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Heft 2/2014
Inhaltsverzeichnis
Seite 1 Gen iR. Mag. Raimund SCHITTENHELM Bericht des Präsidenten Seite 3 ObstdhmfD Dr. Wolfgang ZECHA MSc. Tätigkeitsbericht des geschäftsführenden Vizepräsidenten Seite 5 Besuch der Ausstellung „Jubel und Elend, Leben mit dem großen Krieg 1914-1918“ in der Schallaburg
- Erlebnisbericht + Bildteil Seite 11 Gen iR. Horst PLEINER „Pola - Der Zentralkriegshafen der Habsburger-Monarchie“ Seite 23 Mag. Dr. Felix SCHNEIDER „Anmerkungen zum Ersten Weltkrieg“ Seite 37 Dr. Gunther HAUSER „Die Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 - Eine Analyse der Ergebnisse und Ausblick“ Seite 43 Datenänderungsblatt Seite 45 Gesamtüberblick wissenschaftlicher Publikationen des BMLVS – ONLINE Bestellkarten bzw. Veränderungsdienst
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Der Präsident
Sehr geehrte Freunde der Landesverteidigungsakademie!
Im ersten Berichtsheft 2014, für dessen zeitgerechte Herausgabe ich allen Beteiligten aufrichtig danke, habe ich auf die weitere Umsetzung von Vorschlägen der „AG Freunde der LVAk neu“ verwiesen. Von den Vorschlägen und abzuarbeitenden Maßnahmen wurde in der Vorstandssitzung vom 31.03.2014 der Erststellung und Einrichtung einer Homepage erste Priorität eingeräumt. Damit soll u.a. nicht nur der Informationsfluss innerhalb unseres Vereins verbessert, sondern auch die Mitgliederwerbung unterstützt werden. Wir sind überzeugt, dass dies ein zeitgemäßes und wichtiges Mittel als Ergänzung und Unterstützung unserer Vortrags-und Veranstaltungstätigkeit sein kann.
Die schon für das Bundesheer existenzbedrohenden Sparmaßnahmen treffen auch die LVAK und werden letztlich auch Auswirkungen auf unsere Vereinstätigkeit haben. Dort wo kompensatorische Maßnahmen sinnvoll und machbar erscheinen und im Interesse unserer Mitglieder und der LVAk sind, werden seitens des Vorstandes geeignete Aktivitäten gesetzt.
Für die Beiträge in diesem Heft danke ich allen Autoren, hinsichtlich sonstiger Aktivitäten verweise ich auf den Bericht des geschäftsführenden Vizepräsidenten.
Abschließend lade ich Sie wie immer ein, unsere Veranstaltungen zu besuchen, und an unseren Aktivitäten teilzunehmen.
Mag. RaimundSchittenhelm, Gen.i.R Wien, im Juni 2014
3
Verein „Freunde der Landesverteidigungsakademie“
Wien, im Juli 2014
Bericht des geschäftsführenden Vizepräsidenten
Geschätzte Vereinsmitglieder
Im Jahr 2014 wurde die Vortragstätigkeit mit der STRATEG in bewährter Weise weitergeführt. Die Themen richteten sich aktualitätsbezogen auf die verschiedenen Krisen in der Welt und die Sicherheitspolitik Österreichs. Die Berichte finden nach ihrer inhaltlichen Adaptierung hohen Anklang, und ich möchte mich für die Rückmeldungen und Vorschläge herzu herzlich bedanken. In der Fortführung der historischen Beiträge wird der Vortrag von Dr. Schneider zum Ersten Weltkrieg veröffentlicht. Er hat diesen Vortrag anlässlich des Traditionstages der LVAk am 14. 2. 2014 gehalten und uns in sprachlich etwas redigierter Form zur Verfügung gestellt. Aus diesem Umstand ist der Beitrag auch in Vortragsform gestaltet, um Ihnen ein wenig auch die Atmosphäre zu vermitteln. Der Beitrag von Dr. Hauser reflektiert in bewährter Weise die Entwicklungen innerhalb der EU vor allem im Hinblick auf die Wahl des Europaparlaments und der Nominierung des neuen Kommissionspräsidenten. In diesem Heft finden Sie auch einen kurzen Bericht unseres Museumsbesuches im Rahmen einer Kaderfortbildung der LVAk auf der Schallaburg anlässlich der Ausstellung „Jubel und Elend, Leben mit dem großen Krieg 1914-1918“. Im Herbst werden wir natürlich auch wieder einen Schießtermin mit der LVAk anbieten, Details folgen mit der entsprechenden Einladung. Die Arbeiten zur Errichtung einer eigenen Homepage für den Verein schreiten voran und ich denke, dass wir bis zu Generalversammlung dann ein ansprechendes Produkt herzeigen werden können. Abschließend darf ich noch die Gelegenheit benutzen, Ihnen einen schönen Sommer zu wünschen und mich auf weiteres, zahlreiches Erscheinen bei den verschiedenen Veranstaltungen zu freuen.
Mit kameradschaftlichem Gruß
Dr. ZECHA, ObstdhmfD, MSc
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„Jubel und Elend, Leben mit dem großen Krieg 1914-1918“
Kaderfortbildung der LVAk gemeinsam mit den Freunden der LVAk
Am 2. und 3. Juli 2014 führten die Angehörigen der LVAk gemeinsam mit einer Delegation des Vereins der Freunde der LVAk eine Kaderfortbildung mit dem Schwerpunkt „100 Jahre Gedenken an den Ausbruch der 1. Weltkrieges“ durch. Die Delegation stand unter der militärischen Führung des Kdt LVAk GenLt Mag. Erich Csitkovits und dem Präsidenten des Vereines und vormaligen Kdt LVAk, Gen iR. Mag. Raimund Schittenhelm. Am 2. Juli erhielten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Kadefortbildung eine Einweisung in die Ausstellungskonzeption und in die grundsätzliche Ausrichtung der Ausstellung durch den Leiter des ISS, HR Dr. Erwin Schmidl im Kinosaal des AG Stiftgasse. Dieser erfüllte seine Aufgabe vor allem auch deshalb in bewährter Weise, da er an maßgeblicher Stelle bei der Ausstellung mitgearbeitet hatte. Zeitig am Morgen, um 0800 Uhr, verlegten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit GRB zum Parkplatz der Schallaburg, von wo aus die Burg zu Fuß erreicht werden musste. Dort empfing uns der Ausstellungsleiter Mag. Peter Fritz und gab nach der Begrüßung eine ergänzende Einweisung. Die Gruppe wurde in zwei Teile geteilt; die erste Hälfte nahm an einem Konfliktworkshop teil während die zweite Gruppenhälfte durch die Ausstellung geführt wurde. Im Konfliktworkshop wurden die Konfliktstufen nach Grasl erklärt und vor allem auch auf die interkulturellen Aspekte von Konfliktdynamik hingewiesen. Dies zeigt sich beispielsweise auch ganz unmittelbar in unterschiedlichen Formen und Begrüßungen. Die Ausstellung bietet die Möglichkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit den Ereignissen des 1. Weltkrieges, beginnend mit den ersten Tagen des Jubels und der Kriegsbegeisterung. Die bald folgende Ernüchterung konnte anhand von Tagebucheintragungen von Angehörigen der unterschiedlichen Streitkräfte anschaulich nachvollzogen werden, welche in den verschiedenen Ausstellungsräumlichkeiten zur dargebotenen Thematik abgestimmt waren. Viele Exponate luden zum genauen Betrachten ein und die 3 ½ Stunden waren im Nu verflogen. Mit den Bussen ging es am frühen Nachmittag nach Weißkirchen wo im Heurigen Denk ein kulinarischer Ausklang dieser gelungenen Veranstaltung möglich wurde. Ein ganz besonderer Dank für diese äußerst gelungene Veranstaltung gebührt der LVAk und ihren Angehörigen, Allen voran dem Kdt, GenLt Mag. Csitkovits und dem Leiter der FüA, Obst Rapatz für die Organisation.
HR Dr. Erwin Schmidl bei der Einweisung zur Ausstellung an der LVAk
Aufstieg zur Schallaburg
Begrüßung durch den Ausstellungsleiter Mag. Peter Fritz
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1.) Im Konfliktworkshop wurden Formen der Begrüßung nachgestellt
2.)
1.) Beim Betrachten der Exponate
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2.)
Einkehr beim Heurigen Denk
Abschied von der Schallaburg
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Pola – Der Zentralkriegshafen der Habsburger-Monarchie
Horst Pleiner
Pola an der Südspitze der Halbinsel Istrien besitzt eine überaus günstige geopolitische Lage
und zeichnet sich durch eine tief in das Land eingreifende, gut geschützte Bucht mit
ausreichender Wassertiefe auch für größere Schiffe aus. Hier befand sich schon eine Reihe
von vorgeschichtlichen Siedlungen und in der Römerzeit ist die Nutzung etwa ab 177 v. Chr.
nachgewiesen. Unter Kaiser Augustus erfolgte eine rege Bautätigkeit und noch heute findet
sich die für 23.000 Zuseher ausgelegte Arena als großartiges Relikt dieser Blütezeit. Nach
dem Untergang des weströmischen Reiches ab 395 n.Chr. fiel Pola an die Ostgoten und
schließlich an Byzanz. Später wurde Pola dem Patriarchat von Aquileia, der Konkurrenz des
aufstrebenden Venedigs, zugeschlagen und im 14. Jhdt fielen Istrien und damit Stadt und
Hafen Pola an Venedig.Zwischen 1630 und 1632 wurde auf dem Stadthügel von Pola durch
die Venezianer ein Kastell zur Sicherung der Region über den Trümmern der römischen
Befestigung angelegt. Aber das auch von einer Stadtmauer umgebene Pola verlor in der Folge
stark als Hafen an Bedeutung, wurde mehrfach durch die Pest heimgesucht und war erheblich
durch Malaria gefährdet. Es sank zu einem unbedeutenden Fischerdorf herab.
1797 verzichtete Österreich im Frieden von Campo Formido auf Belgien und erhielt dafür
Venetien, also auch Istrien und Pola. Der Graf Joseph de l`Espine schlug 1799 vor in Pola das
kaiserliche Seearsenal zu errichten und Venedig mit seinem herabgekommenen und von
Frankreich ausgeplündertem Arsenal sollte nur mehr als reiner Handelshafen genutzt werden.
Aber man wollte Triest und Venedig nicht konkurrieren und der Vorschlag wurde ad acta
gelegt. Obwohl insgesamt ein nachrangiger Hafen mit nur mehr 600 Einwohnern wurde 1804
mit dem Aus- und Umbaudes vorhandenen Kastells in Pola begonnen. Aber schon 1805
wurde Istrien nach Napoleons Erfolg dem neu geschaffenen Königreich Italien zugeschlagen,
wurde 1810 ein Teil der „Illyrischen Provinzen“ und wurde 1815 im Wiener Kongreß erneut
Österreich zugeordnet. Die nunmehrige aus der bisherigen venezianischen Marine sich ab
1815 unter erheblichen materiellen und vor allem finanziellen Schwierigkeiten und
Einschränkungen entwickelnde k.k.Marine sah in Pola ein Stationsschiff vor und nutzte die
fjordartige Bucht als gelegentlicher Liegeplatz. Der Umbau des Kastells wurde fortgesetzt
und zwischen 1823 und 1830 drei Befestigungsanlagen in Form von Martellotürme zum
Schutz der Einfahrten errichtet, denen 1835 mehrere kostengünstigere Küstentürme und eine
Küstenbatterie (auf der Halbinsel Mussil) folgten.
12
Die alte und beengende Stadtmauer hatte man vor 1840 abgebrochen und ab diesem Zeitpunkt
nützte die damals insgesamt 157 Schiffe und Boote (darunter 3 Fregatten) umfassende k.k.
Marine Pola in vermehrten Umfang als Liegeplatz für ihre Einheiten. Man errichtete 1846
einige Magazine und Batterien zur Hafenverteidigung. So befanden sich hier auch am
22.März 1848 einige Schiffe, als es in Venedig zur Erhebung gegen die österreichische
Herrschaft kam. Daniele Manin, der Präsident der provisorischen (neuen) Regierung in
Venedig versuchte durch den Kapitän des an sich von Venedig nach Triest bestimmten
Raddampfers „Erzherzog Friedrich“ den k.k. Schiffen in Pola eine entsprechende Weisung
zum Überlaufen zukommen zu lassen. Aber der an Bord befindliche Gouverneur Graf Palffy
erfuhr von dem Komplott und zwang Kapitän des Raddampfers nach Triest zu laufen, wo die
geheime Weisung dem Befehlshaber in Istrien und Triest FZM Franz Graf Gyulai vorgelegt
wurde. Auf schnellstem Weg wurde der loyale Hafenkommandant von Pola in Kenntnis
gesetzt und dieser unterband durch Gefechtsbereitschaft der Küstenbatterien etwaige
Versuche auszulaufen und sicherte diesen Teil der Flotte für die Habsburger-Monarchie. Nur
drei kleine Kanonenpinassen konnten Pola verlassen und sich in Venedig den Revolutionären
anschließen. Aber die in Pola liegenden Einheiten waren im Kern venezianisch gesinnt und
zeigten in der Folge keinen Enthusiasmus bei den Maßnahmen der österreichischen Führung
zur Blockade von Venedig.
Nach der Niederwerfung der Revolution in Venedig 1849 entschied sich Österreich einen
neuen Hauptkriegshafen anstelle des „unsicheren“ Venedigs auszubauen. Eine Kommission
führte eine Überprüfung der Gegebenheiten durch und 1850 folgte der EntschlußPola
entsprechend zu entwickeln. Obwohl eine Choleraepidemie 1855 die Arbeiten verzögerte
nahm schon 1856 der neue Hafen Pola seine Funktion als Marinebasis wahr. Es folgte ein
vergleichsweise zügiger Ausbau der Hafenanlagen und der Befestigungen und
Küstenbatterien zum Schutz der „Seefront“ sowie an der Landfront. Die Garnison umfaßte in
der Folge u.a. das Festungsartillerieregiment Nr. 4 und das Infanterieregiment Nr 87, das
gemeinsam mit dem in Triest garnisonierten Regiment die 55. Infanteriebrigade (Stab in
Laibach) im Rahmen der 28. Infanterie- Truppendivision (Laibach) bildete und damit zum
Korpskommando III in Graz zugehörig war.
Am 09.Dezember 1856 erfolgte in Anwesenheit von Kaiser Franz Josef die Grundsteinlegung
für das neue Seearsenal in Pola. Dieses umfaßte zunächst den überdachten Stapelplatz auf der
Oliveninsel, zwei Trockendocks und ein Schwimmdock (Holz). Erst damit wurde Pola zu
einem vollwertigen Marine-stützpunkt, der 1857 bereits 8551 Einwohner aufwies, wobei es in
der Folge einen starken Anstieg des italienischen Bevölkerungsanteils gab. Das Seearsenal
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bestand im Frühsommer 1866 seine erste Bewährungsprobe bei der Aktivstellung und
improvisierten Ausrüstung vor allem der Panzerschiffe der k.k. Flotte, die dann in der
Seeschlacht von Lissa ihren ersten großen Erfolg erzielen konnte. Allerdings konnten schwere
Gefechtsschäden, wie sie am Bug des Panzerschiffes „Erzherzog Ferdinand Max durch den
Rammstoß bei Lissa eingetreten waren, in Pola nicht repariert werden. Daher lief das
Panzerschiff Anfang Juli 1867 von Pola nach Malta, wo dann in der dortigen Marinewerft die
Bugsektion wieder instandgesetzt wurde. Das Seearsenal in Pola lieferte 1869 mit der
Glattdeckskorvette „Helgoland“ den ersten größeren Neubau ab und schloß 1871 den Umbau
des früheren Linienschiffes „Kaiser“ (bekannt geworden durch seine Rolle in der Seeschlacht
von Lissa) zu einem gepanzerten Kasemattschiff unter Beibehaltung der ursprünglichen
Maschinenanlage ab. Allerdings wurden im Seearsenal im weiteren Verlauf bis 1914 nur
wenige größere Kampfschiffe gebaut (so z.B. 1877 das Kasemattschiff „Prinz Eugen“, 1887
die „Kronprinz Erzherzog Rudolf“, 1890 der kleine Kreuzer „Kaiserin Elisabeth“, 1893 das
Küstenpanzerschiff „Monarch“, ab 1897 die drei Kleinen Kreuzer der „Zenta“ Serie, 1903 der
große Panzerkreuzer „Sank Georg“ und 1909 der moderne Rapidkreuzer „Admiral Spaun“),
dafür aber Torpedoboote, Zerstörer, Hilfsschiffe und schließlich auch U-Boote. In erster Linie
übernahm das Seearsenal Reparatur- und Überholungsaufgaben sowie die De- und
Reaktivierung der Einheiten im Ablauf des jeweiligen Flottenjahres und –programms, da die
k.k. und dann k.u.k. Marine keineswegs alle Einheiten ständig im aktiven Dienst beließ,
sondern diese nur nach Bedarf für Auslands- und Ausbildungsfahrten oder Geschwaderdienst
für Ausbildung und Übungen aktivierte. Der Personalstand des bis 1914 u.a. durch zwei
Docks für 22.000 bzw 15.000 ts und einen berühmten Kran mit Hebekraft für 300 t
erweiterten Seearsenals erreichte 1914 über 3000 Mann. Eine besondere technische Leistung
stellte im Frühjahr 1914 die Überholung der Antriebs- und Kesselanlage des deutschen
Schlachtkeuzers „Goeben“, dessen Entkommen in türkische Gewässer dann den Kriegseintritt
der Türkei im Oktober 1914 auf Seite der Mittelmächte nachhaltig beförderte.
Zwischen dem 18.August und 07. September 1902 erfolgte eine Überprüfung der
Verteidigungsfähigkeit Istriens und vor allem Polas im Rahmen eines gemeinsamen
Manövers von Armee und k.u.k. Marine . Kaiser Franz Josef und Erzherzog Franz Ferdinand
beobachteten den Verlauf des Manövers mit eindeutigem Italienbezug eingehend zur See und
an Land. Die von GM Franz Conrad von Hötzendorf geführte 55. InfBrig (Triest) wurde von
einigen Dampfern des Österreichischen Lloyd unterstützt von den drei Küstenpanzerschiffen
der „Monarch“-Klasse an der Küste nördlich von Pola gelandet und stieß zügig gegen Pola
vor. Dabei zeigte sich, dass die Festung Pola nicht gehalten werden konnte und die bisherigen
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Abwehr-vorbereitungen ungenügend waren. Der Kaiser brach das Manöver daraufhin
vorzeitig ab und der kritisch beobachtende Franz Ferdinand gewann die feste Überzeugung,
dass Pola nur durch eine starke Flotte und weniger durch Festungswerke gegen derartige
Angriffe geschützt werden konnte. So wurde der Thronfolger in den folgenden Jahren ein
besonderer Förderer der Flotte und der vorrangige Repräsentant des Kaiserhauses bei der
k.u.k. Marine und der GM Franz Conrad von Hötzendorf war positiv aufgefallen und
durchlief gefördert vom Thronfolger eine rasche Karriere, in der er 1906 zum Chef des
Generalstabes ernannt wurde.
Der strategisch-operative Wert Polas erfuhr mit dem 20.September 1876 eine bedeutende
Steigerung durch die Fertigstellung der 122 km langen von Divaca nach Pola führenden
Bahnlinie. Nun nahm Pola eine rasche Entwicklung und das gehobene Marinepersonal
siedelte sich in einem eigenen Viertel San Policarpo weitgehend geschlossen an. Hier
entstanden dann abgesehen von den Wohngebäuden und Marineanlagen etwa auf dem Hügel
Zaro das hydrografische Institut mit der Sternwarte, weiters ab 1891 die Marinekirche
Madonna del Mare, der Marinefriedhof oder das Klubhaus des k.u.k. Yachtklubs, insgesamt
aber doch eine enklavenartige Zusammenballung. Allmählich ergab sich damit eine
zunehmende Loslösung der Marine vom Zivilhandel der Region und die Entwicklung einer
Art Nebenwirtschaft mit z.B. eigenem Marinekonsum- bzw–vorschußverein oder
Schlachthaus. 1914 belief sich die Zahl der Angehörigen der Garnison auf rund 40.000.
Im Jahre 1872 wurde das Marinekasino nahe dem Monte Zaro vor allem als Heimstätte für die
in der Stadt als „möblierte“ Herren wohnenden jüngeren, ledigen Offiziere errichtet. Es wurde
in den folgenden Jahren erweitert und erhielt u.a. einen Wintergarten, ein Kaffeehaus mit
Damensalon, ein Restaurant, einen Leseraum und ein Billardzimmer und einen allseits
bestaunten Ballsaal. Dazu besaß das Kasino einen großen, südlich wirkenden Garten mit
Kegelbahn und Boccia-Anlage. Von 1909 bis 1913 wurde das Marinekasino zu der heute
noch bestehenden Einrichtung um- und ausgebaut. Es wurde das gesellschaftliche Zentrum
der Marineoffiziere und deren Familien und damit zum Klatschzentrum und Heiratsmarkt,
genannt „Klatschhausen“. Es gab auch eine Marinekapelle und von 1894 bis 1897 wirkte hier
Franz Lehar als Marinekapellmeister u.a. mit zahlreichen Konzerten im Ballsaal. Das
gedrängte gesellschaftliche Zusammenleben barg natürlich auch so seine Gefahren mit sich
und so starb am 11.März 1909 ein Oberleutnant des Generalstabes in einem wegen einer
Affäre ausgetragenen Duell gegen einen offenbar besser schießenden Linienschiffsleutnant.
Aber auch die mit Fürsten Otto von Windisch Graetz verheiratete Tochter Elisabeth des
Kronprinzen Rudolf bemühte sich im Marinekasino usw um die jungen Offiziere der Marine
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und des Heeres. Schließlich entwickelte sich ab Mitte 1913 ein Bekanntschaft der Fürstin mit
dem Linienschifsleutnant Egon Lerch, einem forschen U-Bootkommandanten. Diese
Beziehung dauerte mit Duldung des Kaisers bis August 1915, als Egon Lerch beim Untergang
von U 12 vor Venedig den Tod fand. Die weitere Geschichte der Fürstin ist bekannt, die
schließlich als besonderer Liebling Kaiser Franz Josefs einen erheblichen Teil seines
persönlichen Vermögen erben konnte und noch weitere Jahrzehnte als Lebensgefährtin und
schließlich Ehefrau des Abgeordneten zum NR. Petznek leben konnte. Das Marinekasino wird
heute noch von den kroatischen Streitkräften als solches mit Cafe und Ballsaal genutzt und
beherbergt ein kleines Museum zur k.u.k. Marine sowie die an Kroatien zurückgegebenen
rund 20.000 Bände der ehemaligen k.u.k. Marinebibliothek.
Aber das Zusammenleben des vorwiegend deutschsprachigen Teiles des Marinepersonals und
der slawischen Bevölkerung des Umlandes mit dem italienischen Bevölkerungsteil in Pola
gestaltete sich von Anbeginn eher schwierig. Schon 1869 begann ein beständiger Konflikt
zwischen den liberalen Italienern und der Marine um die Gemeindeherrschaft in Pola. Dieser
schwelte durch die folgenden Jahrzehnte. Im Seearsenal kam es Anfang Dezember 1901 zu
einem Ausstand der italienischen Lehrlinge und am 15.Februar 1902 solidarisierte sich eine
Versammlung der Arbeiter mit der Streikbewegung der Werftarbeiter in Triest. 1903 wurden
für den Stapellauf des Panzerkreuzers „Sankt Georg“ besondere Sicherheitsmaßnahmen
getroffen, um einen erwarteten Anschlag von Anarchisten zu verhindern. In Pola wurde auch
in reger Weise Spionage betrieben. Die Einzelheiten der Festungswerke und Batterien, aber
auch der k.u.k. Marine waren potentiellen Gegnern dadurch in entsprechendem Ausmaß
aktuell bekannt. Die Aufdeckung eines solchen Spionageringes führte im Jahre 1905 zur
Ausweisung aller Ausländer aus Pola. Daher ging auch der seit 1904 als Englischlehrer an der
Berlitz-Sprachschule tätige James Joyce gemeinsam mit Nora Barnacle weiter nach Triest.
Die italinische politische Agitation unter der Belegschaft des Seearsenals führte immer wieder
zu Konflikten und die mehrfach abgehaltenen und wieder stornierten Gemeindratswahlen
brachten keine Lösung, da z.B. 1909 den 25 Italienern und 7 Kroaten nur 10 Repräsentanten
der Marine, 2 Staatsbeamte und 1 Sozialist gegenübersaßen. Schließlich wurde 1912 die
Gemeindeautonomie von Pola endgültig ausgesetzt und eine autoritäre Regierungsgewalt vom
Hafenadmiral Julius von Ripper wahrgenommen.
Mit der Kriegserklärung an Serbien vom 28.August 1914 änderte sich die Situation in Pola
grundsätzlich. Die Belegschaft des Seearsenals stieg rasch, erreichte bald rund 8000 Arbeiter
und wuchs am Höhepunkt der Wartungs- und Reparaturtätigkeit des Arsenals auf rund 13.000
Mann. Ab Anfang August 1914 wurden in Istrien mehrere hundert Kroaten als
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serbophilverhaftet, davon eine ganze Reihe in Pola. Gleichzeitig wurden die Maßnahmen zur
Mobilmachung der Marine und zur Sicherung des Marinestützpunktes eingeleitet und die
Minenfelder planmäßig geworfen. Die Befestigungen um den Kriegshafen waren von 41
Kompanien der Festungsartillerie besetzt. An der Landfront standen 250 Geschütze, an der
Seefront deren 120, darunter eine Reihe von 28 cm und 30,5 cm. Zur Beseitigung des
Mangels an Mittelartillerie gab die Marine 23 Geschütze von 7 bis 19 cm und 52 Stück 47
mm ab. Die Festung Pola verfügte über einen auf 7 Monate ausgerichteten Bestand an
Vorräten für die Marine- und Landtruppen, als Problem wurden allerdings die rund 100.000
Zivilbewohner angesehen.
Am 13.August 1914 lief der von Zara mit Rückreisenden ohne Geleit kommende große
Passagierdampfer „Baron Gautsch“ trotz Information über die Minenlage nahe der Insel
Brioni auf eine Seemine und sank innerhalb von 7 Minuten. Von den 400 Passagieren kamen
147 dabei ums Leben. In der Presse wurde der Verlust zunächst einer serbischen Bombe
zugeschrieben, aber 3 Tage später gestand der Österreichische Lloyd den Verlust durch eine
Mine ein. Das Strafverfahren gegen den Kapitän war nach 3 Jahren noch nicht abgeschlossen
und verlief dann durch das Kriegsende im Sande. Der Österreichische Lloyd versuchte in
Interpretation eines alten Gesetzes den Versicherungsfall für sich zu nutzen, zahlte aber die
vorgesehenen 2 Millionen Kronen an die Hinterbliebenen der Opfer nicht aus. Aber die
„Baron Gautsch“ blieb nicht das einzige Opfer der Minenfelder vor Pola. Am 17.November
1914 geriet auch der Dampfer „Josephine“ auf eine Mine und sank.
Pola war in der Folge der Liegeplatz der schweren Linien- und Schlachtschiffe der k.u.k.
Flotte und Reparaturzentrum. Auf der Santa Katharina-Insel wurde eine Seeflugstation
eingerichtet (deren Überreste noch heute zu sehen sind) und für die U-Boote wurde die Bucht
vor den großen Hotelanlagen auf der Insel Brioni als Liegeplatz ausgewählt. Für einen
Vorstoß in den zusätzlich zu den Minen noch durch eine Drahttaubarrikade gesicherten Hafen
von Pola wurde das französische U-Boot „Curie“ von dem Panzerkreuzer „Jules Michelet“
gesichert durch den Kreuzer „Jules Ferry“ bis zur Höhe von Pelagosa geschleppt und lief
dann mit eigener Kraft gegen Pola. Am 20.Dezember versuchte das U-Boot die Einfahrt zu
forcieren, konnte die erste Barrikade in 18 m Wassertiefe auch durchbrechen, blieb dann aber
in der zweiten Barrikade hängen. Die Befreiungsversuche der „Curie“ wurden von einem
einlaufenden T-Fahrzeug erkannt und die Abwehrmaßnahmen der Hafensicherung (T-Boote,
Tender und Küstenbatterien) eingeleitet. Nach 5 Stunden mußte die „Curie“ nach
Erschöpfung des Sauerstoffvorrates auftauchen, wobei Ansätze zur Kapitulation auf Grund
technischer Mängel von den k.u.k. Kräften nicht erkannt wurden. So wurde die „Curie“ unter
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Feuer genommen und erhielt Treffer der Strandbatterie. Obwohl bei Sichten der gesetzten
Positionslichter Feuereinstellung mittels Megaphon befohlen wurde, erhielt die „Curie“ noch
einen Treffer achtern vom Turm und sank auf 39 m Tiefe unter Verlust von 1 Offizier und 1
Mann, 26 wurden gerettet. Diese wurden noch im Dezember 1914 nach Graz verlegt und
erhielten wenig später in der Grazbachgasse das Haus Nr 57 als Unterkunft und wurden von
einem Gasthaus in der Nähe verpflegt, waren aber mit der „schlechten“ österreichischen Kost
nicht zufrieden. Mit der Hebung des gesunkenen U-Bootes wurde am 05.Jänner 1915
begonnen und am 02.Februar 1915 mit der Eindockung abgeschlossen. Die „Curie“ wurde
instandgesetzt und als k.u.k. U 14 unter Linienschiffsleutnant Georg Ritter von Trapp
erfolgreich eingesetzt.
Mit der Verschärfung der Lage zu Italien verließen im April 1915 alle italienischen
Staatsbürger Pola und gingen nach Italien zurück. Auch österreichische Italiener verließen aus
Furcht vor Verhaftungen Pola und die Donaumonarchie. Mit 06.Mai 1915 wurde Pola einem
Festungskommando unterstellt und am 17.Mai erfolgte die Räumung des südlichen Teiles des
Bezirks Pola durch alle Zivilpersonen., was mit der Kriegserklärung Italiens am 23.Mai 1915
auch auf die nördliche Zone einschließlich Rovigno ausgedehnt wurde. Die Familien der
Marinegehörigen wurden nach Innerösterreich verlegt und die italienische und kroatisch-
slowenische Bevölkerung (ausgenommen die Arbeiter in den Militär- und
Marineeinrichtungen) in Viehwaggons nach den Perlustrierungsstationen Leibnitz und
Salzburg verbracht. Von dort kamen sie in verschiedene Lager in der österreichischen
Reichshälfte. Man hat dabei rund 50.000 Personen evakuiert, es verblieben 51.480 Mann und
1.410 Offiziere in Pola sowie 8.130 Arbeiter des Arsenals. Die Ernte des Jahres 1915 ließ
man in der Region verkommen. Die Probleme der Verwaltung Polas und der Internierung der
Bevölkerung blieben bis 1917 in Schwebe und manche bis Kriegsende ungelöst. Erst im
Oktober 1916 ließ man einen Teil der kroatischen Bauernfamilien zur Bearbeitung der
Wintersaat zurückkehren und als im Oktober 1917 Unruhen im Lager Wagna (Steiermark)
ausbrachen, schloß man nach der 12. Isonzoschlacht die Lager Pottendorf-Landegg und
Wagna, da man die Versorgung der Internierten nicht mehr sicherstellen konnte.
Das Seearsenal Pola wurde ab Mai 1915 mit einer kaum bewältigbaren Menge an Reperatur-
und Überholungsarbeiten an den bis zum Übermaß durch Geleitdienst, Minensuche und
Fliegerunterstützung beanspruchten Zerstörern, T-Booten und den U-Booten der k.u.k.
Marine sowie den immer zahlreicher im Mittelmeer eingesetzten deutschen U-Booten
konfrontiert. Zeitweise befanden sich mehr als die Hälfte aller vorhandenen Zerstörer und T-
Boote im Seearsenal oder warteten auf ihre Überholung. Da die Kapazitäten für eine raschere
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Überholung der deutschen U-Boote nicht mehr ausreichte, wurde im Frühjahr 1917 eine
eigene Reparatureinrichtung und Station für deutsche U-Boote unter einem deutschen
Spezialkommando und mit vorwiegend deutschem Werftpersonal geschaffen. Am 21. Jänner
1918 traten rund 11.000 Arbeiter des Seearsenals und der deutschen U-Bootwerft in Streik
und forderten die Rückkehr ihrer Familien. Erst am 28.Jänner 1918 nahmen sie die Arbeit
nach Verhandlungen und Zugeständnissen wieder auf. Mit dem 02.Februar 1918 erhielten alle
Einwohner von Pola daher die Genehmigung zur freien Rückkehr in den Kriegshafen und am
16.Februar traf dann der erste Zug mit Familienangehörigen in Pola ein.
Ab August 1917 nahmen die italienischen und alliierten Luftangriffe auf Pola ständig zu. Die
zahlenmäßige Unterlegenheit der k.u.k. Seeflieger ließ eine vorgeschobene Abwehr dieser
Offensiven nicht mehr zu und so wurden die drei Kanonenschüsse der Luftbeobachtungsstelle
am Kastell Pola bis zum Kriegsende zum vertrauten und oftmaligen Signal für die Arbeiter
und Bewohner zum Aufsuchen der Unterstände und Keller. Allerdings hielten sich die
Schäden durch die Luftangriffe in Grenzen, die im Hafen liegenden großen Schiffe blieben
materiell einsatzbereit und der Werftbetrieb konnte fortgeführt werden.
Ab März 1918 fanden sich Anzeichen für politische Agitation in Pola und auf einigen
Schiffen, so z.B. dem Schlachtschiff „Radetzky“. So wurden Ansichtskarten mit dem Bild
Lenins vertrieben, es kam zu Unruhe in den von den Matrosen als Strafeinrichtungen
angesehenen Marine-Arbeiterabteilungen und auf einigen der Großkampfschiffe (darunter
auch der „Szent Istvan“) kam es zu Zusammenrottungen von Matrosen und „Freiheit“-Rufen.
Ab dem 26.März 1918 wurde im Seearsenal auf dem Küstenpanzerschiff „Budapest“ das
vordere 25 cm Geschütz ausgebaut und eine der berühmten 38 cm Haubitzen des Heeres
eingebaut. Am 05.Juni 1918 erfolgte mit 3 Übungsgranaten im Vorhafen von Pola das
Anschießen der Haubitze, wobei am Schiff Rollbewegungen bis zu 35 Grad auftraten. Erst am
07.August 1918 wurden im Kanal von Fasana versuchsweise 5 Granaten auf 13 km Distanz
abgefeuert. Ernüchternd war dabei die Treffwahrscheinlichkeit von 20% und so beendete man
diese Versuche. Am 11.Oktober 1918 war die 38cm Haubitze wieder ausgebaut.
Fünf Tage später erging das Völkermanifest Kaiser Karl I. und damit begann auch in Pola die
Auflösung der „alten“ Ordnung. So kam z.B. am 26.Oktober 1918 der italienische Sozialist
Antonio Talatin aus Pola an Bord der „ViribusUnitis“ um vor allem die slawischen Matrosen
aufzurufen Italien zu vertrauen. Am nächsten Tag bildeten sich auf den Schiffen im Hafen
Matrosenkomitees und neben den italienischen Gruppen in Pola selbst entstand auch ein
südslawisches Nationalkomitee.
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Ab dem 28.Oktober 1918 wurde die deutsche U-Bootstation in Pola aufgelöst. Die 8nicht
fahrbereiten deutschen Boote U 47 und U 48 wurden vor der Hafeneinfahrt von den eigenen
Besatzungen gesprengt. Die 10 fahrbereiten U-Boote verließen Polabis zum 30.Oktober und
gelangten durch die Straße von Gibraltar und die Dänemarkstraße tatsächlich alle noch in
deutsche Gewässer. Auf diesem Weg konnte UB 50 bei Cap Trafalgar am 09.November 1918
das britische Linienschiff „Britannia“ mit zwei Torpedos versenken, das war der letzte
Schiffsverlust während des Ersten Weltkriegs.
Am Nachmittag des 28.Oktober kam es in Polazu einer Sitzung der Soldatenräte der Flotte,
bei der man einen Katalog mit 14 Forderungen an die Marine- und Politische Führung
beschloß und den Abgang der Besatzungen mit 01.November 1918 festgelegt hatte. Bei
einsetzenden Befehlsverweigerungen auf dem Schlachtschiff „ViribusUnitis“ erschoß sich der
Gesamtdetailoffizier als Mahnung an die Besatzung, allerdings war das Opfer vergeblich.
Gleichzeitig kam es zu Unruhen in einigen Teilen der Stadt, teilweise auch zu Plünderungen.
Am 30.Oktober griffen die Unruhe auch auf das Seearsenal über, auch dort kam es zu
Diebstählen und ein größerer Teil der Schiffsbesatzungen trug nun nationale Abzeichen. Die
Seeoffiziere hatten weitgehend ihre Autorität eingebüßt und in dieser Situation traf gegen
2000 Uhr beim Flottenkommando in Pola (heute Sitz der Werftdirektion) der Befehl des
Kaisers ein, die gesamte Flotte am nächsten Tag an die Repräsentanten des Nationalrates der
Südslawen zu übergeben.
Diese erfolgte offiziell um 0900 Uhr des 31.Oktober 1918 durch Vizeadmiral von Horthy und
um 1645 Uhr wurde auf den vorhandenen Schiffen, allen voran den drei Schlachtschiffen der
„Tegetthoff“-Klasse die k.u.k. Kriegsflagge endgültig eingeholt. Während die slowenisch-
dalmatinischen Matrosen überwiegend an Bord verblieben, verließen die anderen
Nationalitäten die Schiffe. In der folgenden Nacht zum 01.November 1918 blieben die
meisten der Schiffe abgedunkelt und im Verschlußzustand, nur das neue Flaggschiff der
Marine des neuen Nationalstaates der Südslawen „ViribusUnitis“ lag hell erleuchtet und
offensichtlich in „friedensmäßigem“ Zustand an der Boje. Es gelang auf Grund der
reduzierten Wachsamkeit zwei italienischen Torpedoreitern in den Hafen von Pola
einzudringen und an der „ViribusUnitis“ eine Haftmine zu befestigen. Die aufgegriffenen
Torpedoreiter informierten die Schiffsführung von der erwartbaren Explosion, die auch
Maßnahmen zum Verlassen des Schiffes anordnete. Dies alles wurde nicht wirklich ernst
genommen und teilweise kehrten Besatzungsmitglieder auf das Schlachtschiff zurück. Als
dann die Mine tatsächlich detonierte, kenterte und sank die „ViribusUnitis“ innerhalb von 15
Minuten in rund 20 bis 30 Meter Tiefe. Der neue kroatische Kommandant des Schiffes kam
20
dabei ums Leben, ebenso eine ungeklärte Zahl von Besatzungsmitgliedern. Die immer wieder
genannte Zahl von 400 Toten dürfte nicht zutreffen und hat sich durch etwaige Funde bei der
Hebung des Schiffes in den folgenden zwei Jahrzehnten nicht bestätigt.
Am Vormittag des 01.November 1918 übergab der letzte k.u.k. Hafenadmiral Vizeadmiral
Alfred Cicoli die Flotte an die eingetroffenen Abgesandten des Agramer Nationalrates,
wodurch die in Pola befindlichen italienischen Vertreter überrascht wurden. Der neue
Flottenkommandant des Agramer Nationalrates Konteradmiral (vorher Fregattenkapitän)
Method Koch richtete ein Radiotelegramm an den US Präsidenten Wilson mit dem Ersuchen
um Entsendung einer amerikanischen oder alliierten Schiffsdivision nach Pola. Aber die
Alliierten forderten als Antwort am 02. November die Verlegung der gesamten Flotte unter
„weißer“ Flagge nach Korfu und deren Übergabe an den dortigen alliierten Befehlshaber.
Dies akzeptierten die Repräsentanten des Agramer Nationalrates und der Flottenführung nicht
und die Schiffe verblieben in Pola.
Inzwischen bemühten sich rund 22.000 Mann um Rückführung in ihre Heimatländer. Die
deutschsprachigen Marine- und Heeresoffiziere sowie die Repräsentanten der Mannschaften
versammelten sich im Hotel „Riviera“ und wählten ein Komitee von 22 Mann zur Regelung
des Abtransportes. Bereits am 03.November 1918 verließ der erste Zug mit deutschsprachigen
Matrosen und Soldaten Pola zu einem Rücktransport, der sich in einzelnen Fällen höchst
schwierig bis dramatisch gestalten sollte.
Nach einem weiteren Tag der steigenden Spannungen zwischen Slawen und Italienern in Pola
trafen am 05.November 1918 italienische Kräfte vor Pola ein. Ein Regiment Infanterie sowie
Matrosen und Carabinieri wurden in Fasana gelandet und marschierten nach Pola. Schließlich
lief ein italienischer Zerstörer in den Hafen von Polaein, am Nachmittag dann gefolgt von
einer T-Bootflottille und drei Panzerkreuzern. Der italienische Admiral Cusani begann die
Übernahme der Schiffe und Einrichtungen in Pola zu organisieren. Das lief aber nur zögernd
und wurde zum Gegenstand von „Spielchen“ der Vertreter der einzelnen Alliierten. Auf
Drängen der Briten erfolgte dann am 10.November 1918 die widerwillige Übergabe der
vorhandenen Schiffe der ehemaligen k.u.k Flotte an den italienischen Vizeadmiral Cagni als
Vertreter der Alliierten. Schließlich trafen auch zwei weitere italienische Panzerkreuzer, ein
französisches Linienschiff und ein britischer leichter Kreuzer in Pola für die Abwicklung der
Angelegenheiten ein. Die südslawische Marine unternahm noch einen Versuch wenigstens
einzelne Schiff für sich zu bewahren. So wurde am 10.November das Schlachtschiff
„Radetzky“ für das man kein ausgebildetes Maschinenpersonal verfügbar hatte nach Split
geschleppt. Am 11. November folgte unter eigener Kraft das Schlachtschiff „Zrinyi“. Beide
21
Schlachtschiffe wurden in der Bucht SetteCastelli nahe Parudi am 14.November 1918 dann an
die U.S. Navy (vertreten durch drei U-Jäger) übergeben.
Im Jahre 1919 kam Istrien und damit Pola offiziell an Italien. Das Seearsenal wurde von der
italienischen Marine übernommen und übernahm ab 1920 einen Teil der angeordneten
Abwrackungen der nicht mehr zur weiteren Verwendung bestimmten k.u.k. Einheiten. Ab
1921 gab es erste Bemühungen zur Bergung der im Hafen von Pola gesunkenen
„ViribusUnitis“. Da man Proteste und Widerstand der slawischen Bevölkerung befürchtete,
erfolgten diese Arbeiten meist bei Nacht. Taucher sprengten den Rumpf der „ViribusUnitis“
in drei Teile, Teile wurden dann gehoben, letztlich die Arbeiten aber eingestellt. Nach 1945
wurde die Bergung fortgesetzt, heute liegen nur mehr ein Mast und Kleinteile im Schlamm.
Pola wurde von der italienischen Kriegsmarine nicht vorrangig genutzt. Allerdings wurde hier
die italienische U-Bootschule eingerichtet. Der Ausbildungsbetrieb wurde auch nach dem
Kriegseintritt Italiens im Juni 1940 fortgesetzt. Im Krieg gegen Jugoslawien im April 1941
spielte Pola keine Rolle.
Das als frontunbrauchbar eingestufte Schlachtschiff „Giulio Cesare“ (ein Schiff aus dem
Ersten Weltkrieg das Ende der 1920er Jahre modern umgebaut worden war) wurde im Jänner
1943 von Tarent in den Hafen von Pola verlegt und dort als Wohn- und Ausbildungsschiff
genutzt.
Mit dem Austritt Italiens vom Krieg an der Seite Hitlerdeutschlands am 08. September 1943
übernahmen Verbände der deutschen 91. InfDiv den Hafen von Pola und die dort liegenden
italienischen bzw ex-jugoslawischen kleinen Einheiten. Der italienische Zerstörer „Insidioso“
wurden von seiner Besatzung im Hafen versenkt, dann gehoben und als deutscher Zerstörer
„TA-21“ in Dienst gestellt. Dem Schlachtschiff „Giulio Cesare“ gelang es allerdings den
Hafen zu verlassen und begleitet von einem Zerstörer durch die Adria und das Ionische Meer
unbehelligt nach Malta in die Internierung zu laufen. Das Schiff wurde nach Kriegsende 1949
der Sowjetmarine zugesprochen, nach dem Schwarzen Meer verlegt und sank dort im Jahre
1955 nach einem Minentreffer in der Nähe von Odessa.
Mit 01.Oktober 1943 wurde die Provinz Pola Teil der neu eingerichteten „Operationszone
Adriatisches Küstenland“ unter dem Obersten Kommissar Friedrich Rainer und dem
Militärbefehlshaber General d. Gebirgstruppen Ludwig Kübler. Die deutsche Kriegsmarine
richtete die Dienststelle eines Kommandierenden Admirals Adria (Stab erst in Sofia und
später in Belgrad) ein, dem u.a. ein Seekommandant Istrien sowie die 10.Landungsflottille,
11.Sicherungsflottille, sowie die 3. Und 7. Schnellbootsflottille unterstanden. Die
Marineartillerieabteilung 621 wurde von Constanza nach Pola verlegt. Das Seearsenal wurde
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zunächst als Marineausrüstungsstelle Pola und im Dezember 1943 als Kriegsmarinearsenal
Polain Betrieb genommen. Da in der Region Istrien sich Gruppen italienischer, slowenischer
und kroatischer Partisanen bald erheblich bemerkbar machen konnten, wurde das Gebiet im
Dezember 1943 zum Bandenkampfgebiet erklärt und stärkere Sicherungsverbände zugeführt.
Pola wurde zum Stützpunkt für die noch im Mittelmeer befindlichen U-Boote sowie zur Basis
für Sicherungskräfte, Räum- und S-Boote und nahm gelegentlich auch eines der TA-Boote
(ehemals italienische oder jugoslawische Zerstörer oder T-Boote) auf. Im Laufe des Jahres
1944 änderten sich die Kommandostrukturen der deutschen Kriegsmarine für diesen Raum
mehrfach als Konsequenz der militärischen Entwicklung am Balkan und in Italien.
Am 09.Jänner 1944 erfolgte erstmals ein schwerer alliierter Luftangriff auf Pola, U 81 wurde
zerstört, U 596 beschädigt aber ab Februar wieder einsatzbereit und U 453, U 407 und U 565
wurden nicht beeinträchtigt. Den Booten war aber keine längere Einsatzdauer mehr
beschieden, als letztes wurde U 407 am 19.September 1944 südlich Milos versenkt.
Am 01.Jänner 1945 erging die Weisung zur Bildung eines Kampf-Stützpunktes Pola, der den
Ausbau von Pola zur Festung als Angelpunkt der Balkanfront unter Zusammenfassung des
Personals des Kampfstabes Italien und des U-Bootstützpunktes vorsah. Verstärkungen waren
allerdings nicht verfügbar. Daraufhin kam es zu heftigen Diskussionen und Anträgen
zwischen dem Oberkommando der Wehrmacht, dem GFM Kesselring und dem Großadmiral
Dönitz über die Sinnhaftigkeit einer derartigen Maßnahme. Pola war in dieser Zeit zum
Hauptstützpunkt der deutschen Schnellboote in der oberen Adria geworden, die allerdings bei
einem Vorstoß nahe Lussinpiccolo 3 der S-Boote durch Kompassfehler und folgende
Strandung verloren. Luftangriffe auf Pola führten zu weiteren Verlusten und Schäden.
Schließlich stimmte das Oberkommando der Wehrmacht am 16.März 1945 einem Verzicht
auf ein Behaupten von Pola als Kampffestung zu. Man hatte den geringer Wert einer
derartigen Maßnahme für die Landfront und den fehlenden Nutzen für die letzten
vorhandenen Marineeinheiten zur Kenntnis genommen.
Am 28.April 1945 wurde der R-Bootstützpunkt Pola geräumt, die restlichen R-Boote
verlegten nach Duino. Nur die S-Bootdivision blieb in Pola zurück und war dort noch beim
Wirksamwerden der Kapitulation der deutschen Südfront am 02. Mai 1945, nachdem
jugoslawische und neuseeländische Truppen sich bei Triest vereinigt hatten. Pola lag damit
abgeschnitten in der Tiefe. Am folgenden Tag verließen die 7 S-Boote der S-Bootsdivision
mit dem gesamten Personal des Stützpunktes an Bord Pola und liefen nach Ancona, wo die
Übergabe an britische Repräsentanten erfolgte. Damit war auch der Zweite Weltkrieg für Pola
zu Ende. – HP -
23
Anmerkungen zum Ersten Weltkrieg1
Felix Schneider
Sehr verehrter Herr General!
Liebe Festgäste!
Als ich Ende Jänner von meinem lieben Chef davon unterrichtet wurde, dass ich diesmal den
alljährlichen Festvortrag des Traditionstages zu halten hätte, war ich zuerst natürlich erfreut
über die mir dadurch zukommende Ehre. Als ich aber dann, so quasi im Nachsatz, vom
diesjährigen Thema unterrichtet wurde, schlief mir zunächst das Gesicht ein: „100 Jahre
Erster Weltkrieg“. Bevor ich noch etwas erwidern konnte, wie „Der Erste Weltkrieg in 20
Minuten? Guter Witz!“ oder auch nur ein „Sehr komisch“ hervorwürgen konnte, war mein
Chefauch schon fast zur Tür hinaus, drehte sich jedoch noch einmal um, um zu präzisieren:
„Und vergiss mir dabei ja die Stiftskaserne nicht!“ Dann war er weg. Und ich ebenso.
In 20 Minuten den Ersten Weltkrieg abzuhandeln plus Stiftskasernen-Exkurs, das schien ein
völlig unmögliches Unterfangen zu sein. In diesem Augenblick jedoch musste ich an die
Worte meines Vaters denken, der mir anno 1973 anlässlich unserer Übersiedelung von
Deutschland nach Österreich schon damals mit Augenzwinkern mitgeteilt hatte: „Mein Sohn,
wir befinden uns nun im Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten.“ Ich gebe zu, ich habe
damals als 11-jähriger noch nicht so recht verstanden, was er damit meinte, heute jedoch nach
40 Jahren… doch das ist eine andere Geschichte, die erzählen wir ein anderes Mal.
Unserem herrlichen Lande eingedenk, in dem Wunder alltäglich sind und eben nur ein
bisschen länger dauern, machte ich mich also guten Mutes ans Werk….
Das Ergebnis sei hier in den nun folgenden Anmerkungen zum Ersten Weltkrieg
zusammengefasst: (Sie sehen, ich ziehe mich jetzt bereits durch den Terminus
„Anmerkungen“ frech wie der brave Soldat Schwejk und galant wie ein k.u.k. Stabsoffizier
aus der Affäre. Denn: Anmerkungen sind immer gut. Bei diesen kann man immer so
wunderschön über andere meckern und Sie implizieren im Übrigen keine Vollständigkeit -
sonst wären sie ja keine Anmerkungen.
1 Vorliegender Beitrag ist die leicht gekürzte Version des anlässlich des Traditionstages am 14. Februar in der Sala Terrena der Landesverteidigungsakademie gehaltenen Vortrages.
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Da soll noch einmal jemand behaupten, ich hätte in 40 Jahren Österreich nichts gelernt.)
Ein Wiener Student hat es vor mittlerweile drei Jahren anlässlich eines Seminars über
Literatur im Ersten Weltkrieg geschafft, diesen Krieg in nur 8 Worten zusammenzufassen. Er
schrieb damals:
„Auto fährt falsch – 4 Jahre später = Millionen Tote“.
Für
• alle diejenigen unter Ihnen, die sich jetzt voreilig über diesen genialen Studenten
freuen, der es geschafft hat, den heutigen Festtag noch etwas festlicher – weil kürzer -
zu machen, indem er mit dürren acht Worten das sagte, was der olle Schneider hier
oben auch nicht in 80.000 auf die Reihe bekommen würde,
• all diejenigen, die jetzt nur noch auf die Bundeshymne und das alles erlösende „Das
Buffet ist eröffnet“ des Herrn General hoffen
• all denjenigen sei gesagt: Ich muss euch leider enttäuschen: Denn dieser namenlose
Student hat leider einen großen Fehler begangen: Er hat die Stiftskaserne nicht
erwähnt.
Und deshalb muss ich das jetzt tun.
Bis zum Sommer 1914 waren in der Stiftskaserne Teile des Infanterieregiments Nr. 39
stationiert, was insofern eine Besonderheit darstellte, als dass niemand geringerer als der
damalige Chef des Generalstabes, General der Infanterie Conrad von Hötzendorf, der Inhaber
dieses Regimentes war. Und noch eine Besonderheit sei hier erwähnt: Der spätere letzte
Kaiser der Donaumonarchie, Kaiser Karl I., war Kommandant eben eines Bataillons dieser
39er.
Im Sommer 1914 ging dieses Regiment direkt an die Front und die Kaserne wurde vom
Garnisonsspital Nr.1 (Akademietrakt) sowie später noch vom Reservespital Nr.2 belegt. Auch
die benachbarte Reitschule wurde in der Folge als Lazarett adaptiert. Neben diesen Einheiten
lagen des Weiteren Kräfte der Militärpolizei in der Stiftsgasse, auch wurde 1916 eine Garage
im Bereich des nördlichen Sappeurhofes eingerichtet. Das ebenfalls im oberen Akademietrakt
einquartierte Kriegsarchiv platze aufgrund des Platzmangels bald regelrecht aus den Nähten.
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Letzterem mussten notgedrungen Räumlichkeiten im Mosertrakt zugewiesen werden und
weitere Baracken wurden zu Lagerräumen umfunktioniert, um die Flut der zu archivierenden
Schriftstücke, die im Krieg naturgemäß eine besonders große ist, bewältigen zu können. Das
letzte Kriegsjahr sah die Stiftskaserne dann aufgrund der befürchteten zivilen Unruhen in
Wien als Zwischenstation zahlreicher Infanterieeinheiten, zunächst des Infanterieregiments
Nr.44, dann des 14.. Später kamen noch zwei Bataillone des Infanterieregiments Nr.37 hinzu,
in den letzten Kriegstagen gar noch Einheiten der 32. Infanteriedivision. Im März 1918
wurden überdies mehrere Räume des erwähnten Reserve-Spitals auch zur Unterbringung des
Kriegspressequartiers genutzt.
Zu den dürren 8 Worten des unbekannten Studenten plus Stiftskaserne seien mir an dieser
Stelle noch ein paar Anmerkungen gestattet.
„Auto fährt falsch“, hatte der junge Wiener Student 2011 niedergeschrieben. Tatsächlich bog
das Auto des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, das wir heute alle in den
Räumlichkeiten des Heeresgeschichtlichen Museums bewundern können, an jenem
schicksalshaften Veitstag, dem 28. Juni 1914, unweit der Lateinerbrücke in der bosnischen
Metropole Sarajewo falsch ab und musste anhalten, um zu reversieren. Diesen kurzen
Augenblick des Stillstands nützte der bosnische Nationalist und k.u.k.-Untertan Gavrilo
Princip für sein folgenschweres Attentat und feuerte aus kurzer Distanz zwei Schüsse auf die
Insassen ab.
Franz Ferdinand wurde bei dem Attentat in den Hals getroffen, seine Schlagader zerrissen.
Eigentlich war die zweite Kugel für den Gouverneur von Bosnien-Herzegowina,
Feldzeugmeister Oskar Potiorek, bestimmt, wurde aber durch den Rahmen der
Windschutzscheibe abgefälscht und traf die Gattin des Thronfolgers, Sophie, in den Unterleib.
Auch diese überlebte das Attentat nicht und verblutete.
Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers gilt gemeinhin als auslösender Moment des
Weltkrieges. Was uns aus dem Schulunterricht noch bekannt ist, folgt auf das Attentat der
tödliche Automatismus der europäischen Bündnisse. Dabei stehen die sog. Mittelmächte,
bestehend aus Österreich-Ungarn, dem Deutschen Kaiserreich und dem Osmanischen Reich
sowie Bulgarien auf der einen, der Entente, bestehend aus Frankreich, Großbritannien und
dem zaristischen Russland auf der anderen Seite gegenüber. 1915 gesellt sich noch Italien auf
die Seite der Entente, nachdem es britischen Unterhändlern gelungen war, durch
umfangreiche Zugeständnisse Rom (Stichwort Südtirol et al) zum Kriegseintritt gegen den
26
einstigen Alliierten Österreich-Ungarn zu bewegen. Der deutsche Bewegungskrieg im Westen
unter Verletzung der belgischen Neutralität erstarrt nach wenigen Wochen in einem
mörderischen Stellungskrieg, der bis Kriegsende auf beiden Seiten hohe Verluste, doch kaum
Geländegewinne bringt. Ab 1915 ist der Krieg ein Drama ohne Drehbuch. Im Osten scheidet
das zaristische Russland nach temporären Geländegewinnen in Galizien bedingt durch
militärische Erfolge der Mittelmächte sowie durch interne Revolution 1917 aus dem Krieg
aus und muss sich einem Friedensdiktat unterwerfen. Erst der Kriegseintritt der USA 1917,
ausgelöst durch den uneingeschränkten U-Boot-Krieg der deutschen Kriegsmarine und
verbunden mit der Anlandung von mehr als 1 Million ausgeruhter US-Soldaten in Frankreich
gibt den materiellen Ausschlag für die Entente und führt schließlich zur völligen
wirtschaftlichen und militärischen Erschöpfung der Mittelmächte sowie im November 1918
zum Kriegsende. Gekämpft wird in Europa, Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten genauso
wie in Asien und auf bzw. in den Weltmeeren. 70 Millionen Menschen stehen unter Waffen,
am Ende befinden sich 40 Staaten mit fast 1,4 Milliarden Menschen im Kriegszustand. 10
Millionen Soldaten und 7 Millionen Zivilisten sind als Opfer zu beklagen. Die Pariser
Vorortverträge ziehen nach der Kapitulation die europäischen Grenzen neu. Die
Donaumonarchie verschwindet als politisches Gebilde ebenso von der Landkarte wie das
Osmanische Reich. Beide Vielvölkerreiche zerfallen in zahlreiche Nachfolgestaaten. In
Russland übernehmen nach erzwungener Abdankung des Zaren die Bolschewiki unter dem
aus dem Schweizer Exil zurückgekehrten Wladimir Illjitsch Uljanow, genannt Lenin, die
Führung. Der Umgang mit den Besiegten nach dem Krieg (Stichwort Pariser Vorortverträge)
barg letztlich den Keim eines weiteren, noch schrecklicheren Konfliktes in sich.
„Vae victis“ – wehe den Besiegten – oder, wie der frz. Philosoph Michel Foucault 1975
bemerkte, “Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“:
Einer der Unterzeichner des Friedensvertrages mit Deutschland, der Brite Viscount Alfred
Milner,meinte damals dazu in Versailles: Dies sei ein Frieden, „um allen Frieden zu
beenden!“ und auch der frz. Marschall Foch kommentierte den Versailler Vertrag mit den
Worten: „Das ist kein Frieden. Das ist ein zwanzigjähriger Waffenstillstand.“ Es sollte ein
Krieg zur Abschaffung aller Kriege werden, wie der US-Präsident Woodrow Wilson
proklamierte „a war to end all wars“; Tatsächlich wurde es ein Vorhof zu einer weiteren
Hölle.
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Soweit, so schlecht unser plakatives Schulwissen.
Wie problematisch dieser kurze Parforceritt durch den Ersten Weltkrieg in vielerlei Hinsicht
für Historiker auch sein möge, er sollte in unserem Falle nur als Hintergrund dienen.Ich
möchte mich daher an dieser Stelle auch nicht weiter darüber auslassen, da jeder einzelne
Halbsatz, den ich eben so flapsig formuliert habe, wahrlich Stoff für ein eigeneshistorisches
Symposion abgäbe.
Ich möchte vielmehranhand einiger subjektiv gewählter Zeitbilder versuchen, Ihnen, sehr
verehrte Kolleginnen und Kollegen, kurze, blitzlichtartige Einblicke in völlig unterschiedliche
Themen der hochkomplexen Materie Erster Weltkrieg zu geben.
Bild eins:
Kriegsbegeisterung allerorten (?)
Zeit: Juli 1914
Ort: Wien, Kriegspressequartier; Kriegsministerium, Stubenring 1; ab 1918; Stiftskaserne,
Stiftgasse 2a:
Anwesende: Stefan Zweig, Rainer Maria Rilke, Alfred Polgar, Franz Werfel, Robert Musil,
Egon Erwin Kisch, Hugo von Hofmannsthal…. Die Liste ließe sich lange fortsetzen...
Diese Aufstellung der hier im Kriegspressequartier (zumindest temporär) tätigen Schriftsteller
liest sich tatsächlich wie das Who is Who der k.u.k.-Literatur- und Kulturszene.
Ihre Aufgabewar es, Kriegsbegeisterung zu erwecken, sprich: Propaganda zu betreiben (wenn
auch manch einer der hier Genannten während des Krieges seine Illusionen bald verlieren
sollte.)
Kriegsbegeisterung? Es gab sie, tatsächlich. Allein in England, das ja 1914 noch keine
Wehrpflicht hatte, meldeten sich innerhalb von wenigen Tagen nicht weniger als 3 Millionen
junger Männer zu dem Dienst mit der Waffe! (Die Hälfte von Ihnen wurde vertröstet und
sofort wieder nach Hause geschickt – verfügte man doch nicht annähernd über die
notwendigen Handfeuerwaffen und Ausrüstungsgegenstände.) Auch in anderen
(europäischen) Staaten spielten sich ähnliche Szenen ab.
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Trotzdem ist Vorsicht geboten! Warum? Wer waren die Begeisterten, wer bannte sie auf
Celluloid – und vor allem: wo waren jene, die einfach nur verzweifelt waren, weil sie bereits
ahnten, dass dieser Krieg möglicherweise nicht von jener kurzen Dauer sein würde, wie die
Militärs in den meisten Ländern nicht müde wurden, zu versichern? Wer zeigte die weinenden
Mütter, wer die verzweifelten Ehefrauen, wer die steinernen Gesichter derjenigen, die in den
Zügen saßen, die unter dem Gejohle der Daheimbleibenden die Heimatgarnisonen verließen.
„Auf zum Preisschießen nach Paris“ stand auf den Waggons zu lesen, oder „Freie Fahrt nach
Lüttich“. Für die meisten ihrer Insassen wurde es eine Fahrt in den Tod.
Es war eine Zeit sehr schmaler Informationskanäle. Kein Rundfunk, kein Fernsehen, alle
Medien zensuriert, alles Wichtige über Printmedien überliefert und auch diese waren streng
überwacht. Man sah und las das, was die Zensur wollte. Wenn wir uns also heute die Bilder,
Zeitungsberichte und gar erste Filmsequenzen über eben jene Sommertage und die damalige
Kriegsbegeisterung anschauen, so sollten wir kritisch bleiben. Denn diese Quellen sind oft
sehr einseitig.
Die Untertanen sollten an das glauben, was wir sahen und lasen und brav weiter
Kriegsanleihen zeichnen. Das war die Intention. Da störten Querschüsse und Querulanten,
kritische mediale Berichterstattung war gänzlich unerwünscht. Man sollte glauben, was man
mundgerecht aufbereitet am Zeitungskiosk geliefert bekam.Dazu kontrollierte Bilder unfreier,
weil staatlich gelenkter Medien.
Allein, was hat sich in kontrollierten Medien geändert? Aktuelles Beispiel von heute: Wir
sollen glauben, es entzündeten sich bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele 2014 in
Sotschi 5 Olympische Ringe. So wurde es uns zumindest vom russischen Fernsehen
suggeriert. Und zwar live! In Wirklichkeit entzündete sich der fünfte Ring aufgrund eines
technischen Gebrechens bei der Eröffnungsfeier nicht. Doch die russischen Medien hatten
vorgesorgt und einfach parallel eine Einspielung laufen lassen. Milliarden von Zuschauern
vor ihren Fernsehgeräten wurden getäuscht. Brave new world controlled by Vladimir Putin.
Von gezielter Desinformation und Schmähparolen über verunglimpfende Feindkarikaturen bis
hin zum Senfgastank: Wissenschaft im Dienste des Krieges hatte es schon immer gegeben.
Das hat freilich große Tradition: Von Archimedes über Leonardo da Vinci bis Robert
Oppenheimer – und diese kurze Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Doch noch niemals
zuvor in der Geschichte war Wissenschaft und Kultur so im Dienst des Krieges gestanden,
wie im Ersten Weltkrieg – und zwar weltweit. Der erste totale Krieg.
29
Oder: Umfassende Landesverteidigung anno 1914.
Bild 2:
Der kurze Krieg
Es war ein Krieg der Nationen, ein Krieg der vom eigenen Überlegenheitsgefühl und dem
Glauben an die Richtigkeit (und sogar Einzigartigkeit) der eigenen Weltanschauung geprägt
war. Es war ein Krieg des aufgepeitschten nationalen Gedankens ebenso wie der Revanche,
herrührend aus unzähligen Fehden vergangener Tage… Es war eine Zeit der Abrechnung und
der Versuch der Restauration einer Ordnung, die für viele aus den Fugen geraten war. Jetzt
sollte ein kurzer, mit ganzer Kraft geführter militärischer Schlag eben diese ganz subjektive
Ordnung wieder herstellen und die bösen Feinde der eigenen Welt ein für alle Mal in ihre
Schranken weisen. A War to end all Wars.
„Home by christmas“ hatte der englische König Georg versprochen, „Ihr seid zurück, ehe das
Laub fällt“ sein deutscher Verwandter Kaiser Wilhelm II.
Doch als das erste Laub fiel, lagen die deutschen Soldaten in ihren im Dreck erstarrten
Stellungssystemen in Flandern oder Frankreich einem ebenso erstarrten Feind gegenüber. Und
als der Weihnachtsabend vorüber war, waren die einzigen Briten, die nach Hause
zurückgekehrt waren, jene, die das in ihren Särgen getan hatten.
Man hatte an die Überlegenheit der eigenen Nation geglaubt, hüben wie drüben. Nun war man
erstarrt und gefangen zugleich in der „Blutpumpe“, die immer neue Opfer ansog.
Bild 3
Im Graben
Zeit: November 1915
Neue Waffen brachte dieser Krieg. Aber: Was war tatsächlich neu? Die meisten der nun
verwendeten Waffen hatten schon vor dem Ersten Weltkrieg existiert. Nur wurden ihre
technischen und taktischen Möglichkeiten grob unterschätzt oder in den Generalstäben
einfach ignoriert. Nicht eine einzige Doktrin des Jahres 1914 wurde etwa aufgrund der
mörderischen Defensivkapazität der nun flächendeckend zur Verfügung stehenden
30
Maschinengewehre revidiert. Als Ergebnis hielt der Tod bereits in den ersten Monaten
grauenvolle Ernte. Der bunte Rock wurde schnell feldgrau, man verschmolz mit der Erde, in
die man sich eingrub. Man lebte in Unterständen, zusammen mit Ratten. Man verkroch sich -
vor dem tagelangen Trommelfeuer und den gegnerischen Scharfschützen ebenso wie vor den
neuen Gefahren, die nun auch aus der Luft drohten. Schmerzlich musste man zur Kenntnis
nehmen, dass sich die Kriegsführung von „anno 70/71“, wie sie noch die Väter und Großväter
gekannt hatten, nun vollständig geändert hatte. Die technische Entwicklung der
Waffensysteme war schneller vorangeschritten, als die Fähigkeiten derer, die mit ihnen planen
mussten.
ANGRIFF!! Angriff um jeden Preis, war die Devise. Doch: Defensivwaffen wie das MG oder
der billige Stacheldraht, der selbst schlimmstes Trommelfeuer überstand, beherrschten nun
das neue Schlachtfeld: Nicht der schneidige Kavallerieangriff mit blankem Säbel sondern der
Spaten, mit dem man sich tief in den Schlamm eingrub, um den feindlichen Scharfschützen zu
entgehen, beherrschte die Szenerie.
Zur Veranschaulichung dieser „Knochenmühle“ ein kleiner Abstecher in die Literatur.
Ernst Jünger „In Stahlgewittern“ ; Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers. Auszug vom
21. November 1915:
Monchy-Lagache/ Departement Somme: Vom täglichen Stellungskampf
Ich führte eine Abteilung Schanzer von der »Feste Altenburg« in denAbschnitt C, von denen
der Landsturmmann Diener auf einen Vorsprung der Grabenwand stieg, um Erde über
Deckung zu schaufeln. Kaum war er oben, als ein aus dem feindlichen Laufgraben
abgefeuertes Geschoß quer durch seinen Schädel schlug und ihn tot auf die Grabensohle
warf. Er war verheiratet und Vater von vierKindern. Seine Kameraden lauerten noch lange
Zeit hinter den
Schießscharten, um Blutrache zu nehmen. Sie weinten vor Wut. Es istmerkwürdig, wie wenig
objektiv sie den Krieg auffassen. Sie schienen in demEngländer, der das tödliche Geschoß
abgefeuert, einen ganz persönlichenFeind zu sehen.
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Ganz nüchtern und objektiv geschildert, fast emotions-und mitleidlos mutet eines der
wichtigsten Zeitdokumente aus dem Grabenkrieg an der Westfront an. Ganz anders dagegen
der wohl berühmteste Anti-Kriegsroman aller Zeiten, der 1931 sogar für den
Friedensnobelpreis nominiert wurde: Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“. Die
Geschichte des einfachen Soldaten Paul Bäumler (hier im Zwiegespräch mit seinem älteren
Kameraden und Freund Stanislaus Katchinsky):
Paul: Was meinst Du, Kat, warum wir diesen Krieg führen?
Kat: Wir schützen unser Vaterland.
Paul: Und wofür kämpfen die Franzosen?
Kat: Die schützen auch ihr Vaterland!
Paul: Und wer hat Recht?
Kat: Der , der gewinnt!
Der Roman Remarques endet schließlich mit dem Tod des Romanhelden, nachdem dieser vier
Jahre dieser Knochenmühle entronnen war, nur wenige Tage vor dem Waffenstillstand:
„Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, daß
der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.“
Abseits von Fritz Fischers These der deutschen Hauptschuld am Krieg und der Gegenthese
des Australiers Christopher Clarke, der die Schuld gleichverteilt analysiert und den damals
Verantwortlichen eine Art politischer „Schlaftrunkenheit“ attestiert: Man hatte im Graben
nicht mehr den Feind zum Feind: Man hatte nur den Tod zum Feind. Oder, wie es der
britische Dichter Edmund Blunder auf den Punkt brachte: Keine Seite hatte den Krieg
gewonnen, noch konnte sie ihn gewinnen. Der Krieg hatte gewonnen.
Bild 4
Die letzte Attacke
Ort: Beerscheba, Palästina
Zeit: 31. Oktober 1917
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Die Briten erstürmten in jenen Herbsttagen des Jahres 1917 mit der australischen 4th Light
Horse Brigade und der britischen 5th Mounted Brigade unter General Edmund Allenby die
osmanischen Stellungen an der Südspitze Palästinas und überrannten sie. Damit war der Weg
nach Jerusalem frei. Niemandem war es damals wohl wirklich bewusst, dass es sich bei dieser
Attacke um die letzte erfolgreiche Operation eines großen Kavallerieverbandes in der
Militärgeschichte gehandelt hatte. Jene Waffengattung, deren Einsatz über Jahrhunderte
hinweg die Kriege entschieden hatte, war 1917- von den meisten unbemerkt - einfach von der
militärischen Bühne abgetreten. Ihren Platz nahmen nun die mechanisierten Streitkräfte, allen
voran der neue „Tank“, ein.
Bild 5
„Black Jack“
Zeit: Oktober 1919
Ort: Kongress, Washington D.C.
Ein Mann wird geehrt. Es ist der Oberbefehlshaber der US-Expeditionsstreitkräfte, John J.
Pershing, genannt „Black Jack“. Er ist der erste (und bisher einzige) lebende 6-Sterne General
der US-Army.
Ich erwähne Pershing nicht, weil er ein so begnadeter Militär war- das war er nicht.
J.J. Pershing steht stellvertretend für die erwachende Großmacht USA, für das beginnende
amerikanische Jahrhundert, für gleich zwei Weltkriege, die wirtschaftlich – und damit
letztlich militärisch – in den amerikanischen Rüstungsbetrieben entschieden wurden.
Pershing ist hier Synonym für eine zu Endegehende Epoche. John J. Pershing hatte sich seine
ersten militärischen Sporen noch in den Apachen-Kriegen des 19. Jahrhunderts verdient. Nun
hatten die frischen Truppen aus den USA unter seiner Führung einen Weltkrieg entschieden.
Dieser geballten Wirtschafts- und Militärmacht konnten die ausgepowerten Mittelmächte
1918 nichts mehr entgegensetzen. Nach dem Scheitern der letzten deutschen Großoperation
1918, der „Michael“-Offensive, und den darauf folgenden alliierten Gegenoffensiven musste
das Deutsche Reich im Herbst 1918 um Waffenstillstand ersuchen. Der Erste Weltkrieg war
zu Ende.
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Auch das „lange 19. Jahrhundert“ wardamit endgültig vorbei. Das kurze 20. Jahrhundert
wurde eingeläutet.
Bild 6
Gräber bis zum Horizont
Ort: Irgendwo zwischen Maas und Mosel
Zeit: Mai 1940: Vormarsch der Deutschen Wehrmacht nach Frankreich.
Deutsche Panzer stoßen in ihrem stürmischen Vormarsch auf britische zivile Handwerker. Es
sind Steinmetze, die damals, im Mai 1940, 22 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges,
noch immer Grabsteine für ihre gefallenen Kameraden anfertigen. Eine gespenstische,
irrationale Szenerie. Der Zweite Weltkrieg ist bereits in seinem zweiten Kriegsjahr und man
ist noch immer damit beschäftigt, die Gräber für die gefallenen Kameraden des Ersten
anzulegen…
Bild 7
Der nachhaltige Tod
Ort: Französisch- Flandern
Zeit: 1991
Bau der Hochgeschwindigkeitstrasse der französischen Staatsbahnen von Paris nach Brüssel:
Während der Arbeiten an der Trasse kamen insgesamt 31 Arbeiter durch explodierende
Granaten des Ersten Weltkrieges ums Leben. Für Menschen, die heute in Regionen leben, die
im Ersten Weltkrieg zentraler Kampfraum des jahrelangen Grabenkrieges waren, nichts
Ungewöhnliches. Insgesamt wurden an der Westfront während des gesamten Krieges ca. 700
Millionen Artilleriegranaten verschossen. Von diesen waren ca. 100 Millionen (15%)
Blindgänger. Von diesen nicht explodierten Granaten sind beileibe nicht alle nach dem Krieg
entschärft worden. Niemand weiß, wo und wann der nächste schwere Unfall passieren wird.
Seit 1946 haben allein 630 französische Pioniere bei Minenräumarbeiten ihr Leben gelassen.
Und ein Ende dieses blutigen Erbes ist nicht abzusehen…
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Bild 8
Der letzte Soldat
Zeit: Mai 2011
Ort: Perth, Australien
5. Mai 2011, FAZ: „„Einfach weiter atmen!“ So lautete Claude ChoulesRezept für langes
Leben.In der Nacht zum Donnerstag hat er nach 110 Jahren aufgehört zu atmen, der letzte
männliche Kriegsteilnehmer des 1. Weltkrieges ist tot. Der in Großbritannien geborene
Choules starb in einem Altersheim in der australischen Stadt Perth friedlich im Schlaf.
1915 war er einen Monat nach seinem 14. Geburtstag in die britische Marine eingetreten und
hatte gelogen, um Matrose werden zu können. Anlässlich seines 110. Geburtstages im März
erzählte sein Sohn Adrian, sein Vater habe den Krieg gehasst. Seinem Vater sei bei seinem
Eintritt in die Marine beigebracht worden, die Deutschen seien „Monster, schreckliche
Leute“. Schon bald habe er aber festgestellt, dass die Deutschen „genauso waren wie alle
anderen jungen Leute“. Choules war Augenzeuge der Selbstversenkung der kaiserlichen
Hochseeflotte im britischen Flottenstützpunkt Scapa Flow im Jahr 1919.“
War er wirklich der letzte?
Ich behaupte,
Ich, der ich heute vor Ihnen stehe, bin ein Überlebender des Ersten Weltkrieges. Und bevor
jetzt die üblichen blöden Witze über mein tatsächliches Alter die Runde machen und zur
allgemeinen Erheiterung beitragen, lassen sie mich kurz dieses Outing erklären:
Ich verdanke meine Existenz einer Kugel. Einer Gewehrkugel, genauer gesagt, abgefeuert von
einem unbekannten französischen Infanteristen im Herbst 1914 aus seinem Standard-
Infanteriegewehr Kaliber 8mm. Diese Kugel durchschlug bei einem deutschen Angriff
während der Dezemberschlacht in französisch-Flandern irgendwo im Niemandsland die Ferse
meines Großvaters Heinrich, der damals im 6. Badischen Infanterieregiment „Kaiser Friedrich
III.“ Nr. 114 diente, und machte ihn zum Krüppel. Ich stünde heute wohl kaum vor Ihnen,
hätte diese Kugel meinen Großvater nicht so schwer verletzt, dass er nicht mehr „vorne“
eingesetzt werden konnte und von da an dem Nachschub zugeteilt wurde. Denn seine Einheit
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sollte später nicht nur an der Ostfront verlustreiche Kämpfe bestehen, sondern 1916 auch vor
Verdun eingesetzt werden. Auch mein Großvater mütterlicherseits, Stefan, diente im Ersten
Weltkrieg, allerdings auf Seiten des deutschen Bundesgenossen Österreich-Ungarn als
Infanterieoffizier im k.u.k. Galizischen Infanterie Regiment "Jung-Starhemberg" Nr. 13. Trotz
mehrfacher Verwundungen überlebter auch er den Krieg.
Zum Abschluss aber raus aus der Melancholie!
Der mit Abstand berühmteste österreichische Soldat des Ersten Weltkrieges soll das letzte
Wort des heutigen Vortrages haben.
Bevor der brave Soldat Josef Schwejk an die Front abging, verabredete er sich, wie ja
allgemein bekannt, mit seinem alten Freund Woditschka noch „Nach dem Krieg um halb
sechs im Kelch“.
Schwejk, der in der Folge von der k.u.k. militärärztlichen Kommission endgültig und sogar
schriftlich für blöd erklärt wird, schlägt sich mit Bauernschläue, Frechheit und entwaffnender
Naivität durch den Krieg, rettet sich und seinen Leutnant aus haarsträubenden Situationen,
schließt mit den Russen gar einen privaten Separatfrieden und endet deshalb schließlich vor
dem k.u.k.- Exekutionskommando. Doch bevor das Urteil vollstreckt wird, ist der Krieg aus
und alle gehen nach Hause.
Und tatsächlich: "Nach dem Krieg um halb 6" sitzt Schwejk in Prag wieder in seinem
Stammbeisl „Zum Kelch“, zusammen mit seinem alten Freund Woditschka. Alles ist so wie
es immer war: Selbst der Polizeispitzel ist wieder da (wenn auch jetzt bereits in neuen
Diensten).
Woditschka hat im Krieg sein Bein verloren, die Donaumonarchie ist untergegangen, doch
der brave Soldat Schwejk hat sein geliebtes Prager Dunkelbier wieder und meint
melancholisch resümierend:
„Diesen Krieg werde ich wohl wochenlang nicht vergessen.“
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Die Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 – Eine Analyse der Ergebnisse und Ausblick
Gunther Hauser
Einleitung Am 25. Mai fanden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. EU-weit ist nach den Wahlen die Europäische Volkspartei (EVP) die stärkste Partei mit 213 Mandaten, gefolgt von den Sozialdemokraten (S&D) mit 190 Mandaten.1 Die EVP verlor 61 Mandate, die S&D sechs. Auf Platz drei kamen die Liberalen mit 64 Mandaten (-19 Mandate), danach die Grünen mit 53 Mandaten (-4), die Konservativen auf 46 (-11), die Linke auf 42 (+7), die Freidemokraten auf 38 (+7) sowie die Fraktionslosen auf 41 (+8). Neue Parteien damals ohne Fraktionszugehörigkeit erwarben 64 Mandate.2 Für die Wahlperiode 2009-2014 waren im Europäischen Parlament ursprünglich insgesamt 736 Abgeordnete vorgesehen, davon 99 aus Deutschland und fünf aus Malta, aus Österreich 21. Die Abgeordnetenzahlen gehen noch auf Artikel 190 (2) des EG-Vertrags in der Fassung des Vertrags von Nizza zurück. Gemäß den neuen primärrechtlichen Vorgaben auf der Grundlage des Artikels 14 (2) des EU-Vertrags in der Fassung des Vertrags von Lissabon ist die Zahl der Abgeordneten für das Europäische Parlament höchstens auf 750 Abgeordnete zuzüglich des Parlamentspräsidenten limitiert, jeder Mitgliedstaat darf mindestens sechs Sitze und kein Mitgliedstaat mehr als 96 Sitze für das Europäische Parlament bekommen: „Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt.“ (so Artikel 14 (3) des EU-Vertrags von Lissabon) Die erforderliche Anpassung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments an die vertraglichen Vorgaben von „Lissabon“ war primärrechtlich durch ein Protokoll zur Änderung des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen erfolgt. Demnach wurden bis zum Ende der Gesetzgebungsperiode 2009-2014 den 736 Sitzen insgesamt 18 Sitze hinzugefügt, wodurch die Gesamtzahl der Abgeordneten vorübergehend auf 754 erhöht wurde. Die 18 zusätzlichen Sitze konnten die begünstigten Mitgliedstaaten (darunter Österreich mit zwei zusätzlichen Abgeordneten) nach ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften besetzen, entweder in ad-hoc-Wahlen oder auf der Grundlage der Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament aus 2009 oder durch die Ernennung von Mitgliedern der nationalen Parlamente. Das Protokoll war nach erfolgter Ratifikation durch die damaligen 27 EU-Staaten am 1. Dezember 2010 in Kraft getreten. In Österreich wurde das Protokoll als „Staatsvertrag, durch den die vertraglichen Grundlagen der EU geändert werden“, gemäß Artikel 50 Abs. 1 Ziff 2 iVm Abs 4 B-VG genehmigt. Die Abgeordnetenzahl im Europäischen Parlament erhöhte sich nochmals durch die Aufnahme Kroatiens in die EU am 1. Juli 2013 um 12 Abgeordnete auf 766 Abgeordnete. Mit den Wahlen zum Europäischen Parlament vom 25. Mai wurde nun die Zahl der Abgeordneten auf das im Vertrag von Lissabon vorgesehene Niveau von 751 Abgeordneten gesenkt, 18 Abgeordnete kommen aus Österreich. Die stimmenstärkste Fraktion – im Fall der Wahlen zum Europäischen Parlament am 25. Mai die EVP – soll stellt gemäß dem Vertrag von Lissabon den EU-Kommissionspräsidenten. Gemäß EU-Recht nominieren die Staats- und Regierungschefs der Union den Kandidaten für den EU-Kommissionspräsidenten unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses, das Europäische Parlament stimmt dann anschließend über den Kandidaten ab. Dieser hat die Aufgabe, seinen
1 Michael Laczynski, Kampf um den Brüsseler Thron, in: Die Presse, 27.05.2014, S. 1. 2 Mandatare nach EU-Fraktionen, in: Die Presse, 27.05.2014, S. 4.
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Kommissaren die programmatische Richtung für die nächsten Jahre vorzugeben, seine Stellvertreter zu ernennen und auch – im Notfall – Kommissare zu entlassen, wie z.B. im Jahr 2012 den damaligen Gesundheitskommissar aus Malta, John Dalli, der damals über eine Korruptionsaffäre gestolpert war. Die Europäische Kommission darf als einzige Institution der Union Gesetze vorschlagen (Initiativrecht) und auch im Detail ausformulieren: Ein Gesetzgebungsakt der Union „darf nur auf Vorschlag der Kommission erlassen werden.“ (Artikel 17 EU-Vertrag von Lissabon). Das Europäische Parlament und der jeweilige zuständige Ministerrat (Rat) stimmen in der Regel lediglich über das Grundgerüst ab. Beispielsweise basierte jener Beschluss, konventionelle Glühbirnen aus dem Verkehr zu ziehen, auf der vom Rat und dem Europäischen Parlament beschlossenen „Ökodesign-Richtlinie“ – jedoch all jene Details über den zeitlichen Ablauf, die höchstzulässige Leuchtkraft usw. wurden später im Rahmen des sogenannten Komitologieverfahrens in der Europäischen Kommission erarbeitet.3 Die Amtszeit der Kommission beträgt wie jene des Europäischen Parlaments fünf Jahre. Der Sieg der Extremisten Die EU-Wahl resultierte in Siegen extrem-populistischer Parteien, wie in Großbritannien die United Kingdom Independence Party (UKIP): Mit 27,5% der Stimmen wurde erstmals seit über 100 Jahren nicht eine der beiden Traditionsparteien Konservative (23,9%) oder Labour (25,4%) stärkste Kraft. In Frankreich wurde der Front National (FN) stärkste Partei, mit 25% der Stimmen bei den EU-Wahlen erhebt der FN den Anspruch auf den Titel, „Frankreichs erste Partei“ (premier parti de France) zu sein.4 Die konservative UMP erreichte in Frankreich nur 21 Prozent der Stimmen, die Sozialisten stürzten auf 14 Prozent ab.5 In Dänemark wurde die Dänische Volkspartei mit 26,6% stärkste Partei.6 Das Lager der rechtsextremen und populistischen Parteien setzt in unterschiedlicher Intensität auf eine Anti-EU-Haltung, aber alle auf eine Stärkung des Nationalismus. Eine Fraktion bringt den Vorteil, dass die Abgeordneten mehr Einfluss und mehr Geld bekommen, zusätzliches Personal und Büros. UKIP und FN konnten große Erfolge vorweisen und jeweils Platz eins erringen, indem sie die etablierten Parteien verdrängten. Im neuen Parlament sind UKIP und FN jeweils mit 24 Abgeordneten vertreten.7 Die erforderliche Mindestzahl für eine Fraktion liegt bei 25 Abgeordneten. Aber diese müssen auch aus mindestens 7 EU-Staaten kommen. Wegen der starken Zersplitterung des rechten und rechtsextremen Lagers sowie der widersprüchlichen nationalen Interessen sind Zusammenschlüsse in diesem Bereich heikel. Mehrere extreme Fraktionen im EU-Parlament sind seit 1984 immer wieder zerbrochen. Gemäßigte EU-skeptische Konservative wie die britischen Tories oder die polnische Nationalpartei PiS scheiden als Partner für UKIP und FN aus, sie bilden mit 46 EU-Abgeordneten eine eigene Fraktion der „Konservativen und Reformisten“.8 Die FN-Vorsitzende Marine Le Pen präsentierte sich am 28. Mai mit weiteren vier Parteien – der FPÖ mit Harald Vilimsky, der niederländischen Freiheitspartei von Geert Wilders, dem belgischen Vlaams Belang (VB) und der Lega Nord aus Italien.9 Diese haben sich auf ein Bündnis geeinigt, das auf eine Rückkehr
3 Michael Laczynski, Die Angst vor dem starken Mann, in: Die Presse, 28.05.2014, S. 5. 4 Ein Sieg, der die „Insel“ für immer verändern könnte, in: Die Presse, 27.05.2014, S. 2; und Rudolf Balmer, Der entmachtete Präsident, in: Die Presse, 27.05.2014, S. 3. 5 Triple shock, in: The Economist, May 31st, 2014, S. 23. 6 André Anwar, Triumph des schicken „Saubermannes“, in: Die Presse, 27.05.2014, S. 3. 7 Thoma Mayer, Le Pen und Farage im Wettlauf um rechte Mandatare, in: Der Standard, 30.05.2014, S. 3. 8 Ebenda. 9 Ebenda.
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zu mehr nationaler Politik, auf Zerschlagung des Euro und die Wiedereinführung von Grenzkontrollen drängen will. Zwei Parteien, mit denen ursprünglich gerechnet wurde, standen diesem Zusammenschluss jedoch nicht zur Verfügung: die slowakischen Nationalisten verpassten den Einzug ins EU-Parlament, und die Schwedendemokraten sowie die Dänische Nationalpartei schlossen sich Nigel Farage an.10 Eine Kooperation mit dem ungarischen Jobbik und der griechischen Goldenen Morgenröte schloss Marine Le Pen aus. Beppo Grillo, der Chef der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung, kam auf 17 EU-Mandate.11 Die Fraktion „Freiheit und Demokratie“ von Farage könnte die Linksfraktion und die Grünen größenmäßig überholen. Aus dem Wahlergebnis ist nicht nur eine Europafeindlichkeit herauszulesen, da waren auch einige Denkzettel für nationale Regierungen enthalten. Die Extreme und Rechtspopulisten wollen zwar innerhalb einer gemeinsamen Fraktion agieren, können aber weder Gesetzesinitiativen einbringen noch Beschlüsse verhindern. So werden diese Parteien weniger Einfluss haben als befürchtet. Diese neue Fraktion ist ein völlig heterogener Block, der nicht in der Lage sein wird, einheitliche Standpunkte zu formulieren. Mehrheiten werden sich künftig weiterhin über Zusammenschlüsse der beiden größten politischen Lager ergeben. Cameron gegen Juncker Der Sieg der UKIP in Großbritannien bringt Premierminister David Cameron unter Druck: In seiner Europarede im Jänner 2013 hatte Cameron von der EU gesprochen, die zunehmend von den Bürgern als „etwas gesehen wird, was ihnen angetan wird, und nicht als etwas, was in ihrem Namen handelt“. Cameron will eine EU, die nicht mehr ist als eine riesige Freihandelszone, ein flexibles Netzwerk des Marktes, ohne viel politische Vertiefung. Nach der Bestellung von Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten am 27. Juni ist Großbritanniens Premier Cameron angeschlagen. Selten hat sich ein Regierungschef in eine derartig aussichtslose Lage manövriert wie Cameron. Anstatt Allianzen zu schmieden hatte Cameron auf Konfrontation gesetzt: „Er verstand offenbar nicht, dass sein Ton und seine Drohungen es den anderen EU-Führern viel schwerer gemacht haben, ihn zu unterstützen“, meinte Simon Tilford vom Londoner Centre for European Reform.12 Folglich wurde Juncker trotz weitgehender Vorbehalte durch Cameron noch mehr gefestigt: „Camerons Verhalten war enorm kontraproduktiv und hat den anderen in gewisser Hinsicht einen einfachen Ausweg geliefert.“13 Statt auf Sachargumente habe Cameron auf Kritik an der Person Juncker gesetzt: „Er spielte den Mann und nicht den Ball“, kritisierte Richard Whitman, Professor für Politikwissenschaft an der University of Kent.14 Cameron warnte sogar vor einem EU-Austritt Großbritanniens, falls Juncker neuer EU-Kommissionspräsident werden sollte, und qualifizierte Juncker ab: „Ein Gesicht der 80er Jahre kann nicht die Probleme der nächsten fünf Jahre lösen.“15 Die Wochenzeitschrift „The Economist” beschrieb diese Lage wie folgt: „As European Union leaders prepare to choose Mr Juncker as the next president of the European Commisson, blocking Mr Juncker has become a vital national interest for Britain´s David Cameron.”16 Getragen wurde auch Cameron zum Teil von der britischen Presse: „In the caricature of the British press, Jean-Claude Juncker is a dangerous, drunk, anti-British,
10 Ebenda. 11 Ebenda. 12 Gabriel Rath, „Dann sieht man ziemlich dumm aus“, in: Die Presse, 28.06.2014, S. 7. 13 Ebenda. 14 Ebenda. 15 Cameron droht mit EU-Austritt, in: Die Presse, 2.06.2014, S. 5. 16 The accidental president, in: The Economist, June 28th, 2014, S. 27.
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European arch-federalist, whose father was conscripted into the Wehrmacht.“17 Tim Bale, Professor an der Queen Mary University of London, meinte: „Erstens muss sich Cameron vor seinen EU-skeptischen Hinterbänklern als jemand zeigen, der einer Vertiefung der Union entgegentritt. Zweitens hält er Juncker für einen Föderalisten, während Cameron eine ganz andere Vision davon hat, wohin sich die EU entwickeln muss. Drittens hat er ursprünglich gedacht, er könne andere EU-Führer von seiner Sicht überzeugen. Viertens führt die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament weiter in Richtung Supranationalismus und damit weg von der von Großbritannien bevorzugten Regierungszusammenarbeit.“18 Anhänger sahen in Cameron eine Führungspersönlichkeit, Gegner sehen in seinem Konfrontationskurs zur gegenwärtigen EU einen Hang zur Selbstüberschätzung. Cameron selbst geht auch innenpolitisch hohe Risiken ein und polarisiert: ohne Cameron gäbe es kein Schottland-Referendum am 18. September, ebenso hat er betreffend EU-Mitgliedschaft seines Landes eine Volksabstimmung bis Ende 2017 in Aussicht gestellt. Cameron muss nun die EU-Gegner in seiner Fraktion noch mehr fürchten: „Er muss sich sorgen, dass eine Präsidentschaft Junckers für ihn noch schwerer machen wird“, so Tilford.19 Für die EU-Gegner ist „die Bestellung Junckers gegen den erklärten Willen des britischen Premiers ein klares Zeichen dafür, was von Neuverhandlungen zwischen London und Brüssel zu erwarten sei“, so Tilford. Camerons angebliche Drohung, dass eine Wahl Junckers die Austrittsstimmung in Großbritannien stärken werde, waren keine leeren Worte: „Die anderen Führer unterschätzen, wie europaskeptisch die Stimmung ist“, warnte Bale.20 „Wenn man den Macho spielt und dann nicht bekommt, was man wollte, sieht man ziemlich dumm aus.“, so Whitman. Aus der Downing Street hieß es am 27. Juni: „Wir werden das Ergebnis respektieren und weiter mit allen zusammenarbeiten.“21 Juncker wird EU-Kommissionspräsident Der mehrheitliche Einigungsprozess betreffend die Nominierung von Jean-Claude Juncker zum EU-Kommissionspräsidenten dauerte genau ein Monat. Während die EVP sich überraschend ziemlich uneinig auf eine mögliche Ernennung von Juncker zeigte, waren sich die Sozialdemokraten der EU nach Wochen einig, Juncker zu unterstützen, da erstens die EVP – obwohl deutliche Verluste – als stimmenstärkste Partei aus den EU-Wahlen hevorgegangen ist, und zweitens betonten die Sozialdemokraten, sie würden Juncker unterstützen, wenn dieser ein auch ein von den Sozialdemokraten akzeptables Programm für die nächsten Jahre präsentiere. Während des sogenannten „Mini-Gipfels“ am 9. und 10. Juni, einem informellen Treffen der vier Regierungschefs der EU-Länder Deutschland, Großbritannien, Niederlande und Schweden, am Landsitz der schwedischen Regierung in Harpsund, eskalierte zunächst die Debatte um die Nominierung von Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten: Während Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sich bei der gemeinsamen Pressekonferenz hinter Juncker stellte, erhöhte David Cameron seinen Widerstand gegen Juncker: „Als demokratisch gewählte Spitzenpolitiker in Europa sollten wir diejenigen sein, die entscheiden, wer sich für diese Institution bewirbt, anstatt einen neuen Ablauf zu akzeptieren, zu dem es niemals einen Einigung gab“, forderte Cameron mit Verweis auf den Vertrag von Lissabon.22 Cameron wurde in Harpsund noch von Schwedens Regierungschef Fredrik Reinfeldt und dem
17 Ebenda. 18 Gabriel Rath, „Dann sieht man ziemlich dumm aus“, in: Die Presse, 28.06.2014, S. 7. 19 Ebenda. 20 Ebenda. 21 Ebenda. 22 Anna Gabriel, Protest gegen Juncker wächst, in: Die Presse, 11.06.2014, S. 2 und 3, S. 2.
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niederländischen Regierungschef Mark Rutte unterstützt: beide sehen damals keinen „Automatismus“ hinter dem Wahlsieg Junckers und seiner Bestellung zum Kommissionspräsidenten: „Wir halten nichts davon, weil das alle anderen Kandidaten ihrer Aussichten beraubt und eine Vielzahl potenzieller EU-Chefs ausschließt“, ließ Reinfeldt wissen.23 Mit 26 zu zwei Stimmen hatten die Staats- und Regierungschefs der EU am 27. Juni schließlich dennoch den Spitzenkandidaten der EVP, Jean-Claude Juncker, für das Amt des Kommissionspräsidenten nominiert. Die restlichen Personalfragen sollen bei einem Sondertreffen am 16. Juli geklärt werden. Gegen den EVP-Spitzenkandidaten aus Luxemburg hatten David Cameron und Viktor Orbán gestimmt.24 Von einem „schwarzen Tag für Europa“ sprach Cameron im Anschluss an das Treffen. Cameron plant, mit Juncker nun ein korrektes „Arbeitsverhältnis“ herzustellen25 und ist dennoch zuversichtlich, da aus seiner Sicht der Rat für Juncker ein Arbeitsprogramm formuliert habe, das einige britische Forderungen enthalten soll – wie die Eindämmung des „Sozialtourismus“.26 Die nächste Etappe ist nun die Auswahl der geeigneten Kommissare, d.h. die Zusammensetzung der nächsten Kommission und des Führungspersonals in den anderen EU-Institutionen. Juncker hat dabei auf die geografische, politische und geschlechtspezifische Zusammensetzung der künftigen Europäischen Kommission zu achten. Folglich sollten sowohl Rat als auch das Europäische Parlament mit dem Ergebnis zufrieden sein. Am 1. Juli nominierte die österreichische Bundesregierung Johannes Hahn, den bisherigen Regionalkommissar, erneut zum Kommissar. Welches Ressort Hahn bekommen soll, bleibt noch offen.27 Präsident des Europäischen Parlaments wurde wieder wie zuvor Martin Schulz von der S&D. Am 1. Juli erhielt Schulz bei der geheimen Abstimmung im Straßburger Plenum 409 Stimmen – Sozialdemokraten und Europäische Volkspartei votierten für den Deutschen. Seine drei Gegenkandidaten hatten keine Chance: Sajjad Karim aus Großbritannien von der EU-kritischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer bekam 101 Stimmen, der spanische Links-Abgeordnete Pablo Iglesias erhielt 51 Stimmen, die österreichische Grün-Abgeordnete Ulrike Lunacek erhielt ebenfalls 51 Stimmen.28 Martin Schulz wurde als erster Abgeordneter zum Europäischen Präsident für das Amt des Parlamentspräsidenten wiedergewählt. In der EU gilt es vor allem, nun zügig die Union für die nächsten fünf Jahre auszurichten, d.h. die südeuropäischen Forderungen nach Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft mit dem britisch-skandinavischen Ruf nach Liberalisierung und Verschlankung der EU zu vereinbaren.29 Dazu bedarf es auch eines aufgeschlossenen Gesprächsklimas zwischen Cameron und Juncker Dr. Gunther Hauser ist Leiter des Fachbereichs Internationale Sicherheit am Institut für Strategie und Sicherheitspolitik der Landesverteidigungsakademie
23 Ebenda. 24 Michael Laczynski, EU-Kommission: Jean-Claude Juncker darf ans Werk schreiten, in: Die Presse, 28.06.2014, S. 7. 25 Ebenda. 26 Ebenda. 27 Die plötzliche Eile einer Nominierung, in: Die Presse, 2.07.2014, S. 5. 28 Martin Schulz kehrt an die Spitze des Europaparlaments zurück, in: Die Presse, 2.07.2014, S. 5. 29 Michael Laczynski, EU-Kommission: Jean-Claude Juncker darf ans Werk schreiten, in: Die Presse, 28.06.2014, S. 7.
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Datenänderungsblatt Verein der Freunde der Landesverteidigungsakademie
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Wir möchten unsere Mitglieder-/Interessentendatei auf den letzten Stand bringen und ersuchen Sie/Dich das ausgefüllte Formular zurückzusenden.
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Gesamtüberblick wissenschaftlicher Publikationen des BMLVS - ONLINE Auf der Website des BMLVS (www.bundesheer.at) finden Sie einen Überblick über die wissenschaftlichen Publikationen von Institutionen aus dem Ressortbereich. Im Hinblick auf kleine Dateigrößen (Downloadvolumen) wurden die Publikationen ihrem Inhaltsverzeichnis entsprechend in einzelne pdf Dateien (Beiträge) gesplittet. In der Ansicht "Beiträge" können sie nach den Kategorien Autor, Region und Thema filtern, die Ansicht "Schlagworte" ermöglicht ihnen die Suche mittels Schlagworten. Weitere Informationen zu den Unterrubriken erhalten Sie über „Hilfe“ Die auf dieser Website publizierten Beiträge geben die persönliche Meinung der Autoren wieder. Link: www.bundesheer.at Kontakt: Redaktion „ÖMZ" Landesverteidigungsakademie Stiftgasse 2a A-1070 WIEN Tel.: ++43-1-05020110 / 28901 Fax.: ++43-1-05020110 / 17108 Email: [email protected] Redaktion „TRUPPENDIENST" Amtsgebäude Stiftgasse 1070 Wien, Stiftgasse 2a Tel.: ++43-1-05020110 / 31 901 Fax: ++43-1-05020110 / 17 120 e-mail: [email protected] Zentraldokumentation & Information Landesverteidigungsakademie Stiftgasse 2a A-1070 WIEN Tel.: ++43-1-05020110 / 28600 Fax.: ++43-1-05020110 / 17109 e-mail: [email protected] Redaktion „Milizinfo“ BMLVS / Ausb A Tel.: ++43-1-05020110 / 22626
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1. Stv. des Vizepräsidenten: Obst Josef DANHOFER MSD 2. Stv. des Vizepräsidenten: Obstlt Michael HOFFMANN MSD 3. Stv. des Vizepräsidenten: ObstdhmfD Mag. Dietmar PFARR
Kassier: ObstdhmfD Mag. Ing. Klaus MAK 1. Beirat: Bgdr Mag. René SEGUR-CABANAC
2. Beirat: Bgdr iR. Mag. Horst WALTHER 3. Beirat: HR Univ. Doz. Dr. Erwin SCHMIDL
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ObstdhmfD Mag. Erich CIBULKA