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2. Vorgriechische Mathematik Obwohl der Satz des Pythaogras mit dem Namen eines Griechen verbunden ist, gibt es Spuren davon auch in anderen Kulturen. Dass wir ¨ uber die Mathematik der Germanen nichts wissen, liegt am vollst¨ andigen Fehlen schriftlicher Zeugnisse aus dieser Kultur. Eine – wenn nicht die – Kultur, ¨ uber die wir relativ genau Bescheid wissen, ist die der Babylonier. An dieser Stelle m¨ ochte ich die antiquarisch erh¨ altlichen B¨ uchlein [14, 15] von J. Lehmann w¨ armstens empfehlen. 2.1 Die Babylonier Die Wiege der westlichen Kultur liegt in Babylon, einer Stadt im fruchtbaren “Land zwischen den Fl¨ ussen” (griech.: Mesopotamien) Euphrat und Tigris, die etwas s¨ udlich des heutigen Bagdad im Irak gelegen hat (Bagdad liegt am Tigris, Babylon lag am Euphrat). Die erste Hochkultur Babylons, von der wir wissen, ist die der Sumerer. Diese hatten eine Keilschrift entwickelt, die von den Akkadiern ¨ ubernommen wurde, als diese das sumerische Reich einnahmen. Einer der bekann- testen Herrscher Babylons war Hammurapi (etwa 1792 – 1750 v. Chr.). Babylon beherbergte eines der 7 antiken Weltwunder, die h¨ angenden G¨ arten der Semiramis (auch wenn sich Historiker dar¨ uber streiten, ob es diese wirklich gegeben hat: Re- likte sind jedenfalls keine vorhanden), und taucht in der Bibel im Zusammenhang mit dem Turmbau zu Babel und der Entwicklung der verschiedenen Sprachen auf. Sp¨ ater, n¨ amlich 323 v. Chr., stirbt Alexander der Große in Babylon. Der Großteil unseres Wissens ¨ uber die V¨ olker, die Bablyon bewohnten, verdan- ken wir dem Umstand, dass die Keilschrift traditionell in Tontafeln geritzt wurde, die dann in der Sonne trockneten, und die teilweise die Jahrtausende ¨ uberdauerten. Das Zahlensystem der Babylonier war auf der 60 aufgebaut (und heißt des- wegen Sexagesimalsystem); Erinnerungen an ein solches System wecken bei uns die W¨ orter Dutzend f¨ ur 12, sowie die inzwischen praktisch ausgestorbenen W¨ orter Schock f¨ ur 60 und Gros f¨ ur 120. Die Keilschrift Die Zahlen der Sumerer wurden in einem Stellenwertsystem geschrieben, d.h. der Platz, an dem eine Ziffer stand, legte ihren Wert fest. Die Sumerer kamen mit zwei

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2. Vorgriechische Mathematik

Obwohl der Satz des Pythaogras mit dem Namen eines Griechen verbunden ist,gibt es Spuren davon auch in anderen Kulturen. Dass wir uber die Mathematik derGermanen nichts wissen, liegt am vollstandigen Fehlen schriftlicher Zeugnisse ausdieser Kultur. Eine – wenn nicht die – Kultur, uber die wir relativ genau Bescheidwissen, ist die der Babylonier.

An dieser Stelle mochte ich die antiquarisch erhaltlichen Buchlein [14, 15] vonJ. Lehmann warmstens empfehlen.

2.1 Die Babylonier

Die Wiege der westlichen Kultur liegt in Babylon, einer Stadt im fruchtbaren“Land zwischen den Flussen” (griech.: Mesopotamien) Euphrat und Tigris, dieetwas sudlich des heutigen Bagdad im Irak gelegen hat (Bagdad liegt am Tigris,Babylon lag am Euphrat). Die erste Hochkultur Babylons, von der wir wissen, istdie der Sumerer. Diese hatten eine Keilschrift entwickelt, die von den Akkadiernubernommen wurde, als diese das sumerische Reich einnahmen. Einer der bekann-testen Herrscher Babylons war Hammurapi (etwa 1792 – 1750 v. Chr.). Babylonbeherbergte eines der 7 antiken Weltwunder, die hangenden Garten der Semiramis(auch wenn sich Historiker daruber streiten, ob es diese wirklich gegeben hat: Re-likte sind jedenfalls keine vorhanden), und taucht in der Bibel im Zusammenhangmit dem Turmbau zu Babel und der Entwicklung der verschiedenen Sprachen auf.Spater, namlich 323 v. Chr., stirbt Alexander der Große in Babylon.

Der Großteil unseres Wissens uber die Volker, die Bablyon bewohnten, verdan-ken wir dem Umstand, dass die Keilschrift traditionell in Tontafeln geritzt wurde,die dann in der Sonne trockneten, und die teilweise die Jahrtausende uberdauerten.

Das Zahlensystem der Babylonier war auf der 60 aufgebaut (und heißt des-wegen Sexagesimalsystem); Erinnerungen an ein solches System wecken bei unsdie Worter Dutzend fur 12, sowie die inzwischen praktisch ausgestorbenen WorterSchock fur 60 und Gros fur 120.

Die Keilschrift

Die Zahlen der Sumerer wurden in einem Stellenwertsystem geschrieben, d.h. derPlatz, an dem eine Ziffer stand, legte ihren Wert fest. Die Sumerer kamen mit zwei

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2.1 Die Babylonier 43

Ziffern aus: ein vertikaler Strich mit Einkerbung bedeutete eine 1, ein waagrechteKerbe eine 10:

1 steht fur die 1, 3 steht fur die 10.

Andere Zahlen unterhalb von 60 wurden additiv aus diesen beiden zusammenge-setzt:

1 2 12 22 . . . 12222 3 13 23 . . . 4 124 1 2241 2 3 4 . . . 9 10 11 12 . . . 20 23 84

Die letzte Zahl 84 kommt so zustande: die linke 1 steht fur 1× 60, die 224 imzweiten Feld fur 2 + 2 + 20 = 24, was zusammen 84 ergibt. Da die Sumerer keinZeichen fur die 0 hatten, konnte 1 sowohl 1, als auch 60, 602 = 3600 oder sogar160 bedeuten; welche Deutung richtig war, musste man aus dem Zusammenhangerschließen.

Aufgabe 2.1. Wandle folgende Zahlen ins Dezimalsystem um: 12, 122, 1233.

Um eine Zahl aus dem Dezimalsystem, z.B. 8000, in das Sexagesimalsystemumzuwandeln, geht man wie folgt vor. Man beginnt mit der Beobachtung, dass602 < 8000 < 603 ist; also pruft man, wie oft 602 in 8000 enthalten ist, und findet

8000 = 2 · 602 + 800.

Jetzt ist 800 = 13 · 60 + 20, und damit

8000 = 2 · 602 + 13 · 60 + 20,

also8000 = 2 13 20 = 21232.

Aufgabe 2.2. Wandle die Dezimalzahlen 1234, 4321, 12 , 1

6 und 110 in das Sexa-

gesimalsystem um. Was passiert, wenn man 17 umwandelt?

Die Quadratwurzel von 2

Ein kleines Tafelchen1 aus der Yale Sammlung enthalt ein Quadrat samt Diago-nalen. Eingeritzt sind die Zahlen 30 an der Seite des Quadrats, sowie 1; 24, 51, 10und 42, 25, 35 (Fig. 2.1).

Die Zahl

1; 24, 51, 10 = 1 +24

60+

51

602+

10

603=

30 547

21 600= 1.41421296

ist nichts anderes als eine Approximation der Quadratwurzel aus 2:

1 Der genaue Name ist YBC 7289, aus der “Yale Babylonian Collection”. Die Skizzeunten rechts stammt von Asger Aboe [1]. Die vollstandigste Sammlung und Bespre-chung mathematischer Keilschrifttexte findet man in dem monumentalen Buch [6] vonFriberg.

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44 2. Vorgriechische Mathematik

Fig. 2.1. YBC 7289

√2 = 1.414213562373095048801688724 . . .

Die babylonische Naherung liegt zwischen

30 546

21 600= 1.41416 und

30 548

21 600= 1.414259,

gibt also die ersten drei Nachkommastellen von√

2 korrekt an.Multipliziert man die Seitenlange 30 mit

√2, oder, was im Sexagesimalsystem

auf dasselbe hinauslauft, teilt man√

2 durch 2, so erhalt man die Lange der Dia-gonalen zu

[42, 25, 35] =30547

720≈ 42.4263888 . . . .

Manche Historiker vermuten, dass es sich bei dem Tafelchen um eine Ubungsauf-gabe eines Schreiberlehrlings gehandelt haben konnte.

DIN A4 Die Quadratwurzel aus 2 taucht heute, fast unbemerkt, im taglichenLeben auf. Man nehme ein Din A4 Papier; Messen mit dem Lineal ergibt a = 29, 7cm fur die lange und b = 21 cm fur die kurze Seite. Das Verhaltnis beider Seitenist etwa

29, 7

21≈ 1,414;

diese Zahl sollte uns bekannt vorkommen! Faltet man das Papier entlang der langenSeite, erhalten wir zwei Seiten vom Format Din A5, mit Seitenlangen a′ = 21 cmund b′ = 1

2a = 14,85 cm. Auch hier ist das Verhaltnis von langer zu kurzer Seiteetwa a′ : b′ ≈ 21 : 14,85 ≈ 1.414.

Das ist kein Zufall: die Seitenlangen sind in der Tat so gewahlt, dass nach demFalten das Verhaltnis von langer zu kurzer Seite das gleiche ist wie zuvor. Es mussalso gelten

a

b=

b

a/2,

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2.1 Die Babylonier 45

was auf a2 = 2b2 oder a2 : b2 = 2 fuhrt. Wurzelziehen zeigt, dass a : b =√

2 ≈1.414 sein muss.

Damit liegt das Verhaltnis a : b einer Din A4-Seite fest. Wie kommt es zu dentatsachlichen Werten? Die hat man so gewahlt, dass das Din A0-Blatt eine Flachevon 1 m2 hat: aus a

b =√

2 und ab = 1 folgt dann 1 = ab = a · a√2, also a2 =

√2

und damit a =√√

2, was etwa 1,189 m ausmacht, und b = a/√

2, also 0,851 m.Bei A2 sind beide Seiten halb so lang, bei A4 nur ein Viertel davon: es ist daher

1

44√

2 = 0,2973 . . . ,1

4 4√

2= 0.21022 . . .

in genauer Ubereinstimmung mit den DIN-A4-Vorgaben.DIN steht ubrigens fur Deutsches Institut fur Normung; dieses hat die Papier-

formate 1922 fur Deutschland festgelegt.

Pythagoreische Tripel

Eine ganz beruhmte Tontafel2 ist “Plimpton 322”, die eine ausfuhrliche Tabellevon Pythagoreischen Tripeln enthalt, also Zahlen a, b, c mit a2 + b2 = c2. Derseltsame Name der Tafel ruhrt daher, dass es das Ausstellungsstuck Nr. 322 in derSammlung von G.A. Plimpton an der Columbia University ist. Plimpton hattediese Tontafel nach 1920 von einem Handler gekauft und sie zusammen mit seinerganzen Sammlung von Tontafeln der Columbia University vermacht. Geschriebenwurde die Tafel etwa 1800 v. Chr., sie ist etwa 13 cm × 9 cm und ist 2 cm dick.

Die elfte Zeile dieser Tabelle lautet wie folgt:

1 333111 44122 steht fur 60 + 33 +45

60=

5625

60=

752

60,

44122 steht fur45

60=

3

4,

1 3122 steht fur 1 +15

60=

75

60=

5

4,

und es gilt (45

60

)2+ 12 =

(75

60

)2.

Die letzten funf Zeilen dieser Tabelle sind

1, 33, 45 45 1, 15 111, 29, 21, 54, 2, 15 27, 59 48, 49 12

[1], 27, 0, 3, 4 7, 21, 1 4, 49 131, 25, 48, 51, 35, 6, 40 29, 31 53, 49 14

[1], 23, 13, 46, 40 56 53 15

2 Es soll hier nicht der Eindruck entstehen als handelten alle babylonischen Tontafelnvon Mathematik. Die Tafel W 20472,167 (Deutsches Archaologisches Institut, Ber-lin) enthalt beispielsweise eine Auflistung von Getreidelieferungen zur Herstellung vonBier.

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46 2. Vorgriechische Mathematik

Plimpton 322 samt Skizze von Eleanor Robson [27].

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2.1 Die Babylonier 47

Hierbei ist die zweite Spalte von rechts nicht abgebildet, in denen im Originaljeweis die Silbe “ki” steht. Im Dezimalsystem sieht die Tabelle so aus:

119 169 13367 4825 24601 6649 3

12709 18541 465 97 5

319 481 62291 3541 7799 1249 8481 769 9

266 407 684 000 000 4961 8161 105 625 45 75 11

1 158 170 535 1679 2929 1218 792 184 161 289 13

66 729 222 400 1771 3229 1417 977 600 56 53 15

Diese Tabelle enthalt Teile Pythagoreischer Tripel: nennt man die Zahlen in der2. und 3. Spalte von rechts c bzw. b, dann gibt es Zahlen a (welche die Tabelle nichtenthalt) mit a2 + b2 = c2. Die letzte Zeile ist dabei fehlerhaft: das pythagoreischeTripel (90, 56, 106) ist nicht primitiv; teilt man die einzelnen Zahlen durch 2, erhaltman das Tripel (45, 28, 53). Die Tabelle gibt falschlicherweise die Zahlen (56, 53),die aus beiden Tripeln zusammengesetzt ist.

a b c Nr.120 119 169 1

3456 3367 4825 24800 4601 6649 3

13500 12709 18541 472 65 97 5

360 319 481 62700 2291 3541 7960 799 1249 8600 481 769 9

6480 4961 8161 1060 45 75 11

2400 1679 2929 12240 161 289 13

2700 1771 3229 1445 28 53 15

In der vierten Spalte von rechts stehen in Plimpton 322 nicht die Werte von a,

sondern von c2/a2. So ist, in der 11. Zeile, 752

602 = 56253600 ; im Sexagesimalsystem ist

5625 = 602 + 33 · 60 + 45 = [1, 33, 45].

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48 2. Vorgriechische Mathematik

Es ist ganz offenkundig, dass diese Werte nicht durch probierendes Suchengefunden wurden, sondern dass die Babylonier Formeln zur Erzeugung pythago-reischer Tripel gekannt haben mussen.

Auch die Pythagoreer kannten eine Methode zur Konstruktion “pythagorei-scher Tripel”: fur jede ungerade Zahl m ist (a, b, c) mit

a =m2 − 1

2, b = m, c =

m2 + 1

2

ein pythagoreisches Tripel.

Aufgabe 2.3. Zeige, dass fur obige Werte von a, b, c tatsachlich a2 + b2 = c2

gilt.

Wo kommen diese Zahlen her? Schreibt man a2 +b2 = c2 in der Form c2−a2 =b2, und erkennt man die “binomische Formel” auf der linken Seite, schreibt also

(c− a)(c+ a) = b2, (2.1)

dann erkennt man, dass das Produkt von c−a und c+a sicherlich dann ein Quadratist, wenn c − a = 1 und c + a = m2 eine Quadratzahl ist. Addition dieser beidenGleichungen liefert 2c = m2+1 und 2a = m2−1, und wegen b2 = (c−a)(c+a) = m2

ist b = m.In den Schriften von Platon findet man eine weitere Formel fur pythagoreische

Tripel:a = n2 − 1, b = 2n, c = n2 + 1.

Im Falle ungerader Zahlen n sind diese Tripel einfach die doppelten der Pythago-reer.

Euklid beweist in seinen Elementen die folgende allgemeine Formel:

a = m2 − n2, b = 2mn, c = m2 + n2

liefert fur jedes Paar naturlicher Zahlen m > n ein pythagoreisches Tripel, undtatsachlich kann man jedes pythagoreische Tripel auf diese Weise erhalten.

Aufgabe 2.4. Zeige, dass die von Euklid angegebenen Tripel (a, b, c) der Glei-chung a2 + b2 = c2 genugen.

Die Herleitung dieser Formeln ist auch nicht schwieriger als die der speziellenPythagoreischen Losung: in der Gleichung (2.1) muss man, damit die beiden Fak-toren c− a und c+ a eine Quadratzahl als Produkt ergeben, nur c− a = dn2 undc + a = dm2 zu setzen, denn dann ist ja (c − a)(c + a) = dn2 · dm2 = (dmn)2.Daraus folgt durch Addition bzw. Subtraktion dieser Gleichungen a = d

2 (m2−n2),

b = dmn und c = d2 (m2 +n2), also mit d = 2 die angegebenen Formeln. Fur d = 1

erhalt man nur ganze Zahlen, wenn a und c beide gerade oder beide ungerade sind,fur große d dagegen findet man Tripel, die nicht “primitiv” sind, bei denen also a,b und c einen gemeinsamen Teiler haben.

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2.2 Die Agypter 49

Aufgabe 2.5. Zeige, dass die Gleichung a2 + b4 = c2 unendlich viele Losungenhat. (Hinweis: mache in Euklids Formeln den Term b = 2mn zum Quadrat.)

Aufgabe 2.6. Zeige, dass die Gleichung a2 + b6 = c2 unendlich viele Losungenhat. Zeige allgemeiner, dass a2 + b2n = c2 fur jede naturliche Zahl n unendlichviele ganzzahlige Losungen hat.

Aufgabe 2.7. Zeige, dass die Gleichung a2 + b2 = c4 unendlich viele Losungenhat. (Hinweis: mache in Euklids Formeln den Term c = m2 + n2 zum Quadrat.)

Die Gleichung a4 + b4 = c2 hat dagegen uberhaupt keine Losungen in naturli-chen Zahlen. Der Nachweis dieser Behauptung ist zuerst Pierre de Fermat (nach1640) gelungen, und zwar ausgehend von der Losung der pythagoreischen Glei-chung. Insbesondere gibt es dann auch keine Losung von a4 + b4 = c4 in positivenganzen Zahlen. Fermat hat sogar behauptet, dass die Gleichung

xn + yn = zn

fur jeden Exponenten n > 2 nur die triviale ganzzahlige Losung mit x = 0 odery = 0 hat. Euler gelang der Beweis fur n = 3, Dirichlet und Legendre fur n = 5.Kummer konnte den Satz fur sehr viele Exponenten beweisen, insbesondere furalle n unterhalb von 100. Als der Industrielle Wolfskehl 1909 einen Geldpreis furden vollstandigen Beweis auslobte, begann eine wilde Jagd; eine ganze Horde un-qualifizierter Amateure (ebenso wie eine deutlich kleinere Anzahl von Mathema-tikern mit einer soliden Ausbildung) bemuhten sich um Beweise, die sich aber alleals falsch herausstellten. Die komplette Fermatsche Vermutung wurde erst vonA. Wiles im Jahre 1995 bewiesen, der dazu samtliche Hilfsmittel einsetzen mus-ste, die die Zahlentheoretiker des 20. Jahrhunderts geschaffen haben. Damit istdie Fermatsche Vermutung sicherlich der Satz der Mathematik mit den meistenfehlerhaften Beweisen.

2.2 Die Agypter

Die Agypter benutzten Hieroglyphen zum Schreiben (in zwei Variationen), die vonetwa 3000 v. Chr. bis 400 n. Chr. in Gebrauch waren; damit sind Hieroglyphen dasam langsten benutzte Schreibsystem. Hieroglyphen sind ein “Silbenaplhabet”; daserste Alphabet, das einzelne Laute kodiert, kam erst um 1600 v. Chr. im NahenOsten auf. Um 1100 v. Chr. stabilisierte sich das Phonizische Alphabet, das aus 22Zeichen bestand und mit Namen von Dingen belegt wurden: aleph wurde nach demOchsen benannt, beth nach dem Haus. Es gab nur Großbuchstaben, und geschrie-ben wurde von rechts nach links. Von diesem Alphabet stammt das Griechische ab,ebenso wie Aramaisch, und damit arabische, persische und indische Buchstaben.Die Etrusker ubernahmen und modifizierten das griechische Alphabet, die Romerwiederum borgten ihr Alphabet von den Etruskern und legten die Schreibweisevon links nach rechts fest.

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50 2. Vorgriechische Mathematik

Hieroglyphen sind ein komplett anderes Schreibsystem; in den dreieinhalb Jahr-tausenden, in denen es benutzt wurde, waren insgesamt etwa 6000 verschiedeneZeichen in Gebrauch.

Ein großer Teil unseres Wissens uber die fruhe agyptische Mathematik ver-danken wir dem Rhind Papyrus, das der Schotte A. Henry Rhind3 1858 entdeckthat, und das heute im Britischen Museum ausgestellt ist. Das Papyrus wurde etwa1650 v.Chr. von dem Schreiber Ahmes (auch Achmes oder Ahmose buchstabiert)geschrieben (genauer kopierte er ein Dokument, das von 1800 v.Chr. stammte)und ist eine Art “Lehrbuch”, eine Sammlung von 84 mathematischen Problemen.Die ursprungliche Rolle ist etwa 5 m lang und 32 cm breit, und ist im BritischenMuseum ausgestellt.

Die Agypter benutzten ein Dezimalsystem, allerdings ohne Stellenwert: eine 1bedeutete also immer eine 1 (und nicht eine 10, 100, usw. je nachdem an welcherDezimalstelle sie steht).

Dies bedeutet, dass die Agypter fur jede Zehnerpotenz ein eigenes Zeichenbrauchten. Die folgende Tabelle gibt einige davon an:

Zahl 1 10 100 1000 10 000 100 000 1 000 000

Hieroglyphe | 2 3 4 5 6 7Die Zahl 237 im Dezimalsystem der Agypter hat also so ausgesehen:

|||||||2 2 2 3 3Stammbruche

Die Agypter kannten auch Bruche, allerdings benutzten sie (mit Ausnahme von23 ) nur “Stammbruche”, also Bruche der Form 1

n . Der Bruch 1n wurde geschrieben

als die Zahl n unter dem “Auge des Horus”e. Beispielsweise war

1

12=e||2 .

3 Im Gefolge von Napoleons Feldzug in Agypten besuchte eine ganze Horde von Wissen-schaftlern und Abenteuern das Land; ihr beruhmtestes Beutestuck war der Rosetta-Stein, benannt nach der Stadt (Rosetta oder Rashid in der Nahe von Alexandria), inder er gefunden wurde, auf dem ein und derselbe Text in zwei verschiedenen Sprachen(Griechisch und Agyptisch, letzteres in zwei verschiedenen Schriftarten) gemeißelt war.Dieser Stein erlaubte Thomas Young und Jean Francois Champollion um 1820 herumdie Entzifferung der Hieroglyphen. 1858 kaufte Rhind das nach ihm benannte Papyrus,das 1877 von August Eisenlohr erstmals ubersetzt wurde.

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2.2 Die Agypter 51

Bruche wie 47 wurden allerdings nicht, wie man vielleicht vermuten konnte, in der

Form 47 = 1

7 + 17 + 1

7 + 17 geschrieben, sondern immer als Summe von Stammbruchen

mit verschiedenen Nennern, also etwa

4

7=

1

2+

1

14

oder auch3

7=

1

3+

1

11+

1

231.

Wenn die Agypter eine einzige Methode zum Schreiben eines Bruchs bentutzthaben, dann ist diese nicht bekannt. Eine solche Methode zum Verwandeln einesBruchs in eine Summe von Stammbruchen ist der “gierige Algorithmus”: um p

q < 1als Summe von Stammbruchen zu schreiben, sucht man den grossten Stammbruch1n , der kleiner als p

q ist, der also den Ungleichungen

1

n<p

q<

1

n− 1(2.2)

genugt. So ist z.B.1

2<

4

7<

1

1und

1

3<

3

7<

1

2,

was wir oben benutzt haben. Wegen 47 −

12 = 1

14 ist man in diesem Fall schonfertig, wahren man wegen 3

7 −13 = 2

21 noch weiterrechnen muss; mit 111 <

221 <

110

findet man aber 221 −

111 = 1

231 .Die Ungleichung (2.2) ist ubrigens aquivalent zu

n− 1 <q

p< n, (2.3)

d.h. um n zu finden muss man lediglich herausfinden, unterhalb welcher ganzerZahl der Kehrbruch q

p von pq < 1 liegt. Im Falle von p

q = 221 ist z.B.

21

2= 10,5, also 10 <

21

2< 11

und damit 111 <

221 <

110 wie oben.

Aufgabe 2.8. Schreibe 2n fur ungerade n ≥ 3 als Summe zweier Stammbruche,

zuerst in konkreten Fallen (n = 3, 4, 5), dann allgemein.

Aufgabe 2.9. Schreibe 3n fur n ≥ 4 als Summe von Stammbruchen. Unterscheide

die Falle n = 6k + 1, 6k + 2, 6k + 4 und 6k + 5.

Man vermutet (dies geht auf Erdos und Straus zuruck), dass man jeden Bruch4n mit n ≥ 5 als Summe von hochstens drei Stammbruchen schreiben kann; einBeweis dieser Vermutung durfte aber sehr sehr schwer sein. Man weiß, dass esfur alle Zahlen funktioniert außer womoglich fur solche der Form 24n + 1. Eineahnliche Vermutung gilt ubrigens fur das Problem, 5

n als Summe von hochstensdrei Stammbruchen zu schreiben.

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52 2. Vorgriechische Mathematik

Aufgabe 2.10. Sei pq < 1 ein echter Bruch, sei die naturliche Zahl n festgelegt

durch (2.3). Zeige, dass pq −

1n = r

s ein Bruch mit einem kleineren Zahler ist:r ≤ p− 1.

Folgere daraus, dass man jeden Bruch als Summe von Stammbruchen schreibenkann.

Aufgabe 2.11. Zeige, dass 37 nicht als Summe zweier Stammbruche geschrieben

werden kann. (Hinweis: schreibe 37 = 1

a + 1b mit a < b. Zeige, dass 3 ≤ a ≤ 7 sein

muss und gehe alle Moglichkeiten durch.)

2.3 Rechnen – Damals und Heute

Wir haben gesehen, dass die Agypter ein Dezimalsystem, die Babylonier ein Se-xagesimalsystem benutzten; die Maya hatten ein Zahlensystem, das auf der 20aufgebaut war; die Zahl 80 bei den Maya hat also “vier mal zwanzig” geheißen,wie es heute noch im Franzosischen ublich ist. Die Basis 10 hat naturliche ana-tomische Grunde: wir haben 10 Finger, mit denen wir zahlen. Die Maya zahltendann mit ihren Zehen weiter, und entwickelten so ein Vigesimalsystem, das aufder 20 basiert.

Multiplikation und Division

Die Babylonier benutzten zum Rechnen diverse Tricks; insbesondere fur die Mul-tiplikation gab es die Formeln

ab =(a+ b)2 − a2 − b2

2und ab =

(a+ b)2 − (a− b)2

4,

die sich mit Hilfe der binomischen Formeln leicht bestatigen lassen.So ist beispielsweise

13 · 7 =202 − 62

4= 102 − 32 = 91,

33 · 23 =562 − 102

4= 282 − 52 = 784− 25 = 759

17 · 6 =232 − 172 − 62

2=

529− 289− 36

2= 102.

Damit die Schreiber schnell multiplizieren konnten, haben sie Tafeln von Quadrat-zahlen benutzt.

Die Agypter entwickelten eine ganz andere Technik des Multiplizierens. DieAufgabe 13 · 12 = 156 wird im Papyrus Rhind vorgerechnet (rechts die Rechnungim Dezimalsystem):

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2.3 Rechnen – Damals und Heute 53

| ||2 1 12|| ||||2 2 2 24|||| ||||||||2 2 2 2 4 48|||||||| ||||||2 2 2 2 2 2 2 2 2 8 96|||2 ||||||2 2 2 2 2 3 13 156

Der Multiplikand 12 wird immer wieder verdoppelt, ebenso die 1, und zwarso lange, bis man den ersten Faktor 13 als Summe der Zweierpotenzen schreibenkann: wegen 13 = 1 + 4 + 8 ist 13 · 12 = (1 + 4 + 8) · 12 = 12 + 48 + 96 = 156.

Dabei wurde diese Regel nicht sklavisch angewandt, sondern mit andern Tricksverknupft.

Um 15 · 37 zu berechnen, hatten die Agypter nicht etwa 15 = 1 + 2 + 4 + 8gerechnet, sondern durch 15 = 10 + 1 + 4 ihr “Dezimalsystem” ausgenutzt:

1 372 744 14810 370

1 + 4 + 10 370 + 74 + 37

Im Laufe der Zeit wurde diese Methode verfeinert: sie wurde dadurch leich-ter zu handhaben, aber schwieriger zu erklaren. Die “athiopische Multiplikation”(auch im 20. Jahrhundert noch gebraucht, und ebenfalls bekannt unter den Na-men “russische Bauernmultiplikation” oder “tibetanisches Multiplikationsverfah-ren” (sh. den Beitrag von E. Panke in Archimedes, Jan./Febr. 1952)) funktioniertz.B. so: zur Berechnung von 13 · 12 wird eine Zahl standig halbiert (und etwaigeReste vergessen), die andere verdoppelt:

13 126 243 481 96

Jetzt addiert man diejenigen Zahlen der rechten Spalte, neben denen in der linkenSpalte eine ungerade Zahl steht, und man findet

13 · 12 = 12 + 48 + 96 = 156

wie oben.

Binarsystem und ASCII

Die Systeme zum Schreiben von Zahlen, welche die Babylonier und die Agyptereingefuhrt haben, sind grundsatzlich verschieden: die Babylonier benutzten einSystem der Basis 60; anstatt aber dafur 60 “Ziffern” fur die Zahlen von 0 bis 59zu erfinden, setzten sie diese “dezimal” aus Zeichen fur die 1 und die 10 zusam-men. Das Dezimalsystem hat den Vorteil, dass man nur 10 Ziffern braucht. Im

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54 2. Vorgriechische Mathematik

Binarsystem, das auf der Basis 2 aufgebaut ist, braucht man sogar nur zwei Zif-fern, namlich die 0 und die 1: so wie 111 im Dezimalsystem 1 · 102 + 1 · 10 + 1bedeutet, steht (111)2 im Binarsystem fur 1 · 22 + 1 · 2 + 1 = 7. Fur Schuler hattedie Benutzung des Binarsystems den Vorteil, dass sich das kleine Einmaleins aufdie Multiplikation mit 0 und mit 1 reduzieren wurde; der Nachteil ist, dass selbstsehr bescheiden große Zahlen sich nur mit sehr vielen Ziffern schreiben ließe. DieserNachteil wird sehr schnell spurbar, wenn man sich vor Augen halt, dass eine imDezimalsystem vierstellige PIN (z.B. 4321) im Binarsystem plotzlich etwa dreimalso viele Stellen hat: 4321 = (1000011100001)2. Vermutlich waren nur die wenigstenin der Lage, sich auch nur ihre eigene Telefonnummer zu merken.

Dennoch spielt das Binarsystem (auf das wohl Leibniz als erster aufmerksamgemacht hat) im modernen Leben eine zentrale Rolle, weil es intern von allenGeraten, die etwas mit Computern zu tun haben, benutzt wird.

Das Verwandeln einer Binarzahl ins Dezimalsystem ist einfach: wir haben

(10110)2 = 1 · 24 + 0 · 23 + 1 · 22 + 1 · 2 + 0 · 1 = 16 + 4 + 2 = 22.

Umgekehrt ist es nicht ganz so simpel: um 22 im Binarsystem zu schreiben, mussman schauen, welche Zweierpotenz gerade noch kleiner als 22 ist; dann ist 22−16 =6, und wegen 6 = 4 + 2 ist 22 = 16 + 4 + 2 = (10110)2. Das ist aber mehr einProbieren als ein Rechnen.

22 = 2 · 11 + 0

11 = 2 · 5 + 1

5 = 2 · 2 + 1

2 = 2 · 1 + 0

1 = 2 · 0 + 1

Schaut man sich die Reste in der rechten Spalte an, so sieht man die Binarent-wicklung von 22 von hinten. Zufall?

45 = 2 · 22 + 1

22 = 2 · 11 + 0

11 = 2 · 5 + 1

5 = 2 · 2 + 1

2 = 2 · 1 + 0

1 = 2 · 0 + 1,

und (101101)2 = 1 + 4 + 8 + 32 = 45.Also eher nicht. Klar ist, dass der Rest bei der ersten Division durch 2 die letzte

Binarstelle geben muss: ist der Rest namlich 0, dann ist die Zahl gerade, folglichdie letzte Binarstelle ebenfalls 0. Aus dem gleichen Grund ist die letzte Binarstellegleich 1, wenn bei der ersten Division der Rest 1 bleibt, weil die Zahl ungerade ist.

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2.3 Rechnen – Damals und Heute 55

Mathematiker denken an dieser Stelle an einen Beweis durch vollstandige In-duktion. Wir werden darauf noch zuruckkommen. An dieser Stelle machen wir denInduktionsbeweis ohne Gerust und beweisen die beiden folgenden Aussagen:

1. Ist der Algorithmus fur eine Zahl n gultig (d.h. berechnet er die Binardar-stellung einer Dezimalzahl n korrekt), dann gilt er auch fur das Doppelte derZahl, also fur 2n.

2. Ist der Algorithmus fur eine gerade Zahl 2n gultig, dann gilt er auch fur diedarauffolgende ungerade Zahl 2n+ 1.

Was ist damit gewonnen? Nun, damit ist sichergestellt, dass der Algorithmus furalle Zahlen funktioniert. Um beispielsweise einzusehen, dass der Algorithmus fur11 gilt, uberlegt man sich, dass er fur 1 gilt (trivial), also auch fur 2 (nach 1.), fur4 (wieder nach 1.), fur 5 (nach 2.), fur 10 (nach 1.) und endlich fur 11 (wieder nach2.). Da man jede beliebige Zahl durch Verdoppeln und Addieren von 1 erreichenkann, gilt der Algorithmus damit fur alle naturlichen Zahlen.

Beweis von 1.: Die Sache wird klar, wenn man sich das ganze am Beispiel derZahlen 5 und 10 vor Augen fuhrt:

10 = 2 · 5 + 0

5 = 2 · 2 + 1 5 = 2 · 2 + 1

2 = 2 · 1 + 0 2 = 2 · 1 + 0

1 = 2 · 0 + 1 1 = 2 · 0 + 1

Nach unserer Annahme wissen wir, dass der Algorithmus fur 5 funktioniert. Zuzeigen ist, dass er auch fur 10 funktioniert. Die Entwicklung nach dem erstenSchritt ist aber die gleiche; der Unterschied ist nur, dass der Algorithmus fur 10 einezusatzliche erste Zeile hat, die dafur sorgt, dass aus 5 = (101)2 ein 10 = (1010)2wird. Aber das Anhangen einer 0 an die Binardarstellung der 5 bewirkt nichtsanderes als eine Verdoppelung. Im Dezimalsystem ist diese Beobachtung nichtsanderes als die Tatsache, dass das Zehnfache von 132 einfach 1320 ist.

Wenn wir also die Binarentwicklung einer Zahl n kennen, erhalten wir die desDoppelten 2n durch Anhangen einer 0; der Algorithmus ist fur beide Zahlen dergleiche, sieht man von der ersten Zeile fur 2n ab, die diese letzte 0 produziert.

Beweis von 2.: das ist noch einfacher. Der Algorithmus fur 2n und fur 2n + 1unterscheidet sich nur in der ersten Zeile:

2n = 2 · n+ 0 2n+ 1 = 2 · n+ 1,

danach ist alles gleich. Und in der Tat erhalt man die Binardarstellung von 2n+ 1einfach, indem man die letzte 0 durch eine 1 ersetzt.

Damit ist das Umwandeln einer Dezimalzahl in eine Binarzahl ein Kinderspiel4

Auch Buchstaben werden vom Computer intern als binare Zahlen dargestellt, und

4 Tatsachlich tauchte dies 2013 auch als Kinderwette in einer “Wetten-Dass”-Folge auf.

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56 2. Vorgriechische Mathematik

zwar im ASCII-System5. Die ersten 65 Zeichen sind dabei fur allerlei Sonderzeichenusw. reserviert, die Buchstaben beginnen mit dem großen A bei 65 = (100 0001)2.Demnach ist B reprasentiert von 66 = (100 0010)2, und der 26. Buchstabe Z von90 = (101 1010)2. Nach einigen weiteren Sonderzeichen geht es mit Kleinbuchsta-ben weiter ab 97 = (1100001)2, was fur ein kleines a steht.

Potenzen

In der modernen Nachrichtenubertragung kommt es auf viele Dinge an. Eines da-von ist Geschwindigkeit. Werden Daten verschlusselt, sei es auf dem smart phone6

oder dem PC7, muss gerechnet werden, und kein Benutzer wartet gerne, bis dasGerat soweit ist.

Ein Moglichkeit, Zeit zu sparen, indem man effektiv rechnet, wurde fruher, alsman noch von Hand rechnete, tatsachlich unterrichtet: das Horner-Schema.

Dies erklart man am einfachsten durch ein Beispiel: hat man ein Polynomf(x) = 2x3 + 3x2 + 4x+ 5 an der Stelle x = 6 auszuwerten, so braucht man dafurin der Form

f(6) = 2 · 6 · 6 · 6 + 3 · 6 · 6 + 4 · 6 + 5

6 Multiplikationen und 3 Additionen (kurz: 6M + 3A). Etwas intelligenter warees, sich das Ergebnis von 6 · 6 zu merken und es einmal mit 3, das andere malmit 2 · 6 zu multiplizieren. Dann muss man zwar etwas mehr speichern als vorher,dafur kostet das ganze nun nur noch 5M + 3A.

Noch schneller geht es mit einer Idee von Horner: in

f(6) = ((2 · 6 + 3) · 6 + 4) · 6 + 5

kommt man mit 3M + 3A aus, und das ist (da Multiplikationen teurer sind alsbillige Additionen) fast doppelt so schnell wie die naive Art, f(6) auszurechnen.

Entsprechendes gilt allgemein; am Beispiel des Polynoms

ax4 + bx3 + cx2 + dx+ e = (((ax+ b)x+ c)x+ d)x+ e

sieht man, wie man fur Polynome hoheren Grades vorzugehen hat.

Aufgabe 2.12. Zeige, dass man fur die Berechnung von f(a) bei einem Polynomn-ten Grades

f(x) = anxn + an−1x

n−1 + . . .+ a1x+ a0

mit dem Hornerschema mit n Multiplikationen und n Additionen auskommt (etwasweniger, wenn einige Koeffizienten gleich 0 sind).

5 American Standard Code for Information Interchange.6 Sprache wird durch eine Fourieranalyse in Schwingungen umgewandelt, also in Fre-

quenzen und den zugehorigen Amplituden; diese Zahlen werden dann digital ubertra-gen und am Ende wieder in Sprache umgewandelt.

7 Beim Speichern auf ein Medium passieren zwangslaufig Fehler; wurde man Daten ohneZusatze speichern, waren diese in der Regel zu nichts zu gebrauchen und nicht mehrlesbar. Deswegen muss man Daten so verschlusseln, dass man kleinere Fehlere ohneweiteres beim Lesen wieder herausrechnen kann.

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2.3 Rechnen – Damals und Heute 57

Das Horner-Schema ist nicht der Weisheit letzter Schluss: zum Berechnen vonx17 = (((x · x) · x) · · ·x) brauchen wir mit dieser Methode insgesamt 16 Multipli-kationen. Schneller (und dies ist fur die Anwendungen z.B. beim Abspielen einerCD unerlasslich) geht es mit dem Trick der Agypter: wir berechnen x2, x4, x8, x16

durch wiederholtes Quadrieren (dafur brauchen wir vier Multiplikationen) und be-rechnen dann x17 = x16 ·x. Wir kommen also mit funf Multiplikationen (statt 16)aus!

Das Heron-Verfahren

Wie die Babylonier zu ihrer Approximation von√

2 gekommen sind, ist nichtbekannt. Von Heron von Alexandria8 stammt folgende Methode: Angenommen,wir haben eine Naherung von

√2 gefunden, sagen wir x ≈ 7

5 = 1,4. Wegen ( 75 )2 ≈

2 ist auch 75 ≈

275

= 107 ≈ 1,428 eine Naherung. Und wahrend 7

5 <√

2 ist,

ist 107 >

√2. Mit jedem Naherungswert x1 <

√2 haben wir also einen zweiten

Naherungswert 2x1>√

2 (und umgekehrt). Es liegt daher nahe, aus diesen beidenNaherungswerten einen dritten zu bilden, indem man deren Mittelwert nimmt:

x2 =1

2

(x1 +

2

x1

)=x12

+1

x1.

Die Ungleichung (1.3) zwischen geometrischem und arithmetischem Mittel zeigtuns

x2 =1

2

(x1 +

2

x1

)≥√x1 ·

2

x1=√

2,

d.h. der zweite Naherungswert x2 liegt immer uber dem wahren Wert von√

2.Diesen Schritt kann man nun wiederholen: hat man eine Naherung xn, setzt

man

xn+1 =xn2

+1

xn.

Mit x1 = 1 findet man z.B. x2 = 32 , x3 = 17

12 , x4 = 577408 ≈ 1.4142157 usw.

Aufgabe 2.13. Die Naherungsbruche xn = pn/qn, die wir oben erhalten haben,besitzen eine Unmenge an zahlentheoretischen Eigenschaften. Verifiziere anhandvon Beispielen die Gleichung

p2n − 2q2n = 1

(z.B. ist 32− 2 · 22 = 1). Berechne auch p2n + 2 · q2n; welche Vermutung drangt sichauf?

Berechne die Darstellung von x4 = 577408 im babylonischen Sexagesimal-System

und vergleiche mit YBC 7289.

8 Zu Herons Lebzeiten (ca 10 – 85 n.Chr.) war Alexandria bereits Teil des romischenImperiums. Die Jahreszahlen sind, wie bei vielen anderen Daten auch, mit Vorsicht zugenießen. Heron zitiert Appolonius und wird von Pappus zitiert, lebte also irgendwozwischen 150 v.Chr. und 250 n.Chr.; eine von Heron zitierte Mondfinsternis wurde vonNeugebauer auf den 13. Marz 62 n.Chr. datiert.

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58 2. Vorgriechische Mathematik

Das Heron-Verfahren kann man zur Berechnung beliebiger Quadratwurzelnverwenden; die allgemeine Formel fur die Berechnung von

√a (naturlich ist a > 0)

lautet dannxn+1 =

xn2

+a

2xn. (2.4)

Fur a = 2 erhalten wir selbstverstandlich unsere obigen Formeln zuruck. Wennman (2.4) in der Form

xn+1 =1

2

(xn +

a

xn

)schreibt, so sieht man, dass die neue Naherung einfach der Mittelwert der bei-den Naherungswerte xn und a

xnist. Ist xn zu klein, wird a

xnzu groß sein, und

man darf hoffen, dass das arithmetische Mittel der beiden Werte einen besserenNaherungswert liefert.

Aufgabe 2.14. Ist a klein, so kann man als erste Naherung fur√

1 + a den Wertx1 = 1 wahlen. Welchen Wert fur x2 liefert das Heron-Verfahren?

Aufgabe 2.15. Von Ptolemaus stammt die Naherung

√3 ≈ 1; 43 55 23

im Sexagesimalsystem. Zeige, dass dieser Bruch der Dezimalzahl 1,7320509 . . . ent-spricht, und kontrolliere ihn durch eine Berechnung mit dem Heron-Verfahren.

Mit dem Startwert x1 = 2 erhalt man die Naherungen xn = pn/qn; zeigep2n − 3q2n = 1 fur n = 1, 2, 3.

Man kann nachrechnen, dass x2 fast immer eine bessere Naherung ist als x1(oder allgemein xn+1 besser als xn). Man findet namlich

x22 − a =(x1

2+

a

2x1

)2− a =

x214

+a

2− a2

4x21− a

=x214− a

2+

a2

4x21=x41 − 2ax21 + a2

4x21=

(x21 − a)2

4x21

= (x21 − a) · x21 − a4x21

.

Der Unterschied von x22 und a ist also der Unterschied von x21 und a, multipliziertmit dem Faktor

x21 − a4x21

=1

4− a

4x21.

Wenn die Naherung x1 nicht zu schlecht ist, dann ist dieser Faktor betragsmaßigkleiner als 1. In der Tat ist dieser Faktor immer < 1

4 (da a positiv ist), und er ist> − 1

4 wenn

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2.3 Rechnen – Damals und Heute 59

1

4− a

4x21> −1

4

∣∣∣+1

4, +

a

4x211

2>

a

4x21

∣∣∣ · 2x21x21 >

a

2.

Satz 2.1. Ist a eine positive reelle Zahl und x1 eine Naherung von√a mit x21 >

a2 ,

dann istx2 =

x12

+a

2x1

eine bessere Naherung. Dieses Verfahren kann dann wiederholt werden.

Das Heron-Verfahren ist bis heute eines der effektivsten Mittel zur Berechnungvon Quadratwurzeln geblieben. Heron spielt also mit, wenn ein Schuler auf demTaschenrechner die Quadratwurzeltaste druckt.

Aufgabe 2.16. Das Heron-Verfahren beruht darauf, aus der Naherung√n ≈ a

die zweite Naherung√n ≈ n

a zu gewinnen und aus diesen beiden Naherungen denMittelwert zu nehmen.

Erfinde ein Verfahren zur Berechnung der dritten Wurzel einer Zahl n aus derNaherung 3

√n ≈ x und teste es an den Beispielen 3

√8 und 3

√2.

Aufgabe 2.17. Statt des arithmetischen Mittels kann man bei der Berechnungder Kubikwurzel auch das geometrische Mittel heranziehen. Beschreibe das so ent-stehende Verfahren.

Moderne Methoden

Ein sehr elegantes Verfahren, um die Nullstelle von (differenzierbaren) Funktionenzu finden, geht auf Simpson9 zuruck und ist nach Newton10 (164211 - 1727) benannt(der sich ebenfalls damit befasst hat, aber seine Methode nicht wirklich deutlich

9 Sucht man im Netz nach “Simpson Biographie”, kommt eine Seite Treffer zu HomerSimpson, gefolgt von Jessica Simpson. Thomas J. Simpson (1710–1761) dagegen warWeber von Beruf und hatte sich als Kind Schreiben, und in seiner Freizeit als Weberdie hohere Mathematik beigebracht. Er hat in Londoner Kaffeehausern als PrivatlehrerMathematik unterrichtet und eine ganze Reihe von Lehrbuchern daruber geschrieben.

10 Isaac Newton studierte von 1664 bis 1666 am Trinity College in Cambridge, und kehrtebeim Ausburch der Pest in sein Elternhaus zuruck. Dort entdeckte er das Gravitati-onsgesetz und die Differentialrechnung, ließ sich mit der Veroffentlichung aber sehr vielZeit, um dann, als Leibniz einige seiner Ergebnisse vor ihm publizierte, einen offent-lichen Streit um die Prioritat dieser Ergebnisse vom Zaun zu brechen. 1696 wurde erzum Direktor der koniglichen Munze ernannt, und siedelte nach London uber.

11 Nach dem Julianischen Kalender wurde Newton am 25.12.1642 geboren; auf dem eu-ropaischen Festland – mit Ausnahme Russlands – war dagegen schon der gregorianischeKalender in Gebrauch, und in diesem wurde Newton am 4. Januar 1643 geboren. DieUmstellung, bedingt durch die langsame Verschiebung der Jahreszeiten im auf JuliusCaesar zuruckgehenden julianischen Kalender, ging nicht ohne Proteste der Bevolke-rung von statten, die sich teilweise um knapp 2 Wochen ihres Lebens betrogen fuhlte.

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60 2. Vorgriechische Mathematik

und allgemein aufgeschrieben hat): das Newton-Verfahren. Die Berechnung vonz.B.

√2 ist ja aquivalent zur Berechnung der positiven Nullstelle der Funktion

f(x) = x2 − 2. Um diese naherungsweise zu bestimmen, gehen wir vor wie folgt.

Wir starten mit der Naherung x1 = 2; wirerhalten einen besseren Naherungswert, wennwir die Tangente an die Parabel f(x) = x2−2in x = x1 bestimmen und deren Nullstelle alsneue Naherung x2 nehmen. Die Gleichung derTangente an f(x) = x2 − 2 in einem PunktP (x1|f(x1)) ist gegeben durch

y = f ′(x1)(x− x1) + f(x1),

denn diese Gerade hat die richtige Steigungm = f ′(x1), und wenn man x1 einsetzt,kommt y = f(x1) heraus, d.h. sie geht auchdurch den richtigen Punkt, namlich P .

Die Nullstelle der Tangente in x1 erhalt man aus 0 = f ′(x1)(x − x1) + f(x1)durch Auflosen nach x zu

x = x1 −f(x1)

f ′(x1),

d.h. wir wahlen

x2 = x1 −f(x1)

f ′(x1)= x1 −

x21 − 2

2x1

als neue Naherung und erhalten x2 = 2− 24 = 3

2 .Dieses Verfahren wird jetzt wiederholt: damit folgt

x3 = x2 −f(x2)

f ′(x2)=

3

2−

14

3=

17

12.

Diese Werte sollten uns bekannt vorkommen:

Aufgabe 2.18. Zeige, dass man aus dem Newton-Verfahren mit dem Startwertx1 = 2 genau die Naherungsbruche aus dem Heron-Verfahren bekommt.

Aufgabe 2.19. Welche explizite Formel erhalt man aus dem Newtonverfahren furdie Berechnung von

√a?

Aufgabe 2.20. Bestimme eine Naherung fur√

32 durch dreimalige Anwendungdes Newtonverfahrens mit x1 = 1.

Fur den Praktiker ist mit dem oben beschriebenen Newton-Verfahren fast allesgesagt, auch wenn die Frage offen bleibt, ob das Verfahren immer funktioniert. EinMathematiker wird dagegen wissen wollen:

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2.4 Zeittafel 61

• Wie nahe an der Nullstelle muss der Startwert sein, damit das Newton-Verfahren gegen diese Nullstelle konvergiert (und z.B. nicht eine andere lie-fert)?

• Unterscheidet sich x1 um einen Betrag ε1 von der wahren Nullstelle x, d.h.ist |x1 − x| < ε, wie groß ist dann |x2 − x|?

2.4 Zeittafel

Die folgende Tabelle soll eine kleine Ubersicht uber die Entwicklung der Ursprungeder Mathematik geben. Das Kurzel BC (before Christ) steht dabei fur v. Chr., AD(Anno Domini, “Im Jahr des Herrn”) fur n. Chr. Die Publikation von Fibonaccis“liber abaci”, in dem das Rechnen mit den neuen “arabischen” Ziffern in Europagelehrt wurde, markiert den Beginn einer neuen Epoche: Europa lernte danachuber die Araber die griechischen Manuskripte kennen, was zu einer “Wiedergeburt”(Renaissance) der klassischen Werke fuhrte. Der “dunkle” Teil des Mittelalters wardamit in der Wissenschaft vorbei, auch wenn es noch etwas dauern sollte, bis dieMathematik mit Cardano, Fermat und Descartes wesentlich uber die klassischegriechische Mathematik hinausging; in der Gesellschaft dauerte der Prozess umeiniges langer12.

12 Wir verweisen nur auf die Stichworte Leibeigenschaft, Inquisition, Hexenprozesse, undSklaverei. In welche Richtung wir heute gehen, ist angesichts von Manning, Snowden,Finanzspekulanten und Zeitarbeitsfirmen alles andere als klar.

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62 2. Vorgriechische Mathematik

Jahr Ereignis

3000 BC Die Agypter benutzen Hieroglyphen zur Darstellung von Zahlen, dieBabylonier fuhren das Sexagesimalsystem ein.

2560 BC Vollendung der Cheopspyramide2500 BC Mammuts sterben aus2200 BC Stonehenge2000 BC Die Babylonier losen Aufgaben, die auf quadratische Gleichungen

fuhren1850 BC Die Babylonier kennen den Satz des Pythagoras1800 BC Die Phonizier entwickeln das erste Alphabet1700 BC Der Schreiber Ahmes fertigt den Rhind Papyrus an.570 BC Thales bringt babylonisches und agyptisches Wissen nach Griechen-

land.530 BC Pythagoras zieht nach Kroton509 BC Athen fuhrt die Demokratie ein425 BC Theodorus beweist die Irrationalitat von Quadratwurzeln (

√3,√

5,etc.)

378 BC Platon grundet die Akademie in Athen360 BC Eudoxos entwickelt die Ausschopfungsmethode zur Berechnung von

Flachen und Volumina300 BC Euklid veroffentlicht seine Elemente290 BC Aristarch bestimmt den Abstand von Mond und Sonne zur Erde250 BC Archimedes bestimmt Oberflache und Volumen der Kugel235 BC Eratosthenes bestimmt den Erdumfang225 BC Appolonius schreibt seine Bucher uber Kegelschnitte212 BC Ein romischer Soldat erschlagt Archimedes bei der Eroberung von Sy-

rakus146 BC Die Romer erobern Griechenland30 BC Die Romer marschieren in Alexandria ein; große Teile der Bibliothek

verbrennen150 AD Ptolemaus schreibt Bucher uber Astronomie und Mathematik250 AD Die Maya entwickeln ein Zahlensystem, das auf der 20 aufgebaut ist.

Diophant schreibt seine Bucher uber “diophantische Gleichungen”500 AD Der Inder Aryabhata I berechnet die Naherung 3,1416 fur π628 AD Der Inder Brahmagupta benutzt die 0 und negative Zahlen im Dezi-

malsystem800 AD Arabische Mathematiker beginnen mit der Ubersetzung griechischer

Werke1140 AD Der Inder Bhaskara II schreibt Bucher uber zahlentheoretische Proble-

me1150 AD Die “arabischen Ziffern” (ursprunglich aus Indien) tauchen erstmals in

Europa auf1200 AD Fibonacci schreibt sein “Liber Abaci” uber das Rechnen mit den “ara-

bischen Ziffern”

Tafel 2.1. Entwicklung der Mathematik bis Fibonacci