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Fachbereich Landschaftswissenschaften und Geomatik Studiengang Naturschutz und Landnutzungsplanung
Bachelorarbeit Zur Erlangung des akademischen Grades
Bachelor of Science (B. Sc.)
Eine kritische Betrachtung der Leitzielumsetzung in der nachhaltigen Stadtentwicklung am Beispiel des
Hochschulstadtteils in Lübeck
Vorgelegt von: Aileen Haack
Abgabetermin: 8. Juli 2015
Erstgutachterin: Prof. Dr. Ute Baldermann Cornec
Zweitgutachterin: Dipl.-Soz. Sabine Haenitsch
Zusammenfassung _____________________________________________________________________
I
Zusammenfassung
Diese Bachelorarbeit befasst sich mit der Umsetzung von Nachhaltigkeitsleitzielen in
der Stadtentwicklung. Am Praxisbeispiel des Hochschulstadtteils in Lübeck wird unter-
sucht, welche Faktoren die Umsetzung des Leitziels „Solare und energetische Optimie-
rung und ein ressourcenschonendes Energieversorgungskonzept“ beeinflussen. Mittels
einer Umfrage unter den Bewohnerinnen und Bewohnern werden der Umsetzungs-
stand des Leitziels und die Gründe der Befragten für eine Nichtinstallation von erneu-
erbaren Energien untersucht. Für die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden aus
dem best practice Beispiel Delitzsch verschiedene Handlungsfelder herausgearbeitet,
um Leitziele dieser Art erfolgreich umzusetzen.
Der Nachhaltigkeitsbegriff ist nicht neu, doch seit den 1990er Jahren immer präsenter
in den Medien. Es stellte sich schnell heraus, dass es sich um einen nicht leicht zu
definierenden Begriff handelt, doch einfach ausgedrückt bedeutet Nachhaltigkeit, heute
so zu handeln, dass den künftigen Generationen eine Welt zur Verfügung steht, von
und in der diese leben können. Das beinhaltet natürlich nicht nur die ökologischen As-
pekte, sondern genauso soziale und wirtschaftliche Belange. Nachhaltig ist eine Ge-
sellschaft, in der alle drei Dimensionen gerecht miteinander abgewogen werden, wobei
es je nach Definitionsmodell Unterschiede in der Wichtung der Dimensionen gibt. Was
in die jeweiligen Säulen gehört, ist eine Auslegungssache, die je nach Fachgebiet stark
anders ausgeprägt sein kann. Aufgrund dieses Interpretationsfreiraums und der daraus
entstehenden Uneinigkeit ist es bisher nicht gelungen, eine abschließende Definition
für diesen Begriff zu finden. Unter anderem aus diesem Grund bestehen Schwierigkei-
ten bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsleitzielen. Trotzdem schreiben sich viele
Nationen, Institutionen und Gemeinden Nachhaltigkeitsleitziele für ihr Handeln und ihre
Projekte auf die Agenda.
Auch die Hansestadt Lübeck ist mit der Unterzeichnung der Charta von Aalborg in ei-
nen Nachhaltigkeitsprozess eingetreten und hat unter anderem für den Anfang der
2000er entstandenen Hochschulstadtteil 13 Nachhaltigkeitsleitziele festgelegt. Das 12.
Leitziel „solare und energetische Optimierung und ein ressourcenschonendes Ener-
gieversorgungskonzept“ wird auf seine Umsetzung hin untersucht. Die Umsetzung die-
ses Leitziels sollte mit Hilfe von vier Handlungsschritten gelingen. Der erste beinhaltet
eine solare Optimierung und eine Reduzierung des Heizwärmebedarfs und wurde
durch die Vorgaben der Bau- und Gestaltungsrichtlinien und die Bebauungspläne er-
folgreich umgesetzt. Die Umsetzung des zweiten Handlungsschrittes kann schwer
Zusammenfassung _____________________________________________________________________________
II
überprüft werden, denn in diesem Schritt soll der Stromverbrauch der Haushalte ge-
senkt werden, was schlecht zu untersuchen ist, weshalb keine Auswertung vorgenom-
men wird. Der dritte Handlungsschritt sieht vor, den restlichen Bedarf an Heizenergie,
der trotz der guten Dämmstandards und der cleveren solaren Ausrichtung noch übrig
bleibt, durch eine nachhaltige Energieversorgung zu decken. Da für das südliche
Wohngebiet kein Nahwärmenetz vorgesehen ist, soll das durch individuelle und de-
zentrale Lösungen geschehen, wozu auch die erneuerbaren Energien gehören. Durch
die Befragung der Anwohnerinnen und Anwohner wurde ermittelt, dass die Gebäude
überwiegend mit Gas beheizt werden. Als Hauptgründe für eine Nichtinstallation von
erneuerbaren Energien wurden von den Befragten die zu hohen Anschaffungskosten,
das sich daraus ergebende schlechte Kosten-Nutzen-Verhältnis sowie eine schlechte
Informationsgrundlage angegeben. Der dritte Handlungsschritt kann somit nicht als
vollständig umgesetzt angesehen werden. Im vierten Handlungsschritt wurde erfolg-
reich ein Energiepass für die Gebäude eingeführt.
Aus dem Beispiel Delitzsch kann gelernt werden, dass die erfolgreiche Umsetzung von
Leitzielen, die privat durch die Bürgerinnen und Bürger finanziert werden müssen, eine
besondere Herangehensweise erfordert. Der zentrale Handlungsschritt ist die Erarbei-
tung eines guten Images für das jeweilige Projekt, wodurch es leichter fällt, die Ziel-
gruppe zum Mitmachen zu motivieren. Außerdem muss Material für die initiale Informa-
tion zum Projekt, zur Technik und zu den möglichen Fördermöglichkeiten zur Verfü-
gung gestellt werden.
Abschließend lässt sich sagen, dass sich das Image der erneuerbaren Energien seit
den 1990er Jahren bereits verbessert hat und die meisten Leute heute offener gegen-
über diesem Thema gestimmt sind. Außerdem wird die Technik in Zukunft besser und
rentabler werden, wodurch es dann leichter werden wird, solche Leitziele umzusetzen.
Nichtsdestotrotz muss sich bei der Aufstellung eines Leitziels immer ein konkreter Um-
setzungsweg überlegt werden.
Abstract ___________________________________________________________________________________
III
Abstract
This Bachelor Thesis deals with the implementation of action strategies in the sustain-
able urban development. At the practical example the Hochschulstadtteil in Lübeck will
be examine which factors are influencing the implementation of the aim of a solar and
energetic improvement and the resource saving energy strategy. By means of a survey
will be examined under the residents in the Hochschulstadtteil the implementation of
the aim and the reasons of the residents not use sustainable energy. The pest practice
example Delitzsch will show some prospects how to handle the findings of the survey.
Since the1990s the process of sustainable urban development gets much media cov-
erage. It turned out that is not easy to define such a word as sustainability. But in a few
words this concept means to act today in a way that the future generations can live on
and from this planet. Sustainable development doesn’t only include the ecologic part
but also the social and the economic part. A society is a sustainable one if it includes
all the three parts in a balanced way. But each specialized expert on a single one of
these parts uses the own special definitions and almost certainly feels her or his spe-
cial field the most significant. This creates struggles to reach a common understanding
and a final definition. Nonetheless many nations, institutions and cities gave their work-
ing sustainable aims.
The Hansestadt Lübeck also made sustainable aims for the Hochschulstadtteil. They
made 13 aims but just the 12th of them, the solar and energetic improvement and the
resource saving energy strategy will be investigated. Within four steps the investigation
should be successful. In the first step the need of thermal heat should be reduced by
solar optimizing. This step would be realized via the implementation of new technologi-
cal standards and precise instructions. In the second step the consumption of electricity
should be reduced. Because this step cannot be verified in this Bachelor Thesis it is not
able to make an evaluation. In the third step the rest need of thermal heat should be
recovered by renewable energy sources. The survey indicates that the most of the sur-
veyed residents heat their houses via gas heating. The main reason for them to use it
is that the new renewable energy technology is too expensive because of the high
price the cost-value ratio is bad. The second reason is the bad base of information
about the technique and the appropriation. Because of that the third step cannot be
seen as completely realized. In the fourth step the energetic quality of the buildings is
certified in an energy pass.
Abstract _____________________________________________________________________________
IV
The best practice example Delitzsch shows how this sustainable aims can be success-
fully realized. Because these aims must be financed by the private residents the realiz-
ing needs a special approach. The most important step is to create a positive image of
this project. It makes it easier to motivate the target group to join in. Another step is to
provide them with more information about the technical options and the appropriation.
In conclusion is to mention that the image of the renewable energy technique grew
since the 1990s. Now most people are more open minded and interested for this topic.
In the future this technique and the cost-effective will be more lucrative. Nevertheless
the schedule of these aims and goals is difficult and it must be considered how such
aims will be realized.
Inhaltsverzeichnis _____________________________________________________________________________
V
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung ........................................................................................................ I
Abstract ....................................................................................................................... III
Inhaltsverzeichnis .........................................................................................................V
1. Einleitung ............................................................................................................... 1
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen ........................................... 4
2.1 Ursprung in der Forstwirtschaft ....................................................................... 4
2.2 Der Bundtland-Bericht der Vereinten Nationen 1987 ...................................... 4
2.3 Konferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro .............................. 6
2.4 Die Nachhaltigkeitsdebatte in Europa ............................................................. 6
2.5 Die Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland ................................................... 7
2.6 Nachhaltigkeit in der Stadtplanung.................................................................. 8
2.7 Verschiedene Modelle der Nachhaltigkeit. ...................................................... 9
2.7.1 Das Ein-Säulen-Modell .......................................................................... 10
2.7.2 Das Drei-Säulen-Modell ......................................................................... 10
2.7.3 Integrative Nachhaltigkeitskonzepte....................................................... 12
2.8 Definitions- und Umsetzungsschwierigkeiten der Nachhaltigkeit ................... 13
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck .. 14
3.1 Grundlagen des Nachhaltigkeitsprozesses in Lübeck ................................... 14
3.2 Wichtige Eckdaten des Hochschulstadtteils .................................................. 15
3.3 Chronologie der Planung .............................................................................. 17
3.4 Die Leitziele im „Rahmenplan 2000“ ............................................................. 20
3.5 Die Umsetzung des 12. Leitziels ................................................................... 21
3.5.1 Reduzierung des Heizwärmebedarfs ..................................................... 22
3.5.2 Reduzierung des Strombedarfs ............................................................. 23
3.5.3 Nachhaltige Energieversorgung ............................................................. 24
3.5.4 Qualitätssicherung ................................................................................. 24
4. Untersuchungsdesign .......................................................................................... 25
Inhaltsverzeichnis _____________________________________________________________________________
VI
4.1 Datenerhebung und Inhalt der Befragung .......................................................... 25
4.2 Auswahl der Befragten ...................................................................................... 26
4.3 Aufbau des Fragebogens .................................................................................. 27
4.4 Methodenkritik ................................................................................................... 28
5. Umsetzung der Nachhaltigkeitsleitziele im Hochschulstadtteil in Lübeck ................ 30
5.1 Eigentumsverhältnisse ...................................................................................... 30
5.2 Verwendete Energiequellen im Untersuchungsgebiet........................................ 30
5.3 Informationsstände der Befragten zu den erneuerbaren Energien ..................... 31
5.4 Gründe für eine Nichtnutzung von erneuerbaren Energiequellen....................... 32
5.6 Bereitschaft erneuerbare Energiequellen zu nutzen .......................................... 33
5.7 Voraussetzungen für die Nutzung von erneuerbaren Energiequellen ................ 33
5.8 Gründe für die Nutzung von erneuerbaren Energiequellen ................................ 34
5.9 Zwischenfazit zur Umsetzung des 12. Leitziels .................................................. 35
6. Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsleitzielen ........................... 38
6.1 Die Vorgehensweise in Lübeck ......................................................................... 38
6.2 Best practice Beispiel Delitzsch ......................................................................... 39
6.3 Lerneffekte aus den Beispielen Lübeck und Delitzsch ....................................... 41
7. Abschlussbetrachtung ............................................................................................. 43
Literatur- und Quellenverzeichnis ............................................................................... 45
Abbildungsverzeichnis ................................................................................................ 48
Anhang ....................................................................................................................... 49
Anhang 1Fragebogen .............................................................................................. 49
Anhang 2 Auswertungstabelle ................................................................................. 51
Danksagung................................................................................................................ 60
Eidesstattliche Erklärung............................................................................................. 61
1. Einleitung _____________________________________________________________________________
1
1. Einleitung
Nachhaltigkeit ist ein aktueller Begriff, der in den Medien stark verbreitet ist. Häufig
steht er im Kontext mit der Produktionsweise von Lebensmitteln oder Textilien und de-
ren Rohstoffe und Fertigung. Diese Produkte tragen das Siegel „nachhaltig und fair“
produziert. Auch in anderen Bereichen wird oft von Nachhaltigkeit gesprochen, bei-
spielsweise in der Wirtschaft. Dort ist in diesem Zusammenhang die Rede von einer
nachhaltig stabilen Wirtschaft oder einer nachhaltigen Belebung des Arbeitsmarktes.
Weitere Beispiele lassen sich in jeder Branche finden. Im Studium Naturschutz und
Landnutzungsplanung steht Nachhaltigkeit unter anderen im Bezug zu der Umweltpla-
nung und der Stadtplanung. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Nachhaltigkeit
in der Stadtplanung. Denn gerade in der Stadtentwicklung und Stadtplanung wird
Nachhaltigkeit viel diskutiert und ist besonders wichtig im Hinblick auf eine zukunftsfä-
hige Stadt. Diese muss mit Anpassungen an den Klimawandel, knapper werdenden
Ressourcen, dem Demographischen Wandel und dem Phänomen der Gentrifizierung
reagieren, um in der Zukunft handlungsfähig und lebenswert zu bleiben. Nachhaltig-
keitsleitziele werden auf jeder politischen Ebene erarbeitet und sollen sicherstellen,
dass den künftigen Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen wird. Wie viele
andere Städte und Gemeinden auch, hat die Hansestadt Lübeck sich durch die Unter-
zeichnung der Charta von Aalborg 1995 verpflichtet, in einen lokalen Nachhaltigkeits-
prozess einzutreten. Doch was bringen diese Leitziele? Werden sie in der Praxis über-
haupt umgesetzt oder sind sie eine Art „Greenwashing“ für große Projekte?
Die Zielsetzung dieser Bachelorarbeit ist, anhand eines Praxisbeispiels die Umsetzbar-
keit von Nachhaltigkeitsleitzielen in der Stadtentwicklung zu untersuchen. Als Praxis-
beispiel wurde der Hochschulstadtteil in Lübeck ausgewählt. Für den Stadtteil sind im
„Rahmenplan 2000“, 13 verschiedene Nachhaltigkeitsleitziele verankert worden, die die
ökologischen Belange, die wirtschaftliche Ausrichtung und die sozialen Strukturen
nachhaltig ausrichten und vorgeben1. Da im Rahmen dieser Bachelorarbeit nicht alle
13 Leitziele hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit untersucht werden können, wird nur das
12. Leitziel „Solare und energetische Optimierung und ein ressourcenschonendes
Energieversorgungskonzept“ untersucht. Für die praktische Umsetzung dieses Leitziels
wurden im „Rahmenplan 2000“ vier Handlungsschritte aufgestellt. Drei der Handlungs-
schritte können anhand von gesetzlichen Vorgaben ausgewertet werden. Der dritte
1 Vgl. HEG (2001), S. 29.
1. Einleitung _____________________________________________________________________________
2
Handlungsschritt „nachhaltige Energieversorgung“ wird anhand einer Umfrage unter
den Bewohnerinnen und Bewohnern des Hochschulstadtteils untersucht. Es soll her-
ausgefunden werden, wie weit verbreitet die Nutzung von erneuerbaren Energien ist
und welche Gründe es für eine Nicht- bzw. Nutzung von erneuerbaren Energiequellen
gibt. Dadurch soll aufgezeigt werden, wie praxistauglich dieses 12. Nachhaltigkeitsleit-
ziel ist und welche Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung aufgetreten sind.
Um zu verstehen, was Nachhaltigkeit bedeutet und wie weit dieser Begriff gefasst wer-
den kann, wird im zweiten Gliederungspunkt der Arbeit erläutert, was genau unter
Nachhaltigkeit allgemein und in der Stadtentwicklung verstanden werden kann. Zuerst
wird auf die Entwicklung des Nachhaltigkeitsleitziels, seit der Veröffentlichung des
Bundtland-Berichts der Vereinten Nationen 1987, eingegangen und die darauffolgen-
den Schritte auf internationaler und nationaler Ebene erläutert. Anschließend wird er-
klärt, warum eine nachhaltige Stadtentwicklung aus mehr als nur der ökologischen
Nachhaltigkeit besteht und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte mitbe-
trachtet werden müssen. Dafür werden die Inhalte drei verschiedener Modelle kurz
beschrieben.
Im Folgenden dritten Gliederungspunkt wird das Leitziel der Nachhaltigkeit im Lübe-
cker Hochschulstadtteil beschrieben. Beginnend mit einer Einführung in den Nachhal-
tigkeitsprozess der Stadt wird der Lokale Agenda-21-Prozess in Lübeck kurz darge-
stellt. Darauf folgend wird genauer auf das Praxisbeispiel dieser Arbeit, den Hoch-
schulstadtteil in Lübeck, mit seinen wichtigen Eckdaten und den Planungsphasen ein-
gegangen. Anschließend wird auf die 13 Leitziele des „Rahmenplans 2000“ eingegan-
gen und genau beschrieben, was unter dem 12. Leitziel „Solare und energetische Op-
timierung und ein ressourcenschonendes Energieversorgungskonzept“ verstanden
werden kann und wie dies in die Praxis umgesetzt werden sollte.
Im vierten Gliederungspunkt werden das Untersuchungsdesign und die angewendete
Methodik kritisch beschrieben. Es folgt im fünften Gliederungspunkt die Auswertung
der erhobenen Daten der Umfrage. Im Zwischenfazit wird ausgewertet, inwieweit die
vier Handlungsschritte umgesetzt wurden und ob das 12. Nachhaltigkeitsleitziel als
vollständig umgesetzt betrachtet werden kann.
Aus dem Vergleich mit dem best practice Beispiel Delitzsch sollen Handlungs-
möglichkeiten aufgezeigt werden, mit deren Hilfe die Umsetzung von solchen Nachhal-
tigkeitsleitzielen besser erfolgen kann.
1. Einleitung _____________________________________________________________________________
3
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
4
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen
2.1 Ursprung in der Forstwirtschaft
Bereits 1713 hat der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz den
Begriff „Nachhaltigkeit“ verwendet und sprach in seiner Definition von einer „continuir-
lich beständige(n) und nachhaltende(n) Nutzung“2. Damals wurden unter anderem
durch den Berg- und Schiffsbau große Mengen Holz benötigt und verarbeitet. Carlowitz
befürchtete in seiner „Sylvicultura oeconomica“, dass in Zukunft eine dramatische
Holznot entstehen werde. Deshalb sprach er sich für das Einsparen von Holz, das Sä-
hen und Pflanzen neuer Bäume und für eine Suche nach Alternativen zum Holz aus. In
Deutschland setzte sich dieser Gedanke in der Forstwirtschaft durch, woraufhin die
ersten Forstschulen gegründet wurden. Mitte des 19. Jahrhunderts führte Faustmann
den Gegenbegriff „Raubbau“ ein und wies der Nutzung der natürlichen Ressource Holz
Grenzen zu. Diese Grenzen können auch auf andere natürliche Ressourcen übertra-
gen werden3.
In der Forstwirtschaft bedeutet der Begriff Nachhaltigkeit daher, dass nur so viel Holz
eingeschlagen wird, wie durch Neupflanzungen nachwachsen kann. Ziel ist es genü-
gend Holz für die zukünftigen Generationen zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet,
dass die Produktionskraft des Waldes, die ökologische Größe, so auf die Holzernte, die
ökonomische Größe, abgestimmt wird, dass dauerhaft ein bestmöglicher Ertrag be-
steht4.
2.2 Der Bundtland-Bericht der Vereinten Nationen 1987
Erst mit den Umweltkatastrophen und den daraus entstandenen Debatten zum Um-
weltschutz in den 1960er und 1970er Jahren und dem Bewusstwerden der Grenze der
natürlichen Ressourcen, fand die Idee der Nachhaltigkeit ihren Weg in die Politik. 1983
gründeten die Vereinten Nationen die „World Commission on Environment and Deve-
lopment“ (WCED), auf Deutsch die „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“ der
Vereinten Nationen. Diese wird auch Bundtland-Kommission genannt, da der ehemali-
2 Vgl. Ott & Döring (2004), S. 20. 3 Vgl. Ott & Döring (2004),S. 20 f. 4 Vgl. Ott & Döring (2004), S. 19 f.
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
5
gen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Bundtland die Aufgaben und der
Vorsitz für diese Kommission übertragen wurden. Der Auftrag der Kommission war es,
Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung zu erarbeiten5. Die Kommis-
sion bestand aus 22 Mitgliedern, die aus 22 verschiedenen Nationen und verschiede-
nen politischen Systemen stammten. Sie arbeiteten auf einer breiten Basis und veran-
stalteten weltweit öffentliche Anhörungen mit Wissenschaftlern, Unternehmern, Politi-
kern, Umweltschützern, Gewerkschaftern, Beamten, Bürgern und Jugendlichen, die
ihre Meinungen und Auffassungen zu diesem Thema vortrugen. Als Ergebnis veröffent-
lichte die Kommission im Jahr 1987 den Bundtland-Bericht mit dem Titel „Our Common
Future“ In Deutschland wurde dieser unter dem Titel “Unsere gemeinsame Zukunft“
veröffentlicht6. In diesem Bericht hat die Kommission den Begriff Nachhaltigkeit defi-
niert.
Die Kommission hat die Idee von Carlowitz aufgenommen und spricht in Bezug auf
Nachhaltigkeit von einer dauerhaften Entwicklung. Ihre Definition lautet:
„Dauerhafte Entwicklung ist [eine] Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart be-
friedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht be-
friedigen können“7.
In diesem Zusammenhang erwähnt die Bundtland-Kommission, dass es sich bei dem
Begriff „Bedürfnisse“ um die Grundbedürfnisse der ärmsten Menschen auf dieser Welt
handelt. Damit ist das Bedürfnis nach Nahrung, Kleidung, Wohnung, Arbeit, etc. ge-
meint, allgemein das Bedürfnis nach einer gerechten Welt. In den Industrienationen
geht der Begriff über das Minimum hinaus und richtet sich dort an das Bedürfnis nach
einem gewissen Lebensstandard und diesen dauerhaft zu halten.
Außerdem weist die Kommission darauf hin, dass die Verbrauchsstandards gefördert
werden sollten, die sich in die Grenzen der jeweiligen ökologischen Möglichkeiten ein-
passen8. Damit legt sie die Ökologie als Grundlage des Lebens fest. Es klingt an, dass
Nachhaltigkeit aus mehreren „Säulen“ besteht, die miteinander harmonieren müssen.
Die Veröffentlichung des Berichts gilt als Beginn der Gespräche und Diskussionen über
Nachhaltigkeit, was nicht ganz korrekt ist, da es bereits in den 1970ern Debatten zu
diesem Thema gab. Jedoch hat das Thema seit diesem Bericht in der Öffentlichkeit an
Präsenz dazu gewonnen9.
5 Vgl. Bott et al. (2013), S. 19. 6 Vgl. Hauff (1987), S. XI. 7 Hauff (1987), S. 46. 8 Vgl. Hauff (1987), S. 46 f. 9 Vgl. Ott & Döring (2004), S. 28.
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
6
2.3 Konferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro
1992 folgte die Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro, auf der der Bundt-
land-Bericht in internationales Handeln umgesetzt werden sollte. Um die Ziele des
Bundtland-Berichtes zu erreichen, wurden auf dieser Konferenz die Deklaration von
Rio über Umwelt und Entwicklung, die Klimaschutz-Konvention, die Walddeklaration,
die Biodiversitätskonvention, die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung und
die Agenda 21 formuliert und unterzeichnet10.
Die Agenda 21 bildet die globale Aktionsgrundlage für das Erreichen der Ziele und um-
fasst verschiedene Schwerpunkte für verschiedene Zielgruppen. Somit wird sie als
Handlungsgrundlage der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verstanden. Wie im Kapi-
tel 28 der Agenda 21 beschrieben, kommen den Kommunen und Gemeinden besonde-
re Aufgaben in der Umsetzung dieser Ziele zu. Da sie den Bürgern am nächsten ste-
hen, können sie am besten entscheiden, wie nachhaltiges Handeln in der jeweiligen
Region strukturiert und umgesetzt werden kann11. Darauf initiierten viele Gemeinden
und Regionen auf der Welt lokale Agenda-21-Prozesse, die unter dem Motto „Global
denken und lokal handeln“ arbeiten12.
Kritiker weisen darauf hin, dass keines der in Rio verabschiedeten Dokumente über-
prüfbare Verpflichtungen für die Vertragsstaaten enthält. Sie stellen lediglich Rahmen-
bedingungen dar und treffen unklare oder widersprüchliche Aussagen. Die Agenda 21
beinhaltet keine völkerrechtlichen Verbindlichkeiten. Doch trotzdem kann die Rio-
Konferenz als Erfolg gesehen werden, denn sie setzte einen großen Impuls in der
Nachhaltigkeitsdebatte, der bis heute anhält. Es folgten weitere Konferenzen der Ver-einten Nationen, in denen Versuche unternommen wurden, die Leitziele in politisches
Handeln umzusetzen13.
2.4 Die Nachhaltigkeitsdebatte in Europa
Es ist für die Europäische Gemeinschaft unerlässlich eine eigene Nachhaltigkeitsstra-
tegie zu entwickeln. Auf der „Rio+5-Konferenz“ 1997 in New York verpflichtete sich die
10 Vgl. Bott et al. (2013), S 19 f.; Grundwald & Kopfmüller (2006), S. 23. 11 Vgl. BMU (1997), S. 231 f. 12 Vgl. Bott et al. (2013), S. 20; Grunewald & Kopfmüller (2006), S. 23. 13 Vgl. Grunewald & Kopfmüller (2006), S. 24.
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
7
Europäische Union eine eigene Strategie auszuarbeiten14. 1999 trat der Amsterdamer
Vertrag in Kraft und bildete die Grundlage für die Etablierung der Nachhaltigkeitsthe-
matik auf der europäischen Ebene.15.
In Bezug auf die nachhaltige Stadtentwicklung hat die Europäische Gemeinschaft
ebenfalls grundlegende Ziele vereinbart. In verschiedenen Konferenzen und Strategie-
papieren wurden Ziele und Strategien zur Umsetzung dieser Ziele beschlossen und
veröffentlicht. Ein Beispiel ist die „Charta von Aalborg“, die 1994 im Rahmen der „Eu-
ropäischen Kampagne zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden“ erstellt wurde16.
Diese Konferenz fand in Aalborg statt und wurde vom Internationalen Rat für Kommu-
nale Umweltinitiativen (ICLEI), in dem sich Städte und Gemeinden zusammenge-
schlossen haben, organisiert. Ziel ist es, sich gegenseitig bei der Umsetzung der loka-
len Agenda 21 zu unterstützen. Am Ende beschlossen die 600 Teilnehmerinnen und
Teilnehmer der Konferenz die Charta von Aalborg17. Durch die Unterzeichnung ver-
pflichteten sich die Kommunen, in „Lokale Agenda 21“-Prozesse einzutreten und lang-
fristige Handlungsprogramme mit dem Ziel der Zukunftsbeständigkeit aufzustellen18.
2.5 Die Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland
Auch auf der nationalen Ebene in Deutschland ist das Thema Nachhaltigkeit aktuell.
Nicht nur die Politiker der verschiedenen Ministerien der Bundesregierung, sondern
auch die der Länder- und kommunalen Ebene müssen sich politisch mit der Nachhal-
tigkeit, beispielsweise auf den Gebieten der Energie, Mobilität, Stadtplanung, Kultur
oder sozialer Einrichtungen, auseinandersetzen19. In Deutschland ist der Grundsatz
der Nachhaltigkeit im Grundgesetz im Artikel 20a verankert:
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen
Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die
Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt
und die Rechtsprechung.“
Damit dieser Grundsatz umgesetzt werden kann, hat die Bundesregierung verschiede-
ne Expertengremien ins Leben gerufen, beispielsweise 1990 den „Sachverständigenrat 14 Vgl. Grunewald & Kopfmüller (2006), S. 135. 15 Vgl. Grunewald & Kopfmüller (2006), S. 135. 16 Vgl. Henckel et. al. (2010), S. 343 f. 17 Vgl. Aachener Stiftung Kathy Beys (2014 a), 1.-2. Absatz. 18 Vgl. Aachener Stiftung Kathy Beys (2014 a), 3.-5. Absatz. 19 Vgl. Pufé (2012), S. 132.
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
8
für Umweltfragen“, 1992 den „Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderun-
gen“ und 2001 den „Rat für nachhaltige Entwicklung“20.
Der Rat für nachhaltige Entwicklung ist seit 2001 aktiv. Er besteht aus 15 Mitgliedern
und die Aufgabe des Rates ist:
„Die Entwicklung von Beiträgen für die Umsetzung der nationalen Nachhaltigkeitsstrate-
gie, die Benennung von konkreten Handlungsfeldern und Projekten sowie Nachhaltigkeit
zu einem wichtigen öffentlichen Anliegen zu machen“21.
2013 hat die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel den Rat für weitere drei Jahre ins
Leben gerufen22.
Im Jahr 2002 ist die erste Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung verabschiedet
worden, woraufhin seitdem regelmäßig Fortschrittsberichte erarbeitet werden. Die
Schwerpunkte im letzten Fortschrittsbericht aus dem Jahr 2012 lagen auf dem nach-
haltigen Wirtschaften, auf der Klimapolitik, der Energiepolitik sowie der Wasserpolitik.
Der nächste Fortschrittsbericht ist für das Jahr 2016 geplant23.
2.6 Nachhaltigkeit in der Stadtplanung
Auf das Gebiet der Stadtplanung bezogen bedeutet Nachhaltigkeit, dass eine Stadt
zukunftsfähig ist und in den kommenden Wandlungsprozessen hinsichtlich des Demo-
graphischen Wandels, den Auswirkungen des Klimawandels oder den knapper wer-
denden Ressourcen, weiterhin gut bestehen kann. Eine Stadt ist dynamisch und unter-
liegt wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen, weshalb
sie sich ständig in einem Wandel befindet24. Die Aufgabe einer nachhaltigen Stadtpla-
nung ist es, sich nicht nur diesen Wandlungsprozessen anzupassen, sondern auch
ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichermaßen in der Stadtplanung zu
berücksichtigen und fair miteinander abzuwägen25.
Auf der Ebene der Raumordnung ist dieser Grundsatz im Raumordnungsgesetz (ROG)
festgehalten. In § 1 Abs. 2 heißt es:
20 Vgl. Pufé (2012), S. 133. 21 Vgl. Rat für nachhaltige Entwicklung (o. J. a), 1. Absatz. 22 Vgl. Pufé (2012), S. 134. 23 Vgl. Rat für nachhaltige Entwicklung (o. J. b), 1. und 6. Absatz. 24 Vgl. BBSR (o. J.), 2. Absatz 25 Vgl. Bott et al. (2013), S. 13.
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
9
„Leitvorstellung bei der Erfüllung der Aufgabe nach Absatz 1 ist eine nachhaltige Raum-
entwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen
ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumigen aus-
gewogenen Ordnung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Teilräumen führt.“
Im Baugesetzbuch (BauGB) wir der Nachhaltigkeitsgrundsatz auf die Ebene der De-
tailplanung, also der Bauleitplanung geholt. Im §1 Abs. 5 ist festgeschrieben, wie eine
zukunftsfähige und nachhaltige Planung aussehen soll:
„Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen,
wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegen-
über künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der All-
gemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten.“
Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Leitvorstellung treten dadurch auf, dass
oftmals die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Belange nebeneinander stehen
und schwer kombinierbar sind. Es liegt in diesen Fällen in der Verantwortung der Pla-
ner und der Entscheidungsträger, welcher dieser Belange sich durchsetzt26.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Beteiligung von den Bürgerinnen und Bürgern an
diesen Prozessen. Nachhaltig, also langfristig funktionsfähig ist eine Stadt, wenn sie
den Bewohnerinnen und Bewohnern genügend Freiraum zu Entfaltung und Mitbestim-
mung gibt27.
2.7 Verschiedene Modelle der Nachhaltigkeit.
Es bestand in den internationalen Kommissionen sofort Einigkeit darüber, dass die
heutige Generation aus ethischen Gründen handeln muss, um den zukünftigen Gene-
rationen eine Welt zu hinterlassen, auf und von der diese leben können. Doch in der
Umsetzungsarbeit ist die Frage, welche Faktoren mit welchen Wertigkeiten mit in eine
Definition einspielen, ein viel diskutiertes Thema. Es gibt verschiedene Konzepte und
Modelle, die Dimensionen der Nachhaltigkeit darzustellen. Hier wird ein weiteres Mal
deutlich, wie schwer es ist Nachhaltigkeit zu definieren und zu bestimmen, welche Be-
reiche wie intensiv mit betrachtet werden müssen.
26 Vgl. Schröter (2008), 6. und 14. Absatz. 27 Vgl. Bott et al. (2013), S. 42 f.
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
10
2.7.1 Das Ein-Säulen-Modell
Beim Ein-Säulen-Modell liegt der Schwerpunkt auf der ökologischen Perspektive.
Nachhaltig ist in diesem Konzept alles das, was langfristig ökologisch verträglich ist.
Das bedeutet, dass die natürlichen Ressourcen nur soweit in Anspruch genommen
werden, wie sie sich auf natürliche Weise regenerieren können. Die natürliche Umwelt
bildet somit die Basis, auf der alles Leben aufgebaut ist, und hat damit auch die höchs-
te Priorität. Die Grundbedürfnisse des Menschen, soziale und gesellschaftliche Aspek-
te, bilden die nächste Stufe. Das bedeutet, dass sich die Wirtschaft und das Handeln
der Gesellschaft in diese natürliche ökologische Grenze einordnen müssen28.
Dieses Ein-Säulen-Modell wird vor allem von ökologischen Gruppen wie beispielsweise
den Nichtregierungsorganisationen (NGOs), aber auch vom Sachverständigenrat für
Umweltfragen (SRU) und vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale
Umweltveränderungen (WBGU) angewendet und dient als Grundlage für ihre Arbei-
ten29.
Kritiker jedoch sind der Meinung, dass sobald die ökologischen Fortschritte zu Defizi-
ten im gesellschaftlichen Handeln oder im Bereich der Wirtschaft führen, dieses Nach-
haltigkeitsprinzip nicht mehr realisierbar ist30. Genau an diesem Punkt beginnt eine
ethische Fragestellung, ob zu Lasten der Gesellschaft und sozialen Belangen die Um-
welt geschützt oder zuerst der sozialen Verantwortung nachgekommen werden soll.
2.7.2 Das Drei-Säulen-Modell
Das zweite Konzept ist das Drei-Säulen-Modell oder auch Mehr-Säulen-Modell ge-
nannt. Hier werden die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichgesetzt
und stellen selbstständige und gleichrangige Bereiche dar. 1998 hat die Enquete-
Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“, des 13. Deutschen Bundestages
ihrer Definition von Nachhaltigkeit das Drei-Säulen-Modell zu Grunde gelegt und in
einem „Magischen Dreieck“ dargestellt (siehe Abbildung 1)
28 Vgl. Aachener Stiftung Kathy Beys (2014 b), 1. Absatz. 29 Vgl. Renn et al. (2007), S. 27. 30 Vgl. Aachener Stiftung Kathy Beys (2014 b), 4. Absatz.
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
11
Quelle: Spindler (o.J.), S. 12
Die Vorteile für dieses Modell bestehen darin, dass grundsätzlich bei der Umsetzung
von Gerechtigkeitsfragen und damit auch der Nachhaltigkeitsleitzielen alle drei Dimen-
sionen mit einbezogen werden müssen. Denn ökonomische und soziale Werte stellen
ebenfalls Bedingungen zum Bestehen einer dauerhaften lebensfähigen Gesellschaft
dar31.
In der Realität gestaltet sich diese Sichtweise oft schwierig, denn zum einen stellt sich
heraus, dass es sehr schwer zu definieren ist, was „gleichrangig“ bedeutet, und zum
anderen stehen hinter diesen Begriffen drei nicht miteinander vergleichbare Systeme,
die jeweils unterschiedliche Problemfelder behandeln und deshalb auch unterschiedli-
che Aufgaben zu bewältigen haben. Dieser Umstand macht es unmöglich die drei Di-
mensionen gleichrangig zu betrachten32. Hinzu kommt, dass ziemlich viel in die drei
Begriffe hineininterpretiert werden kann. Laut Ott und Döring ist das Drei-Säulen-
Modell genau aus diesem Grund der „Weichspüler“ für die Nachhaltigkeitsidee. Als
Beispiele nennen sie, dass gerade die ökonomische Säule sehr weit geöffnet werden
kann, denn es wird oft von nachhaltiger Belebung des Arbeitsmarktes, nachhaltiger
Entwicklung des Industriestandortes, nachhaltigem Ausbau von Verkehrswergen usw.
gesprochen33.
31 Vgl. Grunewald & Kopfmüller (2006), S. 46. 32 Vgl. Vogt (2009), S. 143. 33 Vgl. Ott & Döring (2004), S. 36.
Abbildung 1 Das magische Dreieck
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
12
2.7.3 Integrative Nachhaltigkeitskonzepte
Aus der genannten Kritik an dem Drei-Säulen-Modell gehen integrative Konzepte her-
vor. In der Regel wird in den integrierten Konzepten zu der ökologischen Basis zurück-
gekehrt. Außerdem werden weitere Säulen wie beispielsweise die Kultur mit aufge-
nommen. Aus diesem „gewichteten Säulenmodell“ nach Stahlmann wird klar, dass den
verschiedenen Säulen die Sicherung des ökologischen Gleichgewichts zu Grunde lie-
gen muss34. Stahlmann stellt demnach eine Rangfolge der Dimensionen auf: Die Öko-
logie bildet die erste Stufe und damit die Basis, da sie (über-) lebenswichtig ist. Darauf
folgt als zweite Rangstufe die Gesellschaft. In ihr enthalten sind die Kultur und die so-
zialen Angelegenheiten. Als dritte Säule mit der dritten Priorität findet die Wirtschaft
ihren Platz. Sie soll als Teil der Gesellschaft organisiert sein und darf die anderen Säu-
len nicht negativ beeinflussen. Das Dach der nachhaltigen Entwicklung stützt sich auf
diese Säulen und wird von ihnen getragen (siehe Abbildung 2)35.
Quelle: Stahlmann (2008), S. 61
34 Vgl. Stahlmann (2008), S. 61. 35 Vgl. Stahlmann (2008), S. 61.
Abbildung 2 Ein integratives Nachhaltigkeitsmodell
2. Allgemeine historische und definitorische Grundlagen _____________________________________________________________________________
13
2.8 Definitions- und Umsetzungsschwierigkeiten der Nachhaltigkeit
Durch den dargestellten Facettenreichtum des Leitbildes Nachhaltigkeit werden sämtli-
che Disziplinen und die unterschiedlichsten Branchen angesprochen. Das macht eine
eindeutige Definition sehr schwer. Hinzu kommt, dass Nachhaltigkeit kein abgeschlos-
sener Begriff ist, sondern ein andauernder Prozess, der unterschiedliche und teilweise
sogar gegensätzliche Weltbilder in diesem Leitbild vereinen muss36.
Zwar ist der Begriff Nachhaltigkeit durch seine Werte, beispielsweise zum Umwelt-
schutz und der Gesundheit, positiv geladen und erhält dadurch große Akzeptanz in der
Gesellschaft, doch trotzdem stellt sich eine Umsetzung in die Praxis als schwer heraus.
Ein Grund dafür ist, dass sobald die Interessen der Einzelnen mit diesen Werten kolli-
dieren, gefühlte Kompromisse eingegangen werden müssen, die zunächst für einige
Menschen einen Aufwand in zeitlicher oder finanzieller Form bedeuten37. Dieses Phä-
nomen lässt sich sehr gut im Alltag beobachten. Beispielsweise sind sich alle darüber
einig, dass die Nutzung von Plastiktüten, aufgrund der langen Zeit, die sie zum Verrot-
ten benötigen, schädliche Auswirkungen auf die Umwelt hat und aus Gründen der
Nachhaltigkeit vermieden werden sollte. Dennoch greifen viele beim Einkauf auf eine
Plastiktüte zurück. Ursächlich dafür ist, dass die Nutzung einer Plastiktüte der einfachs-
te Weg ist spontan Einkäufe zu transportieren. Anstatt vorher daran zu denken einen
wiederverwendbaren Beutel einzupacken, wird sich oft für die einfachere Variante ent-
schieden, vor Ort eine Tüte zu kaufen. Es lassen sich viele weitere kleine und große
Beispiele für die Schwierigkeit der Umsetzung von eigentlich akzeptieren Werten in der
Praxis finden. Dieses Phänomen der Umsetzungsschwierigkeiten aufgrund von gefühl-
ten Kompromissen kann sehr gut auf die politische Ebene übertragen werden.
36 Vgl. Pufé (2012), S. 17. 37 Vgl. Pufé (2012), S. 17.
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
14
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck
3.1 Grundlagen des Nachhaltigkeitsprozesses in Lübeck
Die Hansestadt Lübeck liegt im Süden Schleswig-Holsteins an der Ostseeküste und an
der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern (siehe Abbildung 3) und weist aktuell eine
Einwohnerzahl von etwa 214.000 auf38. Im September 1995 begann auch dort mit der
Unterzeichnung der Charta von Aalborg, durch den damaligen Bürgermeister Michael
Bouteiller, der Nachhaltigkeitsprozess. Daraufhin erhielt die Verwaltung den Auftrag,
eine Projektgruppe ins Leben zu rufen, die die Aufgabe der Entwicklung der lokalen
Agenda 21 in Lübeck erfüllen sollte. Die Projektgruppe bestand zunächst aus Vertrete-
rinnen und Vertretern der Naturschutzbehörde, des Stadtplanungsamtes und den
Stadtwerken Lübeck39.
Quelle: Google Earth (2015)
38 Vgl. Hansestadt Lübeck (2015), 1. Absatz. 39 Vgl. Kuhn et al. (1998), S. 179.
Abbildung 3 Übersichtskarte zur Lage Lübecks
Lübeck
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
15
Das wichtigste Handlungsfeld bestand darin, ein Leitbild für Lübeck sowie ein Hand-
lungsprogramm für eine zukunftsfähige und nachhaltige Entwicklung in Lübeck zu ent-
wickeln40. Im Jahr 1999 wurde dafür das Agenda-Büro eingerichtet, das sich in den
Räumlichkeiten des Umweltamtes befand. Es sollte der Funktion der zentralen Anlauf-,
Informations- und Servicestelle sowie als Sekretariat und Büro für die Agenda 21-
Gremien und interessierte Bürger dienen41. Unter dem folgenden Link werden interes-
sierte Bürger heute noch an das Agenda-21-Büro verwiesen:
http://www.luebeck.de/stadt_politik/rathaus/agenda/buero/index.html.
Die Agenda Arbeit wurde auf Grund nicht vorhandener Haushaltsmittel eingestellt,
weshalb auch das Agenda-Büro geschlossen wurde. Ebenso wurde daraufhin die Er-
arbeitung des Leitbildes eingestellt42.
3.2 Wichtige Eckdaten des Hochschulstadtteils
Das Projekt des Lübecker Hochschulstadtteils war eines der größten Stadtentwick-
lungsprojekte in ganz Norddeutschland. Es umfasst insgesamt eine Fläche von 230
Hektar. Im Wesentlichen sollte durch den Bau des Stadtteils neuer Wohnraum ge-
schaffen werden. Dadurch wollte die Stadt neue Einwohnerinnen und Einwohner ge-
winnen und die Abwanderung junger Haushalte ins Umland reduzieren. Der Hoch-
schulstadtteil ist angegliedert an die Flächen der Universität und der Fachhochschule
Lübeck. Daraus ergab sich das Ziel, die Wirtschafts- und Wissenschaftsstruktur durch
die Ansiedlung innovativer Firmen zu verbessern43.
Insgesamt bietet der Hochschulstadtteil heute Wohnraum für 5.000 Einwohnerinnen
und Einwohner. Die Mehrzahl der Einwohnerinnen und Einwohner wird durch junge
Familien mit Kindern dargestellt, ebenso finden auch Seniorinnen und Senioren, sowie
Studierende dort den für sie passenden Wohnraum. Durch die wissenschaftliche und
technologische Ausrichtung sind außerdem über 1.000 Arbeitsplätze entstanden44.
Der Hochschulstadtteil befindet sich im Süden von Lübeck rund 3 km von der Lübecker
Altstadt entfernt, zwischen den Stadtteilen St. Jürgen und Strecknitz (siehe Abbildung
4). Der Hochschulstadtteil besitzt durch seine Lage eine gute Anbindung zum 3 Kilo-
40 Vgl. Kuhn et al. (1998), S. 181. 41 Vgl. Kuhn et al. (1998), S. 184. 42 Vgl. Kuhn et al. (1998), S. 182. 43 Vgl. HEG (2013), S. 14. 44 Vgl. HEG (2013), S. 4 f.
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
16
meter entfernten Flughafen und zur Autobahn A 20. Durch die Bahnhaltestelle besteht
eine gute Verbindung nach Lüneburg und zum Hauptbahnhof Lübeck. Verwaltungs-
technisch stellt der Hochschulstadtteil keinen eigenen Stadtteil dar, sondern gehört
zum Stadtteil St. Jürgen. Vor der Bebauung wurde der größte Teil der Flächen land-
wirtschaftlich durch das Gut Mönkhof genutzt. Außerdem handelt es sich bei einem
weiteren Teil um die Flächen der Landgrabenniederung45
Quelle: Google Maps (2015)
45 Vgl. HEG (2001), S. 14.
Abbildung 4 Lage des Hochschulstadtteils im Lübecker Stadtgebiet
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
17
3.3 Chronologie der Planung
Nach dem zweiten Weltkrieg lag Lübeck im Zonenrandgebiet und entwickelte sich des-
halb nur zögernd und ohne besonderen Einwohnerzuwachs. Deshalb war bis zu Wie-
dervereinigung keine Ausweisung von neuem Bauland nötig. Mit der Wiedervereini-
gung im Jahr 1989 lag Lübeck nicht mehr in einer Randlage mit einem Einzugsgebiet
für 330.000 Menschen, sondern zentral gelegen für 550.000 Menschen. Auch die Ein-
wohnerzahl stieg um 10.000 von 208.000 auf 218.000. Aus diesem Grund entstand
Anfang der 1990er Jahre ein Bedarf von etwa 7.500 bis 8.000 zusätzlichen Wohnun-
gen46.
Der Ablauf der verschiedenen Planungsschritte vom Beschluss des Landes Schleswig-
Holsteins zum Ausbau des Hochschulstandortes und der Initiierung der Projektgruppe
bis zum verabschiedeten „Rahmenplan 2000“ dauerte 12 Jahre. Die Ideen des Städte-
baulichen Wettbewerbs von 1991 mussten mehrfach dem sich ändernden Bedarf an-
gepasst werden47. In der Abbildung 5 „Chronologie der Planung“ ist eine zeitliche Ab-
folge dargestellt.
46 Vgl. HEG (2013), S. 14. 47 Vgl. HEG (2013), S. 16-21.
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
18
Abbildung 5 Chronologie des Planungsprozesses nach HEG
Quelle: Vgl. HEG (2013), S. 16-21
1989
•Beschluss des Landes Schleswig-Holstein und der Hansestadt Lübeckzum Ausbau und zur Stärkung des Hochschulstandortes Lübeck, Bildung einer Projektgruppe
1990 •Beschluss der Hansestadt Lübeck zur Ansiedlung von Forschungs- und Technologieeinrichtungen in räumlicher Zuordnung zu den Hochschulen
1991
•Erster städtebaulicher Wettbewerb/ Beschluss der Hansestadt Lübeck für ein umfangreiches Wohnungsprogramm mit ca. 2.500 Wohnungen im Hochschulstadtteil
1993-1995
•Überarbeitung und Abstimmung der Wettbewerbsergebnisse; Vorstellung der Rahmenplanung in der Öffentlichkeit; Beschluss des ersten Rahmenplans (22. Juni 1995) in der Bürgerschaft / Bildung einer Projektgruppe "Hochschulstadtteil" unter der Federführung des Fachbereichs Planen und Bauen Lübeck
1996-1997
•Fachübergreifender "Grün-Workshop"mit vier Landschaftsplanungsbüros; erneute Überarbeitung der Rahmenplanung und des städtebaulichen Konzepts; Vorbereitung zur Gündung Management-Gesellschaft für den Wissenschafts- und Technologiepark (WTP GmbH)
1998-1999
•Beschluss und Gründung der Hochschulstadtteil Entwicklungsgesellschaft mbH (HEG); Erstellung eines Realisierungskonzepts zur Fortführung und Umsetzung der Planung (LEG Schleswig-Holstein); im Dezember Gründung der Wissenschfts- und Technologiepark GmbH
2000-2001
•Überarbeitung des Rahmenplans unter den Maßgaben des Realisierungskonzepts; Juli 2000 bis Mai 2001 Veranstaltungsreihe des Beteiligungsverfahrens
2001 •Juni: Vorlage und Beschluss des "Rahmenplan 2000" durch die Bürgerschaft
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
19
Nachdem die Planung im Rahmenplan 2000 beschlossen wurde, begann die Phase
der Realisierung und Konkretisierung (siehe Abbildung 6 links). Erste vorbereitende
Maßnahmen wie beispielsweise der Bau der B 207-neu zur Haupterschließung des
Gebietes und die Verlagerung der Kleingärten fanden bereits im Jahr 2000 und 2001
statt. Mit dem Bau der inneren Erschließung wurde im Jahr 2002 begonnen.
Abbildung 6 Chronologie der Realisierung in den Entwicklungsstufen nach HEG
Quelle: Vgl. HEG (2001), S. 32-39 Quelle: HEG (2001), S.72
Im Entwicklungsplan (siehe Abbildung 6 rechts) sind die Stufen der Bebauung darge-
stellt. Die Realisierungsabschnitte A und B, in rot dargestellt, erhielten bereits im Jahr
2002 gültiges Planungsrecht. Die in orange dargestellten Abschnitte C erhielten im
Jahr 2003 ihr Planungsrecht und als dritter Abschnitt im Jahr 2004 erhielten die Ab-
schnitte D, in gelb dargestellt, das Planungsrecht48.
48 Vgl. HEG (2013), S. 32.
2002
• 31. Mai: Beginn der inneren Erschließung des Hochschulstadtteils; Beginn der Aufstellung der Bebauungspläne je nach Realisierungsabschnitt
2002
• Planungsrecht für das Südliche Wohngebiet; Teil A und B
2003 • Planungsrecht für die Teile C
2004 • Planungsrecht für die Teile D
2013
• Verkauf des letzten Grundstücks
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
20
3.4 Die Leitziele im „Rahmenplan 2000“
Der damalige Bausenator Dr. Volker Zahn spricht in seinem Vorwort des „Rahmen-
plans 2000“ über den Hochschulstadtteil und sagt:
„Der Hochschulstadtteil wird unter städtebaulichen, architektonischen, ökologischen, so-
zialen und energetischen Aspekten alle Anforderungen einer nachhaltigen Stadtplanung
erfüllen.“49
Danach wurden die in der Abbildung 7 dargestellten 13 Leitziele aufgestellt, die diese
nachhaltigen Aspekte erfüllen sollen. Das Leitziel 12 „Solare und energetische Optimie-
rung und ein ressourcenschonendes Energiekonzept“ stellt den Untersuchungsgegen-
stand dieser Arbeit dar und wird auf seine Umsetzung hin untersucht.
Abbildung 7 Die 13 Leitziele des "Rahmenplan 2000" nach HEG
49 HEG (2001), S. 5.
Die 13 Leitziele
1. Initiierung überregionaler, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und ökologischer Impulse
2. Eine nachhaltige Stadtentwicklung mit einem Gleichgewicht von ökologischen, ökonomischen und
sozialen Belangen
3. Ergänzung des südlichen Stadtgebietes St. Jürgen und Vernetzung mit den vorhandenen Hochschul-
bereichen
4. Schaffung dichter, gemischter, städtischer Strukturen für Technologie und Arbeiten, Wohnen und
Versorgung, Kultur und Freizeit
5. Die Sicherung von Wohn- und Lebensqualität für verschiedene Zielgruppen unter Berücksichtigung
individueller geschlechtsspezifischer Lebenssituationen, Alltagsstrukturen und Bedürfnisse
6. Das Erreichen einer sozialen Mischung durch vielfältige Quartiere, unterschiedlicher Wohnformen und
individueller Gestaltungsmöglichkeiten
7. Die Sicherung des öffentlichen Raumes für den Prozess der sozialen Aneignung
8. Schaffung von Urbanität und sozialer Leistungsfähigkeit durch vielfältige Infrastruktureinrichtungen
und kulturelle Angebote
9. Ein integratives Freiraumkonzept mit hohem Identifikationsgrad und Korrespondenz mit dem land-
schaftlichen Umfeld durch vielgestaltige, naturnahe, auch zum Naturerleben geeignete Grünflächen
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
21
Quelle: Vgl. HEG (2001), S. 29.
3.5 Die Umsetzung des 12. Leitziels
Die Bürgerschaft hat durch einen Beschluss die solare und energetische Optimierung
des Hochschulstadtteils vorgegeben. Durch die in der Abbildung 8 dargestellten vier
Handlungsschritte sollten diese Vorgaben umgesetzt werden. Diese Handlungsschritte
beinhalten bereits die in der Energieeinsparungsverordnung (EnEV) festgelegten Ziele,
die erst 2002 in Kraft getreten sind50.
Abbildung 8 Die 4 Handlungsschritte nach HEG
4 Handlungsschritte
Reduzierung des Heizwärmebedarfs durch solarenergetischer Optimierung, geringe Außenflä-
chen der Gebäude und Einführung von Energiekennwerten
Reduzierung des Strombedarfs
Nachhaltige Energieversorgung
Qualitätssicherung
Quelle: Vgl. HEG (2001), S. 61
50 Vgl. HEG (2001), S. 61.
mit hoher Aufenthaltsqualität
10. Ein umweltschonendes Regenwasserkonzept mit geringem Eingriff in den örtlichen Wasserhaushalt
11. Die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs durch vielfältige ÖPNV-Angebote, ein attrakti-
ves Fuß- und Radwegenetz und ein flächensparendes Parkierungskonzept
12. Solare und energetische Optimierung und ein ressourcenschonendes Energieversorgungs-konzept
13. Ein offenes, prozessuales Beteiligungsverfahren mit allen Akteuren unter Beteiligung der Öffentlich-
keit
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
22
3.5.1 Reduzierung des Heizwärmebedarfs
Der erste Handlungsschritt sieht eine solarenergetisch clevere Ausrichtung der Gebäu-
de vor, wodurch der Heizwärmebedarf reduziert werden soll. Der wichtigste Aspekt
dabei ist, dass die Gebäude nicht durch andere Gebäude oder große Vegetation vers-
chattet werden. Eine ungünstige Topographie kann ebenfalls unerwünschte Beschat-
tungen zur Folge haben. Um das zu verhindern, wurde ein Teil der 3-geschossigen
Wohnbebauung im nordöstlichen Bereich angeordnet und der andere Teil, der sich im
südlichen Bereich befindet, wurde nach Südwesten ausgerichtet. Für die Einfamilien-
und Doppelhäuser wurden deshalb die Firsthöhen begrenzt. Zusätzlich wurden die
Erschließungsstraßen im südlichen Wohngebiet gekrümmt angelegt, um eine bestmög-
liche solare Ausnutzung für möglichst viele Gebäude zu erreichen. Eine Begrenzung
der Wuchshöhe der Vegetation des öffentlichen Grüns und eine nur einseitige Bepflan-
zung auf der nordöstlichen Seite der Erschließungsstraßen für das südliche Wohnge-
biet dienen ebenfalls der solarenergetischen Optimierung51.
Um den Heizwärmebedarf so gering wie möglich zu halten, wurden die Gebäude kom-
pakt und mit möglichst wenigen Außenflächen geplant. Um das zu erreichen, empfiehlt
der Rahmenplan 2000 mit minimal zwei Vollgeschossen zu bauen, sowie den Bau von
Doppelhäusern gegenüber dem Bau von Einfamilienhäusern vorzuziehen. Zusätzlich
wurde ein Heizenergiekennwert eingeführt. Dieser beinhaltet die energietechnischen
Vorgaben der Energieeinsparungsverordnung (EnEV), die erst im Februar 2002 in
Kraft trat. Das bedeutet, dass bereits im Jahr 2000 für den ganzen Hochschulstadtteil
die Energieeinsparverordnung galt52.
Die EnEV wird regelmäßig novelliert und ersetzt die bis dahin geltenden Wärme-
schutzverordnung und die Heizanlagenverordnung, die damit beide ihre Gültigkeit ver-
loren haben. Damit sind von da an der bauliche Wärmeschutz und der effiziente Be-
trieb von Heizungsanlagen miteinander gekoppelt53. Die Energieeffizienzstandards von
Gebäuden werden unter anderem von der KFW-Bankengruppe angegeben.
Für die Gebäude im Hochschulstadtteil ist der Heizenergiebedarf auf 45 kWh pro m²
Nutzfläche im Jahr begrenzt. Das bedeutet, dass pro Quadratmeter Nutzfläche jährlich
nicht mehr als 45 kWh für den Heizvorgang verbraucht werden darf. Zum Vergleich
sind die Werte eines Altbaus gegenüber eines Neubaus in der Abbildung 9 dargestellt.
51 Vgl. HEG (2001), S. 62. 52 Vgl. HEG (2001), S. 62. 53 Vgl. WEKA (2012), S. 12.
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
23
Zusätzlich wird für die Einfamilien- und Doppelhausgebiete im südlichen Teil ein hoher
Anteil an Gebäuden mit Passivhausstandard angestrebt. Hier darf der Heizenergiebe-
darf lediglich bei einem Wert von 15 kWh/m² im Jahr liegen.
Entwicklung der Energiestandards eines Altbaus im Vergleich zum Neubau. Der Energiebedarf für Hei-
zung, Warmwasser und Hilfsstrom . Quelle: Keller (2012), S. 37
3.5.2 Reduzierung des Strombedarfs
Der Energiebedarf, der durch den Stromverbrauch anfällt, erreicht im Plangebiet eine
ähnliche Größenordnung wie der Energiebedarf für Heizungsanlagen, da die Gebäude
einen hohen Dämmstandard aufweisen. Auf der privaten Ebene soll das Ziel der
Strombedarfsreduzierung durch Aufklärung und Information der Bewohnenden erreicht
werden. Durch die Aufklärung soll der Kauf von energieeffizienten Geräten gefördert
werden.
Auf der gewerblichen Ebene werden integrative Planungsmethoden eingeführt, die die
Anforderungen an die Stromeffizienz der Gebäude sicherstellen. Diese Anforderungen
sollen in einem sogenannten Pflichtenheft dargestellt und definiert werden54.
54 Vgl. HEG (2001), S. 62.
Abbildung 9 Entwicklung der Energiestandards
3. Das Leitziel der Nachhaltigkeit im Hochschulstadtteil in der Hansestadt Lübeck _____________________________________________________________________________
24
3.5.3 Nachhaltige Energieversorgung
Ziel ist es, den restlichen anfallenden Wärmebedarf, der trotz der hohen Energiestan-
dards erhalten bleibt, CO2-reduziert zu decken. Dafür soll ein Nahwärmenetz eingerich-
tet werden, an das alle Gebiete, bis auf das südliche Wohngebiet, angeschlossen wer-
den. Das Blockheizkraftwerk wird mit Holzhackschnitzeln aus dem als nachhaltig zerti-
fizierten Lübecker Stadtforst beheizt. Im südlichen Bereich des Hochschulstadtteils
sollen dezentrale, individuelle Lösungen zur Reduzierung der CO2-Produktion gesucht
werden55.
3.5.4 Qualitätssicherung
Durch verschiedene Maßnahmen soll die Qualität im Hochschulstadtteil erhalten und
geprüft werden. Eine Maßnahme ist die Einhaltung der damals noch zukünftigen Werte
der Energieeinsparverordnung. Die Ziele dieser Qualitätsprüfung sind zum einen die
Sicherung und die Werterhaltung der Gebäude für den Eigentümer, die Erzielung eines
hohen thermischen Komforts für den Nutzer, die Vermeidung von Bauschäden sowie
geringe Unterhaltungs- und Betriebskosten56.
55 Vgl. HEG (2001), S. 62. 56 Vgl. HEG (2001), S. 62.
4. Untersuchungsdesign _____________________________________________________________________________
25
4. Untersuchungsdesign
4.1 Datenerhebung und Inhalt der Befragung
Das Ziel der Umfrage ist, Informationen bezüglich der Nutzungsdichte, die Gründe für
eine Nicht- bzw. Nutzung, sowie einen Überblick über die Akzeptanz und den Informa-
tionsstand über erneuerbare Energiequellen im Untersuchungsgebiet zu erhalten.
Mit Hilfe der gewonnenen Informationen aus der Umfrage wird die Umsetzung des im
„Rahmenplan 2000“ formulierten 12. Nachhaltigkeitsleitziels „solare und energetische
Optimierung und ein ressourcenschonendes Energieversorgungskonzept“ kritisch be-
trachtet und ausgewertet.
Die Umfrage wurde überwiegend an Samstagnachmittagen durchgeführt (siehe Abbil-
dung 10).
Abbildung 10 Befragungstermine
Befragungstermine
Dienstag 21.04.2015 17:30 - 18:30 12 Umfragen
Mittwoch 22.04.2015 17:30 - 18:30 7 Umfragen
Donnerstag 23.04.2015 17:30 - 18:30 11 Umfragen
Samstag 09.05.2015 15:50 - 18:00 30 Umfragen
Montag 11.05.2015 16:45 - 17:15 6 Umfragen
Samstag 16.05.2015 15:30 - 18:20 25 Umfragen
Samstag 30.05.2015 16:15 - 17:30 9 Umfragen
100 Umfragen
4. Untersuchungsdesign _____________________________________________________________________________
26
4.2 Auswahl der Befragten
Als Befragte kommen diejenigen Bewohnerinnen und Bewohner des Hochschulstadt-
teils in Frage, die einen Einfluss bezüglich der eingebauten Heizungsanlage in ihrem
Haus besitzen. Aufgrund dessen, dass im südlichen Teil überwiegend Eigenheime zu
finden sind und für diesen Teil die individuellen Lösungen vorgesehen sind, wurde die-
ser Bereich als Untersuchungsgebiet ausgewählt (siehe Abbildung 11). Die dort befind-
lichen Geschosswohnungsbauten in der Paul-Ehrlich-Straße wurden nicht mit betrach-
tet.
Quelle: Hansestadt Lübeck (2002)
Es wird versucht die Befragten möglichst ausgewogen auf das ganze Gebiet zu vertei-
len. Die Auswahl erfolgt durch ein zufälliges Klingeln an der Haustür. Hat die ange-
Abbildung 11 Südlicher Teil des Hochschulstadtteils
4. Untersuchungsdesign _____________________________________________________________________________
27
troffene Person Interesse, an der Befragung teilzunehmen, wird diese an der Haustür
durchgeführt. Der Fragebogen wird von der Interviewerin ausgefüllt.
Um eine repräsentative Datengrundlage zu erhalten, werden 100 von den etwa 450
ansässigen Haushalten befragt. Der überwiegende Teil der Befragungen wird an 3
Samstagen durchgeführt, da dadurch sichergestellt werden kann, dass auch berufstä-
tige Anwohnerinnen und Anwohner erreicht werden.
4.3 Aufbau des Fragebogens
Um eine Vergleichbarkeit der gegebenen Antworten zu erzielen, wird die Umfrage mit-
tels eines standardisierten Fragebogens durchgeführt (siehe Anhang 1). Dadurch wird
sichergestellt, dass für jede und jeden Befragten die Formulierung und die Reihenfolge
der gestellten Fragen gleich sind. Im Fragebogen sind halboffene Fragen gestellt, um
den Befragten die Möglichkeit zu geben, andere oder zusätzliche Gründe zu nennen.
Bei der Erfragung nach den Gründen zur Nutzung der jeweiligen Energiequelle und
den Gründen, eine Nutzung in Betracht ziehen zu können, sind Mehrfachnennungen
möglich.
Nach den ersten 30 Befragungen wurde die vierte Frage hinzugefügt. Es stellte sich
heraus, dass es sinnvoll ist, nach dem Informationsstand bezüglich erneuerbarer Ener-
giequellen zu fragen, um eine Verfälschung der Ergebnisse zu verhindern.
Der Fragebogen ist in acht Fragen aufgeteilt. Da einige Fragen nicht für alle der Be-
fragten relevant sind, ermöglichen sogenannte Filterfragen eine schnellere Durchfüh-
rung der Befragung. Mit der ersten Frage, die danach fragt, ob die befragte Person ein
Eigenheim besitzt, soll sichergestellt werden, dass eine eigene Entscheidung bezüglich
der genutzten Energiequelle getroffen wurde. Mit der zweiten Frage folgt die erste Fil-
terfrage. Die Befragten werden hier nach Nutzern konventioneller Energiequellen und
erneuerbarer Energiequellen unterschieden. Anschließend nennen die Nutzenden er-
neuerbarer Energien ihre Art der Energiequelle. Durch die vierte Frage soll der Infor-
mationsstand unter den Befragten bezüglich erneuerbarer Energien in Erfahrung ge-
bracht werden. Jetzt werden von den Befragten jeweils die Gründe für und gegen eine
Nutzung von erneuerbaren Energien angegeben. Die folgenden Fragen sieben und
acht werden nur von Nutzern konventioneller Energiequellen beantwortet. Erst wird
gefragt, ob prinzipiell eine Nutzung von erneuerbaren Energiequellen infrage kommen
würde und in der achten Frage werden die Voraussetzungen dafür angegeben. Da
4. Untersuchungsdesign _____________________________________________________________________________
28
demographische Angaben zur Person für diese Umfrage irrelevant sind, werden diese
nicht erhoben.
4.4 Methodenkritik
Eine Befragung ist ein gutes Instrument um die Meinungen von Menschen zu einem
bestimmten Thema zu erfragen. Die einfachste Möglichkeit, eine mündliche Befragung
an der Haustür, bot sich für diese Arbeit an und hat sich bewährt. Es war leicht, die
befragten Haushalte möglichst gleich auf das ganze Gebiet zu verteilen und die Reso-
nanz der angetroffenen Personen war groß. Etwa 7 von 10 angesprochenen Personen
nahmen an der Umfrage teil. Alle Befragten waren sehr freundlich und aufgeschlossen
und berichteten von sich aus über ihre eigenen Erfahrungen mit erneuerbaren Ener-
gien während des Planungsprozesses.
Ein Nachteil dieser Methode ist, dass die befragte Person durch das Auftreten und
Verhalten der Interviewerin beeinflusst werden kann und damit auch die gegebenen
Antworten unbewusst beeinflusst werden können. Um das zu vermeiden, muss die
Interviewerin sich in völliger Neutralität gegenüber dem Thema üben. Sie sollte ihre
persönliche Einstellung zum Thema verbergen und keine Befremdung oder Missbilli-
gung und auch keine Bestätigung gegenüber den gegebenen Antworten zeigen57. In
der durchgeführten Umfrage wurde dieser Grundsatz bestmöglich von der Interviewerin
eingehalten.
Ein weiterer Nachteil ergibt sich im Nachhinein für die Fragen 4. und 7. aus den ja/ nein
Antwortmöglichkeiten. Bei Umfragen dieser Art, die an der Haustür durchgeführt wer-
den, kann davon ausgegangen werden, dass die Befragten sich spontan für eine der
Antworten entscheiden. Daher kann beispielsweise bei der Frage 7. nicht automatisch
von einer ernsten Nutzungsabsicht ausgegangen werden, wenn diese mit „ja“ bean t-
wortet wird. Nichts destotrotz konnte durch diese Fragen ein Meinungsbild unter den
Bewohnenden bezüglich dieser Themen abgefragt werden. Für den Umfang dieser
Arbeit sind diese Informationen ausreichend.
Für den Umfang dieser Bachelorarbeit war die gewählte Methode die Richtige. Es
konnte ein Stimmungsbild bezüglich der erneuerbaren Energien abgefragt werden und
es wurde ein Überblick über die ausschlaggebenden Gründe für und gegen die Nut-
zung von erneuerbaren Energien erhalten. Für Untersuchungen, die das Thema tief- 57 Vgl. Schnell et. al. (2011), S. 318.
4. Untersuchungsdesign _____________________________________________________________________________
29
greifender betrachten, ist eine größer angelegte Umfrage mit anders formulierten Fra-
gen nötig.
Ein häufig genannter Aspekt ist die Schwierigkeit an verlässliche Informationen zu ge-
langen, um eine begründete Entscheidung bezüglich der möglichen Energiequellen zu
treffen. Daher bietet sich als weiterführendes Forschungsthema an zu hinterfragen,
inwieweit sich die die 60% der Befragten, die angaben sich informiert zu haben, das
getan haben. Interessant dabei ist herauszufinden, welche Informationsquellen jeweils
für die Recherche genutzt wurden und wie viel Zeitaufwand von den jeweiligen Befrag-
ten dafür investiert wurde.
Weiterführend können weitere Projekte auf die Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsleitziele
untersuch werden. Der Umsetzungsstand in der Stadtplanung bleibt weiterhin kritisch
zu hinterfragen. Eine größer angelegte Evaluierung dieser Leitziele ist interessant.
5. Umsetzung der Nachhaltigkeitsleitziele im Hochschulstadtteil in Lübeck _____________________________________________________________________________
30
5. Umsetzung der Nachhaltigkeitsleitziele im Hochschulstadtteil in Lübeck
5.1 Eigentumsverhältnisse
Aus der ersten Frage geht hervor, dass 93 der Befragten ein Eigenheim besitzen und 7
im Untersuchungsgebiet zur Miete leben. Im Verlauf der Auswertung ist zu beachten,
dass die zur Miete lebenden Befragten keinen Einfluss auf die Art der Heizungsanlage
im Haus haben, weshalb ab der dritten Frage die Umfrage in diesen Fällen beendet
wurde.
Quelle: eigene Erhebung
5.2 Verwendete Energiequellen im Untersuchungsgebiet
Von den 100 befragten Haushalten besitzen 76 eine reine Gasheizung. 11 Haushalte
gaben an, eine Kombination aus einer Gasheizung und einer erneuerbaren Energie-
quelle zu nutzen. Darunter sind auch Haushalte gefasst, die eine Solaranlage für Strom
besitzen, eine Photovoltaikanlage für die Warmwasseraufbereitung besitzen oder
Haushalte, die überwiegend mit einem Holzofen heizen. 13 Haushalte beheizen ihr
Haus ausschließlich mit erneuerbaren Energien. Darunter sind Heizungssysteme, die
mit Erdwärme, Photovoltaik, Abluftwärmepumpen oder Fernwärme funktionieren.
Abbildung 12 Eigentumsverhältnisse unter den Befragten
93
7
Eigenheimbesitzer
Mieter
5. Umsetzung der Nachhaltigkeitsleitziele im Hochschulstadtteil in Lübeck _____________________________________________________________________________
31
Quelle: eigene Erhebung
5.3 Informationsstände der Befragten zu den erneuerbaren Energien
60 Befragte gaben an, sich über die Möglichkeiten der erneuerbaren Energienutzung
informiert zu haben. Die Gründe, weshalb sich dann dagegen entschieden wurde, wer-
den im Abschnitt 4.5 beschrieben. Hingegen gaben 33 Befragte an, dass sie sich nicht
zu diesem Thema informiert haben. Oft wurde im selben Satz begründet, dass vor 10
Jahren das Thema nicht aktuell gewesen sei.
Quelle: eigene Erhebung
76
13
11
Gas
Erneuerbar
Kombination auskonventioneller underneuerbarerEnergiequelle
Abbildung 13 Verwendete Energiequellen im Untersuchungsgebiet
Abbildung 14 Haben Sie sich vor ihrem Hauskauf/ Hausbau über erneuerbare Energien informiert?
60%
33%
7% ja
nein
Mieter
5. Umsetzung der Nachhaltigkeitsleitziele im Hochschulstadtteil in Lübeck _____________________________________________________________________________
32
5.4 Gründe für eine Nichtnutzung von erneuerbaren Energiequellen
Mit 31 Nennungen sind die Anschaffungskosten der meist genannte Grund, weshalb
sich für eine Nichtnutzung von erneuerbaren Energien entschieden wurde. Aus den 12
Antworten, dass beim Kauf des Hauses bereits eine Gasheizung enthalten war, ist zu
entnehmen, dass bereits ein Eigentümerwechsel im Hochschulstadtteil stattgefunden
hat. In diesen Fällen ist noch keine Modernisierung der Heizungsanlage notwendig.
Dass eine Gasheizung vom Planer vorgegeben war oder, dass seine Vorschläge zur
Installation einer Gasheizung angenommen wurden, haben 9 Befragte geantwortet. 8
Befragte gaben an, sich bei der Planung keine Gedanken über alternative Energiequel-
len gemacht zu haben, woraufhin nach den ersten 30 Fragebögen die Frage nach dem
Informationsstand eingeführt wurde. Weitere fünf Befragte gaben an, dass erneuerbare
Energien zum Bauzeitpunkt, vor ca. 10 Jahren, nicht aktuell waren und daher bei der
Planung nicht berücksichtigt wurden. Ein nicht ausreichendes Kosten-Nutzen-
Verhältnis ist für 4 Befragte ein Grund für die Nichtnutzung erneuerbare Energien. Be-
gründet wurden diese Aussagen mit einer zu langen Amortisationszeit der Anlagen.
Für 3 Befragte fehlte in der Planungsphase die Zeit, sich mit dem Thema zu befassen
und sich tiefgreifend zu informieren. Ebenfalls 3 gaben an, dass die planerische Um-
setzung einer erneuerbaren Energiequelle für das ganze Haus zu kompliziert gewesen
war. Zu den 11 anderen Gründen, die jeweils eine Nennung erhielten, zählen unter
anderen die Gründe,: der Architekt hat davon abgeraten, dass Erdwärme in Lübeck
nicht vorhanden ist, dass eine unpassende Dachform vorhanden ist, dass Solaranla-
gen auch nur 20 Jahre halten, dass die meisten erneuerbaren Energiequellen detailliert
betrachtet nicht richtig ökologisch sind, dass der Gaspreis so günstig ist oder, dass
sich eine Gasheizung bewährt hat und deshalb alternativlos ist.
Abbildung 15 Aus welchen Gründen haben Sie sich für ihre Gasheizung ent-schieden?
11 3
3
4
5
8
9
12
31
Andere Gründe
Umsetzung zu kompliziert
Fehlende Zeit
Amortisierung dauert zu lange
Thema war damals nicht aktuell
Bei der Planung nicht dran gedacht
vom Planer so vorgegeben
Beim Hauskauf schon drin
zu hohe Anschaffungskosten
Quelle: eigene Erhebung
5. Umsetzung der Nachhaltigkeitsleitziele im Hochschulstadtteil in Lübeck _____________________________________________________________________________
33
5.6 Bereitschaft erneuerbare Energiequellen zu nutzen
Die insgesamt 27 Mieter und Nutzer von erneuerbaren Energiequellen sind hier nicht
mitbetrachtet. Von den restlichen Befragten gaben 60 an, dass sie den Trend prinzipiell
gut finden und gerne selber welche nutzen würden. Aus unterschiedlichen Gründen
gaben 7 Befragte an, kein Interesse daran zu haben jemals erneuerbare Energiequel-
len zu nutzen. Die 6 Befragten, die nicht wissen, ob sie erneuerbare Energiequellen
nutzen würden, gaben an, dass sie sich im Falle der Installation einer neuen Hei-
zungsanlage neu informieren müssen und deshalb noch keine Angaben dazu gemacht
werden können.
Abbildung 16 Würden Sie prinzipiell gerne erneuerbare Energien nutzen?
Quelle: eigene Erhebung
5.7 Voraussetzungen für die Nutzung von erneuerbaren Energiequel-len
30 Befragte gaben auf diese Frage die Antwort, dass die Anschaffungskosten geringer
werden müssten. 11 mal wurden von den Befragten die Fördermöglichkeiten genannt,
die sich verbessern müssten. Genauso oft wurde eine Verbesserung des Kosten-
Nutzen-Verhältnisses genannt. Begründet wurde diese Aussage mit einer zu langen
Amortisierungszeit der Anlagen, bezogen auf die Investitionskosten und das eigene
Lebensalter. Ein weiterer Grund für die Nennung dieses Arguments ist, dass für einige
nicht feststeht, wie lange in dem jetzigen Haus gelebt wird, oder eventuell aus berufli-
chen Gründen ein Umzug stattfinden muss. Mit jeweils 6 Nennungen folgen die Aussa-
60%
7%
6%
27%
ja
nein
weiß nicht
Nutzer und Mieter
5. Umsetzung der Nachhaltigkeitsleitziele im Hochschulstadtteil in Lübeck _____________________________________________________________________________
34
gen, dass erst im Falle einer Neuinstallation eines Heizungssytems oder eines Haus-
neubaus eine Nutzung von erneuerbaren Energiequellen in Betracht gezogen werden
kann. Darauf folgt mit 4 Nennungen der Grund, dass der heutige Stand der Technik
nicht ausreichend ist, um die Erwartungen in den Punkten Zuverlässigkeit und Wirt-
schaftlichkeit zu erfüllen. Von 3 Befragten wurde bemängelt, dass es schwer sei an
aussagekräftige Informationen bezüglich der technischen Möglichkeiten und einer rea-
listischen Preisauskunft zu der jeweiligen Technik zu gelangen. Der Grund, dass die
Planer kompetenter werden müssen, wurde 3 mal genannt. Mit dieser Aussage wurde
die Kompetenz der Planer in Frage gestellt, die oft selber nicht an den Einbau erneuer-
barer Energien denken oder ihre Bauherren nicht ausreichend über die Möglichkeiten
informieren. Unter dem Punkt „andere Gründe“ sind verschiedene Gründe zusammen
gefasst. Unter anderen gaben 2 Befragte an, nicht zu wissen, warum sich gegen eine
Nutzung entschieden wurde. Ebenfalls 2 mal wurde gesagt, dass erneuerbare Ener-
gien im privaten Bereich nichts bringen würden, sondern in den großen Kraftwerken
darauf umgestellt werden müsse.
Abbildung 17 Voraussetzungen für die Nutzung von erneuerbaren Energien
5.8 Gründe für die Nutzung von erneuerbaren Energiequellen
Im Untersuchungsgebiet wurden 24 Haushalte befragt, die erneuerbare Energiequellen
nutzen. Darunter sind einige, die ihr Haus vollständig mit erneuerbaren Energien be-
heizen und welche, die eine Kombination von erneuerbaren Energien und konventio-
nellen Energiequellen nutzen. Mit 15 Nennungen lautet die eindeutige Antwort auf die-
se Frage, dass eine Nutzung aus Umwelt- und Klimaschutzgründen stattfindet. Darauf
folgt mit 7 Nennungen der Aspekt, dass aufgrund der steigenden Energiekosten mit
einer solchen Technik langfristig Geld gespart werden soll. Mit Hilfe der erneuerbaren
Techniken erhoffen sich einige der Befragten, künftig das Haus günstiger als mit Öl
oder Gas beheizen zu können. Ein weiterer Grund, der von 3 Befragten angegeben
9
3
3
4
6
6
11
11
30
Andere Gründe
bessere Kompetenz der Planer
leichter an Informationen kommen
bessere Technik
neues Haus bauen
Einabau einer neuen Heizung
schnellere Amortisierung
bessereFörderungen
geringere Anschaffungskosten
Quelle: eigene Erhebung
5. Umsetzung der Nachhaltigkeitsleitziele im Hochschulstadtteil in Lübeck _____________________________________________________________________________
35
wurde, ist der, dass es in ihrem Baugebiet Pflicht gewesen sei, erneuerbare Energien
zu nutzen. Der Grund für diese „Pflicht“ ist, dass die vorgegebenen Energiekennwerte
eingehalten werden müssen. Um diese zu erreichen, installierten einige der Befragten
Solaranlagen oder andere erneuerbare Energiequellen. Außerdem haben sich 2 Haus-
halte für diese Art von Energiequelle entschieden, um nicht mehr abhängig von einem
Betreiber zu sein. Bei jeweils einem der Befragten waren die Gründe für eine Nutzung,
dass sie Mieter des Hauses sind oder sie das Haus mit dieser Ausstattung gekauft
haben.
Abbildung 18 Gründe für die Nutzung erneuerbarer Energien
5.9 Zwischenfazit zur Umsetzung des 12. Leitziels
Der erste der vier Handlungsschritte, „Reduzierung des Heizwärmebedarfs durch So-
larenergetische Optimierung, geringe Außenflächen der Gebäude und Einführung von
Energiekennwerten“ wird durch die engen Vorgaben der Bau- und Gestaltungsrichtli-
nien und der Umsetzung in den Bebauungsplänen erreicht. Durch die clevere Anord-
nung der Gebäude, sowie die engen energietechnischen Vorgaben und die daraus
folgenden sehr hohen Dämmstandards, ist der Heizwärmebedarf der Gebäude sehr
gering. Für jedes Gebäude wurde ein Energiepass ausgestellt. Demnach kann dieser
Handlungsschritt als erfolgreich umgesetzt gewertet werden.
Der zweite Handlungsschritt „Reduzierung des Strombedarfs“ muss durch die Bewoh-
nerinnen und Bewohner direkt umgesetzt werden und kann sehr schlecht von außen
vorgegeben und überprüft werden. Zu beachten ist, dass die neuen elektrischen Gerä-
te zwar weniger Energie benötigen, dafür aber mehr elektrische Geräte in einem
Haushalt zu finden sind. Abschließend kann kein Fazit zur Umsetzung dieses Hand-
lungsschrittes vorgenommen werden.
1
1
2
3
7
15
Mieter
beim Kauf schon drin
geringere Abhängigkeit
Vorschrift im Baugebiet
steigende Energiekosten
Klima-und Umweltschutz
Quelle: eigene Erhebung
5. Umsetzung der Nachhaltigkeitsleitziele im Hochschulstadtteil in Lübeck _____________________________________________________________________________
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Der Handlungsschritt drei „Nachhaltige Energieversorgung“ sieht für das ganze Gebiet
des Hochschulstadtteils, außer für das südliche Wohngebiet, die Installation eines
Nahwärmenetzes vor58. Dieses mit Holzhackschnitzeln aus dem städtischen Forst be-
triebene Nahwärmenetz kann