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1 Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A. 1. Kurze Methodenlehre Philosophie Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A. Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 2 Was ist Philosophie? Erste Beobachtung (negativ) Im Unterschied zu den anderen Wissenschaften gibt es in der Philosophie keine allgemein anerkannte philosophische Methode. Zweite Beobachtung (negativ) Die Philosophie verfügt über keinen gesicherten Bestand an allgemein anerkannten Wissensbeständen, der sich in verbindlicher Weise in Lehrbüchern darstellen ließe. Dritte Beobachtung (negativ) Es gibt keine philosophischen Lehrbücher (allenfalls Einführungen in die Philosophie).

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Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A.

1. Kurze MethodenlehrePhilosophie

Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A.Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A.

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 2

Was ist Philosophie?

Erste Beobachtung (negativ)

Im Unterschied zu den anderen Wissenschaften gibt es in der Philosophie keine allgemein anerkannte philosophische Methode.

Zweite Beobachtung (negativ)

Die Philosophie verfügt über keinen gesicherten Bestand an allgemein anerkannten Wissensbeständen, der sich in verbindlicher Weise inLehrbüchern darstellen ließe.

Dritte Beobachtung (negativ)

Es gibt keine philosophischen Lehrbücher (allenfalls Einführungen in die Philosophie).

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Was ist Philosophie?

Vierte Beobachtung (positiv)

Während die üblichen Wissenschaften unhinterfragte Grundbegriffe voraussetzen (Zahl, Menge, Denken, Bewusstsein, Wahrheit, Materie, Teilchen, Zeit, Raum, Leben, Gegenstand, Eigenschaft) werden in der theoretischen Philosophie typischerweise grundsätzliche Fragen wie:

„Was gibt es überhaupt?“„Was ist Bewusstsein?“„Was ist Wahrheit?“„Was ist eine Zahl?“

usw. gestellt und zu beantworten versucht.NB: Auch Wissenschaftler stellen sich solche Fragen, doch wenn sie das tun, dann ändert sich typischerweise der Charakter ihrer Forschung und ihrer Methoden – sie betreiben Philosophie!

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Disziplinen der Theoretischen Philosophie

SprachphilosophieWas ist Bedeutung? Was heißt es, dass sprachliche Ausdrücke für etwas stehen? Ist das Sprechen ein Handeln?

ErkenntnistheorieWas ist Erkenntnis? Was ist Wahrheit? Was heißt es, dass eine Behauptung gerechtfertigt ist?

WissenschaftstheorieWas ist ein Gesetz? Was heißt es, eine Aussage oder Theorie zu bestätigen? Was sind Erklärungen? Was macht eine wissenschaftliche Theorie aus?

Ontologie und MetaphysikWas gibt es überhaupt? Was ist ein Ding, was eine Eigenschaft? Gibt es Ereignisse? Was ist Zeit, was ist Raum? Worin besteht Veränderung?

Philosophie des GeistesWas ist Bewusstsein? Was ist Denken? Ist eine neurophysiologische Erklärung des Geistes vollständig? Gehört der Geist zur Natur? Lässt er sich naturalisieren?

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Disziplinen der Praktischen Philosophie

Philosophische AnthropologieWas ist der Mensch? Was unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen?

EthikAn welchen Normen und Werten sollen wir unser Handeln orientieren? Was ist das Gute? Gibt es ein gutes Leben und worin besteht es?

Politische PhilosophieWarum soll es überhaupt so etwas wie einen Staat geben? Woher leitet er seine Autorität ab? Welche Herrschaft darf als legitim gelten?

RechtsphilosophieIst das geltende Recht legitim und begründet? Welchen Prinzipien hat es zu folgen? Gibt es überhaupt Recht und Unrecht? Was ist Gerechtigkeit?

SozialphilosophieWie sieht das richtige Zusammenleben der Individuen innerhalb einer Gesellschaft bzw. der Gesellschaften untereinander aus?

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Weitere Disziplinen der Philosophie

GeschichtsphilosophieHat die Geschichte einen Sinn? Worin besteht Fortschritt? Wie kann man historische Ereignisse erklären?

TechnikphilosophieIst es zulässig, alles technisch Machbare auch zu verwirklichen? Darf man die Natur verändern wie man will?

ReligionsphilosophieGibt es religiöse Erfahrungen? Was ist Gott? Was heißt es, an etwas zu glauben? Lässt sich ein solcher Glaube rechtfertigen?

ÄsthetikWas ist das Schöne? Gibt es Wahrheit oder Erkenntnis in der Kunst? Wodurch zeichnet sich ein Kunstwerk aus?

Philosophische LogikWas ist ein gültiges Argument?

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Was ist Philosophie?

Fünfte Beobachtung (positiv)

Ein Philosoph beschäftigt sich mit philosophischen Texten.

Welche Textelemente sind bei der Lektüre (Analyse) eines philosophischen Textes vorrangig zu beachten?

• Fragen / Problemstellungen Quelle der Forschung• Thesen (Antworten) Ziel der Forschung• Argumente (Begründungen) Methode• Begriffliche Unterscheidungen methodische Hilfsmittel• Definitionen (Präzision, Klarheit etc.)

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Was ist Philosophie?

Der „ideale“ Text

Frage

gefolgt von beantwortet

These

gefolgt von begründet

Argument

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Was ist Philosophie?

Philosophieren heißt:

1) grundlegende Fragen stellen;

2) Antworten auf diese Fragen geben;

3) Argumente vorbringen, die diese Antworten stützen können.

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 10

Kleiner Werkzeugkasten

Wegbereiter

Argumente (logische Analyse)

Indirekter Beweis

Begriffsanalyse

Explikation

Definition

Analogie und Metapher

Gedankenexperiment

Kritikmuster

Widerspruch

Paradoxie

Dilemma

Äquivokation

Petitio Principii

Infiniter Regress

Verlorener Gegensatz

Scheinbehauptung

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Wegbereiter

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 12

Argumente

Ein Argument ist die Stützung einer Überzeugung (Aussage, These, Annahme etc.) durch Gründe.Ein Argument besteht selbst aus einer Reihe von Aussagen.

Eine der Aussagen ist das, wofür argumentiert wird: technisch gesprochen die Konklusion.Die anderen Aussagen bestehen in der Angabe dessen, worauf sich diese Konklusion als Voraussetzung stützt (die Gründe): technisch gesprochen die Prämissen.

Prämisse 1: Mord ist moralisch unzulässig.Prämisse 2: Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist auch Abtreibung moralisch

unzulässig.Prämisse 3: Abtreibung ist Mord.Konklusion: Abtreibung ist moralisch unzulässig.

Ein Argument lässt sich auf zweierlei Weise bestreiten:1) Nachweis, dass es kein formal gültiges Argument ist. (Formfrage)2) Nachweis, dass eine der Prämissen falsch ist. (Tatsachenfrage)

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 13

Formale Gültigkeit

Wenn der Opponent alle Prämissen eines Arguments akzeptiert, dann ist er gezwungen, der Konklusion zuzustimmen, falls das Argument der Form nach gültig ist.

In unserem Beispielfall handelt es sich um ein gültiges Argument. Es hat die folgende Form:

Diese Argumentform hat den lateinischen Namen Modus Ponens.

Argumente

Wenn p, dann qpAlso: q

Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist Abtreibung moralisch unzulässig.Abtreibung ist Mord.Also: Abtreibung ist moralisch unzulässig.

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 14

Argumente

Formale Gültigkeit

Das Gegenstück zum Modus Ponens ist ein formal ungültiges Argument:

Wenn p, dann qqAlso: p

Prämisse: Wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann herrschen Ordnung und Gesetzmäßigkeit.

Prämisse: In der Welt herrschen tatsächlich Ordnung und Gesetzmäßigkeit.

Konklusion: Daher wurde die Welt von Gott erschaffen.

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 15

Argumente

Materiale Gültigkeit

Die formale Gültigkeit eines Arguments reicht noch nicht aus, um von einem erfolgreichen Argument zu sprechen. Die meisten – wenn auch nicht alle – Argumente sind formal gültig und dennoch nicht akzeptabel.

Was Sie jetzt noch tun können, ist die Wahrheit der Prämissen (der angegebenen Gründe) zu bezweifeln. Dieser Aspekt heißt materiale Gültigkeit.

Prämisse: Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist Abtreibung moralisch unzulässig.

Prämisse: Abtreibung ist Mord.

Konklusion: Abtreibung ist moralisch unzulässig.

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 16

Indirekter Beweisreductio ad absurdum

Bei einem indirekten Beweis wird eine Aussage argumentativ gestützt, indem gezeigt wird, dass aus ihrer Negation entweder ein logischer Widerspruch oder ein Widerspruch zu einer bereits anerkannten These folgt.

Wir wollen zeigen, dass nicht alle Menschen Griechen sind.

Annahme: Alle Menschen sind Griechen. (Negation unserer Aussage)Anerkannte Prämisse: Cicero ist ein Mensch.Konklusion: Cicero ist ein Grieche.

Weitere anerkannte These: Cicero ist kein Grieche (sondern Römer).

Widerspruch: Cicero ist ein Grieche und ist kein Grieche. (A und nicht-A.)

Konklusion des indirekten Beweise: Nicht alle Menschen sind Griechen.

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 17

Begriffsanalyse: Vagheit

Scharfe BegriffeDie Anwendung eines scharfen Begriffs führt bei jeglichen Objekten in der Regel zu eindeutigen Resultaten. (Wellenlänge, Ladung, logische Folge)

Vage BegriffeDie Anwendung eines partiell vagen Begriffs führt bei einigen Dingen zu eindeutigen, bei anderen zu mehrdeutigen Resultaten. („Tier“ in Bezug zu Mikroorganismen, „Haufen“, „rot“, ...)

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 18

Begriffsanalyse: Mehrdeutigkeit

Ein eindeutiger Begriff wir immer nur in einem Sinn gebraucht.

Ein mehrdeutiger Begriff hat in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Anwendungsfälle.

Mehrdeutiger Begriff mit gemeinsamen Kern („Mann“)

Mehrdeutiger Begriff mit disjunkten Anwendungen („Bank“, „Hahn“)

Mehrdeutiger Begriff mit partiellen Überschneidungen ohne gemeinsamen Kern („Spiel“)

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 19

Begriffsexplikationen

Begriffsexplikation: Übersetzung eines Begriffs aus einer weniger exakten Sprache in eine exaktere Sprache. (Herausgreifen einer – für den jeweils verfolgten Zweck – optimalen Anwendung eines zu explizierenden Begriffs.)

Ein Mann1 ist ein (i) menschliches Lebewesen;(ii) mit einem x- und einem y-Chromosomensatz.

Ein Mann2 ist ein (i) menschliches Lebewesen;(ii) mit einem x- und einem y-Chromosomensatz;(iii) das älter als 18 Jahre ist.

Ein Mann3 ist ein (i) menschliches Lebewesen;(ii) das älter als 18 Jahre ist;(iii) und typisch „männliche“ Wesenszüge aufweist.

Explikandum Explikat

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Begriffsexplikationen

Begriffsexplikation: Übersetzung eines Begriffs aus einer weniger exakten Sprache in eine exaktere Sprache. (Herausgreifen einer – für den jeweils verfolgten Zweck – optimalen Anwendung eines zu explizierenden Begriffs.)

Eigenschaften der Begriffsexplikation• Keine Identitätsbeziehung (Explikat ist verschieden vom Explikandum)• Explikation kann nie wahr oder falsch sein, sondern nur angemessen (adäquat) oder unangemessen (inadäquat)

Adäquatheitsbedingungen der Begriffsexplikation• Explikandum und Explikat müssen ähnliche (aber nicht identische) Anwendungsbedingungen besitzen.• Explikat muss exakter (eindeutiger, schärfer) als Explikandum sein• Explikat muss fruchtbarer sein (muss sich in Gesetzen verwenden lassen)• Explikat muss einfacher (leichter zu definieren) sein

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Definitionen

Um Mehrdeutigkeiten oder Missverständnisse zu vermeiden, definieren Philosophen ihre wichtigsten Begriffe. Eine Definition stellt eine Identitätsbeziehung zwischen einem zu definierenden Begriff (demDefiniendum) und einem oder mehreren anderen definierenden Begriffen (dem Definiens) her.

Defniniendum =def Definiens

„Ein Nephograph ist ein Gerät, das die verschiedenen Arten und die Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet.“

Definiendum: Nephograph

Definiens: Gerät, das die verschiedenen Arten und die Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 22

Definitionen

Nominaldefinitionen

Nominaldefinitionen sind konventionell eingeführte Abkürzungen. Der zu definierende Begriff wird relativ willkürlich gewählt. Nominaldefinitionen sind notwendig wahr. (true by convention)

„Ein Nephograph ist ein Gerät, das die verschiedenen Arten und die Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet.“

Realdefinitionen

Realdefinitionen beruhen auf wesentlichen Zusammenhängen zwischen demDefiniendum und dem Definiens. Der zu definierende Begriff besitzt schon vor der Definition bestimmte Anwendungsbedingungen, welche durch die Definition erst explizit gemacht werden sollen. Realdefinitionen können sich als falsch herausstellen. (true by the facts)

“Gold ist ein chemisches Element mit der Kernladungszahl 79.”

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Definitionen

Rekursive (induktive) Definitionen

In einer rekursiven Definition werden die Anwendungsbedingungen eines Begriffs dadurch bestimmt, dass ein korrekter Anwendungsfall aufgeführt und eine Regel festgelegt wird, durch die sich alle weiteren Anwendungsfälle bestimmen lassen.

Die rekursive Definition der natürlichen, ganzen Zahlen

Rekursionsanfang: 0 ist eine natürliche Zahl.Rekursionsschritt: Wenn N eine natürliche Zahl ist, so auch N+1.Rekursionsabschluss: Nichts sonst ist eine natürliche Zahl.

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Definitionen

Ostensive (hinweisende) Definitionen

Eine hinweisende Definition ist keine Definition im strengen Sinne. Man versteht darunter die Erklärung eines Begriffs durch das hinweisende Aufzeigen seiner Anwendungsfälle.

„Dies ist rot.“„Das dort ist ein Apfel.“

Eine ostensive Definition kann auch darin bestehen, dass auf abgrenzende Gegenbeispiele gezeigt wird:

„Das dort drüben ist kein Apfel. Das ist eine Birne.“

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 25

Analogien und Metaphern

Häufig werden in der philosophischen Argumentation Analogien oder Metaphern verwendet.

Das Grundmuster solcher Argumente ist die Proportionalanalogie:

a : b = c : d

Der Wert einer Analogie besteht darin, dass man bei Kenntnis von a, b und c auf d schließen kann.

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Analogien und Metaphern

Der menschliche Verstand (John Locke)Der menschliche Verstand ist eine tabula rasa (eine leere Tafel), auf die die Erfahrung ihren Bericht einschreibt.

leere Tafel : Beschreiben mit Kreide = Verstand : Erfahrungen sammeln

Seele und Staat (Platon)Für Platon besteht die Seele aus einer lenkenden Vernunft und den zu lenkenden Antrieben. Wenn wir annehmen, dass das Staatsvolk etwas ist, was gelenkt werden muss, dann kann ich vor dem Hintergrund dieses Modells der menschlichen Seele darauf schließen, dass es auch im Staat eine lenkende Instanz geben muss.

Antriebe : lenkende Vernunft = Staatsvolk : Herrscher im Staat

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Gedankenexperimente

Philosophen machen sehr häufig Gedankenexperimente. Sie beschreiben eine erfundene, nicht wirkliche Situation. Die Argumente, welche sich auf ein solches Gedankenexperiment stützen, haben einen besonderen Charakter:

1) Die Prämissen als auch die Konklusion haben einen kontrafaktischen Status: Wenn die Prämissen wahr wären, dann wäre die Konklusion wahr, falls es die beschriebene Situation wirklich gäbe.

2) Gedankenexperimente sprechen über Umstände, die in möglichen Situationen vorliegen würden. („Angenommen, die Welt wäre so und so, selbst dann müsste das und das gelten!“)

3) Die in Gedankenexperimenten ausbuchstabierten Möglichkeiten sollen zeigen, dass gewisse Sachverhalte notwendig (in allen möglichen / denkbaren Situationen) bestehen.

4) Gedankenexperimente decken notwendige Wahrheiten und Zusammenhänge auf, indem sie Umstände beschreiben, die möglicherweise der Fall sein könnten

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 28

Gedankenexperimente

Deus Malignus (René Descartes)

Es könnte sein, dass ein böser Gott (deus malignus) „bewirkt hat, dass es überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding, keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt, und dass dennoch dies alles genauso, wie es mir jetzt vorkommt, bloß da zu sein scheint.“ [René Descartes: Meditationes de Prima Philosophia]

Descartes fragt sich, ob es ein unerschütterliches Fundament der Erkenntnis gibt, welches unbezweifelbar gewiss ist. Erfahrungserkenntnis kann uns kein sicheres, über jeden Zweifel erhabenes Wissen verschaffen, da unsere Sinne uns täuschen können. Was wäre, wenn sie uns tatsächlich täuschen würden? Gibt es in dieser (kontrafaktischen, möglichen) Situation überhaupt noch etwas, das unerschütterlich gewiss ist?

Descartes Antwort: Es gibt dann immer noch die Selbstgewissheit des Denkens (cogito ergo sum). Diese Selbstgewissheit bildet das unbezweifelbare Fundament unseres Wissens, weil sie in allen nur denkbaren Situationen bestehen bleibt.

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Kritikmuster

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Widersprüche und Antinomien

Widerspruch: heißt eine Aussage der Form „A und nicht A“.

Inkonsistenz: Eine Menge von Aussagen heißt inkonsistent, wenn sie einen Widerspruch enthält, also z.B. zu einer Aussage der Form „A und nicht A“ führt.

Antinomie: heißt eine spezielle Art des logischen Widerspruchs, bei der die zueinander in Widerspruch stehenden Aussagen gleichermaßen gut begründet (bzw. im Fall formaler Systeme: bewiesen) sind.

Aus einem widersprüchlichen System von Aussagen ist jede beliebige Aussage ableitbar. (Ex falso quodlibet.) Es ist daher unbrauchbar.

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 31

Performativer Widerspruch

Einen performativen Widerspruch (Widersprüchlichkeit als Folge der Negation von Selbstbezüglichkeit) erhält man, wenn man eine auf sich selbst anwendbare Aussage negiert. Ein Beispiel für einen performativen Widerspruch ist das „Paradox“ des Eubulides:

Ist dieser Satz nun wahr oder falsch?a) Er ist genau dann wahr, wenn er falsch ist.b) Er ist genau dann falsch, wenn er wahr ist.

Die Annahme, dass jeder Satz wahr oder falsch ist, kann bei Sätzen, die selbst die Worte „wahr“ oder „falsch“ enthalten, zu Widersprüchen führen.

„Kann man diese Frage nur verneinen?“Ein Kreter: „Alle Kreter lügen.“„Kann Gott eine Schachtel erschaffen, von der er nicht weiß, was drin ist?“

Dieser Satz ist falsch.

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 32

Die vier Antinomien des reinen Verstandes (Immanuel Kant)

Erste Antinomie: Kosmologisches Raum-Zeit-Problem

These: „Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen.“

Antithese: „Die Welt hat keinen Anfang, und keine Grenzen im Raume, sondern ist, sowohl in Ansehung der Zeit, als des Raumes, unendlich.“

Zweite Antinomie: Unteilbarkeit oder unendliche Teilbarkeit der Materie

These: „Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts als das Einfache, oder das, was aus diesem zusammengesetzt ist.“

Antithese: „Kein zusammengesetztes Ding in der Welt besteht aus einfachenTeilen, und es existiert überall nichts Einfaches in derselben.“ (unendliche Teilbarkeit)

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 33

Die vier Antinomien des reinen Verstandes (Immanuel Kant)

Dritte Antinomie: Naturkausalität kontra Freiheit

These: „Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig.“

Antithese: „Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur.“

Vierte Antinomie: Zufall vs. absolute Notwendigkeit

These: „Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist.“

Antithese: „Es existiert überall kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt, noch außer der Welt, als ihre Ursache.“

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 34

Paradoxien

Ein Paradoxon oder Paradox ([alt]griechisch παράδοξον, von παρα~,para~ - gegen~ und δόξα, dóxa - Meinung, Ansicht), auch Paradoxie (παραδοξία) genannt, ist eine spezielle Art von Widerspruch.

Als Paradoxie wird eine wohlbegründete Aussage bezeichnet, die einer landläufigen, weit verbreiteten Meinung widerspricht, woraus sich aber keine echten internen logischen Schwierigkeiten ergeben. Der Widerspruch besteht hier zwischen einer Aussage, die aus einer Theorie folgt, und einer Aussage, die einer weit verbreiteten Auffassungwiderspricht.

Theorie Annahme ALandläufige Auffassung Annahme nicht-AWiderspruch A und nicht-A

Fazit: Die Theorie lässt sich nicht mit der weitverbreiteten Auffassung vereinbaren.

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 35

Paradoxien

Das Rabenparadoxon (Bestätigungsparadoxon)

Annahme 1: Das Gesetz „Alle Raben sind schwarz.“ wird durch schwarze Raben bestätigt.Annahme 2: Die Bestätigung eines Gesetzes hängt nicht von dessen Formulierung ab.

Eine andere Formulierung des Gesetzes „Alle Raben sind schwarz“ lässt sich durch die Kontraposition bilden, nämlich:

Annahme 3: „Alle nicht-schwarzen Gegenstände sind keine Raben.“

Schlussfolgerung der Theorie: Das Gesetz „Alle Raben sind schwarz“ lässt sich durch das Vorhandensein eines grünen Blattes bestätigen, denn dieses ist weder schwarz (sondern grün), noch ein Rabe.Landläufige Auffassung: Das Gesetz „Alle Raben sind schwarz“ lässt sich nicht durch den Verweis auf ein grünes Blatt bestätigen.

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 36

Dilemma

Gefangenendilemma

Ein Staatsanwalt schlägt zwei getrennt voneinander einsitzenden Untersuchungshäftlingen einen Handel vor. Ihnen wurde bereits eine kleinere Straftat nachgewiesen, aber eine weitere wird ihnen vorgeworfen. Nun bestehen die folgenden Alternativen:

a) Schweigen beide, werden sie nur für die nachgewiesene Straftat bestraft (z.B. ein Jahr).b) Gesteht aber einer die bislang nicht nachweisbare Haupttat, so geht er zur Belohnung straffrei aus, während der andere eine weitaus höhere Strafe erhält (z.B. 10 Jahre).c) Gestehen beide, dann erhalten beide eine hohe Strafe (z.B. fünf Jahre).

Das Paradoxe ist die Divergenz zwischen individueller und sozialer Rationalität: Es ist sozial rational, wenn beide Gefangene schweigen (und nur je ein Jahr absitzen müssen). Individuell rational ist es dagegen für jeden der beiden Gefangenen, ein Geständnis abzulegen, unabhängig davon, wie der andere sich entscheidet. Wenn der andere gesteht, ist es besser, auch zu gestehen. Wenn der andere schweigt, ist es auch besser, zu gestehen. Im Ergebnis erhalten beide eine Strafe von fünf Jahren.

Wie sollten sie sich verhalten?

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 37

Äquivokation

Eine Äquivokation liegt dann vor, wenn ein Wort in verschiedenen Kontexten unterschiedlich gebraucht wird.

Alle Menschen sind sterblich. Alle Griechen sind sterblich.Alle Griechen sind Menschen. Herakles ist ein Grieche.Also: Alle Griechen sind sterblich. Also: Herakles ist sterblich.

Die obigen Argumente sind deshalb ungültig, weil einer der Ausdrücke „unsauber“ (mehrdeutig) gebraucht wird.

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 38

Petitio Principii

Bei der Petitio Principii [lateinisch: „Forderung des Beweisgrundes“] handelt es sich um einen Beweis- bzw. Argumentationsfehler, der darin besteht, dass zum Beweis eine selbst erst beweisbedürftige Aussage verwendet wird.

Annahme 1Annahme 2 Annahme, die problematisch / begründungsbedürftig ist....

begründete These

Ein Sonderfall der Petitio Principii ist der Circulus Vitiosus (Zirkelschluss), bei dem man in einem Argument die Konklusion (das, was bewiesen werden soll) schon in den Prämissen (den Beweisgründen) verwendet.

Annahme 1Annahme 2 Annahme, die (offensichtlich / verdeckt) identisch mit der begründeten These ist....

begründete These

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 39

Petitio Principii

Humes Induktionsproblem als Petitio Principii

„Das früher verzehrte Brot hat mich ernährt, d.h. ein Körper von diesen sinnlichen Eigenschaften war zu dieser Zeit mit dieser verborgenen Kraft ausgerüstet; folgt aber daraus, dass ein anderes Brot, zu anderer Zeit, mich ebenfalls ernähren muss und dass die gleichen sinnlichen Eigenschaften mit gleichen geheimen Kräften immer verbunden sind? Diese Folge ist durchaus nicht notwendig; wenigstens muss man anerkennen, dass hier eine ... Schlussart besteht, die der Erklärung bedarf.“(David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand)

1. Annahme: In einigen Fällen habe ich die nahrhafte Wirkung von Brot erfahren.2. Annahme: Gleichartige Gegenstände haben immer gleichartige Wirkungen. (Petitio Principii)

begründete These: Jedes Brot hat eine nahrhafte Wirkung.

Mit welchem Recht können wir davon ausgehen, dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben?

Woher nehmen wir die Gewissheit, dass sich die Natur gleichförmig verhält?

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 40

Infiniter Regress

Eine unendliche Reihe ist eine Reihe, deren Endpunkt nie erreicht wird. Solche Reihen gibt es viele, z.B. die Reihe der positiven ganzen Zahlen: 1, 2, 3, ... Hierbei handelt es sich um einen harmlosen Regress.

Als einen infiniten Regress bezeichnet man in der Philosophie einen Beweis, bei dem es bei der Begründung der Beweisgründe zu einer immer wieder erneuten Anwendung desselben Beweises kommt, so dass eine unendliche Reihe der Beweisgründe entsteht. Zu einem schädlichen Regress kommt es dann, wenn:

Die Reihe der Beweisgründe zu keinem Ende gelangen kann.

Der Regress aus einer philosophisch interessanten These entsteht.

Der Regress für die Position, aus der er abgeleitet wird, eine Inkohärenz darstellt.

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 41

Infiniter Regress

Was ist eine freie Handlung?

1. These: Eine Handlung ist frei, wenn der Handelnde die Handlung will.2. These: Das Wollen besteht aus einem Willensakt (eine „innere“ Handlung).3. These: Ein Willensakt ist frei, wenn ...

Wenn das Wollen ein Willensakt und damit auch eine Handlung ist, dann stellt sich die Frage, inwiefern das Wollen (als Handeln) frei ist. Um von einer freien Handlung zu sprechen, muss diese nicht nur auf einem Willen als solchen, sondern auf einem freien Willen beruhen.

Regress: Eine Handlung ist frei gemäß Definition, wenn der Handelnde sie will. Ein Willensakt aber ist frei, wenn er gemäß Definition vom Handelnden gewollt wird. Der Akt des Wollens eines Willensaktes wiederum ist frei, wenn ... usw. usf.

SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 42

Verlorener Gegensatz

Ein verlorener Gegensatz liegt dann vor, wenn ich in einer Argumentation an einen Punkt gelange, an dem es keinen begrifflichen Unterschied mehr gibt.

Begriffsworte wie „rot“, „frei“, „materiell“ usw. charakterisieren bestimmte Gegenstände, denen sie zu- oder abgesprochen werden.

• Rote Gegenstände sind solche, die nicht blau oder grün sind.• Eine freie Handlung ist nicht unfrei oder vollständig determiniert.• Etwas ist materiell, wenn es nicht abstrakt oder geistig ist usw.

Wenn wir nun den Anwendungsbereich eines Prädikats so erweitern, dass wir solche Unterscheidungen nicht mehr treffen können, dann bricht die prädikative Funktion von Begriffsworten zusammen.

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SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 43

Scheinbehauptungen

In meiner Armbanduhr sitzt ein Dämon. ... Man kann ihn nicht sehen oder auf sonstige Weise sinnlich wahrnehmen. Seine Entfernung würde die Funktion der Uhr nicht beeinträchtigen. Es lässt sich kein Unterschied angeben zwischen einer Armbanduhr, in der ein Dämon sitzt, und einer solchen, in der keiner sitzt.

Diese Behauptung• lässt sich prinzipiell nicht verifizieren oder falsifizieren.• ist nicht kritisierbar.• ist weder kohärent noch inkohärent, da sie mit keinen weiteren Behauptungen in Beziehung steht.

Es handelt sich um eine Scheinbehauptung!

Sie ist leer und bedeutungslos.Sie besitzt weder positive noch negative Konsequenzen.Wir können sie ohne Verlust aufgeben.

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Kritikmuster

Widerspruch: Zwei Annahmen widersprechen sich, d.h. sie haben die Form „A und nicht-A“.

Inkonsistenz: Aus den Annahmen einer Theorie oder eines Überzeugungssystems lässt sich ein Widerspruch ableiten.

Paradoxie: Aus den Annahmen einer Theorie oder eines Überzeugungssystems folgen nicht hinnehmbare oder kontraintuitiveKonsequenzen.

Dilemma: Eine Situation besitzt zwei Wahlmöglichkeiten, welche aber beide zu nicht hinnehmbaren Konsequenzen führen.

Petitio Principii: Bei der Begründung einer Aussage wird etwas vorausgesetzt, das selbst begründungsbedürftig ist.

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Kritikmuster

Circulus Vitiosus: Bei der Begründung einer Aussage wird das vorausgesetzt, was bewiesen (begründet) werden soll.

Infiniter Regress: Die Begründung einer Aussage beruht auf Prämissen, die denselben problematischen Status besitzen, wie die zu beweisende Aussage.

Äquivokation: Bei der Begründung einer Aussage wird mindestens einer der verwendeten Ausdrücke unsauber (mehrdeutig) gebraucht.

Verlorener Gegensatz: Mindestens einer der in einer Argumentation verwendeten Begriffe ist leer und damit unbrauchbar.

Scheinbehauptung: Es wird etwas behauptet, das weder kritikfähig ist noch irgendwelche Konsequenzen besitzt.

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Zusammenfassung

• Philosophen stellen Fragen.

• Philosophen prüfen Intuitionen auf ihre Konsistenz. (Widerspruchsfreiheit)

• Philosophen stellen Thesen auf und stützen diese durch Argumente.

• Philosophen führen grundlegende Unterscheidungen ein und definieren ihre Begriffe.

• Philosophen prüfen die Argumente anderer kritisch.

• Philosophen fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit eines bestimmten Gegenstandsbereichs. (Gedankenexperimente)

• Philosophen stellen Vergleiche an. (Analogien und Metaphern)

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Zusammenfassung

Ziel der Philosophie

Hinterfragen des Unhinterfragten und kritische Prüfung von Argumenten

Philosophischer Handwerkskasten

KritikmusterWiderspruchÄquivokationPetitio PrincipiiInfiniter RegressScheinbehauptungParadoxie...

WegbereiterLogische AnalyseGedankenexperimentMetapher und AnalogieDefinition...

Disziplinen der Philosophie

Sprachphilosophie (Bedeutung)

Wissenschaftstheorie (Gesetz, Erklärung)

Ethik (das gute Leben)

Ontologie (Sein, Existenz, Möglichkeit, ...)

Politische Philosophie (Staat)

Ästhetik (das Schöne)

Religionsphilosophie (Gott)

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