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2. Polen als �Kornkammer� Europas. Refeudalisierung und die
�zweite Leibeigenschaft.�
2.1. Die Entstehungsbedingungen von Leibeigenschaft und
Gutswirtschaft
2.1.1. Endogene Faktoren: Mangel an Arbeitskräften und
Bodenreserve
Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung Polens im �langen
16. Jahrhundert�, seiner sich gegenüber Westeuropa systematisch vertiefenden
Rückständigkeit hinsichtlich der Warenstruktur, der Stellung der Städte und des
Handelskapitals sowie des sozialen Systems (Schollenbindung und Fronarbeit)
muß geprüft werden, ob dieser Prozeß ausschließlich auf die Expansion des
modernen Weltsystems zurückzuführen ist, oder ob auch den endogenen Fakto-
ren eine erhebliche Bedeutung beigemessen werden soll.
In diesem Zusammenhang wird zuerst von der allgemeinen sozioökonomi-
schen Lage, in der sich Mitteleuropa im Spätmittelalter befand, ausgegangen.
Die von der deutschen Kolonisation angeregten wirtschaftlichen Impulse kamen
im 14. Jahrhundert ins Stocken, die Besiedlungsynamik ließ nach, und die
Preise für Agrarprodukte sanken. Die Abwertung des Geldes und sinkende
grundherrliche Einkommen führten zu Aufständen und Kriegen, die von der
Pestepidemie begleitet wurden. P. Anderson beschreibt die wohl negativste
Folge dieser Krise folgendermaßen:
�Der demographische Zusammenbruch, obwohl in absoluten Zahlen weniger
schwerwiegend als im Westen, machte den Mangel an Arbeitskräften noch bedrän-
gender. Bei den weiten, unterbevölkerten Räumen Osteuropas war die Bauernflucht
163
eine akute Gefahr für die Grundherren. Ackerbau und Getreideanbau blieben die
naheliegenden Produktionsmöglichkeiten in der östlichen Umgebung, noch bevor der
Exporthandel begann. Das Verhältnis von Land zu Arbeit lockte daher die adlige
Klasse von selbst in Richtung auf gewaltsamere Einschränkung der bäuerlichen Mo-
bilität und zur Konstitution von großen grundherrlichen Gütern.�433
Am Beispiel der Abnahme von Dorfgründungen im Erzbistum Gnesen wird die-
ser Prozeß deutlich. Im Zeitraum von 1343 bis 1387 entstanden auf seinem Ter-
ritorium jährlich im Durchschnitt noch 2,5 Dörfer, von 1463 bis 1512 dagegen
war es nur ein Dorf in zwei Jahren.434 Infolge der Verringerung des Zustroms
von Kolonisten hob das Statut von Petrikau bereits 1347 die Abzugsfreiheit für
Großpolen auf. Andere Maßnahmen zur allmählichen Verschlechterung des
bäuerlichen Rechts folgten im 15. Jahrhundert. Der Sejmik von Cholm verein-
heitlichte 1447 die bäuerlichen Lasten. Der Adel von Groß- und Kleinpolen er-
hielt 1454-1456 das Recht, jegliche Änderungen der bäuerlichen Rechte (zu-
gunsten des Bauern) abzulehnen. 1496 untersagte der Reichstag von Petrikau
das dauerhafte Verlassen des Dorfes. Nur einem Jugendlichen pro Jahr war es
erlaubt, abziehen zu dürfen und das nur dann, wenn er in eine Schule oder
Handwerksinnung einzutreten beabsichtigte. 1501 erfolgte jedoch die Aufhe-
bung dieser Ausnahme, was in den Jahren 1503, 1510 und 1511 bestätigt
wurde.435 Im westlichen Teil Preußens (bis 1466 gehörte es zum Deutschen
Orden), wo unfreie Prußen bereits im späten 13. Jahrhundert als schollenpflich-
tig galten, schrieb eine Urkunde aus dem Jahre 1390 polnischen Bauern zu kul-
mischem Recht in der Komturei Nessau die Stellung eines Ersatzmannes vor.
Diese Verpflichtung wurde in den Jahren 1445, 1467, 1478, 1482 und 1494 433 Perry Anderson, Von der Antike zum Feudalismus. Spuren der Übergangsgesellschaft,
Frankfurt am Main 1978, S. 307. 434 Christoph Schmidt, Leibeigenschaft im Ostseeraum. Versuch einer Typologie, Köln usw.
1997, S. 42. 435 Ebda., S. 41f. Żytkowicz, Przesłanki i rozwój przytwierdzenia do gleby ludności
wiejskiej w Polsce poł. XIV - pocz. XVI w. [Voraussetzungen und Entwicklung der
164
wiederholt. 1526 hob die erste Landesordnung des herzoglichen Preußen die
Bewegungsfreiheit von Bauernsöhnen auf, eine aus dem Jahre 1577 die von
Töchtern.436
Die Tatsache, daß der Mangel an Arbeitskräften zu einem der größten Pro-
bleme auf dem Land wurde, beeinflußte auch die Entscheidung, ob der Boden
für den Hof durch die Vertreibung eines Teils der Bauern von ihren Eigenwirt-
schaften oder durch die Erweiterung der Nutzfläche erlangt werden soll. In die-
sem Zusammenhang ist bereits erwähnt worden, daß das Bauernlegen - verstan-
den als Zwangsverdrängung des Bauern von dem bisher von ihm genutzten
Acker - in Polen nicht im Interesse des Grundbesitzers lag.437 Bei der Erhaltung
eines gewissen Wüstungsareals war die Bauernvertreibung zugunsten des Gut-
sareals weder notwendig noch angebracht. Im Fronsystem zum Beispiel bedeu-
tete die Verdrängung des Bauern von seinem Land die Zuteilung eines anderen
Ackers. Die Entscheidung, ob der Boden dem Bauern übergeben werden soll
oder ob er dem Vorwerksareal einzuverleiben ist, hing von der ökonomischen
Kalkulation ab. Der Feudalherr mußte entscheiden, was größeren Gewinn brin-
gen kann: die Zinsen aus dem durch den Bauern genutzten Acker, oder die Nut-
zung wüstgewordener Äcker auf eigene Rechnung mittels der Fronarbeit. Es
scheint, daß angesichts der günstigen Getreidekonjunktur die Angliederung der
Wüstungen ans Vorwerk für den Landbesitzer in vielen Fällen einen rentableren
Ausweg aus der Krise darstellte als der Zins. Im Gegensatz zu Westeuropa also,
wo der Bauer seines zur Pacht abgegebenen Landes beraubt wurde, fand in
Schollenbindung der Landbevölkerung in Polen von der Mitte des 14. bis zum Anfang des 16. Jhs.] , in: Przegląd Historyczny 75, 1984, S. 3-22.
436 Schmidt, ebda., S. 48,50. Zur Sonderstellung Masowiens: Schmidt, ebda., S. 42ff. 437 Vgl. z.B. Rusiński in Kapitel 1.2. Wenn die Fronarbeit durch Tagelöhner ersetzt worden
wäre, wären die Einkommen der Feudalherren um etwa 34% gesunken. Vgl. Andrzej Wyczański, Studia nad folwarkiem szlacheckim w latach 1500-1580 [Studien zum Adelsvorwerk in den Jahren 1500-1580], Warszawa 1959, S. 259f.
165
Polen kein groß angelegtes Bauernlegen statt.438 Auf den Gnesener Gütern zum
Beispiel wies das Bauernareal im 16. Jahrhundert eine steigende Tendenz auf,
die erst in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts aufgehalten wurde.439 Die Ver-
treibung der Bauern war auch eine Seltenheit auf den kirchlichen, königlichen
sowie adligen Gütern.440 Eine Ausnahme bildet hier Pommern, wo die Bauern
zwar den von ihnen bestellten Acker des öfteren verlassen mußten, aber dann
auf einer anderen Hufe angesetzt wurden.
Die zweite Möglichkeit der Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutz-
fläche, die unter anderem im Pflügen der Weiden und des Gebüsches oder in der
Waldrodung bestand, konnte nur dort verwirklicht werden, wo beträchtliche
Reserven freier Böden zur Verfügung standen.441 Um wiederum sie nutzen zu
können, mußten die spärlich vorhandenen Arbeitskräfte gesichert werden, was
vor allem durch ihre Bindung an die Scholle erfolgte. In Westeuropa waren die
Bodenreserven begrenzt und die Gutswirtschaft angesichts der infolge des Be-
438 Die ältere Literatur ging davon aus, daß das Bauernlegen in Polen bei der Ausbildung
des Gutsbetriebes schon im 15. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte. Die Vorwerke waren demnach in beträchtlichem Ausmaß durch die Einziehung der Bauernäcker ent-standen oder hatten sich auf ihre Kosten erheblich vergrößert. Rutkowski und Tymie-niecki allerdings haben diese Behauptung entkräftet. Rutkowski betonte zwar die Abnahme der bäuerlichen Eigenwirtschaften, die die Bauern durch Rodungen oder Ein-ackerung von Weiden und Wiesen ohne Genehmigung des Gutsherren erlangten sowie den Loskauf der bäuerlichen Äcker zwecks ihrer Einbeziehung ins Vorwerk, er lehnte aber die These von einem allgemeinen Charakter des Bauernlegens ab. Tymieniecki kam wiederum zu dem Schluß, daß das massenhafte Bauernlegen gegen das Vorwerkssystem verstoßen mußte und daher nicht durchgesetzt werden konnte. Vgl. Rutkowski, Historia gospodarcza Polski [Wirtschaftsgeschichte Polens], Bd. 1, Poznań 1947, S. 128. Kazi-mierz Tymieniecki, Historia chłopów polskich [Geschichte der polnischen Bauern], Bd. 3, Warszawa 1969, S. 70.
439 Topolski, Gospodarstwo wiejskie w dobrach arcybiskupstwa gnieźnieńskiego od XVI do XVIII w.[Die ländliche Wirtschaft auf den Gütern des Gnesener Erzbistums im 16.-18. Jh.], Poznań 1958, S. 111.
440 Leonid Żytkowicz, Studia nad gospodarstwem wiejskim w dobrach kościelnych w XVI wieku [Studien zur ländlichen Wirtschaft auf den kirchlichen Gütern im 16. Jh.], War-szawa 1962, S. 182-192; Andrzej Wyczański, O folwarku szlacheckim w Polsce XVI stulecia [Über das Adelsvorwerk im Polen des 16. Jhs.], in: Kwartalnik Historyczny, Bd. 63, Nr. 4, 1954, S. 177-180; ders., Studia nad folwarkiem szlacheckim w Polsce w latach 1500-1580, S. 38-43; Rusiński, Das Bauernlegen in Mitteleuropa im 16.-18. Jh., S. 33.
441 Vgl. Rusiński in Kapitel 1.2.
166
völkerungszuwachses einsetzenden Zunahme der Nachfrage nach Land und der
Erhöhung der Pachtzinse unrentabel. A. Casanova und C. Parain beschreiben in
Ost- und Westeuropa unterschiedliche Wege zur Surplusaneignung durch den
Adel folgendermaßen:
�Der Aristokratie kann hier [im Westen] nicht gelingen, die Ausbeutung der Bauern
anders aufrechtzuerhalten, als indem sie sich auf einen Typus der Abschöpfung durch
Abgaben hin orientiert und im wesentlichen nicht mehr auf eine Rückkehr zur
Arbeitsrente, zur unbezahlten Fronarbeit auf vom Herrn selbst genutzten Landgütern.
Anders in Osteuropa, wo sich die feudalen Produktionsverhältnisse später und auf
anderem Wege herausgebildet haben. Insgesamt haben die Prozesse innerer Differen-
zierung in den ländlichen Gemeinden eine Hauptrolle bei der relativ späten Entste-
hung einer die Bauern ausbeutenden Aristokratie gespielt. Der Übergang von der
Herrschaft der ländlichen Gemeinden (auf dem Wege der Differenzierung) zum Feu-
dalismus fand statt, ohne die auf Sklaverei beruhende Produktionsweise zu durchlau-
fen. Das ist möglicherweise die Erklärung für die schwache Entwicklung der Servili-
tät bei den Völkern östlich der Elbe im Mittelalter.�442
Hinzu kam in Polen die bereits geschilderte Schwäche der Städte und des Bür-
gertums, die der Macht der Grundherren kein Mittel entgegenzusetzen wußten.
A. G. Frank weist in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen Funktio-
nen des Marktes in Ost- und Westeuropa hin:
�The market thus played two essentially different roles in Western and Eastern
Europe. In Western Europe the growth of the market was mainly internal to the eco-
nomy and associated with the growth of the towns and cities. This development
strenthened the bourgeoisie who, in their political struggle againts the feudal land-
lords, worked towards the liberation of the peasants. In Eastern Europe the market
stimulus was external to the economy and the adaptation of the Eastern economies to
the initial capitalist development of the West strenthened the economic position and,
above all, the political power of the landlords class. The East European landlords, in
442 Antoine Casanova, Charles Parain, Die zweite Leibeigenschaft, in: Feudalismus -
Materialien zur Theorie und Geschichte, hrsg. von Ludolf Kuchenbuch, Frankfurt am Main 1977, S. 667.
167
their desire to take advantage of these profitable export opportunities, were driven
towards aquiring control not only over production by finly establishing the Gutsherr-
schaft in its most developed form, but also over the marketing of their grain export.
The landlords class successfully subjugated the middle classes and nascent bourgeoi-
sie of the towns and cities (especially in Prussia and Poland).�443
Hinsichtlich der landwirtschaftlichen Produktion lassen sich in Polen im 16.
und 17. Jahrhundert drei Raumsysteme unterscheiden, wobei die natürlichen
Klima- und Bodenverhältnisse, der Anteil des Brotgetreides an der allgemeinen
Pflanzenproduktion sowie das Verhältnis von Angebot und Nachfrage die
Grundlagen dieser Gliederung bilden:
- das erste Raumsystem umfaßte demzufolge Kleinpolen. Geprägt war diese
Region durch schlechte bis mittelmäßige Böden, einen Mangel an Brotgetreide
und durch ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage beziehungs-
weise ein Überwiegen der Nachfrage;
- zu dem zweiten Raumsystem, das den landwirtschaftlichen Charakter der pol-
nischen Wirtschaft jahrhundertelang determinierte, gehörten das mittlere
Stromgebiet der Weichsel, der westliche Teil des Lubliner Landes, die westli-
chen Gebiete Masowiens sowie die kujawisch-großpolnische Region. Dieser
Raum zeichnete sich aus durch gute und sehr gute Klima- und Bodenverhält-
nisse, ein positives Verhältnis des Brotgetreides zu anderen Pflanzen sowie ein
Überwiegen des Angebots;
- das dritte Raumsystem, das vor allem die Ostseegebiete bildeten, wies zwar
ein durchschnittliches Niveau der landwirtschaftlichen Produktion auf, war aber
auf der anderen Seite durch einen großen Anteil der Zuchtwirtschaft gekenn-
zeichnet. Eine starke Urbanisierung eines Teiles dieses Raumsystems, große
443 Frank, World Accumulation 1492-1789, London 1978, S. 62. Auch für Jerome Blum
stellte der Verfall der Städte einen der vier Gründe für die Etablierung der Gutswirtschaft dar. Ders., The Rise of Serfdom in Eastern Europe, in: American Historical Review 62, Nr. 2, Juli 1957, S. 807-836.
168
Nachfrage nach Rohstoffen sowie die Nähe von Handelszentren stimulierten
einen regen Handel dieser Gebiete mit dem Ausland.444
2.1.2. Exogene Faktoren: Getreidehandel
Die wichtigste Vorbedingung für die Entwicklung der Massengüterproduk-
tion lag in den günstigen Absatzmöglichkeiten, die in Europa im Laufe des 16.
Jahrhunderts entstanden sind. Die sogenannte Preisrevolution, in deren Folge in
sämtlichen Ländern Europas die Preise, vor allem für Agrarprodukte, stiegen,
schuf eine günstige Konjunktur, die vom Adel in Mittel- und Osteuropa wahr-
genommen wurde. In Holland stiegen die Getreidepreise um das Dreifache, in
England und Polen um das Vierfache, in Frankreich um das Sechsfache.445 Hier-
bei bildete sich zwischen West- und Mitteleuropa ein großes Preisgefälle her-
aus, das unter anderem dank niedriger Arbeitskosten östlich der Elbe zustande
kommen konnte. Wenn die holländischen Getreidepreise als Bezugsgröße (100)
angenommen würden, lag Warschau in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
bei 46, Danzig und Lübeck bei 53, Wien bei 61.446
Das Ostseegetreide kam im �langen 16. Jahrhundert� zum großen Teil aus
Polen-Litauen. Im Zeitraum von 1565 bis 1585 machten Roggen und Weizen
etwa 66% der polnischen Seeausfuhr aus; im Zeitraum von 1595 bis 1615 etwa
71% und im Zeitraum von 1625 bis 1646 etwa 80%. Von den 1640, 1641 und
1649 aus dem Danziger Hafen ausgeführten Kornmengen wurden jeweils 72%,
78% und 87% durch den Sund nach Westeuropa weiterbefördert. Die folgende
444 Helena Madurowicz-Urbańska, Forschungen über die landwirtschaftlichen Regionen
Polens im Zeitraum vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: Studia Historiae Oeconomicae, Bd. 7, 1972, S. 91-98.
445 Schmidt, ebda., S. 73; Wyczański, Historia powszechna. Wiek XVI [Die allgemeine Geschichte des 16. Jhs.], Warszawa 1983, S. 45ff.
446 Schmidt, ebda., S. 73.
169
Tabelle spiegelt die Danziger Getreideexporte �im langen 16. Jahrhundert�
wider (in Last)447:
Tabelle 16: Danziger Getreideexport 1465-1646
Jahre Roggen Weizen
1465 2300 -
1565 40500 4100
1575 23600 1700
1585 13000 900
1595 29100 2100
1605 35100 1700
1615 31400 1100
1625 19200 3100
1635 39100 9000
1646 32300 11100
Rybarski hat eine Tabelle erstellt, die auch die Gerstenexporte berücksichtigt
(in Last)448:
Tabelle 17: Gerstenexporte 1562-1599 1562-1565 492 1566-1569 248 1574-1579 100 1580-1584 154 1585-1589 450 1590-1594 640 1595-1599 553 447 Mączak, Między Gdańskiem a Sundem, S. 71; Żytkowicz, Trends of agrarian economy
in Poland, Bohemia and Hungary from the middle of the fifteenth to the middle of the seventeenth century, in: East-Central Europe in transition, S. 66 (Tab. 5.2).
448 Rybarski, ebda., Bd. 1, S. 34.
170
Man kann also feststellen, daß der größte Teil des nach Westeuropa ausgeführ-
ten Getreides aus Roggen bestand. Der Höhepunkt der Danziger Exporte wurde
im Jahr 1618 erreicht, als man 85 000 Last verschiffte.449 Der Anteil der nieder-
ländischen Handelsflotten an der gesamten Schiffahrt im Ostseeraum stieg von
56% im Zeitraum von 1557 bis 1560 auf 79% im Zeitraum von 1611 bis 1620.
Erst im 18. Jahrhundert fiel die Zahl der holländischen Schiffe von 2139 im
Jahre 1640 auf 880 im Jahre 1710/1720.450
Die Intensivierung und der Ausbau der baltischen Getreideausfuhren hätten
dem weltsystemtheoretischen Ansatz zufolge einen entscheidenden Einfluß auf
die Entwicklung der Gutswirtschaft in Mitteleuropa ausgeübt. Kriedte bemerkt
in diesem Zusammenhang:
�Der Übergang zur Vorwerkswirtschaft und der mit ihr unlösbar verbundenen
Arbeitsverfassung bedeutete einen Rückfall hinter den Stand, den die einfache
Marktwirtschaft inzwischen erreicht hatte, und eine Rückkehr zu inzwischen über-
wundenen Formen der Aneignung gesellschaftlicher Mehrarbeit...Sie lief jedoch
nicht einfach auf eine Umkehr des historischen Prozesses hinaus. Ihr Bezugspunkt
war nicht mehr der grundherrliche Fronhof, sondern der Weltmarkt, nicht eine
Arbeitsteilung, die im Rahmen des Fronhofs verblieb, sondern eine Arbeitsteilung,
die über den damaligen Weltmarkt vermittelt war und von dem hochentwickelten
gewerblichen Zentrum in der Nordwestecke Europas diktiert wurde.�451
Wenn aber den Bezugspunkt der neuen Formen der Surplusaneignung nicht der
Fronhof, sondern der Weltmarkt darstellte, muß die Frage beantwortet werden,
welcher Teil des in Polen produzierten Getreides ausgeführt wurde. Nach
Schätzungen von Topolski wurden nach Westeuropa nur 5-6% der globalen
Getreideproduktion exportiert, wobei der Anteil von Roggen und Weizen an der
gesamten für den Markt bestimmten Produktion des Ostseeraumes sich auf etwa 449 Davies, ebda., Bd. 1, S. 382. 450 Kriedte, ebda, S. 60, 100.
171
10% im 16. und auf etwa 17% in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts belief.
Daß in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts etwa 10% der polnischen Produk-
tion von Weizen und Roggen für die Exporte ins Ausland bestimmt waren, zeigt
die folgende Tabelle452:
Tabelle 18: Produktion von Weizen und Roggen um 1630 (in t)
Gesamtproduktion von Weizen und Roggen 1 100 000
(Kleinpolen, Großpolen, Pommern, Masowien)
Produktion für den Markt 280 000
Produktion für den Export 120 000
Produktion für die Städte 100 000
(Binnenmarkt)
Nach Schätzungen von Wyczański bildete der in den 60er und 70er Jahren des
16. Jahrhunderts exportierte Roggen nur 6% der gesamten Getreideproduktion.
Von der für den Umsatz bestimmten Roggenmenge wurden etwa 60% auf dem
Binnenmarkt, 40% im Ausland abgesetzt.453 Auch Kula schätzt den Anteil des
451 Ebda., S. 42. 452 Topolski, Gospodarka polska a europejska w XVI-XVIII w., S. 92-95. Topolski nimmt
an, daß die Warenproduktion von Getreide etwa 30% der Gesamtproduktion sämtlicher Kornsorten ausmachte. Übertragen auf Roggen und Weizen würde das in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. ca. 330 000 t ergeben. Die Ostseeexporte von Roggen und Weizen umfaßten dabei etwa 80 000 t - ca. 20% der für den Markt bestimmten Kornmengen (im ganzen 16. Jh. 15%). Es muß aber berücksichtigt werden, daß ca. 30% des ausgeführten Getreides innerhalb der Ostsee veräußert wurden. Vgl. Ebda.
453 Wyczański zufolge lag die polnische Roggenproduktion nach Abzug von Zehntem und Saatgut bei ca. 600 000 Tonnen. Bei einem Verbrauch pro Person und Tag von 600 Gramm hat das Land ca. 415 000 Tonnen - etwa 70% - selbst verzehrt. Vgl. Wyczański, Tentative Estimate of Polish Rye Trade in the Sixteenth Century, in: Acta Poloniae Historica 4, 1961, S. 119-132; Małecki, Der Außenhandel und die Spezifik der sozial-ökonomischen Entwicklung Polens im 16. und 17. Jh., S. 30. An anderer Stelle schätzt Wyczański die Exportquote in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. auf 2,5% der Gesamtpro-duktion. Vgl. Czy chłopu było źle w Polsce XVI wieku? [Ging es schlecht dem Bauern im Polen des 16. Jhs.?], in: Kwartalnik Historyczny, Bd. 75, z. 3, 1978, S. 628. Hin-
172
ausgeführten Getreides auf 10% bis 15% der Gesamtproduktion.454 Dennoch:
Wenn man von dem von Rusiński vorgeschlagenen Begriff des breiteren
Marktes455 ausgeht, steigt der Anteil der Marktproduktion an der gesamten
Kornmenge auf etwa 25-30% an.
Es muß auch die geographische Herkunft der für den Export produzierenden
Provinzen berücksichtigt werden, die uns Aufschluß hierüber geben kann, wel-
che Regionen an diesem Handel besonders stark beteiligt waren. Die folgende
Tabelle schildert anhand der Zollstation von Wloclawek die im 16. Jahrhundert
für den Export bestimmte Produktion von Roggen und Weizen in den einzelnen
Regionen Polen-Litauens (in Last)456:
Tabelle 19: Getreideproduktion nach Regionen
Region 1537 % 1546 % 1556 % 1575 %
Kujawien - - 44 1,1 1697 12 828 6,6
Masowien 2372 90,6 2935 76,9 6327 44,9 6677 53,2
Kleinpolen 120 4,6 672 17,7 2508 17,8 2850 22,8
Großpolen 2 - - - 506 3,6 562 4,5
Podlesien 70 2,6 20 0,5 962 6,8 926 7,4
Rotreußen - - 52 1,3 1752 12,5 424 3,5
Litauen 58 2,2 97 2,5 327 2,3 80 0,6
sichtlich des Anteils der Vorwerkswirtschaft und Eigenwirtschaft an der Gesamtproduk-tion von Getreide: Wyczański, L Exploitation seigneuriale et l exploitation paysanne: subordination ou rivalite?, in: Studia Historiae Oeconomicae, Bd. 17, 1982, S. 5ff.; Ders., Studia nad konsumpcją żywności w Polsce w XVI i pierw. poł. XVII w. [Studien zum Nahrungskonsum in Polen im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jhs.], Warszawa 1969, S. 197.
454 Siehe Kapitel 1.2. 455 Siehe Kapitel 1.2. 456 Dunin-Wąsowicz, ebda., S. 181.
173
Es liegt auf der Hand, daß im 16. Jahrhundert Masowien den größten Getreide-
exporteur Polens darstellte (mit jeweils 90%, 77%, 45% und 53%). Seit ca.
1550 wuchs auch die Bedeutung Kleinpolens (jeweils 17%, 17% und 22%),
während der Anteil Litauens, Rotreußens und Großpolens an der Exportpro-
duktion gering blieb. Einen leichten Anstieg ist auch bei Podlesien und insbe-
sondere bei Kujawien zu verzeichnen, dessen Produktion in der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts deutlich zunahm.457
Im Lichte der oben angestellten Berechnungen, die - zugegeben - einen spe-
kulativen Charakter haben, ist auf die Zusammenhänge zwischen dem polni-
schen Getreidehandel mit Westeuropa und der Entwicklung der Gutswirtschaft
in Polen einzugehen. Wallerstein definiert den Prozeß der Einbeziehung einer
Region in das moderne Weltsystem wie folgt:
�Incorporation means fundamentally that at least some significant production proces-
ses in a given geographic location become integral to various of the commodity
chains that constitute the ongoing divisioning of labor of the capitalist world-eco-
nomy.�458
Ausgehend von der Wallersteinschen Definition ist die Anpassung der polni-
schen und litauischen Getreideproduktion an die Bedürfnisse - also an die
Nachfrage - des westeuropäischen Zentrums zu relativieren. Weder die Produk-
tivität eines Vorwerkes noch die Getreidepreise hingen ausschließlich von An-
gebot und Nachfrage ab:
�... exportation from Danzig should be directly proportional to the surplus, and there-
fore to the harvests over the short run, magnifying their fluctuations; whereas, over
the long run, it ought to be directly proportional to factors such as variations in the
457 Ebda. Mączak beziffert den Anteil des im Zeitraum von 1555 bis 1576 aus Kleinpolen
stammenden Getreides auf 21%, des aus Kujawien und Großpolen auf jeweils 13%. Vgl. Ders., Export of Grain and the Problem of Distribution of National Income in Poland in the Years 1550-1650, in: Acta Poloniae Historiae, Bd. 18, 1968, S. 79.
458 Wallerstein, The Modern World-System III, S. 130.
174
productivity of labour and of land, an increased proportion of the land in the hands of
the lord, the variations in the area involved in export.
... exportation from Danzig should therefore be inversely proportional to the move-
ment of prices on the internal market to the extent that these prices are in turn inver-
sely proportional to the harvest... It may be useful to point out that this inversely pro-
portional relationship between the export volume and the fluctuations in prices on the
internal market, although it may call to mind certain phenomena charakteristic of
free-trade capitalism, has an altogether different economic charakter. In capitalism
exports may increas because prices on the internal market go down; here, however,
there is no relationship of cause and effect between these two figures - they are both a
consequence of a third phenomenon, i.e. the harvest. In this way we again arrive at
the conclusion that exportation tends to level off prices on the internal market... in a
poor year the purchaser will buy less (because there is less grain on the market), but
he will not pay more.�459
Um den sozialen Status aufrechterhalten zu können, benötigte der Adel Edel-
metalle, die er vor allem im Handel mit Danzig erwerben konnte. Diese dienten
nicht nur zur Schau, sondern auch zum Ankauf asiatischer und mediterraner
Waren. Die entscheidende Voraussetzung für diesen Handel bildete dabei die
Vermarktung von Agrarerzeugnissen (auch im Binnenmarkt), deren Produktion
am effizientesten mittels der Gutswirtschaft erzielt werden konnte. Dennoch:
Nicht die Befriedigung der Nachfrage in Westeuropa allein entschied über die
Entwicklung des Fronhofes und das Ausmaß der Produktion, sondern die Ver-
fügung über Land und Arbeitskräfte. Wenn sie in ausreichendem Maße vorhan-
den waren, konnte soviel Getreide produziert und abgesetzt werden, daß die
Szlachta und die Magnaten ihren Bedarf an Luxusgütern problemlos decken
konnten. Deren Besitz nämlich trug zu Festigung und Ausbau der Vorherrschaft
zunächst der Szlachta, dann der Magnaten bei und stellte somit die Reproduk-
tion der Oberschichten sicher. Da die Entwicklung der Gutswirtschaft und der
sozialen Verfassung in Polen-Litauen - im Gegensatz zu den �klassischen�
175
Peripherien (südamerikanischen und karibischen Kolonien) - nur bis zu einem
gewissen Grade vom Handel mit dem Zentrum beeinflußt wurde, liegt die Ver-
mutung nahe, daß es sozialgeschichtlich eher der Semiperipherie zuzuordnen ist
als der Peripherie.
2.1.3. Die baltischen Getreideexporte als Voraussetzung für die früh-
kapitalistische Entwicklung Westeuropas?
Muß die Bedeutung des baltischen Getreidehandels für die Einführung und
Entwicklung der Gutswirtschaft relativiert werden, so ist auch zu prüfen, ob
umgekehrt Westeuropa oder wenigstens Holland von diesen Importen in dem
Ausmaß abhängig war, daß die gewerbliche Produktion ohne sie nicht möglich
gewesen wäre. Topolski zum Beispiel geht davon aus, daß nur etwa 1% der Be-
völkerung Westeuropas vom Ostseegetreide habe ernährt werden können.460
Rusiński schätzt die Zahl der auf die baltischen Kornimporte angewiesenen Be-
völkerung Hollands in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf ca. 25%.461
Mączak dagegen behauptet, daß der Ostseeraum nahezu 500 000 Einwohner der
Niederlande ernährt habe.462
Zwischen 1514 und 1622 wuchs die Einwohnerzahl der ganzen Provinz
Holland von ca. 275 000 auf ca. 670 000, in den holländischen Städten mit über
10 000 Einwohnern von 57 400 auf ca. 328 000.463 In diesem Zeitraum stieg
auch der Anteil der städtischen Bevölkerung in Zentren mit über 10 000 Ein-
wohnern an der Gesamtbevölkerung von 21% auf fast 49% und der ländlichen
459 Kula, ebda., S. 97f. 460 Siehe Kapitel 1.2. 461 Siehe Kapitel 1.2. 462 Mączak, U źródeł nowoczesnej gospodarki europejskiej, S. 46. 463 Jan De Vries, The Dutch Rural Economy in the Golden Age, 1500-1700, New Haven-
Lodon 1974, S. 86.
176
von ca. 135 000 auf 273 000 .464 Mit diesem Bevölkerungswachstum ging auch
die Aufgabe der Dreifelderwirtschaft zugunsten intensiverer Feldnutzung ein-
her. Sie bestand darin, daß die Brache in das vierte, fünfte und sechste Jahr ver-
schoben und die Futterpflanzen auf der Brache oder im Rahmen einer Frucht-
wechselwirtschaft angebaut wurden. Manche Autoren ziehen daraus den
Schluß, daß die Spezialisierung der landwirtschaftlichen Produktion zu einem
Mangel an der Getreideversorgung führte, der nur durch den Handel mit dem
Ostseeraum beseitigt werden konnte.465 Dennoch:
�Der Eindruck, den die Untersuchung der Nahrungsmittelversorgung der Holländer
zwischen 1500 und 1650 hinterläßt, ist etwas widersprüchlich. Einerseits blieb zwar
die extensive und intensive Ausweitung der Lebensmittelproduktion eindeutig hinter
dem Anstieg der Gesamtbevölkerung zurück. Andererseits wurde ein Großteil des-
sen, was im Lande produziert wurde, gar nicht im Lande verzehrt, und ein Großteil
dessen, was verzehrt wurde, mußte importiert werden. Es läßt sich deshalb nur sehr
schwer ermitteln, wieweit es wirklich notwendig war, Nahrungsmittel zu importieren.
Abstrakte Berechnungen über den Pro-Kopf-Verbrauch müssen schon deshalb schei-
tern, weil in den verschiedenen gesellschaftlichen Klassen unterschiedliche Konsum-
gewohnheiten herrschten. Die damit zusammenhängenden Fragen sind aber noch
weitgehend unerforscht. Es läßt sich mit dem vorliegenden Material auch nicht klä-
ren, welche Funktion in diesem Zusammenhang eine staatliche Lagerhaltung hatte,
die u.a. dem Zweck diente, zu Zeiten der Mißernte Hungerunruhen unter den städti-
schen Massen in Grenzen zu halten, indem durch eine Öffnung der Lager das Getrei-
deangebot stabilisiert wurde.�466
Ein nicht zu unterschätzender Teil des Ostseegetreides (in einigen Fällen bis
40%467) war allerdings nicht für die Bevölkerung Hollands bestimmt, sondern
464 Ebda., S. 86; Seifried, ebda., S. 78. 465 Kriedte, Medick, Schlumbohm, S. 63f. 466 Seifried, ebda., S. 82. 467 De Vries, ebda., S. 172. Zwischen Danzig und Amsterdam kam es in der ersten Hälfte
des 17. Jhs. zu einer starken Angleichung der Preise, was auch die Profite der Holländer gemindert haben müßte. Vgl. Mączak, Die Sundzollregister als eine preisgeschichtliche Quelle 1557 bis 1647, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 3, 1970, S. 188ff., 202ff.
177
für die Reexporte nach Spanien, Portugal und Italien. Die Rolle des Zwischen-
handels läßt sich in diesem Zusammenhang anhand von Handelsrouten untersu-
chen, die von holländischen Kaufleuten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhun-
derts benutzt wurden. Im Zeitraum von 1597-1631 sind in Amsterdam 259
Handelskontrakte abgeschlossen worden, die uns Hinweise auf die Richtung der
Seefahrten geben. Nur 11% der Handelsreisen fanden auf der Achse Amster-
dam-Ostsee (Danzig beziehungsweise Königsberg; Riga, Reval, Memel) statt.
27% ihrer Seefahrten unternahmen die Holländer auf der Strecke Niederlande-
Portugal-Ostsee, etwa 13% zwischen Niederlanden und Portugal, 12% zwischen
Niederlanden und Spanien und 18% zwischen Niederlanden und Italien.468
Diese Daten deuten auf eine erhebliche Bedeutung des niederländischen Tran-
sitverkehrs hin, in dem das baltische Getreide eines der wichtigsten Ausfuhr-
güter darstellte. Diese Situation scheint sich im Zeitraum von 1632 bis 1651
gewandelt zu haben. Nur einer von 691 Kontrakten erwähnt eine Handelsfahrt
zwischen Amsterdam, Danzig, Marseille und Genua. Es fehlen auch Verträge
mit den spanischen Seehäfen. Gestiegen ist dagegen die Zahl der Seefahrten auf
der Route Danzig-Amsterdam (12%). Etwa 61% aller Handelsreisen in diesem
Zeitraum wurden zwischen Holland, Ostsee und Frankreich unternommen.469
Der Handel wurde also �kürzer�, aber hierfür intensiver. Der Reexport von
Getreide spielte im Austausch mit dem Mittelmeerraum schon keine so große
Rolle mehr, was allerdings nicht bedeutet, daß der in Holland gebliebene Rog-
gen ausschließlich für den Konsum bestimmt war. Im Gegenteil: Ein Teil der
Kornmenge diente zu Spekulationszwecken bei Mißernten.470
468 Bogucka, Handel niderlandzko-gdański w latach 1597-1651 w świetle Amsterdamskich
kontraktów handlowych, S. 180. 469 Ebda., S. 182. 470 Seifried, ebda., S. 88. Richard W. Unger weist dagegen auf die Zusammenhänge zwi-
schen dem baltischen Getreidehandel und der niederländischen Brauerei hin. Vgl. Ders., Brewing in the Netherlands and the Baltic grain trade, in: From Dunkirk to Danzig. Shipping and Trade in the North Sea and the Baltic, 1350-1850, hrsg. von W.G. Heeres u.a, Amsterdam 1988, S. 429-446.
178
Aus dem Gesagten folgt also deutlich, daß die Bedeutung der Importe von
Agrarprodukten nicht nur in der Notwendigkeit der Ernährung der niederländi-
schen Bevölkerung bestand, sondern in den Möglichkeiten, das Getreide zu
reexportieren (die Gewinnspanne aus dem Getreidehandel zwischen Amsterdam
und Spanien betrug in einigen Fällen sogar 123%471) beziehungsweise mit ihm
zu spekulieren. Es scheint daher, daß vom Ostseegetreide vor allem Gewinne
des handelskapitalistischen, in Amsterdam ansässigen Milieus abhingen, das in
seinen An- und Verkäufen eine wichtige Quelle der Kapitalakkumulation ge-
funden hat.
2.2. Die Entwicklungsetappen der Gutswirtschaft bis 1650
2.2.1. Die Entstehungs- und Blütezeit (Ausgang des 15. Jhs. bis
Anfang des 17. Jhs.)
Der bereits dargestellte Prozeß der Bindung der Bauern an die Scholle war
insofern ein tiefer Wandel in der sozialen Struktur, als er mit weiteren Bela-
stungen der Dorfbevölkerung einherging. In diesem Zusammenhang ist vor al-
lem die Fron hervorzuheben. Im Spätmittelalter gehörte die Leistung von Dien-
sten zu den Seltenheiten. Von 19 Verträgen in der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts beispielsweise erwähnte nur einer diese Leistungen. In der zweiten
Hälfte des 14. Jahrhunderts stieg diese Zahl schon auf 39.472 Als Regel galt da-
mals, daß der Bauer für seinen Grundherrn einen Wochentag zu leisten hatte,
471 Bogucka, Merchants Profits in Gdansk Foreign Trade in the First Half of the Seven-
teenth Century, in: Acta Poloniae Historica, Bd. 23, 1971, S. 75. 472 Schmidt, ebda., S. 44.
179
was allerdings nicht schriftlich fixiert wurde.473 Die ältesten die Frondienste
regelnden Akten stammen aber aus dem 15. Jahrhundert. Die Statuten des
masowischen Herzogs Janusz aus dem Jahre 1421 sahen vor, daß von einer Flur
ein Tag, von ½ Flur dagegen ½ Tag wöchentlich abgearbeitet werden mußte.474
Im Laufe des 15. Jahrhunderts machte sich ein Trend zur Ausweitung der Fron
bemerkbar. Unter 270 kleinpolnischen Kleindörfern leistete man in nahezu der
Hälfte an einem Wochentag Fronarbeit, in 64 Dörfern an zwei Tagen, in 27
Dörfern an drei Tagen und in fünf Dörfern an vier bis fünf Tagen.475 Im Zeit-
raum von 1500-1550 betrug die durchschnittliche Fronpflicht auf den Adels-
gütern Kleinpolens etwa 1,6 Tage in der Woche, auf denen Masowiens sowie
des westlichen Großpolens 2 Tage (obwohl das Statut von Thorn 1520 die
Frondienste auf nur einen Wochentag festgelegt hat).476 Der Umfang der
Gutsarbeit auf den Adelsgütern vergrößerte sich deutlich in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts (1551-1580)477:
Tabelle 20: Umfang der Gutsarbeit auf den Adelsgütern 1551-1580
Wöchentlich 1 Tag 2 Tage 3 Tage 4 Tage
Kleinpolen - 1 6 -
Masowien - 3 - 1
östl. Großpolen - 2 - 1
west. Großpolen - 2 10 7
Durchschnittlich ergeben sich für diese Provinzen folgende Werte: Kleinpolen -
2,86; Masowien - 2,50; östl. Großpolen - 2,67; westl. Großpolen - 3,26.
473 Ebda. 474 Wyczański, Studia nad folwarkiem szlacheckim w Polsce w latach 1500-1580, S. 101. 475 Schmidt, ebda., S. 44. 476 Wyczański, Studia nad folwarkiem szlacheckim w Polsce w latach 1500-1580, S. 104. 477 Ebda.
180
Im 16. Jahrhundert ist eine weitere Zunahme der Fronpflichten nicht nur auf den
Adelsgütern, sondern auch auf denen der Kirche und der Krone zu verzeichnen
(in Tagen)478:
Tabelle 21: Zahl der Frontage 1500-1580
Adelsgüter kirchliche Güter königliche Güter
1500-1550 1,71 1,75 1,2
1551-1580 3,03 2,8 2,7
Der Anteil der Fronarbeit an den gesamten Leistungen im Adelsvorwerk war
besonders hoch in Masowien, das sich am Handel mit Danzig stark beteiligte.
Das bezieht sich ebenfalls auf Kleinpolen. Das Beispiel des westlichen Groß-
polens zeigt andererseits, daß die Fron sich auch in denjenigen Regionen ent-
wickelte, die auf den Getreideexport nur in geringem Maße angewiesen waren.
Das Verhältnis von Fron und Eigenwirtschaft auf den Adelsgütern Kleinpolens,
Masowiens und Großpolens im Zeitraum von 1551-1580 spiegelt sich in der
folgenden Tabelle wider479:
Tabelle 22: Verhältnis von Fron und Eigenwirtschaft 1551-1580
Fron Eigenwirtschaft
Kleinpolen 60% 40% Masowien 79% 21% östl. Großpolen 48% 52% westl. Großpolen 63% 37% 4 Regionen insgesamt 63% 37% 478 Ebda., S. 105. 479 Ebda., S. 109. Viel schwächer dagegen entwickelte sich die Fron z.B. in Pommern, was
mit der stärkeren Position der Bauern und mit der Beherrschung des lokalen Marktes durch die Kaufleute zusammenhing. Vgl. Mączak, Gospodarstwo chłopskie na Żuławach Malborskich w początkach XVII w., [Die Bauernwirtschaft in dem Marienwerder am Anfang des 17. Jhs.], Warszawa 1962, insbesondere S. 125-135.
181
Das Vorwerk des polnischen Adligen vergrößerte sich von durchschnittlich 3,1
Hufen im Zeitraum von 1500-1550 auf 3,6 im Zeitraum von 1551-1580.480 Die
Vorwerksfläche in Zentralpolen betrug im 16. Jahrhundert etwa 17% bis
34%.481 Das durchschnittliche Verhältnis des Ackers des Gutsbesitzers zum
Bauernland gestaltete sich auf den Adelsgütern in der ersten Hälfte des 16.
Jahrhunderts wie 1:2, 1551-1580 dagegen wie 44:56.482 Auf den kleineren
Adelsgütern bildete der Vorwerksacker einen größeren Prozentsatz, auf den
größeren Gütern war er proportional kleiner.483 Auf den königlichen Gütern
kann das Verhältnis der Gutsäcker zu den bäuerlichen Eigenwirtschaften nied-
riger eingeschätzt werden: In der Starostei Korczyn zum Beispiel betrug es im
Jahre 1537 1:4, 1564 und 1572 1:3 und um 1600 1:2,3.484 Ähnlich gestaltete
sich dieses Verhältnis auf den kirchlichen Gütern (zum Beispiel in Pabianice
1:4,4).485 Nach Wyczański näherte sich der Anteil der Adelsvorwerke an der
gesamten Nutzfläche - mindestens in Mittel - und Westpolen- bereits um 1600
der kritischen Grenze von 50%486:
480 Kriedte, Spätfeudalismus und Handelskapital, S. 40. Eine Hufe betrug etwa 16 ha. 481 Żytkowicz, Ze studiów nad wysokością plonów w Polsce od XVI do XVIII w. [Aus den
Studien zu Ernteerträgen in Polen im 16.-18. Jh.], in: Kwartalnik Historii Kultury Mate-rialnej, Nr. 14, 1966, S. 472 (nach Rusiński, Das Bauernlegen in Mitteleuropa im 16.-18. Jahrhundert, S. 48).
482 Wyczański, Studia nad folwarkiem szlacheckim w Polsce w latach 1500-1580, S. 113f. 483 Wyczański (Hg.), Zarys historii gospodarstwa wiejskiego [Abriß der Geschichte der
Dorfwirtschaft], Bd. 2, Warszawa 1964, S. 40. 484 Wyczański, Studia nad gospodarką starostwa korczyńskiego 1500-1660 [Studien zur
Wirtschaft der Starostei Korczyn 1500-1660], Warszawa 1964, S. 106. 485 Rusiński, Das Bauernlegen in Mitteleuropa im 16.-18. Jh., S. 48. 486 Wyczański, Studia nad folwarkiem szlacheckim w Polsce w latach 1500-1580, S. 113.
Wenn man die Gesamtfläche des damaligen Polens berücksichtigt, beläuft sich der Anteil der Vorwerkswirtschaft an der Nutzfläche auf ca. 27%. Vgl. Wyczański, L Ex-ploitation seigneuriale et l exploitation paysanne: subordination ou rivalite?, S. 5.
182
Tabelle 23: Anteil der Adelsvorwerke an der Nutzfläche
Vorwerk Bauernland
Kleinpolen 45% 55%
Masowien 40% 60%
östl. Großpolen 50% 50%
westl. Großpolen 44% 56%
4 Regionen insg. 44% 56%
Die Zunahme der Arbeitspflicht ging nicht nur mit der Zuschreibung der Bauern
an die Scholle oder zum Wohnsitz Hand in Hand, sondern auch mit der Ein-
schränkung seiner Rechtsfreiheiten, der Unterwerfung unter das gutsherrschaft-
liche Gerichtswesen sowie mit der Verschlechterung seiner Bodenrechte487:
�Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Zunahme der Fron mit einer Zunahme der
Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit einherging. Diese Grauzone erwuchs nicht
allein daraus, daß die Bauern infolge der Schollenbindung de facto in herrschaftli-
chen Besitz übergegangen waren; vielmehr wurde den Bauern auch der Weg zu
ordentlichen Gerichten verlegt. Seit 1496 durften verschuldete Bauern nicht länger in
den Städten beklagt werden; 1518 verloren die Bauern zudem das Recht, sich im
Falle von Streitigkeiten mit dem Gutsbesitzer an staatliche Gerichtshöfe zu wenden.
Die ungeschmälerte Gerichtsbarkeit des Herrn über seine Leute war damit endgültig
etabliert. Unter diesen Bedingungen zog die Ausdehnung der Fron eine Welle der
Gewalt nach sich. Manch Gutsbesitzer scheute sich nicht, die Bauern zur Ableistung
der verlangten Fron zu zwingen, indem er sich ihr Vieh aneignete oder in ihre Höfe
eindrang. Auf der anderen Seite nötigte die Heraufsetzung der Zwangsdienste zahl-
lose Bauern zur Flucht�488
487 Andrzej Nowak, Gesellschaftsstrukturelle Umwälzungen der Landbevölkerung in Polen
von der Mitte des 14. Jhs. bis zur Mitte des 18. Jhs., in: Studia Historiae Oeconomicae, Bd. 13, 1978, S. 103.
488 Schmidt, ebda., S. 45.
183
Dennoch: Die These, daß die Lage der Bauern sich im 16. Jahrhundert systema-
tisch verschlechtert habe, muß zurückgewiesen werden.489 Da in dieser Phase
die Frondienstleistungen noch keinen großen Umfang erreichten, kam es zu
keiner Verminderung der Rentabilität der landwirtschaftlichen Produktion. Dar-
über hinaus herrschten noch günstige Handelsbedingungen vor, die für den
Adel wie folgt eingeschätzt werden490:
Tabelle 24: �Terms of trade� für den Adel
1550-1560 100
1560-1570 108
1571-1580 129
1585-1590 123
1590-1600 191
Auch für die Bauern fielen die �terms of trade� sehr günstig aus. Kula zufolge
lagen sie bei etwa 205 (Basis 100).491 Erst im frühen 17. Jahrhundert tauchten
im Fronsystem Spannungen auf, die sowohl von externen als auch von internen
Faktoren verursacht wurden.
489 Wyczański, Czy chłopu było źle w Polsce XVI wieku, S. 627. In einem anderen Aufsatz
untersucht Wyczański die Reallöhne und die Unterhaltskosten in Polen im späten 16. und 17. Jh. Er rechnet dabei den vollen Lohnwert pro Tag und Person in Kalorien um. Er kommt zu dem folgenden Ergebnis (in kcal): 1580-1590: 6900; 1590-1600: 6200; 1600-1610: 6800; 1610-1620: 5800; 1620-1630: 5000; 1630-1640: 6400; 1640-1650: 7100. Wyczański folgert daraus, daß trotz der Lohnerhöhung in Geld und Ernährung die Real-löhne für Gutsgesinde nicht gestiegen seien (in den 20er Jahren sind sie sogar deutlich gesunken). Allerdings sind diese Daten sehr spekulativ. Vgl. Wyczański, Die Reallöhne und die Unterhaltskosten in Polen. Ende des XVI. und erte Hälfte des XVII. Jhs., in: Studia Historiae Oeconomicae, Bd. 5, 1970, S. 121.
490 Wyczański (Hg.), Polska w epoce Odrodzenia. Państwo-społeczeństwo-kultura [Das Polen in der Renaissance. Staat-Gesellschaft-Kultur], Warszawa 1970, S. 78f.
491 Kula, ebda., S. 123f.
184
2.2.2. Die Krise der Gutswirtschaft im 17. Jahrhundert
Ist eine mit der Durchsetzung der Fronarbeit und der Schollenbindung der
Bauern verbundene Wirtschaftsentwicklung noch im 16. Jahrhundert von einer
steigenden Getreidekonjunktur begleitet worden, wodurch auch ihre negativen
sozioökonomischen Folgen nicht so deutlich in Erscheinung traten, so machten
sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Krisenerscheinungen bemerkbar,
die auf zwei Ursachengruppen zurückgehen: Zum einen wurden die freien
Landreserven ausgeschöpft und die Grenzen dessen erreicht, was der Grund-
besitzer vom Bauern eintreiben konnte, ohne seiner Eigenwirtschaft einen
wesentlichen Schaden zuzufügen - letzterer entstand dann, wenn der Bauer so
wenig Acker besaß, daß die Reproduktion seiner Familie nicht gesichert werden
konnte und wenn er über keine Ertragsüberschüsse verfügte, was das Überleben
�schlechter� Jahre erschwerte oder gar unmöglich machte.492 Zum anderen bra-
chen in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts die Kornpreise, insbesondere für
den Roggen, dermaßen ein, daß der Adel seine sich systematisch verringernden
Einkommen mit allen Mitteln zu verbessern suchte. Hatte man 1598 in Danzig
eine Last Roggen für 168 Gramm Silber gekauft, kostete die gleiche Menge
etwa zwanzig Jahre später nur 78 Gramm Silber.493
Um seinen Lebensstandard halten zu können, ergriff der Adel folgende
Maßnahmen494:
492 Rusiński, Über die Entwicklungsetappen der Fronwirtschaft in Mittel- und Ostseuropa,
S. 39. 493 Schmidt, ebda., S. 77. Das Verhältnis der Preise für Agrarprodukte zu denen für die
Industriegüter hat sich zwischen 1550 und 1650 grundlegend verändert. Während die Haferpreise in Danzig in den 1550er Jahren noch um etwa 150%, in den 1650er dagegen nur um 14% stiegen, gestalteten sich diese Proportionen für z.B. Papier umgekehrt: 20% und 49%. Vgl. Stanislaw Hoszowski, Rewolucja cen w Środkowej Europie w XVI i XVII w. [Die Preisrevolution in Mitteleuropa im 16. und 17. Jh.], in: Kwartalnik Histo-ryczny, Bd. 58, z. 2, 1961, S. 302f.
494 Rusiński, Über die Entwicklungsetappen der Fronwirtschaft in Mittel- und Osteuropa, S. 42-45; Nowak, ebda., S. 106, 109.
185
- er erhöhte die Arbeitsleistungen auf 4-5 Wochentage von der Hufe (um 1600
betrugen die Fronpflichten noch 2-4 Tage)495,
- er führte Frondienste und zusätzliche Arbeiten ein,
- er nahm den Bauern die von ihnen bebauten Wüstungen weg oder enteignete
sie von einem Teil ihrer Äcker bei Bewahrung bisheriger Fronlasten und schloß
die verlassenen Bauernböden an das Vorwerk an, und
- er schränkte die Nutzung der Wiesen, Wälder und Weiden durch die Bauern
ein.
Die auf diese Weise erzwungene Vergrößerung der Produktion führte zur Sen-
kung des Tierbestandes der Bauernwirtschaften, verschlechterte infolge der
Defizite des Stalldunges den Ackerbau und trug zur Ausdehnung der Wüstun-
gen bei. Produktionsrückgang, die Senkung des Gesamteinkommens der Bauern
sowie im Endeffekt die Verarmung der Landbevölkerung waren die Folgen.
Hinzu trat noch die Ausschaltung der Konkurrenz durch den Gutsbesitzer auf
dem lokalen Markt, was die Möglichkeiten der Bauern, Geld zu erwerben, um
die Arbeitspflichten durch Geldzins zu ersetzen, deutlich verminderte.496
Es ist bereits gesagt worden, daß im 16. Jahrhundert die �terms of trade� für
sämtliche am Handel beteiligten Gesellschaftsschichten Polens vorteilhaft
waren. Mit dem Einbruch der Getreidepreise und dem Anstieg der Preise für
Gewerbeprodukte in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts hatte sich die Situa-
tion grundlegend verändert.497 Kula zum Beispiel hat einen Vergleich der Han-
delsbedingungen für Magnaten, Szlachta und Bauern bei zwei verschiedenen
495 Um 1650 beschwerten sich einige Dörfer der Starostei Łuków, daß sie 12 Tage je Hufe
in der Woche zu arbeiten hätten, obwohl sie nur zu einem Dienst von vier Tagen ver-pflichtet seien. Vgl. Kriedte, ebda., S. 88.
496 Rusiński, Die Agrarkrise des 17. Jhs. in Ostmitteleuropa, in: Schichtung und Entwick-lung der Gesellschaft in Polen und Deutschland im 16. und 17. Jh., S. 265ff.
497 Auf die ungünstigen �terms of trade� geht zum Beispiel Topolski ein in: Teoria ekono-miczna ustroju feudalnego - uwagi na marginesie o ksiażsce Witolda Kuli Ekonomiczna teoria feudalizmu [Die ökonomische Theorie des Feudalismus - Randbemerkungen zu dem Buch von Witold Kula Ökonomische Theorie des Feudalismus], in: Ekonomista 1, 1964, s. 142-143.
186
Ausgangsjahren unternommen. Er berechnete hierbei sowohl den Preis von
einer Last Roggen als auch den Preis von einem Korb mit den für jede Gesell-
schaftsschicht notwendigen Waren. Dann teilte er den Roggenpreis durch den
Preis des Korbes. Im Endeffekt kam er zu folgendem Ergebnis498:
Tabelle 25: �Terms of trade� 1550-1750
1550 1600 1650 1700 1750
Magnaten 100 276 385 333 855
Szlachta (Adel) 100 80 144 152 145
Bauern 100 205 169 118 51
Beim Ausgangsjahr 1600:
Tabelle 26: �Terms of trade� 1600-1750
1600 1650 1700 1750
Magnaten 100 139 121 310
Szlachta 100 180 190 181
Bauern 100 82 58 25
Die �terms of trade� für die Magnaten wiesen in nahezu allen Fällen einen
positiven Trend auf. Vom Ausgangsjahr 1550 an stiegen sie kontinuierlich auf
jeweils 276, 385 und 855 (einen kurzen �Einbruch� notierten sie nur um 1700);
beim Ausgangsjahr 1600 erreichten sie die Grenze von 310. Die szlachta schnitt
beim Ausgangsjahr 1600 besser ab (180, 190 und 181) als bei 1550, wo sie nur
einen moderaten Anstieg auf 144, 152 und 145 zu verzeichnen und im Jahre
1600 sogar eine Verschlechterung (80) hinzunehmen hatte. Eine deutliche Dis-
krepanz zwischen den Ausgangsjahren 1550 und 1600 fällt dagegen bei den
498 Tabellen 25 und 26 nach Kula, ebda., S. 123f.
187
Bauern auf. Während die Handelsbedingungen für diese Schicht sich insbeson-
dere im Zeitraum von 1550-1600 positiv gestalteten (obwohl nach einem
Anstieg von 100 auf 205 ein Rückgang einsetzte, der im Jahre 1750 zum
erstenmal die 100-Marke unterschritt), kam es im Laufe des 17. Jahrhunderts zu
einem dramatischen Abstieg, der sich beim Ausgangsjahr 1600 ausschließlich
im negativen Trend niederschlug (82, 58, 25). Kula kommentiert die Unter-
schiede zwischen den Einkommen der Bauern und den Einkommen der Szlachta
und vor allem Magnaten folgendermaßen:
�The peasant who had less land and sold fewer products nonetheless sold them at a
more favourable price. But during the seventeenth century this state of affairs is
reversed just as there was a decline in technical progress in the industrial field, which
had begun to move forward between the end of the fifteenth and beginning of the
sixteenth centuries and had brought about a relative drop in the price of goods pur-
chased by the peasant during the sixteenth century.�499
Daß diese Berechnungen einen spekulativen Charakter haben und nur gewisse
Größenordnungen widerspiegeln, liegt auf der Hand. Nach Żytkowiczs Unter-
suchungen zum Beispiel sind die �terms of trade� für die Szlachta - beim Aus-
gangsjahr 1550 - günstiger als die der Magnaten (zumindest in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts)500:
Tabelle 27: �Terms of trade� 1550-1650
1550 1600 1650
Magnaten 100 202 263
Szlachta 100 245 202
499 Ebda., S. 125f. 500 Żytkowicz, Czy załamanie się siły nabywczej polskiego zboża w drugiej połowie XVII
w.? [Ist die Kaufkraft des polnischen Getreides in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. zusammengebrochen], in: Studia z historii gospodarczej i demografii historycznej,
188
Da die Entfernung zwischen Danzig und dem Oberlauf der Weichsel in Klein-
polen dem mittleren Adligen (geschweige denn einem Bauern) viel größere
Schwierigkeiten bereitete als dem Magnaten, stieg der Exportanteil der Magna-
ten mit zunehmender Entfernung von der Küste. Der Magnat verfügte über
mehr Boden und Leibeigene, wodurch er auch mehr Getreide absetzen konnte.
Andererseits erzielte er in �schlechten� Jahren sogar größere Gewinne als bei
guten Ernten, da seine potentiellen Konkurrenten - die Bauern, die unter dem
Existenzminimum blieben und die Adligen, die das Saatgut nur zurückerhielten
- ausgeschaltet wurden. Die Verteilung der Getreidelieferungen nach Danzig in
bezug auf die soziale Herkunft der Lieferanten bestätigt diese Mißverhältnisse
bereits in den Jahren 1557-1576501:
Tabelle 28: Getreidelieferungen nach sozialer Herkunft (in Prozent)
Masowien Kleinpolen Ukraine
Jahre gute schlechte gute schlechte gute schlechte
Magnaten 27 36 58 64 57 70
Hochadel 13 15 15 16 21 12
Mitteladel 13 12 10 9 5 10
Kaufleute 33 24 10 10 16 8
Klerus 14 13 6 1 1 -
insgesamt 100 100 100 100 100 100
Die Magnaten stellten also die einzige Sozialschicht dar, die in allen unter-
suchten Provinzen in �schlechten� Jahren mehr Getreide verkaufen konnte als
in �guten�. In Kleinpolen mit 64% und in Masowien mit 70% erreichten sie
Kraków 1975, S. 88 (nach Małecki, Der Außenhandel und die Spezifik der sozial-öko-nomischeen Entwicklung Polens im 16. und 17. Jahrhundert, S. 30).
501 Żytkowicz, Trends of agrarian economy in Poland, Bohemia and Hungary from the middle of the fifteenth to the middle of the seventeenth century, S. 65.
189
nahezu eine dominante Stellung auf dem Kornmarkt. Mit dem Getreidehandel
ging auch (zumindest in Kleinpolen) der Prozeß der Bodenkonzentration - der
Besitzverschiebung zugunsten der Magnaten also - einher. Im Jahre 1581 wur-
den etwa sechs Großgrundbesitzer mit jeweils mehr als zehn Dörfern gezählt;
im Jahre 1629 stieg diese Zahl auf 16. 1580 registrierte man im Nakeler Kreis
150 Vorwerke, 1780 50, wobei die durchschnittliche Größe eines Fronhofes
sich von 17 auf 60 Hufen erhöht hatte. In Wielun verringerte sich die Zahl der
Güter von 148 auf 73, was die Vermutung nahelegt, daß die Bodenkonzentra-
tion unter anderem auf Kosten des Kleinadels erfolgte.502 Daß das Übergewicht
der Magnaten und des Hochadels über andere Schichten sich bereits im 16.
Jahrhundert abzuzeichnen begann, spiegelt sich in der folgenden Tabelle wider
(anhand der Krakauer Wojewodschaft im Zeitraum von 1563-1565)503:
502 Schmidt, ebda., S. 76f; Historia chłopów polskich [Geschichte der polnischen Bauern],
hrsg. von Stefan Inglot, Bd. 1, Warszawa 1970, S. 256. 503 Wyczański, Uwarstwienie społeczne w Polsce XVI wieku. Studia [Die soziale Schich-
tung im Polen des 16. Jhs..Studien], Wrocław usw. 1977, Tabelle 17, S. 50. Nach Wyczański läßt sich die polnische Gesellschaft des späten 16. Jahrhunderts hinsichtlich ihrer Einkommen in sieben, eventuell acht Schichten gliedern: 1. die Krakauer Bischöfe; 2. die weltlichen Senatsmitglieder, Minister, Äbte; 3. Starosten, reiche Kaufleute, Präla-ten; 4. Mitteladel, Besitzer der ländlichen Ämter, Kanoniker; 5. Klerus, Händler, Hand-werker in größeren Städten; 6. niederer Adel, Pfarrvikare, Lohnarbeiter; 7. Bauern; 8. die ärmsten städtischen und ländlichen Schichten. Ebda., S. 253.
190
Tabelle 29: Anteil der Landbesitzer am Steueraufkommen
Steuerklasse Zahl der Güter Steuer Güter Steuer
(in zloty) (in zloty) (in %) (in %)
bis 0/10 199 33,02 18,8 0,3
bis 0/20 86 41,70 8,1 0,4
bis 1 50 43,67 4,7 0,4
bis 2 118 177,0 11,2 1,7
bis 4 186 529,22 17,7 5,2
bis 8 177 1045,0 16,8 10,2
bis 15 96 1044,92 9,1 10,2
bis 30 79 1625,55 7,5 15,9
bis 60 31 1293,82 2,9 12,6
über 60 34 4418,1 3,2 43,1
Wenn wir Wyczańskis Andeutung folgen, daß der Anteil der zu leistenden Ab-
gaben an sämtlichen Steuern die Besitzverhältnisse im Polen der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts wiedergibt, ist die Überlegenheit der zwei reichsten Grup-
pen als überwältigend zu bewerten. Ihr Anteil am Steueraufkommen war näm-
lich größer als der der übrigen Klassen. Der Bodenbesitz entschied in erster
Linie über den für den Handel bestimmten Getreideumfang und damit auch über
die Gewinnhöhe. Die Gewinne trugen wiederum dazu bei, den Grundbesitz auf
Kosten anderer Gesellschaftsschichten, die mit den Magnaten vor allem in
�schlechten� Jahren nicht mithalten konnten, auszubauen:
�Andererseits stiegen die Produktionskosten an, während sich ihre Rentabilität, im
Hinblick auf die verschlechternden terms of trade, verringerte. Diese ungünstigen
Bedingungen führten zu einem Rückgang der Einkommen des Adels, besonders des
Kleinadels. Aus dieser Situation zogen allein der Großadel und die Magnaten Nut-
zen, die... die Landgüter (und die Einkommen) in ihren Händen konzentrierten und
damit die sozial-ökonomische Distanz zu anderen Gesellschaftsgruppen und -
191
schichten ihres Standes - schon ganz zu schweigen zu den anderen Ständen - vertief-
ten.�504
Die Entwicklung der Gutswirtschaft hat auch die bereits in der zweiten
Hälfte des 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts einsetzenden Diffe-
renzierungen im Besitzstand und in der Soziallage der Bauern, die sich sowohl
innerhalb derselben Bevölkerungskategorien als auch in der gesamten dörfli-
chen Gesellschaftsstruktur bemerkbar machten, gehindert. Die Bauern mit gro-
ßen Wirtschaften (mit einer Hufe und mehr) konnten die landwirtschaftliche
Nutzfläche vergrößern, die Tierzucht erweitern, Lohnarbeiter505 einstellen sowie
anderen profitableren Beschäftigungen wie Handel oder Geldverleih nachgehen.
Im Gegensatz zu ihnen hatten die Kleinbauern und die landlose Bevölkerung
viel geringeren Spielraum.506 A. Nowak kommentiert diesen Wandel in der
ländlichen Sozialstruktur wie folgt:
�Es ist klar, daß es sich hier erst um die ersten Vorboten dieses Prozesses handelte,
dessen weitere Entwicklung von dem Fronsystem gehemmt wurde. In erster Linie
bildeten sich die Grundlagen für die Entstehung einer obersten Schicht der Dorf-
bevölkerung heraus, zu denen die wirtschaftlich und rechtlich privilegierten
Schultheiße gehörten, dann die erblichen Müller und Schenkwirte... sowie eine An-
zahl von durch ihre Wohlhabenheit über den Durchschnitt emporgekommenen Bau-
ern... Die gegensätzliche Schicht kristallisierte sich weniger schnell heraus. Sie um- 504 Nowak, ebda., S. 107. 505 Die Einstellung der Lohnarbeitskräfte fand auch in der Zeit der verstärkten Entwicklung
der Vorwerke statt. In Kleinpolen z.B. wurden Hofgesinde und Saisonarbeiter beschäf-tigt. Diese Arbeitskräfte rekrutierte man meistens aus der Bevölkerung benachbarter Dörfer oder im Falle der qualifizierten Handwerker aus der Stadt. Etwa 89% von den 415 Vorwerken Kleinpolens stellten zusätzlich fremde Arbeitskräfte ein. Ihre Rolle faßt Anna Izydorczyk folgendermaßen zusammen: �Arbeitskräftemangel trug dazu bei, daß das Hofgesinde sowohl in der Guts- als auch Bauernwirtschaft hochgeschätzt wurde. Es bildete eine gesonderte Gruppe, die ständig auf dem kleinpolnischen Lande funktio-nierte. Die Arbeitsstellen der Hofaufseherinnen, Köchinnen, Knechte, Hirten usw. zeug-ten von der Spezialisierung des Hofgesindes. Stammlohnarbeiter waren ein festes Ele-ment des Bauernhofes und der Dorfgemeinschaft.� Vgl. Anna Izydorczyk, Die Lohn-arbeit auf dem Lande in Kleinpolen im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jhs., in: Stu-dia Historiae Oeconomicae, Bd. 20, 1993, S. 53-65. Zit. S. 75.
192
faßte vor allem die landlose Bevölkerung, die von Lohnarbeit lebte. Die anwachsen-
den Gegensätze innerhalb der Bauernklasse, der Bevölkerungszuwachs sowie der
ständige Bedarf an Lohnarbeit, begünstigten den quantitativen Zuwachs dieser Kate-
gorie der Bauern.�507
Im 17. Jahrhundert verringerte sich drastisch die Schicht der wohlhabenden
Bauern, wobei die Gruppe der Schultheißen fast gänzlich verschwand. Der An-
teil der Einhuf- und größeren Wirtschaften an der Gesamtnutzfläche ging deut-
lich zurück. In Masowien zum Beispiel besaßen 1569 noch 36% der königli-
chen Bauern mehr als eine halbe Hufe, 1616 nur noch 10% und 1660 niemand
mehr. Die Zahl der Bauern, die über eine Wirtschaft zwischen ¼ und ½ Hufe
verfügten (was eigentlich das Existenzminimum bedeutete), betrug etwa 40%,
die mit ¼ Hufe 43% und die mit weniger als ¼ 17%.508
Den verschärften Widersprüchen im Fronsystem lagen also zwei Entwick-
lungslinien zugrunde, von denen die eine auf die autonomen, aus den sozial-
ökonomischen Strukturen auf dem Lande und der Ausschöpfung der freien
Landreserven resultierenden Erscheinungen zurückging, die zweite hingegen in
der internationalen Arbeitsteilung begründet war.509 Die sinkenden Kornpreise
506 Nowak, ebda., S. 99-102. 507 Ebda., S. 102. 508 Ebda., S. 107; Kriedte, ebda., S. 123. 509 Andere Ansicht vertritt z.B. A. Wyczański, der davon ausgeht, daß die Preisdepression
auf dem Weltmarkt die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Polen des 17. Jahrhunderts nicht grundlegend zu ändern vermochte. Auch J. Topolski widerspricht der These, daß das Europa des 17. Jahrhunderts als eine ökonomische Einheit erfaßt werden kann. Er unterscheidet dagegen drei Gruppen von Ländern, deren Wirtschaftsentwick-lungen verschiedene Richtungen und Geschwindigkeiten aufwiesen: a) zu der ersten gehörten die am besten entwickelten Staaten wie Holland und England; b) der zweiten sind Länder zuzuordnen, die weder in der Stagnation noch in der Regression begriffen waren, die sich jedoch langsamer entwickelten als die Niederlande oder England (Frank-reich, Deutschland, Böhmen, Skandinavien, Rußland); c) die Staaten der dritten Gruppe befanden sich in einer starken Abschwungsphase (Spanien, Portugal, Italien, Polen, das Osmanische Reich). Im großen und ganzen (d.h. mit Ausnahme von Rußland und dem Osmanischen Reich) deckt sich diese Zuordnung mit der Wallersteinschen Struktur der Zentrum-Semiperipherie-Peripherie. Ein entscheidender Unterschied zwischen ihnen besteht dennoch: Während Wallerstein derartige Gliederung als Folge der internationalen Arbeitsteilung - der ökonomischen Einheit Europas also - betrachtet, betont Topolski
193
auf dem westeuropäischen Markt trugen zur Verrringerung der Einkommen der
Feudalherren bei, die, um ihren sozialen Status aufrechterhalten zu können, die
Ausbeutung der Bauern und der Städte verstärkten. Infolgedessen sank auch das
Getreideangebot im Binnenmarkt. Das Gefälle in der sozialen und landwirt-
schaftlichen Entwicklung zwischen Westeuropa und Polen-Litauen vergrößerte
sich dramatisch, was in den folgenden Bereichen zum Ausdruck kam:
- in der landwirtschaftlichen Produktivität, die in Polen-Litauen sowohl von
einer quasi-feudalen Bodenkonzentration als auch von extensiver Wirtschaft
gehemmt wurde. Hierbei wurde der Übergang zu intensiver Wirtschaft verzö-
gert, was sich auch in einem Rückgang der pro Flächeneinheit erzielten Ernte
niederschlug (in manchen Gütern von einem Verhältnis 5:1 im 16. Jahrhundert
auf 3,5 bis 4:1 im späten 18. Jahrhundert)510,
- in der Innovationsbereitschaft, die in Mittel- und Osteuropa gering blieb.
Während in Westeuropa sich die Fruchtwechselwirtschaft durchzusetzen
begann, herrschte in Polen-Litauen die Dreifelderwirtschaft vor,
den autarkischen Charakter der einzelnen Regionen, deren Wirtschaften �eigene� Kon-junkturphasen aufwiesen. Mączak wiederum sieht in einem in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Erscheinung tretenden ökonomischen Abschwung eine Überprodukti-onskrise. Vgl. Wyczański, W sprawie kryzysu XVII stulecia [Über die Krise des 17. Jhs.], in: Kwartalnik Historyczny, Bd. 59, 1962, S. 656-672; Topolski, O tak zwanym kryzysie gospodarczym XVII wieku w Europie [Von der sogenannten Wirtschaftskrise im 17. Jh. in Europa], in: Kwartalnik Historyczny, Bd. 59, 1962, S. 364-379; Ders., Narodziny kapitalizmu w Europie, S. 141ff. Mączak, O kryzysie i kryzysach XVII wieku [Von der Krise und von den Krisen des 17. Jhs.], in: Kwartalnik Historyczny, Bd. 60, 1963, S. 53-68. Zur Debatte über die �Krise des 17. Jhs.�, die von einem Aufsatz Eric Hobsbawms in der Zeitschrift �Past and Present� ausgelöst worden ist, siehe: Miroslav Hroch, Josef Petran, Das 17. Jh. - Krise der Feudalgesellschaft?, Historische Perspekti-ven 17, Hamburg 1981, insbesondere S. 12-52; Niel Steensgaard, Kryzys XVII wieku [Die Krise des 17. Jhs.], in: Europa i świat w początkach epoki nowożytnej, Bd. 2, S. 18-44;
510 Topolski. Gospodarstwo wiejskie w dobrach arcybiskupa gnieźnieńskiego od XVI do XVIII w., S. 214, 217. Interessant ist auch seine Untersuchung über die gesamte Getrei-deproduktion in einem Zeitraum vom 10. Jh. bis zu den 60er Jahren des 20. Jhs. Dem-nach betrug der jährliche Getreidekonsum um 1000 ca. 339 kg pro Kopf. 1340 stieg er auf 385 kg, um 1580 auf 340 kg, im 17. Jh. auf 255 und in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. sogar auf 190 kg zu sinken. Vgl. Ders., Wskaźnik wzrostu gospodarczego Polski od
194
- in der Rolle der Städte, die in Polen-Litauen zur Szlachta und den Magnaten
weder ökonomisch noch politisch einen Gegenpol bildeten (wie das der Fall in
Westeuropa war). Daß die Szlachta das Bürgertum beherrschte und eine derart
dominante Position erlangen konnte, hing aber nicht nur mit den handels- und
sozialgeschichtlichen Kategorien zusammen, sondern auch mit der politischen
Entwicklung des polnisch-litauischen Königreichs und seiner Stellung im inter-
nationalen Staatensystem der Frühen Neuzeit.
2.3. Exkurs: Die Vorwerkswirtschaft am Beispiel
der Starostei Korczyn
�Das große Interesse, das Historiker der dörflichen Welt hier [in Polen] entgegen-
bringen, speist sich einerseits daraus, daß der bäuerlichen Kultur durch das verzö-
gerte Einsetzen der Industrialisierung eine weitaus größere Bedeutung zukam als in
Westeuropa. Für Polen trat noch die Frage hinzu, ob der Zusammenbruch der Adels-
republik im 18. Jahrhundert nicht auch wirtschaftliche Ursachen gehabt habe. Dies
lenkte den Blick auf die Institution der Leibeigenschaft bzw. auf den Zustand der
adligen Gutswirtschaft. Die Ursprünge der Leibeigenschaft aufzudecken, erschien
daher als Aufgabe von fast nationaler Bedeutung, eng verbunden mit der Schicksals-
frage Polens überhaupt. Die polnische Geschichtsschreibung hat diesem Problem in
beeindruckender Weise entsprochen...�511
Zu einer der Koryphäen auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Geschichte
Polens gehört zweifellos A. Wyczański. In einer seiner zahlreichen Arbeiten
über das Adelsvorwerk (die schon zum Standard avancierte) erforschte er
anhand der Inventare aus den Jahren 1515, 1533, 1572, 1585, 1600 und 1620
die im oberen Weichselgebiet (Kleinpolen) gelegene Starostei Korczyn.512 Um
X do XX w. [Die Indikatoren des Wirtschaftswachstums Polens vom 10. bis zum 20. Jh.], in: Kwartalnik Historyczny, Bd. 74, H. 4, 1967, S. 995-1012.
511 Schmidt, ebda., S. 39. 512 Wyczański, Studia nad gospodarką starostwa korczyńskiego 1500-1660, S. 9.
195
die allgemeinen, von mir bereits geschilderten Entwicklungslinien der Vor-
werkswirtschaft mit einer Fallstudie - also mit einem typischen und eingehend
beschriebenen Landgut (in diesem Falle einem königlichen) - vergleichen zu
können, werden im folgenden die Ergebnisse dieser Untersuchung hinsichtlich
der Ausdehnung des Vorwerksareals, der Zunahme der Frontage sowie der
Preis- und Marktsituation dargestellt. Da die einzelnen von polnischen Histori-
kern erörteten Landkomplexe in Westeuropa weitgehend unbekannt sind, er-
scheint mir dieses Vorhaben um so wichtiger.
In den 39 Dörfern und zwei Städten der Starostei Korczyn (Neue Stadt
Korczyn und Wiślica) wohnten um 1550 etwa 6100 Menschen (darunter Müller,
Schenkwirte, Häusler und Handwerker). Im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhun-
derts ist die Zahl der Einwohner auf 7850 gestiegen, von denen 59% in den
Dörfern, 41% dagegen in den Städten ansässig waren.513 Die Lustration aus dem
Jahre 1616 beschreibt die Starostei Korczyn und die �Ökonomie� von Wiślica
als zwei getrennte Wirtschaften. Demnach umfaßte die Starostei Korczyn eine
Stadt, elf Dörfer und fünf Vorwerke, Wiślica wiederum eine Stadt, 28 Dörfer
und sieben Vorwerke.514
Zwischen 1533 und 1585 blieb die Zahl der Vorwerke stabil. Eine Verände-
rung trat erst im frühen 17. Jahrhundert ein, als neue Fronhöfe in Pawłów, in
Stary Korczyn und Będzianki (1600-1615) sowie in Grotniki (1615-1620) ent-
standen sind.515 Daß sich das Vorwerksareal im Zeitraum von 1584-1620 deut-
lich ausdehnte, zeigt die folgende Tabelle. Den Ausgangspunkt bildet dabei das
Jahr 1564 (100)516:
513 Ebda., S. 12f. 514 Ebda., S. 13. 515 Ebda., S. 16. 516 Ebda., S. 18.
196
Tabelle 30: Ausdehnung des Vorwerksareals seit 1564 (in Prozent)
Jahr
Sępichow 88 1616
Strożyska 136 1620
W. Skotniki 170 1584/85
Zagość 183 1620
Durchschnitt 159 1584-1620
Für sechs Vorwerke hat Wyczański das Jahr 1533 als Ausgangspunkt ange-
nommen (100)517:
Tabelle 31: Ausdehnung des Vorweksareals seit 1533 (in Prozent)
Jahr
Bogucice 133 1616-1620
Kocina 146 1584/85
Koniecmosty 85 1584/85
Mędrzechów 366 1600
Przemyków 143 1584/85
Winiary 135 1600
Durchschnitt 126 1584-1616
Für diese zehn Vorwerke ergibt sich also ein Anstieg um etwa 37% im Zeitraum
von 1533/1564-1584/1620. Deutlich niedriger fällt dagegen der Prozentsatz für
einen Zeitraum von 1533/1564-1660 aus, in dem er nur in zwei Fällen die
Marke von 100 Punkten (in Medrzechow und Przemykow) überschritten hat.518
Das Verhältnis der Gutsäcker zu den bäuerlichen Eigenwirtschaften erhöhte
sich in der Starostei Korczyn von 1:4 im Jahre 1537 auf 1:2,3 um 1600. Es war 517 Ebda., S. 18.
197
zwar niedriger als auf den Adelsgütern (im Zeitraum von 1551-1580 44:56).519
Nichtsdestotrotz spiegelt es eine allgemeine Tendenz zur Erweiterung des
Fronhofes wider, die in Polen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts deut-
lich in Erscheinung trat.
Mit der Ausdehnung des Vorwerksareals ging auch die Zunahme der Fron-
tage einher. Bereits ein Inventar aus dem Jahre 1572 führt 28 Dörfer an, in
denen zwei Wochentage zu leisten waren. Nur in vier Dörfern herrschte noch
die eintägige Fron vor. In einer durchschnittlichen Bauernwirtschaft mit ½ Hufe
stieg die wöchentliche Fron von 1,45 Tagen im Zeitraum von 1533-1538 auf
1,87 1572, 2,25 1616-1629, 2,34 1646-1562 und 2,54 1660. 1572 standen der
Starostei Korczyn insgesamt 676 Frontage wöchentlich und etwa 35 152 Fron-
tage jährlich zur Verfügung.520 Der Prozeß der Zunahme der Fronpflichten in
der Starostei Korczyn im Zeitraum von 1572-1660 wird in der folgenden
Tabelle erkennbar521:
Tabelle 32: Zahl der Frontage 1572-1660
Jahr Zahl der Dörfer Frontage im Durchschnitt
1572 32 1,87
1600 3 3
1616/29 16 2,5
1646/52 19 2,35
1660 23 2,54
518 Ebda., S. 18. 519 Wyczański, Studia nad folwarkiem szlacheckim w Polsce w latach 1500-1580, S. 113f. 520 Wyczański, Studia nad gospodarką starostwa korczyńskiego 1500-1660, S. 120, 122. 521 Ebda., S. 121.
198
Aus dem Jahre 1572 liegen in 16 Dörfern auch Daten über die zusätzlichen Lei-
stungen (Arbeiten für den Hof; Wachdienste; Transporte522) vor, deren Umfang
durchschnittlich 2,8 Frontage betrug.
Daraus geht also hervor, daß im Zeitraum von 1550-1620 die Fronarbeit in
der Starostei Korczyn um etwa 75% gestiegen ist.523 Es muß hinzugefügt wer-
den, daß es sich dabei um die Wirtschaften mit nur ½ Hufe handelte. Wenn
diese Arbeitsleistungen auf die Wirtschaften mit einer Hufe übertragen würden,
würde auch der Umfang der Gutsarbeiten entsprechend steigen (auf 3-5
Wochentage). Die Zunahme der Frontage in der Starostei Korczyn bestätigt sich
auch in einem allgemeinen Trend, wonach die Arbeitsrente auf den Adelsgütern
von 1,71 und auf den kirchlichen Gütern von 1,75 auf jeweils 3,03 und 2,8
Wochentage angestiegen ist.524
Die Erweiterung der Vorwerksareale und die Zunahme der Arbeitsrenten
wurden in erheblichem Ausmaß von der Markt- und Preissituation angeregt.
Auf der einen Seite führte das zur Vergrößerung der Produktionssektoren, deren
Erzeugnisse sich auf dem Markt am günstigsten absetzen ließen. Auf der ande-
ren Seite konnte eine geringe Nachfrage nach bestimmten Waren ihre Produk-
tion einschränken. Demzufolge übten die im 16. Jahrhundert einsetzenden
Marktveränderungen einen beträchtlichen Einfluß auf den Umfang und den
Charakter der Vorwerksproduktion in der Starostei Korczyn aus.
522 Die Transporte umfaßten sowohl längere Reisen - z.B. Salz nach Bochnien oder Getreide
nach Tarnow - als auch solche innerhalb der Starostei - z.B. Getreideanfuhr oder die Beförderung von Mühlsteinen. Ursprünglich zählten die längeren Transporte als Fron-tage, im 17. Jahrhundert wurden sie aber immer öfter als Dienste außer den Fronpflich-ten angesehen. Eine Reise jährlich bis zu 12 Meilen wurde zur Pflicht, die anderen betrachtete man als Frontage. Im 17. Jahrhundert tauchten auch neue Leistungen auf, die bisher unbekannt waren (z.B. die Trocknung von Hanf). Ebda., S. 124f.
523 Wyczański schätzt zwar diesen Prozentsatz nicht besonders hoch ein, aber sagt auf der anderen Seite, daß die Arbeitspflichten der Bauern in der Starostei schon in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts über dem Durchschnitt lagen (1-2 Frontage von ½ Hufe, d.h. zwei- bis viermal soviel als die Bestimmungen von Bromberg und Thorn). Ebda., S. 123.
524 Wyczański, Studia nad folwarkiem szlacheckim w Polsce w latach 1500-1580, S. 105.
199
In den Jahren 1500-1580 stiegen in Krakau die Getreidepreise, insbesondere
für Weizen, weniger dagegen für Roggen (der als typisches Export-Getreide
galt). Den schwächsten Anstieg wiesen die Preise für Hafer auf, der gänzlich im
Binnenmarkt verzehrt wurde. In den letzten 25 Jahren des 16. Jahrhunderts kam
es zu einem Rückgang der Kornpreise, die sich dann bis gegen 1615 erholten,
um im Zeitraum von 1615 bis 1645 wieder zu sinken. Die Getreidepreise in
Krakau stimmten zum Teil mit denen in Danzig überein. Dennoch gab es auch
Unterschiede: In Danzig beispielsweise war der Preisanstieg in den Jahren
1515-1535 intensiver als in Kleinpolen. Zwischen 1575 und 1600 sowie in der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts fand auch in Danzig kein Preisrückgang statt,
sondern eine leichte Abschwächung des Preisanstiegs.525 In Korczyn dagegen
gestalteten sich die durchschnittlichen Kornpreise folgendermaßen (in Groschen
für einen Korczyner Scheffel)526:
525 Wyczański, Studia nad gospodarką starostwa korczyńskiego 1500-1660, S. 186f. Zu
Preisen allgemein: Hoszowski, Rewolucja cen w Środkowej Europie w XVI i XVII w. 526 Wyczański, ebda., S. 192.
200
Tabelle 33: Getreidepreise in Korczyn und Krakau 1536-1660 (in Groschen)
Jahr Roggenpreis Weizenpreis
Korczyn Krakau Korczyn Krakau
1536 3,18 12,2 9,09 16,4
1537 3,98 - 8,04 14
1538 - - 9,87 -
1542 4,72 - 10,1 -
1555 4,44 - 7,50 -
1556 6,78 - 8,20 -
1564 9 11,5 19,6 -
1569 9 - 12 -
1572 10 28,8 15 30,6
1585 16 18 24 30
1616 19 - 28 -
1620 20 - 25 -
1629 21 - 30 -
1660 70 - 90 -
Diese Tabelle zeigt deutlich, daß die Roggenpreise in Korczyn, obwohl sie in
zwei Fällen deutlich niedriger lagen als in Krakau (1536 und 1572 jeweils um
über 300% und 200%), systematisch von 3,18 Groschen 1536 auf 21 Groschen
1629 gestiegen sind. Eine andere Tendenz wiesen die Weizenpreise auf. Sie
lagen 1542 bei 10,1 Groschen, sanken dann 1555 bis auf 7,50 Groschen, um
innerhalb von zehn Jahren auf 19,6 Groschen zu steigen. In den nächsten fünf
Jahren fielen sie wieder auf 12 Groschen. Der nächste Preisgipfel wurde 1616
mit 28 Groschen erreicht, 1620 setzte allerdings schon ein neuer Rückgang ein
(25 Groschen). Es scheint also, daß die Roggenpreise - ähnlich wie in der
201
makroökonomischen Skala - in erster Linie vom Angebot abhingen, während
die Weizenpreise stärker von ungleichmäßiger Nachfrage beeinflußt wurden.527
Zum Schluß ist noch auf die Bedeutung der marktorientierten Getreidepro-
duktion in der Starostei Korczyn einzugehen. Die Ausfuhren von Agrarproduk-
ten aus der Starostei Korczyn nach Danzig lassen sich aus den Quellen nicht
direkt erschließen. Die Rechnungen der Starostei erwähnen jedoch unter den
Arbeitspflichten der Bauern die Beförderung des Getreides ans Ufer und die
Errichtung von Kornspeichern in einem der Dörfer der Starostei Łęka, was auf
die von diesen Gebieten ausgehenden Getreidetransporte hindeutet. Darüber
hinaus flößte Stanislaw Gnojenski, einer der Gutsverwalter der Korczyner Sta-
rostei, mehrmals Korn aus eigenen Vorwerken. In den Jahren 1555, 1557, 1558,
1561 und 1568 führte er insgesamt 97 Last (darunter 66 Last Roggen) aus.
1557, 1558 und 1568 verfrachtete er jeweils 38,5, 12 und 10 Last Getreide, das
er wahrscheinlich gekauft hat, da es verzollt werden mußte. Nach Wyczański
könnte dieses Getreide aus den Vorwerken der Korczyner Starostei gestammt
haben. Bekräftigt wird diese Vermutung durch die Włocławek Zollkammer
(Jahre: 1546, 1556, 1561, 1568), derzufolge die Diener des Korczyner Starosten
die Agrarprodukte weichselabwärts transportiert hätten.528 Diese Angaben wei-
sen also darauf hin, daß die Marktsituation im Polen des 16. Jahrhunderts einen
Einfluß auf die Produktion der Starostei Korczyn ausgeübt hatte.
2.4. Zusammenfassung
1. Die landwirtschaftliche Entwicklung im Polen der Frühen Neuzeit hing ent-
scheidend von zwei Faktoren interner Natur ab: der Verfügung über Arbeits-
527 Ebda., S. 194. 528 Ebda., S. 196.
202
kräfte und den Bodenreserven. Diese Umstände beeinflußten die Entscheidung
des Landbesitzers, ob der Boden durch die Vertreibung eines Teils der Bauern
von ihren Wirtschaften oder durch die Erweiterung der Nutzfläche erlangt wer-
den soll. Die ökonomische Kalkulation begünstigte letztendlich die Nutzung
wüstgewordener Äcker mittels der Fronarbeit. Da die Ablösung der Fron-
pflichten durch den Zins die Einnahmen der Adligen um etwa 34%529 verringert
hätte, kam in Polen der Übergang zur Pacht - also einer sich in Westeuropa
durchsetzenden kapitalistischen Rente - nicht in Frage. Der Einführung der
Gutswirtschaft ging ein bereits im 14. Jahrhundert einsetzender Prozeß der Bin-
dung der Bauern an die Scholle voraus.
2. Die auswärtige Getreidenachfrage bildete das andere bestimmende Element,
das die soziale Verfassung Polens im �langen 16. Jahrhundert� mitprägte. Die
Exporte von Agrarprodukten machten etwa 70-80% der polnischen Ostseeaus-
fuhren aus, wobei der Anteil der einzelnen Provinzen Polen-Litauens an diesem
Handel sehr unterschiedlich ausfiel. Dennoch ist die Bedeutung der Kornex-
porte sowohl für den Integrationsgrad der polnischen Getreideproduktion im
Weltsystem als auch für die Befriedigung der Nachfrage in den Niederlanden
(geschweige denn in Westeuropa) zu relativieren. Zum einen waren nur 5-6%
bis 10-15% der Gesamtproduktion für den Export nach Westeuropa bestimmt.
Zum anderen wurde ein beträchtlicher Teil des Ostseegetreides nicht in Holland
selbst konsumiert, sondern nach Spanien, Portugal und Italien reexportiert oder
für Spekulationszwecke gelagert. Nichtsdestoweniger erfüllten diese Exporte
zwei wichtige Funktionen. Einerseits ermöglichten sie dem polnischen und
litauischen Adel den Erwerb von Edelmetallen, die ihm sowohl zur Selbst-
darstellung als auch zum Ankauf orientalischer und mediterraner Gütern dien-
ten, was wiederum eine Voraussetzung für die Aufrechterhaltung seines sozia-
529 Vgl. Wyczański, Studia nad folwarkiem szlacheckim w Polsce w latach 1500-1580, S.
259f.
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len Statutes darstellte. Andererseits bildeten sie für die Amsterdamer Kauf-
mannschaft eine nicht zu unterschätzende Quelle der Kapitalakkumulation.
Daraus ergibt sich, daß die sozialgeschichtliche Stellung Polens im Weltsystem
der Frühen Neuzeit nicht mit den außereuropäischen Kolonien und somit mit
der Peripherie gleichgesetzt, sondern mit dem Semiperipherie-Begriff gedeutet
werden soll.
3. Hinsichtlich der Entwicklung der Gutswirtschaft lassen sich zwei Phasen
erkennen. Die erste dauerte vom späten 15. Jahrhundert bis zum Anfang des 17.
Jahrhunderts und kennzeichnete sich durch die Erweiterung der Vorwerksareale
auf über 40% der Gesamtnutzfläche sowie durch die Zunahme der Fron auf ca.
3 Wochentage. In dieser Etappe wurden aber die negativen, mit der Einschrän-
kung der Rechtsfreiheiten, Verschlechterung der Bodenrechte und Unterwer-
fung der Bauern dem gutsherrschaftlichen Gerichtswesen einhergehenden
Erscheinungen von den noch günstigen �terms of trade� verdeckt. Erst im frü-
hen 17. Jahrhundert, als die Landreserven bereits ausgeschöpft waren und die
Getreidepreise sanken, zeigte sich das ganze Ausmaß der sozialen und ökono-
mischen Kosten dieses Prozesses. Die Fron - ergänzt durch zusätzliche Arbeiten
- stieg auf 4-5 Wochentage, die bebauten Wüstungen wurden den Bauern weg-
genommen und die Nutzung der Weiden und Wiesen durch sie eingeschränkt.
Ein allgemeiner Produktionsrückgang, die Senkung der bäuerlichen Einkom-
men und die Verarmung der Landbevölkerung waren die Folgen.
4. Die allgemeinen, für Polen im �langen 16. Jahrhundert� geltenden Entwick-
lungslinien bezüglich der Erweiterung des Vorwerksareals, der Zunahme der
Fronpflichten sowie der Vermarktung von Getreide spiegeln sich auch in der
Ökonomie der Starostei Korczyn wider.