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Lern- und Trainingsbedarfsanalyse 5.92 5.92 Lern- und Trainingsbedarfsanalyse In diesem Beitrag erfahren Sie, warum die Lernbedarfsanalyse so stiefmütterlich behandelt wird, warum Sie eine Lernbedarfsanalyse immer vorneh- men sollten, wie eine Lernbedarfsanalyse durchgeführt werden kann, wie sich eine solche Analyse in Kompetenzprofile ein- betten lässt, den Zusammenhang von Lernbedarf und Lernerfolgs- kontrolle. Der Autor Bernhard Bachmann, Berater und Coach mit drei Hochschulabschlüssen, Orga- nisationsentwickler und Geschäftsführer der Bachmann Analytics, Governance & Training GmbH. Neben seiner Arbeit als Analyst betreibt B. Bachmann eine Aka- demie für Führungskräfte mit den Schwerpunkten Leadership, Change Manage- ment, Governance und persönliche Effizienzsteigerung. Zentraler Teil seiner Arbeit ist die Analyse von Unternehmen, Konflikten, Lernbedürfnissen und Perfor- manceproblemen durch Tiefeninterviews. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Ein- satz von Lernlandkarten zur Strategievermittlung sowie das Coaching von Füh- rungskräften, Selbstständigen und von Teams. Anschrift: Bachmann Analytics, Governance & Training GmbH, Villa Hagedorn, 65343 Eltville am Rhein, Tel.: 0 61 23/60 12 06, Fax: 0 61 23/60 18 91 E-Mail: [email protected]; Internet: www.bbba.eu PersonalEntwickeln 168. Erg.-Lfg. Februar 2013 5.92 Seite 1

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Lern- und Trainingsbedarfsanalyse 5.92

5.92 Lern- undTrainingsbedarfsanalyseIn diesem Beitrag erfahren Sie,

• warum die Lernbedarfsanalyse so stiefmütterlichbehandelt wird,

• warum Sie eine Lernbedarfsanalyse immer vorneh-men sollten,

• wie eine Lernbedarfsanalyse durchgeführt werdenkann,

• wie sich eine solche Analyse in Kompetenzprofile ein-betten lässt,

• den Zusammenhang von Lernbedarf und Lernerfolgs-kontrolle.

Der AutorBernhard Bachmann, Berater und Coach mit drei Hochschulabschlüssen, Orga-nisationsentwickler und Geschäftsführer der Bachmann Analytics, Governance &Training GmbH. Neben seiner Arbeit als Analyst betreibt B. Bachmann eine Aka-demie für Führungskräfte mit den Schwerpunkten Leadership, Change Manage-ment, Governance und persönliche Effizienzsteigerung. Zentraler Teil seinerArbeit ist die Analyse von Unternehmen, Konflikten, Lernbedürfnissen und Perfor-manceproblemen durch Tiefeninterviews. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Ein-satz von Lernlandkarten zur Strategievermittlung sowie das Coaching von Füh-rungskräften, Selbstständigen und von Teams.

Anschrift: Bachmann Analytics, Governance & Training GmbH, Villa Hagedorn,65343 Eltville am Rhein, Tel.: 0 61 23/60 12 06, Fax: 0 61 23/60 18 91

E-Mail: [email protected]; Internet: www.bbba.eu

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InhaltSeite

1 Zum Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Ein Blick in die Trainingsrealität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2.1 Beispiel „Kommen Sie mir nicht mit Inhalten!“ . . . . . . 42.2 Die Welt der Aus- und Weiterbildung ist chaotisch . . 5

3 Lern- und Trainingsbedarfsanalyse ernst genommen amBeispiel Change Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

4 Vorschläge zur Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Lernbedarfe und Qualifizierung der Mitarbeiter . . . . . . . . . . 126 Permanenter Abgleich der Lernbedarfsanalyse . . . . . . . . . . 157 Kompetenzräder oder -grids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Lernbedarfsanalyse: Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . 239 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

1 Zum EinstiegGerade in unserer schnelllebigen Zeit, in der die Halbwertszeit des Wis-sens sich mehr und mehr verflüssigt und zerrinnt, kommt es auf die Aus-und Weiterbildung an. Lernbedarfsanalyse, das hört sich zunächst ein-fach und logisch an. Dennoch gibt es nur wenig an Darstellungen undbis zur Einreichung dieses Artikels bspw. in Wikipedia keinen Eintrag zudiesem Schlagwort, auch nicht in der englischsprachigen Version zumThema „Learning Needs Analysis“. Das sagt eigentlich alles!

Selbst in den Publikationen der ASTD (American Society for Training &Development) gibt es wenig zu dem Thema. Entsprechend dünn mussdas Literaturverzeichnis ausfallen. Der Beitrag baut daher auf eigenenProzessen und Erfahrungen auf; der Dank geht an alle Kolleginnen undKollegen, die diese Prozesse mit entwickelt haben. Kein Wunder: Diezahllose und ausufernde Literatur für Trainer und Anbieter hat den Fokusauf Darreichung, Ausführung und Methode bzw. die Delivery gelegt – derLernbedarf steht quasi immer schon fest. Meine, zugegeben unpräzise,aber doch recht umfassende Stichprobe ergab, dass weniger als 10 %

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der Literatur zum Thema Aus- und Weiterbildung oder Training wirklichauf Lernbedarfe und deren Erhebung oder Analyse eingeht. Und wenn,dann in zumeist arg rudimentärer Form. Das wenige, was es an speziali-sierter Literatur gibt, richtet sich weniger an Praktiker; insofern bietet dieLiteratur wenig Orientierung.

Für Cooperider et al. (2008) ist die Wertschätzung der Mitarbeiter dasentscheidende Kriterium. Wer die Appreciative Enquiry, also die „wert-schätzende“ Befragung, beherrscht, der hat in der Lernbedarfsanalyseein leichtes Spiel, vor allem wenn die entsprechende Offenheit in derUnternehmenskultur verankert ist (Cooperider et al. 2008). Aber auch wodas nicht der Fall ist, kann durch eine entsprechende (wertschätzende)Analyse noch die Kapazität einer Firma verbessert werden, weil ein höhe-rer Lerntransfer erzielt wird (Whitney/Trosten-Bloom 2007).

Wer diese Wertschätzung mit entsprechend professionellen Instrumen-ten wie bspw. Kompetenzprofilen verbindet, kann noch mehr erreichen,und wer entsprechend eine Lernende Organisation schaffen kann, solltesich um seine Zukunft keine Sorgen machen müssen. In keinem Bereichkönnen Arbeitgeber das für mich oberste Prinzip der „Wertschöpfungdurch Wertschätzung“ so demonstrieren wie durch die richtige Qualifizie-rung.

Und in keinem Bereich kann man so viel qualifizieren und trainieren unddennoch so wenig erreichen wie in einer schlecht geplanten Aus- undWeiterbildung. Dem Geschwisterpaar Lernbedarfsanalyse und Lerner-folgskontrolle kommt daher für erfolgreiches Training eine Schlüsselfunk-tion zu. In diesem Beitrag geht es um die Lernbedarfsanalyse, eine wich-tige Übung, die leider oft unterbleibt.

Lernbedarfe können also erhoben werden:

• von Individuen (persönlich),

• von Rollen und Funktionen (idealtypisch, z. B. durch Profile),

• von Entwicklungsprofilen (als Entwicklungsperspektive oder konkreteSchulungsmaßnahme zum Erreichen eines bestimmten Levels),

• von Individuen in einer Transition (persönlich und über PE-Profileoder Jahresentwicklungsgespräche oder über Change-Management-Projektionen),

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• über Projekte und Schulungen (Prozesse, technische Maßnahmen,neue Software, Governance und Regularien).

Entsprechend vielfältig ist das Thema. Vom zum entwickelnden individu-ellen Teilnehmer einer Seminarmaßnahme bis hin zu Lernzielen, die fürganze Berufsgruppen entwickelt werden müssen oder die bspw. durcheinen SAP-Rollout induziert sind, gibt es ein weites Spektrum. Typischist, dass bei unternehmensweiten Schulungen von Prozessen die Inhalteoft so aufbereitet werden, als hätte man es mit einer einzigen, homoge-nen Gruppe von Lernenden – also mit dem gleichen Wissensstand unddem gleichen Lerntempo etc. – zu tun. Dies ist erfahrungsgemäß eherweniger der Fall. Entsprechend modular sollte man derartige Schulungenplanen, doch in der Trainingsbranche überwiegt leider die „One size fitsall“-Mentalität.

2 Ein Blick in die TrainingsrealitätNach zahlreichen Projekten im Bereich Aus- und Weiterbildung, Manage-ment Development, Executive Education und Training muss ich leiderkonstatieren, dass dem Thema Lernbedarfsanalyse eher wenig Aufmerk-samkeit gewidmet wird: Sie ist ein Stiefkind der Personalentwicklung.Dass die Literatur hier insgesamt recht wenig beisteuert, wurde bereitserwähnt. Der Weg zur „Lernenden Organisation“ (Senge) ist nach wie vornoch sehr steinig.

Da ich mehrere Jahre bei einem Trainingsspezialisten tätig war und inden letzten zehn Jahren sehr viele Trainingsprojekte durchgeführt habe,liegt mein Fokus schon seit Längerem auf der Bedarfsanalyse. DurchGespräche mit über 100 Trainerinnen und Trainern, Organisationsent-wicklern, Personalleiterinnen und -leitern sowie Führungskräften aus derAus-und Weiterbildung und Management Development hat sich für michein gutes Bild vom dem ergeben, was im Markt vor sich geht. Viele, diegutes Training anbieten wollen, sind völlig entnervt, ernüchtert, und redendem Kunden nach dem Mund, um überhaupt Aufträge zu ergattern. Ein(leider) typisches Beispiel aus der Praxis von Trainern möge dies illust-rieren.

2.1 Beispiel „Kommen Sie mir nicht mit Inhalten!“

Hier der Bericht eines Managers eines mittelgroßen Trainingsanbieters:»Die Personalentwicklerin einer großen Dienstleistungsfirma hatte Inte-

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resse an einem Seminar zum Thema Change Management. Zum Hinter-grund: Dies ist der Bereich, in dem sämtliche wissenschaftliche und pra-xisnahe Studien seit vier Jahrzehnten immer wieder zu dem Schlusskommen, dass zwei Drittel aller Veränderungsprojekte schief gehen; trotzder Fülle des Wissens. Das könnte und sollte einem doch zu denkengeben! Es wurde schnell klar, das Thema selbst war der Managerin ehertheoretisch bekannt.

Teilnehmer sollten von Managementerfahrungen bislang eher unbeleckteTrainees und Nachwuchskräfte sein. Informationen zu deren echtenLernbedürfnissen gab es nicht; nur was der Managerin selbst wichtig war,wurde klar. Während ich versuchte, darüber zu reden, wie die geeignet-sten Inhalte und Bausteine des Trainings an die vermutlichen Bedürf-nisse der potenziellen Teilnehmer angepasst werden könnten, kulmi-nierte das Ganze in dem Satz: „Kommen Sie mir doch nicht immer mitInhalten! Ich brauche jemand, der sich in unsere Trainees einfühlen kann,NLP beherrscht, und sich die Erfahrungen der Teilnehmer interaktivzunutze macht!“ Hehre Ansprüche, doch leider gab es gar keine Erfah-rungen der potenziellen Teilnehmer mit Umstrukturierungen, auf die manhätte zurückgreifen können. Die Trainees, so ein Mitarbeiter der Manage-rin am Telefon, wären für eine prinzipielle Einführung dankbarer gewesenals für den geplanten Workshop „auf Augenhöhe unter Experten“, dennso lautete mein Briefing im Vorfeld. Ich habe dann nicht mal ein Angebotabgegeben.«

2.2 Die Welt der Aus- und Weiterbildung ist chaotisch

Trainingsanbieter, wie dieses Beispiel illustriert, erleben hier viel und etli-ches liegt im Argen. Lernbedarfsanalysen sind ein Thema, das in vielenUnternehmen und Organisationen auffällig oft außen vor gelassen wird.Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Zum einen verlässt man sich darauf,dass der Trainingsanbieter oder Trainer schon weiß, wie die Schulungablaufen soll. Zum anderen verlässt sich der Linienmanager darauf, dassseine Personalabteilung sich die richtigen Gedanken gemacht hat. Beidegemeinsam machen sich auch gerne überhaupt keine Gedanken, weilüber gewisse Felder in der Personalentwicklung überhaupt nicht gespro-chen wird. Vor allem die Produktion wird sehr häufig klein gehalten; die-sem Bereich fehlen Fürsprecher.

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Ebenfalls ein Klassiker: Die Lernbedarfsanalyse bleibt dem Trainingsteil-nehmer selbst überlassen; „Hier sind die Kataloge, suchen Sie sich etwasPassendes aus.“ Selbst Unternehmen, die bspw. einen individuellen Trai-ningsbedarf aus Zielvereinbarungs- und Jahresgesprächen ableiten,haben oft nur standardisierte Angebote oder überlassen es dem Zufall,was trainiert wird – und vergeben sich damit große Chancen.

3 Lern- und Trainingsbedarfsanalyse ernstgenommen am Beispiel Change Management

Wenn man die hier geschilderten Dinge ernst nimmt, muss man auchals Anbieter reagieren. Als Beispiel mag meine eigene Lernkurve undVorgehensweise beim Thema „Change Management“ dienen. Gernehabe ich früher auf Kundenwunsch dieses Thema als zwei- oder dreitägi-ges Seminar angeboten. Auch als offenes Seminar habe ich diesesThema durchgeführt. Die Teilnehmer waren – neben mit konkreten Pro-jekten betrauten Projektleitern – oft einfach interessiert am ThemaChange Management, häufig waren es andere Berater, und häufig warenes Manager, die dachten, durch das Wissen um Veränderungsmanage-ment in schwierigen Situationen besser führen zu können.

Die Seminare vermittelten alle wichtigen Modelle und Frameworks, Füh-rungswerkzeuge, die psychologischen Grundkenntnisse, und waren voll-geladen wie drei Regalmeter Literatur. Erstens, weil die Inhalte tatsäch-lich aus so vielen Büchern stammen, zweitens, weil die Erfahrung aus200 Veränderungsprojekten hinzu kam. Mein Lehrstil ist allerdings inter-aktiv, und orientiert sich an den Beispielen der Teilnehmer. Meine Teil-nehmergruppen waren jedoch zumeist nicht wie in Harvard oder Stanfordextrem hochkarätig; viele Teilnehmer hatten wenige Erfahrungen einzu-bringen, und auch kein aktuelles Projekt, in dem es um Change Manage-ment ging.

Tatsächlich hatte ich sogar etliche In-house Seminare zum ThemaChange, wo die Teilnehmer an überhaupt keiner Change-Initiative betei-ligt waren! Irgendjemand in der Organisation hatte aber gedacht, dieAbteilungs- oder Gruppenleiter sollten eine derartige Schulung „mal mit-machen“, oder „das gehört zur Grundausbildung“. Baustein-Training, egalob es gerade passt oder nicht. Etliche der Teilnehmer waren übrigensgerade dadurch höchst verunsichert, weil sie zu diesem Thema ein Trai-ning machen sollten. Sie vermuteten, dass sie bald Teil einer Umstruktu-

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rierung sein würden. Die dadurch ausgelösten Ängste trübten die Atmo-sphäre in den Seminaren; im Falle öffentlicher Institutionen sogar rechtdeutlich.

Einige Monate nach meinen Seminaren habe ich regelmäßig die Teilneh-mer der Trainings befragt, was ihnen das Seminar gebracht hat, und obsie die Inhalte haben anwenden können. Das Ergebnis war nicht erfreu-lich. Alle liebten die Seminare und die Inhalte, nur anwenden konnte siekeiner. Sei es, weil gerade kein Projekt anlag; oder weil „die Umständebei uns aber ganz andere sind“. Wie immer, wenn idealtypische Prozesseund Frameworks auf die Wirklichkeit treffen. Und das ist nicht verwunder-lich: Wer einfach so an Change Management interessiert ist, der kannsich auch Bücher kaufen. Gerade im Change Management muss man oftdie Konzepte ändern und Regeln brechen; selten laufen die Prozesseidealtypisch. Veränderungsmanagement ist daher nur erfolgreich, wennErfahrung aus vielen, vielen Projekten vorhanden ist; nur dann weiß man,welches Instrument aus der Toolbox mit welchem Timing eingesetzt wer-den kann.

Außerdem gibt es gerade im Change Management Anhänger diverserMethoden und Ansätze; „bottom-up“ Anhänger treffen auf „top-down“Verfechter, Organisationsentwickler und Strategen haben völlig unter-schiedliche Prioritäten, wie man Veränderungen implementiert. Oft über-wiegt hier die Dominanz einer dieser, sagen wir, Stilrichtungen. MeinerErfahrung nach muss man jedoch von „wir müssen alle Mitnehmen“ bishin zum „high speed change ohne Rücksicht auf alle“ die gesamte Klavia-tur beherrschen und auch anwenden können. Und dies manchmal gleich-zeitig, in ein und demselben Projekt. Gerade weil sich so viele gegendiese Einsicht sperren, klappen so viele Veränderungsprojekte trotzexterner Begleitung durch Berater nicht, denn diese werden, wie bereitsgeschildert, häufig zu Opfern ihrer jeweiligen Methodenverliebtheit. AmEnde des Tages muss man nur mal hinsehen, was alles geht, und wieschnell vor allem, wenn erst mal die Insolvenz- und Turnaround-Beraterim Betrieb sind. Ist der Schmerz nur groß genug …

Ein Seminar kann hier nur sinnvoll sein, wenn die Teilnehmer ihre eige-nen Change-Projekte einbringen und aus der Fülle der Instrumente dieje-nigen auswählen und zur Diskussion stellen, die auch wirklich Sinnmachen und zur Kultur (und zum Schmerz-Level) des Unternehmenspassen oder aber die jetzt genau richtige (und passende!) Kulturverände-rung bewirken. Diese ohne Experten und Coach erfolgreich anzustoßen,

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fällt selbst alten Hasen schwer; hier sprechen wir über die Königsdisziplindes Change Managements. Kein einfaches Unterfangen und keinesfallseines, das man unreflektiert beginnen sollte.

Für mich bedeutete das, dass ich Seminare zum Thema Change Mana-gement fast nur noch In-house anbiete, und zwar in Firmen, die wirklichVeränderungsprojekte vor sich haben, oder mittendrin sind und bei denendie ersten Probleme auftauchen. Und hier werden vor allem die Imple-mentierer und Umsetzer geschult. Immer mit den Chefs; denn diese sindhäufig der Meinung, der Change beginne unterhalb von ihnen, oder seinur für die anderen da. Und das kann nicht funktionieren. Wer hier nichtmitzieht, bekommt kein Seminar; viele Change-Projekte scheitern, weilvon ganz oben nicht richtig agiert wird, das Committment fehlt. Fingerweg als Berater oder Trainer, wenn man das merkt – derartige Trainings,Mandate und Projekte führen ins Nichts.

Zweitens werden die Umsetzer von mir anschließend gecoacht; die Gren-zen von Training und Coaching zerfließen an dieser Stelle. Das verstößtgegen die reine Lehre; sowohl Anbieter wie auch Personalentwicklerhaben es immer gerne sauber getrennt. Entweder Trainer oder Coach,aber doch nicht beides!? Doch genau hier muss man sich von diesenantiquierten Vorstellungen lösen, so, und nur so, ist die Umsetzungshilfedurch das Training besonders stark und wirkungsvoll.

Instrumente, die falsch verstanden wurden oder fehlerhaft eingesetztwerden, machen alles nur noch schlimmer, das ist ja das Fatale an vielenChange-Management-Trainings und -Theorien. Und das ist mit einGrund, warum trotz allem Wissen um Veränderungsmanagement derartigviele Projekte kippen, in den Unternehmen versanden, oder nur zumEnde kommen, weil die Ziele immer wieder aufgeweicht werden. Manarbeitet hier gegen die Statistik; nur 20 % aller Projekte enden wirklicherfolgreich. Trotzdem glauben der Forschung zufolge 80 % aller mitChange beauftragten Projektleiter, dass sie ihr Projekt erfolgreich, ontime und on budget zu Ende bringen. Diese doch recht starke Diskrepanzsollte zu denken geben …

Wenn ich das Thema Change als offen buchbare Trainingsveranstaltunganbiete, dann nur 1-2 Mal im Jahr und nur mit einem kleinen Personen-kreis, für den die gleichen, hier geschilderten Prinzipien gelten: Es mussein konkretes Projekt anliegen, die Seniorität der Teilnehmer muss gege-ben sein, der Oberentscheider muss mitmachen und die Umsetzung wird

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anschließend durch ein Coaching begleitet. Denn gerade Veränderungenlaufen immer anders als man denkt; die zweite und entscheidende Wellean Lernbedarf kann erst bei der Umsetzung festgestellt werden. EineGrundausbildung und dann die praktische Ausbildung sollten also Handin Hand gehen. Daher muss ein solches Seminar auch immer gesplittetsein und in zwei Teilen angeboten werden; mindestens, indem es einUmsetzungscoaching gibt. (Diese Erkenntnis trifft meines Erachtensauch auf Führungskräftetrainings zu, aber das ist ein anderes Thema.Es gibt noch viel zu wenig modular aufgebaute Fortbildungen auch imStandard-Bereich und auch Blended Learning wird hier noch zu wenigeingesetzt.)

Wenn man die Lernbedürfnisse ernst nimmt, muss der Sinn und Zweckeines Change-Management-Seminars klar sein und auch wie es danndurchgeführt wird. Dennoch finden sich derzeit alleine in Deutschland inden einschlägigen Trainingskatalogen der großen Anbieter und in denOnline-Portalen über 1600 verschiedene, offen buchbare Veranstaltun-gen der Trainingsanbieter und von Einzeltrainern – mehr oder wenigersämtlich gleich gestrickt und daher mit erkennbar zweifelhaftem Nutzen –nur zum Thema Change oder Veränderungsmanagement. Dies erklärtsich nur, wenn man berücksichtigt, wie wenige Auftraggeber offensicht-lich eine Lernbedarfsanalyse zu diesem Thema zu Ende denken. Undwie oft eine Lernerfolgskontrolle ausbleibt. In allen anderen Trainingsbe-reichen sieht das leider genauso aus. Lediglich im Bereich Verkaufstrai-nings wird immer wieder mal in die Umsetzung geschaut, oder in dentechnischen Trainings, bei denen man durch die einfachere Ermittlungentsprechender Kennzahlen schneller messen kann, was die Maßnahmebringt, wird auch entsprechend nachgeschaut. Weniger als 5 % allerMaßnahmen werden wirklich analysiert (Pruyne 2010).

Ein Zwischenfazit:1. Viele Firmen machen sich zu wenig Gedanken, was und wie trainiert

werden soll.

2. Es werden viel zu wenige konkrete Lernziele mit den Individuen abge-sprochen.

3. Es wird viel zu wenig nachgedacht, wie die Lernziele umgesetzt wer-den sollen.

4. Die Dienstleister des Anbietermarktes sind die Letzten, die den Fir-men erzählen, was keinen Sinn macht.

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5. Die eigentlichen Lernenden, die Teilnehmer der Maßnahmen, werdenhäufig weder gezielt befragt noch sonst wie einbezogen.

6. Es wird zu viel unabgestimmt, nebeneinander her und aneinandervorbei agiert; ganz im Sinne der klassischen organisierten Verantwor-tungslosigkeit (Beck 1988).

4 Vorschläge zur OptimierungWie also kann man hier systematisch vorgehen? Die vier nötigen Bau-steine einer guten Entwicklung von Training und Schulung sind:1. die Lernbedarfsanalyse,

2. das Design der entsprechend richtigen Trainingsmaßnahmen,

3. eine Lernerfolgs- und Umsetzungskontrolle,

4. die Analyse, ob die eingesetzten Mittel für Training und Entwicklungdem Unternehmen auch nützen (also umgesetzt werden!), ggf. dieVeränderung der Maßnahmen, bis ggf. hin zu einer Return on Invest-ment (ROI) Betrachtung.

Auch die letzten beiden Punkte sind für die Lernbedarfsanalyse vonessenzieller Bedeutung. Eine Lernanalyse beleuchtet die zu entwi-ckelnde Kompetenz. Die Lernerfolgskontrolle betrachtet, inwieweit dieseKompetenz auch aufgebaut wurde, und ob der Trainingsteilnehmer dasGelernte auch anwenden kann. Sei es, um seinen Job besser zumachen, oder um eine Strategie der Firma voranzutreiben. Je genauerdieser Prozess der Wertstromkette abbildbar und analysierbar ist, umsoeher kann man die Investitionen bemessen und bewerten.

Dies gilt für die Personalentwicklung von Individuen genauso wie für dieUmsetzung einer Strategie durch ganze Management-Layer oder Berufs-gruppen; bei Letzterem müssen bspw. Kompetenzen für Berufsbilder neuaufgebaut werden, etwa transaktionsorientierte Vertriebler zu bezie-hungsorientierten Relationship Managern umtrainiert, neue IT Prozessebreitflächig eingeführt, oder neue Produkte geschult werden.

Natürlich kann man hier in die Tiefe gehen und auch weitere, zusätzlicheBausteine in den Vordergrund stellen.• Bei der Durchführung von Trainings können dies sein: die Methoden,

die Person des Trainers (wenn es ein präsenzbasiertes Training seinsoll).

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• Die Art und Weise, wie eine Lernerfolgskontrolle durchgeführt wird,ist zu definieren.

• Bei E-Learning-Maßnahmen wären die verschieden aufwendigenLevels eines E-Learnings – ist es nur eine Art billige animierte Power-Point-Präsentation (Level 1) oder eine interaktive Simulation, gar mitdynamischem Verlauf (Level 4) – zu bestimmen.

• Und es wäre zu klären, wie ein Blended-Learning-Ansatz aussehenkann.

Viele Trainingsmanager machen sich leider regelmäßig mehr Gedankenum den Schulungsraum, den Blended-Learning-Mix, die Kosten, dieAtmosphäre und die Location, oder um die Methode und Person desTrainers als um die eigentlichen inhaltlichen Knackpunkte und umsetzba-ren Lernziele eines Trainings. Die Methode ist wichtig, gewiss; doch derInhalt ist es eben auch. Dieser bleibt oft auf der Strecke, weil die Lernbe-darfsanalyse falsch aufgezogen wurde, auf veralteten Daten beruht oderganz ausgeblieben ist, oder weil die methodischen Vorlieben des Trai-ning-Managers (oder des Trainers) alles übertönen. Und gerade die star-ren Formen des E-Learnings leiden notorisch unter schlecht dargestelltenund formulierten Inhalten. Die grafische Umsetzung erfordert eine starkeReduzierung des Lerninhalts; manchmal ist der Lerninhalt virtueller Lern-welten derart reduziert und virtuell, dass man wieder besser ganz klas-sisch ein Buch liest, da bleibt mehr hängen.

Dieser Artikel beschreibt nun die beiden ersten der vier Bausteine,betrachtet sie dabei allerdings als eine Art Kreislauf. Die beiden Bau-steine, die eher die Lernerfolgskontrolle darstellen, werden in einem wei-teren Beitrag an anderer Stelle beschrieben. Dieser zyklische Prozess istvor allem für Pragmatiker gedacht, die sich darüber informieren möchten,wie sich die Qualität der Aus- und Weiterbildung nachhaltig steigern lässt.

Eine gute Lernbedarfsanalyse lässt sich nicht von den Irrungen und Wir-rungen und Trends – bspw. aus den Feldern Talent Management oderManagement Development – verwirren. Sie konzentriert sich auf die Stra-tegie des Unternehmens und auf die Menschen in ihrer jeweiligen Rolleund Funktion mit ihren Aufgaben. Außerdem muss jede Trainingsmaß-nahme zur eigenen Organisationskultur passen.

Lernbedarfsanalyse und die Evaluation der Trainings gehören zusam-men. Es gibt mehrere gute Gründe für eine derartige Evaluation:

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1. Nur so lässt sich eine vorgenommene Lernbedarfsanalyse überprü-fen, der Erfolg der Maßnahme selbst bewerten und die Maßnahmesich zukünftig verbessern.

2. Nur eine Erfolgs- und Umsetzungskontrolle kann darüber Auskunftgeben, welche Maßnahmen geändert werden müssen, weitergeführtoder eingestellt werden müssen.

Einfach ist das sicherlich nicht, wobei es in den technischen Bereichenallerdings einfacher ist als in Führungs- oder Management-Trainings.

Wenn man diesen Ansatz erst einmal beherrscht, kann man in mehrerenSerien von Tiefeninterviews (die nicht immer lange dauern müssen, nureben in die Tiefe gehen sollen!) bereits im Vorfeld die Lernbedarfsana-lyse auf diese Weise durchführen. Die Erfolgskontrolle darf aber nichtentfallen und ist zwingend notwendig, um eine kontinuierliche Verbesse-rung und Anpassung zu bewirken.

5 Lernbedarfe und Qualifizierung der Mitarbeiter

Maßnahmen im Bereich Führung, Management und den Soft Skills dürf-ten sich schnell amortisieren, wenn Lernbedarf und Lernangebot zusam-menpassen. Wenn Unternehmen Führungskräfte fördern, ein gutes Klimaschaffen, niedrige Wechsel- und Kündigungsquoten haben, Motivation,Kultur und entsprechend die Performance stimmen, kann das Potenzial(bzw. der ROI) erheblich höher als z. B. im Bereich des technischen Trai-nings sein. Im Verkauf/Vertrieb gilt dies sicherlich auch, kann aber meistnicht festgestellt werden, weil die Maßnahmen sich überlappen, die meis-ten Verkaufsziele ohnehin überoptimistisch (im Zweifelsfall als „stretch-target“ verharmlost) angesetzt werden oder durch blödsinnige Wettbe-werbe, Sternchen und Incentive-Ansätze („100 % Klubs“ etc.) kaputtge-macht werden.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass gerade die häufig so verschrienen Mana-gement- und Soft-Skills-Trainings sehr gute Resultate erzielen können,wenn es gelingt, den Lernbedarf und die Relevanz für die Firma zu analy-sieren. Wer den Lernbedarf trifft und hinterher bei der Umsetzung unter-stützt, für den rechnen sich Trainings in besonders hohem Maße. Diesgilt auch, wenn eine Organisation es versteht, Personal aufzubauen, dassich selbst reflektieren kann. Der „reflective practicioner“ (Schön 2007) istam ehesten bereit, aus eigenem Antrieb dazuzulernen, sich dem „lifelong

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learning“ zu verschreiben, und wird sich auch im fortgeschrittenen Alterweiter qualifizieren wollen.

Mit der Bewertung, was ein Training eigentlich bringt, schließt sich derKreis; an dessen Anfang die Lernbedarfsanalyse stand und auf die manam Ende des Wertstromes einer Trainingsintervention auch wiederzurückkommen muss. Wie bereits geschildert, funktionieren Gesprächezum Lernerfolg (Tiefeninterviews) mit der vorhergesehenen Zielgruppe,mit einem Berufsprofil (bspw. alle „Controller“ oder Mitglieder der Sales-Teams) oder einer definierten Führungsebene („Teamleiter“) nur dann,wenn man beharrlich auf die Umsetzung der gelernten Inhalte zu spre-chen kommt, und eine offene und ehrliche Gesprächsatmosphäreerreicht.

Wesentlich bei der Lernbedarfsanalyse ist neben der reinen Definition derInhalte und Lernziele der Blick auf die spätere Umsetzung des Gelernten.

Die Inhalte (Defizite, Lernziele, benötigte Skills, Kompetenzen für eineEntwicklungsmaßnahme) für eine Lernbedarfsanalyse können kommenaus:• der teilnehmenden Beobachtung,

• Kompetenzfeldanalysen und Audits,

• Assessments und Tests,

• Selbsteinschätzungen,

• Zielvereinbarungen und Entwicklungsplänen aus Jahresgesprächenoder Zielvereinbarungen,

• offenen Fragen in 360-Grad-Feedback-Befragungen,

• Tiefeninterviews oder Fragebögen mit den Betroffenen,

• generellen Kompetenzprofilen und dem Soll-Ist Abgleich der Beleg-schaft bzw. der „Profilinhaber“,

• Interventionen, die einer Wissensvermittlung bedürfen (Health Mana-gement, Safety, Compliance, neue Prozesse, neue Software).

Heute geht man davon aus, dass an Schwächen nur gearbeitet wird,wenn es für ein (definiertes) Minimumlevel notwendig ist; ansonsten kon-zentriert man sich auf die Entwicklung der Stärken. Auch grundlegendeFähigkeiten wie Projektmanagement sollten immer in Zusammenhangmit einem dann auch zu verantwortenden Projekt durchgeführt werden;

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es gibt viel zu viel Theorie in den Seminaren. Softwareschulungen sindhier ganz besonders ineffizient; hier schlage ich regelmäßig vor, alle Teil-nehmer ihre konkreten Fälle und Tätigkeiten „real life“ bearbeiten zu las-sen, und dafür dann 2-3 Trainer für die Seminargruppen abzustellen. Dieteilweise recht unmotivierten, weitverbreiteten „vorbereiteten Übungen“und andere Formen des Trockenschwimmens sind alles andere als hilf-reich. Ein Klassiker: IT-Schulungen und der Roll-out liegen ärgerlicher-weise zeitlich oft viel zu weit auseinander.

Ein anderes Beispiel: Oft werden Personen zu Qualitätsmanagern entwi-ckelt und zertifiziert, die im Betrieb jedoch nichts wirklich bewirken oderbeeinflussen können. Das Umfeld muss zur Maßnahme passen; der Kon-text am Punkt der Anwendung und Umsetzung ist immer zu berücksichti-gen. Die meisten Aus- und Weiterbildungspläne werden jedoch zu sehram grünen Tisch entworfen; oft in der Annahme, man verhalte sich stan-dardgemäß, industriekonform und mache nur das Übliche. Daher sindauch fast alle Verbände gleichzeitig Trainingsanbieter; dies aber reichteben nicht.

Interessanterweise ist es so, dass ein erhobener, echter Lernbedarf sichzunächst durch ein günstiges Training durchaus abdecken lässt. DieSpezialisierung kostet dann mehr; ganz oft wird es genau umgekehrtgemacht: Die Grundlage wird in teuren Seminaren von der Stange undvon „Markenanbietern“ gemacht, für die Kür ist dann kein richtiges Bud-get mehr vorhanden. Es gibt mehrere bundesweit agierende Konferenz-und Trainingsanbieter, die gerne Referenten aus der Praxis mit Wissen-schaftlern und anderen Referenten mixen, wo zweitägige Seminare biszu 2000,- Euro netto kosten (hinzu kommen noch Anreise- und Hotelkos-ten für die Referenten). Unter acht Teilnehmern finden diese Seminareselten statt. Das Geschäftsmodell funktioniert, weil die meisten Firmen inder überbordenden Trainingslandschaft keinen Durchblick mehr habenund die meist sehr viel besseren Angebote – was die Kosten/Nutzen-Relation angeht – spezialisierter Dienstleister nicht finden oder nicht fin-den wollen. Klar, dass auch hier gerne Trendthemen besonders starkangeboten werden. Für diese Summen bekommen KMU bereits In-houseTrainings; wer sich den Marktüberblick verschafft und auf freie Trainersetzt, kann viel sparen und findet für jeden Lernbedarf den richtigen Spe-zialisten. Gewarnt werden muss hier vor Seminarportalen; diese sind fürTrainer, Coaches, etc. zumeist kostenpflichtig und bieten nur einenunvollständigen Überblick.

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Es mutet schon seltsam, dass viele Personaler immer wieder bei denmittleren und großen Trainingsanbietern buchen und Rahmenverträgeabschließen, weil sie dort „die Qualität“ bekommen, und diese großenAnbieter dann genau die gleichen Freelancer unter Vertrag haben, dieauch frei buchbar sind. Denn Festeinstellungen werden in dieser volatilenBranche natürlich gescheut. Zwischen Effizienz, intelligenter Effizienzund Kosteneffizienz ist noch deutlich zu unterscheiden.

6 Permanenter Abgleich der Lernbedarfsanalyse

Bis Kompetenzen wirklich flächendeckend geschult und implementiertsind, benötigt man oft schon wieder neue. Der beste Weg, sich dagegenzu schützen, ist es, die Lernbedarfsanalysen regelmäßig mit der Ziel-gruppe selbst, und mit den Zielen der Unternehmens- oder Organisati-onsstrategie abzugleichen.

Eine gute Methode, Lernbedarfe abzufragen, ist es, wenn man sehrzufriedene und sehr unzufriedene Teilnehmer eines Trainings befragt,was an der Umsetzung gut oder gar nicht funktioniert hat (Brinkerhoff2005; Brinkerhoff/Dressler 2003; Pruyne 2009, 2010).

Der effektivste Weg hierbei ist ein formaler Prozess der Entwicklung vonTraining; den ich wie unten beschrieben vorschlage. Dieser Prozess ent-hält die Lernbedarfsanalyse, aber auch die Lernerfolgskontrolle. Ich sehediesen Prozess als einen Zyklus an, der nicht nur für die Neuentwicklungvon Trainings steht, sondern auch für die laufende Bewertung und Ana-lyse bestehender Programme.1. Lernbedarfsanalyse und Strategie miteinander koppeln,

2. Kompetenzfeldermittlung, Definition und Planung,

3. Lernstrategie und -prozesse, Instrumente definieren, Ressourcen,Budgets, Personal,

4. Lerninhalte strukturieren, an Lernbedarf und Kompetenzfeldern aus-richten,

5. Entwicklung von Training, Kurrikulum, Methodik, Delivery,

6. Design, Development, Implementierung der Trainings,

7. Evaluierung und Lernerfolgskontrolle,

8. entsprechende Konsequenzen und Maßnahmen aus 1-7.

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Es ist immer ein Unterschied, ob man eine einzelne Person oder einganzes Profil entwickelt. Wenn man ganze Berufsgruppen qualifizierenmöchte, empfiehlt es sich, einen Standard zu entwickeln, der die nötigenFähigkeiten und Skills definiert und beschreibt (auch solche, die erstzukünftig benötigt werden); gegen dieses Idealbild wird dann der Ist-Zustand der Individuen abgetragen, sodass individuelle Trainingspläneund Lernbedarfe bzw. Entwicklungspotenziale daraus abgeleitet werdenkönnen.

7 Kompetenzräder oder -gridsWer noch nie in diese Richtung gearbeitet hat, dem können Instrumentewie eine Matrix oder Kompetenzräder (Armstrong 2012; Robbins 2002)helfen; sie sind übersichtlicher als bspw. Jobbeschreibungen oder ähnli-che Dokumentationen. Mein Rat geht in die Richtung, die allerorten ver-breiteten Job-Profile oder Beschreibungen durch derartige rollen- undkompetenzbasierten Übersichten zu ersetzen; das hilft auch beim Recrui-ting ungemein.

Abb. 1: Beispiel eines allgemeinen Orientierungsprofils (Stufe 1)

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Die Schwerpunkte werden in diesem Beispiel durch die zwei Stufenschnell ersichtlich. Man muss das nicht so darstellen; doch meiner Erfah-rung nach lassen sich eher einseitige und vielschichtige Profile undAnforderungen auf diese Weise schneller voneinander unterscheiden,erkennen und übersichtlicher darstellen.

Ein derartiges Profil kann bspw. sowohl in Richtung Sales, als auch inRichtung Key Account Management entwickelt und voneinander abge-grenzt werden. Die Prozentwerte dienen nur der Annäherung; je mehrman diese genau aufteilt, desto höher ist die Chance, sich ideale Bewer-ber „backen“ zu müssen, und umso weniger flexibel sind die Stellenin-haber.

Abbildung 1 zeigt ein fiktives Beispiel, einen Marketingleiter, der offen-sichtlich nicht allzu kreativ sein muss, weitestgehend von Verwaltungstä-tigkeiten frei gehalten werden soll (ob das so ist, ist eine ganz andere,aber nicht unwichtige Frage…), der vor allem den Absatz im Blick habensoll, aber auch aktiv einen Kommunikationshut auf hat. Das Team, dasgeführt werden soll, ist wohl nicht allzu groß, der Schwerpunkt ist opera-tiv. So oder so ähnlich sieht die Realität oft aus. Eine lohnende Übung:Die vorgesehenen Tätigkeitsschwerpunkte auf diese Weise abzutragen,und dann damit abzugleichen, wie man die Zeit wirklich verbringt – umdann eine Matrix zu entwickeln, wie die Rolle eigentlich aussehen sollte,um Sinn zu machen, um Ziele zu erreichen, und um effektiv sein zu kön-nen. Dies ergibt schmerzhafte Einsichten, aber auch den Entwicklungs-und Lernbedarf, wenn man im zweiten Schritt die entsprechenden Skillsdefiniert.

Diese allgemeinen Profile müssen in einem zweiten Schritt in Kompetenz„-räder“, „-raster“ oder „-grids“ weitergeführt und übersetzt werden; hiergeht es um die Fähigkeiten. Schritt eins definiert die Tätigkeit undSchwerpunkte des Profils, der nächste Schritt ist nun die Ausformulierungder dazu benötigten Kompetenzen, als Ist-Zustand, als Soll-Zustand, umdie Rolle gut ausfüllen zu können, und letztlich als Soll-Profil um dasganze Potenzial der Rolle nutzen zu können. (Andere Formen der Dar-stellung sind natürlich jederzeit möglich, da kennt die Fantasie keineGrenzen).

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Diese Räder oder Raster teilen die benötigten Fähigkeiten, Kompetenzenund Skills in verschiedene Dimensionen ein. Abbildung 2 erläutert diedabei angewendete Legende, die natürlich auch nur zweistufig ausfallenkann, oder mehr als drei Level beinhaltet, je nach Komplexitätsgrad.

Abb. 2: Erklärung/Legende (Level bzw. Segmente,s. Abb. 3 u. 4)

Es kommt immer darauf an, ob die Kompetenzprofile im Innen- oderAußendienst zu sehen sind, ob es Führungsaufgaben gibt, Entwicklungs-aufgaben, oder es sich um eine Sachbearbeitertätigkeit oder um eineRolle als Spezialist handelt. Prinzipiell sollte auch ein Produktionsbetriebfür alle Mitarbeiter, Maschinenführer, Schichtleiter, Mechaniker usw. einederartige Skills-Matrix entwickeln, um jederzeit sehen zu können, welcheKompetenzen in welcher Zahl vorliegen. So kann man bspw. Schicht-pläne besser besetzen, Engpässe in Fähigkeiten beseitigen, Personalbesser entwickeln. Leider gibt es nicht viele Betriebe, die derartige Ent-wicklungs-Werkzeuge für die Produktion einsetzen und dafür HR- oderPE-Ressourcen abstellen. Dabei ließe sich hier viel an Potenzial gewin-nen. Personalentwicklung in der Produktion – man sollte es nicht glau-ben, aber hier kann man noch richtig viel Verbesserungspotenzial heben,das sich vor allem dann unmittelbar auf die Marge auswirkt.

Wenn man den Prozess genau befolgen möchte, braucht man für kom-plexere Rollen vier Kompetenzraster:1. Allgemeine Kompetenzen:

a) Grundwissen der Rolle (Basics)

b) Markt und Kundenwissen

c) Richtlinien, Regelwerke, Governance

d) Produktwissen/Serviceprozesse

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2. Spezifische Kompetenzen:

a) Grundwissen der Rolle (Basics)

b) Markt und Kundenwissen

c) Richtlinien, Regelwerke, Compliance

d) Produktwissen/Serviceprozesse

3. Methodische Kompetenzen:

a) Analytisch

b) Methodisch

c) Führung

d) Kommunikation (intern, extern, Kundenbindung…)

4. Persönliche Kompetenzen & Skills:Dies ist die Spielwiese für den Kompetenzentwickler. Hier können u.a.stehen:

– unternehmerisches Denken,

– Optimismus,

– Offenheit (und viele andere Werte),

– Improvisationstalent,

– Veränderungsbereitschaft,

– Risikobereitschaft,

– Kundenorientierung,

– Teamorientierung,

– Führungsqualitäten wie Appreciative Enquiry,

– Flexibilität,

– Kritikfähigkeit,

– Fähigkeit zur Selbstreflektion,

– usw. …

Diese „Wunschlisten“ sollten allerdings spezifisch, sinnvoll und realistischbleiben; man kann sich hier schließlich arg austoben und wunderbar Pro-file zurechtzimmern, die niemand wirklich auszufüllen vermag. Leider einTrend. Weniger ist mehr; und die Bezogenheit auf ein bestimmtes Berufs-

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oder Positionsprofil sollte immer gegeben sein, damit die Relation gege-ben ist.

Wie bemisst und bewertet man schließlich beispielsweise „freundlichesund sicheres Auftreten“? Oder „Risikobereitschaft“? Derartige „Skills“besitzen nur eine Aussagekraft, wenn sie in Relation zu etwas stehen.Hier muss man aufpassen, dass man sich nicht verplant oder verrennt.Abbildung 3 zeigt eine (leider!) typische Aufstellung eines persönlichen(und wie ich eben finde, mit 19 „Kompetenzfeldern“ (Achsen) in zweinahezu fast vollständigen ausgefüllten Ebenen bereits arg überladenen)Skill-Sets:

Abb. 3: Persönliche Skills – beispiel-hafte Matrix

Ein weiteres Beispiel (Abbildung 4) zeigt die allgemeinen Kompetenzenauf; dies mag genügen, um diese Vorgehensweise vorzustellen, die sooder so ähnlich in vielen Unternehmen vorzufinden ist.

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Abb. 4: Beispiel eines Orientierungsprofils „Allgemeine Kompetenzen“

Diese Beispiele sind natürlich stark verfremdet und entkernt und dienenhier nur der Veranschaulichung. Derartige Modelle werden am bestenvöllig neu und individuell von Anfang an neu aufgebaut und fortentwickelt.

Wenn man sich ganz auf dieses System einlässt, können diese Grafikennatürlich im Zuge von Zielvereinbarungen und Personalentwicklungsplä-nen individuell dargestellt werden und auch für eine Selbsteinschätzung(vor und nach einem Training) genutzt werden. Ansonsten dienen sie derDefintion und Bebilderung von Lernbedarfen und zu entwickelnden Skill-Sets im Rahmen einer Aus- und Weiterbildungsstrategie. Und natürlichfür die Beschreibungen von Anforderungen bei Job-Profilen, wo sie auchfür das Recruiting benutzt werden können.

Wer mit diesen Kompetenzfeldern umgehen kann, eine effiziente grafi-schen Darstellung mit einer guten Übersicht der Knackpunkte mit in einBewerbungsgespräch mitnimmt, und die „Appreciative Enquiry“beherrscht, wird die vielen typischen Fehler in Einstellungsgesprächenvermeiden können. Vor allem wird man damit die Fragestellung immer

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auf die Kompetenzen und Erfahrungen ausrichten können, auf Verhal-tensweisen und Einstellungen und Werte. Ein eigener Themenkomplexsicherlich; doch mit der hier beschriebenen Hilfestellung können auch inBewerbungsgesprächen unerfahrene Führungskräfte einiges an Effizienzzulegen.

Derartige „Zielscheiben“ oder Kompetenzprofile können natürlich auch füreinzelne Trainings entwickelt werden, um das Niveau und die Intensitäteinzelner Inhaltsblocks zu dokumentieren, bspw. für ein Briefing einesTrainers oder für eine Lernerfolgskontrolle. Auch in einem Tiefeninterviewim Rahmen einer Lernbedarfsklärung kann eine derartige Grafik natürlichzur Standortbestimmung oder der Selbsteinschätzung eines Lernpfadeseingesetzt werden.

Beim Recruiting spielen derartige Profile eine wichtige Rolle, aber nichtnur im Einzelgespräch, sondern im Rahmen einer Recruiting-Strategie,vor allem wenn die Firmenstrategie volatil ist, und man flexible Mitarbeiterbraucht, die sich in verschiedene Richtungen entwickeln lassen (re-skil-ling). Verschiedene Profile erleichtern den Überblick dann enorm. DerZusammenhang einer HR-Strategie mit der Lernbedarfsanalyse wird hierdeutlich, vor allem, wenn es zu Change-Management-Initiativen im Rah-men einer Strategieänderung oder eines Mergers kommt.

Gerade bei kleineren Mittelständlern sind solche Profile sinnvoll, umbestimmte Schlüsselpositionen so besetzen zu können, dass Stelleninha-ber definiert und identifiziert werden können, die durchaus auch fürandere Aufgabenstellungen geeignet sind. Während dies natürlich immerin einem gewissen Kompromiss mündet, schafft es eine Sicherheit fürdas Unternehmen und den oder die Stelleninhaberin, dass die Employa-bility so hoch wie möglich ist. Und bei genau definierten und festgelegtenStellen schafft es dieses Modell besser als ein Assessment-Center, dafürSorge zu tragen, dass die Stelle gut besetzt werden kann, und sei es,weil nach dem Modell derjenige Bewerber zum Zuge kommt, der sich ambesten entwickeln lässt. Gesucht werden jedoch häufig die Personen, dieschon so entwickelt sind; doch wofür so viele Kröten schlucken, um danndoch letztlich große Kompromisse machen zu müssen? Im Zeitalter desFachkräftemangels und der massenhaften Bewerber, von denen manch-mal auf Anhieb niemand für eine Stelle geeignet scheint, ein Vorgehen,das schnell Ergebnisse bringt.

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Kompetenzräder oder -grids sind für die Analyse und Dokumentation vonLernbedürfnissen und für die Personalentwicklung ein ideales Instrument.Sie sind die Basis, um systematisch aus Fehlentwicklungen herausgegensteuern zu können. Nur wer Lern- und Kompetenzdefizite systema-tisch und flächendeckend angeht, wird entsprechend neue Verhaltens-weisen in der Organisation erzielen können, die die Performance verbes-sern (Robbins 2002). Während im Single Loop Learning eben nur dieErfahrung und Aktion des Einzelnen zählt, bestenfalls Prozesse ange-passt werden, kommt dem Double Loop Learning die Bedeutung der Ver-besserung der Gesamtorganisation zu, indem entsprechend Systeme,Prozesse und Standards laufend verbessert und angepasst werden(Robbins 2002).

Fazit: Kompetenzräder sind eine sehr ausgereifte Analyseform einesLernbedarfs und ein grundlegendes Werkzeug der Personalentwicklung.

8 Lernbedarfsanalyse: Zusammenfassung

Zusammenfassend kann man sagen, dass Training und Weiterentwick-lung, was die Ermittlung und Umsetzung der Lernbedürfnisse angeht, invielen Firmen nach wie vor ein Schattendasein führen, nur punktuell gutgeplant sind, und in vielen Fällen eher chaotisch oder zumindest unge-plant verlaufen. Die Lernbedürfnisse werden nicht erfasst, und die Lern-erfolge ebenfalls nicht analysiert.

Von der Welt der „Lernenden Organisation“ eines Peter Senge sind wirhäufig weit entfernt, nicht zuletzt auch, weil die Personalentwickler zuwenig Beachtung finden und zu wenig Mittel bekommen, um ihren Jobordentlich zu machen. Außerdem sehen sie sich einem zermürbendenKampf um die Daseinsberechtigung ausgesetzt; und wenn die Märktenach unten drehen, sind die wenigsten Unternehmen bereit, antizyklischvorzugehen und gerade jetzt zu qualifizieren, wo die Mitarbeiter auchmehr Zeit haben. Stattdessen werden die Budgets gekürzt oder dürfennicht abgerufen werden. Problem ist auch, dass die Unternehmenskulturnicht zu dieser Denkweise der lernenden Organisation passt. Fehlerzugeben oder Misserfolge einräumen zu können bspw. sind essenziellerBestandteil einer solchen Lernkultur! Man denke nur an die Probleme imklinischen Bereich bei der Umsetzung der Fehleranalysen bei Arztfehlernund Hygiene. Abgesehen davon wird selbst bei einem Peter Senge dasThema Lernbedarfsanalyse merkwürdig kurz und rudimentär abgehan-

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delt. Er, wie so viele andere Autoren, setzt eben voraus, dass dieserBereich immer schon funktioniert; leider ist genau dies eben nicht derFall.

Wie also kann man es besser machen? Nun, die Lernbedarfsanalyse istfür mich Teil eines Vierklangs:1. Lernbedarf,

2. Design des Trainings,

3. Lernerfolgs- und Umsetzungskontrolle,

4. Wertschöpfungsanalyse, ROI– Analyse.

Mit ihr fängt alles an. Doch es hört mit ihr nicht auf! Man muss den Kreismehrere Male durchlaufen, im Sinne eines kontinuierlichen Verbesse-rungsprozesses.

In der Zusammenfassung umfasst eine Lernbedarfsanalyse den folgen-den Zyklus:1. Lernbedarf durch Interview, Fragebogen, Assessments, Beobachtung

oder durch Kompetenzprofile festlegen. Nehmen Sie sich Zeit; oft wis-sen die potenziellen Trainingsteilnehmer selbst nicht genau, welcheWissenslücken vorhanden sind. Alleine aus diesem Grund ist die wie-derholte Analyse, gekoppelt mit einer Lernerfolgskontrolle, so wichtig.

2. Entwicklung und Lernbedarf in Übereinstimmung bringen und sequen-zieren.

3. Idealerweise an vorhandene Instrumente der Personalentwicklungkoppeln sowie

4. mit der Unternehmenskultur und Trainingsstrategie in Einklangbringen.

5. Inhalte und Lernziele definieren. Lernziele, Lerntempo und Inhaltefestlegen und mit geeigneten Methoden entwickeln.

6. Entsprechende Aus- und Weiterbildung entwickeln und ausrollen.Pilotieren Sie; entwickeln Sie ein Mastertraining und korrigieren SieFehlstellungen, bevor der Rollout des Masters weitergeht. Testen Siemindestens zwei Mal!

7. Die Trainingsmaßnahme nach (bei längeren Phasen während) demRollout überprüfen. (Kontext, Inhalte, Anwendung). Diesen Schrittdurchaus vertiefen!

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8. Lernerfolgskontrolle, Umsetzung, Anwendung und Wissenstransferanalysieren. Zurück zu Schritt 1 oder

9. Umsetzung und deren Rückwirkung auf die Organisation prüfen.

10.Fortschreibung der Lernziele, Anpassung der Trainings, Weiterent-wicklung der Kompetenzprofile.

11.Ggf. Analyse des ROI von Training.

12.Ggf. Anpassung der Trainings- und Strategieprozesse.

13.Zurück zu Schritt 1!

Lernbedarfsanalyse und Lernerfolgskontrolle gehören demnach zusam-men und sind gemeinsam ein Zyklus eines kontinuierlichen Selbstverge-wisserungs- und Verbesserungsprozesses. In einem laufenden oder wie-derkehrenden Programm ist eine gut gemachte Lernerfolgskontrolle einguter Einstieg; bei neuen Maßnahmen und in der Entwicklung neuer Trai-nings ist eine sorgfältige Lernbedarfsanalyse, gefolgt von einem gutenEntwicklungsprozess, der Ansatz der Wahl.

Lernziele und Kompetenzprofile sind keine statischen Dinge; sie müssenim Zuge der dynamischen Entwicklung von Personal normalerweise lau-fend angepasst werden und sind daher auch ein Instrument des ange-wandten Change Managements. Andersherum gewendet: Wer derartigeProfile zu sehr ausdifferenziert und definiert, sie quasi in Stein meißelt,der wird sich später schwer tun, wenn sich später Arbeitsschwerpunkteoder Skill-Sets ändern sollten und die Profile weiterentwickelt werdenmüssen, und sei es seitwärts. Daher ist es ratsam, Kernkompetenzenund ausführende Kompetenzen bzw. Fähigkeiten oder „Skills“ sauber zutrennen und flexibel zu halten. Wie gesagt, dies dient der Flexibilität derBelegschaft und der Employability. Dabei wäre es wichtig, Werte undIntegrität in der Führung den Kernkompetenzen zuzuordnen. Hier ist eherkeine Flexibilität erwünscht. Wer eine Unternehmenskultur formen will,muss darauf achten, dass die Kernkompetenzen der Belegschaft – vor-handene und neu einzustellende – hierzu passen und kongruent sind.

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