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Prozessmodelle in der Literatur 51 3. Dadurch wurde die Funktionalität gesteigert und mehr Flexibilität erreicht (multi- funktionale Teams, parallele Teilprozesse, Methoden der agilen Entwicklung und der lean production innerhalb der Phasen), ohne die Grundform zu verändern. 4. Neben dem Stage-Gate-Prozess gibt es eigenständige Prozessentwicklungen (z.B. Hughes Value Proposition Cycle, den Design Thinking-Ansatz, diverse Spi- ralmodelle), denen es noch (?) an Bekanntheit fehlt. Gerade diese Modelle aber setzen stark auf zyklische Abläufe. Es gibt also zahlreiche Modelle, viele auch mit zyklischen Komponenten oder sogar mit zyklischer Grundstruktur. Ein weiteres zyklisches Modell zu entwickeln, wie als mögliches Ziel dieser Arbeit zu Beginn formuliert, erübrigt sich somit. 2.5 Biologische Zyklen im Organismus – ein Seitenblick 2.5.1 Ein Ausflug in die Chronobiologie Nach voranstehender Bestandsaufnahme der Innovationsprozesse, von welchen einige zyklische Elemente aufweisen oder insgesamt einer zyklischen Grundstruktur folgen, sol- len nun Erkenntnisse aus der Chronobiologie die Bedeutung von Zyklen, von Rhythmen und Schwingungen im menschlichen 37 Organismus aufzeigen. Dieser Ausflug in eine völ- lig fremde Domäne fußt hauptsächlich auf populär-wissenschaftlichen Artikeln 38 und ei- nem Lehrbuch für Chronobiologie (Hildebrandt et al. 1998). 2.5.2 Die Rhythmen im Körper „Solange wir leben, wird unser Organismus von Rhythmen bestimmt“ schreiben Klasmann und Moser (2005, S.20) am Beginn der Zusammenfassung von Erkenntnissen aus der Chronobiologie und führen zahlreiche Beispiele für solche Rhythmen an, von den Nerven- impulsen im Millisekundenbereich über den Reproduktionszyklus (vier Wochen) bis zu 37 Obwohl vermutlich nicht nur für den Menschen gültig, beziehen sich die verwendeten Artikel ausschließ- lich auf den Menschen bzw. den menschlichen Körper. 38 Die Chronobiologie lernte ich in einem Vortrag und einem Workshop mit Prof. Maximilian Moser von der Medizinischen Universität Graz und vom Joanneum Research in Weiz kennen. Prof. Moser nannte mir Literatur und schickte mir auch ausgewählte, für medizinische Laien verständliche Artikel, aus denen ich hier zitiere.

2.5 Biologische Zyklen im Organismus – ein Seitenblick · und Schwingungen im menschlichen37 Organismus aufzeigen. Dieser Ausflug in eine völ- ... und die Lebenserwartung des Menschen,

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Prozessmodelle in der Literatur

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3. Dadurch wurde die Funktionalität gesteigert und mehr Flexibilität erreicht (multi-

funktionale Teams, parallele Teilprozesse, Methoden der agilen Entwicklung und

der lean production innerhalb der Phasen), ohne die Grundform zu verändern.

4. Neben dem Stage-Gate-Prozess gibt es eigenständige Prozessentwicklungen

(z.B. Hughes Value Proposition Cycle, den Design Thinking-Ansatz, diverse Spi-

ralmodelle), denen es noch (?) an Bekanntheit fehlt. Gerade diese Modelle aber

setzen stark auf zyklische Abläufe.

Es gibt also zahlreiche Modelle, viele auch mit zyklischen Komponenten oder sogar mit

zyklischer Grundstruktur. Ein weiteres zyklisches Modell zu entwickeln, wie als mögliches

Ziel dieser Arbeit zu Beginn formuliert, erübrigt sich somit.

2.5 Biologische Zyklen im Organismus – ein Seitenblick

2.5.1 Ein Ausflug in die Chronobiologie

Nach voranstehender Bestandsaufnahme der Innovationsprozesse, von welchen einige

zyklische Elemente aufweisen oder insgesamt einer zyklischen Grundstruktur folgen, sol-

len nun Erkenntnisse aus der Chronobiologie die Bedeutung von Zyklen, von Rhythmen

und Schwingungen im menschlichen37 Organismus aufzeigen. Dieser Ausflug in eine völ-

lig fremde Domäne fußt hauptsächlich auf populär-wissenschaftlichen Artikeln38 und ei-

nem Lehrbuch für Chronobiologie (Hildebrandt et al. 1998).

2.5.2 Die Rhythmen im Körper

„Solange wir leben, wird unser Organismus von Rhythmen bestimmt“ schreiben Klasmann

und Moser (2005, S.20) am Beginn der Zusammenfassung von Erkenntnissen aus der

Chronobiologie und führen zahlreiche Beispiele für solche Rhythmen an, von den Nerven-

impulsen im Millisekundenbereich über den Reproduktionszyklus (vier Wochen) bis zu

37 Obwohl vermutlich nicht nur für den Menschen gültig, beziehen sich die verwendeten Artikel ausschließ-lich auf den Menschen bzw. den menschlichen Körper.

38 Die Chronobiologie lernte ich in einem Vortrag und einem Workshop mit Prof. Maximilian Moser von der Medizinischen Universität Graz und vom Joanneum Research in Weiz kennen. Prof. Moser nannte mir Literatur und schickte mir auch ausgewählte, für medizinische Laien verständliche Artikel, aus denen ich hier zitiere.

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den Jahreszeiten. Nach der Feststellung, dass die westliche Medizin dem lange Zeit keine

Aufmerksamkeit schenkte, folgt die Erkenntnis, dass dieses Schwingen „wesentliche Be-

dingung für Gesundheit“ sei und keine bloße Laune der Natur.

Abbildung 32: Das Spektrum biologischer Rhythmen im menschlichen Organismus

Quelle: Moser et al. 2008, S.30, in Abänderung von Hildebrandt et al. 1998

Abbildung 32 zeigt die Vielzahl biologischer Rhythmen im lebendigen Körper. Nach ihrer

Periodendauer angeordnet ergeben sie „ein Spektrum, das von Bruchteilen von Sekunden

bis zur Größenordnung von Jahren reicht“ (Hildebrandt et al. 1998, S.9f.) und – musika-

lisch39 betrachtet – insgesamt 48 Oktaven umfasst, davon zehn im hörbaren Bereich (Mo-

39 Moser vergleicht diese Schwingungen mit Musik, verweist auf Parallelen, „musiziert“ sogar damit (s.u.).

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ser et al. 2008, S.30). Dabei gelte: je länger die Periodendauer, desto komplexer die be-

troffenen Bereiche.

Man sieht, dass sehr kurze Perioden einzelne Zellen betreffen, z.B. feuern Neuronen im

Bereich von Millisekunden, im EEG erkennbare Nervenaktionen bewegen sich im Bereich

von Zehntelsekunden. Hier findet die Informationsverarbeitung in unserem Körper statt,

wie der Beschriftung im rechten Teil der Abbildung zu entnehmen ist.

Der mittlere Periodenbereich betrifft ganze Organe (vgl. Hildebrandt et al. 1998, S.10).

Alle Sekunden etwa schlägt unser Herz (ein Ruhepuls von 60 Schlägen je Minute ist auch

medizinischen Laien ein Begriff), Atemzüge dauern einige Sekunden lang.

Die anschließend folgenden Rhythmen sind dem medizinischen Laien weniger vertraut,

sie beschäftigen sich mit dem körperinneren Stofftransport und Stoffwechsel (siehe eben-

falls die Beschriftungen im rechten Teil von Abbildung 32).

Aus dem Alltag bekannt sind die Rhythmen mit längerer Periode für den gesamten Orga-

nismus: der Tagesrhythmus mit Wachen und Schlafen, der Reproduktionszyklus der Frau

von vier Wochen und der Jahresrhythmus mit den Jahreszeiten (in den gemäßigten Kli-

mazonen). Am oberen Ende der Skala finden sich ein siebenjähriger Entwicklungszyklus

und die Lebenserwartung des Menschen, hier mit 78 Jahren angegeben.40

Hildebrandt et al. (1998, S.10) weisen noch darauf hin, dass die längerwelligen Rhythmen

von außen „getriggert“ werden (gleichmäßiger Tages-, Monats-, Jahresrhythmus) und die

kurzwelligen Rhythmen im Inneren entstehen und – je nach Notwendigkeit – stark

schwanken können (z.B. Atmung, Puls).

Drei Aspekte dieser Rhythmen werden nun näher beleuchtet:

• ihr Zusammenspiel untereinander

• ihr Zusammenspiel mit der Außenwelt

• ihre Wechselwirkung mit Körper und Gesundheit

40 Moser et al. (2008, S.30) führen als Beispiele für den Siebenjahres-Rhythmus Goethe an, der die Ange-betete „with such clear periodicity“ gewechselt habe, aber auch die Entwicklungschritte Zahnwechsel (mit ca. 7 Jahren), Pubertät (ca. 14 Jahre) und Adoleszenz (ca. 21 Jahre).

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2.5.3 Das Zusammenspiel der körpereigenen Rhythmen

Laut Moser et al. (2008, S.30) zeigten jüngere Untersuchungen, dass die verschiedenen

Körperrhythmen untereinander verbunden seien. Zumindest in gesunden Körpern seien

Wechselwirkungen und gegenseitige Beeinflussung erkennbar, dieses Zusammenspiel

sei sogar Voraussetzung für Entwicklung und Gesundheit. Konsequenterweise gäbe es

nun eine gesteigerte Aufmerksamkeit dafür, dass die Zerstörung der biologischen Rhyth-

men und ihrer Synchronisation im Verlust der Gesundheit münde.

Für Moser ist der Herzschlag zentraler Indikator dieser Körperrhythmik, an welchem vieles

über den Zustand des Organismus abgelesen werden könne und der auch durchaus

überraschende Aspekte zeige41. Er führt diese zentrale Rolle – auch für Laien verständlich

als „Tanz des Herzens“ – genauer aus (Moser et al. 2007, S24)42.

Ein gesundes Herz schlage nicht völlig regelmäßig, sondern schwinge um einen Mittel-

wert. Dieses Schwingen, die „Herzschlagvariabilität“ entstehe durch das Zusammenwir-

ken zweier Steuersysteme des Herzens, des Vagus und des Sympathikus, mit dem Si-

nusknoten, einem natürlichen Schrittmacher des Herzens.

Der Sympathikus ermögliche Leistung und Beschleunigung (z.B. für Flucht oder Kampf).

Der Vagus sorge für Entschleunigung zur Erholung und Heilung (z.B. Schließung von Mik-

rowunden, Reinigung des Organismus von chemischen Abbauprodukten).

Ob sich der Körper in einer Erholungs- oder einer leichten Belastungsphase befindet, er-

kenne man an der Kopplung des Herzschlages mit anderen Körperrhythmen. In Erho-

lungsphasen werde der Herzschlag vom Atem moduliert und Puls, Atmung, Blutdruck und

Durchblutung schwingen jeweils im Verhältnis von 4:1 (Abbildung 33). In Leistungspha-

sen – unter leichter Belastung – moduliere der Blutdruck den Herzschlag und es treten

ganz individuelle Verhältnisse von 2:1 bis 7:1 auf (Abbildung 34).

41 Moser führt z.B. in Vorträgen musikalische Klänge vor, die aus Körperrhythmen synthetisiert wurden. 42 Mosers Artikel zeichnen sich durch sehr sprechende Titel aus, wie „The Symphony of Life“ oder hier

„Wie das Leben klingt“. Generell versteht Moser es, komplexe Sachverhalte verständlich zu vermitteln.

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Abbildung 33: Körperrhythmen nachts

Quelle: Moser et al. 2007, S. 24

Abbildung 34: Körperrhythmen tagsüber

Quelle: Moser et al. 2007, S. 24

Einschub: Messung der Herzschlagvariabilität

Wie werden diese Rhythmen und ihr Zusammenspiel eigentlich gemessen und sichtbar

gemacht? Das soll ein kurzer Einschub erläutern.

Zur Messung der Herzschlagvariabilität wurde der „HeartMan“ entwickelt, welcher den

Herzschlag wesentlich genauer misst als herkömmliche Geräte und auch o.g. Schwin-

gungen um den Mittelwert aufzeichnet (s. http://www.heartbalance.org/ ! HeartBalance

Analyse ! HeartMan, 23.08.2012). Zusammen mit einer speziellen Software entstehen

aus den Aufzeichnungen sogenannte autochrone Bilder des Herzrhythmus.

Dazu werden die Herzschläge mit einer Abtastfrequenz von 4000 oder 8000 Hz (also sehr

genau) aufgezeichnet, die Kurven in Zeitabschnitte zerlegt und zu einer Fläche zusam-

mengesetzt, die aufgrund der Amplitude eingefärbt wird.

Abbildung 35 und ein Auszug aus dem Bildtext aus Moser et al. (2008, S.31) erläutern die

Entstehung eines autochronen Bildes.

Prozessmodelle in der Literatur

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Abbildung 35: Entstehung eines autochro-nen Bildes

Quelle: Moser et al. 2008, S. 31

„After sampling beat to beat intervals with

high accuracy (sampling frequency = 4,000

Hz) for several hours, a moving Fourier

transform is performed every 5 min. The

resulting amplitude curves for each 5 min

are color-coded so that small amplitudes

are blue, intermediate are white, and large

amplitudes red at each given frequency.

Put together, an image of the different

rhythms becomes visible (autochronic

image, upper part of the figure). Particular

frequencies can be seen as lines running

through the upper part of the image, and

chaotically distributed autonomic activity is

seen as visual noise in the image.“

Bei genauerer Betrachtung der blauen Fläche in Abbildung 35 erkennt man eine Art Linie

im mittleren Bildbereich oberhalb der Beschriftung „Respiration“. Sie stellt den Atem-

rhythmus dar. Wie oben bereits erwähnt, moduliert in Erholungsphasen der Atem den

Herzschlag, wobei im tiefen Schlaf der Körper auffällig „musikalisch“ schwingt.

Moser zeigt auch, dass diese Kopplungsmechanismen künstlich angeregt werden kön-

nen. In Moser et al. (2007, S.27) wird berichtet, wie das Sprechen von Hexametern, einer

rhythmisch besonders gleichmäßigen lyrischen Sprache, die Herzschlagvariabilität beein-

flusst. Die parallelen Linien in Abbildung 36 zeigen, wie sich dabei je nach Sprechtempo

komplexe Klangstrukturen in den Körperschwingungen entwickeln.

Prozessmodelle in der Literatur

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Abbildung 36: Körperrhythmen beim Sprechen von Hexametern

Quelle: Moser et al. 2007, S.25

2.5.4 Körperrhythmen und Außenwelt

Laut Hildebrandt et al. (1998, S.12ff.) lassen sich bzgl. des Zusammenspiels der Kör-

perrhythmen mit der Außenwelt drei Gruppen benennen.

Exo-Rhythmen hängen von äußeren Faktoren wie Belichtungsverhältnissen (Tag/Nacht,

Jahreszeiten) ab und liegen vorwiegend im langwelligen Bereich. Beispiele finden sich in

der Natur wie die Bewegung der Kompasspflanzen mit der Sonne, das Pflanzenwachstum

bei zunehmender Helligkeitsdauer im Frühjahr oder Populationsrhythmen, die mit den ca.

elfjährigen Rhythmen der Sonnenfleckenaktivität korrelieren.

Exo-Endo-Rhythmen werden „im Organismus selbst erzeugt“, aber durch Umweltreize

(„Zeitgeber“43) synchronisiert. Fehlen die Zeitgeber, bleiben die biologischen Rhythmen

mit abweichender Periodendauer bestehen, wie Experimente unter völligem Ausschluss

natürlicher Zeitgeber (z.B. in Höhlen) gezeigt haben. Man nennt sie daher „Zirka-

Rhythmen“ (z.B. zirkadian = Tagesrhythmus oder zirkalunar = Monatsrhythmus).

43 Interessant ist, dass auch in englischsprachigen Texten der deutsche Begriff „Zeitgeber“ verwendet wird. Siehe dazu beispielsweise Aschoff 1960, S18ff. Dieser Beitrag befasst sich sehr detailliert mit dem Zu-sammenspiel der inneren und äußeren Rhythmen im Tagesverlauf (zirkadiane Rhythmen).

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Endo-Rhythmen sind von äußeren Zeitgebern unabhängig, man nennt sie daher auch

„endogene Spontanrhythmen“. Einige werden innerhalb des Organismus mit anderen En-

do-Rhythmen koordiniert, wie Puls und Atmung, wobei die Koordinierung „unter Ruhebe-

dingung“ straffer erfolgt als bei Beanspruchung durch Leistung (s.o.).

Reaktionen des Organismus auf äußere Reize „verlaufen grundsätzlich periodisch geglie-

dert“ (ebd. S.14). Bei „ungewohnten Belastungen“ werden „ruhende Funktionskreise zur

kompensatorischen Ausregelung aktiviert“, wenn ein neuer Gleichgewichtszustand er-

reicht ist, klingen die Reaktionen „gedämpft aus“. (Anm.: Bei plötzlichem Eintreten einer

Gefahrensituation sind solche Reaktionen auch medizinischen Laien bekannt: gesteigerte

Aufmerksamkeit, erhöhter Pulsschlag, stärkere Muskelspannung.)

2.5.5 Körperrhythmen und Gesundheit

Lt. Hildebrandt et al. (1998, S.30f.) können Krankheiten den üblichen Verlauf der Rhyth-

men stören. Beispiele seien vom Tagesrhythmus abweichende Temperaturverläufe bei

Krebskranken oder Unregelmäßigkeiten zwischen Herz- und Atemrhythmus bei psychi-

schen Störungen. Laut Moser zerfalle bei Krebspatienten kurz vor ihrem Tod „das Gefüge

der inneren Schwingungen “44 (zitiert bei Klasmann 2010, S.74).

Umgekehrt unterlägen Krankheitsverlauf, sowie Anfälligkeit und Sterblichkeitsraten den

Rhythmen längerer Periodendauer. So zeigten z.B. Asthmaanfälle oder Herzinfarkte zir-

kadiane (Tages-) und zirkaseptane (Wochen-)Rhythmen. Ebenfalls zeigten Heilungsver-

läufe oft eine zirkaseptane Periodik, z.B. bei „Infektionskrankheiten mit guter Selbsthei-

lungstendenz“ (Hildebrandt et al. 1998, S.30f.) 45.

Verletzungen natürlicher Rhythmen könnten in Extremfällen zu höherer Krankheitsanfäl-

ligkeit führen. Moser und Schaumberger (2003) berichten von entsprechenden Studien.

Flugpiloten auf Ost-West-Routen, die regelmäßig aus dem Tagesrhythmus gerissen wer-

den, sollen häufiger an Hautkrebs erkranken als solche, die auf Nord-Süd-Routen ohne

Verschiebung der Tageszeit eingesetzt werden. Nachtarbeit erhöhe auch das Brustkrebs-

risiko bei Frauen.

44 In einem Vortrag zeigt Moser dazu autochrone Bilder. Das letzte Bild, generiert aus Messdaten, die ca. eine Woche vor dem Tod der Patientin gewonnen wurden, zeigte fast nur mehr tiefes Blau.

45 Hier sei der Hinweis auf die Volksweisheit erlaubt, dass Erkältungen mit ärztlicher Behandlung eine Woche und ohne diese sieben Tage dauern sollen.

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Autochrone Bilder zeigen auch, wie gut sich Menschen erholen können (z.B. Abbildung

37). Moser führt immer wieder Beispiele an, wie sich erholsame Nächte mit regelmäßigen

Tiefschlafphasen von solchen unterscheiden, in denen keine Erholung eintritt (z.B. Moser

et al. 2007, S.25 (Text) bzw. S.22 (Bild), Moser et al. 2008, S.33f.).

Abbildung 37: Erholung und Körperrhythmen

Quelle: http://www.heartbalance.org/ (16.1.2012)

Eine im Auftrag der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) an Bauarbeitern46

durchgeführte Studie zeigte, wie durch Verbesserung der Schlafqualität Krankenstände

und Arbeitsunfälle reduziert werden konnten. Mehrmals pro Woche wurden mit den Bau-

arbeitern kurze Übungseinheiten mit eurythmischen Übungen abgehalten, die Stress ab-

bauend wirkten und sich damit nachhaltig auf die Qualität des Schlafes, die Erholung der

Menschen und damit deren Wachheit und Konzentration während der Arbeit auswirkten

(AUVA 2000, S.55ff.).

46 Die Berufsgruppe der Bauarbeiter hat die höchste Unfallgefährdung (s. AUVA 2000, S.6).

Prozessmodelle in der Literatur

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Die positiven Auswirkungen auf Unfälle und Krankenstände hielten auch nach Abschluss

des Projektes an47:

Abbildung 38: Unfallstatistik

Quelle: AUVA 2000, S.59

Abbildung 39: Krankenstandsstatistik

Quelle: AUVA 2000, S.59

Als letztes Beispiel sei genannt, dass bei Kuren die Wirkung der Anwendungen deutlich

erhöht wird, wenn nach jeder Behandlung eine Ruhephase eingehalten wird. Auch dies

soll durch Messungen der Herzschlagvariabilität nachgewiesen worden sein48.

2.5.6 Erkenntnisse

Aus diesem Ausflug in die Welt der Körperrhythmen und –schwingungen kann abgeleitet

werden, dass eine Abwechslung von Belastung und Ruhephasen und vor allem ungestör-

te Ruhephasen wesentlich für die Gesundheit und damit die Arbeitsfähigkeit und Produk-

tivität sind. Da die inneren Rhythmen mit den äußeren zusammenhängen, hat die Gestal-

tung der Arbeitsprozesse Einfluss auf das Befinden der daran Beteiligten.

In lebendigen Organismen finden Leben und Entwicklung ausschließlich in rhythmischen

Vorgängen statt. Schwingungen und Zyklen sind daher das natürliche Muster von Leben

und jeglicher Entwicklung.

Ein direkter Rückschluss daraus auf technische oder organisatorische Prozesse kann

nicht gezogen werden. Es sei aber noch ein Schlusssatz aus Hildebrandt et al. (1998,

S.123) zitiert:

47 Das Programm war übrigens so erfolgreich, dass es heute noch angeboten wird: http://www.auva.at/portal27/portal/auvaportal/channel_content/cmsWindow?p_tabid=3&p_menuid=56517&action=2 (24.08.2012)

48 Diese Aussage traf Prof. Moser bei einem von mir besuchten Workshop.

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„Die mit der zivilisatorischen Entwicklung des Menschen zunehmende Ablösung von den

natürlichen rhythmischen Umweltordnungen (zeitliche Emanzipation), die mit dem ver-

mehrten Auftreten von chronischen Zivilisationskrankheiten mit fehlender Zeitstruktur und

mangelnder Selbstheilungstendenz einhergeht, stellt die Aufgabe einer umfassenden

Chronohygiene, die auch sozio-ökologische Problemstellungen von Verhalten und Um-

weltgestaltung miteinschließt.“

Die Erkenntnisse passen gut zu modernen Entwicklungen und zu Vorschlägen zur Gestal-

tung von Arbeitsprozessen. Dazu folgen nun im nächsten Abschnitt einige Beispiele.

Anmerkung

Bei der Behandlung von Prozessen werden eher die Begriffe „Iteration“ oder „Zyklus“ ver-

wendet, im Ausflug in die Chronobiologie eher „Rhythmus“ oder „Schwingung“. Gemeint

ist aber immer eine regelmäßige Wiederkehr gleichartiger Aktivitäten, ein Auf und Ab des

Energieeinsatzes bei Belastung und Erholung, bei Produktion und Rückschau.

2.6 Beispiele für zyklische/iterative Prozesse

In diesem Kapitel wird gezeigt, dass zyklisches (oder iteratives) Vorgehen in verschiede-

nen Disziplinen angewendet oder erprobt wird. Die Beispiele sind in unterschiedlichem

Ausmaß technisch (oder wissenschaftlich oder ökonomisch) orientiert, sind unterschied-

lich modern und unterschiedlich weit verbreitet. Begonnen wird mit Scrum, einer ziemlich

modernen Projektmanagementmethode, die sich derzeit immer weiter verbreitet. Danach

folgt mit Effectuation eine ebenfalls moderne Methode, Neues in die wirtschaftliche Welt

zu bringen. Der Deming Cycle ist bereits Jahrzehnte alt und zeigt, dass der Wert von

Feedbackschleifen schon lange bekannt ist. Danach folgen noch kurze Einblicke in zwei

neue zyklische Prozessmodelle.

2.6.1 Scrum

Pichler stellt eine sehr prägnante Definition von Scrum an den Beginn seines Buches

(2008, S.1): „Scrum [...] ist ein agiles Managementframework zur Entwicklung von Soft-

ware, das aus wenigen klaren Regeln besteht. Diese beinhalten [...] das Erstellen von

Produktinkrementen innerhalb kurzer Arbeitszyklen, die Sprints genannt werden.“ Ferner

sind die Rollen im Projekt (Product Owner (Anm.: vertritt den Kunden), Team, Scrum Mas-