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DIE WELT DER SLAVEN S AMMELBÄNDE С БОРНИКИ Band 63 D EUTSCHE B EITRÆG E 1 6. I N T Є N T I N А L E Я Kriechiſch Wyſſenbug B ELGRAD 2018 S L V S T N K N G S S Herausgegeben von Sebastian Kempgen, Monika Wingender, Ludger Udolph SONDERDRUCK HARRASSOWITZ VERLAG Wiesbaden 2018

201 8 Є...men beschränkt. Zu erwähnen sind die „Monumenta serbica“, 1858 in Wien von Franz Miklosich veröffentlicht (Miklosich 1858). 1913 wurde von Vladimir Ćoro-vić in

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D I E W E L T D E R S L A V E N S A M M E L B Ä N D E • СБОРНИКИ

Band 63

DEUTSCHE BEITRÆGE 1 6. I N T Є Ꝛ N Ɐ T I Ꙩ N А L E Я

Kriechiſch Wyſſenbuꝛg

B E L G R A D 2 0 1 8

S L Ⰰ V Ⰻ S T Ⰵ N K Ⱁ N G Ⳏ Ⱔ S S

Herausgegeben von Sebastian Kempgen,

Monika Wingender, Ludger Udolph

SONDERDRUCK

HARRASSOWITZ VERLAG Wiesbaden 2018

INHALTSVERZEICHNIS / CONTENTS Sprachwissenscha f t / L ingu i s t i c s

Keipert, Helmut Die Kirchenslavisch-These des Prager Linguistenkreises (1929) und ihr Schicksal in der Slavistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Bauer, Anastasia Артикуляция слов в русском жестовом языке (РЖЯ) . . . . . . . 35 Berger, Tilman Deutsche Einflüsse auf das Tschechische, Slovakische und Polni-

sche im Bereich der Lautgeschichte – Unterschiede und Gemein-samkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Bierich, Alexander Немецкие фразеологические заимствования в русском языке . 57 Brehmer, Bernhard Typen von Sprachmischungen in zweisprachigen russisch-

deutschen Familien: ein intergenerationeller Vergleich . . . . . . . . . 69 Breu, Walter «Локатив» молизско-славянского языка: совпадения и пре-

образования (обзор) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Bruns, Thomas Дальнобойщик и дальнобойщица: О границах коррелятив-

ности славянских наименований специальностей . . . . . . . . . . 91 Bunčić, Daniel Impersonal constructions in Slavic languages and the agentivity

of the verb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Daiber, Thomas Gräzismen in der Vita des hl. Kyrill . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Graf, Elena Прагматика парентезы: «вторичный синтаксис» в языке

(на примере русского языка) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Hentschel, Gerd Die weißrussische ‘Trasjanka’ und der ukrainische ‘Suržyk’:

grundlegende quantitativ-qualitative soziolinguistische Ähnlichkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Henzelmann, Martin Argumentationsstrukturen im Rahmen der europäischen Integration Serbiens. Eine kurze Beispielanalyse . . . . . . . . . . . . . . 139

Hill, Peter M.; Koleva, Krasimira Sex and gender in Serbian and Bulgarian. A comparative study . 147 Jouravel, Anna Die Neuausgabe des kniga Palomnik des Antonij von Novgorod 157 Kersten-Pejanić, Roswitha Playing by the rules of linguistic norms: Effects of person appel-

lation forms conditioned by the social institution of language . . . 167 Krause, Marion; Klüver, Sonja

Der Wortakzent unter den Bedingungen des Sprachkontakts Kroatisch/Serbisch – Deutsch: eine perzeptionslinguistische Studie . 179

Kuße, Holger Aggression und Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Menzel, Thomas Flexivische Komplexität und grammatische Kategorien im

Sorbischen: Der Dual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Meyer, Anna-Maria Schriftakzent und phonetischer Akzent im Vergleich. Theoretische

und anwendungsbezogene Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Mushchinina, Maria Zur Wirkung des Visuellen in der slavischen Interkomprehension . . 227 Palinska, Olesya ‘Ukrainizität’ vs. ‘Suržyk’: Die ukrainische Kultur in der Wahr-

nehmung der Sprachträger der ukrainisch-russischen gemischten Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Pila, Malinka Вид глагола в резьянском микроязыке в северо-восточной Италии . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Podtergera, Irina Polszczyzna kresowa der zweiten Hälfte des 17. Jh.s im Sprach-kontakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Radünzel, Claudia Доступный язык. История и характеристика новой языковой разновидности . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

Reis, Anastasia Flexionsmorphologischer Wandel im Lemkischen: endogene und exogene Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Sadoja, Kira Эвфемистические наименования змей в восточнославянских карпатских диалектах . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Schaller, Helmut Wilhelm Serbische Sprache und Literatur in Deutschland im 20. Jh: Gerhard Gesemann und Alois Schmaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Scharlaj, Marina Патриотизм послекрымской России. В зеркале агрессии и аргументации . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

Schlund, Katrin Синхронијски и дијахронијски аспект егзистенцијалних реченица са глаголом имати у српском језику . . . . . . . . . . . . 321

Walter, Harry; Mokienko, Valerij M. Urslawische Phraseologie: Mythos oder Legende? . . . . . . . . . . . . 331 Warditz, Vladislava Болгарские ойконимы в древнерусской ономастике X в.:

К вопросу о путях топонимической трансплантации . . . . . . . . 341 Wingender, Monika Diskursive Konstruktion von Sprachenvielfalt und Sprachenkon-

flikten in Russland – Sprachenpolitik im Kontext von nationaler Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

Zeller, Jan Patrick Zum ukrainisch-russischen Sprachkontakt: Phonische Variation im ukrainischen ‘Suržyk’ im Vergleich mit der weißrussischen ‘Trasjanka’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

L i te ra tu rwissenscha f t / L i t e ra tu re

Efimova, Svetlana Русская филологическая проза (20–21 вв.): вне жанра, между жанрами или новый жанр? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

Gladis, Lea Das Stereotyp des ‘Balkan-Kriminellen’ im gegenwärtigen deutschsprachigen Kriminalgenre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

Hitzke, Diana „[W]ono by było hinaše morjo, hdy by njepřiwzało tež wodu rěčki Satkule.“ Zur Poetik des Fließens in Jurij Brězans Krabat . 397

Hodel, Robert Omerpaša Latas: Semantische Struktur und Perspektive . . . . . . . 407 Jekutsch, Ulrike Die Einnahme Izmails (1790) in der russischen Gelegenheits-

dichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Kowollik, Eva „Dieser Roman ist insofern auch das Zeugnis eines Misserfol-

ges“. Srebrenica erzählen in Ivica Đikićs Beara . . . . . . . . . . . . . . 445 Leonova, Marianna Роль иностранного слова в создании комплексной перспек-

тивы повествования на примере прозы В. Пелевина, С. Соколова, Ю. Андруховича и А. Бахаревича . . . . . . . . . . . . . . 455

Matijević, Tijana Pjevač u noći kao postjugoslovenski hipertekst: šta rod, žanr i metafikcija imaju s ljubavlju? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

Meyer-Fraatz, Andrea Das Groteske als Ausdruck von Erscheinungen der Übergangs-periode in postjugoslawischen Literaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

Petzer, Tatjana Slavische Variationen der Unsterblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 Pörzgen, Yvonne Inspiration und Annäherung: Funktionen und Tätigkeiten von

Literaturmuseen. Überlegungen am Beispiel des Gončarov-Museums in Ul’janovsk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

Richter, Angela Schreiben im Schatten von Dositej Obradovićs Autobiographie: Gerasim Zelićs Žitije . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

Schubert, Gabriella Wo befindet sich und was ist Ledjangrad? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527

Serbische Sprache und Literatur in Deutschland im 20. Jahrhundert:

Gerhard Gesemann und Alois Schmaus Ganz im Gegensatz zu dem mit Deutschland in beiden Weltkriegen verbündeten Bulgarien galt das Nachbarland Serbien hierzulande als „feindliches Land“, insbe-sondere im Zusammenhang mit den äußeren Anlässen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Sarajewo. Auch für den Zweiten Weltkrieg ergab sich mit dem deutschen Angriff auf Jugoslawien im Jahre 1941 und der darauffolgenden Zer-schlagung des nach dem Ersten Weltkrieg gebildeten Mehrvölkerstaates Jugosla-wien keine bessere Ausgangslage. Es erscheint daher heute besonders wichtig, die positiven Seiten des deutsch-serbischen Verhältnisses, insbesondere im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich darzustellen. Zu nennen sind hier Miljan Mojaše-vić, Tomislav Bekić und Zoran Konstantinović auf serbischer Seite, Gerhard Gese-mann (1888–1948) und Alois Schmaus (1901–1970) auf deutscher Seite, die beide mit ihren Veröffentlichungen ganz wesentlich zum Verständnis der Serben in Deutschland, ebenso auch zum Verständnis der Deutschen in Serbien beigetragen haben (vgl. hierzu den von G. Schubert 2015 herausgegebenen Sammelband). Be-reits vor Gerhard Gesemann und Alois Schmaus gab es in Deutschland Bestrebun-gen, serbische Sprache und Literatur, besonders aber die serbische Volksdichtung bekannt zu machen: „Die Serben, welche das übrige Europa vielleicht für arm ge-halten hatte, erfreuen es durch eine reiche Poesie, und der rüstige Ackermann heißt Wuk, dessen Name unvergänglich geworden ist“ schrieb Jacob Grimm im Jahre 1840 (Karadžić 1980, 239 [Nachwort F. Krause]; vgl. hierzu auch Karadžić 1854.). Betrachtet man die europäischen Regionen im Hinblick auf die Geschichte slawi-scher Studien, so zeigt sich für Deutschland bereits im 19. Jahrhundert ein ganz spezielles Bild der Beschäftigung mit serbischer Sprache, Literatur und Kultur. Die serbische Sprache wurde in Deutschland nämlich erstmals weiter bekannt mit der Übersetzung von Vuk Stefanović Karadžićs „Kleiner serbischer Grammatik“, „verdeutscht“ 1824 von Jacob Grimm. Karadžić (1787–1864) war mit Jakob Grimm (vgl. hierzu Mojašević in Karadžić 1974, 22) und Bartholomäus Kopitar befreundet, Johann Wolfgang von Goethe war ihm sehr gewogen. Karadžić war Ehrendoktor der Universität Jena, bekannter Sammler serbokroatischer Volkslitera-tur, er gilt nach wie vor als der erste moderne Philologe der serbokroatischen Spra-che. In der 1824 im Verlag G. Reimer veröffentlichten Übersetzung heißt es u.a.:

Daß die ſerbiſche Sprache für das, was sie iſt, für eine ſelbſtändige nämlich und in den verſchiedenen Landſtrichen ihres Umfangs ein’ und dieſelbe, von den Zeitgenoſſen jetzt ſchon erkannt werden werde, läſt ſich, wo noch ſo viel Leidenſchaftlichkeit mit ins Spiel

300 Helmut Wilhelm Schaller

kommt, kaum erwarten. Die Wahrheit hier früher als andere auszuſprechen iſt Beruf der Grammatiker. Selbſt der Name wird in dieſen zwei weltlichen und drei geiſtlichen Oberherrn gehorſamen Gegenden Anstoß geben, weder der türkische, noch der illyri-sche, noch der croatische Serbe Serbe heißen wollen. In der That aber ſcheint Serbe die beſte Benennung, mit der man alle diese Völker einer Abkunft und Sprache gramma-tiſch umfassen könnte. (Karadžić 1824, XXIII)

Serbische Volkslieder, von Karadžić zusammengestellt, erschienen 1824 beim Ver-lag Breitkopf in Leipzig. Es handelte sich dabei u.a. um Frauenlieder, älteste und frühere Heldenlieder sowie Heldenlieder neuerer Zeit aus dem montenegrinischen Krieg. Vuk Karadžić veröffentlichte in Wien 1818 ein „Serbisch-Deutsch-Lateini-sches Wörterbuch“, 1877 in Wien erneut herausgegeben (Karadžić 1818), unter la-teinischem Titel folgte dessen erneute Veröffentlichung 1852 in Wien, dann 1898 in Belgrad (Karadžić 1852/1898).

Erst 1914 erschien die deutsch abgefasste „Serbo-kroatische Grammatik“ von August Leskien (1840–1916), allerdings nur in einem ersten Band, die Lautlehre und die Morphologie umfassend, während die Syntax unbearbeitet bleiben musste (Leskien 1914; Nachdruck Heidelberg 1976). Die Beschäftigung mit der serbischen Sprache und ihrer Geschichte blieb außerhalb Serbiens auf einige wenige Ausnah-men beschränkt. Zu erwähnen sind die „Monumenta serbica“, 1858 in Wien von Franz Miklosich veröffentlicht (Miklosich 1858). 1913 wurde von Vladimir Ćoro-vić in der Sammlung Göschen eine „Serbokroatische Grammatik“ und im selben Jahr vom selben Autor auch ein „Serbokroatisches Lesebuch mit Glossar“ veröf-fentlicht (Ćorović 1913a, 1913b). 1916 erschien in Zagreb Milan Rešetars „Ele-mentargrammatik der kroatischen (serbischen) Sprache“ (Rešetar 1916) mit weite-ren Auflagen in den Jahren 1922, 1946 und 1957 unter dem Titel „Elementargram-matik der serbokroatischen Sprache“ (Rešetar 1922). 1957 wurde Rešetars Gram-matik in der DDR in Halle von dem Berliner Slawisten Edmund Schneeweis erneut herausgegeben (Rešetar 1957).

Wichtig erscheint aus historischer Sicht die schwankende Terminologie bezüg-lich des Serbischen, meist als „Serbokroatisch“, gelegentlich auch als „Kroato-Ser-bisch“ bezeichnet, dann als „Serbisch“ und schließlich auch als „Kroatisch“ nach der Auflösung von Jugoslawien in den neunziger Jahren. Ganz offensichtlich spiel-ten bei der Verwendung unterschiedlicher Termini als Bezeichnungen für diese südslawische Sprache politisch-nationale, möglicherweise auch konfessionelle Aspekte eine entscheidende Rolle (hierzu vgl. Gröschel 2009). 1960 wurde in Wiesbaden eine erste umfangreiche „Geschichte der serbokroatischen Spra-che“ von Ivan V. Popović veröffentlicht (Popović 1960), die sich weniger mit laut-lichen und morphologisch-syntaktischen Fragen als mit Problemen der Substrate auf der Balkanhalbinsel beschäftigte. 1967 erschien in Wiesbaden Josip Hamms „Grammatik der serbokroatischen Sprache“ (Hamm 1967). Mit dem Ende des Vielvölkerstaates Jugoslawien wurden nach 1990 schließlich auch klare Trennun-

G. Gesemann, A. Schmaus und die dt. Serbistik im 20. Jh. 301

gen zwischen Kroatisch und Serbisch festgelegt, hinzu kamen als neue Sprachen der Balkanregion aber auch das Bosnische und das Montenegrinische.

Wie stark das Interesse in Deutschland an dem neuen Mehrvölkerstaat Jugosla-wien gerade nach dem Ersten Weltkrieg mit der neuen Staatsbildung von Slowenen, Kroaten, Serben und Makedoniern geworden war, zeigt unter anderem der 1935 in Leipzig veröffentlichte Sammelband mit dem Titel „Das Königreich Südsla-wien“ mit Beiträgen von Gerhard Gesemann (1935b), Egon Heymann (1935)1, Josef März (1935)2, Friedrich-Wilhelm von Oertzen (1935)3, Alois Schmaus (1935), Hans Schwab (1935), France Stelè (1935)4 und Giselher Wirsing (1935)5 mit einem Geleitwort des Münchener Geographen Karl Haushofer. Gerhard Gesemann ent-warf in diesem Sammelband ein umfassendes Bild von Volk, Landschaft und Kul-tur Jugoslawiens, Alois Schmaus beschrieb Sitte und Brauchtum der Südslawen. Der Prager Slawist Gerhard Gesemann, der an der Universität Kiel studiert und sich an der Universität München habilitiert hatte, zeichnete hier jedoch ein wenig positives Bild von der Kenntnis der Serben in Deutschland, wenn er unter „Süd-slawien und wir“ seinen Beitrag mit den folgenden Sätzen abschließt:

Unser Volk weiß immer noch zu wenig von Südslawien, die Kenntnis der serbokroati-schen Sprache ist immer noch selten in Deutschland (trotz der Mahnung Jakob Grimms) und gering darum die Möglichkeit, eine große wissenschaftliche Literatur auszunutzen und politische und wirtschaftliche Einsichten zu gewinnen, spärlich sind unsere Über-setzungen aus der serbokroatischen und slowenischen Literatur; ungenügend noch die moderne Reiseliteratur über Südslawien, die das Auge des Reisenden nicht hinter die Fassade schauen läßt, es gibt nur ein Mittel, das seit Goethes, Grimms und Rankes Tode Versäumte wieder nachzuholen: die Sprache lernen, reisen, die Augen offenhalten und in der Einzelerscheinung das Wesentliche erkennen lernen. Kein Zweifel, der Deutsche hat sich umgestellt, er hat sich bereichert: er sucht sein Südglück – die Ergänzung des Nordens – nicht einzig mehr in Italien und Griechenland, er hat schon erfahren, dass ihm dieses Südglück, bereichert um das Erlebnis eines farbigen, frischen und erfri-schenden Menschentums, auch im slawischen Süden beschert wird. (Gesemann 1935b, 68)

1 Der Autor wurde 1903 in Dresden geboren, er war Journalist und Buchautor. 2 Der Autor wurde 1932 an der Universität München mit einer Abhandlung zur politi-

schen Geographie promoviert. Er war u.a. Professor in Prag. 3 Der Autor war ein deutscher Journalist, Publizist und Schriftsteller, Polenkorrespon-

dent der Vossischen Zeitung, gehörte zum jungkonservativen Tatkreis, fiel Anfang der 30-er Jahre durch seine antipolnischen Publikationen auf. Weitere Veröffentlichungen von Oertzen 1934.

4 Der Autor war ein slowenischer Kunsthistoriker, nach ihm benannt das „Institute of Art History“ an der Slowenischen Akademie der Wissenschaften in Ljubljana.

5 Wirsing (1907–1975) war ein deutscher Volkswirt, Journalist und Buchautor in der Zeit des Nationalozialismus und der Bonner Republik.

302 Helmut Wilhelm Schaller

Die erste zusammenfassende Beschreibung jugoslawischer und damit auch ser-bischer Literatur unter dem Titel „Die serbo-kroatische Literatur“ erschien im Jahre 1930 neben einer stattlichen Zahl anderer einschlägiger Veröffentlichungen von Gerhard Gesemann (1888–1948). Bereits 1925 hatte Gesemann die „Erlangenski rukopis starih srpskohrvatskih narodnih pesama“ veröffentlicht (Gesemann 1925; vgl. Schaller 1981), gefolgt 1934 von der Darstellung „Der montenegrinische Mensch. Zur Literaturgeschichte und Charakterologie der Patriarchalität“ (Gese-mann 1934), 1935 „Helden, Hirten und Haiduken“ (Gesemann 1935a). Seine Ab-handlung „Die serbo-kroatische Literatur“ (in der Reihe „Literaturen der slavischen Völker“) von 1930 war die erste umfassende Darstellung in deutscher Sprache, wo er ausgehend von Kulturzonen und Stämmen zunächst die Volksliteratur, dann das serbische und kroatische Mittelalter der Literatur behandelt. Renaissance, Barock, Reformation und Gegenreformation bleiben geographisch auf Dalmatien und Kroa-tien beschränkt, erst die neuere serbokroatische Literatur der Aufklärung und Rom-antik wird wieder für Serben und Kroaten zusammen behandelt, ebenso der Über-gang vom Realismus zur Moderne. Im Gegensatz zu der allgemein üblichen Zwei-teilung der Balkanhalbinsel in eine östliche, ursprünglich oströmische, byzantini-sche, griechisch-orthodoxe und eine westliche, d.h. weströmische, lateinische, rö-misch-katholische Hälfte übernimmt er die kulturgeschichtlich orientierte Gliede-rung von Jovan Cvijić mit einer byzantinisch-aromunischen oder balkanobyzantini-schen Zone, einer Zone des patriarchalischen Regimes, einer Zone des mediter-raneischen oder italoromanischen Einflusses und einer Zone des mitteleuropäischen Einflusses. Gesemann 1928 fügt als weitere Zone noch den mohammedanisch-türkischen Einfluss in gewissen Gebieten hinzu. Er geht zwar entsprechend den Vorstellungen seiner Zeit davon aus, dass das Volk der Serben und Kroaten ein Volk in Sprache, Volkstum und Staat sei, geschieden sei es aber durch Religionen und Konfessionen, durch Alphabete, Stämme und Stammesart sowie auch durch historische und soziale Vergangenheit sowie wesenhafte Kulturzonen. Die ser-bisch-kirchenslawische Literatur, zum größten Teil Übertragungen der byzantini-schen Literatur, zeigt vor allem, in welchem Maße die Serben Anteil an der byzan-tinischen Kultur hatten. 1929 hatte Gerhard Gesemann über Verleger- und Schrift-stellernöte in Jugoslawien berichtet (Gesemann 1929). Zu erwähnen ist hier auch sein Bericht „Der hundertste Geburtstag des serbischen Buches“ (Gesemann 1932), anlässlich dessen der Kunstverein „Cvijeta Zuzorić“ in Belgrad eine Ausstellung veranstaltet hatte, zu welcher der serbische Slawist Aleksandar Belić die Festrede gehalten hatte.

In der Nachfolge Gesemanns stand Alois Schmaus (1901–1970), der nach sei-nen Studien an der Universität Prag und der Universität München nach Belgrad ging und dort bis 1944 an Gymnasien und an der Universität Deutsch lehrte, dann Leiter des „Deutschen Wissenschaftlichen Instituts“ war und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine ungemein erfolgreiche Lehr- und Forschungstätigkeit an

G. Gesemann, A. Schmaus und die dt. Serbistik im 20. Jh. 303

der Universität München aufnahm. Bereits 1925 bis 1927 hatte Alois Schmaus in Belgrad und Subotica zu Njegoš kürzere Abhandlungen in serbischer Sprache ver-öffentlicht (Schmaus 1925a–d, 1926, 1927). Montenegro/Crna Gora, die Heimat des Staatsmannes und Dichters Petar II. Petrović Njegoš (1813–1851) war nach dem Zerfall des altserbischen Reiches im Jahre 1528 zwar unter osmanische Herr-schaft gekommen, trotzdem erlangte der Metropolit von Cetinje einen vorherr-schenden Einfluss. Es war wohl keine wirkungsvolle Kontrolle der Osmanen über die Bergregion Montenegro möglich gewesen, denn während der Türkenkriege Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte die Führung in Montene-gro eine gewisse Unabhängigkeit aufrecht erhalten und erste Kontakte zum russi-schen Zarenhof herstellen. Die bedeutendsten Werke von Njegoš waren in der Mit-te der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts entstanden, so der „Bergkranz“ im Laufe des Jahres 1846. Bereits 1846 kam es zur ersten Ausgabe dieses Werkes in Wien. Seitdem hat der „Bergkranz“ über 50 Auflagen erlebt und wurde in alle bedeuten-den Sprachen übersetzt, nach dem Zweiten Weltkrieg u.a. ins Polnische, Russische, Bulgarische, Tschechische und Albanische. In einem Vortrag während des Njegoš-Abends der Jugoslawisch-Deutschen Gesellschaft in Belgrad behandelte Alois Schmaus „Njegoš als Mensch und Dichter“ (Schmaus 1925d). Für Njegoš war das epische Heldenlied die erste Form der Dichtkunst, mit der er in Berührung kam. Im Zentrum seines Werkes stand die Ausrottung der einheimischen Türken auf Veran-lassung Bischof Danilos, des Begründers der Njegoš-Dynastie, anzusetzen am En-de des 17. oder zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Die Bedeutung des „Bergkran-zes“ sah Schmaus im Ausdruck einer patriarchalisch-heroischen Gesellschaftsstufe und Kultur, der hohen Kunst eines genialen Schriftstellers und dem philosophi-schen Gehalt, der diese Dichtung auf eine höhere geistige Ebene hebt. Erst im Jah-re 1963 folgte jedoch Petar Njegošs „Gorski vijenac“ in deutscher Übersetzung von Alois Schmaus unter dem Titel „Der Bergkranz“ (Schmaus 1963a bzw. Njegoš 1963a). Von den zahlreichen serbischen Ausgaben sei der 1963 in Belgrad erschie-nene Text mit dem Untertitel „Istoričesko sobitije pri svršetku XVII veka“ („Ein historisches Ereignis am Ende des XVII. Jahrhunderts“), bearbeitet mit Kommentar und Wörterbuch von Milan Rešetar genannt (Njegoš 1963b). Anlässlich des 600. Geburtstages von Johannes Gutenberg wurde im Jahre 2003 sogar eine illustrierte Prachtausgabe des „Bergkranz“ mit der Einleitung, Übersetzung und dem Kom-mentar von Alois Schmaus aus dem Jahre 1963 von Nikola Damjanović in Belgrad herausgegeben, gefördert von der „Njegoš-Stiftung/Njegoš’s Foundation“ (Njegoš 2003). Hingewiesen wurde bei dieser Gelegenheit auf drei Übersetzungen des „Bergkranz“ ins Deutsche, nämlich von Johann Kirste, Katharina A. Jovanović und der von Alois Schmaus, die als beste und gelungenste Übertragung hervorgehoben wurde.

Auf Alois Schmaus geht auch eine größere Anzahl von anderen Studien zur ser-bischen Literatur zurück: Als Summe seiner wohl einmaligen Kenntnis der serbi-

304 Helmut Wilhelm Schaller

schen und kroatischen Dichtung verfasste Alois Schmaus 1954 zusammenfassende Darstellungen unter dem Titel „Serbokroatische Volksdichtung“ (Schmaus 1954a), „Die literarischen Strömungen in Jugoslawien“ (Schmaus 1954b) und in zwei Fas-sungen Darstellungen der „Jugoslawischen Literatur“ (Schmaus 1960, 1962). Hin-zu kam 1955 eine serbisch verfasste Darstellung deutscher Abhandlungen zur jugo-slawischen Literatur (Schmaus 1955) und 1964 eine Darstellung der serbischen Literatur (Schmaus 1964). 1956 folgte die Behandlung der Frage der Kulturorien-tierung der Serben im Mittelalter (Schmaus 1956b).

Zu erwähnen sind auch Abhandlungen, in denen Alois Schmaus sprachwissen-schaftliche Fragen behandelte, so u.a. 1968 mit den Erscheinungen türkisch-serbo-kroatischer Interferenz (Schmaus 1968) oder zur Bestimmung der Distribution und Funktion türkischer Lehnwörter (Schmaus 1970).

1930 veröffentlichte Alois Schmaus zusammen mit Radosav Medenica ein Deutschlehrbuch für Anfänger unter dem Titel „Nemački za početnike“ mit dem Untertitel „Praktični nemački jezik“, das 1932, 1935 und 1941 in weiteren Aufla-gen erscheinen konnte (Schmaus & Medenica 1930). Hinzu kamen „Deutsche Le-sehefte“ als Ergänzung zum Lehrbuch „Nemački za početnike“, die er zusammen mit Eberhard Tangl veröffentlichte (Schmaus & Tangl 1930). 1940, 1941 und 1943 legte Alois Schmaus in Belgrad ein weiteres Lehrbuch unter dem Titel „Lebendi-ges Deutsch. 50 Lektionen“ mit dem Untertitel „Viši tečaj nemačkog jezika“ vor (Schmaus 1940).

In einer praktischen Anleitung „Serbisch für den Alltag“, erschienen beim Wi-king Verlag in Berlin ohne Erscheinungsjahr, vermutlich zu Beginn der vierziger Jahre, führte Alois Schmaus in seiner Vorbemerkung aus (Umschlagstext):

Dieser kleine Sprachführer will dem Deutschen, der sich in Serbien aufhält, als erster praktischer Behelf dienen. Trotz seines geringen Umfangs enthält er die wichtigsten Vokabeln und Redewendungen, über die der Deutsche in einer vielleicht völlig sprach-fremden Umgebung verfügen muß, um sich zurechtzufinden. Auf grammatische Regeln mußte dabei natürlich verzichtet werden. Dafür wurden aber die in den einzelnen Ge-sprächen auftauchenden Wörter am Schlusse nochmals in zwei kleinen Wörterverzeich-nissen zusammengestellt.

Das als Band 5 in den „Schriften des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts“ 1944 in Belgrad erschienene „Lehrbuch der serbischen Sprache“ wird von Alois Schmaus im Vorwort wie folgt vorgestellt:

Der vorliegende Band will ein praktisches Lehrbuch der serbischen Sprache sein. Im Unterschied von den meisten bisherigen Lehrbüchern, die das Serbokroatische als Ein-heit betrachten, beschränkt es sich auf die gehobene Umgangs- und Schriftsprache des heutigen Belgrad als des politischen und kulturellen Mittelpunktes des Serbentums. (1944, 3)

In der Einleitung heißt es zur serbischen Sprache weiter:

G. Gesemann, A. Schmaus und die dt. Serbistik im 20. Jh. 305

Zusammen mit dem Bulgarischen, dem Kroatischen und Slowenischen gehört das Ser-bische der südlichen Gruppe der slawischen Sprachen an. Mit dem Bulgarischen hat es die cyrillische Schrift gemeinsam, während es in Bezug auf Laut- und Formenlehre dem Kroatischen am allernächsten steht … … Unter Serbisch ist dabei die Schriftsprache zu verstehen, wie sie sich im vorigen Jahrhundert auf Grund der von Vuk Karadžić (1787–1854) durchgeführten Sprachre-form in den nordöstlichen serbischen Gebieten und vor allem im ehemaligen Königreich Serbien herausgebildet und heute trotz mundartlicher Besonderheiten und Einflüsse im sogenannten „Belgrader Stil“ feste Gestalt gewonnen hat. (Schmaus 1944, 6)

Im Jahre 1965 veröffentlichte Alois Schmaus ein Lehrbuch des Deutschen in 100 Lektionen, wo es in serbischer Sprache im Vorwort über das Deutsche unter ande-rem heißt:

Nemački se govori ne samo u Nemačkoj, nego i u Austriji i u velikom delu Švajcarske. Po broju ljudi koji tim jezikom govore kao maternjim jezikom i po svome značaju u svetskoj kulturi i privredi nemački jezik spada u svetske jezike. (Schmaus 1965, 7)

Im Jahre 1961 erschien eine Neufassung des „Lehrbuches der serbokroatischen Sprache in 100 Lektionen“, verfasst von Alois Schmaus, veröffentlicht in München und Belgrad. Zu Beginn des Jahres 1960 schrieb der Verfasser in seinem Vorwort (1961, 5):

Dieses Lehrbuch der serbokroatischen Sprache setzt beim Lernenden nur die durch-schnittliche Kenntnis der muttersprachlichen Grammatik voraus und ist zunächst als Einführung in den praktischen Gebrauch des Serbokroatischen gedacht. Diesem Zweck wurde sowohl die Anordnung des grammatischen Stoffes als auch die Auswahl der Le-sestücke angepaßt…

In der Einleitung wies Schmaus auf die verschiedenen Bezeichnungen für das Ser-bokroatische hin, so „Kroatisch oder Serbisch“, „Serbisch oder Kroatisch“, „Ser-bisch und Kroatisch“. Seit mehr als hundert Jahren war nun das „Serbokroati-sche“ die gemeinsame Schriftsprache der Serben und Kroaten. Im Laufe der Ge-schichte haben sich aber Zagreb und Belgrad zu politischen, Kultur- und Literatur-zentren entwickelt, denen dann auch zwei Varianten der serbokroatischen Schrift-sprache entsprachen. Als Alois Schmaus 1943 sein Büchlein „Serbisch für den Alltag“ und im darauffolgenden Jahr die erste Fassung seines „Lehrbuches der serbischen Sprache“ veröffentlichte, ging es einzig und allein um die „serbische Sprache“. Bis 1961 hatten sich die Bedingungen jedoch völlig geändert, trotzdem war das Lehrbuch des Serbokroatischen das einzige im deutschsprachigen Raum, und in den Jahren 1994 und 1996 wurde es von Vera Bojić vollständig neu bearbei-tet und in zwei Bänden neu herausgegeben (Schmaus 1994–1996).

Noch im Jahre 1954 galt die Auffassung, dass die serbokroatische Sprache, frü-her auch „illyrische Sprache“ genannt, mit dem Slowenischen und dem Bulgari-schen den südslawischen Zweig der slawischen Sprachen bildet, während die Ein-

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zelbezeichnungen „serbische“ und „kroatische Sprache“ sich nur auf politische und konfessionelle Unterschiede der beiden Völker sowie auf den Unterschied in der Schrift bezogen, während die Sprache der Serben und Kroaten als die gleiche be-trachtet wurde. Inzwischen bezeichnen die jüngsten Verfassungen der Republiken Serbien und Kroaten aus dem Jahre 1990 ihre jeweilige Amtssprache in Artikel 9 bzw. 12 als „serbokroatische“ bzw. „kroatische Sprache“. Es gab seitdem starke sprachpolitische Bestrebungen zur Herausbildung von zwei selbständigen Litera-tursprachen Serbisch und Kroatisch6. So wurde im Dezember 1997 in Belgrad ein Ausschuss für die Standardisierung der serbischen Sprache begründet, der für den endgültigen Rückzug der serbischen Sprache aus der aufdrängenden Richtung des Serbokroatischen eintreten sollte.

Im Jahre 1956 veröffentlichte Alois Schmaus in einem Bildband zum Thema „Jugoslawien“ eine kurze Darstellung der Geschichte der Serben, die im Folgenden wiedergegeben sei:

Die Serben schufen ebenfalls früh in Kämpfen gegen Bulgarien und Byzanz ihre ersten Staatsgebilde. Von Dauer und steigender Macht wurde im 12. bis 13. Jahrhundert das Reich aller Nemanjiden, das sich von dem gebirgigen Raszien aus gegen die Morava-Vardar Achse verschob und unter Kaiser Dušan (gestorben 1355) seinen Höhepunkt und seine größte Ausdehnung erreichte. Die Eigenstaatlichkeit, der Anschluss an die Ostkir-che und die Schaffung einer autokephalen serbischen Kirche im Jahre 1219 führten zur Ausbildung eines byzantinisch beeinflussten hohen mittelalterlichen Staates von be-trächtlicher Eigenart. Zeugen dafür sind unter anderen die zahlreichen über Serbien und Mazedonien verstreuten Klosterkirchen mit ihren herrlichen Fresken. Die Osmanen vernichteten im 14. und 15. Jahrhundert die serbischen Teilstaaten, die sich nach dem Zerfall von Dušans Reich gebildet hatten; damit verfiel auch die Kultur. Aber selbst in den schweren Jahrhunderten der türkischen Herrschaft lebte der Einheitsgedanke im Volkslied weiter. Die Freiheitskämpfer und mehr noch die serbische Kirche hielten die Idee der staatlichen Tradition wach. Mit der Zurückdrängung des Osmanenreiches und mit seinem Niedergang entstand zu Anfang des 10. Jahrhunderts aus zwei Aufständen der neue serbische Staat, 1830 als Fürstentum und 1882 als Königreich.

Die Osmanenherrschaft hatte zu einer Verschiebung des Volkstumsgebietes geführt. Von besonderer Bedeutung wurde 1890 die Zuwanderung ins ehemalige Südungarn, das heutige autonome Gebiet der Vojvodina: früher als südlich der Donau entstand hier eine bürgerliche Schicht und eine moderne nationale Kultur. Aus ihrem Zusammenwirken mit der staatstragenden Schicht im Fürstentum ist die moderne Kultur des Serbentums hervorgegangen, das im 19.Jahrhundert seinen Staat organisierte und auf die Serben au-ßerhalb des Gebietes eine immer größere Anziehungskraft übte. (Schmaus 1956, o.S.)

6 Als Beispiel sei der „Rheinische Merkur“ mit seiner Sparte „Kultur“ Nummer 47/

1990 angeführt, wo es unter „Balkan“ hieß: „Kroaten, Serben und Bosnier zerschlagen die serbokroatische Sprache. Auch im Wortsinn wollen sich die verfeindeten Bevölkerungs-gruppen nicht mehr verstehen. In Zagreb gibt es den neuen Beruf des Übersetzers.“

G. Gesemann, A. Schmaus und die dt. Serbistik im 20. Jh. 307

Es besteht kein Zweifel, dass nach Vuk Karadžić und Jacob Grimm vor allem Gerhard Gesemann und Alois Schmaus die deutsch-serbischen Beziehungen initi-iert und gefördert haben. Sowohl mit ihren wissenschaftlichen Beiträgen in deut-scher und serbischer Sprache als auch mit den Lehrbüchern von Alois Schmaus war es vielen Deutschen erst möglich geworden, sich mit der serbischen Sprache und Kultur näher bekannt zu machen. Parallel dazu war es auch vielen Serben erst möglich geworden, sich mit der deutschen Sprache erfolgreich zu befassen. Beide Slawisten haben das deutsch-serbische Verhältnis im vergangenen Jahrhundert im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich mit größtem Erfolg gefördert. L i te ra turverze ichnis

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