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1 Projekt SUMAS Gesundheit statt Arbeit ? Chancen und Grenzen der Gesundheitsförderung für ältere Erwerbslose Dr. Peter Kuhnert Lehrstuhl für Theorien und Grundlagen der Organisationspsychologie, Universität Dortmund

1 Projekt SUMAS Gesundheit statt Arbeit ? Chancen und Grenzen der Gesundheitsförderung für ältere Erwerbslose Dr. Peter Kuhnert Lehrstuhl für Theorien

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Projekt SUMAS

Gesundheit statt Arbeit ?Chancen und Grenzen der

Gesundheitsförderung für ältere Erwerbslose

Dr. Peter Kuhnert

Lehrstuhl für Theorien und Grundlagen der Organisationspsychologie, Universität Dortmund

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Projekt SUMAS

Inhalte

1. Situation von älteren Arbeitslosen in Deutschland

2. Qualifizierungschancen von älteren Arbeitslosen

3. Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung

4. Individuelle Hürden für ältere Arbeitslose

5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose

6. Fazit

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1. Situation von älteren Arbeitslosen in Deutschland

• April 2006: 4,79 Mio. Menschen in Deutschland sind als arbeitslos registriert (11,5%)

- 3,2 Mio. Arbeitslose in Westdeutschland – 358.000 Stellenangebote

- 1,6 Mio. Arbeitslose in Ostdeutschland – 108.000 Stellenangebote

• 25,6% der Arbeitslosen sind 50 Jahre und älter

• Seit 2001 verliert die Deutsche Wirtschaft jährlich 100.000 versicherungspflichtige Vollzeitstellen vor dem Aufschwung!

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1. Situation von älteren Arbeitslosen in Deutschland

• mindestens 30% der Arbeitslosen von physischen und

psychischen Einschränkungen betroffen (BA)

• Langzeitarbeitslose sind stärker beeinträchtigt

z.B. Burn-Out-Phänomen:

häufiger bei Arbeitslosen (41%) als

bei der Gruppe der Angestellten im öffentlichen Dienst (6,5%) (1)

• Studien der Universität Dortmund weisen Zahlen von 40-50% nach (2)

(1) Wüstner, 2005 (2) Kuhnert & Kastner, 2006

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(1) Keuler, 2005(2) Naegele & Reichert, 2005(3) Bäcker, 2003

1. Situation von älteren Arbeitslosen in Deutschland

• Nur die Hälfte der Unternehmen stellt ältere Leute (50 Jahre +) ein (1)

• Immer noch Trend sehr früh in Rente zu gehen und eine starke “Jugendorientierung” (2)

• Widerspruch zwischen offiziellen “älteren-freundlichen” Positionen und der konsequenten Ausgrenzungsstrategie der Unternehmen (3)

• Bis heute tragen nur wenige Projekte zu einer Verbesserung der Anstellungsmöglichkeiten für Ältere bei (4)

• 50-60-jährige Langzeitarbeitslose erreichten im Modellprojekt eine Wiedereinstellungsrate von 24% - verglichen mit der Gruppe (nur 5%), die “offiziellen Weg” benutzte, (5)

(4) Eichenhorst & Sproß, 2005(5) Bröker & Schöning, 2005

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2. Qualifizierungschancen von älteren Arbeitslosen

• Eine Studie mit 20.000 Arbeitslosen zeigt:

40% der Arbeitslosen brauchen Schuldnerberatung

ca. 30% eine intensive Gesundheits- und Familienberatung

20% haben unzureichende Kenntnisse im Schreiben, Lesen und Rechnen

• Nach SGB II sollen Langzeitarbeitslose Qualifizierungsmaßnahmen innerhalb ihrer Arbeitsmöglichkeiten erhalten – bis jetzt kaum realisiert

(1) Schwendy, 2004

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2. Qualifizierungschancen von älteren Arbeitslosen

• Das IAB fand heraus, dass langfristige Qualifizierungsmaßnahmen

die Integration in den ersten Arbeitsmarkt verbessern

die Chancen erhöhen eine neue Anstellung zu erhalten oder die Beschäftigung beizubehalten.

• Nicht nur IAB Studien, sondern auch internationale Studien

(z.B. Österreich) zeigen, dass nur langfristige Weiterbildung und weitergehende Trainings positive Effekte zeigen.

• Ausführliche Evaluationsstudie des IAB weist das Fehlen von positiven Effekten der meisten Qualifierzungsprogramme auf (1)

(1) Lechner, Miquel & Wunsch, 2005)

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2. Qualifizierungschancen von älteren Arbeitslosen

1€-Jobs als Arbeitsmöglichkeiten nehmen stark zu:

• 2005: nur 62.000 Zugänge in berufliche Weiterbildungen, aber 595.000 AGH (Arbeitsgelegenheiten 1€-Jobs)

• Bieten weniger Chancen der Wiedereinstellung auf dem Ersten Arbeitsmarkt

• Im ersten Vierteiljahr 2006 kamen 2,86 Mio. € Kosten für den Bund auf Grund von Sozialgerichtsprozessen zu

• Kunden mit den schlechtesten Integrationschancen und damit höchsten Betreuungsbedarf werden von der BA nur wenig unterstützt

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3. Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung

• Evidenzpostulat der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsforschung wissenschaftlich nicht ausreichend begründet (Kirschner & Elkeles, 2006), trotzdem Boom entsprechender Evaluationen “mehr evaluiert als implementiert?“

• Risiko des Scheiterns von Interventionen durch suboptimale Implementations- und Durchführungsbedingungen

• Nicht-Überzeugung und Demotivation von Interventoren und Klienten

• Risiko des Scheiterns zu hoch (organisatorische Umbruchphase, schwierige Vermittlungsarbeit, hohe Arbeitsbelastungen) -> Job Center als Interventionsort ungeeignet (Kirschner & Elkeles, 2006)

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3. Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung

• Unzureichende Beratungsstrukturen: soziale Ausgrenzungsprozesse und chronische Erkrankungen werden meist nicht gestoppt (Kuhnert & Kastner, 2006, Kirschner & Elkeles 2006).

• Deutschland belegt im internationalen Vergleich bei der Reintegration nach Langzeitarbeitsunfähigkeit den letzten Platz (Weber, 2005)

• In Deutschand fehlen:

– trägerübegreifende Case- und Diseasemanagements für Suchtgefährdete und Suchtkranke (Toumi, 2005)

– Alltagstaugliche Konzepte für ein „gesundheitsintegratives Fallmanagement“ (Pröll, 2006)

– Psyochosoziale Hilfestellungen in unabhängigen Arbeitslosenberatungsstellen (Leuther & Breig, 2006)

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3. Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung

• Popularität Thema „Arbeitslosigkeit und Gesundheit“→ schwierig eine realistische Einschätzung der Chancen einer Gesundheitsförderung für arbeitslose Menschen

• Angesichts von Vielzahl und Komplexität von sozialen Problemlagen tritt Gesundheitsbedarf in den Hintergrund

• „Obwohl Langzeitarbeitslose kaum an freiwilligen Angeboten interessiert zu sein scheinen, erklärten sich 58,7% bereit in einer gesundheitsbezogenen Gruppe mitzumachen, die sich untereinander hilft (Studie Universität Dortmund, Kuhnert 2005b)

• Bestehende Programme der Primärprävention bei sozial benachteiligten Patienten deutlich weniger effektiv (Stock & Redaelli 2004)

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3. Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung

• Interventionen müssen optimiert werden (Kirschner& Elkeles (2005):

• Arbeitslose erweisen sich als besonders interventionsresistente Gruppe

• Keine signifikanten Verbesserungen in der Dimensionen „Subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes“ und „Psychosoziale Beschwerden

• Aber: signifikante Verbesserungen bei den Variablen Sport und Ernährungsverhalten (Einzelitemebene!)

• Landesgesundheitskonferenz NRW (2006) empfiehlt: Gesundheitsförderungsmaßnahmen durch Weiterentwicklung des Ansatzes (z.B. Modellprojekt „Job Fit regional“) verbreitern

• Zweifel an der Erreichung größerer Zielgruppen allein über die Teilnahmemotivation und ausschließlich auf JobCenter bezogenes Setting (Kirschner & Elkeles 2006)

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4. Individuelle Hürden für ältere Arbeitslose

Stressor I : Einsamkeit oder „belastende Familie“:

• Wohlbefinden und Gesundheit hängen von der sozialen Unterstützung des Partners ab

• 55% der Arbeitslosen und 20% der instabil Beschäftigten leben ohne Partner (Kuhnert et al., 2004)

aber: 50-60% der Männer erleben die familiäre Situation als belastend

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4. Individuelle Hürden für ältere Arbeitslose

Stressor II: Schlechte psychische Befindlichkeit und Lebensqualität:

Komplexe psychische Befindlichkeitsstörungen bei arbeitslosen Teilnehmenden (Kuhnert, 2005):

• Angstzustände (32%)

– Traurigkeit (30%)

– Hilflosigkeit (44%)

– Antriebslosigkeit (54%)

– Ärgergefühle (34%)

– Rumination (38%)

• 68% der Arbeitslosen waren mit ihrer Lebenssituation sehr unzufrieden

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4. Individuelle Hürden für ältere Arbeitslose

Stressor III: Krankheits(verhalten) (arbeitsloser Männer)

„Schmerzen statt Arbeit?“:

• Leidengeschichten: gegenständlich und körperdistanziert

• Verklärung: zahlreiche Erkrankungen, trotzdem „in guter Gesundheit“

• körperliche Vorgänge: mechanistische Abläufe

(wie ein Auto, das nicht mehr funktioniert)

• höhere Risikobereitschaft und wenige Kontakte mit dem Medizinsystem

Gespräche in Arztpraxen zwischen männlichen Ärzten und männlichen Patienten am kürzesten

(Meryn, 2005)

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5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose

• Fremd- wie Selbststigmatisierungen auflösen und zu selbstverantwortlichen, sozialkompetenten wie gruppenorientierten Verhalten ermutigen

• Problemberge und Problemketten auf “verarbeitbares Maß” reduzieren, um Instrumente wie z. B. Fallmanagement zu verstärken

• Gruppenorientiertes Empowerment Mut für neue Sichten beruflicher und privater Probleme

• Extrem reduzierten „Möglichkeitsraum“ erweitern durch gemeinsames „Suchen und Entdecken“

• Langjährige ungelöste Problemlage „verstummen“, Klageritual („Runterzieher“ mit geringster soz. Unterstützung) aufbrechen mit: Empowermentorientierte Narration („Worte für eigene Geschichte“)

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5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose

• Präventive Angebote für (Langzeit) Arbeitslose müssen für unterschiedliche Lebensplankonzepte konzipiert werden.

• folgende Prämissen einer salutogenetisch orientierten Gesundheitsförderung wichtig:

• -Anerkennung und Wertschätzung der Person und ihrer Lebenswelt

• -Positive Gesundheitsziele formulieren, aber nicht als absolute und statische Zielgrößen

• -Krisenbewältigung und Ressourcenaufbau als Basis für Gesundheitshandeln in Mittelpunkt stellen (psychosoziale Stabilisierung)

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5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose

gemeindepsychologische Orientierungen können wieder „Lebensfreude und Zuversicht“ herstellen, kombiniert mit GF Teilnehmende signifikant bessere psychosoziale Befindlichkeit (Collins & Benedict, 2006; Yaggy et al., 2006).

Ähnliche Ergebnisse in einem gemeindeorientierten Bewegungsprogramm in San Francisco (Stewart et al., 2006).

die Auftretenswahrscheinlich für eine Krankheit war geringer, wenn die Existenz nicht dauernd bedroht und die soziale Einstellung von Nachbarn und Freunden nicht verurteilend und ausgrenzend war (Starrin & Jönsson, 2006)

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5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose

bei 50 bis 65jährigen Arbeitslosen, die eine bisher vernachlässigte Zielgruppe sind (siehe Klein & Semman i.d.B.) kann mit Prävention die Altersmorbidität deutlich (bis zu 10 Jahren) hinausschieben (Altgeld et al., 2006, S. 21).

Für ältere Arbeitslose, die bislang überproportional in Gesundheitssportprogrammen unterrepräsentiert sind (Tiemann, Brehm, & Sygusch, 2002)

z.B. erfolgreich evaluierte Angebote wie „KokoSpo“ (Kooperatives Konzept Gesundheitssport), die speziell für Personen mit bewegungsarmem Lebensstil entwickelt wurden (Tiemann, Brehm & Sygusch, 2003).

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5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose

wichtig mehr konkrete Schritte der Alltagsbewältigung, z.B. Einsatz von Tauschringen (Krebs, 2005) zum Aufbau eines stabilen, positiven Selbstwertgefühls bei Arbeitslosen (Potreck-Rose & Jacob, 2003).

Nachgewiesene protektive Faktoren gegen psychische Erkrankungen wie verlässlich erlebte soziale Unterstützung, gute soziale und kommunikative Kompetenzen, Optimismus und Humor und Sinnerleben (Southwick et al., 2006) in „gebündelter Form“

in gesundheitsorientierten Gruppenberatungskonzepten mit Arbeitslosen umsetzen (Kuhnert & Kastner, 2006)

eingeschränkt Arbeitsfähige in GB in „Condition Management Programm“ zwecks Lösungen für spezifische gesundheitliche Probleme (Konle-Seidl & Lang, 2006).

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6. Fazit

• Mehrkomponenten und Mehrebenen-Programme

+ Individuelle und lebensnahe Beratung

+ Wahlmöglichkeiten für Teilnehmende

-> Bieten höhere Erfolgchancen für ältere Erwerbslose mit hohen Gesundheitsrisiko

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Vielen Dank

für

Ihre Aufmerksamkeit!