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13. MTZ-KONFERENZ VIRTUAL POWERTRAIN CREATION Künftig muss der Antriebsstrang verstärkt schon in der Entwick- lungsphase mit Blick auf das Gesamtfahrzeug betrachtet wer- den. Dabei nehmen Simulationen eine zentrale Rolle ein, denn nur mit ihrer Hilfe können Ver- brennungsmotoren wirtschaftlich weiterentwickelt und alternative Antriebe zur Großserienreife ge- bracht werden. Wie die Lösungen von Automobilherstellern, Zuliefe- rern sowie Entwicklungsdienstleis- tern für die daraus resultierenden Herausforderungen aussehen, zeigte sich am 8. und 9. Dezember 2011 während der 13. Interna- tionalen MTZ-Konferenz Virtual Powertrain Creation in Unter- schleißheim. SIMULATION: WEGBEREITER FüR KüNFTIGE ANTRIEBE Simulationen sind ein wichtiges Ent- wicklungswerkzeug, um den Antrieb an die ständig steigenden Emissions- und Effizienzanforderungen anzupas- sen. Doch wie sieht der Fahrzeugan- trieb des Jahres 2020 überhaupt aus, und auf welche Entwicklungen müs- sen sich die Ingenieure einstellen? Professor Christian Beidl von der Technischen Universität Darmstadt zeigte in seinem Plenarvortrag, dass die Antriebsentwicklung, wie wir sie heute kennen, kein Auslaufmodell ist. Prognosen zur Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen im Jahr 2020 reichen laut Beidl je nach Quelle von 3 bis 80 %. Realistisch ist in seinen Augen eine Studie von Roland Berger, die 2020 maximal 5 % Marktanteil für Elektrofahrzeuge ausweist. Allerdings gibt es parallel einen Megatrend zur weitreichenden Elektrifizierung her- kömmlicher Antriebsstränge mit Ver- brennungsmotor. Beidl schloss daraus, dass auch künftig sowohl verbren- nungsmotorische als auch alternative Antriebe weiterentwickelt werden müssen. „Dabei ist der Fächer der Entwicklungs- und Vernetzungsan- forderungen bei Elektro- und Hybrid- fahrzeugen viel breiter als bei rein verbrennungsmotorischen Antrieben, da die einzelnen Systeme noch viel mehr Wechselwirkungen aufeinander ausüben“, so Beidl. Seine Schluss- folgerung: „Simulation und virtuelle Produktentwicklung sind künftig die entscheidenden Wegbereiter für kostengünstige und effiziente Antriebs- lösungen.“ VERNETZUNG VON EINZELSIMULATIONEN Ein Schlüssel zu hoher Entwicklungs- effizienz ist die zielgerichtete Vernet- zung tiefgreifender Einzelsimulationen mit dem Gesamtentwicklungsprozess. Wie diese Einbindung praktisch funk- tionieren kann, zeigte Andreas Abel von ITI in seinem Vortrag. In das exis- tierende Modellumfeld einer Antriebs- strangsimulation passten ITI und BMW ein physikalisches Getriebemodell mit Echtzeitfähigkeit ein. Das alte Modell erlaubte keine Abbildung von transien- ten Vorgängen oder Wechselwirkungen mit der Aktuatorik. Das neue Modell gestattet dank physikalischer Modellie- rungsansätze deutlich höhere Detail- tiefen, sodass das komplexe dynami- sche Verhalten der Komponenten rea- listisch nachgebildet werden kann. AKTUELL TAGUNGSBERICHT 260

13. MTZ-Konferenz Virtual Powertrain Creation

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13. MTZ-KonferenZ Virtual Powertrain CreationKünftig muss der Antriebsstrang verstärkt schon in der Entwick­lungsphase mit Blick auf das Gesamtfahrzeug betrachtet wer­den. Dabei nehmen Simulationen eine zentrale Rolle ein, denn nur mit ihrer Hilfe können Ver­brennungsmotoren wirtschaftlich weiterentwickelt und alternative Antriebe zur Großserienreife ge­bracht werden. Wie die Lösungen von Automobilherstellern, Zulie fe­rern sowie Entwicklungsdienstleis­tern für die daraus resultierenden Herausforderungen aussehen, zeigte sich am 8. und 9. Dezember 2011 während der 13. Interna­tionalen MTZ­Konferenz Virtual Powertrain Creation in Unter­schleißheim.

Simulation: Wegbereiter für künftige antriebe

Simulationen sind ein wichtiges Ent-wicklungswerkzeug, um den Antrieb an die ständig steigenden Emissions- und Effizienzanforderungen anzupas-sen. Doch wie sieht der Fahrzeugan-trieb des Jahres 2020 überhaupt aus, und auf welche Entwicklungen müs-sen sich die Ingenieure einstellen? Professor Christian Beidl von der Technischen Universität Darmstadt zeigte in seinem Plenarvortrag, dass die Antriebsentwicklung, wie wir sie heute kennen, kein Auslaufmodell ist. Prognosen zur Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen im Jahr 2020 reichen laut Beidl je nach Quelle von 3 bis 80 %. Realistisch ist in seinen Augen eine Studie von Roland Berger, die 2020 maximal 5 % Marktanteil für

Elektrofahrzeuge ausweist. Allerdings gibt es parallel einen Megatrend zur weitreichenden Elektrifizierung her-kömmlicher Antriebsstränge mit Ver-brennungsmotor. Beidl schloss daraus, dass auch künftig sowohl verbren-nungsmotorische als auch alternative Antriebe weiterentwickelt werden müssen. „Dabei ist der Fächer der Entwicklungs- und Vernetzungsan-forderungen bei Elektro- und Hybrid-fahrzeugen viel breiter als bei rein verbrennungsmotorischen Antrieben, da die einzelnen Systeme noch viel mehr Wechselwirkungen aufeinander ausüben“, so Beidl. Seine Schluss-folgerung: „Simulation und virtuelle Produktentwicklung sind künftig die entscheidenden Wegbereiter für kostengünstige und effiziente Antriebs-lösungen.“

Vernetzung Von einzelSimulationen

Ein Schlüssel zu hoher Entwicklungs-effizienz ist die zielgerichtete Vernet-zung tiefgreifender Einzelsimulationen mit dem Gesamtentwicklungsprozess. Wie diese Einbindung praktisch funk-tionieren kann, zeigte Andreas Abel von ITI in seinem Vortrag. In das exis-tierende Modellumfeld einer Antriebs-strangsimulation passten ITI und BMW ein physikalisches Getriebemodell mit Echtzeitfähigkeit ein. Das alte Modell erlaubte keine Abbildung von transien-ten Vorgängen oder Wechselwirkungen mit der Aktuatorik. Das neue Modell gestattet dank physikalischer Modellie-rungsansätze deutlich höhere Detail-tiefen, sodass das komplexe dynami-sche Verhalten der Komponenten rea-listisch nachgebildet werden kann.

aktuell TAGUnGSBERICHT

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„Damit werden neben reinen Funk-tionstests auch quantitative Untersu-chungen auf Echtzeitsystemen mög-lich“, so Abel.

integration neuer SySteme

Eine weitere, immer wichtigere Domäne von Simulationen ist die Integration neuer Systeme in das Gesamtfahrzeug. Insbesondere bei der Untersuchung gegenseitiger Wechselwirkungen von Einzelkomponenten lassen sich mit Simulationen Zeit und Kosten sparen. Bernhard Schick von IPG stellte eine Methode vor, mit der Fahrzeugeigen-schaften in einer sehr frühen Entwick-lungsphase anhand von virtuellen Fahrversuchen optimiert werden kön-nen. Als Beispiel führte er die Entwick-lung von Energiemanagementsystemen für Hybrid- und Elektrofahrzeuge mit den entsprechenden Systemwechsel-wirkungen an. Wie Schick zeigte, erlaubt die Methode unter anderem, Energiezustände, Verluste und Verbräu-che des zukünftigen Fahrzeugs in rea-listischen Nutzungsprofilen sowie die Auslegung einzelner Systemkompo-nenten zu bewerten.

Einer der wichtigsten Entwicklungs-schwerpunkte bei Elektro- und Hybrid-fahrzeugen ist der Energiespeicher. Die derzeit bevorzugten Lithium-Ionen- Batterien müssen aus Sicherheits- und Lebensdauergründen in einem engen Temperaturfenster betrieben werden. Allerdings ist der Einsatz von Tempera-tursensoren in den Zellen technisch nur schwer umsetzbar. Ali Awarke von der RWTH Aachen bot eine Lösung des Problems: Er stellte ein thermi-sches 3D-FE-Modell vor, das anhand von Spannung, Strom, Ladezustand und einer Referenztemperatur die Tem-peratur und den Temperaturgradienten in den Zellen berechnet. Mit dieser Eingangsgröße kann das Batteriema-nagementsystem den Energiespeicher

besser überwachen und steuern. Wie Awarke erklärte, bietet die modellba-sierte Temperatursensierung das Poten-zial, die Lebensdauer der Batterie wei-ter zu erhöhen.

fazit

Die Automobilhersteller und deren Zulieferer werden künftig – noch mehr als heute schon – unterschiedliche Antriebskonzepte parallel zur Serien-reife entwickeln müssen, um auf dem internationalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Aufgabe wird nur mit dem umfassenden Einsatz von Simula-tionen wirtschaftlich umsetzbar sein. Damit steigt der Stellenwert der virtuel-len Produktentwicklung weiter. Die Konferenz Virtual Powertrain Creation in Esslingen zeigte das hohe Potenzial heutiger Simulationsmethoden und -werkzeuge auf. Zudem wurde deutlich, welche Anforderungen sie künftig erfüllen müssen. Der Termin für die nächste MTZ-Fachtagung „Virtual Powertrain Creation“ steht schon fest: Sie findet am 25. und 26. September 2012 in Esslingen statt.

Richard Backhaus

Der richtigen Simulationsmethodik auf der Spur: Pausengespräche in der begleitenden ausstellung

fotoS: Matthias Haslauer

26104I2012 73. Jahrgang

ProfeSSor ChriStian beiDl, tu DarmStaDt:„Simulation und virtuelle Produktentwicklung sind Wegbereiter für kosten­günstige und effiziente Antriebslösungen.“

bernharD SChiCk, iPg:„Die sehr frühe Bewertung der Fahrzeugeigenschaf­ten anhand von virtuellen Fahrversuchen minimiert zeitraubende und teure Entwicklungsschleifen.“

anDreaS abel, iti:„Physikalische Modelle für Echtzeitsimulation sind auch in bestehende Modellumgebungen problemlos integrierbar.“

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