirkt worden ist, dessen Risiken zu tragen demKondiktionsgegner nicht zugemutet werden darf 166, 167.

k) Falls aus den vorstehend genannten abzugsfähigen Entreicherungstatbeständen dem«entreicherten Bereicherten» kompensatorisch vermögenswerte Vorteile anwachsen, sind dieseals Surrogat der ursprünglichen Bereicherung zu betrachten und nehmen deren Platz ein, d. h.sind dem Entreicherten geschuldet und müssen soweit als möglich auf diesen übertragen werden:Ist z. B. eine aufgrund nichtigen Kaufs oder Schenkung übertragene Sache vom Empfängerveräussert worden, könnte dessen Kaufpreisforderung in natura als Gegenstand der Kondiktionbetrachtet werden; hat umgekehrt der Veräusserer den aufgrund nichtigen Verkaufs erhaltenenKaufpreis verschenkt und ist diese Schenkung infolge Urteilsunfähigkeit des Schenkers ungültig,könnte auch hier der Rückforderungsanspruch kondiziert werden (vgl. auch oben Ziff. 1 in fine).

7. Ersatz der Verwendungen (OR 65 bzw. ZGB 938-940)

OR 65 (wie früher aOR 74) regelt den Ersatzanspruch desjenigen, der für eine grundlos zuEigentum erworbene Sache, die auf Kondiktion herauszugeben ist, Aufwendungen gemacht hat.Da nach der «kausalen» Auffassung der Eigentumsübertragung jedoch bezogen auf Sachen einKondiktionstatbestand gar nicht eintreten kann, weil diese im Eigentum des vermeintlichenVeräusserers bleiben und von diesem zu vindizieren sind, findet diese Regel heute keineAnwendung mehr 168; für die herauszugebende Sache gemachte Aufwendungen sind nach densachenrechtlichen

166 Anderseits wird in BGE 44 II 141 richtigerweise die von Organen einer juristischen Personvorgenommene Entäusserung von Vermögenswerten dieser selber zugerechnet und ein Abzug nichtgestattet.167 In diesem Sinne unhaltbar BGE 45 II 451, wo dem Bereicherten die Entreicherungseinrede aufgrundder Tatsache zugebilligt wurde, dass der von ihm bevollmächtigte und mit der Abwicklung des sich alsnichtig erweisenden Vertrages betraute Notar eine für Rechnung des Bereicherten bestimmte Zahlungveruntreut hatte. Unter diesem Blickwinkel könnte man dagegen BGE 87 II 142 (vgl. dazu obenZiff. 4/A, 139) insoweit für gerechtfertigt halten, als man den Makler, der den sich als nichtigerweisenden Kaufvertrag vermittelt hatte und von dem eine Rückzahlung der zu Unrecht bezogenenProvision nicht zu erwarten war, als «zu den Leuten des Bereicherten» gehörend versteht, was im Falledes Mäklers wohl zu weit geht. Dieser ist (im Gegensatz zum Notar in BGE 45 II 451) weder vomGeschäftsherrn bevollmächtigt noch diesem untergeordnet, sondern entfaltet seine Vermittlertätigkeitnach eigenem Gutdünken und auf eigenes Risiko.168 Ausnahme ist der originäre Eigentumserwerb durch Vermischung; vgl. oben Ziff. 1 in fine.

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Grundsätzen von ZGB 938-940 zu entschädigen (die allerdings von denjenigen von OR 65nicht grundlegend abweichen)169.

Eine übertragene Anwendung von OR 65 kommt allenfalls bei Forderungen in Betracht, dieinfolge Grundlosigkeit der Zession auf den Veräusserer rückzuübertragen sind: Als nützlicheAufwendungen können allenfalls die Ausgaben betrachtet werden, welche der Zessionar bei derGeltendmachung der Forderung im Prozess gemacht hat; notwendige Ausgaben sind jene imZusammenhang von Verjährungsunterbrechung entstandenen170.

VIII. Verjährung (OR 67)

1. Entstehungsgeschichte von OR 67; Kritik

In der Revision hat der Gesetzgeber ohne jedes historische oder aktuelle ausländischeVorbild171 die Kondiktionsansprüche einer kurzen Sonderverjährung unterworfen. DieseBestimmung gehört zu den bedauerlichsten Fehlleistungen der Revision; es kann dieser Schrittnur als eine begriffsjuristisch-schematische Übertragung deliktsrechtlicher Prinzipien (OR 60)auf den vom Gesetzgeber (in der Sache zu Unrecht)172 als «Quasi-Delikt» aufgefasstenKondiktionstatbestand verstanden werden, während eine sachliche Rechtfertigung dieserRegelung nicht zu ersehen ist. Ist schon die einjährige deliktsrechtliche Verjährung in derSchweiz ungewöhnlich kurz und kaum zu rechtfertigen (haftpflichtrechtliche Sonderregelungenverlängern denn

169 Die Ausschliesslichkeit der Anwendbarkeit von ZGB 938 f. wird festgehalten in BGE 84 II 377 E. 4(vgl. auch dort zit. Literatur).170 Die anzuwendenden Regeln müssen sachlich abgestimmt werden auf die Grundsätze betreffend diedem Bereicherten zu gestattenden Abzugsposten (oben Ziff. 6). - In Analogie zum Retentionsrecht imSinne von ZGB 895 im Falle der Kondiktion von grundlos übereigneten Sachen (vgl. BECKER, OR 65N. 7) kann der Bereicherte die Rückzession von einer Zug-um-Zug erfolgenden Vergütung seinerAufwendungen abhängig machen.171 K. SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bern1975, Bd. I, § 300; vgl. im übrigen auch §§ 291 ff.172 Bereicherungsansprüche haben mit Deliktsansprüchen wenig gemein; Bereicherungsausgleichunterscheidet sich in allen wesentlichen Punkten von Schadenersatzleistung (vgl. V. T./P., § 53/III/3 beiAnm. 51). Deshalb ist in den historischen Vorbildern und den ausländischen Rechten derBereicherungstatbestand überwiegend als «quasi-vertraglicher» Sachverhalt verstanden worden (vgl. obenZiff. I/2 und III/2/d sowie Anm. 39); die Fälle der «Eingriffskondiktion» (oben VI/2), welche alle in füreine Annäherung an das Deliktsrecht sprechen, sind demgegenüber praktisch wenig bedeutsam. - DieFragwürdigkeit von OR 67 mag illustriert werden durch die Tatsache, dass Bereicherungsansprüche inDeutschland der ordentlichen dreissigjährigen Verjährungsfrist unterliegen. Vgl. zur Kritik nochBUCHER, in ZSR 1983/II, p. 280 f.

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auch regelmässig die Verjährungsfrist, meist auf zwei Jahre)173, sind die Ergebnisse imBereicherungsrecht noch weit unerträglicher. Der Unterschied liegt darin, dass es beiDeliktstatbeständen dem Geschädigten nicht am Bewusstsein fehlen wird, dass er einenSchadenersatzanspruch besitzt und diesen auch beförderlich geltend machen muss. Im Gegensatzdazu setzt die Einsicht, einen Kondiktionsanspruch zu besitzen, und der Wille, diesenrechtswirksam geltend zu machen, rechtliche Würdigung voraus, die schwierig sein kann undbeim juristischen Ganz- oder Halblaien nicht vorausgesetzt werden darf. Dieser wird nicht ohneweiteres verstehen, weshalb eine aufgrund vertraglicher Vereinbarung erbrachte eigene Leistungplötzlich nach ausservertraglichen Grundsätzen und unter ausservertraglichen Verjährungsfristenzurückgefordert werden muss, wenn der Vertrag wegen fehlender Handlungsfähigkeit einesPartners oder wegen Unmöglichkeit der vertraglichen Gegenleistung ungültig ist174 oder nichtabgewickelt werden kann175, besteht die Bereicherung in einer Forderung176, wird demEntreicherten das Bewusstsein meist abgehen, dass die Situation nur durch Rückzessionbereinigt werden kann177. Die schlimmsten Folgen der Regel von OR 67 können dadurchvermieden werden, indem man den Lauf der einjährigen Verjährungsfrist erst beginnen lässt,wenn nicht bloss der Entreicherte den Umfang der auszugleichenden Entreicherung undBereicherung kennt und beweisen kann, sondern darüber hinaus nachweislich das subjektiveBewusstsein besitzt, dass der Ausgleich in dargelegtem Sinn nach bereicherungsrechtlichenGrundsätzen erfolgen muss. In dieser Hinsicht zeigt die bundesgerichtliche Praxis bereitsAnsätze178. Vgl. dazu unten Ziff. 3.

2. Der Lauf der Zehnjahresfrist

OR 67/I statuiert - in Analogie zur Deliktsverjährung von OR 60 - eine sogenannte absolute179

Frist von zehn Jahren, die mit «Entstehung» des Bereicherungsanspruchs

173 Eine Verjährungsfrist von 5 Jahren statuierte auch BewB 20 III; vgl. dazu BGE 110 II 335. Allerdingswiederum geändert in BewG Art. 26 IV.174 Dies bei ursprünglicher Unmöglichkeit im Sinne von OR 20/I.175 Bei nachträglicher zufälliger Unmöglichkeit, OR 119, falls man überhaupt Bereicherungsverjährungannehmen wollte (dazu unten Ziff. 6).176 Vgl. dazu oben Ziff. IV/4.177 Vgl. dazu oben § 31/III/2/c. - Im Falle der Bereicherung in Form einer Forderung gegen denEntreicherten spielt die Verjährung des Kondiktionsanspruchs allerdings keine Rolle, da OR 67/II eineunverjährbare Einrede begründet. Vgl. dazu unten Ziff. 4.178 Vgl. dazu auch SJZ 1984, p. 373 f.179 Die absolute Frist von 10 Jahren ist als Frist für die erstmalige Geltendmachung bzw. Unterbrechungaufzufassen. Im Gegensatz zum Strafrecht ist eine Erstreckung durch mehrmalige Unterbrechung überdiese 10-Jahresfrist hinaus nicht ausgeschlossen. Vgl. dazu oben § 25.

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zu laufen beginnt, dies unerachtet der weiteren, bloss bei der Einjahresfrist erheblichensubjektiven Elemente der Kenntnis des Entreicherten vom Kondiktionstatbestand, der Person desKondiktionsgegners und der Notwendigkeit kondiktionsmässiger Ausgleichung (dazu untenZiff. 3).

Bei der Leistungskondiktion entsteht der Anspruch im Zeitpunkt der Leistung, falls diesebereits ursprünglich grundlos war; fällt der anfänglich gegebene Rechtsgrund dahin180, beginntder Fristenlanf mit dem Dahinfallen des Vertrages als dem Eintritt der Rechtsgrundlosigkeit derfrüher erbrachten Leistung181. Ist der Kondizierende im Besitze der (ebenfalls rechtsgrundlosen)Gegenleistung, beginnt die Verjährung erst mit deren Rückerstattung (vgl. unten Ziff. 3).

Bei der Eingriffskondiktion wird der Fristenlauf durch den Eingriff ausgelöst. Im Falle desEntzugs einer fremden Sache, die im bisherigen Eigentum verbleibt, entsteht derBereicherungsanspruch mit Untergang des Vindikationsanspruchs des Eigentümers, d. h. beiUntergang (Verbrauch) oder Veräusserung der Sache, von welchem Zeitpunkt an die Frist zuberechnen ist182.

Im Zusammenhang der Zehnjahresfrist muss die Bereicherung nicht bereits ziffermässigbekannt sein, wohl aber als solche feststehen. Bei andauerndem Bereicherungsfall (z. B. beiungerechtfertigtem Bezug von Energie usw.) ist dies erst der Fall, wenn der Zustand ein Endegenommen hat, so dass die Verjährung erst in diesem Zeitpunkt beginnen kann.

3. Der Lauf der Einjahresfrist

Die Einjahresfrist läuft frühestens vom gleichen Zeitpunkt an wie die Zehnjahresfrist (obenZiff. 2); der Beginn des Fristenlaufs setzt aber weiterhin «Kenntnis» des Anspruches seitens desEntreicherten voraus. Aus den in Ziff. 1 genannten Gründen muss dieser Voraussetzungweittragende Bedeutung zuerkannt und der Fristenlauf

180 Den Tatbestand nachträglicher Unmöglichkeit gemäss OR 119/I, II, möchte ich von derKondiktionsverjährung ausnehmen, da diesfalls der Vertrag keineswegs ungültig wird, sondern nur dersynallagmatische Leistungsaustausch entfällt (vgl. dazu auch § 23/IV und unten Ziff. 6).181 Bei Vertragsanfechtung wegen Willensmängel ist dies frühestens der Zeitpunkt der Abgabe derAnfechtungserklärung. Die Regel, dass diesfalls «Auflösung ex tunc» erfolge, d. h. die Rückabwicklungso zu geschehen hat, wie wenn nie ein Vertrag geschlossen worden wäre, vermag die Tatsache nicht zubeseitigen, dass bis zum Moment der Anfechtungserklärung die erbrachte Leistung nicht rechtsgrundloswar. Das Gesagte muss um so eher gelten, als die Willensmängel-Anfechtung keiner absolutenVerwirkungsfrist unterworfen ist, theoretisch auch mehr als zehn Jahre nach Empfang einer Leistung unddamit in einem Zeitpunkt erfolgen könnte, in dem bei entgegengesetzter Auffassung dieLeistungskondiktion bereits verjährt wäre. Dies wäre jedenfalls hinsichtlich des Kondiktionsanspruchsdes Gegners des Irrenden inakzeptabel.182 Die Dauer ungerechtfertigten Besitzes der im Eigentum des Veräusserers verbliebenen Sache ist aufdie Verjährung der Kondiktionsansprüche nicht anzurechnen. So auch V. T./P., § 54/III und Anm. 28.

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möglichst hinausgeschoben werden in dem Sinne, dass hinreichende Kenntnis nicht bereitsangenommen wird, wenn der Betroffene die Entreicherung und Bereicherung sowie die Persondes Kondiktionsgegners kennt (und überdies auch die zur erfolgreichen Klageerhebungerforderlichen Beweismittel besitzt), sondern dass er auch das Bewusstsein hat, zur Wahrung dereigenen Rechtsposition sei ein kondiktionsmässiger Ausgleich (z. B. durch Rückzession) oderallenfalls Klage erforderlich. In diese Richtung weisen zahlreiche Entscheidungen desBundesgerichts: BGE 63 II 258 ff. (solange nicht der genaue Umfang der eigenen Entreicherungbekannt ist, läuft die Einjahresfrist nicht), BGE 82 II 428 f. E. 9/a (Frist läuft erst von sichererKenntnis des Bereicherungsanspruches einschliesslich einer gewissen «Überlegungsfrist» zurAuswertung zugegangener Informationen), BGE 70 II 123/4 E. 3, BGE 105 II 95 (bei imHinblick auf eine lange Vertragsdauer durch den Mieter gemachten Aufwendungen beginnt derBereicherungsanspruch erst mit der unerwarteten Kündigung zu laufen und nicht schon mit derBezahlung der Handwerker), BGE 109 II 432 (effektive Kenntnis, nicht «kennen müssen»).

Im Falle der Bereicherung, die durch nachträgliche Vertragsanfechtung wegen Willensmängeleintritt, beginnt für den Gegner des Irrenden der Fristenlauf frühestens mit Erhebung derAnfechtung183. Aber auch der vom Willensmangel betroffene Vertragspartner, der von derEntdeckung des Irrtums an sich ein Jahr Zeit lassen darf, um sich über das Geltendmachen desWillensmangels zu entscheiden (OR 31/I, II), hat keinen Anlass zur Erhebung desKondiktionsanspruchs, solange er nicht die Anfechtung angesprochen hat184, so dass man dieFrist erst von der Anfechtungserklärung an laufen lassen darf 185. - Das Gesagte gilt nurhinsichtlich der Rückforderung einer einseitig erbrachten Vertragsleistung. Ist der Kondizierendeim Besitz einer (im Hinblick auf den dahingefallenen Vertrag erbrachten) Gegenleistung, wirdder Kondiktionsanspruch erst durch deren Rückerstattung ausgelöst: Vorher besteht keineEntreicherung, wie auch der kondiktionsauslösende Irrtum sich nicht auf die Vertragsgeltung,sondern den Erhalt der Gegenleistung bezieht (vgl. auch oben Ziff. IV/2/a und Anm. 56).

Falls man bei nachträglicher Unmöglichkeit von Vertragsleistungen gemäss OR 119 denRückforderungsanspruch bereits erbrachter Gegenleistung OR 67 unterwerfen will186, bedeutetdies, dass die Verjährung erst zu laufen beginnt mit rechtskräftiger

183 Vgl. auch oben Ziff. 2 Anm. 181.184 Der Betroffene kann diesen Anspruch nicht erheben, ohne gleichzeitig eine implizierteAnfechtungserklärung abzugeben (BGE 64 II 135 E. 3). Auch wenn man die Überlegungsfrist von OR 31für zu lange hält, geht es nicht an, dass man ihren Lauf auf den Lauf der - ihrerseits zu kurzen -Verjährungsfrist anrechnet und demjenigen, der befugterweise ein Jahr Überlegungsfrist für sichbeansprucht, zu einer Geltendmachung des durch die Anfechtungserklärung erst entstandenenKondiktionsanspruchs überhaupt keine Zeit mehr lässt.185 Anders als hier BGE 82 II 428 E. 9, wo (allerdings nur als obiter dictum, da im Ergebnis Verjährungaus anderen Gründen verneint wird) die Einjahresfrist von Erlangung sicherer Kenntnis vonAnfechtungsgründen an gerechnet wird.186 Vgl. die dagegen sprechenden Argumente unten Ziff. 6 und oben § 23/IV/4.

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Entscheidung über die Erfüllungs- bzw. Schadenersatzklage in dem Sinne, dass die in Fragestehende Leistung einerseits unmöglich ist, anderseits der Pflichtige die Unmöglichkeit nicht «zuverantworten» hat (d. h. dem Schuldner der Exkulpationsbeweis gelungen ist); bis dahin hat derGläubiger keine Gewissheit, dass er auf eine Leistungskondiktion verwiesen ist.

Die von OR 67 für Beginn des Fristenlaufs geforderte subjektive Gewissheit um den Bestanddes Bereicherungsanspruchs muss im Falle von Gesamthandverhältnissen bei allenGesamthändern gegeben sein, da diese nur gemeinsam wirksam den Bereicherungsanspruchgeltend machen können187.

4. Unverjährbarkeit des Bereicherungsanspruchs als Einredetatbestand (auch zuOR 67/II)

Besteht die Bereicherung darin, dass der Bereicherte rechtsgrundlos eine Forderung gegenden Entreicherten besitzt, kann dieser ohne zeitliche Begrenzung bei Geltendmachung desAnspruchs den Kondiktionstatbestand (Rechtsgrundlosigkeit und Irrtümlichkeit derForderungsbegründung) einwenden (OR 67/II)188.

Der im übrigen verjährte Kondiktionsanspruch kann unter den Voraussetzungen vonOR 120/III zur Verrechnung gestellt werden, was insbesondere gewährleistet, dass beiVertragsungültigkeit die Rückforderungsansprüche beider Partner verrechenbar bleiben.

5. Verlängerung der Fristen von OR 67/I bei Bereicherung infolge von Straftaten (analogOR 60/II)

Die Verjährungsregel von OR 67 ist schematisch OR 60 nachgebildet (oben Ziff. 1). DerGesetzgeber hat indessen unterlassen, auch ein OR 60/II entsprechendes Prinzip zu statuierenund die zivilrechtliche Verjährung auf die Dauer einer allenfalls parallel laufendenstrafrechtlichen Verjährung zu verlängern. Dies kann vor allem bei der condictio furtiva aktuellwerden. Mit Grund wird daher auch die Herübernahme der Regel von OR 60/II insBereicherungsrecht postuliert189.

6. Zum Anwendungsbereich von OR 67

Die kurze Sonderverjährung von OR 67 greift grundsätzlich immer Platz, wennRechtsgrundlage der Rückforderung die in OR 62-66 statuierten Bereicherungsgrundsätze

187 So für den Fall der Erbengemeinschaft BGE 49 II 40.188 Ähnlich BGB § 821. Vgl. auch oben Ziff. IV/4. Es liegt der alte Grundsatz zugrunde quae ad agendumsunt temporalia, ad excipiendum sunt perpetua (vgl. Dig. 44, 4, 5, 6).189 BECKER, OR 67 N. 4 mit Hinweis auf ZR 28/160.

Page 53: § 34 Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung … · § 34 Ungerechtfertigte Bereicherung (OR 62-67) [ S. 651 - 702 ] 654 dadurch nicht etwa die Folgen ungünstiger Verträge,

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sind; umgekehrt greift die einjährige Verjährung nicht ein, wenn ein Kondiktionstatbestand kraftgesetzlicher Sonderanordnung vorliegt. Die Anwendung von OR 67 scheidet nicht nur aus, wennder Gesetzgeber OR 62 ff. ausschliesst, zum Beispiel durch die Regel, dass das «Geleistete»,«Empfangene» herauszugeben oder Schadenersatz zu leisten sei (vgl. etwa OR 195 Ziff. 1 und 2,208/I, II und weitere oben Ziff. III/3 genannte Fälle), sondern auch, wenn er eine OR 62 ff. nurteilweise ersetzende Regelung aufstellt wie in ZGB 411 (Rückleistungspflicht bei Geschäftenbeschränkt Handlungsunfähiger)190. Die Praxis hat richtigerweise zum Beispiel wechselrechtlicheBereicherungsansprüche nicht der Regel von OR 67 unterstellt191; der Grundsatz restriktiverAnwendung verjährungsverkürzender Sonderregeln verdient ganz allgemein Anerkennung.

Während es aufgrund der gesetzlichen Regelung selbstverständlich ist, dass der aufRückerstattung des «Geleisteten» gerichtete Anspruch im Falle des Rücktritts vom Vertrag(OR 109/I) nicht der Bereicherungsverjährung unterliegt 192, erheben sich Zweifel beinachträglicher Unmöglichkeit im Sinne von OR 119. Die in der Revision eingeführte Regel, dassnicht das «Empfangene» herauszugeben sei (so aOR 145), sondern der Empfänger derGegenleistung nach Bereicherungsgrundsätzen hafte, lässt ausser acht, dass nachträglicheUnmöglichkeit nicht den Vertrag, sondern lediglich die Pflicht des Schuldners der unmöglichenLeistung untergehen lässt, und auch dies nur bei Gelingen des Exkulpationsbeweises. Sind diefür ausserkontraktliche Verhältnisse berechneten Bereicherungsgrundsätze daher schon an sichfehl am Platz, kann es noch weniger in Frage kommen, in Fällen gültigen Vertrages - währenddes Andauerns der vertraglichen Beziehungen - den Anspruch auf Rückleistung wegenVereitelung des Vertragszwecks der im vertraglichen Bereich ausserhalb jeder Erwartungliegenden Delikts- bzw. Bereicherungsverjährung zu unterwerfen; besser versteht man OR 119einengend nur als eine Verweisung auf die kondiktionsrechtlichen Prinzipien der Berechnungdes Herausgabeanspruchs (insbes. die Zulassung der Entreicherungseinrede gemäss OR 64),nicht jedoch als eine Verweisung auf die Gesamtheit des Kondiktionsrechts193.

Im Falle von Konkurrenz von vertraglichen und kondiktionsrechtlichen Ansprüchen hatOR 67 selbstverständlich vor der generellen Verjährung von OR 127 zurückzutreten194.

190 Vgl. BUCHER, Komm. ZGB 17/18 N. 199.191 BGE 53 II 119 lit. b (für aOR 813, ungefähr entsprechend OR 1052).192 So auch BGE 60 II 27 ff., 61 II 255 f.193 Für eine wörtliche Anwendung der Kondiktionsregeln unter Einschluss von OR 67 spricht sich BGE63 II 258 aus (wobei im Ergebnis die Verjährung verneint wurde); zu diesem Entscheid auch oben§ 23/IV/4 Anm. 25. - Zu den Schwierigkeiten der praktischen Anwendung von OR 67 in Fällen vonOR 119 vgl. oben Ziff. 3 in fine.194 In diesem Sinne BGE 98 II 32 E. 6.