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Barbara Suppé

FBL Klein-Vogelbach

Functional Kinetics: Die Grundlagen

Bewegungsanalyse

Untersuchung

Behandlung

Herausgegeben von

Irene Spirgi-Gantert und Barbara Suppé

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Barbara Suppé

FBL Klein-VogelbachFunctional Kinetics: Die Grundlagen5 Bewegungsanalyse5 Untersuchung5 Behandlung

Mit einem Geleitwort von Mechthild Dölken

In Zusammenarbeit mit Salah Bacha, Matthias Bongartz und Tiziana Grillo Juszczak

6. Aufl age

Mit 152 Abbildungen, davon 133 in Farbe

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Herausgeberin

Irene Spirgi-Gantert Haasenbergstrasse 66044 UdligenswilSchweiz

Herausgeberin

und Autorin

Barbara SuppéSchule für Physiotherapie an der Stiftung Orthopädische UniversitätsklinikSchlierbacher Landstr. 200a69118 Heidelberg

Susanne Klein-Vogelbach † Georg und Susanne Klein-Vogelbach-StiftungWiesenthalstr. 1267000 ChurSchweiz

ISBN-13 978-3-540-29874-8 Springer Medizin Verlag Heidelberg

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Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch, bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestim-mungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zuläs-sig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.

Springer Medizin Verlag.

springer.de

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Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit über-prüft werden.

Planung: Marga Botsch, Heidelberg Projektmanagement: Claudia Bauer, HeidelbergLektorat: Kristina Jansen, HeidelbergSatz : medionet AG, Berlin Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin SPIN 11551379Gedruckt auf säurefreiem Papier 22/2122/cb – 5 4 3 2 1 0

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V

Geleitwort

Bewegung und Bewegungsverhalten sind für jeden Menschen individuell. Sie werden von der Leistungs-fähigkeit und –bereitschaft sowie dem Trainingszustand des Bewegungssystems geprägt. Bewegungsfä-higkeit ist die Voraussetzung für die Kontaktaufnahme des Menschen mit seiner Umwelt. Bewegungs-verhalten ist auch ein Ausdruck der Körpersprache. Verminderte Bewegungsfähigkeit behindert den Körperausdruck des Menschen. Die Analyse von Bewegung ist eines der berufsspezifi schen Merkmale der Physiotherapie. Eine fundierte analytische Denkweise gilt es vom ersten Tag der Ausbildung zum Physiotherapeuten gezielt zu fördern.

Das Buch »FBL Klein-Vogelbach Functional Kinetics: Die Grundlagen« liefert den lernenden Phy-siotherapeuten ideale Voraussetzungen, diese theoriegeleitete Praxis mit all ihren Facetten zu begreifen und gezielt anzuwenden. Das Konzept der Funktionellen Bewegungslehre, das Susanne Klein–Vogel-bach uns hinterlassen hat, wird in seiner Genauigkeit bei der Anleitung zur Beobachtung, Analyse und Vermittlung von Bewegung bisher von keinem anderen Konzept übertroff en. Die Begriff e, die sie dafür geprägt und defi niert hat, sind mittlerweile zum großen Teil üblicher physiotherapeutischer Sprachge-brauch. Dennoch ist es sehr zu begrüßen, dass die Autorinnen und Herausgeberinnen dieses Buches auf eine gut verständliche Sprache achten und ihre Vorgehensweisen in international anerkannte Modelle einbinden, wie z.B. die Untersuchung auf der Grundlage der ICF (WHO 2001).

Klares professionelles Selbstverständnis bezüglich der Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen des Berufes kann sich nur mit einheitlicher und gemeinsamer Sprache und Denkweise entwickeln; sonst besteht die Gefahr, dass sich einzelne Methoden so weit verselbstständigen, dass das berufl iche Selbst-verständnis als Physiotherapeut/in verloren geht und an seine Stelle ein konzeptgebundenes Selbstver-ständnis als »FBL–Th erapeut«, »Manualtherapeut« oder »PNF–Th erapeut« o.ä. tritt. Es ist aber gerade die gebündelte Kraft der gesamten Berufsgruppe, die die Physiotherapie in Deutschland vorantreibt und dem Berufsbild zunehmend den Stellenwert verschafft , den unsere anspruchsvolle Arbeit verdient.

In der Physiotherapie zeichnen sich als stetiger Trend immer weiter steigende Anforderungen und eine veränderte Wahrnehmung des Berufes ab. Die Ausbildung soll zur wissenschaft lichen Denkweise befähigen. Praktische Physiotherapie ist als angewandte Wissenschaft zu verstehen. Die Anhebung der Ausbildung auf Fachhochschulniveau ermöglicht, dass Praktiker mit den erforderlichen Qualifi kationen versehen werden, um auf einem europäischen Arbeits- und Bildungsmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Auch die sehr gute praxisorientierte Ausbildung in Deutschland braucht sich im europäischen Vergleich nicht zu verstecken. Ich halte das Buch für besonders geeignet, den Weg zur zunehmenden Professiona-lisierung zu begleiten.

Ich würde mir wünschen, dass sich das vorliegende Buch als Grundlagenwerk in der Ausbildung zum Physiotherapeuten etabliert und ich hoff e, dass sich sehr viele Leserinnen und Leser auf den anspruchs-vollen, aber auch sehr spannendem Weg begeben, ihre analytische Denkweise zu schulen und damit die Voraussetzungen für eine individuell angepasste Untersuchung und Behandlung ihrer Patienten erfül-len. Dieses Buch hilft Ihnen dabei!Im November 2006 Mechthild Dölken

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VII

Vorwort

Die Physiotherapie hat sich in den letzten Jahren stark verändert, und es ist heute besonders wichtig, auf die steigenden Ansprüche an die Aus- und Weiterbildung zu reagieren. Seit der offi ziellen Einführung der ICF im Mai 2001 wird in vielen Institutionen an der Umsetzung der Vorgaben gearbeitet. Die ICF stellt jedoch im Wesentlichen ein Konstrukt dar und ist für den alltäglichen Einsatz nicht direkt zu gebrauchen. Wir, die Instruktoren der FBL Functional Kinetics, haben uns jedoch entschlossen, mit dem Grundlagenbuch die-sem Denkansatz zu folgen. Das wird vor allem beim 7 Kapitel 3, »Untersuchung« und den 7 Kapiteln 9 bis 11 mit den »Fallbeispielen« deutlich.

Das Buch wendet sich vor allem an Schüler der Physiotherapieausbildung. Es ist ein Lehrbuch und Nachschlagewerk, mit dessen Hilfe Th emen selbständig erarbeitet werden können. Lehrern dient es als Nachschlagewerk und als Hilfe, den Unterricht in FBL Functional Kinetics zu strukturieren. Ausgebildeten Th erapeuten ermöglicht es, ihr Verständnis von funktionellen Zusammenhängen bei der Analyse von Hal-tung und Bewegung aufzufrischen oder zu ergänzen.

Das Buch gliedert sich in 4 Rubriken: Grundlagen, Untersuchung, Behandlung, Fallbeispiele.Im 7 Kapitel 1 werden die Begriff e erläutert, die in der FBL Functional Kinetics häufi g verwendet wer-den und die die Grundlage zum Verständnis der Bewegungsanalyse darstellen.7 Kapitel 2 widmet sich der Analyse von Haltung und Bewegung. Mit Hilfe defi nierter Beobachtungs-kriterien fällt es Ihnen leichter, muskuläre Aktivitäten, Gleichgewichtsreaktionen oder myofasziale Systeme zu verstehen. 7 Kapitel 3 erläutert die Untersuchung auf Grundlage der ICF.Im 7 Kapitel 4 geht es um die Planung der Th erapie.7 Kapitel 5 erläutert die Grundlagen des motorischen Lernens.Im 7 Kapitel 6 wird die Bedeutung des Instruktionsverhaltens beschrieben.Eine Einführung in die therapeutischen Übungen fi nden Sie im 7 Kapitel 7 Das 7 Kapitel 8 widmet sich den BehandlungstechnikenUnd in den 7 Kapiteln 9 bis 11 bekommen Sie anhand von 3 Fallbeispielen einen Einblick in die funk-tionelle Untersuchung, das Dokumentationsschema und Behandlungsvorschläge in der praktischen Anwendung.

Ein ausführliches Literaturverzeichnis gibt Ihnen Hinweise auf weiterführende Literatur.Mein aufrichtiger Dank gilt Matthias Bongartz und Salah Bacha für die intensive Zusammenarbeit und

die Inspiration. Beide waren maßgeblich an der Neugestaltung dieses Buches beteiligt. Günter Suppé und Stefan Suppé danke ich für das kritische Lesen meiner Texte. Markus Zidek danke ich herzlich für die hilf-reichen Kommentare und Ergänzungen zum Motorischen Lernen. Tina Jansen war immer zur Stelle und hat geduldig manche Stunde mit mir an den »aller-allerletzten« Endfassungen gearbeitet. Herrn Mönnich danke ich für die Fotos und Herrn Hippmann für die Zeichnungen und natürlich Frau Botsch für Ihre Geduld mit mir. Ein besonderer Dank gilt den Schülerinnen der Heidelberger Physiotherapieschule, die für die Fotos unermüdlich Modell gestanden haben.

Heidelberg im November 2006 Barbara Suppé

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IX

Inhaltsverzeichnis

1 Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.1 Ebenen und Achsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.1.1 Frontalebenen und sagittotransversale Achsen . . . . . 31.1.2 Sagittalebenen und frontotransversale Achsen . . . . . 41.1.3 Transversalebenen und frontosagittale Achsen . . . . . 41.2 Richtung der Distanzpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.2.1 In der Frontalebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.2.2 In der Sagittalebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.2.3 In der Transversalebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.3 Bewegungskomponenten des Hüftgelenks. . . . . . . . 61.4 Bewegungskomponenten des Schultergelenks . . . . . 91.5 Bewegungskomponenten des Schultergürtels. . . . . . 111.6 Bewegungskomponenten der Wirbelsäule . . . . . . . . 121.7 Bewegungen der distalen Extremitätengelenke

und der Kiefergelenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141.7.1 Untere Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141.7.2 Obere Extremität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.7.3 Kiefergelenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2 Bewegungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.1 Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2.2 Weiterlaufende Bewegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 262.3 Begrenzung der weiterlaufenden Bewegungen . . . . . 282.3.1 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch

Gegenaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.3.2 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch

Gegenbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.4 Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292.4.1 Unterstützungsfl äche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302.4.2 Körperschwerpunkt und Trennebene. . . . . . . . . . . . 312.4.3 Gleichgewichtslage des Körpers . . . . . . . . . . . . . . . 322.4.4 Gleichgewichtsreaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342.5 Muskuläre Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.5.1 Lage zum Drehpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.5.2 Aktive und passive Insuffi zienzen . . . . . . . . . . . . . . 382.5.3 Einfl uss der Schwerkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412.5.4 Kontakt mit der Umwelt/Aktivitätszustände . . . . . . . 432.6 Myofasziale Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492.6.1 Plastizität der Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492.6.2 Muskelfähigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502.6.3 Klinische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

3 Untersuchung auf Grundlage der ICF. . . . . . . 55

3.1 Ärztliche Diagnose, die zur Verordnung der Physiotherapie geführt hat. . . . . . . . . . . . . . . . 56

3.2 Beurteilung der Kondition in Bezug auf das reale Lebensalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

3.3 Beurteilung der Muskulatur in Bezug auf ihren Trainingszustand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

3.4 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573.4.1 Schmerzanamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573.5 ICF als Grundlage der Untersuchung . . . . . . . . . . . . 583.6 Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593.7 Kontextfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593.7.1 Umweltfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603.7.2 Personenbezogene Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 603.8 Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613.8.1 ADL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613.8.2 Sitzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613.8.3 Bücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623.8.4 Gehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643.8.5 Funktionelle Fehlatmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723.9 Struktur und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723.9.1 Konstitution. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723.9.2 Statik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783.9.3 Gelenkbeweglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893.9.4 Untersuchung des Bewegungsverhaltens der einzelnen

Körperabschnitte und der Körperlängsachse . . . . . . . 95

4 Planung der Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . 111

4.1 Zielformulierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1124.2 Behandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1144.3 Intervention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1154.3.1 Zugrunde liegende Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . 115

5 Motorisches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

5.1 Historische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1185.2 Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1185.2.1 Begriff e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1185.2.2 Motorisches Lernen als Prozess . . . . . . . . . . . . . . . 1195.2.3 Lernphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1205.3 Lernbeeinfl ussende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 1215.3.1 Sensorische Modalitäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1215.3.2 Zielbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1215.3.3 Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1225.3.4 Mentales Üben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1235.3.5 Vorzeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1235.3.6 Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1245.3.7 Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1245.4 Physisches Üben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1255.4.1 Bedeutung des physischen Übens . . . . . . . . . . . . . 1255.4.2 Variieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1255.4.3 Repetieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1265.4.4 Segmentieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

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InhaltsverzeichnisX

6 Instruktionsverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . 127

6.1 Orientierung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1296.1.1 Sich am eigenen Körper orientieren . . . . . . . . . . . . 1306.1.2 Sich im Raum orientieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1316.1.3 Sich vom eigenen Körper aus orientieren . . . . . . . . . 1326.2 Motivation fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1326.3 Zielorientiert handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1326.4 Prozessorientiert handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

7 Therapeutische Übungen . . . . . . . . . . . . . . 135

7.1 Selektives Muskeltraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1367.2 Analysenkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1367.2.1 »Klötzchen-Spiel« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1377.3 Hubfreie Mobilisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

8 Behandlungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . 143

8.1 Widerlagernde Mobilisation . . . . . . . . . . . . . . . . . 1448.1.1 Das Prinzip der widerlagernden Mobilisation. . . . . . . 1458.2 Mobilisierende Massage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1468.2.1 Das Prinzip der mobilisierenden Massage . . . . . . . . . 146

9 Fallbeispiel: Lumboischialgie . . . . . . . . . . . . 149

10 Fallbeispiel: Ischialgie . . . . . . . . . . . . . . . . 157

11 Fallbeispiel: Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

12 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

13 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

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XI

Glossar

A

Achsen Bewegungsachsen werden durch die Schnittli-nien von zwei Ebenen gebildet, die ihnen den Namen ge-ben. Man unterscheidet frontosagittale, frontotransversale und sagittotransversale Achsen.

Aktivitätszustände Muskuläre Aktivitäten sind abhängig von der Position des Körpers im Raum und vom Kontakt des Körpers mit der Umwelt. Mit Hilfe von bildhaft en Be-griff en soll dem Th erapeuten die Analyse der Muskelar-beit erleichtert werden. Man unterscheidet: Spielfunktion, Stütz- und Abstützaktivität, Parkierfunktion, Hängeakti-vität und Brückenaktivität.

Analysenkonzept Das Analysenkonzept ist ein Hilfs-mittel zum besseren Verständnis der therapeutischen Übung.

B

Bücktypen Je nach Neigung der Körperlängsachse beim Bücken unterscheidet man den vertikalen, horizontalen und neutralen Bücktyp.

Beobachtungskriterium Ein Beobachtungskriterium ist ein Merkmal, das durch planmäßiges Beobachten und Palpieren des Körpers gefunden wurde und der Unter-scheidung von »normal« und »pathologisch« dient.

Bedingungen Der Mensch hat oft mehrere Möglichkeiten, einen Bewegungsauft rag auszuführen. Der Th erapeut for-muliert den Auft rag und stellt gleichzeitig Bedingungen, die die Auswahl der Bewegungsmöglichkeiten begrenzen

D

Distanzpunkt (DP) Ein Distanzpunkt ist ein beobacht-barer Punkt am Körper, der eine möglichst große Distanz zum Drehpunkt hat. Distanzpunkte dienen dem Th era-peuten zur Analyse und Instruktion von Bewegung und

sind damit auch für den Patienten eine große Wahrneh-mungshilfe.

Drehpunkt In der Bewegungsanalyse interessiert das Ge-lenk als Ort, an dem Bewegungen innerhalb des Körpers stattfi nden. Die Bezeichnungen Drehpunkt, Schaltstelle der Bewegung und Bewegungsniveau weisen auf den Unter-schied zum etablierten anatomischen Gelenkbegriff hin.

E

Ebenen Die drei Körperebenen heißen: Frontalebene, Sa-gittalebene und Transversalebene. Senkrecht auf den Kör-perebenen stehen die Bewegungsachsen.

F

Funktionelles Problem Aus den gesammelten Einzel-ergebnissen der Untersuchung leitet der Th erapeut das funktionelle Problem ab. Die Störung auf der Ebene der Aktivität (Funktionsstörung) lenkt den Th erapeuten bei der Erstellung der Arbeitshypothese.

G

Gleichgewichtsreaktionen Sobald eine Gewichtsver-schiebung horizontale Richtungskomponenten enthält, löst sie automatische, leicht beobachtbare Gleichgewichts-reaktionen aus. Man unterscheidet: Veränderung der Un-terstützungsfl äche und Einsetzen von Gegengewichten.

H

Hypothetische Norm Die hypothetische Norm ist eine Idealvorstellung von Haltung und Bewegung. Sie ist ein Leitbild mit dessen Hilfe Abweichungen leicht identifi -ziert werden können.

Hubbelastung Als Hub wird die senkrechte Bewegung eines Objekts nach oben und unten bezeichnet. Je nach

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GlossarXII

Positionierung des Muskels/Gelenks zur Schwerkraft , kann der Muskel demnach Gewichte heben und senken. Wenn die Bewegungsachse und der Lastarm horizontal stehen, ist die Hubbelastung maximal. Steht die Bewe-gungsachse vertikal und die die Bewegungen fi nden auf horizontalen Ebenen statt, spricht man von »hubfreier« Bewegung.

K

Körperabschnitt (KA) Jeder Körperabschnitt bildet eine funktionelle Einheit mit typischen Eigenschaft en und Auf-gaben im Bewegungsverhalten und steht in enger Wech-selbeziehung mit seinen benachbarten Körperabschnit-ten. Es gibt fünf Körperabschnitte: KA Beine, KA Becken, KA Brustkorb, KA Kopf, KA Arme.

Körperlängsachse (KLA) Die virtuelle Körperlängsachse verläuft in enger Beziehung zur Wirbelsäule und existiert nur, wenn sich die Wirbelsäule in ihrer Nullstellung be-fi ndet und die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf übereinander eingeordnet sind. Sie ist die Schnittli-nie zwischen Symmetrieebene und mittlerer Frontalebe-ne.

Kondition Unter Kondition wird beurteilt, welchen Ein-fl uss die soziale Stellung, die psychische Situation und der somatische Zustand des Patienten auf sein Bewegungsver-halten ausüben.

Konstitution Unter Konstitution wird der Einfl uss beur-teilt, den Längen, Breiten, Tiefen und die Gewichtsvertei-lung innerhalb des Körpers auf das Bewegungsverhalten des Patienten ausüben.

kritischer Distanzpunkt (kDP) Wenn der Th erapeut ei-ne weiterlaufende Bewegung veranlassen will, muss er zur Instruktion den Punkt am Körper des Patienten fi nden, dessen räumlicher Weg die weiterlaufende Bewegung ein-deutig veranlasst. Dieser Punkt wird als »kritischer Dis-tanzpunkt« bezeichnet.

P

Primärbewegung Die Primärbewegung ist ein Teil der Instruktion und der Teil eines Bewegungsablaufs, der be-

wusst instruiert und ausgeführt wird. Sie hat weiterlaufen-de Bewegungen und spontane Gleichgewichtsreaktionen zur Folge.

R

Reaktive Hyperaktivität Reaktive Hyperaktivität ist die normale Reaktion gesunder Muskulatur auf eine schlech-te Haltung.

S

Schubbelastungen Wenn bei einer schlechten Haltung die Gewichte nicht mehr gehalten werden können, wer-den passive Strukturen zur Bewahrung der Haltung bean-sprucht, die jedoch für diese Aufgabe nicht geeignet sind. Es entstehen Schubbelastungen.

Statik Unter dem Gesichtspunkt Statik wird die Haltung des Patienten und ihr Einfl uss auf das Bewegungssystem in Form von Belastung beurteilt.

T

Trennebene Die Trennebene ist eine gedachte senkrechte Verbindungslinie durch den Körper zur Unterstützungs-fl äche und erleichtert die Analyse von Gewichtsverschie-bungen/Gleichgewichtsreaktionen. In der Trennebene liegt der Körperschwerpunkt.

W

Weiterlaufende Bewegung (WB) Wenn ein beliebiger Punkt des Körpers durch einen Bewegungsimpuls in eine bestimmte Richtung geleitet wird und in den benachbar-ten Gelenken Bewegungsausschläge stattfi nden, die der Verwirklichung dieser gerichteten Bewegung dienen, ent-steht eine weiterlaufende Bewegung.

Widerlagerung Das Begrenzen einer weiterlaufenden Bewegung in einem bestimmten Drehpunkt nennt man Widerlagerung. Man unterscheidet aktive Widerlagerung durch Gegenaktivität und durch Gegenbewegungen.

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Allgemeine Grundlagen

1.1 Ebenen und Achsen – 21.1.1 Frontalebenen und sagittotransversale

Achsen – 31.1.2 Sagittalebenen und frontotransversale

Achsen – 41.1.3 Transversalebenen und frontosagittale

Achsen – 4

1.2 Richtung der Distanzpunkte – 51.2.1 In der Frontalebene – 51.2.2 In der Sagittalebene – 51.2.3 In der Transversalebene – 6

1.3 Bewegungskomponenten des Hüftgelenks – 6

1.4 Bewegungskomponenten des Schultergelenks – 9

1.5 Bewegungskomponenten des Schultergürtels – 11

1.6 Bewegungskomponenten der Wirbelsäule – 12

1.7 Bewegungen der distalen Extremitätengelenke und der Kiefergelenke – 14

1.7.1 Untere Extremität – 141.7.2 Obere Extremität – 161.7.3 Kiefergelenke – 18

1

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Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

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Zu den Aufgaben des Th erapeuten gehört es, Haltung und Bewegung zu analysieren, um ein funktionelles Problem zu erkennen und zu formulieren. Er muss eine als notwen-dig befundene Veränderung im Bewegungsverhalten des Patienten bewirken können, sei es durch »Be-Handlung«, durch didaktische Bewegungsschulung oder durch beides. Ohne Hilfsmittel, nur durch Beobachten und Betasten ver-sucht der Th erapeut, charakteristische Merkmale in der Vielfalt eines Bewegungsablaufs zu fi nden. Das angebo-rene Talent jedes Lebewesens, das »Normale« seiner Art erkennen und vom »Kranken« unterscheiden zu können, ist für den Th erapeuten eine gute Voraussetzung, um eine funktionelle Bewegungstherapie aufzubauen.

In diesem Sinne ist die FBL – Functional Kinetics nach Klein-Vogelbach ein Verfahren der unmittelbaren Bewegungsbeobachtung und ihrer Auswertung für die Th erapie. Dieses Vorgehen scheint einfach zu sein; das Komplizierte liegt in der hohen Diff erenzierung normaler Bewegung. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, und die Resultate können deshalb nie vollkommen sein.

Der Th erapeut benötigt ein vertieft es Fachwissen über Bau und Funktion des gesunden und des kranken menschlichen Körpers. Die therapeutische Konzeption muss dann aus der Diff erenzierung zwischen normalem und krankem Bewegungsverhalten bei jedem Patienten hervorgehen. So entsteht das Gerüst für den funktionellen Behandlungsplan.

Um Regeln und approximativ (annähernd) verglei-chende Aussagen über Haltungs- und Bewegungsbeob-achtung machen zu können, werden in der FBL allgemein anerkannte Bezeichnungen aus der Mathematik, Physik, Anatomie und Physiologie und zusätzlich bestimmte Ordnungsschemata und Beobachtungsraster benutzt. In diesem Kapitel werden die Begriff e erklärt, mit denen in der FBL gearbeitet wird.

1.1 Ebenen und Achsen

Nachfolgend wird das dreidimensionale Koordinaten-system für die Beobachtung dargestellt. (. Abb. 1.1) Die Kubusebenen werden auf den Menschen übertragen, damit sich der Th erapeut leichter orientieren kann. Die 3 Ebenen heißen:

Frontalebene, Sagittalebene, Transversalebene.

555

Abb. .. a Der Mensch im Kubus; Frontalebene, Sagittalebene, Transversalebene, b Achse und dazugehörige Ebene.

Wird kein spezieller Hinweis gegeben, steht der Mensch im Kubus aufrecht. Seine Gelenke befi nden sich in Null-stellung (Neutral-0-Methode nach Debrunner 1971). Die Achsen und Ebenen beziehen sich auf den Körper. Ändert der Körper seine Stellung im Raum, so ändert sich auch die Lage der Ebenen und Achsen im Raum.

Bewegungsachsen werden durch die Schnittlinien von 2 Ebenen gebildet, die ihnen den Namen geben. Es kön-nen folgende Achsen bestimmt werden:

frontosagittale Achsen,5

a

b

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11.1 · Ebenen und Achsen

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sagittotransversale Achsen, frontotransversale Achsen.

Im Folgenden werden die Körperebenen und die Bewe-gungen um die dazugehörigen Bewegungsachsen beschrie-ben. Die Normwerte der Gelenkbeweglichkeit sind nach Debrunner notiert. Die Angaben in Klammern beziehen sich auf maximale Varianten im Rahmen der Norm. Da in den distalen Gelenken die Stellung der Bewegungsachsen von der Einstellung der proximalen Extremitätengelenke abhängig ist, werden diese Bewegungen im 7 Kap. 1.3 separat vorgestellt.

1.1.1 Frontalebenen und sagittotransversale Achsen

Die vordere und hintere Begrenzung des Körpers mar-kiert die äußeren Frontalebenen. Zwischen diesen Ebe-nen lassen sich beliebig viele parallele Ebenen legen, von denen jede den Körper in einen ventralen (»zum Bauch gehörenden«) und dorsalen (»zum Rücken gehörenden«) Abschnitt teilt (. Abb. 1.2). Die Bezeichnungen ventral und dorsal gebraucht der Th erapeut, um die Lage von

55

Körperteilen und die Gelenkbewegungen genau zu kenn-zeichnen.

Die mittlere Frontalebene geht durch die Mitte des Akromions, der Schulter-, Hüft - und Kniegelenke und durch das obere Sprunggelenk. Sie teilt die Körperab-schnitte Becken, Brustkorb und Kopf in annähernd gleich große vordere und hintere Teile.

Klinische Relevanz: Bei der Beurteilung der Haltung im Stand ist die Vertei-lung der Gewichte in Bezug zur mittleren Frontalebene bedeutsam, weil eine ungleiche Verteilung die passiven Strukturen oder die Muskulatur übermäßig beanspru-chen kann.

Senkrecht auf den Frontalebenen stehen sagittotransver-sale Achsen (Schnittlinie von Sagittalebene und Transver-salebene). Mit Hilfe des sagittotransversalen Brustkorb-durchmessers (in Höhe Th 7) kann der Th erapeut Aussa-gen über die Brustkorbtiefe machen (. Abb. 1.3).

Klinische Relevanz:Ein kleiner sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser deutet auf einen thorakalen Flachrücken oder eine Trich-terbrust hin, während ein großer sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser einen Hinweis auf einen thora-kalen Rundrücken oder eine Inspirationsstellung des Brustkorbs gibt, wie z.B. beim Fassthorax. Dieser Durch-messer wird vom Patienten gut wahrgenommen und kann deshalb für die Instruktion von Bewegung genutzt werden.

>

>

Abb. .. Frontalebenen, in denen sich Unterschenkel, linker Un-terarm und rechter Arm bewegen können.

Abb. .. Sagittotransversaler Brust-korbdurchmesser in Höhe Th 7.

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1.1.2 Sagittalebenen und frontotransversale Achsen

Die rechte und linke seitliche Begrenzung des Körpers bilden die äußeren Sagittalebenen. Zwischen diese lassen sich beliebig viele parallele Ebenen legen, von denen jede den Körper in einen rechtslateralen und einen linkslate-ralen Abschnitt teilt. Die Bezeichnungen rechtslateral und linkslateral gebraucht der Th erapeut, um die Lage von Körperteilen und die Gelenkbewegungen genau zu kenn-zeichnen.

Die mittlere Sagittalebene wird auch als Symmetrie-ebene bezeichnet. Sie teilt den Körper in 2 genau gleich große Teile. (. Abb. 1.4)

Im Stand, Sitz oder Vierfüßlerstand stehen die Sagit-talebenen vertikal, in Seitlage stehen sie horizontal.

Senkrecht auf der Sagittalebene stehen frontotransver-sale Achsen (Schnittlinie von Frontalebene und Transver-salebene). Eine wichtige Achse und Orientierungspunkt ist der frontotransversale Brustkorbdurchmesser (in Höhe Th 7). Mit seiner Hilfe können Lage- und Haltungsver-änderungen des Körpers genau gekennzeichnet werden (. Abb. 1.5).

Abb. .. Sagittalebenen, in denen sich das linke Bein, der linke Arm und der rechte Unterarm bewegen lassen..

Abb. .. Frontotransver-saler Brustkorbdurchmesser in Höhe Th 7

.

Klinische Relevanz:Der frontotransversale Brustkorbdurchmesser kann von Patienten gut wahrgenommen werden und ist deshalb für die Instruktion von Wirbelsäulenbewegungen eine hilfreiche Orientierung.

1.1.3 Transversalebenen und frontosagittale Achsen

Die Stand- und Scheitelebene sind die obere und untere transversale Begrenzung. Zwischen diese Tangentialebe-nen lassen sich beliebig viele parallele Ebenen legen, von denen jede den Körper in einen kranialen (»zum Kopf gehörenden«) und kaudalen (»zum Fuß gehörenden«) Abschnitt teilt. Die Bezeichnungen kranial und kaudal gebraucht der Th erapeut, um die Lage von Körpertei-len und die Gelenkbewegungen genau zu benennen (. Abb. 1.6).

>

Abb. .. Transversalebenen, in denen sich der rechte Unterschen-kel, linkes Hüft- und Kniegelenk, linker Unterarm und rechter Arm be-wegen lassen.

.

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11.2 · Richtung der Distanzpunkte

5

Im Stand liegen die Transversalebenen horizontal, in Seitlage, Rückenlage oder Bauchlage stehen die Transver-salebenen vertikal.

Senkrecht auf den transversalen Ebenen stehen fronto-sagittale Achsen (Schnittlinie von Sagittalebene und Fron-talebene). Eine wichtige frontosagittale Orientierungslinie ist die Körperlängsachse.

Defi nitionDie Körperlängsachse steht in aufrechter Haltung ver-tikal und verläuft in enger Beziehung zur Wirbelsäule. Sie ist eine virtuelle (gedachte) Achse, die im beweg-lichen System des menschlichen Körpers nur existiert, wenn sich die Wirbelsäule in ihrer Nullstellung befi ndet und die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in eine gemeinsame Achse eingeordnet sind.

1.2 Richtung der Distanzpunkte

Da die Nomenklatur für Bewegungen sehr unterschied-lich ist, benötigt der Th erapeut für die Kommunikation eine unabhängige Beschreibung von Bewegung. Ermög-licht wird ihm dies durch die Beschreibungen der Rich-tungen der Distanzpunkte.

Defi nitionEin Distanzpunkt ist ein beobachtbarer Punkt am Körper, der eine große Distanz zum Drehpunkt hat. Er kann vom Patienten gut wahrgenommen werden und eignet sich deshalb besonders gut zur Instruk-tion von Bewegung.

1.2.1 In der Frontalebene

In der Frontalebene bewegen sich die Distanzpunkte in folgende Richtungen:

kranial/kaudalmedial/lateral (. Abb. 1.7)

Daraus ergeben sich in den Gelenken folgende Bewe-gungskomponenten:

Hüft gelenk:Abduktion/AdduktionInnenrotation/Außenrotation bei 90° Hüft fl exionSchultergelenk:Abduktion/Adduktion

55

55

5

Innenrotation/Außenrotation bei 90° FlexionSchultergürtelgelenke:Elevation/DepressionKranialrotation/Kaudalrotation der Cavitas Glenoi-daleWirbelsäule:Lateralfl exion nach rechts/links

1.2.2 In der Sagittalebene

In der Sagittalebene bewegen sich die Distanzpunkte in folgende Richtungen:

ventral/dorsalkranial/kaudal (. Abb. 1.8)

Daraus ergeben sich in den Gelenken folgende Bewe-gungskomponenten:

5

55

5

55

Abb. .. Richtung der Distanzpunkte bei Bewegungen in der Frontalebene.

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Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

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Hüft gelenk: Flexion/ExtensionSchultergelenk: Flexion/ExtensionInnenrotation/Außenrotation bei 90° AbduktionSchultergürtelgelenke: Ventralrotation/DorsalrotationWirbelsäule: Flexion/Extension

1.2.3 In der Transversalebene

In der Transversalebene bewegen sich die Distanzpunkte in folgende Richtungen:

ventral/dorsalmedial/lateral (. Abb. 1.9)

Daraus ergeben sich in den Gelenken folgende Bewe-gungskomponenten:

Hüft gelenk: Innenrotation/AußenrotationTransversale Abduktion/-Adduktion (bei 90° Hüft -fl exion)Schultergelenk: Innenrotation/Außenrotation

5

55

5

5

55

55

5

Transversale Flexion/-Extension (bei 90° Abduktion)Schultergürtelgelenke: Protraktion/Retraktion (Schulterblattabduktion/-adduktion)Wirbelsäule: Rotation der Körperabschnitte Becken/Brustkorb/Kopf nach rechts/links

1.3 Bewegungskomponenten des Hüftgelenks

In der Frontalebene

HinweisAbduktion/Adduktion: 30 (50) – 0 – 20 (30)

Zur Beurteilung der Gelenkstellung bezieht man die Ver-bindungslinie der Spinae iliacae und die Oberschenkel-längsachse aufeinander, die in der Nullstellung einen 90°-Winkel bilden (. Abb. 1.10 a und b).

HinweisInnenrotation/Außenrotation: 30 (45) – 0 – 40 (50)

5

5

5

Abb. .. Richtung der Distanzpunkte bei Bewegungen in der Sa-gittalebene. Abb. .. Richtung der Distanzpunkte bei Bewegungen in der

Transversalebene.

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11.3 · Bewegungskomponenten des Hüftgelenks

7

Abb. .. a Abduktion des Beins (distaler Gelenkpartner) im lin-ken Hüftgelenk b Adduktion des Beckens (proximaler Gelenkpartner) im rechten Hüftgelenk und Abduktion des Beckens (proximaler Ge-lenkpartner) im linken Hüftgelenk

.

Zur Bestimmung der Rotationen im Hüft gelenk in der Frontalebene wird das Hüft gelenk 90° fl ektiert, und man bezieht die Verbindungslinie der Spinae iliacae auf den Unterschenkel, der im Kniegelenk 90° fl ektiert ist und somit als Zeiger dienen kann (. Abb. 1.11 a–c). In der Nullstellung stehen diese Verbindungslinien in einem rechten Winkel zueinander.

a

b

Abb. .. a Außenrotation der Beine im Hüftgelenk bei 90° Flexi-on b Innenrotation der Beine im Hüftgelenk bei 90° Flexion, c Außen-rotation des Beckens (proximaler Gelenkpartner) im linken Hüftgelenk und Abduktion des Beckens im rechten Hüftgelenk

.

a

b

c

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Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

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In der Sagittalebene

HinweisFlexion/Extension 120 – 0 – 15

Zur Beurteilung der Gelenkstellung nutzt man die wei-terlaufende Bewegung des Beckens auf die Wirbelsäule (siehe Th omas-Handgriff ) (Siehe S. 31, 97–98). Die Neu-tralstellung des Beckens ist defi niert als die Position, in der Symphyse und die SIAS in der gleichen Frontalebene stehen. Die Parallelverschiebung bis zur MFE (mittlere Frontalebene) bezeichnet man als die Beckenlängsachse. Man bezieht die Längsachse des Beckens und die Ober-schenkellängsachse aufeinander. . Abb. 1.12)

In der Transversalebene

HinweisInnenrotation/Außenrotation: 40 (50)–0–30 (40). Die Bewegungsachsen der Hüft gelenke für Innen- und

Außenrotation stehen in der anatomischen Nullstellung frontosagittal. Zur Bestimmung der Rotationen im Hüft-gelenk werden die Verbindungslinie der Spinae iliacae in Bezug zum Unterschenkel gebracht, der als Zeiger 90° fl ektiert ist (z.B. Ausgangsstellung Bauchlage). Dann bilden diese Verbindungslinien einen rechten Winkel (. Abb. 1.13).

HinweisTransversale Abduktion/transversale Adduktion: 60–0–30 (. Abb. 1.9b und c).

Bei 90° Flexion im Hüft gelenk fi nden um frontosagittale Achsen Bewegungen statt, die transversale Ab- und Adduk-tion heißen (. Abb. 1.14a). Zur Beurteilung der Gelenk-stellung bezieht man die Verbindungslinie der Spinae ili-acae und die Oberschenkellängsachse aufeinander, die in der Nullstellung einen rechten Winkel bilden. (. Abb. 1.14 b und c)

Abb. .. Flexion und Extension im Hüftgelenk.

Abb. .. Innenrotation/Außenrotation im Hüftgelenk.

30° 40°

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11.4 · Bewegungskomponenten des Schultergelenks

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In der ersten Phase fi ndet die Bewegung nur im Humeroskapulargelenk statt.Die zweite Phase beginnt ab 30–50°, und die Bewe-gung erfasst weiterlaufend die Skapula.In der dritten Phase werden die letzten 20° der Bewe-gung durch das Anheben des Brustkorbs und die Extension in der Brustwirbelsäule ermöglicht. Die Wirbelsäule bewegt sich extensorisch, und die Rippen werden angehoben.

Um die Bewegungen im Humeroskapulargelenk zu beur-teilen, dienen als Bezugspunkte die Margo medialis der Skapula und der Oberarm (. Abb. 1.15). Das gesamte Bewegungsausmaß von 180° kommt durch die weiterlau-fenden Bewegungen auf die Skapula und die Wirbelsäule zustande. (7 Kap. 4.4.3 – Untersuchung des Schulterge-lenks)

HinweisInnenrotation/Außenrotation bei 90° Flexion 90 – 0 – 10

Bei 90° Flexion im Schultergelenk fi nden die Rotationen in der Frontalebene statt. Als proximaler Rotationszeiger

5

5

5

a

Abb. .. a Transversale Abduktion/transversale Adduktion im Hüftgelenk; b transversale Abduktion im rechten Hüftgelenk und transversale Adduktion im linken Hüftgelenk des distalen Gelenkpart-ners; c transversale Adduktion im rechten Hüftgelenk und transversa-le Abduktion im linken Hüftgelenk des proximalen Gelenkpartners

.

1.4 Bewegungskomponenten des Schultergelenks

In der Frontalebene

HinweisAbduktion/Adduktion: 90 – 0 – 20 (40)

Das gesamte Bewegungsausmaß des Körperabschnitt Arme beträgt 180° und setzt sich aus 3 Phasen zusammen.

Abb. .. Abduktion des Arms im Humeroskapulargelenk bis 100°, mit weiterlaufenden Bewegungen auf die Skapula bis 160°, mit wei-terlaufenden Bewegungen auf die Wirbelsäule bis 180°

.

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wird die Längsachse der Klavikula oder die Spina scapu-lae betrachtet, und als distaler Rotationszeiger dient der Unterarm (. Abb. 1.16).

In der Sagittalebene

HinweisFlexion/Extension: 110–0–40.

Um die Gelenkstellung zu beurteilen, betrachtet man die Neigung der Skapula (in der Sagittalebene) in Bezug zum Oberarm. Das Gesamtbewegungsausmaß der Flexi-on beträgt 180° und setzt sich aus sehr früh beginnenden weiterlaufenden Bewegungen der Skapula und der Wir-belsäule zusammen (. Abb. 1.17).

HinweisInnenrotation/Außenrotation bei 90° Abduktion: 20–0–90.

Bei 90° Abduktion fi nden die Rotationen im Schulterge-lenk um frontotransversale Achsen statt (. Abb. 1.18). Man bezieht die Neigung der Skapula und den Zeiger Unterarm aufeinander.

In der Transversalebene

HinweisInnenrotation/Außenrotation: 95–0–40 (60).

Abb. .. Innen- und Außenrotation im Humeroskapulargelenk bei sagittotransversal stehender Bewegungsachse.

Abb. .. Flexion im Humeroskapulargelenk bis 110°, mit weiter-laufenden Bewegungen auf die Skapula bis 160°, mit weiterlaufenden Bewegungen auf die Wirbelsäule bis 180° und Extension im Humeros-kapulargelenk

.

Abb. .. Innen- und Au-ßenrotation im Humeros-kapulargelenk bei fronto-transversal stehender Bewe-gungsachse (90° Abduktion)

.

Um die Rotationen im Schultergelenk zu beurteilen, bezieht man die Stellung der Spina scapulae und den im Ellenbogen 90° fl ektierten Unterarm aufeinander. Es ist auch möglich, die Längsachse der Klavikula und die Flexi-ons-/Extensionsachse des Ellenbogengelenks zueinander zu beurteilen (. Abb. 1.19).

HinweisTransversale Flexion/transversale Extension: 90–0–40

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11.5 · Bewegungskomponenten des Schultergürtels

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Im Akromioklavikulargelenk werden die Bewegungen international gebräuchlich als Kranial- und Kaudalrotati-on der Cavitas glenoidale bezeichnet. In den manualthe-rapeutischen Konzepten nennt man diese Bewegungen Innen- und Außenrotation der Skapula und bezieht sich damit auf die laterale bzw. mediale Bewegung des Angulus inferior. (. Abb. 1.21).

In der Sagittalebene In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken wird der Schultergürtel um die Längsachse der Klavikula nach ventral oder dorsal gedreht. Dabei bewegt sich der Distanzpunkt Akromion nach ventral/kaudal und nach dorsal/kranial. Die Begriff e Ventralrotation und Dorsalro-tation beschreiben demnach die Bewegungen des Schul-tergürtels annähernd in der Sagittalebene (. Abb. 1.22). Diese Bewegungen werden anatomisch als sog. Zwangs-rotationen bezeichnet. Sie fi nden oft als weiterlaufende Bewegungen des Arms in der Sagittalebene statt.

In der Transversalebene

HinweisProtraktion/Retraktion (Schulterblattabduktion/Schulterblattadduktion) 45–0–20

Abb. .. Innenrotation/Außenrotation im Humeroskapularge-lenk.

Bewegungen des Arms bei 90° Abduktion in transver-salen Ebenen im Schultergelenk werden als transversale Exten sion (oder transversale Abduktion) und transversa-le Flexion (oder transversale Adduktion) bezeichnet, weil sie aus dem Gesichtsfeld hinaus und wieder hineingehen (. Abb. 1.20). Man bezieht die Spina skapulae und die Oberarmlängsachse aufeinander.

Abb. .. Transversale Flexion/transversale Extension im Hume-roskapulargelenk.

1.5 Bewegungskomponenten des Schultergürtels

In der Frontalebene

HinweisElevation/Depression: 60–0–5.

In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken wird der Schultergürtel nach kranial und kaudal bewegt.

a b

c d

Abb. .. a Elevation und b Depression des Schultergürtels, c Ele-vation: der Angulus inferior dreht nach lateral, d Depression: der An-gulus inferior dreht nach medial

.

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Die Ruheposition der Skapula auf dem Brustkorb ist durch die Brustkorbform bestimmt. Klavikula und Skapu-la bilden einen Winkel von 60° (. Abb. 1.23 a–c). Durch die Bewegungen des Schultergürtels auf dem Brustkorb verändert sich dieser Winkel.

In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelen-ken wird die Schulter um frontosagittale Achsen nach vorne oder hinten bewegt. Dabei wird der Distanzpunkt (DP) Akromion in Bezug zur mittleren Frontalebene nach ventral/medial und nach dorsal/medial geführt (führen, lateinisch: ducere; daher der Wortteil »-duzieren«). Die Begriff e Schulterblattabduktion und Schulterblattadduk-tion beschreiben demnach die Bewegungen des Schulter-gürtels im skapulo-thorakalen Gleitlager (in der Trans-versalebene). Synonym werden die Begriff e Ventraldukti-on/Dorsalduktion und Protraktion/Retraktion benutzt. Zur Bestimmung des Bewegungsausmaßes wird die Querach-se durch das Manubrium sterni in Bezug zur Längsachse der Klavikula gebracht.

1.6 Bewegungskomponenten der Wirbelsäule

In der Frontalebene

HinweisLateralfl exion rechts-/linkskonkav

Die Wirbelsäulenbewegungen um sagittotransversale Ach-sen heißen rechts- und linkskonkave Lateralfl exion. Für die Lateralfl exion in der Lenden- und Brustwirbelsäule dient die Verbindungslinie der Spinae iliacae als kaudale und der frontotransversale Brustkorbdurchmesser als kraniale Orientierungslinie (. Abb. 1.24).

Zur Beurteilung der Lateralfl exion in der Halswir-belsäule dient als kaudaler Zeiger der frontotransversale Brustkorbdurchmesser und als kranialer Zeiger z.B. die Verbindungslinie der Ohren. Eine »reine« Lateralfl exi-on in der Halswirbelsäule kommt aufgrund der Stellung der Gelenkfl ächen nicht vor, sondern ist immer mit einer Rotation zur gleichen Seite gekoppelt.

Translationen nach rechts und links bezeichnen Ver-schiebungen der Körperabschnitte Becken, Brustkorb auf der frontalen Ebene statt. Dazu müssen in der Wirbelsäule Bewegungstoleranzen in Lateralfl exion möglich sein.

Abb. .. Ventralrotation und Dorsalrotation des Schultergürtels um die Längsachse der Klavikula.

Abb. .. a Transversale Ansicht des Schultergürtels, b Retraktion, c Protraktion.

ba c

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11.6 · Bewegungskomponenten der Wirbelsäule

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In der Sagittalebene

HinweisFlexion/Extension

Die Wirbelsäulenbewegungen um frontotransversale Ach-sen heißen Flexion und Extension. Damit werden Bewe-gungen der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf beschrieben, die sich in sagittalen Ebenen nach vor-ne oder hinten bewegen.

Bei der Flexion verstärkt sich die Konvexität nach dor-sal, bei der Extension vermindert sie sich. Bei der Beurtei-lung der Flexions-/Extensionsstellungen werden die Dis-tanzpunkte (DP) Symphyse/Bauchnabel/Processus xipho-ideus/Incisura jugularis/Kinnspitze beobachtet. Wenn sich

die jeweiligen Distanzpunkte annähern, hat eine Flexion stattgefunden, wenn sie sich voneinander entfernen, ist es zu einer Extension gekommen (. Abb. 1.25).

Translationen nach vorne und hinten bezeichnen Ver-schiebungen der Körperabschnitte Becken, Brustkorb auf der frontalen Ebene statt. Dazu müssen in der Wirbelsäule Bewegungstoleranzen in Flexion und Extension möglich sein.

In der Transversalebene

HinweisRotation des Beckens/Brustkorbs/Brustkorbs nach rechts/

Abb. ..a–d. Rechts-/linkskonkave Late-ralfl exion in der Wirbelsäule.

a b

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Die Wirbelsäulenbewegungen um frontosagittale Achsen heißen Rotation nach rechts/links (. Abb. 1.26). Damit werden Bewegungen der Körperabschnitte Becken, Brust-korb und Kopf beschrieben, die auf transversalen Ebenen entweder im Uhrzeigersinn (vom Patienten aus beschrie-ben), d.h. nach rechts, oder gegen den Uhrzeigersinn, d.h. nach links, stattfi nden.

Für die Rotationen der Wirbelsäule in der unteren Brustwirbelsäule dient als kaudaler Zeiger die Verbin-dungslinie der Spinae iliacae ventrales und als kranialer Zeiger der frontotransversale Brustkorbdurchmesser.

Für die Rotation in der Halswirbelsäule dient als kau-daler Zeiger der frontotransversale Brustkorbdurchmes-ser und als kranialer Zeiger z.B. die Verbindungslinie der Ohren.

1.7 Bewegungen der distalen Extremitätengelenke und der Kiefergelenke

Die im Folgenden beschriebenen Gelenkstellungen und - bewegungen können in (fast) allen Ebenen stattfi nden, je nachdem, wie viel Bewegungstoleranzen die proximalen Extremitätengelenke haben.

1.7.1 Untere Extremität

Kniegelenk

HinweisFlexion/Extension: 120–0–15.

Zur Beurteilung des Bewegungsausmaßes im Kniegelenk bestimmt man den Winkel zwischen Ober- und Unter-schenkellängsachse.

Abb. .. a Flexion und b Extension der Wirbel-säule.

Abb. .. Linksdre-hung des Kopfs gegen den Brustkorb, Rechtsdre-hung des Brustkorbs ge-gen den Kopf und das Becken

.

a b

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11.7 · Bewegungen der distalen Extremitätengelenke und der Kiefergelenke

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HinweisAußenrotation/Innenrotation: 40–0–10.

Im Kniegelenk sind nur bei ca. 90° Flexionsstellung aktive Rotationen möglich. Als proximaler Rotationszeiger dient die Oberschenkellängsachse, und als distalen Rotations-zeiger beurteilt man z.B. die anatomische Fußlängsachse oder die Achse durch die Malleolengabel, die um 23° nach lateral gedreht ist (Tibiatorsion; 7 Kap. 6) (. Abb. 1.27).

Wenn die Unterschenkellängsachse (=Rotationsachse) frontosagittal steht, fi nden die Rotationen in transversa-len Ebenen statt. Dazu muss 90° Hüft - und Kniefl exion eingestellt sein.

Bei Nullstellung im Hüft gelenk und 90° Kniefl exion fi nden die Rotationen im Kniegelenk in der Frontalebene statt.

Oberes Sprunggelenk

HinweisDorsalextension/Plantarfl exion: 30–0–50.

In der Nullstellung bilden der laterale Fußrand und die Unterschenkellängsachse einen Winkel von 90°.

Unteres Sprunggelenk

HinweisInversion/Eversion: 35–0–15

Mit Inversion und Eversion wird die Bewegung des Kalka-neus gegen den Talus bezeichnet. Die Bewegungsachse verläuft vom Navikulare zum Talus (ventral/medial/kra-nial nach dorsal/lateral/kaudal) (. Abb. 1.28a). Sichtbar wird diese Gelenkstellung oder Bewegung an dem Win-kel, der sich zwischen der Unterschenkellängsachse und der Längsachse des Kalkaneus bildet (. Abb. 1.28b).

Wichtig

Bei einer Valgusstellung des Kalkaneus (Knickfuß-stellung) hat eine Eversion im unteren Sprunggelenk stattgefunden. Bei einer Varusstellung steht der Kalkaneus in Inversion.

Abb. .. Rotationen im Kniegelenk bei 90° Kniefl exion.

Abb. .. a Bewegungsachsen des rechten Fußes: Inversions-/Eversionsachse, Pronations-/Supinationsachse; b Inversion (Varusstel-lung) und Eversion (Valgusstellung) im unteren Sprunggelenk

.

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Chopart- und Lisfranc-Gelenke

HinweisPronation/Supination: 20–0–40

Die Bewegungsachse verläuft von der hinteren Fersenmit-te durch das Grundgelenk der 3. Zehe (. Abb. 1.28). Bei der Pronation und Supination wird die Stellung des Vor-fußes zum Rückfuß beurteilt.

Bei einer Supination vergrößert sich der mediale Win-kel zwischen der Längsachse des Kalkaneus und der Basis der Querwölbung, und die Verwringung des Längsgewöl-bes vermindert sich.

Bei einer Pronation vergrößert sich der laterale Winkel zwischen der Längsachse des Kalkaneus und der Basis der Querwölbung, und die Verwringung der Längswölbung verstärkt sich (. Abb. 1.29 a).

Wichtig

Die Längswölbung des Fußes kann durch gegenläu-fi ge (gegensinnige) Aktivitäten verstärkt oder abge-schwächt werden (7 Kap. 4). Inversion des Rückfußes und Pronation des Vorfußes verstärken die Längswöl-bung, Eversion des Rückfußes und Supination des Vorfußes fl achen die Längswölbung ab bzw. heben sie auf. Mit Hilfe dieser Mechanismen passen sich die Fußsohlen bei seitlichen Gewichtsverlagerungen, z.B. beim Quergang am Schräghang oder bei Uneben-heiten dem Boden an (. Abb. 1.29 b).

Zehengelenke

HinweisGrundgelenke: Flexion/Extension: 40–0–70 (80). Proximale Interphalangealgelenke: Flexion/Extension: 35–0–0. Distale Interphalangealgelenke: Flexion/Extension: 60–0–30.

Abduktion und Adduktion der Zehengelenke beziehen sich auf die anatomische Fußlängsachse, die von der Mitte des Calcaneus durch den zweiten Strahl verläuft .

1.7.2 Obere Extremität

Ellenbogengelenk

HinweisFlexion/Extension: 150–0–10.

Die Bewegungen im Humeroulnargelenk heißen Flexion und Extension. Beurteilt wird die Stellung der Oberarm-längsachse in Bezug zur Unterarmlängsachse. Je nach Ein-stellung der Flexions-/Extensionsachse fi nden die Bewe-gungen in unterschiedlichen Ebenen statt.

HinweisPronation/Supination: 90–0–90.

In den proximalen und distalen Radioulnargelenken fi nden die Bewegungen Pronation und Supination statt, die sich

Abb. .. a Bewegungen in den Chopart- und Lisfranc-Gelenken (Pronation/Supination) bei stehendem Rückfuß; b gegensinnige Be-wegungen des Vorfußes und des Rückfußes zur Verstärkung bzw. Ver-minderung der Längswölbung

.

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11.7 · Bewegungen der distalen Extremitätengelenke und der Kiefergelenke

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am besten bei 90° Ellenbogenfl exion beurteilen lassen. Als Bezugslinien dienen der Oberarm und die Flexions-/Extensionsachse des Handgelenks, die in der Nullstellung parallel stehen (. Abb. 1.30), oder die Flexions-/Exten-sionsachsen von Hand- und Ellenbogengelenk, die in der Nullstellung einen 90°-Winkel bilden. Je nach Einstellung der Unterarmlängsachse (=Pronations-/Supinationsachse) erfolgen die Bewegungen in unterschiedlichen Ebenen.

Bei 90° Flexion oder 90° Abduktion in der Schulter fi ndet die Bewegung in der Transversalebene statt. Der Unterarm steht dann frontosagittal und parallel zur Kör-perlängsachse und zeigt nach kranial.

In Nullstellung oder (90°) Abduktion des Oberarms bewegt sich der Unterarm in der Frontalebene. Die Unter-armlängsachse steht sagittotransversal und zeigt nach vor-ne.

Wenn der Oberarm in Innenrotation oder Flexion/Innenrotation steht, fi ndet die Pronation und Supination in der Sagittalebene statt. Der Unterarm steht frontotrans-versal und liegt dann vor dem Bauch oder dem Schulter-gürtel.

Handgelenk

HinweisVolarfl exion (Palmarfl exion)/Dorsalextension: 40 (60)–0–60 (80)

Bei der Beurteilung der Volar- oder Palmarfl exion und der Dorsalextension wird die Stellung der Unterarmlängsachse in Bezug zur Handlängsachse beurteilt. Die Bewegungen

verteilen sich gleichmäßig auf das proximale und das dis-tale Handgelenk (. Abb. 1.31a).

HinweisUlnarabduktion/Radialabduktion: 30 (40)–0–10 (30).

Die Ulnarabduktion und Radialabduktion beschreiben die Bewegungen der Handlängsachse (Metakarpale 3) zur Unterarmlängsachse (. Abb. 1.31 b).

FingergelenkeMan bezeichnet die Abduktionsgröße der gespreizten Fin-ger durch den Abstand der Fingerkuppen.

Abb. .. Pronation und Supination des Unterarms.

Abb. .. a Dorsalextension und Volarfl exion (Palmarfl exion) im Handgelenk; b ulnare und radiale Abduktion im Handgelenk.

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Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

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HinweisBewegungstoleranzen der Gelenke des .–. Fin-gers:

Grundgelenke (MP=Metakarpophalangeal-gelenke): Flexion/Extension: 90–0–10 (30), Mittelgelenke (PIP=proximales Interphalangeal-gelenk): Flexion/Extension: 100–0–0, Endgelenke (DIP=distales Interphalangealge-lenk): Flexion/Extension: 80 (90)–0–0 (10).

Bewegungstoleranzen der Daumensattelgelenke: Sattelgelenk (CM = Karpometakarpalgelenk):Abduktion/Adduktion: 45–0–0,Flexion/Extension: 20–0–45.

Bewegungstoleranzen der Daumengrund- und Endgelenke:

Grundgelenk (MP=Metakarpophalangealgelenk): Flexion/Extension: 50–0–0 (30),Endgelenk (IP=Interphalangealgelenk): Flexion/Extension: 80–0–10.

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1.7.3 Kiefergelenke

Die Bewegungen der Kiefergelenke sind nur in beiden Gelenken gleichzeitig möglich. Beim Öff nen und Schlie-ßen des Mundes fi nden die Bewegungen bilateral sym-metrisch und beim Kauen asymmetrisch statt.

Beim Öff nen und Schließen des Mundes, also bei Beißbewegungen, entfernen sich die Nasenspitze und die Kinnspitze voneinander und nähern sich wieder, bis die Zahnreihen aufeinander stehen. Bei der maximalen Mundöff nung kommt es zu einer kombinierten Roll-Gleit-Bewegung im Gelenk.

Die Ventral- und Dorsaltranslation des Unterkiefers wird auch als Pro- und Retrusion bezeichnet.

Die seitlichen Verschiebungen sind beim Kauen von Bedeutung. Diese seitlichen Translationen werden auch als Laterotrusion und Mediotrusion bezeichnet. Bei die-sen Bewegungen verschiebt sich die Kinnspitze zu einem Jochbogen hin.

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Bewegungsanalyse

2.1 Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte – 20

2.2 Weiterlaufende Bewegungen – 26

2.3 Begrenzung der weiterlaufenden Bewegungen – 28

2.3.1 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenaktivität – 28

2.3.2 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenbewegung – 28

2.4 Gleichgewicht – 292.4.1 Unterstützungsfl äche – 302.4.2 Körperschwerpunkt und

Trennebene – 31

2.4.3 Gleichgewichtslage des Körpers – 322.4.4 Gleichgewichtsreaktionen – 34

2.5 Muskuläre Aktivitäten – 382.5.1 Lage zum Drehpunkt – 382.5.2 Aktive und passive Insuffi zienzen – 382.5.3 Einfl uss der Schwerkraft – 412.5.4 Kontakt mit der Umwelt/Aktivitäts-

zustände – 43

2.6 Myofasziale Systeme – 49 Salah Bachah

2.6.1 Plastizität der Muskulatur – 492.6.2 Muskelfähigkeiten – 502.6.3 Klinische Relevanz – 52

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

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Die FBL – Functional Kinetics lehrt Physiotherapeuten, das Bewegungssystem und das Bewegungsverhalten des Menschen von Außen zu betrachten. Diese Außenansicht bezieht sich auf Haltung und Bewegung. Sie beinhaltet ein Analysekonzept mit defi nierten Beobachtungskriterien, die sich

auf alle Gelenke des Körpers, auf statische Positionen und auf kinematische Ketten anwenden lassen.

Die in der FBL angewandten Beobachtungsverfahren lie-fern Daten über

die Harmonie einer Bewegung, die Koordination, den Rhythmus, das Bewegungsausmaß u.v.m.

Sie sind äußerst praxisrelevant und schließen die Fähig-keit ein, räumliche und zeitliche Qualitäten der Bewegung intuitiv zu erfassen. Sie erfordern Beobachtungskriterien und gehören zu den Basisqualifi kationen der Physiothera-peuten.

Die FBL beschreibt detailliert die menschliche Bewe-gung und defi niert wiederkehrende Bestandteile des Bewegungsverhaltens. Dadurch werden die Bewegungsa-nalyse und das Lehren von Bewegung systematisiert.

Wichtig

Bewegungsbeobachtung ist ein diagnostisch wich-tiges Verfahren der Physiotherapie!

Das Nutzen bewegungsanalytischer Beobachtungskrite-rien gehört zum »Hand-Werkzeug« der Physiotherapie. Der geübte Umgang mit diesem bewegungsanalytischen Handwerkszeug erleichtert die Instruktion von Bewegung und damit die Instruktion und Beratung der Patienten. Unterstützend durch die Kenntnisse aus der Physik, der Biomechanik und funktionellen Anatomie werden die Ergebnisse der Beobachtung und der Palpation interpre-tiert und für die Untersuchung und Th erapie genutzt.

Durch unmittelbare Bewegungsbeobachtung und die anschließende Auswertung wird die jeweilige Th era-pieform gewählt, die sich am normalen Bewegungsverhal-ten des gesunden Menschen orientiert.

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2.1 Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte

Distanzpunkte dienen dem Th erapeuten zur Analyse und Instruktion von Bewegung und sind damit auch für den Patienten eine große Hilfe, selbst kleinste Bewegungen wahrnehmen zu können.

In der Funktionellen Bewegungslehre interessiert das Gelenk als Ort, an dem Bewegungen innerhalb des Körpers stattfi nden. Wahrnehmung, Bewegungsanaly-se und Instruktion solcher Bewegungen registrieren die Stellungsänderung von »Hebeln«, »Zeigern« und »Ver-schiebekörpern« ohne etwas über die Aktivitäten auszu-sagen, die diese Stellungsänderungen hervorbringen. Die Bezeichnungen Drehpunkt, Schaltstelle der Bewegung und Bewegungsniveau weisen auf den Unterschied zum etab-lierten anatomischen Gelenkbegriff hin.

Bewegung wird defi niert alsLage- bzw. Ortsveränderung des Körpers oder ein-zelner Körperteile im Raum (und auf der Unterlage) und/oder alsStellungsänderung der Gelenkpartner zueinander. Daraus ergibt sich, dass sich der Winkel zwischen diesen beiden vergrößern oder verkleinern muss. Wir können mit Armen und Beinen nur dann geradlinige Bewegungen machen, wenn sich der Drehpunkt ver-schiebt. Bei stehendem Drehpunkt beschreiben die Distanzpunkte Kreisbögen.

Bewegungen werden mit Hilfe der Distanzpunkte beob-achtet, beschrieben und instruiert.

Defi nitionEin Distanzpunkt ist ein beobachtbarer Punkt am Ge-lenkpartner, der eine große Distanz zum Drehpunkt hat und deshalb einen großen Weg zurücklegt.

Bevor eine Aussage über eine Bewegung in einem Dreh-punkt gemacht wird, muss das Bewegungsverhalten bei-der Distanzpunkte beurteilt werden. Man unterscheidet Bewegungen vom

Scharniertyp,Rotationstyp (Drehbewegungen um Längsachsen von Knochen) undTranslationstyp (Verschiebungen der Körperab-schnitte Becken, Brustkorb und Kopf gegeneinander.

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22.1 · Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte

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Die folgenden Beispiele von Bewegungsausschlägen sollen typische Varianten darstellen.

Scharniertypische Winkelveränderungen ohne Drehpunktverschiebung

Der distale Gelenkpartner bewegt sich (. Abb. 2.1 a, b)5

Abb. .. Extension des Unterschenkels im Kniegelenk a Aus-gangsstellung b Endstellung.

a

b

Der proximale Gelenkpartner bewegt sich (. Abb. 2.2 a, b),

5

Abb. .. a Extension des Beckens in den Hüftgelenken (Flexion des Beckens in der LWS) b Flexion des Beckens in den Hüftgelenken (Extension des Beckens in der LWS)

.

a

b

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

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Der distale Gelenkpartner legt den größeren Weg zurück (. Abb. 2.3 a–c). Das ist eine typische weiter-laufende Bewegung (7 Kap. 2.2)

5

Beide Gelenkpartner bewegen sich (. Abb. 2.4 a, b). Das ist für Extremitätenbewegungen eher selten, da diese sich durch Drehpunktverschiebungen auszeich-nen.

5

Abb. .. a Flexion des Beins im Hüftgelenk, b weiterlaufend bewegt sich das Becken im kontralateralen Hüftgelenk extensorisch und in der Wirbelsäule fl exorisch. c Der distale Gelenkpartner (Bein) hat den größeren Weg zurückgelegt..

a b c

a

Abb. .. Flexion des Hüftgelenks von beiden Gelenkpartnern (Becken und Oberschenkel) bei stehendem Drehpunkt. a Aufrechter Sitz b Vorgeneigte Körperlängsachse + Zehenspitzenstand (Plantarfl exion).

b

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22.1 · Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte

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Scharniertypische Winkelveränderungen mit Drehpunktverschiebung

Der proximale Gelenkpartner bleibt am Ort (der distale Gelenkpartner und der Drehpunkt bewegen sich) (. Abb. 2.5 a, b).

5

a b

Abb. .. a, b Flexion des Ellenbogens mit Drehpunktverschie-bung. Proximaler Gelenkpartner bleibt am Ort.

Der distale Gelenkpartner bleibt am Ort (der pro-ximale Gelenkpartner und der Drehpunkt bewegen sich) (. Abb. 2.6 a, b).

5

a

b

Abb. .. a, b Flexion des Ellenbogens mit Drehpunktverschie-bung. Der distaler Gelenkpartner bleibt am Ort.

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

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Beide Gelenkpartner und der Drehpunkt bewegen sich (. Abb. 2.7 a, b).

5

a b

Abb. .. a, b Flexion im Kniegelenk mit Drehpunktverschiebung. Beide Gelenkpartner bewegen sich..

Rotatorische WinkelveränderungenBei Rotationsbewegungen liegen die Distanzpunkte an sog. »Zeigern der Bewegung«, die im günstigsten Fall rechtwinklig zur Rotationsachse stehen.

Man unterscheidet: reale Zeiger:Beispiel: Um die Drehbewegungen im Schultergelenk beurteilen zu können, stellt man die Unterarmlängs-achse rechtwinklig zum Oberarm ein. Der Unterarm dient damit als distaler Rotationszeiger für die Bewe-gungen im Humeroskapulargelenk (. Abb. 2.8 a, b).

5

a

b

Abb. .. a, b Unterarm als realer Rotations-Zeiger für die Bewe-gung im Humeroskapulargelenk.

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22.1 · Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte

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gedachte Zeiger:Beispiel: Die Winkelveränderung der Beuge-Streck-Achsen des Hand- und Ellenbogengelenks zeigen das Ausmaß der Pronation und Supination im Unterarm (. Abb. 2.9 a–c).

5

Abb. .. a Pro-/Supination des Unterarms; b Beuge-Streck-Ach-se des Handgelenks als distaler gedachter Rotationszeiger für die Pro-/Supination; c Oberarm-Längsachse als proximaler Zeiger für die Supi-nation im Ellenbogengelenk

.

Bei Rotation und Translation gibt es keine Drehpunkt-verschiebung. Bei den Extremitätenbewegungen kann es jedoch zur Parallelverschiebung der Rotationsachse kom-men, wenn die Bewegung vom proximalen Zeiger statt-fi ndet.

Bei den folgenden Beispielen ist das Bewegungsaus-maß in der Endstellung gleich, die Bewegungen sind jedoch auf unterschiedliche Art und Weise zustande gekommen (. Abb. 2.10 a–f)

Der kraniale Gelenkpartner dreht sich. Der kaudale Gelenkpartner dreht sich.Beide drehen sich in entgegen gesetzte Richtung.Beide drehen gleichsinnig, der kraniale dreht jedoch weiter.Beide drehen gleichsinnig, der kaudale dreht sich weiter.

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Abb. ..a–f Rotationen in der Halswirbelsäule.

c

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

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Translatorische WinkelveränderungenTranslationen fi nden in der Wirbelsäule zwischen 2 Kör-perabschnitten statt. Sie kommen bei Kombinationsbe-wegungen aus Flexion und Extension (bei Ventral- und Dorsaltranslation) und rechts- und linkskonkaver Lateral-fl exion (bei Translationen nach rechts und links) vor. Bei den nachfolgenden Beispielen ist das Bewegungsausmaß in der Endstellung gleich, die Bewegungen sind jedoch auf unterschiedliche Art und Weise zustande gekommen (. Abb. 2.11 a–f).

Der kraniale Gelenkpartner translatiert nach links.Der kaudale Gelenkpartner translatiert nach rechts.Beide translatieren in entgegen gesetzte Richtungen.Beide translatieren in die gleiche Richtung (nach links), der kraniale bewegt sich weiter.Beide translatieren in die gleiche Richtung (nach rechts), der kaudale bewegt sich weiter.

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5

Abb. ..a–f Translationen zwischen den Körperabschnitten Brustkorb und Kopf.

Klinische Relevanz:Die Kenntnis über die Art der Winkelveränderung und damit eine genaue Bewegungsanalyse erlaubt es dem Therapeuten, Referenzen einer Bewegung zu defi nieren und Pathologien zu erkennen. Die selektive Untersu-chung von kranial und kaudal bzw. proximal und distal dient z.B. der Diff erenzierung der Schmerzhaftigkeit von Strukturen. Die genaue Kenntnis der Arten der Winkelver-änderungen sind die Grundlage der Behandlungstechnik »Widerlagernde Mobilisation«. (7 Kap. 9.1)

2.2 Weiterlaufende Bewegungen

Bei der Beobachtung von Bewegung wird das Verhalten der einzelnen Gelenkpartner zueinander beschrieben. Die Anzahl, der in eine Bewegung involvierten Gelenke, hängt vom Ziel und Ausmaß der geplanten Bewegung ab.

Der Bewegungswunsch und die Bewegungsrichtung bestimmen die Bewegungskomponenten der involvierten Gelenke. Jedes Gelenk, das Bewegungstoleranzen in die geplante Bewegungsrichtung aufweist, kann vom Bewe-gungsimpuls erfasst werden. Eine weiterlaufende Bewe-gung entsteht. (. Abb. 2.12)

Defi nitionWenn ein beliebiger Punkt des Körpers durch einen Bewegungsimpuls in eine bestimmte Richtung ge-leitet wird und in den benachbarten Gelenken Bewe-gungsausschläge stattfi nden, die der Verwirklichung dieser gerichteten Bewegung dienen, entsteht eine weiterlaufende Bewegung ( WB).

Um eine weiterlaufende Bewegung veranlassen, beo-bachten und/oder beschreiben zu können, bestimmt der Th erapeut den kritischen Distanzpunkt. Er instruiert den Patienten, in welcher Richtung, bis wohin und wie schnell dieser Punkt bewegt werden soll.

Ausweichbewegungen/Ausweichmechanismen

Bei Störungen bzw. Schmerzen im Bewegungsverhalten beobachtet man in den benachbarten Gelenken häufi g unerwünscht weiterlaufende Bewegungen. Dabei stimmt entweder der zeitliche Ablauf der Übertragung von einem auf das nächste Gelenk nicht, oder der Bewegungsimpuls wird in eine andere Richtung geleitet. In der Folge wird die Bewegung weniger diff erenziert. Es kommt zu Aus-weichbewegungen (. Abb. 2.13).

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22.2 · Weiterlaufende Bewegungen

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Sie können im Alltag hilfreich sein, um ein gewünsch-tes Bewegungsziel noch zu erreichen, der Patient emp-fi ndet sie meistens nicht als störend. Oft werden die Aus-weichbewegungen nach einer gewissen Zeit als normale Bewegung empfunden, sie sind zum Ausweichmechanis-mus geworden.

Defi nitionUnerwünschte, aus der Bewegungsrichtung abwei-chende Bewegungen und/oder Veränderungen der Unterstützungsfl äche heißen Ausweichmechanis-men. Sie setzen automatisch ein, sind nicht ökono-misch und verhindern das direkte Erreichen des an-gestrebten Ziels.

Es ist Aufgabe des Th erapeuten, die Ausweichmechanis-men zu erkennen und beschreiben zu können. Er muss entscheiden, wie die Ausweichmechanismen verhindert werden sollen. Dazu bestimmt er den Drehpunkt, der als letztes von der Primärbewegung erfasst werden soll.

Defi nitionDer letzte Drehpunkt, der an der weiterlaufenden Be-wegung teilnimmt, wird kritischer Drehpunkt ge-nannt.

Abb. .. a Weiterlaufende Bewegung des rechten Beins in der Sagittalebene: fl exorisch in der Wirbelsäule und extensorisch im lin-ken Hüftgelenk; b und c Weiterlaufende Bewegung des linken Arms in der Sagittalebene: dorsalrotatorisch im Schultergürtel und extenso-risch in der Wirbelsäule

.

a

b

c

Abb. .. Ausweichmechanismus bei der Abduktion im Humeros-kapulargelenk.

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

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2.3 Begrenzung der weiterlaufenden Bewegungen

Um eine weiterlaufende Bewegung in einem bestimmten Drehpunkt zu stoppen, stehen dem Körper verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:

Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch GegenaktivitätBegrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenbewegung

2.3.1 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenaktivität

Das Begrenzen einer weiterlaufenden Bewegung durch Gegenaktivität bedeutet das Stoppen des Bewegungsim-pulses durch stabilisierende Muskelaktivitäten.

Damit die Gegenaktivität rechtzeitig einsetzt, muss der Patient instruiert werden, welcher Abstand zwischen 2 wahrnehmbaren Punkten am Körper sich nicht verän-dern darf, oder an welchen Kontaktstellen von Körper und Umwelt der Druck gleich bleiben soll. (. Abb. 2.14)

5

5

BeispielBei der Therapeutischen Übung »Kurz und bündig« werden die lokalen Stabilisatoren durch beschleu-nigte gestoppte Armbewegungen aktiviert. Diese Übung kann ebenso zur diff erenzierten Untersu-chung der Stabilisierungsfähigkeit der Wirbelsäule in ihrer Nullstellung genutzt werden (. Abb. 2.15).

2.3.2 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenbewegung

Gegenbewegungen sind eine weitere Möglichkeit, wei-terlaufende Bewegungen zu begrenzen. Die Richtung der Gegenbewegung ist derjenigen der Primärbewegung ent-gegengesetzt. Gegenbewegungen können in einem belie-bigen Gelenk gestartet werden.

Abb. .. a, b Begrenzen der weiterlau-fenden Bewegung auf die Wirbelsäule durch stabilisierende Bauchmuskelaktivität.

.

a b

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22.4 · Gleichgewicht

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Wichtig

Durch 2 in entgegen gesetzter Richtung verlaufende Bewegungsimpulse können Bewegungstoleranzen dazwischen liegender Gelenke ausgeschöpft werden. Auf diesem Prinzip basiert die Behandlungstechnik »Widerlagernde Mobilisation«.

BeispielEine übliche Vorgehensweise zur Bestimmung der Extension im Hüftgelenk erfolgt in Rückenlage auf einer harten Unterlage mit Hilfe des Thomas-Hand-griff s. Dabei wird ein Bein im Hüftgelenk maximal fl ek-tiert, bis die Lendenwirbelsäule Kontakt mit der Unter-lage bekommt. Über das Bewegungsverhalten des liegen gebliebenen Beins macht der Therapeut eine Aussage zur Extensionsfähigkeit. Bei eingeschränkter Extension führt die maximale Beugung des Beins dazu, dass sich der Oberschenkel des kontralateralen Beins um das Ausmaß der fehlenden Streckfähigkeit von der Unterlage abhebt.Wenn das Bein nur in der Sagittalebene des Hüftge-lenks fl ektiert wird, kommt es jedoch zu weiterlau-fenden Bewegungen, die für die Untersuchung der Beweglichkeit des Hüftgelenks kontraproduktiv sind. In der Wirbelsäule entsteht zusätzlich eine Lateralfl e-xion und Rotation und im kontralateralen Hüftgelenk eine Abduktion (und evtl. Außenrotation). Im fl ek-tierten Hüftgelenk beobachtet man zusätzlich Außen-rotation und transversale Adduktion (. Abb. 2.16 a–c).Um die unerwünschten weiterlaufenden Bewe-gungen zu begrenzen, wird das fl ektierte Bein zusätz-lich in Außenrotation und transversale Adduktion gebracht (. Abb. 2.17).

2.4 Gleichgewicht

Gleichgewicht herrscht dann, wenn sich die Summe aller Kräft e, die auf einen Körper einwirken, neutralisieren. Jeder Körper strebt eine stabile Gleichgewichtslage an. Bestimmt wird das Gleichgewicht durch die Unterstüt-zungsfl äche und den Körperschwerpunkt.

Abb. .. Aktivierung der lokalen Stabilisatoren bei der Übung »Kurz und bündig«. a Beschleunigte Bewegung der Hände nach oben: dynamische Stabilisierung der geraden Bauchmuskulatur, b beschleu-nigte Bewegung der Hände nach unten: dynamische Stabilisierung der extensorischen Rückenmuskulatur, c Ausgangsstellung für be-schleunigte diagonale Handbewegungen, d einseitig

.

a b

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Abb. .. Weiterlaufende Bewegungen a in der Sagittalebene: Ex-tension im linken Hüftgelenk und Flexion in der Lendenwirbelsäule; b in der Frontalebene: Abduktion im linken Hüftgelenk, Lateralfl exion in der Lendenwirbelsäule und Außenrotation im rechten Hüftgelenk; c in der Transversalebene: Außenrotation im linken Hüftgelenk, Rota-tion des Beckens in der Wirbelsäule nach rechts und transversale Ad-duktion im rechten Hüftgelenk.

.

a

b

Abb. .. Begrenzung der weiterlaufenden Bewegung a in der Transversalebene durch Transversale Adduktion des rechten Beins; b in der Frontalebene durch Außenrotation im rechten Hüftgelenk.

.

2.4.1 Unterstützungsfl äche

Defi nitionDie Unterstützungsfl äche bezeichnet die kleinste Fläche, die die Kontaktstellen der Körperabschnitte mit der Unterlage einrahmt.

Über der Unterstützungsfl äche befi ndet sich der Körper-schwerpunkt. Bei nur einer Kontaktstelle des Körpers mit der Umwelt liegt er genau darüber. Bei mehreren Kontakt-stellen des Körpers, die gleichmäßigen Druck ausüben, befi ndet er sich über der Mitte der Unterstützungsfl äche.

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22.4 · Gleichgewicht

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Bringen die Kontaktstellen unterschiedlich viel Gewicht auf die Unterstützungsfl äche, so befi ndet sich der Schwer-punkt in der Nähe des größten Drucks.

Wenn die Person auf einer Behandlungsbank oder einem Stuhl sitzt, wird die Unterstützungsfl äche von den Kontaktstellen Gesäß/Bank (auf den Boden projiziert) und von den Füßen eingeschlossen. Der Körperschwer-punkt befi ndet sich eher über der hinteren Abgrenzung, da die Beine nur ihr eigenes Gewicht auf die Unterstüt-zungsfl äche bringen (. Abb. 2.18 a). Bei der geringsten Vorneigung des »Türmchens« verlagert sich der Schwer-punkt nach vorn, und der Druck unter den Füßen nimmt zu.

Sitzt die Person auf einem gut aufgepumpten Ball, ist dessen Kontaktstelle auf dem Boden kleiner als diejenige des Körpers auf dem Ball. Die Unterstützungsfl äche wird durch die Kontaktstelle des Balls und dessen Verbindung zu den Füßen gebildet (. Abb. 2.18 b). Der Körperschwer-punkt befi ndet sich, wie beim Sitzen auf einem Stuhl, eher über der Kontaktstelle Ball/Boden.

Beim Wechsel vom Zweibeinstand in den Einbein-stand z.B. verkleinert sich die Unterstützungsfl äche um ca. 3/4 (. Abb. 2.19). Das bedeutet, dass der Körper seine Gewichte über dieser veränderten Unterstützungsfl äche neu verteilen muss. Aus dieser Gleichgewichtsreaktion resultiert eine große Veränderung der Muskelaktivitäten.

2.4.2 Körperschwerpunkt und Trennebene

Defi nitionDer Schwerpunkt ist der Punkt eines Körpers, in dem sein Gewicht (oder seine Masse) vereinigt ist.

Für die Standfestigkeit eines Körpers ist die Lage des Schwerpunkts in Bezug auf die Unterstützungsfl äche maßgebend. Er ist ein fi ktiver Punkt und ändert beim beweglichen Körper fast ständig seine Position. Um ihn zu bestimmen, muss man eine gedachte senkrechte Ver-bindungslinie durch den Körper zum Erdmittelpunkt legen. Diese sog. Trennebene erleichtert die Analyse von Gewichtsverschiebungen. Solange diese Schwerelinie durch die Unterstützungsfl äche des Körpers geht, wird von Standfestigkeit gesprochen. Verläuft sie außerhalb der Unterstützungsfl äche, kommt es zur Kippbewegung (. Abb. 2.20). Der Mensch reagiert auf die Verschie-bung des Schwerpunkts, indem er den beschleunigenden

Abb. .. Unterstützungsfl ächen (USF) im Sitz a auf einem Stuhl und b auf einem Ball.

Abb. .. Unterstützungsfl äche im Zweibeinstand und im Ein-beinstand.

Abb. .. Schwerelinie in Bezug zur Unterstützungsfl äche.

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

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Gewichten ein Gegengewicht entgegensetzt oder seine Unterstützungsfl äche verändert. Beim Gehen wird die Unterstützungsfl äche immer so verändert, dass der Kör-perschwerpunkt über ihr liegt.

Die Standfestigkeit kann verbessert werden durch:Vergrößerung der Unterstützungsfl äche undTieferlegung des Körperschwerpunkts.

2.4.3 Gleichgewichtslage des Körpers

Wichtig

Die Lage des Schwerpunkts über der Unterstützungs-fl äche entscheidet über die Gleichgewichtslage des Körpers. Man unterscheidet ein stabiles, labiles und indiff erentes Gleichgewicht (. Abb. 2.21 a).

Stabiles GleichgewichtWenn sich der Körperschwerpunkt über der Mitte einer Unterstützungsfl äche befi ndet, die durch mindestens 3 Aufl agepunkte bestimmt ist, spricht man von einem sta-bilen Gleichgewicht. Befi ndet sich der Körperschwerpunkt unterhalb des Drehpunkts, spricht man ebenfalls von einem stabilen Gleichgewicht. Je näher der Körperschwer-punkt an der Unterstützungsfl äche liegt, desto stabiler ist die Gleichgewichtssituation (. Abb. 2.21 b).

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Ein Körper mit nur 2 Unterstützungspunkten kann sich nicht im stabilen Gleichgewicht befi nden. Dagegen spricht jedoch nicht, dass der Mensch beim Zweibeinstand eine stabile Gleichgewichtslage einnehmen kann, da die Füße als Aufl agefl ächen dienen. Die Unterstützungsfl äche wird durch den lateralen Fußrand, der Verbindungslinie der Fersen und der Zehen gebildet.

BeispielIm Vierfüßlerstand wird die Unterstützungsfl äche durch die Kontaktstellen der Hände und der Knie gebildet (. Abb. 2.22 a, b). Ein Turner, der an Ringen hängt, befi ndet sich in einem stabilen Gleichgewicht (. Abb. 2.23).

Abb. .. a Gleichgewichtslagen des Körpers; b Stabiles Gleichge-wicht: der Drehpunkt befi ndet sich oberhalb des Schwerpunkts.

Abb. .. a Stabiles Gleichgewicht im Vierfüßlerstand auf einer Kiste; b Unterstützungsfl äche im Vierfüßlerstand.

a

b

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22.4 · Gleichgewicht

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Labiles GleichgewichtEin Körper mit nur 2 Aufl agepunkten befi ndet sich in einem labilen Gleichgewicht. Die Körpergewichte sind gut darüber ausbalanciert. Schon die geringste Bewegung bringt den Körperschwerpunkt an den Rand der Unter-stützungsfl äche. Sowie er darüber hinausgeht, ist das Gleichgewicht verloren. Befi ndet sich der Schwerpunkt oberhalb des Drehpunkts, ist die Gleichgewichtslage eben-falls labil (. Abb. 2.24).

Beispiel

Im Einbeinstand ist die Unterstützungsfl äche sehr klein, und kleinste Bewegungen bringen den Körperschwerpunkt an den Rand der Unterstüt-zungsfl äche. (. Abb. 2.25) Eine Person, die auf einem Stuhl nach hinten kippt, befi ndet sich in einem labilen Gleichge-wicht. Sie kann die Kippbewegungen durch den Einsatz von Gegengewichten ausbalancieren, aber sobald die einwirkenden Kräfte zu groß werden, kippt der Stuhl mitsamt der Person um (. Abb. 2.26) Ein Seiltänzer befi ndet sich ständig in einem labilen Gleichgewicht. Durch eine lange Balan-cierstange kann er jedoch durch minimale Bewe-gungen mit den Händen eine große Wirkung erzielen und so seinen Körperschwerpunkt über dem Seil zentrieren (. Abb. 2.27) Ein Turner, der sich auf die Ringe stützt, befi ndet sich in einem labilen Gleichgewicht (. Abb. 2.28).

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5

5

5

Abb. .. Stabiles Gleichgewicht bei einem Tur-ner, der an Ringen hängt.

Abb. .. labiles Gleichgewicht: der Drehpunkt befi ndet sich un-terhalb des Schwerpunktes..

Abb. .. Unterstützungsfl äche im Einbeinstand bei labilem Gleichgewicht..

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Indiff erentes GleichgewichtBeim indiff erenten Gleichgewicht bleibt die Lage des Schwerpunkts zur Unterstützungsfl äche immer gleich – der Drehpunkt liegt genau im Schwerpunkt (. Abb. 2.29). Diese Form des Gleichgewichts kann der menschliche Körper nicht erreichen, da er durch Bewegung eine stän-dige Veränderung der Lage seines Körperschwerpunkts erfährt. Für jeden Körperabschnitt lassen sich Teilschwer-punkte ermitteln, deren Berechnung z.B. zur Ermittlung von Gelenkkräft en bedeutsam ist.

Abb. .. Labiles Gleichgewicht bei jemandem, der auf einem Stuhl nach hinten kippt.

Abb. .. Labiles Gleichgewicht bei einem Seiltänzer..

Abb. .. Labiles Gleichgewicht bei einem Turner, der sich auf die Ringe stützt.

Abb. .. Indiff erentes Gleichgewicht: der Drehpunkt liegt genau im Schwerpunkt.

BeispielEin Rad oder eine Kugel können ihren Schwerpunkt nicht verändern. Der Bezug zur Unterstützungsfl äche bleibt immer gleich.

2.4.4 Gleichgewichtsreaktionen

Bestimmt durch das Schwerefeld der Erde kommt es bei jeder Bewegung zu Gleichgewichtsreaktionen (Equilibri-umsreaktionen), denn Bewegen bedeutet immer ein Ver-schieben von körpereigenen Gewichten im Raum. Sobald die Gewichtsverschiebung eine horizontale Richtung ent-hält, löst sie automatische, leicht beobachtbare Gleichge-wichtsreaktionen aus (. Abb. 2.30).

Man unterscheidet:Veränderung der Unterstützungsfl ächeEinsetzen von Gegengewichten

Diese Gleichgewichtsreaktionen treten oft in Kombination auf. Wenn weder die Unterstützungsfl äche verändert wird, noch ein Gegengewicht eingesetzt werden kann oder darf, können Gewichtsverschiebungen auch durch stabilisie-rende Muskelaktivitäten begrenzt werden, Dabei verän-dert sich der Druck innerhalb der Unterstützungsfl äche.

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22.4 · Gleichgewicht

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Veränderungen der Unterstützungsfl ächeVerläuft die Primärbewegung vorwiegend horizontal und geradlinig und werden keine Gegengewichte eingesetzt, kommt es zu einer Veränderung der Unterstützungsfl äche in Richtung der Primärbewegung. Das Gehen ist beispiels-weise eine permanente Anpassung der Unterstützungsfl ä-che an den nach vorn strebenden Körperschwerpunkt. Die Schritte können als eine wiederkehrende Anpassung der Unterstützungsfl äche in Richtung der Primärbewe-gung interpretiert werden. Der Schrittmechanismus erfolgt dabei reaktiv (. Abb. 2.31).

Einsetzen von GegengewichtenPrimärbewegungen, die eine horizontale Richtungskom-ponente aufweisen, führen sofort zu einer Veränderung der Gleichgewichtslage. Darf die Unterstützungsfl äche nicht verändert werden, schafft der Körper einen Aus-gleich und setzt Gegengewichte ein (. Abb. 2.32).

Abb. .. Gleichgewichtsreaktion vom Therapeuten ausgelöst..

Abb. .. Gehen: Verändern der Unterstützungsfl äche nach vorne.Abb. ..a, b Einsetzen von Gegengewichten (rechter Arm und

rechtes Bein) bei horizontaler Gewichtsverschiebung nach links..

a

b

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Wichtig

Die horizontale Komponente der Primärbewegung bringt Gewichte in die Bewegungsrichtung, diese wirken beschleunigend auf den Bewegungsablauf. Die Gegengewichte wirken der Richtung der Primär-bewegung entgegen. Ihre Auswirkung ist verlang-samend auf den Bewegungsablauf. Halten sich die Gewichte der Primärbewegung und die Gegenge-wichte die Waage, kann der Standort bzw. die Unter-stützungsfl äche beibehalten werden.

Zur Unterscheidung zwischen den Gewichten auf Seite der Primärbewegung (beschleunigende Gewichte) und den Gegengewichten (bremsende Gewichte) dient eine virtuelle Ebene, die Trennebene.

Defi nitionDie Trennebene ist eine gedachte Ebene, die der The-rapeut auf den Patienten projiziert. Sie steht verti-kal, verläuft durch den Körperschwerpunkt und steht senkrecht zur horizontalen Komponente der Primär-bewegung (. Abb. 2.33).

Abb. ..a–c Trennebene durch die Unterstützungsfl äche. Dadurch lassen sich die Lage des Körperschwerpunkts über der Unterstützungs-fl äche und die beschleunigenden/bremsenden Gewicht analysieren..

a b c

Mit Hilfe der Trennebene kann der Th erapeut erkennen, welche Gewichte zu den beschleunigenden (vorn in Bezug auf die Trennebene) und welche Gewichte zu den brem-senden (hinten in Bezug auf die Trennebene) gehören.

Wichtig

Die Trennebene ermöglicht in jeder Bewegungsphase das Erkennen der beschleunigenden und der brem-senden Gewichte.

In der Funktionellen Bewegungslehre werden bei vielen therapeutischen Übungen beide Formen der Gleichge-wichtsreaktion, sowohl die Veränderung der Unterstüt-zungsfl äche als auch das Einsetzen von Gegengewichten, genutzt.

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22.4 · Gleichgewicht

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Beispiel »Die Waage« (. Abb. 2.34). Damit die Neigung der Körperlängsachse als Gleichgewichtsreaktion erfolgt, muss der Bewegungsauftrag eine Bedin-gung enthalten. Mögliche Instruktion: »wenn der Ball nach vorn (hinten) rollt, bleibt der Druck unter den Zehen (Fersen) gleich«. »Die Spinnübung« (. Abb. 2.35). Wenn die Beine übereinander geschlagen werden, erfolgt eine schnellere Reaktion des Arms. Wird in der Ausgangsstellung verhindert, dass der Arm nicht mehr als Gegengewicht eingesetzt werden kann, ist eine deutliche Reaktion des Kopfes zu beo-bachten. »Der Albatros« (. Abb. 2.36). Durch die Aus-gangsstellung ist es nicht möglichm seine Unterstützungsfl äche nach hinten zu vergrößern. Deshalb benötigt eine Bewegung nach hinten ein Gegengewicht nach vorn. Als Gleichgewichtsre-aktion werden Körperlängsachse und Arme nach vorn bewegt.

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5

5

Abb. .. Reaktion bei der Ballübung »Die Waa-ge«: Die Körperlängsach-se neigt sich nach vorn/hinten a Rollung des Balls nach vorn, reaktive Rück-neigung der Körperlängs-achse; b Rollung des Balls nach hinten, reaktive Vor-neigung der Körperlängs-achse

.

Abb. ..a–c Unterschiedliche Reaktionen bei der »Spinnübung«.

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2.5 Muskuläre Aktivitäten

Die Muskulatur hat unterschiedliche Aufgaben im Bewe-gungsverhalten. Die Arbeitsweise verändert sich

je nach Lage der Muskulatur in Beziehung zum Dreh-punkt,in Abhängigkeit von der Stärke der Hubbelastung,je nachdem, ob die Arbeitsweise von ein- oder mehr-gelenkiger Muskulatur geleistet wird.

2.5.1 Lage zum Drehpunkt

In Abhängigkeit von seiner Lagebeziehung zum Drehpunkt kann ein Muskel bewegend oder komprimierend auf die Gelenkfl äche einwirken, je nachdem, wie weit der Muskel von der Bewegungsachse entfernt ist. Wenn die Muskeln ihren Ursprung und Ansatz an den Gelenkpartnern weit entfernt vom Drehpunkt haben und die Hebelarme einen Winkel von 90° bilden, ist die bewegende Komponente besonders groß (. Abb. 2.37 a, b).

Die Bedeutung der komprimierenden Gelenkkom-ponente ist unbestritten. Sie stabilisiert das Gelenk. Durch die Kontraktion mehrerer Muskeln werden die Gelenkfl ächen gleichmäßig gegeneinander gedrückt. Das betrifft alle Gelenke des Körpers. Je mehr Freiheitsgrade ein Gelenk hat, umso komplexer müssen die komprimie-renden und stabilisierenden Kontraktionen der beteiligten Muskeln sein.

BeispielGelenknahe Muskeln der Rotatorenmanschette des Schultergelenks gewährleisten als Kapselspanner und Kompressoren den Zusammenhalt des sehr mobilen Schultergelenks. Die kurzen Muskeln, die sich um das Gelenk winden, erleichtern die Feineinstellung der Rotation und sichern die Stabilisierung bei vielen Geschicklichkeitsbewegungen der Hände.

2.5.2 Aktive und passive Insuffi zienzen

Die Arbeitsweise mehrgelenkiger Muskeln zeigt das ökonomische Prinzip natürlicher Bewegung. Wenn man berücksichtigt, dass ein Muskel in der Mittelstellung zwi-schen maximaler Dehnung und Verkürzung die größte

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Abb. .. a, b Einsetzen von Gegengewichten (Arme und Körper-längsachse) beim »Albatros«.

a

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22.5 · Muskuläre Aktivitäten

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Abb. .. a Lagebeziehung der Muskulatur zum Drehpunkt. Zug-richtung des Muskels (Z) und Rotationsachse (RA) stehen annähernd parallel (komprimierende Komponente) oder bilden einen Winkel zwischen 45° und 90° (bewegende Komponente). b Die Ansatzsehne

. des Quadrizeps wird durch die Patella von der Flexions-/Exten sions-achse des Kniegelenks entfernt. Dadurch besteht eine verbesserte bewegende Komponente

a

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Hub- und Bremskraft besitzt, weil sich bewegende Kom-ponente und Dehnfaktor günstig ergänzen, lässt sich das prinzipielle Verhalten der mehrgelenkigen Muskeln ver-stehen.

Mehrgelenkige Muskeln werden bei zunehmender distaler Verkürzung proximal durch kompensatorische Dehnung entsprechend verlängert. So kann die optima-le Gesamtlänge konstant bleiben. Sie haben ihre Haupt-funktion an den distalen Gelenken und können am bes-ten arbeiten, wenn sie distal (dynamisch konzentrisch) verkürzt und gleichzeitig proximal gedehnt werden. (. Abb. 2.38)

Die passive Insuffi zienz eines eingelenkigen Muskels ist immer pathologisch. Sie verändert die Statik und ver-ursacht unökonomische Belastungen der passiven Struk-turen und Tonusveränderungen der stabilisierenden Mus-kulatur.

Es gibt keine Normwerte für die Dehnfähigkeit der Muskulatur, da sich z.B. bei Dysfunktionen die Länge der Muskulatur verändern kann (7 Kap. »Untersuchung der Muskulatur, Teil B. 3.4). Bevor der Th erapeut die Muskulatur dehnt, muss er sich die Frage stellen, was die veränderte Muskelspannung verursacht. Es gibt unterschiedliche Formen von muskulären Bewegungseinschränkungen.

Man unterscheidet (funktionelle) refl ektorische Ver-kürzungen und strukturelle Verkürzungen.

Bei der refl ektorischen Muskelverkürzung palpiert man hypertone Muskulatur, die meist durch Schmer-zen, Schutz oder Abwehrspannung entsteht. Strukturelle Muskelverkürzungen sind nicht schmerz-haft . Es kommt zu bindegewebigen Veränderungen mit Bildung von pathologischen, nicht wasserlös-lichen Cross-Links und zum Abbau von Sarkomeren.

Die Trennung ist jedoch künstlich. Die Übergänge sind fl ießend und die Unterscheidung in der Praxis ist oft nicht möglich.

Die unterschiedlichen Formen der muskulären Bewe-gungseinschränkung erfordern einen unterschiedlichen Behandlungsansatz:

Refl ektorische Bewegungseinschränkung:Ziele und Behandlungsmaßnahmen: Schmerzlinderung und Sympathikussenkung

Bewegen im schmerzfreien Bereich (Mechanorezep-toren hemmen die Nozizeptoren)Behandlungen an der BWS (Verlauf des vegetativen Grenzstrangs)Stimulation von

Haut (Druck, Berührung, Vibrationen)Muskeln (Druck, Berührung, Vibrationen, leichte Dehnreize)Kapsel (Traktion und Kompression = Spannung-sänderung der Gelenkkapsel)

Wasserlösliche Cross-Links sind beeinfl ussbar durch Stei-gerung der Durchblutung im Gewebe in Kombination mit Bewegung.

5

5

5

5

5––

Abb. .. Ökonomisches Prin-zip der Muskelarbeit bei mehrgelen-kiger Muskulatur

.

Passive Insuffi zienz

Eine pathologische passive Insuffi zienz eines eingelenkigen Muskels liegt vor, wenn er sich nicht bis an die Arretie-rungen des Gelenks dehnen lässt. Sie kann physiologisch sein, wenn der Muskel mehrere Gelenke überbrückt und ist damit eine erwünschte ökonomische Bremse. Wenn die Bremswirkung zu früh eintritt, stört sie Bewegungsabläufe und die Statik oft erheblich, z. B. bei Verkürzungen der ischiokruralen Muskulatur.

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22.5 · Muskuläre Aktivitäten

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Strukturelle BewegungseinschränkungenZiele und Behandlungsmaßnahmen: Abbau der nicht-wasserlöslichen pathologischen Cross-LinksZunahme der reihengeschalteten SarkomereLösen von Verklebungen des Kapsel-Band-ApparatesStoff wechselanregung und Entlastung des GelenkesRegelmäßige endgradige Dehnung über längere Zeit bei der der Patient keine Schmerzen haben sollte, da das zu Abwehrspannungen führt.

Aktive Insuffi zienz

Eine aktive Insuffi zienz eines eingelenkigen Muskels liegt vor, wenn er nicht in der Lage ist, das endgradige Bewe-gungsausmaß zu fi xieren. Er ist also in Relation zu seiner Aufgabe zu lang. Eine traumatische bedingte aktive Insuf-fi zienz fi ndet man z.B. nach Frakturen langer Röhrenkno-chen, Schenkelhalsfrakturen, Hüft gelenksendoprothesen, Exstirpation der Patella sowie Teilabrissen von Muskeln, Muskel- und Sehnennähten. Die aktive Insuffi zienz eines eingelenkigen Muskels ist immer pathologisch. Bei mehr-gelenkigen Muskeln ist eine Verkürzung über alle Dreh-punkte wegen der physiologischen passiven Insuffi zienz seiner Antagonisten nicht möglich.

Pathologische aktive Insuffi zienz kann aufb auend so behandelt werden, dass anfangs die Dehnung des Muskels am proximalen Drehpunkt ausgenutzt wird, um den Mus-kel am distalen Drehpunkt endgradig zu verkürzen. Mit der Zeit verhindert man die proximale Dehnung. Das Ziel ist die endgradige aktive Fixierung über das Gelenk bei gleichzeitiger geringer proximaler Dehnung.

2.5.3 Einfl uss der Schwerkraft

Nach funktionellen Gesichtspunkten kann ein Muskel unterschiedlich in Aktion treten. Je nach Positionierung zur Schwerkraft kann er Gewichte nach oben heben, sie am Fallen hindern, sie wieder herunterlassen oder auf horizontalen Ebenen verschieben.

Dynamisch konzentrischDie Muskulatur verkürzt sich aktiv und arbeitet als Bewe-ger und Heber von Gewichten (Bewegungsrichtung nach »oben«). Wenn die Bewegungsachse und der Lastarm horizontal stehen, ist die Hubbelastung maximal. Die Ver-kürzung des Muskels gegen Widerstand ist dem gleichzu-setzen.

5

5555

BeispielVon einem Stuhl aufstehen: Um das Körpergewicht auf die Füße zu bringen, muss zuerst die Körperlängs-achse nach vorn bewegt werden. Dabei arbeiten die Hüftgelenksextensoren dynamisch exzentrisch (sie lassen aktiv nach). Erst danach beginnt die konzent-rische Arbeit für die Extensoren der Hüft- und Knie-gelenke. Sie müssen das Körpergewicht nach oben heben (. Abb. 2.39).

Abb. ..a–d Konzentrische Muskelarbeit der Knie- und Hüftge-lenksextensoren beim Aufstehen..

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Dynamisch exzentrischDie Muskulatur verlängert sich aktiv und senkt die Gewichte ab (Bewegungsrichtung nach »unten«). Bei horizontaler Lage der Bewegungsachse und des Lastarms ist die Hubbelastung maximal. Kontrolliertes Nachgeben eines Muskels bei einwirkendem Widerstand ist dem gleichzusetzen.

BeispielAus dem Stand zum Sitzen kommen (. Abb. 2.40). Die Extensoren der Hüft- und Kniegelenke müssen nachgeben und das Körpergewicht langsam absinken lassen. Die Arbeitsweise ist dynamisch exzentrisch.

Hubfrei Wenn eine Bewegungsachse vertikal steht, Bewegungen also auf horizontalen Ebenen stattfi nden, arbeitet die Muskulatur hubfrei und dynamisch konzentrisch. Teil-gewichte des Körpers werden von der arbeitenden Mus-kulatur bewegt, ohne dass diese die Gewichte gegen die Schwerkraft halten muss. Wenn der bewegte Körperteil auf einer Unterlage liegt, sollte der Reibungswiderstand so gering wie möglich gehalten werden, da zur Überwindung des Reibungswiderstandes eine positive Hubarbeit geleis-tet werden müsste.

BeispielIm Sitz arbeiten die Rotatoren der Wirbelsäule hubfrei (. Abb. 2.41).

Abb. ..a–d Dynamisch exzentrische Muskelarbeit der Knie- und Hüftgelenksextensoren beim Hinsetzen.

a b

c d

Abb. .. a, b Die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf sind in die virtuelle Körperlängsachse eingeordnet. Bei Bewegungen um diese Achse arbeiten die Rotatoren der Wirbelsäule hubfrei.

.

a b

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22.5 · Muskuläre Aktivitäten

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Wichtig

Steigerung der Hubbelastung: Damit die Muskulatur hubarm arbeiten und an die Kondition des Patienten angepasst werden kann, muss der Therapeut die Ausgangsstellung so wählen, dass die Bewegungsachsen zunehmend horizontal stehen. Zusätzlich kann die Länge des Hebelarms verändert werden.

Stabilisierend/statischDie Muskeln arbeiten statisch. Der aktive Muskel verän-dert seine Länge nicht, sondern arbeitet als Verhinderer einer möglichen Gelenkbewegung. Zur gleichen statischen Aktivität kommt es beim Halten gegen Widerstand.

BeispielBei der Haltungsbeurteilung fällt auf, dass der Brustkorb nach hinten geneigt ist und der Kopf in Bezug zum Brustkorb weiter vorn steht. Die beiden Gewichte haben die Tendenz, weiter nach unten abzurutschen. Die Schulter-Nacken-Muskulatur verhindert, dass der Kopf nach vorne fällt, und die Bauchmuskulatur verhindert, dass der Brustkorb noch weiter nach hinten sinkt (. Abb. 2.42). Allerdings muss auch eine gute Haltung durch stabilisierende Muskelarbeit gesichert werden.

2.5.4 Kontakt mit der Umwelt/ Aktivitätszustände

Bei der Bobachtung von Haltungen bzw. Stellungen des Körpers im Raum benötigt der Th erapeut Fachwissen über die Aktivitäten, die sich aus dem Kontakt des Kör-pers mit der Umwelt ergeben. Die Funktionelle Bewe-gungslehre beschreibt typisch auft retende Aktivitäten mit bildhaft en Begriff en. Sie sollen dem Th erapeuten die Beobachtung und Analyse der Lokalisation der Muskelak-tivitäten erleichtern.

Gegen die Schwerkraft gerichtete Muskelaktivität herrscht immer dort, wo Gelenke Bewegungstoleranzen nach unten aufweisen und/oder wenn an den Kontaktstel-len Rutschtendenzen bestehen.

Hat ein Körperabschnitt keinen Kontakt zur Umwelt und hängt oder ragt frei in den Raum, befi ndet er sich in Spielfunktion. Dazu sind vor allem die Extremitäten prä-destiniert.

Kontakt des Körpers mit einer UnterlageIm folgenden Abschnitt wird beschrieben, welchen Ein-fl uss das Ausmaß der Kontaktfl äche und die Anzahl der Kontaktstellen mit der Unterlage auf die Muskelaktivitäten haben. Je größer die Kontaktfl äche des Körpers mit der Unterlage, desto weniger stabilisierende Muskelaktivität ist nötig.

EntlastungsstellungenWenn ein Körperteil bzw. ein Körperabschnitt gut unter-lagert ist, ist am wenigsten Muskelaktivität zwischen den einzelnen Körperteilen oder Körperabschnitten erfor-derlich. Der Körper hat dann eine große Kontaktfl äche, und jeder Abschnitt drückt nur mit seinem Eigengewicht auf die Unterlage. Die Körperteile sind auf der Unterlage »geparkt«, d.h. in Parkierfunktion.

Abb. .. Fallverhindernde Mus-kelaktivitäten bei einer unphysiolo-gischen Haltung

.

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Wichtig

Wenn ein Körperabschnitt oder ein Teil davon mit einer Unterlage Kontakt hat und auf diese nur mit seinem Eigengewicht Druck ausübt, so befi ndet er sich in Parkierfunktion.

Diese Erkenntnis ist für den Th erapeuten der Schlüssel für das Finden optimaler Entlastungsstellungen.

Sobald die Körperanschnitte mit ihrem Eigengewicht auf einer Unterlage ruhen, sind keine erhöhten musku-lären Aktivitäten nötig, um die Körperabschnitte mitei-nander zu verbinden. Der Th erapeut kann durch Lagern die Intensität der muskulären Aktivitäten zwischen ein-zelnen Körperabschnitten oder Teilen davon gezielt redu-zieren.

BeispielRückenlage

Becken, Brustkorb und Kopf sind in die Körper-längsachse eingeordnet, die Beine sind unterla-gert, damit das Becken in Hüft- und Wirbelsäu-lengelenken genügend Bewegungstoleranzen hat. Die Oberarme sind so unterlagert, dass die Oberarmlängsachse horizontal eingestellt ist. Das Gewicht der Unterarme ruht auf dem Bauch. (. Abb. 2.43a)

»Hirtenbüeblistellung«Lagerung wie in Abbildung 2.43 a mit Variante für die Arme: Die Arme werden so auf Kissen gelagert, dass die Unterarme höher als die Schul-tergelenke liegen. (. Abb. 2.43b)

SeitlageBecken, Brustkorb und Kopf sind in die Körper-längsachse eingeordnet, bei Bedarf müssen die Lendenwirbelsäule und der Brustkorb unterlagert werden, damit es zu keinem seitlichen Verfor-mungen der Wirbelsäule kommt. Wichtig ist, dass das oben liegende Bein genügend hoch unterla-gert wird, damit sich das Beingewicht nicht trans-versalabduktorisch an das Becken hängt. Auch der oben liegende Arm muss genügend hoch unterlagert werden, damit er den Brustkorb nicht nach vorn oder nach hinten zieht. (. Abb. 2.43c)

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Abb. .. a Entlastungsstellung für Lenden-, Brust- und Halswir-belsäule in Rückenlage. b »Hirtenbüeblistellung« zur Entlastung der Halswirbelsäule. c Entlastungsstellung für Lenden-, Brust- Halswirbel-säule in Seitlage. d Entlastungsstellung für die Lenden- und Brustwir-belsäule in Halbseitenlage. e »Pascha Stellung«: optimale Lagerung im Sitzen mit modellierter Abo-back-Lehne und Lagerung der Arme

.

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Unterpolsterte Halbseitenlage Die Körperabschnitte Becken und Brustkorb, deren mittlere Frontalebene einen Winkel von ca. 45° zur horizontalen Unterlage bildet, sind mit Kissen gut unterpolstert. Wenn nötig, wird auch die Halswirbelsäule unterpolstert, ein Abweichen des Kopfs nach ventral kann toleriert werden. Der rechte Arm liegt bequem hinter dem Rücken auf der Unterlage. Der linke Arm wird unter dem Oberarm und Schultergelenk unterpolstert. Das rechte Bein liegt mit seiner ventrolateralen Seite auf der Unterlage und ist in den Hüft- und Kniegelenken bequem fl ektiert. Das linke Bein ist medial am Oberschenkel ebenfalls unterpolstert. Hüft- und Kniegelenke sind in bequemer Flexion (. Abb. 2.43d)

»Pascha-Stellung« Die Stuhllehne soll, wenn möglich, die physiolo-gische Krümmung der Lendenwirbelsäule und der unteren/mittleren Brustwirbelsäule unterstüt-zen, die Arme werden durch ein Kissen unterpols-tert, die Beine stehen mit ihrem Eigengewicht auf dem Boden (. Abb. 2.43e)

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Druckveränderungen an den Kontaktstellen Der Druck, den der Körper auf seine Unterlage ausübt, kann an jeder beliebigen Stelle gesteigert bzw. gemindert werden.

Eine Zunahme des Drucks kann erfolgen, wenn Gewichte über die Kontaktstelle, an der der Druck zunehmen soll, verschoben werden, wenn Teilgewichte des Körpers miteinander ver-bunden werden und dadurch an einer Stelle Druck ausüben.

BeispielBelastungswechsel im Zweibeinstand (Schrittstel-lung)

Variante: Gewichtsverschiebung. Der Brustkorb mit dem Kopf wird nach rechts über das zukünftige Standbein verschoben (. Abb. 2.44a)

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Variante : Verankerung des Beckens am zukünf-tigen Standbein. Durch die Instruktion »Der Druck unter dem rechten Fuß nimmt langsam zu« können größere Gewichtsverschiebungen verhindert werden, das Becken wird abduktorisch am Oberschenkel und lateralfl exorisch am Brustkorb verankert. Der Patient kann so die Belastung auf das zukünftige Standbein bringen, ohne dass die Körperlängs-achse ihre vertikale Einstellung aufgeben muss. Es fi ndet eine kleine Gewichtsverschiebung nach rechts statt (. Abb. 2.44b) Vierfüssler, Trippelphase Rechtes Knie und linke Handfl äche bzw. Iinkes Knie und rechte Handfl äche üben alternierend Druck auf die Unterlage aus. Infolge der Druck-erhöhung werden das Becken transversalab-duktorisch am Standbein und der Brustkorb transversalextensorisch am Standarm verankert. Das Becken dreht dabei in der unteren Brustwir-belsäule. (. Abb. 2.45)

5

5

Abb. .. Belastungswechsel im Zweibeinstand: a Druckzunah-me unter dem rechten Bein durch Gewichtsverschiebung, Translation des Brustkorbs und Kopfs nach rechts und Lateralfl exion in der Wirbel-säule, BWS rechts-/HWS linkskonkav; b Verankerung des Beckens ab-duktorisch am Standbein und lateralfl exorisch am Brustkorb

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Soll ein Abdruck erfolgen, muss zunächst eine kleine Aus-holbewegung in Richtung der Fläche ausgeführt werden, von der man sich abdrücken will. Der Abdruck erfolgt in der Regel durch die Extremitäten, sie geraten dabei in Spielfunktion.

Wichtig

Die Fähigkeit des Patienten, Druckveränderungen wahrzunehmen, ist für den Therapeuten ein wert-volles Instrument in der Instruktion von Haltung und Bewegungsabläufen. Er kann damit sehr diff e-renzierte Bewegungen und Gewichtsverlagerungen veranlassen.

Klinische RelevanzDruckveränderungen können immer als Gewichtsumver-teilung betrachtet werden. Der Therapeut nutzt dieses Wissen, um bestimmte Strukturen gezielt zu ent- bzw. zu belasten.

Mehrere Kontaktstellen des Körpers mit einer UnterlageHat der Körper an mehreren Stellen Kontakt mit einer Unterlage, kommt es zur Bildung von Brücken zwischen den einzelnen Kontaktstellen. Weisen die Gelenke in die-sen Brücken Bewegungstoleranzen nach unten auf, muss gegen die Falltendenzen stabilisiert werden. Die Muskelak-tivität Iiegt dabei auf der unteren Seite des Brückenbogens;

>

er muss verspannt werden. Diese Art der Muskelaktivität wird in der Funktionellen Bewegungslehre »Brückenaktivi-tät« genannt. Das Trainieren in geschlossener Kette kann dem gleichgesetzt werden.

Beispiel »Brückenbauch«

In der Endstellung werden die Pfeiler der Brü-cke durch die Oberarme und die Füße gebildet. Die dazwischen liegenden Gelenke (Knie- und Hüftgelenke und die Gelenke der Lenden- und Brustwirbelsäule) müssen durch stabilisierende Muskelaktivitäten ventral stabilisiert werden (. Abb. 2.46a, b)

»Bridging« Rückenlage, die Beine sind angestellt. Die Unter-schenkel bilden den kaudalen Pfeiler der Brücke. Kranial liegen der Kopf, die Schulterblätter und die obere Brustwirbelsäule auf der Unterlage. Die dazwischen liegenden Gelenke (Hüftgelenke, Lendenwirbelsäule, untere und mittlere Brustwir-belsäule) müssen extensorisch stabilisiert werden (. Abb. 2.46c)

»Bett des Fakirs« In der Endstellung bilden die Unterschenkel den kaudalen Pfeiler, der Ball bildet den kranialen Pfeiler. Die dazwischen liegenden Gelenke (Hüft-gelenke, Lendenwirbelsäule, untere und mittlere Brustwirbelsäule) müssen extensorisch stabilisiert werden (. Abb. 2.46d)

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Durch die Anpassung der Größe des Brückenbogens und die Anzahl Gelenke, die im Bogen stabilisiert werden müssen, kann der Th erapeut die gewünschte Intensität dosieren.

Wichtig

Für das Training der Bauch- und Rückenmuskulatur ist die Brückenaktivität eine sehr schonende Übungs-form. Es werden keine Hebel eingesetzt, die an der Wirbelsäule wuchten und Abscherbelastungen pro-vozieren können, und die Muskulatur kann in unter-schiedlicher Intensität trainiert werden (~ selektives Muskeltraining).

Abb. .. Druckerhöhung unter der linken Hand und unter dem rechten Knie veranlasst, dass sich die diagonal gegenüberliegenden Extremitäten vom Boden abheben und (je nach Ausmaß) eine Rota-tion in der Wirbelsäule erfolgt

.

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22.5 · Muskuläre Aktivitäten

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Gehen an einer Unterarmstütze Bei Schräglage des Stocks ist ein sicheres Stüt-zen und Entlasten nicht mehr möglich, da es zur Rutschtendenz unter dem Stock und Fuß kommt (. Abb. 2.48).

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Stützfunktion Drückt eine Extremität mit mehr als ihrem Eigengewicht vertikal auf die Unterlage und sind die dazwischen lie-genden Gelenke stabilisiert, so befi ndet sich dieser Kör-perabschnitt in Stützfunktion. Sobald angrenzende Körper-abschnitte muskulär mit ihnen verbunden sind, z.B. das Becken mit dem Bein oder der Brustkorb mit den Armen, drücken die Extremitäten mit mehr als ihrem Eigenge-wicht auf eine Unterlage.

Bei einem Körperabschnitt in Stützfunktion müssen die Gelenke stabilisiert werden. Die Mittelgelenke werden dabei zusätzlich auch rotatorisch gegenläufi g stabilisiert.

Abb. .. a Endstellung des »Brückenbauchs«: stabilisierende Ak-tivitäten ventral. b »Brückenbauch« mit erhöhter Rutschtendenz unter den Armen. c »Bridging«: stabilisierende Aktivitäten dorsal. d Endstel-lung des »Bett des Fakirs«: stabilisierende Aktivitäten dorsal

.

RutschtendenzEntstehen an den Kontaktstellen des Körpers mit der Unterlage Rutschtendenzen, weil ein Stützpfeiler nicht senkrecht zur Unterlage steht und/oder die Unterlage nicht horizontal ist, kommt es zu zusätzlichen stabili-sierenden Aktivitäten, die der Rutschtendenz entgegen-wirken. (. Abb. 2.47a)

BeispielBrückenbauch

Die Oberarme stehen schräg. Die Intensität der ventralen Muskelaktivität wird durch die Rutschtendenz des Pfeilers Arm erhöht. Dieser wird quasi in den Brückenbogen miteinbezogen (. Abb. 2.47b)

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Abb. .. a Abstützen an einer Wand: Lehnen an eine Wand, Rutschtendenz an den Kontaktstellen, Aktivitäten vorwiegend dor-sal über Hüftgelenken sowie Lenden- und Brustwirbelsäule. b Abstüt-zen mit Hilfe der Hände an der Wand, Aktivitäten vorwiegend ventral an Knie- und Hüftgelenken sowie Bauch, distal reaktiv auf das Kopf-gewicht

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

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Klinische Relevanz Der Therapeut muss dem Patienten bei dem Gehen mit Stützen die Skapulaposition beibringen, damit die Mus-kulatur ihre Stützfunktion ausüben kann. Die vorausge-hende Verankerung der Skapula auf dem Brustkorb (in posteriorer Depression) wäre demnach kontraproduktiv.

Für die Arme bedeutet das: Pronation im Unterarm mit Außenrotation im Humeroskapulargelenk Für den Stütz stehen die Skapulae in soviel Abduk-tion/Elevation (Protraktion/Elevation des Schulter-gürtels), dass der Brustkorb bei einer Aktivierung der Muskulatur zum Schultergürtel gehoben werden kann (Umkehr von punktum fi xum und punktum mobile)

Die Beine müssen als Basis für den ganzen Körper dienen. Eine optimale Verschraubung der Längswölbung bietet den darüber liegenden Körperabschnitten eine stabile Unterlage. Ein Beinachsentraining schließt somit immer eine Optimierung aller gegensinnigen muskulären Ver-schraubung ein.

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Für die Rotationsstabilität der Beine bedeutet das: Pronation des Vorfußes mit Inversion des Rückfußes (Verschraubung der subtalaren Fußplatte) Außenrotation im Hüft gelenk (bei Nullstellung in Bezug auf Flex/Ext im Hüft gelenk) und damit Innen-rotation im Kniegelenk.

Kontakt des Körpers mit einer Abstützvorrichtung Hat der Körper Kontakt mit einer Unterlage und einer Abstützvorrichtung z.B. einer Wand, kommt es an den Kontaktstellen zu Rutschtendenzen. Die Muskulatur muss dann einerseits gegen die Falltendenzen nach unten wie auch gegen die Rutschtendenz arbeiten.

Beispiel Abstützen an einer Wand

An der Kontaktstelle Fuß-Boden kommt es zu Rutschtendenzen nach vorne. Die Plantarfl ex-oren müssen stabilisierend arbeiten. Gleichzeitig müssen die Hüftgelenke und die Lenden- und Brustwirbelsäule extensorisch stabilisiert werden (. Abb. 2.47a)

Abstützen mit den Händen an der WandBeim Abstützen mit den Händen an der Wand müssen die Knie- und Hüftgelenke sowie die Lenden- und Brustwirbelsäulengelenke ventral stabilisiert werden. Dadurch wird die dorsale Muskulatur entlastet (. Abb. 2.47b)

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Kontakt des Körpers mit einer HängevorrichtungWenn der Körper oder einzelne Körperabschnitte an einer Hängevorrichtung der Umwelt oder des eigenen Körpers hängen, entsteht eine Traktion auf die Gelenke. Die Mus-kulatur reagiert mit einem klimmzugartigen Bewegungs-muster, um den Zug auf die Gelenke zu verhindern.

BeispielHängen am Treppengeländer (. Abb. 2.49)Hängen des Brustkorbs im Schultergürtel (. Abb. 2.50)

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Abb. .. Schräger Stockeinsatz und dadurch Rutschtendenzen an den Kontaktstellen.

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22.6 · Myofasziale Systeme

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2.6 Myofasziale Systeme

Salah Bachah

Die Muskulatur ist keine Gruppierung von homogenen Muskelfasern mit gleichen metabolischen und funktio-nellen Eigenschaft en, sondern besteht aus verschiedenen Fasertypen. Sie sind nach ihren kontraktilen und metabo-lischen Charakteristika klassifi ziert (. Tab. 2.1).

Alle Muskeln enthalten alle Fasertypen (Typ I, IIa, IIb), allerdings in unterschiedlicher prozentualer Zusam-mensetzung. Im Allgemeinen besteht die Muskulatur eines Menschen zu ca. 45 bis 55 Prozent aus Fasertyp I. Es existiert jedoch eine individuelle Variabilität. Parameter wie genetische Veranlagung, Alter (mehr Fasertyp II), Partizipations- und Aktivitätsprofi le (7 Kap. 4) einer Per-son beeinfl ussen die Zusammensetzung der Fasertypen. So sind unterschiedliche motorische Fähigkeiten bei den Menschen zu verzeichnen. Personen, deren Muskulatur mehrheitlich Fasern des Typs I aufweisen, sind ausdau-ernd und für Sportarten wie Radfahren oder Marathon-laufen besonders geeignet. Andere, die überwiegend Mus-kelfasern des Typs II aufweisen, sind wahrscheinlich bei Bewegungen, die eine schnelle Kraft verlangen (springen), leistungsfähiger. Klinisch ist wichtig festzuhalten, dass solche Werte nicht absolut sind, eine gewisse Reversibili-tät (= Umkehrbarkeit) in der Zusammensetzung ist mög-lich, gesteuertes Funktionstraining kann gezielt auf einen Fasertyp fokussieren (7 Kap. 2.6.1, Plastizität der Musku-latur).

2.6.1 Plastizität der Muskulatur

ImmobilisationDie Muskulatur ist eine dynamische Struktur, die durch eine hohe Plastizität charakterisiert ist. Das Gesetz der Transformation der Knochen nach Wolf (1892), mit dem er, sinngemäß wiedergegeben, die Interaktion zwischen Form und Funktion formulierte, lässt sich auf diese Struk-tur übertragen. Tierexperimente u. a. von Williams und Goldspink (1973) haben gezeigt, dass die Muskulatur dem Prinzip der Ökonomie und Funktionalität folgt. Bei Immo-bilisation in angenäherter oder verlängerter Stellung adap-tiert sie strukturell stets so, dass sie die optimale Kraft in der jeweilig gehaltenen Position entfalten kann (aktuelle Ruhestellung). Neben der Abnahme der Viskoelastizität verliert die angenäherte Muskulatur an maximaler Kraft .

Abb. .. Hängen am Treppengeländer.

Abb. .. Hängen des Brustkorbs im Schultergürtel. Aktivität im Körperabschnitt Arme (in Stützfunktion) und zwischen Brustkorb und Schultergürtel

.

Ausgangsstellung: Sitz auf einer Kiste, seitliches Stützen mit den Händen neben dem Trochanter rechts bzw. links. Durch Druckzunahme unter den Händen wird der Brustkorb an den Schultergürtel gehängt. Dabei werden die Muskeln des Schultergür-tels aktiviert, die die Depression ausführen. Es kommt zu einer refl ektorischen Entspannung der Muskulatur, die die Elevation ausführt. Gleichzeitig kann die Len-denwirbelsäule entlastet werden.

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

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Der Atrophie-Prozess ist bei der verlängerten Muskulatur weniger ausgeprägt und zeigt eine höhere maximale Kraft (. Abb. 2.51).

Microgravity (verminderte Schwerkrafteinwirkung)Das Fehlen bzw. die verminderte Schwerkrafteinwirkung ist mit reduziertem mechanischen Reiz und propriozeptiven Inputs verbunden. Ein Aufenthalt im All oder fehlende Aktivität über längere Zeit führen zu einer spezifi schen Atrophie der Muskulatur. Studien u. a. von Desplanches (1997) haben in diesem Zusammenhang eine bevorzugte Atrophie des Fasertyp I sowie eine Teilkonversion des Typs I in Typ II festgestellt. Die Erfahrungen mit Astro-nauten haben diese Tatsache belegt. Es ist bekannt, dass sie nach einem Aufenthalt im All wegen der ausgeprägten Atrophie (mehr Typ I) und verminderter Propriozeption zu Rückenschmerzen neigen (7 Kap. 2.6.2 »lokale Mus-kulatur« und . Tab. 2.2). Richardson und Bullock (1986) ließen bei ihrer Untersuchung unter reduzierter Belastung den Probanden aktiv im off enen System den Unterschen-kel schnell fl exorisch/extensorisch bewegen. Die EMG-Messung zeigte darauf hin eine richtungs- und tempoab-hängige Aktivität der globalen Muskeln (mehrgelenkigen Muskeln: M. rectus femoris und ischiokrurale Muskula-tur), während der M. vastus medialis obliquus (quadri-ceps femoris) seine niedrige tonische Kontraktion unab-hängig von der Bewegungsrichtung zu verzeichnen hatte. Daraus kann man schließen, dass Parameter wie Tempo, Belastung, Spiel- oder Stützfunktion die Qualität der Mus-kelfunktion prägen.

2.6.2 Muskelfähigkeiten

Die anatomische Betrachtung der Muskulatur off enbart eine enge Verfl echtung mit dem Bindegewebe (Faszie) Eine Faszie bezeichnet die bindegewebige Umhüllung von Muskeln und Muskelgruppen. Sie besteht vor allem aus Kollagenfasern, die der Muskulatur die nötige Festigkeit und Elastizität geben. Zudem gibt die Faszie dem Mus-kel seine eigentliche Form. Wichtige Aufgaben der Fas-zie sind, die Gleitfähigkeit und die Kraft übertragung der Muskeln untereinander zu gewährleisten. An den Enden des Muskels vereinen sich die Faszien häufi g zu einer Seh-ne, mit der der Muskel am Knochen angeheft et ist.

Eine lokale Kontraktion eines einzelnen Muskels löst eine weiterlaufende Spannung aus, die sich entlang des anatomischen Verbundes fortpfl anzt ( kinetische Ket-

Tab. .. Fasertypen und ihre Eigenschaften.

Muskelfaser Typ I Typ IIa Typ IIb

Kontraktion Langsam/tonisch Schnell/dynamisch Schneller/dynamisch

Sauerstoff bedarf Oxidativ Glycotisch/oxydativ Oxidativ

Energiefreisetzung AT Pase gering AT Pase hoch AT Pase hoch

Ermüdung Ausdauernd Weniger ausdauernd Schnell ermüdend

Aktivität Spezifi kation Primär bei wenig Intensität Sekundär gegen die Schwerkraft

Sekundär bei hoher Intensität

Charakteristika Interaktion mit Propriozeption

Interaktion mit Kompression

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Kontrollmuskel

Immobilisation in angenäherter Stellung

Immobilisation in verlängerter Stellung

Abb. .. Verhältnis zwischen Länge und Kraft eines Muskels nach Immobilisation; adaptiert nach Sahrmann (2002).

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22.6 · Myofasziale Systeme

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sind die lokalen Muskeln vor jeglicher Extremitätenbewe-gung zuerst aktiviert (Hodges und Richardson 1997). Die-se Vor-Aktivierung ist stets unabhängig von der Richtung der Bein- und Armbewegungen. Sie sind damit in der La-ge, die Wirbelsegmente zu stabilisieren und sie antizipato-risch vor ankommenden Impulsen aus der Peripherie zu schützen. Es entspricht einem Teil der Defi nition der dy-namischen Stabilisation nach Klein-Vogelbach und wird beispielsweise in der therapeutischen Übung »Kurz und Bündig« umgesetzt (Werbeck u. Spirgi-Gantert, 1999). Die Relevanz dieser spezifi schen Rekrutierung zeigt sich am Beispiel des M. vastus medialis obliquus (VMO, Qua-drizeps femoris), der wahrscheinlich während der ganzen Standbeinphase die Patella-Bewegung auf dem Femur kontrolliert.

Globale Muskeln (Bergmark, 1989) liegen oberfl ächlich, überspringen mehrere Drehpunkte, koordinieren eher die Kraft übertragung zwischen den Körperabschnitten (Be-cken und Brustkorb). Der Einsatz dieser Muskeln im Be-wegungsverhalten orientiert sich an die Schwerkraft . Sie steuern abhängig von der Bewegungsrichtung die Ge-gengewichte bei Gleichgewichtsreaktionen. Es sind Mus-keln, die bei der Fehlstatik die Körperabschnitte (Gegen-gewichte) fallverhindernd fi xieren und damit eine Hyper-aktivität aufweisen. Richardson et al (2004) haben ihrer-seits von Rood die Klassifi zierung übernommen, die Sta-bilisatoren und Mobilisatoren (Goff , 1972) unterscheidet, und diese weiterentwickelt. Weil der Schwerkraft als Re-ferenzparameter im Verständnis der Fähigkeiten der myo-faszialen Systeme in diesem Konzept eine entscheidende Rolle zukommt, entspricht es mit anderer Nomenklatur der Betrachtungsweise der funktionellen Bewegungsleh-re (Klein-Vogelbach (1984).

Tab. .. Eigenschaften der lokalen und globalen Muskulatur.

Lokal Global

Tiefste Muskeln mit segmentalen AnsätzenKontrolle der neutralen Stellung der WSKontrolle der intersegmentalen BewegungAktivität unabhängig von der BewegungsrichtungGeeignet für Aktivität mit wenig HubReagieren mit Inhibition bei DysfunktionReagieren mit Inhibition bei Fehlhaltung

Oberfl ächlich, äußere SchichtenKein segmentaler AnsatzVerbinden Körperabschnitte (Becken –Brustkorb)Aktivität in Zusammenhang mit einer Bewegungsrichtung (Flexi-on -Extension)Aktivität vorwiegend bei schnellem und großem HubAktivität bei großen AmplitudenReagieren eher mit Festigkeit bei Dysfunktion Reagieren eher mit Festigkeit bei Fehlhaltung

te). Deshalb bilden Muskel und Faszie eine funktionell untrennbar miteinander verbundene Einheit, wir spre-chen vom myofaszialen System.

Die Vielfalt der Kontaktaufnahme des Körpers mit der Umwelt und die ständige Einwirkung der Schwer-kraft erfordern ein komplexes dynamisches myofasziales System, das auf die jeweilige Situation adäquat reagieren kann. Die Muskulatur besitzt folgende Fähigkeiten:

Sie kann zielgerichtet Bewegung einleiten. Sie kann die ausgelöste Bewegung widerlagern.Sie kontrolliert auf lokaler Ebene die intersegmen-talen Bewegungen bei der Wirbelsäule und in der Dynamik die Zentrierung der Gelenke. Sie sichert das Gleichgewicht durch reaktive Bewe-gungen der Körperabschnitte. In der Interaktion mit dem zentralen Nervensystem mittels Antizipation übt sie eine Schutzfunktion für die umliegenden Strukturen (z. B. Bänder, Gefäße, Nerven) aus, und durch Feedback sichert sie die Bewegungskontrolle.

Diese Fähigkeiten werden jeweils von spezifi schen myo-faszialen Systemen mit unterschiedlicher Effi zienz erfüllt.

Das Konzept der Klassifi kation der Muskulatur in myofaszialen Systeme entspricht deren funktionellen Auf-gaben im Bewegungsverhalten. Bergmark (1989) klassifi -ziert die Muskeln nach ihrer Aufgabe bei der Kraft über-tragung innerhalb der Wirbelsäule.

Lokale Muskeln (Bergmark, 1989, . Tab. 2.2) sind durch ihre topographische Lage, nahe und quer liegend am Ge-lenk (u. a. medialer M. multifi dus, M. longus colli), be-stens geeignet zur Kontrolle der intersegmentalen Bewe-gung. Bezüglich der Reihenfolge der Muskelrekrutierung

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

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Als Stabilisatoren bezeichnet Richardson (2004) sowohl die lokalen Muskeln (Bergmark, 1989), als auch die oberfl ächlich liegende monoartikuläre Muskulatur (z. B. M. gluteus medius, M. vastus intermedius). Bei der Akti-vierung liegt die Fähigkeit dieser eingelenkigen Muskeln in der Stützfunktion, wobei sie insbesondere als Bremser wirken (Klein-Vogelbach, 1984). Dies bedeutet die Kon-trolle der absinkenden Gewichte z. B. beim Treppe runter-steigen und Hinsetzen.

Mobilisatoren sind die global oberfl ächlich liegen-den polyartikulären Muskeln wie der M. rectus femoris, M. rectus abdominis und die ischiokrurale Muskulatur (. Tab. 2.3). Ihre Fähigkeiten entsprechen den globalen Muskeln. Im nachfolgenden Text werden als primäre Sta-bilisatoren die lokal liegenden Muskeln, als sekundäre Sta-bilisatoren die monoartikuläre Muskulatur und als Mobi-lisatoren die mehrgelenkigen Muskeln bezeichnet.

2.6.3 Klinische Relevanz

BewegungsverhaltenEine Dysfunktion des myofaszialen Systems kann sich sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene manifestie-ren (Bergmark, 1989). Lokal äußert sich die Dysfunktion in Form einer mangelhaft en segmentalen Stabilisation (abnormale artikuläre Translation). Global besteht die Dysfunktion in einem veränderten Zusammenspiel zwi-schen den Agonisten und Antagonisten:

Es ergibt sich eine muskuläre Dysbalance (Janda, 1979). Wegen der Interaktion beider Systeme sind Instabilitäten häufi g mit einer Dysbalance kombiniert. Im Bewegungs-verhalten kann sich die Störung auf lokaler Ebene in einer möglichen segmentalen Instabilität, einer mangelhaften Kontrolle der neutralen Stellung der Wirbelsäule und einer

gestörten Propriozeption äußern. Die Fähigkeit, einzelne Körperabschnitte selektiv zu bewegen, zu stabilisieren sowie eine vorgegebene Haltung (z. B. der Wirbelsäule) zu reproduzieren, ist häufi g gestört.

Eine erhöhte Federfestigkeit der globalen Myofaszien führt zu einer veränderten Kinetik innerhalb der weiter-laufenden Bewegung. Nach der Gesetzmäßigkeit der Kräft e (Weg des geringsten Widerstandes) werden meh-rere Drehpunkte von dem Bewegungsimpuls nicht erfasst, kompensatorisch andere um so mehr. Dies ist eine häufi ge Ursache einer Hypermobilität im Sinne einer Ausweich-bewegung. Bedingt durch ihre topographische Lage, besit-zen globale Muskeln ein hohes Drehmoment. Ihre Hyper-aktivität führt in dieser Konstellation bei Bewegung zu einer ungewollten Dezentrierung der Gelenke (verändertes momentanes Rotationszentrum).

StatikEs stellt sich die Frage, ob die menschliche Muskulatur in ähnlicher Art und Weise, zum Beispiel bei fi xierter Haltung, ähnlich adaptiert. In Folge dessen kann eine dauerhaft e Fehlhaltung zur Veränderung des Spannungs-Längenverhältnisses der Muskulatur führen (. Abb. 2.52). Klinische Erfahrungen sprechen dafür. Relevant könnte demnach für den Entscheidungsprozess in der Unter-suchung und Intervention die Beurteilung sein, ob sich durch eine veränderte Statik bestimmte Muskeln adaptiv verlängern beziehungsweise verkürzen. Wir sprechen von aktiver/passiver Insuffi zienz (7 Kap. 2.5.2)

Tab. .. Eigenschaften der Stabilisatoren – Mobilisatoren (Adaptiert aus Comerford 2001).

Stabilisatoren Mobilisatoren

MonoartikulärSegmentale AnsätzeTief liegend mit kleinem DrehmomentOberfl ächlich liegend mit fl ächigen Ansätzen (bessere Kraftüber-tragung)Überwiegend aktiviert in der StützfunktionAktiviert bei der Bremserfunktion (Kontrolle der Gewichte im ex-zentrischen Modus)

Biartikulär / MultiartikulärOberfl ächliche LageLange Hebelarme, großes DrehmomentKönnen schnelle Bewegungen und große Amplituden erzeugenÜberwiegend aktiviert in der SpielfunktionAktiviert bei ballistischen Bewegungen

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22.6 · Myofasziale Systeme

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Wichtig

Eine Muskelfunktionsprüfung in ihrer klassischen Ausführung würde keine reelle Information über die Muskelfunktion liefern. Um Aufschluss über die eventuelle Adaptation des Muskels im Sinne einer Verlängerung zu gewinnen, wäre es notwendig, den Muskel in seiner möglichst maximal angenäherten Stellung zu testen.

Wird eine Adaption festgestellt, besteht das therapeu-tische Ziel darin, eine Restrukturierung der Muskelfasern zu stimulieren und den Muskel selektiv in angenäherter Stellung zu aktivieren.

ZusammenfassungDem Konzept der myofaszialen Systeme entspricht die Betrachtungsweise der Funktion der Muskulatur innerhalb der Funktionellen Bewegungslehre. Die klinische Entscheidungsfi ndung bei der Fähigkeitsun-tersuchung der Muskulatur basiert auf der defi nierten Norm des Bewegungsverhaltens der Körperab-schnitte. Wir untersuchen nicht primär den einzelnen Muskel, sondern die Fähigkeit der myofaszialen Systeme innerhalb der Körperabschnitte und in der Interaktion der Körperabschnitte untereinander.

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Untersuchung auf Grundlage der ICF

3.1 Ärztliche Diagnose, die zur Verordnung der Physiotherapie geführt hat – 56

3.2 Beurteilung der Kondition in Bezug auf das reale Lebensalter – 56

3.3 Beurteilung der Muskulatur in Bezug auf ihren Trainingszustand – 56

3.4 Anamnese – 573.4.1 Schmerzanamnese – 57

3.5 ICF als Grundlage der Untersuchung – 58

3.6 Partizipation – 59

3.7 Kontextfaktoren – 593.7.1 Umweltfaktoren – 603.7.2 Personenbezogene Faktoren – 60

3.8 Aktivität – 613.8.1 ADL – 613.8.2 Sitzen – 613.8.3 Bücken – 623.8.4 Gehen – 643.8.5 Funktionelle Fehlatmung – 72

3.9 Struktur und Funktion – 723.9.1 Konstitution – 723.9.2 Statik – 783.9.3 Gelenkbeweglichkeit – 893.9.4 Untersuchung des Bewegungsverhaltens

der einzelnen Körperabschnitte und der Körperlängsachse – 95

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

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Die Untersuchung eines Patienten dient dazu, eine physio-therapeutische Diagnose zu stellen, die dann die Grund-lage für die therapeutische Intervention darstellt.

Die Untersuchung eines Patienten kann durch unter-schiedliche Betrachtungsweisen gelenkt werden. Im Wesentlichen können eine strukturorientierte, eine ver-haltensorientierte und eine funktionsorientierte Betrach-tungsweise unterschieden werden. Alle drei Sichtweisen haben das gemeinsame Ziel, die Folgen der Erkrankung für das Leben des Patienten zu mindern und damit die Lebensqualität wiederherzustellen bzw. zu verbessern.

Bei der strukturorientierten Betrachtungsweise wird die pathologisch veränderte Struktur gesucht, die für die Beschwerden des Patienten verantwortlich sein kann.

Wichtig

Nicht jede pathologisch veränderte Struktur des Bewegungsapparates erzeugt Schmerzen.Schmerz entsteht nicht nur durch pathologisch veränderte StrukturenDas klinische Auffi nden einer pathologisch verän-derten Struktur ist oft schwierig

Die pathologisch veränderte Struktur kann physio-therapeutisch nur hinsichtlich Schmerzlinderung und Förderung der Heilung behandelt werden.

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Die verhaltensorientierte Betrachtensweise berücksichtigt, dass nicht der Schmerz allein, sondern auch die Auswir-kungen der Erkrankungen das »Kranksein« des Patienten bestimmen. Verhaltensorientierte Behandlungsansätze sind die Veränderung des Umgangs mit dem Schmerz. Als positive Beeinfl ussung und Motivation sind sie seit jeher Teil der Physiotherapie.

Haltung und Bewegung gelten als wichtigste Funkti-onen des Bewegungssystems. Darauf basiert die funktions-orientierte Betrachtungsweise. Zwischen ihnen und den beklagten Beschwerden des Patienten wird eine Korrela-tion gesucht. Haltung und Bewegung lassen sich physio-therapeutisch beeinfl ussen bzw. verändern, um so auf die damit zusammenhängenden Symptome zu wirken.

Der Th erapeut wird sich jedoch immer fragen, ob einzelne Strukturen oder Funktionen geschädigt sind, ob die Schädigung den Patienten bei bestimmten Aktivitäten hindert oder er sogar aufgrund des Aktivitätsverlustes nicht in der gewünschten Weise am Gesellschaft sleben teilnehmen kann.

Grundsätzlich beginnt die physiotherapeutische Untersuchung mit der Erfassung der Daten, wie ärztliche Diagnose, Belastbarkeit und Trainingszustand des Pati-enten. Anschließend wird die Anamnese, besonders die Schmerzanamnese, erhoben.

3.1 Ärztliche Diagnose, die zur Verordnung der Physiotherapie geführt hat

Die Diagnose gibt die Kriterien für die Auswahl der physio-therapeutischen Behandlungsverfahren vor und bedingt die Kontraindikationen. So müssen z.B. Nebendiagno-sen berücksichtigt werden, wie koronare Herzkrankheit (KHK), arterielle Hypertonie, Herzinfarkt, Diabetes, akut entzündliche Prozesse, Tumor, Metastasen usw.

3.2 Beurteilung der Kondition in Bezug auf das reale Lebensalter

Dieser Untersuchungsabschnitt schützt den Th erapeuten vor unbewussten stereotypen Denk- und Verhaltenswei-sen (»In Ihrem Alter muss man damit rechnen, dass…« oder »Das kann man nur mit jüngeren Patienten machen/üben.«). Die Beurteilung beruht auf dem subjektiven Ein-druck des Th erapeuten und seiner subjektiven Einschät-zung des Patienten.

Der aktuelle Leistungszustand wird erfasst, indem man die Belastbarkeit verletzter, degenerierter und ope-rierter Strukturen berücksichtigt. Die Leistungsfähigkeit wird durch den Funktionszustand des neuromuskulären und des energetischen Systems bestimmt.

3.3 Beurteilung der Muskulatur in Bezug auf ihren Trainingszustand

Aus den motorischen Grundeigenschaft en Beweglichkeit, Kraft , Ausdauer, Schnelligkeit und Koordination setzen sich psychomotorische, sensomotorische, fein- und grob-motorische Fähigkeiten zusammen. Eine Überprüfung der Kraft gibt dem Th erapeuten die Information, ob der Patient die geforderte Kraft für einen bestimmten Bewe-gungsablauf aufb ringen kann.

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33.4 · Anamnese

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3.4 Anamnese

Bei der Erhebung der Anamnese erfragt man folgende Punkte:

Wie ist der bisherige Krankheitsverlauf?Welche Probleme stehen für den Patienten im Vor-dergrund? Aus diesen Angaben lassen sich gemein-same Ziele für die Th erapie vereinbaren.Angaben über bisherige Th erapien können den Th e-rapeuten bei der Wahl seiner Strategie leiten. Waren sie erfolgreich, entsteht dort ein Anknüpfungspunkt.Auch Symptome wie Schwäche, Steifi gkeiten, Insta-bilitäts- bzw. Unsicherheitsgefühl und Missempfi n-dungen geben dem Th erapeuten Informationen, die ihn in der weiteren Untersuchung leiten.

Ursachen für Symptome, die erst nach längerer Zeit auft re-ten, sind operative Eingriff e, Unfälle, Krankheiten etc. Auf diese Weise entstehen Pathomechanismen, wie z.B. Hals-wirbelsäulenprobleme nach Sprunggelenkverletzungen, Störungen viszeraler Art, z.B. gynäkologische Probleme mit gleichzeitigen Lendenwirbelsäulen- oder Iliosakralge-lenksproblemen, oder psychosomatische Störungen.

3.4.1 Schmerzanamnese

Die International Association for Study of Pain (1979) for-muliert eine Defi nition, die die verschiedenen Aspekte des akuten und chronischen Schmerzes umfasst:

Defi nition»Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Ge-fühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Ge-websschädigung verknüpft ist oder mit Begriff en einer solchen Schädigung beschrieben wird.« (IASP 1979)

Wichtig

Der Schmerz ist als Frühwarnsystem des Körpers zu verstehen.

Das subjektive Erleben von »Schmerz« muss so weit wie möglich messbar gemacht werden, damit eine Th erapie beurteilt werden kann. Für den Patienten ist entscheidend,

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3.

4.

dass sich sowohl die Intensität des Schmerzes als auch sein Charakter verändert. Daran wird letztendlich das Ergeb-nis jeder Th erapie gemessen.

Bei der Schmerzanamnese müssen folgende Punkte berücksichtigt werden:

Schmerz kann von allen Nozizeptoren des Körpers ausgehen. Nozizeptoren sind spezialisierte Schmerz-melder. Ihre verzweigten Enden haben sich auf Schmerzreize (auch z. B. Hitze- und Druckreize) spezialisiert und leiten diese an das Zentrale Nerven-system weiter. Die Stärke des Schmerzes steht nicht in Wechselbe-ziehung zum Grad der Gewebereizung oder -schädi-gung.Der Ort der Schmerzempfi ndung entspricht nicht in jedem Fall dem Ort der Schmerzentstehung ( »refer-red pain«).Ein gleich bleibender, permanenter Schmerz ist nicht notwendigerweise mechanisch bedingt, sondern kann auch entzündlich sein.Ziel der Schmerzbefragung ist es herauszufi nden, ob eine Struktur oder nichtstrukturelle Ursachen (z.B. gelernter Schmerz) verantwortlich sind. Dies ist bei funktionellen Störungen oft schwierig, da wir sehr häufi g wechselnde Schmerzlokalisationen fi n-den (heute Nacken, morgen Knie, übermorgen ...). Bei spezifi schen Traumata hingegen zeigen sich die Probleme an der geschädigten Stelle. Morpholo-gische Veränderungen, wie z.B. degenerative Verän-derungen, müssen nicht zwangsläufi g die Ursache bestehender Beschwerden sein.

Wichtig

Die Anerkennung des Schmerzes als lebenserhal-tendes Prinzip und das Erfassen der Gründe für sein Zustandekommen wird zum Wegweiser für die The-rapie.

Schmerzverstärkende Faktoren sind: Sorgen, Unruhe, Angst, Depression, Einsamkeit, Inaktivität, Schlafl osig-keit, Erinnerung an Schmerzen, Belastungen, Stress.

Schmerzverringernde Faktoren sind: Medikamente, Ablenkung, Entspannung, Aktivität, Hypnose, Schlaf, Zuwendung, Freude, Ausgeglichenheit, Hoff nung (Reh-fi sch et al. 1989).

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

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Giff ord (1998) spricht von »pain management« und meint damit, dass Patienten, die lernen, sich nicht durch den Schmerz beherrschen zu lassen, sondern vielmehr selbst den Schmerz beherrschen, Besserung erreichen (siehe auch Butler u. Moseley 2005).

Fragen zur SchmerzanamneseDer Th erapeut muss herausfi nden, ob körpereigene oder körperfremde Gewichte für den Schmerz verantwort-lich zu machen sind und ob eine Muskelgruppe ver-mehrt fallverhindernd arbeiten muss. Eventuell bedeutet eine bestimmte Position Entlastung oder Belastung für bestimmte Strukturen. Durch Schmerzprovokationstests kann der Schmerz reproduziert werden.

Wo ist der Schmerz?Die Lokalisation des Schmerzes gibt uns einen Hinweis auf die betroff ene Struktur:

Lokal: scharf begrenzt oder diff us (z.B. ein bestimmter Punkt oder die ganze Schulter, Lenden-wirbelsäule mit Gesäß). Welche Strukturen liegen unter der gezeigten Stelle?Ausstrahlend:

unspezifi sch (ganzer Arm),Dermatom (Nervenwurzel),im Versorgungsgebiet eines Nerven (peripherer Nerv),refl ektorisch (Brügger, 1986).

Gibt es noch an anderen Orten Schmerzen?Besteht ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Schmerzgebieten?

Wann treten die Schmerzen auf, bzw. gibt es schmerzfreie/- arme ZeitenTreten die Schmerzen zu einer bestimmten Zeit auf? Tages- oder Nachtschmerz, an Arbeitstagen oder am Wochenen-de, saisonbedingt, wetterabhängig? Folgende Fragen len-ken den Th erapeuten in eine bestimmte Richtung:

Welche Positionen, Bewegungsabläufe und Aktivi-täten des täglichen Lebens stehen mit dem Schmerz im Zusammenhang?Treten die Schmerzen in Ruhe oder unter Belastung auf?Besteht ein Anlaufschmerz, der sich bei zuneh-mender Bewegung vermindert?

Seit wann bestehen die Schmerzen?Gab es eine direkte Ursache?

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Entstanden die Schmerzen plötzlich oder schlei-chend?Seit Tagen, Wochen, Jahren? Schmerzen, die länger als ein halbes Jahr andauern und deshalb als chro-nisch bezeichnet werden, entwickeln im Laufe der Zeit einen eigenen Krankheitswert.

Wie ist der Schmerz?Hier werden die Qualität und die Intensität der Schmer-zen erfragt. Die nachfolgenden Beispiele sind Interpreta-tionen. Erst die gesamte Schmerzanamnese gibt endgül-tigen Aufschluss. (. Tab.3.1)

Eine Skala von 1‒10 (visual analogue scale«=VAS) bie-tet die Möglichkeit, den Behandlungserfolg zu beurteilen und für den Patienten zu visualisieren. (War der bisherige Verlauf konstant, intermittierend, mit steigender oder fal-lender Tendenz?)

3.5 ICF als Grundlage der Untersuchung

Die ärztliche Diagnose ist eine wichtige Information über den Patienten. Sie kann jedoch nicht allein die Basis einer individuell ausgewählten und angemessen dosierten Phy-siotherapie sein. Grundlage dafür ist die sorgfältige Unter-

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Tabelle . Schmerzanamnese.

Qualität und Intensität Interpretation

Spitz, ziehend, blitzartig ein-schießend, ausstrahlend, kribbelnd

Nerven

Bohrend, dumpf, reißend, brennend

Eher Muskulatur /Gelenk/Bandstrukturen

Heftiger Dauerschmerz, bohrend, pulsierend

Eher entzündlicher Prozess

Punktuell, scharf begrenzt Frakturen

Tiefl iegend Thrombose

Oberfl ächlich Parästhesien

Stechend, meist kurzzei-tig, intermittierend, hell und klar, akuter Zustand, der mit einer bestimmten Gelenk-stellung zusammenhängt

Gelenk

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33.7 · Kontextfaktoren

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suchung durch Physiotherapeuten, die den Menschen in seiner Gesamtheit erfassen und seine aktuelle Lebenssitu-ation berücksichtigen muss.

Die von der Weltgesundheitsorganisation verabschie-dete International Classifi cation of Functioning, Disability and Health (ICF) stellt die Grundlage für die physiothera-peutische Untersuchung dar. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Alltagskompetenz des Patienten, die damit nicht nur Ziel der physiotherapeutischen Behandlung ist, son-dern auch zum Ausgangspunkt für die physiotherapeu-tische Diagnostik wird. (. Abb. 3.1)

Natürlich ist beides notwendig: das Untersuchen der einzelnen Strukturen des Bewegungssystems und darüber hinaus das Feststellen der funktionellen Leistungen.

Die Körperstrukturen sind die anatomischen Teile des Körpers wie die Organe oder Gliedmaßen. Die Körperfunktionen sind die physiologischen Funkti-onen von Körpersystemen wie Gedächtnis oder Mus-kelausdauer. Aktivität ist die Durchführung einer Aufgabe oder Handlung (z.B. Gehen oder Treppen steigen). Sie repräsentiert die individuelle Perspektive der Funk-tionsfähigkeit. Partizipation ist das Einbezogensein einer Person in eine Lebenssituation. Sie repräsentiert die gesell-schaftliche Perspektive der Funktionsfähigkeit (z.B. gesellschaft licher Aspekt des Eingebundenseins in einen Sportverein).Zu den Kontextfaktoren gehören Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren. Diese können einen förderlichen oder hinderlichen Einfl uss auf die

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Funktionsfähigkeit ausüben. Zu den Umweltfaktoren gehören z.B. familiäre Beziehungen, Gebäude oder Transportmittel. Personenbezogene Faktoren sind z.B. Alter, Geschlecht, Verarbeitungsstile oder auch persönliche Erfahrungen.

Die folgende Darstellung in der Reihenfolge »Partizipati-on – Aktivität ‒ Struktur und Funktion« ergibt sich aus der Orientierung an den Zielen der Rehabilitation. Die Partizipation bestimmt das Lernziel des Patienten, auf der Aktivität liegt das Hauptaugenmerk der Untersuchung in der FBL-Functional Kinetics, die Ebene von Struktur und Funktion liefern die benötigten Hintergrundinformati-onen zu den Störungen.

3.6 Partizipation

Das Einbezogensein in eine Lebenssituation bedeutet, bis zu einem gewissen Grad eigenständig zu sein. Man hat seine eigene Lebenssituation unter Kontrolle – auch wenn die Aktivitäten nicht selbst ausgeführt werden. Der Haup-tindikator für die Partizipation ist damit die Erfüllung von eigenen persönlichen Zielen und von sozialen Rollen.

Physische Abhängigkeit heißt oft , auf viele Alltagstä-tigkeiten verzichten zu müssen. Dies kann Beruf, Hobbys und andere Freizeitaktivitäten betreff en.

Nach der der ICF zugrunde liegenden Philosophie genügt die Untersuchung der individuellen strukturellen und funktionellen Veränderungen nicht, um die Partizi-pationseinschränkungen zu erklären. Systemische Modelle betonen die Bedeutung der Umweltfaktoren und des sozi-oökonomischen Status als wesentlich zur Einschränkung beitragende Faktoren nach Funktionsverlust des Patienten. Sie können die Eigenständigkeit der Patienten behindern oder unterstützen. Schädigungen und Aktivitätsverlust können zu Stigmatisierung und Ausschluss führen. Eine Beeinträchtigung der Partizipation wird meist durch das Zusammenwirken mehrerer negativer Kontextfaktoren bewirkt. Für die Th erapie bedeutet das, die bestehenden Ressourcen zu erkennen und zu fördern.

3.7 Kontextfaktoren

Die Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshinter-grund eines Menschen dar. Sie umfassen zwei Kompo-nenten: Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren.

Abb. .. Das bio-psycho-soziale Modell der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF, International Classifi cation of Functioning, Disability and Health)

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Diese können einen förderlichen oder hinderlichen Ein-fl uss auf die Funktionsfähigkeit haben.

3.7.1 Umweltfaktoren

Zu den Umweltfaktoren gehören u.a. die unmittelbare, persönliche Umgebung eines Menschen, wie der häusliche Bereich, der Arbeitsplatz und die Schule, die persönlichen Kontakte zu anderen, wie Familie, Bekannte aber auch soziale Strukturen. Diese können einen positiven oder negativen Einfl uss auf die Krankheit des Patienten haben. Fehlender Zugang zu Örtlichkeiten ist beispielsweise häu-fi g ein Grundproblem für die Partizipationsbeeinträch-tigung des Gehbehinderten. Architektonische und ver-kehrstechnische Barrieren setzen hier oft klare Grenzen. Ein sorgfältiges Assessment der Umweltfaktoren ist sehr wichtig für die Formulierung einer sinnvollen und realis-tischen Zielsetzung der Rehabilitation und Reintegration ins soziale Leben. Der eigene intime Lebensraum, die eigene Wohnung, die Familie und der Freundeskreis sind für Interventionen am besten zugänglich. Mit gezielten Kontextmaßnahmen kann die Partizipationssituation oft wirkungsvoll verbessert werden (Rentsch, Bucher 2005).

3.7.2 Personenbezogene Faktoren

Personenbezogene Faktoren sind der spezielle Hintergrund des Lebens und der Lebensführung eines Menschen. Sie umfassen Gegebenheiten, die nicht Teil des Gesund-heitsproblems sind. Diese Faktoren können Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Alter, Fitness, andere Gesund-heitsprobleme, Gewohnheiten, Erziehung, Bewältigungs-strategien, sozialer Hintergrund, Bildung und Beruf, vergangene oder gegenwärtige Erfahrungen, allgemeine Verhaltensmuster und Charakter, psychisches Leistungs-vermögen und andere Merkmale umfassen.

Nach heutigen Vorstellungen haben vor allem chro-nische Erkrankungen viele Ursachen. Sie zeigen sich in häufi g wechselnden, zum Teil auch schwer wahrnehm-baren Symptomen. Eine Betrachtungsweise, die viele Fak-toren berücksichtigt, erfordert demnach einen integra-tiven Ansatz in der Rehabilitation.

Wenn es sich um subjektive Einschätzungen der per-sönlichen Situation handelt, muss dies dem Untersucher zumindest bewusst sein, damit er seine Aussagen mit der gebotenen Zurückhaltung formuliert. Die Rolle und

Bedeutung sozialer, psychischer, physiologischer und genetischer Faktoren ist bei der Wiederherstellung der Gesundheit zu berücksichtigen.

Von psychischen Krankheiten, die ärztlich behandelt werden, erfährt der Th erapeut in der Verordnung. Mit ihnen umzugehen, verlangt Spezialkenntnisse, von denen hier nicht die Rede sein wird. Jeder kann bei einer Unter-suchung allerdings erkennen, ob der Patient beispielswei-se in einer Lebenskrise steht, weil er seinen Arbeitsplatz verloren hat. Es sollte aber auf jeden Fall dem Patienten überlassen werden, was er davon vielleicht erst im Verlauf einiger Behandlungen preisgeben will. Die psychische Beurteilung des Patienten sollte nicht das Ergebnis einer Befragung, sondern eines Gesprächs und der Erfahrung des Th erapeuten sein.

Hellhörig soll der Th erapeut jedoch wahrnehmen, auf welche Weise der Patient über seine Krankheit spricht. Er kann dann prognostizieren, ob er es mit einem koo-perativen Patienten zu tun hat oder nicht. Das ist sehr wichtig bei der Planung der Th erapie. Die Möglichkeiten des Einzelnen, mit den Belastungen umzugehen (Stress-Coping), spielt eine große Rolle für die Ausprägung des somatischen Geschehens. Die Bewältigungsmöglich-keiten bestimmen Vermeidung, Entstehungszeitpunkt, Verlauf und Heilungschancen von Erkrankungen mit. Bewältigungsmechanismen können sowohl persönlicher wie kollektiver Natur sein.

Die familiären Lebensumstände und die Probleme des Privatlebens spielen eine wichtige Rolle bei der Motiva-tion des Patienten, gesund zu werden oder krank zu sein. Die Bedeutung und Bewertung der Krankheit beeinfl usst den Bewältigungsprozess maßgeblich. Es sind die ver-schiedensten Einstellungen zur Krankheit zu fi nden, die bei der Planung der Th erapie zu beachten sind. Deshalb ist es wichtig zu registrieren, wie der Patient über seine Krankheit spricht.

Aus psychosomatischer Sicht ist nicht nur der kranke Patient mit seinen kranken Organen und Funktionsstö-rungen zu beurteilen, vielmehr sind auch die Wirkung von Erkrankung und Leiden auf den Patienten, sein familiäres und soziales Umfeld und evtl. auf seine berufl iche Existenz in Betracht zu ziehen (Schüßler 1993). Es gibt immer eine Wechselwirkung von körperlichen und seelischen Symp-tomen. Körperliche Reaktionen können demnach auch individuelle Bedürfnisse ausdrücken, z.B. den Wunsch nach sozialer Integrität, Aufmerksamkeit und Hilfe.

Die Bewältigungsstrategien eines Patienten beeinfl us-sen den Heilungsprozess maßgeblich. Es gibt individuelle

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33.8 · Aktivität

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Copingmechanismen, also persönliche Fähigkeiten und Strategien der Problemlösung, und kollektive Copingme-chanismen. Dabei erfährt der Patient ausreichende Unter-stützung in positiven primären (Ehepartner, Familie, enge Freundschaft en) und sekundären (Arbeitskollegen, Nachbarschaft , Vereinsmitglieder usw.) sozialen Bezie-hungen. Durch diese sozialen Bindungen können Stres-soren neutralisiert und die Gesundheit erhalten werden, bzw. wird positiv auf die Gesundung eingewirkt. Die Hil-feleistungen mobilisieren die Bewältigungsressourcen des Betroff enen und unterstützen ihn bei der Bearbeitung der anstehenden Konfl ikte. Sie können darüber hinaus prak-tische Unterstützung im Alltag und Orientierungshilfen beinhalten.

Wichtig

Die persönliche Situation eines Patienten ist abhän-gig von seinen Wertevorstellungen, der Lebenser-fahrung, seiner Wissensbasis, kulturellen Faktoren und früheren Erfahrungen. Diese bestimmen auch wesentlich seinen Umgang mit Krankheit und Gesundheit.

3.8 Aktivität

Aktivitäten des häuslichen Lebens setzen Unabhängigkeit in Mobilität und Selbstversorgung voraus. Die Bewälti-gung der Alltagsanforderungen im vertrauten privaten Heim erfordert z.B. Eigenständigkeit beim Einkaufen und der Erledigung von Haushaltsaufgaben. Für allein lebende Personen ist eine weitgehende Unabhängigkeit in diesen Aktivitäten oft eine unabdingbare Voraussetzung für das eigenständige Leben zu Hause.

3.8.1 ADL

Die Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) (engl. ADL, »activities of daily living«) gehören zu einem ganzheit-lichen Modell v.a. in der Alten- und Krankenpfl ege, sind aber auch aus der Physiotherapie nicht mehr wegzuden-ken. Ziel der Th erapie ist es zunächst, die Selbständigkeit eines Patienten in einzelnen Bereichen zu erhalten oder wieder herzustellen. Es umfasst insgesamt 12 Aktivitäten, zu denen z.B.

Sich bewegen,Sich waschen und kleiden,Essen und Trinken

gehören, die einer physiotherapeutischen Intervention zugänglich sind.

Bei der Untersuchung der ADL muss der Th erapeut beachten, dass die Voraussetzung für sicheres Bewegen eine dynamische Haltungskontrolle bei Veränderungen von Körperlagen ist. Ohne diese dynamische Stabilität fehlt die Sicherheit beim Gehen und bei anderen Verän-derungen der Körperlage (sich drehen, aus dem Bett auf-stehen etc.). Diese wichtigen Funktionen setzen eine kon-trollierte Haltung und freie Beweglichkeit von Kopf und Rumpf voraus. Dasselbe gilt auch für die erfolgreiche Aus-übung von anderen motorischen (auch feinmotorischen) Tätigkeiten (bei allen Armbewegungen, die für die ADL wichtig sind).

3.8.2 Sitzen

Sitzen ist ein dynamischer Prozess und abhängig von der Tätigkeit, die dabei geplant oder ausgeführt wird. Die Beurteilung des Sitzverhaltens eines Patienten muss sei-nen Alltag berücksichtigen.

Sitzen ist zur am häufi gsten eingenommenen Körper-haltung des täglichen Lebens geworden. Im Gegensatz zum Stehen geht beim spontanen Sitzen in Folge einer Extension des Beckens in den Hüft gelenken die S-Form der Wirbelsäule verloren (Schoberth 1976; Andersson et al. 1979; Brunswic 1984; Krämer 1993). Dieser Impuls kann als natürliche Folge der Muskellängen- und Zugrichtungs-änderung der Hüft muskulatur im Sitz verstanden werden (Kapandji 1985).

Die sog. entspannte Haltung mit dem resultierenden Rundrücken führt häufi g zu Problemen wie Überdehnung und Reizungen der Gelenkkapseln (Schoberth 1976) und der supra- und infraspinalen Bänder und Sehnenansätze der Rückenmuskulatur (Berquet 1991), die sekundär Mus-kelverhärtungen, lokale Verspannungen und Schmerzen bewirken können.

Die idealisierte Sitzposition, bei der die Lordose des Standes als Grund- und Ruheposition der Lendenwirbel-säule auch für den Sitz propagiert wird (Bundesverband der deutschen Rückenschulen, Illi u. Weckerle 1993), ist mit extrem hohen Muskelaktivitäten verbunden (Betz 1998). Der idealisierte Sitz ist zwar statisch günstig, als

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Dauerhaltung aber unrealistisch. Er ist zu anstrengend und wird deshalb nicht akzeptiert.

Der eigenkorrigierte Sitz kann als statisch günstige, mit kaum erhöhter Kraft anstrengung durchführbare und sub-jektiv besonders positiv empfundene Sitzhaltung bewertet werden (Betz 1998) (. Abb. 3.2).

Das Erscheinungsbild »Sitzen« ist u.a. von der geplanten Bewegung aus dem Sitz abhängig und verän-dert sich dem jeweiligen Ziel entsprechend. Der Th era-peut muss das jeweilige Bewegungsverhalten analysieren und evtl. nötige Anpassungen vornehmen. Die folgenden Beispiele verdeutlichen dies anhand einiger Varianten der Bewegung »vom Sitzen zum Stehen kommen«.

BeispielAufstehen und nach vorne gehen:

Die geplante Bewegung geht nach vorne/oben. Die Füße werden in Schrittstellung und möglichst schmalspurig gestellt. Damit wird ein Fuß nach hinten annähernd unter den Körperschwerpunkt gebracht, und das hintere Bein kann beim Auf-stehen belastet werden. Durch die schmalspurige Schrittstellung kann das Bein den Überholvor-gang so gestalten, dass sich der Fuß in die Fort-bewegungsrichtung einstellt und keine Rechts-links-Bewegungen das Vorwärtskommen stören.

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Aufstehen und stehen bleiben:Die geplante Bewegung ist nach oben gerichtet. Die Füße werden nach hinten annähernd unter den Körperschwerpunkt gebracht. Damit kann sich dieser über der kleinen Unterstützungsfl äche nur nach oben bewegen.

Etwas vom linken/rechten Rand des Schreibtisches holen:

Die geplante Bewegung ist zur Seite gerichtet. Ein Bein wird in die geplante Bewegungsrichtung gestellt, um die Unterstützungsfl äche zu vergrö-ßern.

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3.8.3 Bücken

Der Mensch arbeitet in gebückter Haltung oder bückt sich, weil er etwas nach unten oder von unten nach oben bringen will.

Bei einem physiologischen Bückverhalten müssen die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in die Körperlängsachse eingeordnet bleiben. Je mehr sich die Körperlängsachse bis zur Horizontalen nach vorne neigt, umso größer muss die muskuläre, extensorische, lum-bosakrale Verankerung sein. Um die räumliche Höhe zu überwinden, müssen in den Gelenken der Beine Gewichte nach vorne und hinten gebracht werden. Das geschieht, je nach Konstitution, auf sehr unterschiedliche Weise.

Generell kann zwischen dem horizontalen und dem vertikalen Bücktyp unterschieden werden (. Abb. 3.3). Da die Neigung der Körperlängsachse nicht immer eindeutig horizontal oder vertikal ist, entsteht ein sog. »Mischtyp«. Dieser »neutrale Bücktyp« ist die Körperlängsachse zwi-schen 30° und 60° geneigt. Mit der Neigung der Körper-längsachse wächst die lumbosakrale Belastung, während diejenige der Kniegelenke abnimmt und umgekehrt.

Vertikaler BücktypBeim vertikalen Bücktyp neigt sich die Körperlängsachse bis ca. 30° nach vorn. Für diesen Bücktyp ist eine konsti-tutionelle ++ Oberlänge und die Verteilung der Hauptge-wichte auf Brustkorb und Schultergürtel charakteristisch (. Abb. 3.4). Ein Mensch mit dieser Konstitution bringt schon bei leichter Neigung der Körperlängsachse viel Gewicht nach vorne. Wenn sich die nach vorne ziehenden Gewichte und das des Beckens, das als Gegengewicht benötigt wird, die Waage halten, ist keine weitere Neigung

Abb. .. Eigenkorri-gierter Sitz.

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33.8 · Aktivität

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Abb. .. Bücktypen a verti-kaler Typ b neutraler Typ c hori-zontaler Typ

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der Körperlängsachse möglich, ohne dass dabei die Len-denwirbelsäule destabilisiert wird, um den Lastarm zu verkürzen.

Ein Mensch mit diesen Hebelverhältnissen hat also nur die Möglichkeit, wenig horizontale Gewichtsverschie-bungen zuzulassen.

Durch eine Extension im Großzehengrundgelenk werden der Vor- und Mittelfuß und auch die Ferse angehoben, das Gewicht wird insgesamt nach vorne gebracht. Die Unterstützungsfl äche hat sich nach vor-ne verkleinert.Das obere Sprunggelenk hat seine Lage im Raum ver-ändert, steht weiter vorne und hat das Unterschenkel-gewicht mit dem Knie nach vorne transportiert.

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Im Kniegelenk wird das Oberschenkel- und Becken-gewicht fl exorisch nach hinten gebracht.Das Hüftgelenk steht annähernd über den Fersen. Die Körperlängsachse wird sich genau so weit nach vorne neigen, wie es nötig ist, um den Schwerpunkt über der Unterstützungsfl äche und damit das Gleichge-wicht zu halten.Die Voraussetzungen für problemloses Bücken sind:ein sicheres Gleichgewicht trotz kleiner Unterstüt-zungsfl äche,eine gute Beweglichkeit der Knie-, Hüft - und Großze-hengrundgelenke undein kräft iger Quadrizeps.

Horizontaler BücktypBeim horizontalen Bücktyp neigt sich die Körperlängsach-se zwischen 60° und 90° nach vorne. Ein Mensch mit ++ Unterlänge, + Oberschenkellänge und/oder viel Gewicht an Becken und Bauch bückt sich auf diese Art und Weise (. Abb. 3.5). Die langen Oberschenkel bringen das Becken weit nach hinten. Aus diesem Grund muss sich die Körper-längsachse als Gegengewicht nach vorne neigen. Je größer dieses Gewicht ist, desto mehr nähert sich die Neigung der Horizontalen.

Es kommt zu einer Dorsalextension des Unterschen-kels im oberen Sprunggelenk. Dort wird das Unter-schenkelgewicht nach vorne gebracht. Die Unterstüt-zungsfl äche verändert sich nicht.In den Kniegelenken wird das Oberschenkel- und Beckengewicht nach hinten gebracht.Durch die Neigung der Körperlängsachse in den Hüftgelenken wird Gewicht nach vorne gebracht.

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Abb. .. Vertikales Bücken.

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Die Voraussetzungen für ein horizontales Bücken sind:

eine gute muskuläre, lumbosakrale Verankerung,optimal gedehnte Ischiokruralmuskulatur,eine gute fl exorische Beweglichkeit in den Hüft gelen-ken

Wichtig

Es ist nicht möglich, den Bücktyp zu verändern, wenn er durch die Konstitution bestimmt wird.

3.8.4 Gehen

Mobilität ist eine komplexe Funktion, die sich aus verschie-densten Teilfunktionen zusammensetzt. Für den Men-schen hat sie einen sehr hohen Stellenwert und bedeutet die Freiheit zur aktiven Teilnahme an vielen Aktivitäten innerhalb und außerhalb des Wohnbereichs. Mobilitäts-einbuße beeinträchtigt Partizipationsmöglichkeiten und führt zu einem echten Verlust an Lebensqualität.

Die acht Beobachtungskriterien für den Gang, Abweichungen und Konsequenzen für das BewegungsverhaltenDie für die Untersuchung notwendigen Beobachtungs-kriterien orientieren sich an einer hypothetischen Norm.

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Wenn Abweichungen wahrgenommen werden sollen, setzt das voraus, dass man ein Leitbild in sich trägt, auf das man die Abweichungen beziehen kann. Dieses Leit-bild, nämlich die hypothetische Norm, ist abhängig von allgemeinen Standards und von der klinischen Erfahrung der Th erapeuten.

Die von Klein-Vogelbach formulierten Beobach-tungskriterien (siehe Übersicht .) ermöglichen es dem Th erapeuten, ohne weitere Hilfsmittel, ausschließlich durch Betrachten, das abweichende Gehverhalten zu erkennen, zu beurteilen und zu analysieren. Diese Beob-achtungskriterien sind keine Durchschnittswerte, die an den Gangbildern verschiedener Menschen ermittelt wur-den, sondern charakteristische Merkmale des Leitbilds des normalen Gangs:

Übersicht .: Die Beobachtungskriterien für den Gang

Vorwärtstransport der Körperabschnitte Brust-korb und Kopf bei horizontaler Rechtwinkelstel-lung ihrer frontotransversalen Achsen zur Fortbe-wegungsrichtungGangtempoGehbewegungen der Körperabschnitte Becken und Beine Einstellung der Beuge-Streck-Achsen des Stand-beins und AbrollbewegungSpurbreiteSchrittlängeErhaltung der vertikal stehenden Körperlängs-achse. Armbewegungen als Reaktion auf die Gehbewe-gungen von Becken und Beinen

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Vorwärtstransport der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf bei horizontaler Rechtwinkelstellung des frontotransversalen Brustkorbdurchmessers zur FortbewegungsrichtungNormalerweise startet der Mensch zum Gehen spontan und ohne Überlegung. Er hat ein bestimmtes Ziel vor Augen, und der Körper reagiert mit Schritten auf den Wunsch, nach vorne zu kommen. Diese Zielsehnsucht bringt die Gewichte von Brustkorb und Kopf weiter nach vorne und verändert damit den Schwerpunkt über der Unterstützungsfl äche in Richtung des Ziels.

Abb ... Horizontaler Bücktyp.

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Wenn eine Masse einmal geradlinig in eine bestimmte Richtung beschleunigt wird, verharrt sie in dieser Bewe-gung und Richtung (Gesetz der »Trägheit der Masse«). Für den normalen Gang ist es also bedeutsam, dass es gelingt, die Masse der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf per-manent so nach vorne zu transportieren, dass als Reaktion Schritte erfolgen. Dazu muss der Körperabschnitt Brust-korb dynamisch stabilisiert sein, damit keine unwuchtigen Gewichte den Vorwärtstransport beeinträchtigen.

Wichtig

Der Körperabschnitt Becken gehört beim Gehen funktionell zum Körperabschnitt Beine und wird von deren Bewegungen weiterlaufend erfasst. Wenn der frontotransversale Brustkorbdurchmesser immer rechtwinklig zur Gehrichtung bleibt, wird gewährleis-tet, dass er seine Aufgabe im Bewegungsverhalten erfüllen kann. Er ist stabil und bietet dadurch dem Kopf die Möglichkeit, sich im Raum zu orientieren.

Durch folgende Faktoren entsteht der »Drive« (Antrieb, Schwung), der den Gehautomatismus aufrechterhält:

die Zielsehnsucht,das permanente Überwiegen der vorderen Gewichte,die Trägheit der Masse der Körperabschnitte Brust-korb und Kopf (einmal beschleunigt, strebt sie immer in diese Richtung).

Norm

Brustkorb und Kopf werden gemeinsam nach vorne transportiert.Die frontotransversalen Durchmesser von Brustkorb und Kopf stehen rechtwinklig zur Gehrichtung und bleiben immer horizontal (. Abb. 3.6).

Abweichungen

Der Brustkorb dreht gegen das Becken.Der Brustkorb dreht sich mit dem Becken in die glei-che Richtung.Der Brustkorb neigt sich nach rechts/links.Der Brustkorb (und der Kopf) streben nicht nach vorne.

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Interpretation

Der Brustkorb dreht gegen das Becken:Nur bei stabilisiertem Brustkorb ist es dem Körperab-schnitt Arme möglich, auf die Gehbewegungen der Beine und des Beckens zu reagieren. Wenn also der Brustkorb gegen das Becken dreht, werden Schultergürtel und Arm mit nach vorne und hinten transportiert, und die reaktiven Armbewegungen (Bewegungen im Humeroskapularge-lenk) hören auf. Da durch die Rotation eine Rückwärtsbe-wegung erfolgt, steht ein Teil des Brustkorbgewichts nicht mehr für die Beschleunigung nach vorne zur Verfügung.

Der Brustkorb dreht sich mit dem Becken in die gleiche Rich-tung:Dieses nicht seltene Phänomen tritt typischerweise auf, wenn das Rotationsniveau nach kranial verschoben ist. Ursachen dafür können lange Schritte oder fehlende Rota-tion in der unteren Brustwirbelsäule sein. Im Extremfall laufen die Gehbewegungen der Beine und des Beckens bis in die Halswirbelsäule weiter.

Der Brustkorb neigt sich nach rechts/links:Das hat eine Zerstörung der Körperlängsachse zur Folge. Die Rechts-Links-Bewegungen überwiegen die vorwärts gerichtete Bewegung.

Abb. .. Vorwärtstransport der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf bei horizontaler Rechtwinkelstellung ihrer frontotransversalen Achsen zur Fortbewegungsrichtung

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Der Brustkorb (und der Kopf) streben nicht nach vorne:Dabei entsteht der Eindruck, als wollte sich der Mensch nicht wirklich nach vorne fortbewegen. Die Füße gehen dem Körper voraus. Die Schritte erfolgen aktiv, der »Drive« geht verloren.

Kadenz/Frequenz

Norm

Defi nitionDie Kadenz ist eine Konstante und beträgt in der hy-pothetischen Norm 108-120 Schritte pro Minute.

Abweichungen

Gesteigerte Kadenz.Verringerte Kadenz.

Interpretation

Bei gesteigerter Kadenz:Wenn die Schrittfrequenz auf mehr als 140 Schritte pro Minute ansteigt, wird der Gang hyperaktiv und der Armpendel aktiv. Die Schritte verlieren an Ökonomie und Reaktivität, d.h., die Ermüdung tritt früher ein, die Schritte werden kürzer, und auf Dauer wird die zurückgelegte Wegstrecke geringer. Schnelles Gehen kann als Konditionstraining genutzt werden.

Bei verringerter Kadenz:Geht der Mensch langsamer, erfolgen die Schritte nicht mehr reaktiv, sondern jeder Schritt muss neu angesetzt werden. Je langsamer die Schrittfrequenz, desto deutlicher beobachtet man das Einsetzen von Gegengewichten.Die meisten Patienten tendieren zur Verlangsamung der Kadenz. Sinkt die Schrittzahl auf 80 oder weniger Schritte pro Minute, werden die Armbewegungen symmetrisch, und man beobachtet, dass die Vor-wärtsbewegung des Körpers zugunsten von Rechts-links-Bewegungen abnimmt.

Gehbewegungen der Körperabschnitte Becken und BeineDie Gehbewegungen der Körperabschnitte Becken und Beine laufen automatisch ab. Das Becken muss in Bezug auf den Brustkorb permanente minimale Stellungsände-rungen in der Wirbelsäule durchführen, die untrennbar mit den Gehbewegungen der Beine zusammenhängen. Beim normalen Gang löst das Bewegungsverhalten des

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Standbeins die Reaktion des Spielbeins aus. Das Standbein lässt also den Körper so über seine funktionelle Fußlängs-achse abrollen, dass als Reaktion das unbelastete Spielbein zu einem Schritt nach vorne gezwungen wird, um das Gleichgewicht zu erhalten.

Zur Reaktion des Spielbeins kommt es durch die Vorlastigkeit der Gewichte. Jeder Schritt ruft in seiner Standbeinphase mit dem Abrollen über die funktionelle Fußlängsachse den nächsten reaktiven Schritt hervor. Die Wirkung der Masse der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf ihrerseits versetzt die hängenden Armgewichte reak-tiv in ihre »pendelnde« Bewegung.

Für das Timing des Schrittzyklus (=100) gilt:Standbeinphase +/– 60, davon 20 Doppelbela-stungsphase.Spielbeinphase +/– 40 (Inman et al. 1981; Plas et al. 1980; Whittle 1991; Perry et al.1992).

Die Bewegungen des Beckens erfolgen ausschließlich rotatorisch und lateralfl exorisch in der Wirbelsäule sowie

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Tab. .. Zeitliche Reihenfolge des Bewegungsablaufs.

Standbein Spielbein

Doppelbelastung: Fersen-kontakt ( heel strike)Beinlängsachse ist nach hin-ten geneigt

Doppelbelastung: Ab-lösungsphase ( terminal stance). Beinlängsachse ist nach vor-ne geneigt

Fußsohlen-Boden-Kontakt ( foot-fl at)

Zehenablösung ( toe-off )

Mittlere Standphase ( mid-stance-phase)Annähernd vertikale Aus-richtung der Beinlängs-achse.

Mittlere Schwungphase ( mid-swing). Die Ferse über-holt den medialen Malleo-lus und die funktionelle Fuß-längsachse zeigt in Fortbe-wegungsrichtung

Innenrotation des Beckens im Hüftgelenk bei zuneh-mender Vorneigung der Beinlängsachse.Fersenablösung ( heel off )Zunehmende Vorneigung

Das Becken dreht sich nach vorne.Der Unterschenkel bewegt sich extensorisch im Kniege-lenk weiter nach vorne.

Ablösungsphase ( terminal stance)

Und bereitet sich auf die Abbremsphase ( Decelera-tion) vor

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rotatorisch und ab-/adduktorisch in den Hüft gelenken. Man kann keine Flexions- und Extensionsbewegungen in der Wirbelsäule beobachten.

Die Zehenablösung (toe-off ) macht das betreff ende Bein zum Spielbein. Währenddessen ist das Standbein nach hinten geneigt. In der mittleren Schwungphase (mid-swing) überholt zuerst das Knie das annähernd vertikal stehende Standbein. Die Vorwärtsrichtung des Spielbeins muss durch koordinierte Muskelarbeit fl exorisch und außenrotatorisch im Hüft gelenk des Spielbeins gesichert werden. Weiterlaufend wird das Becken auf der Spielbein-seite mitgenommen, es bewegt sich innenrotatorisch im Standbeinhüft gelenk. Im Standbein kommt es zur Fersen-ablösung (heel off ) und das Standbein neigt sich zuneh-mend nach vorne. Mit der Ablösungsphase der Zehen (terminal stance) endet die Standbeinphase.

Das Spielbein hat den Überholvorgang so gestaltet, dass die Ferse den medialen Malleolus überholt und sich die funktionelle Fußlängsachse in Fortbewegungsrichtung einstellt. Während der Flexions- und Extensionsbewe-gungen in den Kniegelenken kommt es automatisch wegen der Form der Femurkondylen zu Rotationsbewegungen im Kniegelenk. Bei der Flexion geschieht eine Innenrota-tion und bei der Extension eine Außenrotation.

Bewegt sich der Unterschenkel in Spielfunktion exten-sorisch im Kniegelenk, wie es beim Überholvorgang geschieht, dreht sich der Tibiakopf unter den Femurkon-dylen nach lateral, so dass im Kniegelenk eine Außenrota-tion stattfi ndet. Bei der fl exorischen Bewegung dreht der Tibiakopf unter den Femurkondylen nach medial, ent-sprechend fi ndet im Kniegelenk eine Innenrotation statt.

Befi ndet sich das Bein in Stützfunktion, fi ndet die Extension vom proximalen Gelenkpartner aus statt, weil der Unterschenkel durch den Stütz fi xiert ist. Dabei dre-hen sich die Femurkondylen auf dem Tibiaplateau nach medial, im Kniegelenk fi ndet eine Außenrotation statt. Beim Gehen ist das in der Standbeinphase der Fall, wenn der Oberschenkel den Unterschenkel überholt und sich die Beinlängsachse nach vorne neigt.

Abweichungen

In der mittleren Spielbeinphase wird die Spielbeinbe-ckenseite angehoben und es kommt zu einer Zirkum-duktion des Spielbeins.

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Interpretation

Die fl exorischen Bewegungstoleranzen des Spielbeins reichen nicht aus oder werden nicht genutzt, um das Bein optimal funktionell zu verkürzen:Das seitlich und dann vorne angehängte Beingewicht veranlasst den Körper, ein Gegengewicht zu bilden. Häufi g wird dazu außer den Körperabschnitten Becken, Brustkorb und Kopf auch noch der Arm der Gegenseite genutzt.

Abweichungen

Am Ende der Standbeinphase entstehen eine Exten-sion des Beckens in der Lendenwirbelsäule und/oder eine Vorneigung der Körperlängsachse.Die Fersenablösung geschieht zu früh. Im Knie- und Hüft gelenk bleibt die Flexionsstellung erhalten. Die Schrittlänge des überholenden Beins ist verkürzt. Die Fersenablösung geschieht zu spät, und das Becken dreht auf der Standbeinseite nach hinten. Der Fuß dreht auf dem Boden nach außen (dies kann auch bei fehlender Innenrotation beobachtet wer-den).

Interpretation

Die Extension im Standbeinhüftgelenk reicht nicht aus. Wenn die Extension im Hüft gelenk fehlt bzw. die Nullstellung nicht erreicht wird, kann dies der Körper auf unterschiedlichste Arten kompensieren.

Muskuläre Koordination des Standbeins beim GehenNach Inman et al. (1981) fi nden die höchsten Muskelakti-vitäten zu Beginn und am Ende der Standbeinphase statt. In der Mitte der Standbeinphase sind zwar große Bewe-gungsausschläge zu beobachten, die muskulären Aktivi-täten sind jedoch eher gering. Dies lässt den Schluss zu, dass diese Bewegungen durch die bestehende Vorlastig-keit der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf und die Trägheit ihrer Masse unterhalten werden.

Wenn die Koordination von Fuß-, Knie- und Hüft -gelenksicherung versagt, muss sich die Körperlängsachse nach vorne neigen, um das Gleichgewicht zu erhalten.

Beim normalen Gehen drückt sich der Fuß nicht vom Boden ab, sondern er rollt über die funktionelle Fußlängs-achse ab. Nur wenn die Ferse in normaler Spurbreite auf dem Boden aufk ommt, die Richtung nach vorne strikt ein-gehalten wird und die Fallverhinderung gut funktioniert,

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geschieht das Abrollen reaktiv. Beim Laufen und für den Absprung vom Boden ist der Abdruck jedoch notwendig.

Wichtig

Für alle Hinkmechanismen gilt: Wenn ein Hinkme-chanismus über längere Zeit bestanden hat, verliert der Patient die muskuläre Kondition und Koordina-tion, die beim normalen Gehen permanent trainiert wird. Sind keine irreversiblen Schäden vorhanden, kann der Hinkmechanismus überwunden werden.

Einstellung der Beuge-Streck-Achsen des Standbeins und AbrollwegUm beim Gehen den größten Weggewinn zu erzielen, müssen sich die Beuge-Streck-Achsen von Hüft -, Knie- und Großzehengrundgelenken parallel und rechtwinklig zur Fortbewegungsrichtung einstellen lassen.

Abweichungen

Abweichungen führen typischerweise zur Überlastung der passiven Strukturen des Kniegelenks:

+ Divergenz der funktionellen Fußlängsachse,+ Konvergenz der funktionellen Fußlängsachse,+ Medial-/Lateralrotation der Femurkondylen.

Interpretation

Bei + Divergenz der funktionellen Fußlängsachse:Das Abrollen geschieht über die Inversions- und Ever-sionsachse des Fußes. Dadurch ist der Abrollweg ver-kürzt und die Längswölbung wird allmählich zerstört.Bei + Konvergenz der funktionellen Fußlängsachse:Der Fuß rollt über die Kleinzehenkante ab, und der Abrollweg ist verkürzt.Bei + Medial-/Lateralrotation der Femurkondylen:Wenn die Beuge-Streck-Achse des Kniegelenks nicht rechtwinklig zur Fortbewegungsrichtung steht, über-lastet dies die passiven Strukturen des Kniegelenks.

SpurbreiteWill man die normale Gangspur darstellen, projiziert man die Fortbewegungsrichtung als gerade Linie auf den Boden. Dann legt man im Abstand normaler Schrittlänge die Fußabdrücke mit den funktionellen Fußlängsachsen parallel dazu so auf den Boden, dass jeweils der mediale Teil der Ferse die Symmetrieebene tangiert (. Abb. 3.7).

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Norm

Defi nitionDie Spurbreite beim Gehen ist durch den Abstand der funktionellen Fußlängsachsen defi niert. Sie ist eine Konstante und so groß, dass das überholende Spielbein sich ohne Behinderung am Standbein vor-bei bewegen kann.

Die Spurbreite beim Gehen ist schmaler als die Spurbreite beim Stehen, da sich in der Fortbewegung das Becken in den Hüft gelenken und in der Wirbelsäule dreht und damit der auf den Boden projizierte Hüft gelenkabstand ebenfalls verkleinert wird.

Man beobachtet den Patienten von hinten und ach-tet darauf, dass der mediale Teil der Spielbeinferse beim Überholen den Standbeininnenknöchel gerade nicht berührt.

Wichtig

Der Patient muss selber darauf achten, dass der Fuß, der das Standbein überholt, mit dem inneren Teil der Ferse den Knöchel des Standfußes beinahe berührt! Das kann der Patient leicht wahrnehmen, und er verbessert damit sein Gangbild spontan. Außerdem bewirkt man mit dieser Korrektur, dass die Ferse des Spielbeins automatisch mit ihrer lateralen Seite am Boden ankommt. Damit ist eine wichtige Vorausset-zung für ein normales Abrollen des Fußes am Boden über die funktionelle Fußlängsachse erfüllt.

Abb. .. Spurbreite beim Gehen.

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Abweichungen

+ Spurbreite.Nullspur.Minusspur (Kreuzgang).

Interpretation

Bei + Spurbreite:Beim Breitspurgang geht ein Teil des Weges zuguns-ten von Rechts-links-Bewegungen verloren, was die Schrittlänge verkürzt. Die Längsachse des Standbeins ist, entsprechend der Spurverbreiterung, nach innen geneigt, und die Schritte sind nicht mehr reaktiv. Zur Erhaltung des Gleichgewichts geschieht entweder eine Translation oder Lateralfl exion des Brustkorbs nach rechts und links, oder die Körperlängsachse neigt sich abduktorisch im Standbeinhüft gelenk zur Seite (Duchenne). Das Gangtempo verlangsamt sich, und es entsteht der Eindruck, als schwanke der Patient wie ein »Seemann auf einem Schiff «. Viele Patienten streben einen Breitspurgang an, weil dieser ihnen (scheinbar) ein Gefühl von Sicherheit gibt. Diese Sicherheit ist trügerisch, und der Patient trainiert einen chronischen Hinkmechanismus. In der Folge verliert er die mus-kuläre Kondition, die er für normales Gehen benötigt. Zusätzlich kommt es zu unterschiedlich ausgeprägten, konstitutionsabhängigen Überbelastungen der Fuß-, Knie-, Hüft - und Lendenwirbelgelenke.Nur im Fall bestehender Schäden, die normales Gehen unmöglich machen z.B. bei Paresen der Bein-muskulatur, wenn die notwendigen fallverhindernden muskulären Aktivitäten nicht mehr vorhanden sind, muss das Breitspurgehen toleriert werden.

Bei Nullspur:Beim Nullspurgang geht man auf einer Linie. Beim Versuch, mit nach vorne gerichteter funktioneller Fußlängsachse vorwärts zu gehen, stehen die Füße einander im Weg, und das Spielbein muss zum Über-holen einen Umweg machen. Damit ist das Gehen nicht mehr reaktiv, die Schritte werden kürzer, das Gangtempo wird verlangsamt, und die Gleichge-wichtslage ist sehr labil.

Bei Minusspur (Kreuzgang):Beim Gehen überkreuzen sich die Füße. Diese Abweichung ist selten. Wenn sie sporadisch vor-kommt, ist sie oft die Ursache für Stolpern. Auch beim sog. »Kreuzgang« ist das Gehen aktiv, die Schrittlänge verkürzt sich, und das Tempo nimmt ab. In der Standbeinphase steht das Kniegelenk immer

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lateral vom medialen Fußrand, und der Vastus medialis des M. quadriceps wird zwangsläufi g fall-verhindernd aktiviert. Aus diesem Grund kann der Kreuzgang den therapeutischen Zweck erfüllen, eine günstige Belastung des Kniegelenks zu erzielen.

ZusammenfassungBei den Abweichungen von der normalen Gangspur nimmt der Weggewinn ab. Das Verhältnis von Primär-bewegung und Reaktion wird vertauscht. Wenn man das Gangbild eines Patienten normalisieren möchte, muss man von Anfang an darauf achten, dass er die normale Gangspur einübt.

Schrittlänge (. Abb. 3.8) Damit die Schrittlänge des normalen Gangs beobachtet werden kann, muss das Gangtempo von 120 Schritten pro Minute eingehalten werden. Die Rechts- und Linksschritte sind gleich lang (Inman et al. 1981). Jeder dieser Schritte bewirkt einen gleich großen Vorwärtstransport des Kör-pers zum Ziel und bedeutet damit Weggewinn.

Abb. .. Schrittlänge.

Norm

Defi nitionDie Schrittlänge ist der beobachtbare Abstand zwi-schen Zehen (des hinteren Fußes) und Ferse (des vor-deren Fußes) in der Doppelbelastungsphase plus ei-ner Fußlänge.

Die Schrittlänge ist abhängig vondem Abstand der Hüft gelenke,den rotatorischen und extensorischen Bewegungsto-leranzen der Hüft gelenke,

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den rotatorischen Bewegungstoleranzen in der unteren Brustwirbelsäule,der Fuß- und Beinlänge.

Wenn die individuelle Schrittlänge ausgenutzt wird, ist der Weggewinn am größten. Unterschiedlich große Rechts-links-Schritte sind Merkmale eines Hinkmechanismus. Dafür gibt es sehr viele mögliche Ursachen, wie z.B. Pare-sen, Bewegungseinschränkungen der Gelenke, neurolo-gisch bedingte Dysfunktionen, angeborene oder erwor-bene Längenunterschiede der Beine, Schmerzen usw. In der Regel scheint der Schritt des »gesunden« Beins verkürzt, da das »kranke« Bein die Probleme in der Standbeinphase zeigt. Das Abrollen über die funktionelle Fußlängsachse gelingt nicht. Dadurch wird das gesunde Bein am Überho-len gehindert. Eine symmetrische Schrittverkürzung ist oft die beste Art, einen Hinkmechanismus zu vermeiden.

Abweichungen

Nachstellschritt.Der gesunde Fuß setzt hinter dem kranken auf.Der gesunde Fuß setzt nur wenig vor dem kranken auf.

Interpretation

Beim Nachstellschritt:Der »gesunde« Fuß setzt genau neben dem »kran-ken« auf und ist damit nicht am Weggewinn beteiligt (Weggewinn mit dem »gesunden« Bein = Null).

Wenn der »gesunde« Fuß hinter dem »kranken« aufsetzt:Der nächste Schritt mit dem »kranken« Fuß hat schlechtere Startbedingungen. Der beobachtbare Abstand zwischen den Füßen ist kleiner als bei den Nachstellschritten (Wegverlust mit dem »gesunden« Bein).

Wenn der »gesunde« Fuß nur wenig vor dem »kranken« auf-setzt:

Der beobachtbare Abstand zwischen den Füßen ist kleiner (geringerer Weggewinn mit dem »gesunden« Bein).

Erhaltung der vertikal stehenden Körperlängsachse»Warum soll ich nicht beim Gehen«, sprach er, »in die Ferne sehen, schön ist es auch anderswo, und hier bin ich sowieso«, sagt Wilhelm Busch sehr treff end.

Das »In-die-Ferne-Sehen« gehört zum aufrechten Gang. Hinzu kommt ein ökonomischer Aspekt: Die Bewe-gungsbereitschaft der Körperabschnitte Kopf und Becken

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bleibt erhalten, weil in den lordotischen Wirbelsäulenab-schnitten keine überwiegend fallverhindernde Muskelar-beit stattfi nden muss. Die Brustwirbelsäule ist extenso-risch stabilisiert und bietet dem Schultergürtel eine stabile Unterlage.

Jede Abweichung der vertikalen Stellung der Wirbel-säule bringt Gleichgewichtsreaktionen mit sich, die ent-weder ungünstig beschleunigend oder bremsend auf das Tempo des Bewegungsablaufs wirken.

Norm

Die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf blei-ben beim Gehen in die vertikal stehende Körperlängsach-se eingeordnet.

Abweichung

Vorneigung der Körperlängsachse.Rückneigung der Körperlängsachse.Der Brustkorb translatiert oder neigt sich lateralfl ex-orisch gegen das Becken zur Standbeinseite (Duchen-ne).Das Becken steht in Bezug zu den Beinen nicht in Nullstellung.

Interpretation

Bei Vorneigung der Körperlängsachse:Wenn die Körperlängsachse nach vorne geneigt ist, kann es entweder zu Ausfallschritten durch das Zuviel an vorderen Gewichten kommen, oder der Körper reagiert, indem er das Becken als Gegengewicht ein-setzt. Damit wirkt aber jeder Schritt so, als ginge der Mensch bergauf. Diese Art der Gleichgewichtsreak-tion hat jedoch eher das Ziel, die Unterstützungsfl ä-che nicht zu verändern.

Bei Rückneigung der Körperlängsachse:Dabei müssen die Beine aktive Schritte machen, wäh-rend sie normalerweise auf die vorlastigen Gewichte des Brustkorbs und des Kopfes reagieren. Wenn der Mensch ein Bein anhebt, sind Primärbewegung und Reaktion vertauscht. Das angehängte Bein ist gleichbedeutend mit dem Anhängen eines vorderen Gewichts an das Spielbeinhüft gelenk. Als Gleichge-wichtsreaktion kommt es zu einer Gewichtsverlage-rung nach hinten. Dies ist ein Hinkmechanismus.

Der Brustkorb translatiert, lateralfl ektiert oder die Körper-längsachse neigt sich zur Standbeinseite:

Dieser Ausweichmechanismus wird auch als »Duchenne-Hinken« bezeichnet und ist eine häufi ge

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Reaktion auf eine vergrößerte Spurbreite, z.B. durch Bewegungseinschränkungen in den Hüft gelenken oder eine Schwäche der Abduktoren des Standbein-hüft gelenks. Das »Duchenne-Hinken« kann auch dem Schutz des Knorpels des Hüft gelenks dienen: Um die Strukturen zu schützen, werden Hüft kopf und Pfanne in eine andere Position zueinander gebracht (Entlastungshinken).In beiden Fällen (Reaktion auf + Spurbreite und Schutz des Knorpels) versucht der Körper, seinen Schwerpunkt über die Unterstützungsfl äche zu transportieren mit dem Erfolg, dass die Rechts-links-Bewegungen das Vorwärtskommen verlangsamen und der Bewegungsablauf unökonomisch wird.

Das Becken steht in Bezug zu den Beinen nicht in Nullstel-lung:

Diese Abweichung ist auf fehlende extensorische Beweglichkeit des Beckens in den Hüft gelenken zurückzuführen. Oft kann nicht einmal die Nullstel-lung eingenommen werden. Wenn durch die Beuge-kontraktur in den Hüft gelenken die Muskulatur der Lendenwirbelsäule ständig fallverhindernd arbeiten muss, fehlt dem Körperabschnitt Becken die poten-tielle Beweglichkeit. Bei jedem Schritt wird nun das Becken extensorisch in der Lendenwirbelsäule mit-bewegt.

Armbewegungen als Reaktion auf die Gehbewegungen von Becken und BeinenIm aufrechten Stand hängen die Arme am Schultergürtel. Daher reagieren sie bei standortkonstanten Bewegungs-abläufen wie hängende Pendel, indem sie in 2 Richtungen hin und her schwingen. Beim Gehen wird der Standort verändert, und dabei wird aus dem hängenden Pendel ein stehendes Pendel, ähnlich einem Metronom. Ein Zurück-pendeln des Arms würde Gewichte aus der Bewegungs-richtung bringen und wäre damit unökonomisch.

Die Arme sind das Gewicht des Körpers, das am besten reagieren kann. Durch die Gehbewegungen des Beckens und der Beine entsteht ein Ungleichgewicht zwi-schen rechts und links und zwischen vorne und hinten. Das zwingt die Arme, die entsprechenden Gleichgewichts-reaktionen auszuführen, die bei normaler Spurbreite, optimaler Schrittlänge und idealem Gangtempo von ca. 120 Schritten pro Minute am deutlichsten in Erscheinung treten. Wenn beim Gehen die Hände auf dem Brustkorb überkreuzt werden, kann man eine reaktive Gegendre-hung zur Beckenbewegung beobachten.

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Gangtypische Bewegungen bringen das Gewicht der Arme und des Schultergürtels nach vorne in die Bewe-gungsrichtung. Voraussetzung dafür ist, dass die Gehbe-wegungen der Beine automatisch ablaufen, der Schulter-gürtel auf dem Brustkorb abgelegt werden kann, die Arme reaktionsbereit neben dem Körper hängen und sich der Schultergürtel auf dem Brustkorb bewegen kann.

Reihenfolge des Bewegungsablaufs

Die Bewegungen des Standbeins und des Gegenarms (=Standarm) geschehen zeitgleich. Am Standarm begin-nt die Bewegung proximal. Der Brustkorb wird in die Gelenke des Schultergürtels dorsalduktorisch (=Schul-terblattadduktion) hineintransportiert. Weiterlaufend bewegt sich der Schultergürtel extensorisch im Humeros-kapulargelenk.

Am Spielarm beginnt die Bewegung distal. Während der Arm nach vorne schwingt, bewegt er sich fl exorisch/außenrotatorisch im Humeroskapulargelenk und nimmt den Schultergürtel weiterlaufend ventralduktorisch (Schulterblattabduktion) mit. Die Hand steht dann räum-lich in gleicher Höhe wie der Fuß (. Abb. 3.9).

Wichtig

Bei optimalen gangtypischen reaktiven Bewegungen der Arme dreht sich der Schultergürtel gegenläufi g zum Becken.

Abb. .. Armbewegungen beim Gehen.

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3.8.5 Funktionelle Fehlatmung

Die funktionelle Fehlatmung ist eine häufi ge Folge sta-tischer Insuffi zienz. Zwar heben sich die Rippen beim Einatmen, weiterlaufend wird jedoch die Brustwirbelsäule in Extension mitbewegt, und dadurch kommt es nur in geringem Maße zu einer Vergrößerung des Volumens. Bei der Ausatmung senken sich die Rippen, und die Brustwir-belsäule verformt sich weiterlaufend fl exorisch. Bei einer funktionellen Fehlatmung muss der Körper auch schon bei wenig Belastung die Atemfrequenz erhöhen, weil sich das Volumen nicht vergrößert.

Wenn die dynamische Stabilisierung der Brustwirbel-säule in ihrer Nullstellung verloren gegangen ist, hat sie auch ihre Trägerfunktion für den Brustkorb verloren. Die Folge ist eine Störung der normalen kostalen Atembewe-gungen. Das Gewicht des Brustkorbs hängt vermehrt an den Mm. scaleni, und der Kopf steht in Bezug zum Brust-korb zu weit vorn. Daraus ergeben sich weitere Tonusver-änderungen der Muskulatur.

Die Schulter-Nacken-Muskulatur ist reaktiv auf das vorn stehende Kopfgewicht hyperton. Durch die Über-lastung der Skaleni kann es sekundär zu einem Outlet-Syndrom in der Skalenuspassage kommen. Wenn die Mm. scaleni bereits in Ruheatmung hyperaktiv sind, weil der Brustkorb en bloc von ihnen gehalten werden muss, reduzieren sich die kostalen Atembewegungen. Die Exkur-sion des Zwerchfells ist verändert, weil die inspiratorische Erweiterung der unteren Th oraxapertur unterbleibt. Man beobachtet bei der Einatmung ein übermäßiges Vorwöl-ben des Unterbauchs.

Wenn die Schultergürtelmuskulatur benutzt wird, um eine vermeintlich bessere Haltung herzustellen (militä-rische »Hab-Acht«-Stellung), behindert diese die kosto-vertebralen Atembewegungen und schränkt gleichzeitig den Aktionsradius der Arme ein.

Wichtig

Eine einmal angewöhnte Fehlatmung funktioniert ebenso automatisch wie die normale Ruheatmung. Die Folgen einer funktionellen Fehlatmung sind häu-fi g weit reichender, als bisher angenommen wurde. Beim Atmen sind ersatzweise Muskeln beteiligt, deren eigentliche Aufgabe einerseits darin besteht, die Bewe-gungen der Arme und Hände diff erenziert und ökono-misch zu gestalten und andererseits Kopf und Becken in potentieller Bewegungsbereitschaft zu halten.

3.9 Struktur und Funktion

Die Körperstrukturen sind die anatomischen Teile des Kör-pers wie z.B. Organe oder Gliedmaßen. Die Körperfunkti-onen sind die physiologischen Funktionen von Körpersy-stemen wie Gedächtnis oder Muskelausdauer. Die für die Untersuchung notwendigen Beobachtungskriterien orien-tieren sich an einer hypothetischen Norm. Wenn Abwei-chungen wahrgenommen werden sollen, setzt das voraus, dass man ein Leitbild in sich trägt, auf das man die Abwei-chungen beziehen kann. Dieses Leitbild, nämlich die hypo-thetische Norm, ist abhängig von allgemeinen Standards und von der klinischen Erfahrung der Th erapeuten.

Abweichungen von der hypothetischen Norm

Abweichungen sind nicht in jedem Fall pathologisch, da der Körper über vielfältige Kompensationsmechanismen verfügt. Abweichungen sind pathologisch, wenn

das Bewegungsverhalten beeinträchtigt wird,die sensomotorische Entwicklung gestört wird,strukturelle Veränderungen entstehen,das Zustandekommen von Schmerzen erklärbar wird,innere Organe geschädigt werden oderpsychosoziale Konsequenzen daraus folgen.

3.9.1 Konstitution

Defi nitionUnter Konstitution wird der Einfl uss beurteilt, den Längen, Breiten, Tiefen und Gewichtsverteilung auf das Bewegungsverhalten des Patienten ausüben.

Auf eine Unterscheidung der Geschlechter kann wegen der hypothetischen Normproportionen verzichtet werden (Klein-Vogelbach 1990; Kollmann 1901). Diese Proporti-onen gelten generell für erwachsene Mitteleuropäer. Der Therapeut soll möglichst ohne weitere Hilfsmittel, d.h. allein durch Beobachten und Palpieren, die Abweichungen erken-nen und notieren.

Wichtig

Abweichungen von der hypothetischen Norm der Konstitution verändern das Bewegungsverhalten des Menschen in voraussagbarer Weise. Die individuelle Variabilität der Körperproportionen kann die Mus-kelaktivität prägen und verändern.

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Das Ausmaß der Abweichungen wird folgendermaßen angegeben:

+/ –etwas abweichend,++/ – –deutlich abweichend,+++/ – – –übermäßig abweichend.

LängenDie Beurteilung der Längen (. Abb. 3.10) gibt dem Th e-rapeuten Informationen darüber, wie groß die Hebelarme sind, die der Patient nutzen kann.

Man beurteilt das Verhältnis derOber- und Unterlänge (1 : 1)Ober- und Unterschenkellänge (1 : 1)Länge der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf, (1/5 : 2/5 : 2/5)Armlänge und Oberlänge.

Abweichungen in den Längenverhältnissen wirken sich erst aus, wenn die Körperabschnitte nicht mehr im Lot sind. So kann es zu Überlastungen in den angrenzenden Körperabschnitten kommen, wenn z.B. lange, schwere Arme weit entfernt vom Körper arbeiten müssen (z.B. Verkäuferinnen am Scanner, Arbeiten mit der Computer-Maus usw.).

Beim Bücken spielen die Längenabweichungen eine wesentliche Rolle, da die Gewichtsverteilung den Men-

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schen oft zu einem bestimmten Bewegungsverhalten zwingt, das nicht immer schonenden Bückvarianten ent-spricht.

Die Körpergröße verlangt oft Anpassungen von Sitz-gelegenheiten, Arbeitsfl ächen usw., da sonst der Körper selbst Anpassungen in Form schlechter Sitzhaltung vor-nimmt.

Norm

Der Körper wird durch den Trochanterpunkt (TP) in Unterlänge (UL) und Oberlänge (OL) unterteilt. Der Trochanterpunkt ist der lateralste palpierbare Punkt am Trochantermassiv und entspricht etwa der Höhe der Symphyse. Das Verhältnis zueinander beträgt 1:1.Die Oberlänge entspricht der Gesamtlänge der Kör-perabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf und ist in Fünft el unterteilt.Die Unterlänge entspricht der Länge des Körperab-schnitts Beine und wird in Ober- und Unterschenkel-länge unterteilt.

Der Th erapeut muss beurteilen, ob sich aus der unter-schiedlichen Verteilung innerhalb der Ober- oder Unter-länge eine + oder eine – Länge ergibt.

Wichtig

Klinische Relevanz der AbweichungenBei – Oberlänge:

Eine – Oberlänge bietet durch die Neigung mehr Angriff sfl äche.

Bei + Oberlänge:Eine + Oberlänge ist für die Wirbelsäule funkti-onell ungünstiger. Bei Vorneigung der Körper-längsachse in den Hüftgelenken muss ein langer Lastarm stabilisiert werden. Wenn er zu schwer ist, gibt die Wirbelsäule ihre Stabilisation auf und verkürzt den Lastarm durch die Flexion der Lendenwirbelsäule. Die Belastung des lumbo-sakralen Übergangs nimmt zu, z.B. in Form von Überlastung der Muskulatur oder der passiven Strukturen.

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Abb. .. Konstitution: Längen.

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Eine + Oberlänge kann bei einer Person mit überwiegend sitzender Tätigkeit zu einer ver-mehrten Aktivierung des M. rectus abdominis in einer angenäherten Stellung und weiterlaufend zu einer Verlängerung der Flexoren der Halswir-belsäule führen. Damit wird das Einnehmen der neutralen Stellung der Wirbelsäule erschwert (Adaption der Muskulatur).

Bei + Oberschenkel-Länge:Ein langer Oberschenkel ist für die Belastung des Kniegelenks beim Bücken ungünstig. Der lange Gelenkpartner erfordert vermehrte Aktivität des M. quadrizeps und bedeutet daher eine vermehr-te Belastung (7 Kap.3.8.3; Bückverhalten).

Bei + Körperabschnitt Becken:Bei einem übermäßig langen Becken steht der lumbosakrale Übergang weiter kranial. Eine schlechte Sitzhaltung bringt den lumbosakralen Übergang weiter nach hinten und belastet diesen Bereich vermehrt.

Bei + Körperabschnitt Brustkorb:Bei einem + Körperabschnitt Brustkorb wirken sich die kranialen Gewichte der Körperabschnitte Kopf und Arme beim Vorneigen besonders belas-tend für die Lendenwirbelsäule aus.

Bei + Körperabschnitt Kopf:Durch einen + Körperabschnitt Kopf wird beim Vorneigen der Schulter-Nacken-Bereich beson-ders belastet.

Bei – Armlänge:Bei einer – Armlänge gelingt es dem Patienten nicht, sich im aufrechten Sitz mit den Handfl ä-chen neben dem Körper zu stützen, um die Wir-belsäule zu entlasten.

Bei + Armlänge:Bei einer + Armlänge kann es beim Arbeiten mit den Händen weit weg vom Körper zu einer ver-mehrten Belastung des Schulter-Nacken-Bereichs kommen.

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Breiten (. Abb. 3.11)Man beurteilt

den Abstand der Trochanterpunkte,den frontotransversalen Brustkorbdurchmesser,den Hüft - und Schultergelenkabstand.

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Norm

Der Abstand rechter/linker Trochanterpunkt (TP) entspricht annähernd dem frontotransversalen Brust-korbdurchmesser.Der frontotransversale Brustkorbdurchmesser ist kleiner als der Schultergelenkabstand und ermöglicht dadurch dem Schultergürtel, auf dem Brustkorb zu liegen, und den Armen, frei neben dem Körper zu hängen.

Klinische Relevanz der Abweichungen

Bei + TP-Abstand: (. Abb. .)Das Stützen mit den Armen neben dem Körper wird problematisch.Die Arme können nicht frei neben dem Körper hängen, und es entsteht ein funktionelles Abduktions-syndrom (Klein-Vogelbach 1990). Dadurch haben folgende Muskeln eine permanente Hyperaktivität, reaktiv auf das Armgewicht: M. levator scapulae, M. trapezius, pars descendens, M. deltoideus, Mm. rhomboidei, M. supraspinatus. Eine dauerhaft e Fallverhinderung der Schulterabduktoren kann bei Bewegungen des Armes zu einer Dominanz dieser Muskeln führen. Deren Hyperaktivität verursacht meistens eine Kranialisierung des Humeruskopfes verbunden mit einer subakromialen Einengung. Repetitive Bewegungen und Summation von Mikro-

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Abb. .. Konstitution: Breiten.

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traumen resultieren in einer Degeneration der Rota-torenmanschette.

Bei – TP-Abstand: Ein kleiner Hüft gelenk-Abstand und ++ mediales Gewebe vermindern die potenzielle Beweglichkeit des Beckens sowie die freie Flexion des Oberschen-kels im Hüft gelenk. Die Dissoziation zwischen Bein und Becken ist damit nicht mehr möglich. Wird im Bewegungsverhalten die Flexion gebraucht, sucht der Oberschenkel den Weg des geringsten Widerstandes. Dieses hat eine Überlastung des Beckengürtels und/oder der Lendenwirbelsäule zur Folge.

Bei + frontotransversalem Brustkorbdurchmesser:Ein großer frontotransversaler Brustkorbdurchmesser verhindert ein freies Hängen der Arme neben dem Körper und kann zu einem funktionellen Abdukti-onssyndrom führen (Klein-Vogelbach 1990).

Bei – frontotransversalem Brustkorbdurchmesser:Ein kleiner frontotransversaler Brustkorbdurchmes-ser kann sog. Engpass-Syndrome zur Folge haben.

Bei + Schultergelenkabstand: Die Aufl agefl äche des Schultergürtels auf dem Brust-korb verschlechtert sich. Dies ist sichtbar an den horizontaler stehenden Schlüsselbeinlängsachsen.Die Muskulatur, die Schulterblatt und Brustkorb miteinander verbindet, benötigt mehr Kraft durch die ungenügende Führung.

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Bei schnellen und diff erenzierten Bewegungen der Hände ist die dynamische Stabilisierung des Schulter-gürtels auf dem Brustkorb sehr schwierig.Es kann zu neurovaskulären Kompressionssyndro-men (z.B. Th oracic outlet syndrome) kommen (s. auch unten). Je nach Ausmaß der Kompression kommt es zu sensiblen und motorischen Ausfällen durch Kompression des Plexus brachialis in der sog. hinteren Skalenuslücke, die sich zunächst im ulnaren Bereich bemerkbar machen. Dazu kommen Zirkulationsstörungen mit Pulsabschwächungen bei bestimmten Bewegungen sowie Zyanose oder Blass-werden der Finger. Die Beschwerden verstärken sich besonders beim Tragen von Lasten (Rucksack oder Kleinkind auf den Schultern).

Bei – – Schultergelenkabstand: (. Abb. .).Ein Abstand der Schultergelenke verhindert das freie Hängen der Arme, und es entsteht ein funktionelles Abduktionssyndrom.

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Abb. .. Funktionelles Abduktions-syndrom bei + Trochanterpunkt-Abstand.

Abb. .. funktionelles Abduktionssyndrom bei – Schultergelenkabstand

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Wichtig

Prädisponierende Faktoren für neurologische Kom-pressionssyndrome sind z.B.:

eine hängende Schulter (Todd 1911 in Machleder 1994; Swift u. Nichols 1984; Nichols 1986; Pratt 1986; Kreig 1993), z.B. durch Atrophie bzw. Hal-tungsschwäche oder Körperbau (Cailliet 1982);eine chronisch elevierte erste Rippe. Sie kann krankheitsbedingt bei Emphysempatienten oder Asthmatikern auftreten (Pratt 1986). Auch eine hochthorakale Lordose bzw. eine fl ache obere Brustwirbelsäule kann zu einer Elevation der oberen Rippen führen (Celegin 1982);Hypertrophie der Mm. scaleni durch eine schlech-te Haltung bzw. ein diskogenes Halswirbelsäulen-syndrom (Nichols 1986).

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Tiefen (. Abb. 3.14)

Abb. .. Konstitution: Tiefen.

Man beurteiltdie Fußlänge,den sagittotransversalen Brustkorbdurchmesser undden sagittotransversalen Kopfdurchmesser.

Norm (. Abb. 3.15)

Die Fußlänge sollte in der hypothetischen Norm so groß sein wie der sagittotransversale Brustkorbdurchmesser.

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Ein langer Fuß ermöglicht beim Gehen viel Weggewinn und im aufrechten Stand eine große Unterstützungsfl ä-che. Innerhalb der Fußlänge können die im Folgenden genannten Proportionen unterschieden werden.

Medial:Abstand Tuber calcanei/Malleolus medialis zumAbstand Malleolus medialis zum Großzehengrund-gelenk. Das Verhältnis beträgt 1:1,5.

Lateral:Abstand Tuber calcanei/Malleolus lateralis zumAbstand Malleolus lateralis zum Kleinzehengrund-gelenk. Das Verhältnis beträgt 1:2.

Das unterschiedliche Verhältnis erklärt sich aus der Tibi-atorsion, durch die der Malleolus lateralis weiter dorsal steht.

Klinische Relevanz der Abweichungen

Bei – Ferse:Wird das Verhältnis größer, weil die Ferse sehr klein ist, ergibt sich ein statisches Problem. Die kleine Fer-se bringt Gewicht nach hinten und den Schwerpunkt nahe an den hinteren Rand der Unterstützungsfl äche. Dies bedeutet eine ständige Gefährdung der Balance. Um die Standfestigkeit wieder herzustellen, d.h., den Schwerpunkt möglichst in der Mitte der Unterstüt-zungsfl äche zu halten, reagiert der Körper mit Gegen-gewichten nach vorne. Die Statik kann leicht durch eine Absatzerhöhung korrigiert werden (. Abb. 3.16). Um beim normalen Gang einen reaktiven Schritt auszulösen, bedarf es einer ausgiebigen Gewichtsver-lagerung nach vorne. Ein bestehender Hohlfuß, Senk- oder Plattfuß verän-dert das Verhältnis ebenfalls. Um unterscheiden zu können, ob statische oder konstitutionelle Probleme bestehen, muss die Untersuchung auch unbelastet erfolgen.

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Abb. .. Abstand des Tuber calcanei zum Malleolus medialis und zum Malleolus lateralis.

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33.9 · Struktur und Funktion

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Bei + sagittotransversalem Brustkorbdurchmesser:Ein + sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser kann durch einen thorakalen Rundrücken oder durch einen in Inspirationsstellung fi xierten Brustkorb ver-ursacht werden.

Bei – sagittotransversalem Brustkorbdurchmesser:Ein – sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser könnte auf eine Trichterbrust oder auf einen thora-kalen Flachrücken hinweisen. Für den Schultergürtel bedeutet dies eine schlechte, inkongruente Aufl agefl ä-che und für die Skapula ein schlechtes Gleitlager auf dem Brustkorb.

Ein + Gesichtsschädel bei – Hinterkopf:Diese konstitutionelle Abweichung kann man häufi g im Zusammenhang mit Kopf- und Nackenschmerzen beobachten kann. Die vermehrten ventralen Gewichte verursachen eine reaktive Hyperaktivität der Nackenmuskulatur, die damit ihren eigentlichen Aufgaben (Regulation der Feineinstellung der Wir-belsäule; visuelle, olfaktorische und akustische Orien-tierung im Raum) nicht mehr nachkommen kann.

Ein ++ sagittotransversaler Durchmesser des Bauches:Diese Abweichung kann erstens zu einer Verlänge-rung der Bauchmuskulatur und zweitens als Gleich-gewichtsreaktion zu einer Rückneigung des Brust-

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korbs führen. Die Fallverhinderung übernehmen die globalen Muskeln, hier der M. rectus abdominis. Die Dezentrierung der Wirbelsegmente führt ihrerseits zu einer Inhibition des lokalen Systems.

Wichtig

Die Ausgewogenheit der Gewichte über der Halswir-belsäule und den oberen Kopfgelenken spielt für die potentielle Beweglichkeit dieses Körperabschnitts eine entscheidende Rolle.

Körpergewicht und ProportionenMan beurteilt das Körpergewicht und die Gewichtspro-portionen innerhalb des Körpers.

Ein + Körpergewicht wirkt z.B. belastend auf die untere Extremität und hat Auswirkungen auf die Statik. Je nach-dem, wo sich das zusätzliche Gewebe angelagert hat (meist an Bauch, Gesäß und an den Oberschenkeln) stört es das Gleichgewicht im Stand in Bezug auf vorne und hinten.

Unterschiedliche Proportionen der verschiedenen Körperabschnitte führen zur Veränderung der Gewichts-verteilung innerhalb des Körpers. Wenn z.B. die Konfekti-onsgröße oberhalb des Nabels etwa um 2 Nummern grö-ßer ist als unterhalb des Nabels, ist dies für kaudale Körpe-rabschnitte im Hinblick auf die Belastung ungünstig.

Aus dem Verhältnis der 3 Maße Körpergröße, Gewicht und Proportionen lässt sich beurteilen, ob der Patient über- oder untergewichtig ist. Bei Untergewicht muss man manchmal auf den schlechten Allgemeinzustand oder den schlechten Trainingszustand der Muskulatur hinweisen.

ZusammenfassungDie individuelle Variabilität innerhalb der Körperpro-portionen und deren Interaktion mit den Aktivitäten und der Partizipation kann die Muskelaktivität prägen und verändern. Die Konstitution eines Menschen hat somit Einfl uss auf sein Bewegungsverhalten. Sie kann nicht verändert werden. Die Ursachen von Schmerzen lassen sich durch konstitutionelle Abwei-chungen nicht erklären. Erst im Zusammenhang mit einer schlechten Statik und Beweglichkeitsdefi -ziten machen sie sich bemerkbar, d.h., sie fallen ins Gewicht. Außerdem führen Abweichungen der Kons-titution zu Problemen mit der Umwelt, die auf Norm-größen, z.B. am Arbeitsplatz konfektioniert ist.

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Abb. .. Gewichtsverlagerung bei kleiner Ferse und Gleichge-wichtsreaktion bei Absatzerhöhung.

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Deshalb ist die Beurteilung des individuellen Arbeits-platzes in Bezug auf die Ergonomie eine physiothera-peutische Aufgabe.Die Konstitution eines Patienten erfordert eine individuelle Anpassung therapeutischer Übungen an die gegebenen Längen, Breiten und Tiefen. Der Therapeut muss erkennen, warum eine Übung für den einen Menschen einfach und für einen anderen schwierig auszuführen ist.

3.9.2 Statik

Defi nitionUnter dem Gesichtspunkt Statik wird die Haltung des Patienten und ihr Einfl uss auf das Bewegungssystem in Form von Belastung beurteilt.

Um die funktionelle Bedeutung des Begriff s »Haltung« zu verstehen, kann man sich die Frage stellen, »was von wem gehalten werden muss«. Was geschieht, wenn die passiven Strukturen, durch die die Körperteile verbunden sind und die Muskeln, die diese Körperteile am Fallen hindern, ihren Aufgaben nicht nachkommen können?

Norm (. Abb. 3.17)

Die Norm orientiert sich an der anatomischen Nullstellung der Gelenke im Stand. Körperabschnitte die genau über-einander stehen, strapazieren die verbindenden Struktu-ren am wenigsten. Diese Eigenschaft haben Pyramiden oder Kegel, da jeweils die untere horizontal stehende Flä-che größer ist als die darüber liegende.

Der Körperabschnitt Beine muss im Stand einen sta-bilen und selektiv mobilen Unterbau für die Wirbel-säule herstellen. Dies gelingt, wenn Ober- und Unter-schenkel genau übereinander stehen und das Körper-gewicht über dem Os naviculare ausgerichtet ist.Das Becken balanciert im Stand auf den kugeligen Gelenkköpfen der Oberschenkel. Dementsprechend defi nieren wir keine optimale Beckenstellung, son-dern den Zustand der potentiellen Beweglichkeit. Die Wirbelsäule erfüllt diese Bedingungen in ihrem dreifach gekrümmten Verlauf in ökonomischer Wei-se. Sie hat nur in der Brustwirbelsäule einer konstan-ten Falltendenz entgegenzuwirken, weil dort die Beu-ge-Streck-Achsen weit dorsal liegen und die ventralen

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Gewichte des Brustkorbs überwiegen. In den lordo-tischen Wirbelsäulenabschnitten befi nden sich die jeweils darüber liegenden Gewichte annähernd im Gleichgewicht, weshalb die Muskulatur in der Len-den- und Halswirbelsäule in der aufrechten Haltung nur geringe fallverhindernde Arbeit leisten muss.

Beurteilung und NotationBei der Beurteilung der Haltung im Stand prüfen wir unter Angabe der jeweiligen Seite von unten nach oben jedes Bewegungsniveau in Bezug auf Abweichungen, die ggf. notiert werden. Dabei ist es wichtig zu diff erenzieren, ob eine Abweichung durch Drehpunktverschiebung oder durch Stellungsänderung des proximalen oder distalen Gelenkpartners hervorgerufen wird (7 Kap. 1), da sich dar-aus unterschiedliche Muskelaktivitäten, Gleichgewichts-reaktionen und Stellungen darüber liegender Gelenke und damit andere Belastungen ergeben (. Abb. 3.18).

Das Ausmaß der Abweichungen geben wir folgender-maßen an:

+/ – etwas abweichend,++/ – – deutlich abweichend,+++/ – – – übermäßig abweichend.

Statik von der SeiteMan beurteilt

die Längswölbung der Füße

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Abb. .. Norm der Haltung von der Seite.

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33.9 · Struktur und Funktion

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die Gelenkstellungen im oberen Sprunggelenk die Gelenkstellungen im Kniegelenk die Gelenkstellungen im Hüft gelenk die Wirbelsäule Fuß/Boden: Längswölbung des Fußes

Längswölbung der Füße

Norm (. Abb. 3.19)

Der Abstand vom Boden zum Os naviculare beträgt ca. 17mm (Frisch 1995).

Abweichung

+ Längswölbung– Längswölbung

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Unterschenkel/Fuß: oberes Sprunggelenk

Norm

Die Fibulalängsachse steht vertikal. Damit ergibt sich ein 90° Winkel im oberen Sprunggelenk, der als Nullstellung defi niert ist.

Abweichung

+ Plantarfl exion+ Dorsalextension

Oberschenkel/Unterschenkel: Kniegelenk

Norm

Die Beinlängsachse steht vertikal. Der Trochanterpunkt, die Mitte des Kniegelenks und das Os naviculare stehen übereinander.

Abweichung

+ Flexion /Extension des Oberschenkels/Unterschen-kels im Kniegelenk+ Flexion/Extension im Kniegelenk durch Dreh-punktverschiebung

Becken/Oberschenkel: HüftgelenkUm die Nullstellung des Beckens zu beurteilen, kann sich der Th erapeut nicht auf die knöchernen anatomischen Winkel beziehen, da sich diese seiner Beobachtung weitest-gehend entziehen. Der Beckenneigungswinkel ist z.B. von der Form der Wirbelsäule und vom Geschlecht abhängig (bei Frauen ist der Beckenneigungswinkel normalerweise größer als bei Männern (Rauber u. Kobsch 1987)). Funkti-onell bedeutsam ist, ob das Becken in Hüft - und Lenden-wirbelgelenken potentiell beweglich ist (. Abb. 3.20 a–f).

Norm

Symphyse und SIAS stehen in der gleichen Frontal-ebene.

Abweichung

+ Flexion /Extension des Oberschenkels/Beckens im Hüft gelenk+ Flexion/Extension im Hüft gelenk durch Dreh-punktverschiebung

WirbelsäuleAbweichungen werden in Bezug auf die physiologischen Krümmungen der Wirbelsäule beschrieben. Hit Hilfe

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Abb. .. Flexion im Hüftgelenk vom a distalen und b proxima-len Gelenkpartner.

Abb. .. Längswölbung des Fußes.

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

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der Computeranalyse wurde die ideale Krümmungsform ermittelt (Hochschild 1998). Das Schwerpunktlot schnei-det bei aufrechter Haltung das Tuberculum anterius atlan-tis, den 6. Halswirbel, den 9. Brustwirbel, den 3. Sakrum-wirbel und die Spitze des Os coccygeum. Man notiert außerdem die Stellung der Körperabschnitte zueinander und (bei deutlicher Auff älligkeit) die Höhe der Segmente, in denen die Abweichungen sichtbar sind.

Norm (. Abb. 3.21)

Die Lenden- und Halswirbelsäule sind lordotisch, die Brustwirbelsäule ist kyphotisch eingestellt.Die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf sind in die Körperlängsachse eingeordnet.

Abweichungen

+/– LWS-Lordose, BWS-Kyphose, HWS-Lordose+ Translation des Beckens/Kopfs nach vorne+ Translation des Brustkorbs nach hinten+ NackenkyphoseNach kaudal verlängerte BWS-KyphoseNach kranial verlängerte LWS-Lordose

Statik von vorne/hintenBei der Analyse der Statik von vorne und hinten werden in jedem Niveau die Abweichungen

in der Frontalebene (Abduktion, Adduktion, Lateral-fl exion) und

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Abb. .. Statik der Beine von der Seitea Norm, b + Flexion des Oberschenkels im Kniegelenk und + Flexion im Hüftgelenk durch Drehpunktverschiebung. c + Dorsalextension, + Flexion im Kniegelenk durch Drehpunktverschiebung und + Flexion des Oberschenkels im Hüftgelenk. d + Extension des Oberschenkels im Kniegelenk und + Extension im Hüftgelenk durch Drehpunktver-schiebung. e + Plantarfl exion, + Extension im Kniegelenk durch Dreh-punktverschiebung und + Extension des Oberschenkels im Hüftge-lenk. f + Dorsalextension bei Vorneigung der Becken-Bein-Längsachse

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Abb. .. Normale Wirbelsäulen-schwingungen.

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33.9 · Struktur und Funktion

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in der Transversalebene (Rotation)erfasst.

Man beurteilt die Gelenkstellungender Füße,der unteren Sprunggelenke,der Kniegelenke,der Hüft gelenke,der Wirbelsäule undder Schultergürtelgelenke.

Fuß/Boden: Fuß- und ZehengelenkeMan beurteilt

die Gewichtsverteilung rechts/links,die Stellung der Füße auf dem Boden unddie Gelenkstellungen innerhalb des Fußes.

Norm (. Abb. 3.22)

Beide Füße sind gleichmäßig belastet.Die funktionellen Fußlängsachsen zeigen nach vorne und stehen parallel. Damit divergiert die anatomische Fußlängsachse (2. Metatarsale/Mitte des Kalkaneus) um ca. 11° von der Symmetrieebene und steht 90° zur Flexions-Extensionsachse des OSG.Die Spurbreite im Stand sollte dem Hüft gelenkab-stand entsprechen. Im Rahmen der Norm kann sie auch dem Abstand der Spinae entsprechen. Die Bein-längsachsen stehen folglich vertikal.Die Metatarsalköpfchen 1-5 sind sichtbar.

Abweichungen

+ Belastung rechts/links+ Konvergenz/Divergenz der funktionellen Fußlängs-achseFußvorstand/Fußrückstand rechts/linksHammer-/KrallenzehenHallux valgus/rigidus– Querwölbung (keine sichtbaren Metatarsalköpf-chen)

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Transversale Abweichungen

+ Fußvorstand/-rückstand.+ Konvergenz/ Divergenz der funktionellen Fußlängs-achse.

Frontale Abweichungen

+ Belastung rechts/links.+/ – Spurbreite im Stand.– QuerwölbungHallux valgus/rigidusHammerzehen, Krallenzehen

Fuß/Unterschenkel: unteres Sprunggelenk

Norm (. Abb. 3.23)

Der Kalkaneus steht in Verlängerung der Achilles-Sehne.

Abweichung

+ Eversion/Inversion des Rückfußes.

Unterschenkel/Oberschenkel: Kniegelenk, Femuropatellargelenk

Norm

Ober- und Unterschenkel bilden eine gemeinsame Längs-achse.

Transversale Abweichungen

Rotationsfehlstellungen bei Flexions-Extensions-Null-stellung im Kniegelenk sind bereits ein pathologischer Befund.

+ AR/IR des Unterschenkels im Kniegelenk.+ AR/IR des Oberschenkels im Kniegelenk.+ AR/IR im Kniegelenk.Abweichung der Patella nach medial/lateral.

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Abb. .. Anatomische und funktionelle Fußlängsachse. Abb. .. Stellung des Rückfußes im unteren Sprunggelenk.

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Frontale Abweichungen

+ Varus des Kniegelenks (O-Bein).+ Valgus des Kniegelenks (X-Bein).

Oberschenkel/Becken: Hüftgelenk

Norm

Die um ca. 12° medialrotierten Femurkondylen sind der sichtbare Ausdruck der Antetorsion des Schenkelhalses. (. Abb. 3.24 a-c)

Transversale Abweichungen

+ Medialrotation/Lateralrotation der Femurkondylen.+ IR/AR des Beckens im Hüft gelenk.

Frontale Abweichungen

+ Abduktion/Adduktion des Oberschenkels im Hüft -gelenk.+ Abduktion/Adduktion im Hüft gelenk.+ Beckenhochstand.

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Wichtig

BeckenhochstandZwei häufi ge Reaktionen auf einen Beckenhoch-stand:

Das Brustkorbgewicht wird durch eine Lateral-fl exion wieder zurückgebracht. Damit kann das Gewicht über der Unterstützungsfl äche zentriert bleiben. Der frontotransversale Brustkorbdurch-messer steht meist nicht mehr horizontal.Das Brustkorbgewicht rutscht translatorisch ab, und es entstehen Schubbelastungen. Dabei verändert sich der Druck innerhalb der Unter-stützungsfl äche. Er nimmt in Richtung des abrut-schenden Brustkorbgewichts zu.

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Wenn der Th erapeut bei der Untersuchung im Stand von vorne und hinten unterschiedliche Höhen des Beckens palpiert, handelt es sich um eine Beckenverwringung, die dann als solche notiert werden muss. Dabei stehen die jeweils diagonal gegenüberliegenden SIAS (Spina iliaca anterior superior rechts) und die S.I.P.S. (Spina iliaca pos-terior superior links) tiefer als die der anderen Diagonale.

Wenn ein Beckenhochstand im Sitzen bestehen bleibt, liegt dies an einer Asymmetrie des Beckens oder einer Beckenskoliose. Es ist dann empfehlenswert, bei längerem Sitzen einen Ausgleich zu schaff en, indem die niedrige Beckenseite unterlagert wird.

Eine anatomische Beinlängendiff erenz kann einen Beckenhochstand zur Folge haben. Mögliche Ursachen sind u.a.:

einseitige Längenunterschiede der Ober- oder Unter-schenkel (durch Frakturen der Diaphysen, Opera-tionen oder anlagebedingt),ein einseitiger varischer Unterschenkel,ein einseitig rekurvierter Unterschenkel,einseitiger + Varus/Valgus eines Schenkelhalses,eine Asymmetrie des Beckens.

Eine funktionelle Beinlängendiff erenz sollte, wenn über-haupt, nur vorübergehend durch eine Schuherhöhung korrigiert werden. Sie muss vielmehr durch eine Ver-besserung der Haltung ausgeglichen werden, sobald die Bewegungstoleranzen vorhanden sind. Eine funktionelle Beinlängendiff erenz kann einen Beckenhochstand zur Folge haben bei:

– Längswölbung eines Fußes,+ Eversion in einem unteren Sprunggelenk,

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Abb. .. Antetorsion des Femurs a Norm, b, c Ante-torsion (aus: Krämer, 2004)

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33.9 · Struktur und Funktion

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+ FLEX/EXT eines Kniegelenks,+ Abduktion/Adduktion eines Hüft gelenks,+ FLEX/EXT eines Hüft gelenks.

Wirbelsäule

Norm

Die frontotransversalen und sagittotransversalen Durchmesser der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf stehen horizontal. Die Körperabschnitte stehen genau übereinander. Im Zweibeinstand steht der Kopf über der Mitte der Unterstützungsfl äche und über den Füßen. Bei Einbeinbelastung steht er über dem belasteten Bein.

Transversale Abweichungen

+ Rotation des Körperabschnitts Becken/Brustkorb und/oder Kopf nach rechts/links.rechts-/linkskonvexe Skoliose der Lenden-, Brust-, Halswirbelsäule.

Frontale Abweichungen

+ Translation des Kopfs/Brustkorbs nach rechts/links.Rechts-/linkskonkave Lateralfl exion.

Wichtig

Da der Kopf das am weitesten oben befi ndliche Gewicht ist, kann über ihm keine Gewichtsverschie-bung mehr stattfi nden. Sein Abweichen aus der Körperlängsachse muss zwangsläufi g eine reaktive Hyperaktivität in darunter liegenden Niveaus hervor-rufen. Um die Haltung zu verbessern, kann man also veranlassen, dass sich die Körperabschnitte reaktiv über der Unterstützungsfl äche einordnen.

Brustkorb/Schultergürtel/Humerus: Sterno- und Akromioklavikulargelenk, Humeroskapulargelenk

Norm (. Abb. 3.25)

Die Längsachse der Klavikula ist wenig geneigt. Das Akromion steht in Bezug zum Sternoklavikulargelenk weiter lateral/kranial/dorsal in der mittleren Frontal-ebene.Die Humeruskondylen stehen 30° gedreht zur Fron-talebene.

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Der Winkel zwischen Skapula und Klavikula beträgt 60°.Die Neigung der Skapula zur Frontalebene beträgt 30°. Die Skapula ist leicht gedreht (ca. 3°) – die Margo medialis stehen somit annähernd parallel zur Wirbel-säule.

Transversale Abweichungen

+ Protraktion (=Schultervorstand = Schulterblattab-duktion) / + Retraktion (=Schulterrückstand = Schul-terblattadduktion)Außenrotation/Innenrotation der Skapula im Hume-roskapulargelenkAußenrotation/Innenrotation des Humerus im Humeroskapulargelenk

Frontale Abweichungen

+ Schulterhochstand/Schultertiefstand+ Abduktion/Adduktion der Skapula im Humeroska-pulargelenk+ Abduktion/Adduktion des Humerus im Humeros-kapulargelenk+ Kranialrotation/Kaudalrotation der Cavitas gleno-idale

Sagittale Abweichungen

+ Ventralrotation/Dorsalrotation des Schultergürtels+ Flexion/Extension des Humerus im Humeroskapu-largelenk

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Abb. .. Stellung des Schultergürtels auf dem Brustkorb (aus Hochschild 1998).

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Klinische Interpretation Auf abweichende Gelenkstellungen reagiert der Körper in unterschiedlicher Weise. Es kommt zu einer veränderten Verteilung der Gewichte und folglich zu einer muskulären Dysbalance. Wenn der Spannungszustand der Muskula-tur nicht ausreicht, um die Gewichte am Fallen zu hin-dern, entstehen Belastungen auf der passiven Struktur des Bewegungssystems.

Veränderte Gewichtsverteilung innerhalb des KörpersDie abweichenden Gelenkstellungen haben eine andere Verteilung der Gewichte zur Folge (und umgekehrt). Die-se Gewichte müssen von Muskeln gehalten werden, die normalerweise nicht dafür bestimmt sind. Die erhöhte Aktivität entsteht also reaktiv auf ein Gewicht und muss demnach durch Abnahme bzw. Einordnung der verursa-chenden Gewichte wieder normalisiert werden.

Wenn die Gewichte nicht oder – je nach Dauer der Einwirkung – nicht mehr gehalten werden können, wer-den passive Strukturen zur Bewahrung der Haltung bean-sprucht, die jedoch für diese Aufgabe nicht geeignet sind (Schubbelastung). Diese Strukturen erfüllen normaler-weise eine Schutzfunktion im Bewegungssystem.

Schubbelastungen der passiven Strukturen Schubbelastungen (Klein-Vogelbach 1990) der passiven Strukturen (Ligament, Knorpel, Knochen, Periost, Fas-zie, Kapsel, Nerven, Bandscheibe) sind oft Ursache von Schmerzen (Periost-, Dystrophie-, Kompressions-, radi-kuläre oder pseudoradikuläre Symptome). Sie entstehen an der Stelle der größten Beweglichkeit, wenn 2 Gewichte in entgegengesetzter Richtung aus der normalen Statik abweichen, und strapazieren die passiven Strukturen des Bewegungssystems, wenn die Muskulatur ihre Haltearbeit aufgibt. Je steiler (vertikaler) die Gelenkfl ächen stehen, desto mehr Schub kann entstehen. (. Abb. 3.26)

Bei der Notation der Schubbelastungen nennt manden Ort, an dem die Belastung auft ritt,ein oder mehrere Gewichte unterhalb bzw. oberhalb des Schubniveaus unddie Richtung, in die der Schub wirkt.

Reaktive Hyperaktivität der Muskulatur Eine reaktive Dauerhyperaktivität für die Haltung nicht prädestinierter Muskulatur zeigt sich in ischämischen Schmerzen. (. Abb. 3.27)

1.2.

3.

Abb. .. Notationsbeispiel der Schub-belastungen: Lumbothorakal doppel-te Schubbelastung: von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach hinten/unten und von unten zieht das Becken-Bein-Gewicht nach vorne/unten

.

Abb. .. Notationsbeispiel bei reaktiver Hyperaktivität: Hyper-aktivität der Bauchmuskeln, reaktiv auf das nach hinten verschobene Brustkorbgewicht und Hyperaktivität der Schulter-Nacken-Muskeln, reaktiv auf das nach vorne verschobene Kopfgewicht

.

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33.9 · Struktur und Funktion

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Wichtig

Um zu erkennen, ob der Spannungszustand der Muskulatur reaktiv auf ein Gewicht oder aus anderen Gründen entsteht, muss der Therapeut die verant-wortlichen Gewichte übernehmen, ohne die Haltung des Patienten zu verändern.

Andere Gründe für eine erhöhte Muskelaktivität können hohe Sympathikusaktivität, Schmerzen, Emotionen, Käl-te, Temposteigerungen etc. sein.

Eine ungleiche Beanspruchung der Muskulatur geht einerseits mit einer Atrophie der weniger beanspruchten Bereiche, andererseits mit Verspannungen anderer Muskel-regionen einher. Diese muskulären Verspannungen, die sich über die gesamte Muskelkette ausbreiten können, führen wiederum zu Schmerzen, die in der Folge den Spannungs-zustand der Muskulatur weiter erhöhen. Es ist zu vermuten, dass die dauerhaft en Muskelkontraktionen eine Reizung schmerzsensibler Nervenfasern auslösen, die für eine Gene-ralisierung der Muskelverspannung verantwortlich ist.

Beispiele: Typische AbweichungenDie folgenden Beispiele sind eine Zusammenfassung und Interpretation typischer Haltungsabweichungen.

+ LWS-Lordose bei Flexion des Beckens im Hüftgelenk (. Abb. 3.28 a – c)Konstitution (blau)

Breiten: + SchultergelenkabstandLängen: + Körperabschnitt Becken / – Körperab-schnitt Kopf

Statik von der Seite (schwarz)+ Flexion des Beckens in den Hüft gelenken bei ++ LWS-LordoseRückneigung des Brustkorbs+ Ventraltranslation des Kopfs

Statik von vorne/hinten (schwarz)+ Eversion der Rückfüße links > rechts+ Medialrotation der Femurkondylen+ Beckenhochstand rechts bei Adduktion im rechten und Abduktion im linken Hüft gelenk+ Translation des Brustkorbs nach links

Schubbelastungen (grün)Lumbal:

von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach links unten und nach hinten unten

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a b c

Abb. ..a–c + Lordose bei + Flexion im Hüftgelenk .

Von unten zieht das Becken-Bauch-Gewicht nach vorne/unten

Reaktive Hyperaktivität (rot)Der Hüft extensoren reaktiv auf das Becken-Bauch-GewichtDer Bauchmuskeln reaktiv auf das nach hinten geneigte BrustkorbgewichtDer Paravertebralmuskulatur rechts reaktiv auf das translatierte Brustkorbgewicht

+ LWS-Lordose bei Rückneigung des Brustkorbs (. Abb. 3.29 a – c)Konstitution (blau)

Breite: + Körperabschnitt BeckenLängen: + Beinlänge

Statik von der Seite (schwarz)+ Plantarfl exion+ Extension im Kniegelenk durch Drehpunktver-schiebung+ Extension der Oberschenkel im Hüft gelenkRückneigung des Brustkorbs bei+ LWS-Lordose+ BWS-KyphoseVentraltranslation des Kopfs

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Protraktion des SchultergürtelsStatik von vorne/hinten (schwarz)

+ Standbreite bei Abduktion der Beine im Hüft gelenkSchubbelastungen (grün)

Dorsal am Kniegelenk: von oben schiebt das Körper-gewicht nach hinten/untenHüft gelenk: von oben schiebt das Körpergewicht nach vorne/untenLumbal: von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach hinten/untenHalswirbelsäule: von oben schiebt das Kopfgewicht nach vorne/unten

Reaktive Hyperaktivität (rot)Der Bauchmuskeln reaktiv auf das nach hinten geneigte BrustkorbgewichtDer Schulter-Nacken-Muskeln reaktiv auf das Kopf-gewicht

– LWS-Lordose und – – BWS-Kyphose (. Abb. 3.30 a – e)Konstitution (blau)

Breiten: – Hüft gelenkabstandfunktionelles Abduktionssyndrom bei + fronto-transversalem Brustkorbdurchmesser und – Schul-tergelenkabstand

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Längen: + Körperabschnitt Becken

Statik von der Seite (schwarz)+ Dorsalextension bei + Vorfußbelastung und Vor-neigung des gesamten Körpers– LWS-Lordose– BWS-Kyphose (mittlere BWS)Funktionelle Nackenkyphose

Statik von vorne/hinten (schwarz)+ Inversion der Rückfüße bei +Außenrotation der Femurkondylen

Geringe Auff älligkeiten (. Abb. 3.31 a – c)Konstitution (blau)

+ SchultergelenkabstandStatik von der Seite (schwarz)

+ Extension des Oberschenkels im Knie- und Hüft -gelenk

Statik von vorne/hinten (schwarz)unauff ällig

Statik des Brustkorbs und des Schultergürtels (. Abb. 3.32 a – d)

Rückneigung des Brustkorbs bei + Extension in der unteren BWS

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5

5

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a b c

Abb. .. + LWS-Lordose bei Rücknei-gung des Brustkorbs.

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+

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33.9 · Struktur und Funktion

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Abb. .. – LWS-Lordose und – – BWS-Kyphose.

Abb. .. geringe Auff älligkeiten.

Translation des Brustkorbs nach links bei rechtskon-kaver Lateralfl exion in der unteren BWS und links-konkaver Lateralfl exion in der oberen BWSProtraktion und Ventralrotation des Schultergürtels bei Ventralisation des Humeruskopfes

5

5

Therapeutische KonsequenzenDa der Körper auf abweichende Gelenkstellungen in Form von reaktiver Hyperaktivität oder Schubbelastungen rea-giert, muss der Th erapeut bei der Untersuchung des Bewegungsverhaltens und der Funktion einzelner Körper-abschnitte/Körpersegmente genau herausfi nden, was für

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die Probleme verantwortlich gemacht werden kann, um dann die entsprechende Maßnahme zu ergreifen.

Zur klassischen therapeutischen Intervention gehö-ren:

Die gestressten Strukturen vom Gewicht zu befreien, d.h., dem Patienten müssen Entlastungsstellungen gezeigt und erklärt werden.Die Beweglichkeit wiederherzustellen.Der Patient muss lernen, seine Haltung selbstständig zu korrigieren und zu kontrollieren.

Die gestressten Strukturen müssen vom Gewicht befreit werden, d.h., dem Patienten müssen Entlastungsstellungen beigebracht werden

Bei jeder Behandlung ist die Instruktion von Entlastungs-stellungen für alle Lebenslagen unerlässlich und sollte beim ersten Kontakt mit dem Patienten erfolgen. Ent-lastungsstellungen kann man auch während der Arbeit einnehmen. Wichtig ist, dass sie sofort mit Einsetzen der Beschwerden eingenommen werden.

Die Beweglichkeit muss wiederhergestellt werden

Hyper- und Hypomobilitäten bedingen sich oft gegensei-tig. Hypermobilitäten sind oft Ursache schlechter Statik. In der Folge entstehen in der Wirbelsäule häufi g Teilstei-fi gkeiten. Diese können aber auch die primäre Ursache statischer Abweichungen sein.

Teilsteifi gkeiten entstehen oft durch eine Gewohn-heitshaltung (z. B. zusammengesunkener Flachrücken, der in der unteren Brustwirbelsäule fl ektiert wird). Diese

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Teilsteifi gkeiten muss man mit aller Sorgfalt zu beseitigen versuchen. Nur dann ist eine aktive Haltungskorrektur möglich und sinnvoll. So lässt sich z.B. der Kopf – auch bei vorhandener Bewegungseinschränkung in Extension im CTÜ – oft in die Körperlängsachse einordnen – allerdings fi ndet die Bewegung dann in der mittleren Halswirbelsäu-le statt. Deshalb sollte insbesondere der Kopf während der Th erapie nicht einfach »gerade gerückt« werden. Der the-rapeutische Erfolg lässt dabei oft lange auf sich warten. In der Zwischenzeit müssen Entlastungsstellungen helfen.

Der Patient muss lernen, seine Haltung zu korrigieren und muskulär zu kontrollieren

Um, die Haltung zu beeinfl ussen und damit auch die Sta-tik zu verbessern, muss der Patient die Fehlstellung und ihre Korrektur wahrnehmen können. Er muss nicht nur die angestrebte Haltung spüren, sondern auch den Weg des Zurücksinkens in die unerwünschte Gewohnheitshal-tung. Behandlungsziel ist es, dass der Patient seine Hal-tung korrigieren und muskulär kontrollieren kann. Wenn keine Teilsteifi gkeiten hindernd im Weg stehen, ist dies während der physiotherapeutischen Behandlung schnell und unproblematisch zu erreichen. Die Haltungskorrektur hebt die Schubbelastungen und die reaktive Hyperaktivi-tät der Muskulatur auf, geht aber mit Hyperaktivität ein-her, die oft von einer funktionellen Fehlatmung begleitet wird. Diese Hyperaktivität muss nach Einnehmen der korrigierten Stellung abgebaut werden.

Haltungskorrekturen im Stehen nimmt man unter Beibehalten der gleichmäßigen Belastung von Vor- und

Abb. .. Statik des Brustkorbs und des Schultergürtels.

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33.9 · Struktur und Funktion

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Rückfuß vor. Da der Kopf bereits am richtigen Ort über den Füßen steht, muss sich die Haltungsveränderung durch Gewichtsverschiebung zwischen Hüft gelenken und Halswirbelsäule vollziehen.

Der Th erapeut veranlasst möglichst nur eine Gewichts-verschiebung, die dann automatisch ein Gegengewicht in Gang setzt, weil die Belastung auf den Füßen nicht verän-dert werden darf.

3.9.3 Gelenkbeweglichkeit

Defi nitionBei der Untersuchung der Beweglichkeit wird das Ausmaß der Bewegungstoleranzen in den Gelenken beurteilt und notiert/dokumentiert. Abweichungen haben einen Einfl uss auf die Statik des Patienten und sein Bewegungsverhalten.

Das freie Gelenkspiel ist Voraussetzung für alle angulären Bewegungen. Die Untersuchung der intra- und extraarti-kulären Bewegung wird in der Manuellen Th erapie gelehrt.

Um die Beweglichkeit der Extremitätengelenke zu beurteilen, wird die Neutral-Null-Methode (Debrunner 1971) angewendet (7 Kap. 1). Die Maße werden in Winkel-graden angegeben.

Prinzipien bei der UntersuchungDie Untersuchung erfolgt nach bestimmten Prinzipien:

Orientierung am Körper des Patienten,Abnahme des Gewichts,Beachten passiver Insuffi zienzen der zweigelenkigen Muskulatur,Ausschalten bremsender Muskelaktivitäten,Vorstellen der geplanten Bewegung,Beachten weiterlaufender Bewegungen.

Orientierung am Körper des PatientenDer Th erapeut orientiert sich beim Messen der Gelenkbe-weglichkeit an Bezugspunkten am Körper des Patienten.

Das Gewicht abnehmenMuskelschwächen (aktive Insuffi zienzen) können eine verminderte Beweglichkeit vortäuschen. Durch Abnahme des Gewichts und durch Unterstützen der Bewegung wird dies vermieden.

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555

Passive Insuffi zienzen beachtenDie passiven Insuffi zienzen mehrgelenkiger Muskeln haben keinen Einfl uss auf die Ergebnisse der Beweglich-keitsuntersuchung, wenn die Muskeln nur über einem Drehpunkt verlängert werden.

Bremsende Muskelaktivitäten ausschaltenUm bremsende Muskelaktivitäten auszuschalten und um den Patienten aktiv an der Untersuchung und Behandlung zu beteiligen, wird er über die geplante Bewegung infor-miert und deren Richtung instruiert. Fixierungen zur Messung der Beweglichkeit sind in der Regel überfl üssig.

Sich die geplante Bewegung vorstellenDurch das Vorstellen der geplanten Bewegung kommt es zur Erregung der motorischen Rindenfelder (»motor neu-ropools«) und damit zu erhöhter Bereitschaft zur Anspan-nung der angesprochenen Muskeln, was einer Bahnung gleichkommt. Durch das Ansprechen wahrnehmbarer Inhalte, wie z.B. Abstandsveränderungen, wird gleichzei-tig das Bewegungsempfi nden geschult.

Weiterlaufende Bewegungen beachtenWenn die Bewegung im Drehpunkt der Primärbewegung endgradig war (oder es noch wird), dürfen weiterlaufende Bewegungen in derselben Richtung zugelassen werden. Damit werden bremsende Muskelaktivitäten ausgeschal-tet. Da sich der Th erapeut am Winkel der Gelenkpartner orientiert, bleiben die Ergebnisse unverfälscht (7 Kap. 6.1, Orientierung am Körper des Patienten).

Von proximal bewegenPatienten mit Bewegungseinschränkungen an den Extre-mitäten haben im Verlauf ihrer Krankheit oder Funk-tionsstörung gelernt, dass Bewegungen vom distalen Gelenkpartner Schmerzen verursachen. Sie werden nicht zulassen, dass bei einer Untersuchung der distale Gelenk-partner bewegt wird. Bewegungen mit dem proximalen Gelenkpartner sind dagegen möglicherweise schmerzfrei.

Wichtig

Zusätzliche KomponentenZur genaueren Diff erenzierung werden die Bewe-gungen

passiv durch den Therapeuten,aktiv gegen Widerstand,

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unter Traktion undunter Kompressiondurchgeführt und die Veränderungen der Symp-tome notiert/dokumentiert.

Wenn die Qualität der Bewegung pathologisch verändert ist, zeigt sich das darin, dass

sich die Symptome während der Bewegung oder in einem bestimmten Bewegungsbereich auslö-sen oder verstärken lassen,sich die Bewegung nur gegen den Widerstand der Gewebe durchführen lässt,der Patient Schutzspannungen aufbaut oderGelenkgeräusche hörbar sind,die Reihenfolge der Gelenkbewegungen inner-halb der kinematischen Kette nicht der defi -nierten Norm entspricht, z.B. durch verändertes »Timing« der Muskelrekrutierung. Ursachen dafür können sein:

Inhibition der Muskulatur durch Schmerz,Aktive/passive Insuffi zienz bestimmter Mus-keln, die sich nicht konzentrisch/exzentrisch annähern bzw. nachlassen können,Veränderte neuromuskuläre Steuerung.

Triff t das zu, werden die Fähigkeiten der relevanten Muskeln untersucht.

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5

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−−

Spezielle UntersuchungenBei den nachfolgenden Untersuchungen wird anhand spezieller Vorgehensweisen dargestellt, wie funktionelle Überlegungen die Untersuchung des Hüft gelenks beein-fl ussen können, und wie eine diff erenzierte Untersuchung des Humeroskapulargelenks und des Skapulothorakalge-lenks ausgeführt wird.

SchultergelenkBei der Untersuchung des Schultergelenks werden die wei-terlaufenden Bewegungen auf die Skapula durch Wider-lagerung begrenzt. Die herkömmliche Untersuchung des Schultergelenks besteht darin, das Bewegungsverhalten des Körperabschnitts Arme zu beurteilen. Es wird nicht weiter diff erenziert, in welchem der beteiligten Gelenke die Bewegung stattfi ndet (Humeroskapulargelenk / Skapu-lothorakalgelenk / Sternoklavikulargelenk) (7 Kap. 1.4).

Die Behandlungstechnik »Widerlagernde Mobilisa-tion der Gelenke« eignet sich besonders gut dazu, die

Bewegung des Humeroskapulargelenks und die Gleit-fähigkeit der Skapula auf dem Brustkorb zu beurteilen/messen. Da der Th erapeut immer beide Gelenkpartner unter Abnahme des Gewichts bewegt, sind auch die vor-genannten Prinzipien erfüllt. Er orientiert sich am Körper des Patienten, übernimmt dessen Arm-/Schultergürtelge-wicht, untersucht ohne den Einfl uss der zweigelenkigen Muskulatur, schaltet bremsende Muskelaktivitäten aus und widerlagert die weiterlaufenden Bewegungen.

Abduktion/Adduktion

Als Bezugspunkte dienen die Margo medialis der Skapula und der Oberarm. (. Abb. 3.33)

Normwert ABD/ADD: 90 – 0 – 20 (40)

Abb. .. Untersuchung der Abduktion im Humeroskapularge-lenk.

Innenrotation/Außenrotation bei 90° Flexion

Als proximaler Rotationszeiger betrachtet der Th erapeut die Längsachse der Klavikula oder die Spina scapulae. Der distale Rotationszeiger für die Rotation im Humeroskapu-largelenk ist der Unterarm. (. Abb. 3.34)

Normwerte IR/AR: 90 – 0 – 10

Innenrotation/Außenrotation bei 90° Abduktion

Der Th erapeut bezieht sich bei der Untersuchung auf die Neigung der Skapula (in der Sagittalebene) und den Zei-ger Unterarm. (. Abb. 3.35)

Normwerte IR/AR: 20 – 0 – 90

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Innenrotation/Außenrotation bei Nullstellung

Um die Rotationen im Humeroskapulargelenk zu beurtei-len, bezieht der Th erapeut die Stellung der Spina Skapu-lae oder der Längsachse der Klavikula und den im Ellen-

Abb. .. Untersuchung der Innen-/Außenrotation bei Flexion im Humeroskapulargelenk. Abb. .. Untersuchung der Innen-/Außenrotation bei Abduktion

im Humeroskapulargelenk.

Abb. .. Untersuchung der Innen-/Außenrotation bei Nullstellung im Humeroskapulargelenk.

bogen 90° fl ektierten Unterarm als Zeiger aufeinander. (. Abb. 3.36)

Normwerte IR/AR: 95 – 0 – 40 (60) >

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Transversale Flexion/-extension

Um die Gelenkstellung im Humeroskapulargelenk zu beurteilen, betrachtet man die Spina Skapulae in Bezug zum Oberarm. (. Abb. 3.37)

Normwert transversale Flexion/-Extension: 90 – 0 – 40>

Abb. .. Untersuchung der transversalen Flexion/Extension im Humeroskapulargelenk.

Flexion/Extension

Um die Gelenkstellung im Humeroskapulargelenk zu beurteilen, betrachtet man die Neigung der Skapula (in der Sagittalebene) in Bezug zum Oberarm. (. Abb. 3.38)

Normwerte FLEX/EXT: 110 – 0 – 40 >

Abb. .. Untersuchung der Flexion/Extension im Humeroskapu-largelenk.

SchultergürtelDie Bewegungen des Schultergürtels auf dem Brustkorb sind immer mit Bewegungen in den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken verbunden. Bewegungsein-schränkungen dort können die Bewegungen der Skapula auf dem Th orax beeinträchtigen. Aber auch muskuläre, statische und konstitutionelle Faktoren haben Einfl uss auf die Gleitfähigkeit der Skapula auf dem Th orax. Man unterscheidet in der Skapulakinematik Rotationen um drei Achsen und zwei sog. Translationen (Verschiebungen der Skapula auf dem Brustkorb).

Elevation/Depression

Normwerte Elevation/Depression: 60 – 0 – 5

In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken wird der Schultergürtel um eine sagittotransversale Achse

>

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33.9 · Struktur und Funktion

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nach kranial und kaudal bewegt. Dabei wird der Distanz-punkt Akromion auf seinem Weg nach kranial/medial bzw. kaudal/lateral im Bezug zum Brustbein beurteilt. (. Abb. 3.39)

Ventralrotation / Dorsalrotation

Der Schultergürtel wird vom Th erapeuten um eine fron-totransversale Achse nach ventral/kaudal und nach dor-sal/kaudal gedreht. Bei der Ventralrotation hebt sich der Brustkorb vom Brustkorb ab, die Dorsalrotation wird durch den Brustkorb limitiert.

Hüftgelenk

Extension

Normwert: EXT: 10°-15° (Debrunner 1971).

Bei einer fl exorischen Bewegung vom rechten Bein in der Sagittalebene des Hüft gelenks kommt es weiterlaufend

>

Abb. .. Untersuchung der Verschieblichkeit der Skapula in Ele-vation/Depression.

Protraktion/Retraktion

In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken wird der Schultergürtel um frontosagittale Achse nach vor-ne oder hinten bewegt. Man beobachtet den Distanzpunkt Akromion auf seinem Weg nach ventral/medial bzw. dor-sal/medial (. Abb. 3.40).

Normwerte Protraktion/Retraktion: 45 – 0 – 20>

Abb. .. Untersuchung der Verschieblichkeit der Skapula in Pro-traktion/Retraktion.

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zum Ausgleich der Lendenlordose und damit zur Extensi-on im linken Hüft gelenk (Th omas-Handgriff ). Gleichzei-tig geschieht jedoch auch eine rechtskonkave lateralfl exo-rische Verformung der Wirbelsäule und damit weiterlau-fend eine Abduktion des Beckens im linken Hüft gelenk. Häufi g beobachtet man eine positive Rotation des Beckens (AR im linken Hüft gelenk) als Gleichgewichtsreaktion. (siehe S. 32, . Abb. 2.16)

HinweisZur Überprüfung der Extension müssen die uner-wünschten weiterlaufenden Bewegungen (Lateralfl e-xion, Abduktion) begrenzt werden.

Ausgangsstellung Rückenlage. Der Th erapeut über-nimmt das Beingewicht und bewegt den Oberschenkel fl e-xorisch im Hüft gelenk. Nimmt er das Beingewicht nicht vollständig ab, hängt es sich an Becken und Brustkorb und bewirkt eine Rotation in der Wirbelsäule und im ande-ren Hüft gelenk. Durch eine Adduktion mit dem bewegten Oberschenkel kann die Verbindungslinie der Spinae hori-zontal bleiben.

Sowie die weiterlaufende Bewegung (WB) einsetzt, dürfen sich die Spinae ausschließlich nach dorsal/krani-al, also extensorisch im liegenden Hüft gelenk bewegen. Damit dies gelingt, muss der Th erapeut die weiterlaufen-de Bewegung (Lateralfl exion und Abduktion im ande-ren Hüft gelenk) durch Außenrotation des Oberschenkels begrenzen (. Abb. 3.41).

HinweisWenn die Lendenwirbelsäule die Unterlage berührt und das Bein trotz der Extension des Beckens im Hüftgelenk liegen bleibt, ist die Extension des Hüft-gelenks optimal.

Wenn das Hüft gelenk keine extensorischen Bewegungs-toleranzen hat, kann der Oberschenkel (weiterlaufend auf die Bewegungen des Beckens) nicht auf der Unterlage lie-gen bleiben.

Abduktion

Normwert: Abduktion: 30°-50° (Debrunner 1971).

Da die konstitutionellen Varianten des Abstandes der Spi-nae sehr groß sind, wird als Orientierung die Verbindungs-linie der Mitte der Hüft gelenke in Bezug zur funktionellen Oberschenkellängsachse gebracht. In der Nullstellung bil-den diese einen Winkel von 90° (. Abb. 3.42).

Ausgangsstellung Rückenlage. Der Th erapeut über-nimmt das Beingewicht und bewegt es abduktorisch im Hüft gelenk. Als weiterlaufende Bewegung wird das Be-cken von der Bewegung erfasst. Es bewirkt in der Lenden-wirbelsäule eine Lateralfl exion (konkav zur Seite des be-wegten Beins) und im anderen Hüft gelenk eine Abduk-tion. Wenn der Patient über die Bewegungen informiert wird und er gleichzeitig seine Spinae palpiert, werden die bremsenden Aktivitäten der Adduktoren vermindert.

>

Abb. .. Untersuchung der Extension im rechten Hüftgelenk (zur besseren Darstellung wurde nur der Patient dargestellt). Abb. .. Beurteilung der Abduktion im rechten Hüftgelenk mit

Zulassen der weiterlaufenden Bewegung..

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Rotationen des Hüftgelenks

Normwert: in Nullstellung Innenrotation/Außenrotation 40° (50) – 0 – 30° (40) (Debrunner 1971).

Die um ca. 10° größere Innenrotation erklärt sich aus der Antetorsion, die normalerweise ca. 12° beträgt. Die im Stand um 12° medialrotierten Femurkondylen sind der sichtbare Ausdruck der Antetorsion (. Abb. 3.43 a, b). Um die Nullstellung einnehmen zu können, müssen die Femurkondylen so weit außenrotiert werden, dass die Beuge-Streck-Achse frontotransversal steht. Dies zeigt sich bei der Messung an der größeren Innenrotation des Hüft gelenks.

Ausgangsstellung Bauchlage. Der Unterschenkel wird annähernd 90° im Kniegelenk fl ektiert und dient somit

>

als Rotationszeiger. Der Th erapeut hält den Fuß im Gabel-griff und staucht die Unterschenkellängsachse bei der Be-wegung in Innenrotation (um den Oberschenkel am Ort zu halten). Mit der anderen Hand fi xiert er auf der kon-tralateralen Seite das Becken (am besten am Tuber ischi-adicum).

Bei der Untersuchung der Außenrotation wird die Kniefl exion etwas vermindert, um eine Dehnung des M. rectus femoris zu vermeiden. Die andere Hand fi xiert das Becken (. Abb. 3.45 a, b).

3.9.4 Untersuchung des Bewegungsverhaltens der einzelnen Körperabschnitte und der Körperlängsachse

In diesem Abschnitt werden die Funktionen erläutert, die die einzelnen Körperabschnitte im normalen Bewegungs-verhalten haben.

Da die Körperabschnitte durch ihre vorgegebene Struktur im Bewegungsverhalten bestimmte Aufgaben haben, ist es dem Th erapeuten möglich, eine hypothe-tische Norm zu defi nieren.

Körperabschnitt BeineZum Körperabschnitt Beine gehören:Füße sowie Ober- und Unterschenkel

Die Fortbewegung ist das wesentliche Kriterium für den Körperabschnitt Beine. Stand- und Spielbeinphase wech-seln sich ab und das bedeutet einerseits, dass die Beine die Fähigkeit zur dynamischen Stabilisierung brauchen, andererseits zeigt sich durch die große Beweglichkeit ein Aktivitätszustand, den wir Spielfunktion nennen. Dieser zeichnet sich aus durch das freie Bewegen eines distalen Gelenkpartners im Raum, wie wir das beim Anziehen von Schuhen und Strümpfen, bei großen Schritten etc. beob-achten können.

Um den Körperabschnitt Beine in seiner Funktion zu beurteilen, müssen demnach zuerst die Bewegungsto-leranzen der einzelnen Gelenke untersucht werden und anschließend die muskuläre Sicherung in Funktion unter-sucht werden.

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Abb. .. Antetorsion des Femurs.

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Übersicht .: Checkliste Körperabschnitt Beine

Erreichen die Hüft-, Knie- und oberen Sprungge-lenke die Nullstellung?Ermöglichen die Bewegungstoleranzen:

ein ökonomisches Sitzen?ein ökonomisches Bücken?eine effi ziente Übertragung der Kräfte

Ist die Beweglichkeit für das Anziehen von Schu-hen und Strümpfen ausreichend?Können die Ober- und Unterschenkellängsach-se im Stand übereinander eingestellt werden und auch unter Belastung gehalten werden?Ist die effi ziente Belastung der tragenden Gelenke durch Rotationsverschraubung gewährleistet?Sind die Fußgelenke so beweglich, dass die Längswölbung der Füße hergestellt und die Längswölbung bei Belastung gehalten werden kann?Lassen sich die Beuge-Streck-Achsen von Groß-zehengrundgelenken, Kniegelenken und Hüftge-lenken parallel einstellen,

damit ein Abrollen über die funktionelle Fuß-längsachse möglich ist?Damit eine axiale Belastung der Gelenke in der Stützfunktion möglich ist?Genügen die Bewegungstoleranzen dieser Gelenke für den Überholvorgang des Spiel-beins beim Gehen?

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5

Untersuchung der unbelasteten Beinachsen

Übersicht .: Untersuchungsablauf der unbelasteten Beinachsen

Einstellung der Beuge-Streck-Achsen Antetorsion TibiatorsionNeutrale Stellung des Talus

.

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Einstellung der Beuge-Streck-Achsen

Ausgangsstellung Rückenlage. Der Th erapeut stellt das Großzehengrundgelenk, das Knie- und Hüft gelenk in eine gemeinsame Sagittalebene ein und bewegt nun das Knie- und Hüft gelenk fl exorisch und extensorisch, indem er den Fuß (dorsalextensorisch und plantarfl exorisch) über die

Ferse schaukeln lässt. Mit der anderen Hand greift er den Vorfuß und veranlasst die Flexions- und Extensionsbewe-gungen im Großzehengrundgelenk durch Drehpunktver-schiebung. Der Fuß muss sich bei Plantarfl exion pronie-ren können, damit die Beuge-Streck-Achse des Großze-hengrundgelenks weiterhin parallel und frontotransversal stehen kann (. Abb. 3.44 a, b).

Besonders transversale Abweichungen der knöcher-nen Beinachsen können das Abrollen über die funktio-nelle Fußlängsachse verhindern (7 Kap. 3.8.4).

Die Untersuchung der belasteten Beinachsen erfolgt bei der Beurteilung der Statik (7 Kap. 3.10.2) und bei der Ganganalyse.

Abb. .. Untersuchung der Einstellung der Beuge-Streck-Achsen.

a

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33.9 · Struktur und Funktion

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Antetorsion

Zur Beurteilung der Antetorsion wird der »Triple-Test« durchgeführt (. Abb. 3.45 a-e). Er besteht aus:

a b

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Abb. .. Untersuchung der Antetorsion a Überprüfung der In-nenrotation; b Überprüfung der Außenrotation; c Schneidersitz; d Sitz mit hängenden Unterschenkeln; e Zwischenfersensitz

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der Beweglichkeitsuntersuchung des Hüft gelenks in Rotationdem Schneidersitz unddem Sitz mit hängenden Unterschenkeln.

BeweglichkeitsuntersuchungDie Normwerte der Rotationen aus Hüft gelenknullstellung betragen nach Debrunner (1971) ca. 40° Innenrotation und 30° Außenrotation. Die um ca. 10° größere Innenro-tation erklärt sich aus der Antetorsion, die normalerweise ca. 12° beträgt. Bei der Geburt ist die Antetorsion größer und beträgt ca. 30°.

Die im Stand um 12° medialrotierten Femurkondylen sind der sichtbare Ausdruck der Antetorsion.

Ausgangsstellung BauchlageUm die Nullstellung (Debrunner 1971) einnehmen zu können, muss so viel Außenrotation gemacht werden, bis der Unterschenkel senkrecht steht. Diese ca. 10° »fehlen« dann bei der Messung der Außenrotation und werden zur Innenrotation gerechnet. Die rotatorische Untersuchung der Beweglichkeit des Hüft gelenks (aus Hüft gelenknull-stellung) liefert demnach Informationen darüber, ob eine vergrößerte Antetorsion oder eine Retrotorsion des Schenkelhalses vorliegen könnte.

Wenn bei 70° Gesamtverteilung die Innenrotation überwiegt, liegt vermutlich eine vergrößerte Antetor-sion vor. (7 Kap. 3.10.2)Von einer Retrotorsion des Schenkelhalses kann man ausgehen, wenn bei der Beweglichkeitsuntersuchung die Außenrotation (bei 70° Gesamtverteilung) größer ist. Im Stand beobachtet man, dass die Femurkondy-len frontotransversal oder sogar lateralrotiert stehen.

SchneidersitzPatienten mit vergrößerter Antetorsion können nur schwer im Schneidersitz sitzen.

Sitz mit hängenden UnterschenkelnBei vergrößerter Antetorsion divergieren die Unter-schenkel (zeigen nach außen). Bei großer Ante-torsion ist sogar der Zwischenfersensitz möglich (. Abb. 3.45 e).

Tibiatorsion

Der Untersucher schätzt die Größe der Tibiatorsion im Seitenvergleich in der Ausgangsstellung Rückenlage oder bei hängenden Unterschenkeln, indem er mit einer Hand die Querachse des Tibiakopfs (Beuge-Streck-Achse des

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Abb. .. Untersuchung der Tibiatorsion.

Kniegelenks) parallel zur Unterlage einstellt und mit der anderen Hand die Malleolengabel umfasst. (. Abb. 3.46). Der Normwert der Tibiatorsion beträgt ca. 23° (Lanz u. Wachsmuth 1959). Bei der Geburt beträgt die Tibiatorsion 0°. Sie entwickelt sich erst unter Belastung während des Längenwachstums der Knochen.

Neutrale Stellung des Talus

Die Beweglichkeit des unteren Sprunggelenks korreliert mit Dysfunktionen des Kniegelenkes, insbesondere das Femu-ropatellargelenk (McConnel, 1998). Der Untersucher beur-teilt die Stellung des Talus im unteren Sprunggelenk im Sei-tenvergleich in der Ausgangsstellung Rückenlage bei freilie-gender Ferse, indem er mit einer Hand den Talus zwischen Daumen und Zeigefi nger umfasst und mit der anderen Hand die Fußspitze von lateral (4. und 5. Metatarsalkno-chen) festhält. Nun bewegt der Untersucher den Fuß pro-natorisch/supinatorisch und fühlt die Druckveränderung unter dem Daumen respektiv dem Zeigefi nger. Es wird die Stellung des Vorfußes gesucht, bei der sich der Druck unter den palpierenden Fingern gleichmäßig anfühlt.

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Wichtig

Klinische RelevanzDurch die Torsionen von Femur und Tibia divergiert die anatomische Fußlängsachse um ca. 12°. Damit kann der Fuß über die funktionelle Fußlängsachse abrollen, die vom lateralen Kalkaneus zum Großze-hengrundgelenk verläuft. Durch die Einstellung der funktionellen Fußlängsachse in Fortbewegungsrich-tung ist der Abrollweg am längsten und damit der Weggewinn am größten.Wenn die Gelenke des Standbeins richtig überein-ander angeordnet sind, werden alle bestehenden Bewegungstoleranzen nach unten durch das Körper-gewicht fallverhindernd innerviert.

Untersuchung der Muskulatur (Matthias Bongartz)Die Kraft übertragung zwischen den Körperabschnitten fi ndet entlang kinetischer Muskelketten statt. Die Fähig-keitsanalyse eines isolierten Muskels ( Muskelfunktions-prüfung nach Kendall 1983, Janda 1979) ist unzureichend und entspricht nicht dessen umfassender Funktion im Bewegungsverhalten. Es ist klinisch sinnvoll, zusätzlich die Muskulatur innerhalb dieser Ketten (myofasziale Systeme) zu beurteilen(7 Kap. 2.6).

Die dargestellten Untersuchungen der Muskelfähig-keiten basieren auf den Erkenntnissen der Arbeitsweise des myofaszialen Systems in Bezug auf die Umwelt und die Schwerkraft . Sie sind somit funktionsorientiert.

Übersicht .: Untersuchung der Muskula-tur innerhalb des myofaszialen Systems

Muskulären rotatorischen Verschraubung der BeinachsenStabilisationsfähigkeit der Hüftgelenke bei wech-selnder Belastung

Antizipatorische AktivitätDer »Am Ort Steher«

Dynamische Stabilisation des KA BeineFähigkeit, Gewichte kontrolliert exzentrisch zu bewegenFähigkeit, Gewichte kontrolliert nach oben zu be-wegenGleichgewichtsreaktionen

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Untersuchung der muskulären rotatorischen Verschraubung der Beinachsen

Durch die Rotationsverschraubung wird die Fähigkeit der Beinachsen sichergestellt, eine effi ziente Belastung der tragenden Gelenke mittels Rotationssynergie zu gewähr-leisten.

Kriterium: Können die Beinachsen optimal eingestellt und gehalten werden? Das bedeutet für den aktivierten Stand:

Das Längsgewölbe ist aufgebaut.Die funktionelle Fußlängsachse zeigt nach vorne.Das Kniegelenk ist deblockiert.Die Beuge-Streck-Achsen der Kniegelenke stehen frontotransversal.Die Patella zeigt nach vorne.Die Verbindungslinie der SIAS steht horizontal.

Die Rotationssynergie wird gewährleistet von folgenden Muskelgruppen:

Pronatoren des Vorfußes,Inversoren des Rückfußes,Innenrotatoren (und Extensoren) des Kniegelenkes (M. popliteus als Außenrotator des Femurs in der Stützfunktion),Außenrotatoren (und Abduktoren) des Hüft gelenkes,im Einbeinstand zusätzlich von den Wirbelsäulenro-tatoren(/-lateralfl exoren) der Spielbeinseite.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

im Absinken der Längswölbung mit gleichzeitiger Valgisierung des Rückfußes (Eversion)in einer Medialisierung des Kniegelenks (Valgus-stellung und/oder Medialrotation der Femurkon-dylen)im Absinken des Beckens auf der Standbeinseite (adduktorisch/innenrotatorisch). Dabei weist die Adduktion des Beckens im Standbeinhüftgelenk auf eine Inhibition der Abduktoren innerhalb der Rotationssynergie hin.

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Untersuchung der Stabilisationsfähigkeit der Hüftgelenke bei wechselnder Belastung

Die Muskulatur des Hüft gelenks – v.a. die Rotatoren müs-sen die antizipatorische Fähigkeit haben, bei Zug und vari-ierendem Druck, die Extremität proximal zu stabilisieren.

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Antizipatorische AktivitätDie Muskulatur ist vor der Gewichtsübernahme aktiv, also vorbereitet auf die jeweilige Stabilisationsaufgabe z.B. Muskelaktivität im Kniegelenk in der Spielbeinphase kurz vor Fersenkontakt. Das heißt: bremsende Aktivität der Flexoren und antizipatorische Aktivität der Extensoren für die Gewichtsübernahme bei Fersenkontakt.

Wichtig

Wird eine Bewegung geplant, fi ndet bereits (prä-aktiv) vor Beginn der eigentlichen Bewegung eine minimale Innervation der lokalen Muskulatur (primä-re Stabilisatoren) statt. Diese Prä-Aktivierung dient der intersegmentalen Kontrolle zum Schutz der Gelenke und den umliegenden Strukturen. Es handelt sich um eine reaktive neuromuskuläre Bewegungs-kontrolle.Fehlende Antizipation ist nicht beobachtbar. Sie wird erst durch verminderte Stabilisationsfähigkeit bei der Gewichtsübernahme sichtbar.

Kriterium: Die Beinachsen und die Verbindungslinie der SIAS bleiben unverändert stabil beim Wechsel vom Zwei-beinstand in den Einbeinstand.

Die Th erapeutischen Übungen: »Am Ort Steher« und »Der Pinguin« eignen sich, um die lokalen Stabilisatoren des Hüft gelenks auf ihre Antizipationsfähigkeit zu unter-suchen.

Der »Am Ort Steher« (. Abb. .)Der Patient steht in Schrittstellung in der idealen Gang-spurbreite. Der vordere Fuß steht auf der Ferse. Das Knie-gelenk ist deblockiert. Das hintere Bein steht auf dem Vor-fuß. Das Kniegelenk ist ca. 30° fl ektiert.

Es wird nun ein rascher Belastungswechsel von Ferse und Vorfuß verlangt. Dabei soll es keine Bewegungen in den Bein- und Fußgelenken geben. Die Körperlängsachse bleibt vertikal und räumlich am Ort.

Zur Untersuchung wird jede gangtypische Position kombiniert (7 Kap. 3.8.4 »Gehbewegungen Becken-Beine«).

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in einer Translation des Beckens nach rechts/links,6

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Absinken des Beckens, adduktorisch im Stand-beinhüftgelenk,Flexion des Beckens in den Hüftgelenken (die fall-verhindernde Aktivität der Extensoren kompen-siert schwache Abduktoren),Hyperextension der Kniegelenke,in einer Medialisierung des Kniegelenks (Valgus-stellung und/oder Medialrotation der Femurkon-dylen).

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Untersuchung der Fähigkeit, den KA Beine dynamisch zu stabilisieren (. Abb. 3.48)

Diese Fähigkeit wird benötigt um weiterlaufende Bewe-gungen anderer Körperabschnitte auf das Bein zu begrenzen. Die dynamische Stabilisation der Beinachse ist ebenfalls ein typisches Merkmal der Standbeinphase. Das Bein muss gleichzeitig die Bodenreaktionskräft e auff an-gen und die weiterlaufenden Bewegungen des Spielbeins koordinieren.

Um diese Fähigkeit zu untersuchen, eignen sich die therapeutischen Übungen »Die Standwaage«, »Der Fla-mingo« und »Das Zirkuspferdchen« für die Begrenzung weiterlaufender Bewegungen und »Der am Ort Geher« für die Stabilisation in der Standbeinphase.

Abb. .. Der »Am-Ort-Steher«.

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33.9 · Struktur und Funktion

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Untersuchung der Fähigkeit, Gewichte kontrolliert exzentrisch zu bewegen

Um ein ökonomisches Bücken zu ermöglichen und/oder sicher eine Treppe hinab zu steigen, müssen die Exten-soren der Hüft - und Kniegelenke und die Plantarfl exoren die Fähigkeit haben, dynamisch exzentrisch nachzugeben. Überprüfb ar ist das beim »in die Hocke gehen« und bei der Übung »Die Standwaage«.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

im Absinken des Beckens, adduktorisch im Stand-beinhüftgelenk bei der »Standwaage«,in der Medialisierung der Kniegelenke beim »in die Hocke gehen«.

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Untersuchung der Fähigkeit, Gewichte kontrolliert nach oben zu bewegen

Um aus dem Sitzen aufzustehen oder eine Treppe hin-aufzugehen, müssen die Extensoren der Hüft - und Knie-gelenke, sowie die Plantarfl exoren Gewichte dynamisch konzentrisch nach oben bewegen.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

im Absinken des Beckens, adduktorisch im Stand-beinhüftgelenk und/oderin der Medialisierung der Kniegelenke.

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Untersuchung der Muskulatur bei Gleichgewichtsreaktionen

Eine normale Gleichgewichtsreaktion des Körperab-schnitts Beine beim Gehen ist die ständige Veränderung der Unterstützungsfl äche nach vorne. Mit Hilfe der Th e-rapeutischen Übung »Der Eckensteher« (siehe Eicke-Wie-ser, 2006) kann die Antizipationsfähigkeit der Muskulatur zum Erhalt des Gleichgewichts überprüft werden.

HinweisVerminderte Antizipationsfähigkeit zeigt sich typi-scherweise

durch das Einsetzen von Gegengewichten, in vermehrter Flexion oder Hyperextension des Kniegelenks beim Fersenkontakt.

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Abb. .. Medialisierung des Kniegelenks bei verminderter dyna-mischer Stabilisation des Standbeins.

Wichtig

Die Anforderung an die Koordinationsfähigkeit der Hüftgelenksrotatoren ist hoch (alltagstypisch). Sie müssen einerseits die Beinachse in der Trabsversale-bene stabilisieren und andererseits die rotatorischen Bewegungen des Beckens im Hüftgelenk zulassen.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

darin, dass die Bewegungen nicht gleichzeitig – sondern nur nacheinander oder überhaupt nicht durchgeführt werden können; die Richtung der Primärbewegung ist nicht mehr geradlinig (z.B. weicht bei der Standwaage die Körperlängsachse zur Seite ab, um andere Mus-kulatur zu rekrutieren); in einer Medialisierung des Kniegelenks (Valgus-stellung und/oder Medialrotation der Femurkon-dylen).

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Körperabschnitt BeckenZum Körperabschnitt Becken gehören:

Becken undLendenwirbelsäule

Der Körperabschnitt Becken hat im Bewegungsverhal-ten einerseits die Aufgabe, die Bewegungen der Beine weiterlaufend zu vergrößern. Andererseits müssen die Bewegungen des Spielbeins im Körperabschnitt Becken stabilisiert werden. Eine weitere Fähigkeit ist die effi ziente Verankerung des Beckens am Körperabschnitt Brustkorb, wenn der Rumpf in Brückenaktivität benötigt wird.

Die Untersuchung des Bewegungsverhaltens der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf wird bei 7 Kap. 3.10.3 (Wirbelsäule) dargestellt.

Übersicht .: Beurteilung Körperabschnitt Becken

Untersuchung der Fähigkeit, den KA Becken bei Beinbewegungen zu stabilisierenUntersuchung der Fähigkeit, den KA Becken bei variierendem intraabdominalem Druck zu stabi-lisieren

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Untersuchung der Fähigkeit, den KA Becken bei Beinbewegungen zu stabilisieren

Diese Fähigkeit wird benötigt um weiterlaufende Bewe-gungen der Körperabschnitte Beine und Brustkorb auf das Becken zu begrenzen. Die dynamische Stabilisation des Beckens zeigt sich vor allem beim Überholvorgang des Spielbeins. Im Standbeinhüft gelenk muss von Beginn an die weiterlaufende Innenrotation dosiert zugelassen werden.

Um diese Fähigkeit zu untersuchen, kann der Th era-peut das Bewegungsverhalten des Beckens beobachten, wenn der Patient ein Bein aus Rückenlage anhebt. Die the-rapeutischen Übungen »Klassischer Frosch« oder »diago-naler Frosch« eignen sich ebenso wie »Das Zirkuspferd-chen« und »Der am Ort Geher«.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise in

einer Translation des Beckens und/oder Brust-korbs nach rechts/links,der rotatorisch auf den Brustkorb weiterlau-fenden Bewegung,

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einer Lateralfl exion des Beckens in der Lenden-wirbelsäule,einer Flexion/Extension des Beckens in der Len-denwirbelsäule.

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Untersuchung der Fähigkeit, den KA Becken bei variierendem intraabdominalem Druck zu stabilisieren (. Abb. 3.49 a–c)

Diese Fähigkeit wird benötigt, wenn die Bauchdecke ein-gezogen wird und dabei die neutrale Position der Lenden-

Abb. .. a Stabilisation des Körperabschnitts Becken im Vier-füsslerstand, b Vorwölbung des Bauchs, c Schlechte Koordination der Bauchmuskulatur

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33.9 · Struktur und Funktion

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wirbelsäule und die Ruheatmung beibehalten werden. Die aktivierte Ausgangsstellung des »klassischen Vierfüssler-stands« und die »Rhythmische Atmung« eignen sich zur Überprüfung.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in einer vermehrten Flexion der Lendenwirbel-säule.

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Körperabschnitt BrustkorbZum Körperabschnitt Brustkorb gehören

Brustwirbelsäule,RippenSternum

Der Körperabschnitt Brustkorb ist – bedingt durch seine knöcherne Struktur – das dynamisch stabile Element des Körpers. Er hat die Aufgabe, alle weiterlaufenden Bewe-gungen angrenzender Körperabschnitte durch Gegenakti-vität zu begrenzen. Er ist durch sein Eigengewicht und als Träger von Arm- und Kopfgewichten effi zient, um ihn bei Gleichgewichtsreaktionen als Gegengewicht einzusetzen.

Übersicht .: Untersuchungsablauf der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf

Untersuchung der Fähigkeit, den Körperabschnitt Brustkorb bei Bewegungen der Arme, der Rippen und des Kopfs dynamisch zu stabilisieren.Untersuchung der Fähigkeit, den Körperabschnitt Kopf in die Körperlängsachse einzuordnen und in jeder Position dynamisch zu stabilisieren.

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Untersuchung der Fähigkeit, den Körperabschnitt Brustkorb bei Bewegungen der Arme, der Rippen und des Kopfs dynamisch zu stabilisieren.Bei Armbewegungen bis in die Endstellung ist die weiter-laufende Bewegung auf den Körperabschnitt Brustkorb unbedingt erforderlich. Trotzdem muss bei zielgerichteten Bewegungen der Arme (mit weiterlaufenden Bewegungen auf den Schultergürtel) die Brustwirbelsäule in ihrer Nullstellung stabilisiert werden können. Bei schnellen oder kleinen Armbewegungen muss der Körperabschnitt Brustkorb ebenfalls alle weiterlaufenden Bewegungen aktiv begrenzen.

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Bei der normalen Atmung bleibt die Brustwirbelsäule gegen die Rippenbewegungen in ihrer Nullstellung sta-bilisiert. Nur dadurch wird das erforderliche Volumen geschaff en. Eine funktionelle Fehlatmung zeigt sich in der fl exorischen/extensorischen weiterlaufenden Bewegung bei Aus- und Einatmung.

Die therapeutische Übung »Kurz und bündig« und die Beobachtung der normalen Ruheatmung im Sitzen ermöglichen eine Analyse der Stabilisationsfähigkeit des Brustkorbs (siehe Eicke-Wieser, 2006).

Die folgende Übung erlaubt eine Aussage über die Sta-bilisationsfähigkeit des Brustkorbs bei Kopfb ewegungen. (. Abb. 3.50).

Ausgangsstellung: BauchlageBewegungsauft rag: Kopf anheben (dorsaltransla-torisch gegen den Brustkorb und zervikokraniale Flexion). Beobachtungskriterium: Kann das obere Kopfgelenk in zervikokranialer Flexion gehalten werden, wenn der Kopf sich nach rechts und links dreht?

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Abb. .. a Stabilisation des Brustkorbs bei Kopfbewegungen; b Verminderte dynamische Stabilisation der Brustwirbelsäule bei feh-lender zervikokranialer Flexion während der Rotation der Halswirbel-säule.

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HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in der weiterlaufenden Bewegung auf den Brust-korb,in einer Flexion/Extension in der Lendenwirbel-säule (bei funktioneller Fehlatmung),in einer Extension der Halswirbelsäule bei der o.g. Übung aus Bauchlage.

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Körperabschnitt KopfZum Körperabschnitt Kopf gehören:

HalswirbelsäuleOber- und UnterkieferZungenbein

Am Kopf befi nden sich die meisten Sinnesorgane. Um die Funktion Sehen, Hören, Riechen, Schmecken optimal zu benutzen, muss der Kopf leicht beweglich sein. Als distal freies Ende befi ndet er sich in Spielfunktion und wird leicht als Gegengewicht eingesetzt. Die Stellreaktion bewirkt eine optimale, d.h. horizontale Einstellung der Augen.

Untersuchung der Fähigkeit, den Körperabschnitt Kopf in die Körperlängsachse einzuordnen und in jeder Position dynamisch zu stabilisieren.Der Körperabschnitt Kopf zeichnet sich durch eine hohe Mobilität und durch die hohe Reaktionsbereitschaft der Muskulatur aus. Das zeigt sich vor allem in der schnel-len Reaktion der Muskulatur der oberen Kopfgelenke bei Änderungen der Gleichgewichtssituation.

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Der »Vierfüßlerstand« oder das »Klötzchenspiel« mit kleiner Bewegungsamplitude eignet sich besonders, um diese Feinregulation zu beurteilen. Mit dem »klassischen Frosch« wird die Fähigkeit untersucht, durch eine zervi-kokraniale Flexion (CCF) den Kopf als Gegengewicht zum Becken-Bein-Gewicht einzusetzen. (. Abb. 3.51 a,b).

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in einer Ventraltranslation des Kopfs,in einer beobachtbaren »Steifi gkeit«, die mit un-nötiger erhöhter Aktivität der Hals- und Schulter-Nacken-Muskulatur einhergeht,in einem ständigen »Kopfwackeln«.

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5

Körperabschnitt ArmeZum Körperabschnitt Arme gehören

HändeOber- und UnterarmeSkapula undClavikula

Der Körperabschnitt Arme hat durch die gelenkige Ver-bindung im Sternoklavikulargelenk den größten Akti-onsradius. Durch die große Beweglichkeit können zielge-richtete geradlinige Bewegungen ausgeführt werden. Die Arme reagieren bei Gleichgewichtsreaktionen zumeist als Gegengewicht. Nur wenn sie (z.B. beim Fallen) zum Stüt-zen benötigt werden, vergrößern sie die Unterstützungs-fl äche.

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Abb. .. a Stabilisation des Körperabschnitts Kopf beim klassischen Frosch; b Verminderte dynamische Stabilisation des Kopfs beim Einset-zen als Gegengewicht beim klassischen Frosch.

a b

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Übersicht .: Checkliste Körperabschnitt Arme

Ist die Nullstellung in allen Gelenken vorhanden?Kann mit den Händen zum Kopf, zum Mund, hin-ter den Rücken usw. gegriff en werden?Kann der Schultergürtel auf dem Brustkorb abge-legt werden (beim Stehen und Sitzen)?

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Übersicht .: Beurteilung des Körperab-schnitts Arme

Die Fähigkeit, den Arm zielgerichtet zu bewegen und dabei den Schultergürtel auf dem Brustkorb zu stabilisierenMuskuläre rotatorische Verschraubung des Kör-perabschnitts ArmeStabilisationsfähigkeit der Schultergelenke bei wechselnder BelastungMuskulatur bei GleichgewichtsreaktionenFähigkeit, den Schultergürtel auf dem Brustkorb abzulegen.

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Die Fähigkeit, den Arm zielgerichtet zu bewegen und dabei den Schultergürtel auf dem Brustkorb zu stabilisieren

Das ist die eigentliche Funktion des Körperabschnitts Arme. Deshalb eignet sich jede zielgerichtete Bewegung zur Beurteilung der muskulären Koordination.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in einem veränderten Timing der Skapulabewe-gung (zu früh oder zu spät einsetzende weiterlau-fende Bewegung),im gegensinnigen Bewegen der Skapula zum Arm (. Abb. 3.52),in einem Abweichen des kritischen Distanzpunkts (7 Kap. 2.1 ff ) aus der Zielrichtung.

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Untersuchung der muskulären rotatorischen Verschraubung des Körperabschnitts Arme

Durch die Rotationsverschraubung wird die Fähigkeit der Arme sichergestellt, eine effi ziente Belastung der tragenden Gelenke mittels Rotationssynergie zu gewährleisten.

Kriterien eines optimalen Stützes:

Nullstellung des Schultergürtels auf dem Brustkorb Außenrotation des Humerus im Humeroskapularge-lenkPronation und Flexion im EllenbogengelenkDorsalextension im Handgelenk

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in einer Hyperextension des Ellenbogengelenksin einer Skapula alata und damit dem »Durchhän-gen« des Brustkorbsin einer Elevation des Schultergürtels

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Untersuchung der Stabilisationsfähigkeit der Schul-tergelenke bei wechselnder Belastung (. Abb. 3.53)

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Abb. .. Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur, den Schultergürtel bei Armbewegungen auf dem Brustkorb zu stabi-lisieren.

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Abb. .. Untersuchung der Stabilisationsfähigkeit bei Belastung. Der Therapeut kontrolliert die Serratus-Aktivität am Angulus inferior scapulae

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Der Körperabschnitt Arme benötigt die Fähigkeit, bei Zug und variierendem Druck das Schultergelenk zu stabilisie-ren. Das heißt, die lokalen Stabilisatoren, in diesem Fall die Rotatorenmanschette, müssen die Fähigkeit zur Anti-zipation haben. Die Trippelphase des Vierfüßlerstands ist die geeignete Übung, um zu beurteilen, ob der Humerus-kopf gegen die Cavitas glenoidale antizipatorisch stabili-siert (komprimiert) werden kann.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in einer Hyperextension des Ellenbogengelenks.in einer Skapula alata und damit dem »Durchhän-gen« des Brustkorbs,in einer Elevation des Schultergürtels,im Absinken des Brustkorbs auf der Gegenseite.

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Untersuchung der Muskulatur bei Gleichgewichtsreaktionen

Der Körperabschnitt Arme reagiert im Alltag in erster Linie mit Einsetzen von Gegengewichten. Die »Spinn-übung« oder das »reaktive Armpendel« eignen sich zur Untersuchung der Gleichgewichtsreaktion.

Um den reaktiven Stütz zu untersuchen, bietet sich der Start der Pezzi-Ball Übung »der Goldfi sch« an.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise darin,

dass die Arme nicht (oder nicht ausreichend) zu Gleichgewichtsreaktionen benutzt werden.

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Untersuchung der Fähigkeit, den Schultergürtel auf dem Brustkorb abzulegen.

Der Brustkorb bietet dem Schultergürtel eine optimale Basis. Dadurch kann er im Sitzen und Stehen ohne beob-achtbare und palpierbare erhöhte Muskelaktivitäten auf-liegen. In diesen Ausgangsstellungen kann die Entspan-nungsfähigkeit palpiert werden.

HinweisVerminderte Entspannungsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in einer erhöhten Aktivität der Schulter-Nacken-MuskulaturAbweichung des Schultergürtels aus der Null-stellung

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KörperlängsachseIm Alltag braucht die Muskulatur der Wirbelsäule die Fähigkeit, die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf miteinander zu koordinieren. Das setzt sowohl potentielle Beweglichkeit der Körperabschnitte Becken und Kopf, als auch dynamische Stabilisation und Bewe-gungskontrolle des Körperabschnitts Brustkorb voraus.

Übersicht .: Checkliste KörperlängsachseLassen sich die Körperabschnitte Becken, Brust-korb und Kopf in die virtuelle Körperlängsachse einordnen?Können sie eingeordnet gehalten werden?In welchen Bewegungsniveaus liegt ein Hinder-nis oder eine mangelnde Stabilisierungsfähigkeit (Hypo-/Hypermobilität)?

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Untersuchung des Bewegungsverhaltens der Wirbelsäule

DokumentationDas Ausmaß der Hypo- bzw. Hypermobilität wird durch die Anzahl der Zeichen +/ – (max. 3) gekennzeichnet. Der Th erapeut muss die genaue Lokalisation angeben (z.B. obere/mittlere/untere HWS oder C2-C4). Zusätzlich wer-den Ausweichmechanismen und Schmerzen notiert:

–, – –, – – – : Hypomobil (etwas, deutlich, übermäßig eingeschränkt)+, ++, +++: Hypermobil (etwas, deutlich, übermäßig beweglich)

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Übersicht .: Untersuchungsablauf des Bewegungsverhaltens der Wirbelsäule

FlexionExtensionLateralfl exion im SeitenvergleichRotation im Seitenvergleich

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Zuerst werden Flexion und Extension überprüft , dann folgt die Lateralfl exion und zum Schluss die Rotationen jeweils im Seitenvergleich.

Auch hier werden die Gewichte nach Möglichkeit vom Th erapeuten übernommen. Daher bieten sich Aus-gangsstellungen an, in denen die Muskulatur hubfrei bzw. hubarm arbeiten kann (7 Kap. 2.5.3.).

HinweisIn der jeweiligen Endstellung kann sich der Thera-peut an den Dornfortsätzen orientieren und die Loka lisa tion von Bewegungseinschränkungen und Hypermobilitäten beobachten und/oder palpieren.

Flexion

Ausgangsstellung Seitlage. Die Körperabschnitte sind in die Körperlängsachse eingeordnet und so unterlagert, dass keine fallverhindernden Muskelaktivitäten auft reten können (Konstitution beachten).

Durch eine Annäherung der Distanzpunkte Symphy-se/Bauchnabel/Processus ensiformis/Incisura jugularis und Kinnspitze kommt es in unterschiedlichen Niveaus der Wirbelsäule zu einer Flexion.

Als weitere Ausgangsstellung eignet sich der aufrechte Sitz. Ist der Patient nicht in der Lage, die Bremsaktivitäten der Extensoren auszuschalten, nimmt der Th erapeut das Gewicht durch einen seitlichen Klemmgriff am Brustkorb ab oder wählt als Ausgangsstellung den Vierfüßlerstand. Die Aktivität liegt nun vor allem bei der Bauchmuskulatur (Brückenaktivität) und den Extensoren des Hüft gelenks.

Extension

Ausgangsstellung Seitlage. Die Körperabschnitte sind in die Körperlängsachse eingeordnet und so unterlagert, dass keine fallverhindernden Muskelaktivitäten auft reten (Konstitution beachten).

Die Entfernung der Distanzpunkte Symphyse/Bauchnabel/Processus ensiformis/Incisura jugularis und Kinnspitze bzw. die Annäherung der Dornfortsätze verur-

sacht in unterschiedlichen Niveaus der Wirbelsäule eine Extension. Die Instruktion der Distanzpunkte auf Kreis-bahnen trifft vor allem den lumbo- und zervikothorakalen Übergang. Um die Extension in der mittleren Brustwir-belsäule zu betonen, muss sich der Distanzpunkt am Ster-num geradlinig nur nach vorne bewegen.

Ausgangsstellung aufrechter Sitz. Als weitere Ausgangs-stellung bietet sich der aufrechte Sitz an. Der Patient be-wegt das Becken fl exorisch in den Hüft gelenken nach vor-ne und stützt die Hände auf den Oberschenkeln ab (Fin-ger zeigen nach innen). Brustkorb und Kopf sollen gleich-zeitig zur Decke zeigen (der Mund ist geöff net).

Ausgangsstellung Vierfüßlerstand. In dieser Ausgangs-stellung kann der Th erapeut zur Prüfung bestimmter Be-wegungssegmente der Wirbelsäule die entsprechenden Gewichte heben und herunter sinken lassen.

Lateralfl exion

Die Bewegung wird nach der Konkavität beschrieben. Der Th erapeut palpiert an den Dornfortsätzen die Krümmung und notiert evtl. Unterschiede im Seitenvergleich.

Ausgangsstellung Vierfüßlerstand. Die Distanzpunkte Ferse, Akromion und Scheitelpunkt bewegen sich zu einer Seite und nähern sich an. Dadurch kommt es weiterlau-fend zu einer Lateralfl exion in der Wirbelsäule. Von krani-al bewegt sich der Distanzpunkt Ohr zum Akromion und das Akromion zum Beckenkamm. Wenn sich der unte-re Brustkorbrand im Sinne einer Drehpunktverschiebung zur Gegenseite bewegt, kann der Druck unter den Extre-mitäten gleich bleiben, und die Brustwirbelsäule verformt sich lateralfl exorisch.

Ausgangsstellung Sitz. Hier übernimmt der Th erapeut das Brustkorbgewicht und zieht es zu einer Seite. Dabei unterstützt er das Abheben des Beckens und damit die La-teralfl exion.

Rotation

Die Rotationsniveaus der Wirbelsäule liegen in der unteren Brustwirbelsäule, in der Halswirbelsäule und in den unteren Kopfgelenken. Spricht man von Rotation nach rechts, so ist damit die Drehrichtung des bewegten Gelenkpartners im Uhrzeigersinn gemeint. Bei Rotation nach links ist es umgekehrt.

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Ausgangsstellung Sitz. Die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf bleiben immer in die Körperlängs-achse eingeordnet. Der Druck unter dem Gesäß bleibt gleich. Die Hände liegen auf dem Brustbein, den gegenü-berliegenden Schultern oder unter den Achseln. Der Th e-rapeut beobachtet die Bewegung des frontotransversalen Th oraxdurchmessers in Bezug auf die stehende Verbin-dungslinie der Spinae. Rotationen können auch vom kau-dalen Zeiger ausgehend geprüft werden.

Sehr häufi g kommt es zu Ausweichmechanismen:Der Brustkorb translatiert zur Gegenseite, dabei nimmt jedoch der Druck des Tuber ischii auf die Sitz-fl äche zu.Die Adduktion der Skapula auf der einen Seite wird mit der Abduktion der Skapula auf der anderen Seite kombiniert.Der Brustkorb bewegt sich lateralfl exorisch zur glei-chen Seite.

HinweisDa die Rotation in der unteren Brustwirbelsäule von einer guten Haltung abhängig ist, kann der Therapeut durch einen axialen Druck in die Körperlängsachse die Aufrichtung stimulieren oder die Bewegung manipulieren, indem er das Brustkorbgewicht wäh-rend der Bewegung übernimmt.

Die Rotation in den unteren Kopfgelenken wird in Flexion der Halswirbelsäule überprüft . Dadurch sind die kaudalen Wirbel für weiterlaufende Bewegungen verriegelt.

Translationen

Translationen geschehen zwischen den Körperabschnitten Becken, Brustkorb und Kopf. Ventral- und Dorsaltransla-tion sind das Ergebnis der Kombination von fl exorischen und extensorischen Bewegungen, und Rechts-links-Translationen sind das Ergebnis der Kombination von gegensinnigen Lateralfl exionen. Die frontotransversalen und sagittotransversalen Durchmesser bleiben immer parallel zueinander stehen.

Sie werden als Ausweichmechanismen betrachtet, wenn sie an Stelle einer anderen Bewegung auft reten oder sie sich ungewollt mit diesen Bewegungen vermischen.

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Wichtig

Um die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in parallelen Ebenen gegeneinander nach rechts und links verschieben zu können, werden in den dazwischen liegenden Segmenten der Wirbelsäule die Lateralfl exionen benötigt. Die Translationen nach ventral und dorsal werden durch Flexions- und Exten-sionsbewegungen der dazwischen liegenden Wirbel-säulenabschnitte ermöglicht.

Untersuchung der Muskulatur der Wirbelsäule

Übersicht .: Untersuchung der Muskula-tur der Wirbelsäule

Untersuchung der Fähigkeit, die Körperab-schnitte Becken und Brustkorb in die Körper-längsachse einzuordnen und in jeder Position zu stabilisieren.Untersuchung der Fähigkeit, die einzelnen Kör-perabschnitte selektiv zu bewegen und zu stabi-lisierenUntersuchung der Muskulatur bei Gleichge-wichtsreaktionen

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In diesem Abschnitt wird die Muskulatur auf Ihre Fähig-keit untersucht, die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf kontrolliert zu bewegen und/oder zu stabilisie-ren.

Untersuchung der Fähigkeit, die Körperabschnitte Becken und Brustkorb in die Körperlängsachse einzuordnen und in jeder Position zu stabilisieren. (. Abb. 3.54).

Im normalen Bewegungsverhalten ist die lumbothora-kale Stabilisation beim Verlassen der vertikalen Position und bei jeder Verbindung des Körpers mit der Umwelt notwendig (Einkaufswagen schieben, Bücken etc.). Dies verlangt einen eff ektiven, gut koordinierten Einsatz der Bauch- und Rückenmuskulatur. Zur Überprüfung die-nen die Th erapeutischen Übungen »Das Klötzchenspiel«, »Der klassische Vierfüßlerstand«, »Brückenbauch« und »seitlicher Brückenbauch«

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HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in einer vermehrten/verminderten Lordose der Lendenwirbelsäule,in einer vermehrten/verminderten Kyphose der Brustwirbelsäule,in einem veränderten »Timing« des Bewegungs-ablaufs (Brustkorb, Becken oder Kopf sind zu schnell/zu langsam).

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Untersuchung der Fähigkeit, die einzelnen Körperabschnitte selektiv zu bewegen und zu stabilisieren

Dazu kann der Th erapeut die hubfreie Mobilisation aller Körperabschnitte in allen Ebenen nutzen (siehe Behand-lungstechniken).

Abb. .. a Stabilisation der Körperlängsachse bei Vorneigung; b, c verändertes »Timing« des Bewegungsablaufs.

HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

in einem ruckartigen, nicht harmonischen Bewe-gungsverhalten.in zu früh weiterlaufenden Bewegungen auf an-grenzende Körperabschnitte.

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Untersuchung der Muskulatur bei Gleichgewichtsreaktionen (. Abb. 3.55).

Die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf werden bei Gleichgewichtsreaktionen typischerweise als Gegen-gewicht eingesetzt. Mit der »Spinnübung« und der Übung »Albatros« (7 Kap. 2.4.4, Gleichgewichtsreaktionen) lässt sich diese Fähigkeit untersuchen.

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

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HinweisVerminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise

nach der Translation des Brustkorbs zur Sei-te bleibt das Becken auf der Unterlage (Spinnü-bung),in einer Rotation des Brustkorbs zur Gegenrich-tung (Spinnübung),Flexion der Wirbelsäule (Albatros),Translation des Kopfs nach vorne (Albatros),Augen bleiben nicht horizontal (Spinnübung).

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Wichtig

Nur mit den erwähnten Bewegungstoleranzen sind eine aufrechte Haltung und ein ökonomischer Einsatz der fallverhindernden Muskulatur gegeben.

Abb. .. »Albatros«. a Ausgangsstellung auf der Bankkante, b reaktive Neigung der Körperlängsachse nach vorn, c vermehrte Vorneigung der Körperlängsachse mit den Armen neben dem Türmchen.

a b c

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Planung der Therapie

4.1 Zielformulierung – 112

4.2 Behandlungsplan – 114

4.3 Intervention – 1154.3.1 Zugrunde liegende Prinzipien – 115

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Kapitel 4 · Planung der Therapie

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Die ärztliche Diagnose gibt dem Physiotherapeuten einen bestimmten Rahmen vor. Ihre Bedeutung muss im Zusam-menhang mit dem funktionellen Problem deutlich formu-liert werden, z.B. die Belastbarkeit einer Struktur, eines rheumatischen Gelenks, der Atmung oder des Kreislaufs.

Die sogenannte physiotherapeutische Diagnose unter-scheidet sich wesentlich von der ärztlichen Diagnose und benennt keine Pathologie. Sie kann auch als Bewegungs-diagnose umschrieben werden, da sie die wahrscheinlich symptomauslösende Funktionsstörung am Bewegungsap-parat angibt sowie ihre Auswirkungen auf den Organis-mus und das Leben des Patienten beschreibt. Diese Aussa-ge gilt als Arbeitshypothese und muss durch die sog. Pro-bebehandlung überprüft werden. Diese besteht aus einer einzigen Behandlungsmaßnahme, die gezielt bzw. betont nur auf den vermuteten pathogenen Faktor einwirkt. Der Vergleich der Beschwerden/Funktionsstörungen vor und nach dieser Behandlungsmaßnahme vervollständigt die Probebehandlung, die mit zur Untersuchung gehört.

Eine mechanische Funktionsstörung des Bewegungs-systems ist in der Untersuchung relativ rasch sichtbar und reagiert gewöhnlich schnell auf die Probebehandlung. Bei Symptomen, die mit dem vegetativen Nervensystem in Verbindung stehen können (wie Kopfschmerz, Kältege-fühl in den Extremitäten, Schwindel u.a.) ist es oft schwer, ihre Ursache zu fi nden. Sie reagieren gewöhnlich nicht unmittelbar auf die Untersuchungstechnik und die Probe-behandlung. Die Reaktion erfolgt oft erst in den Stunden danach.

Es bestehen grundsätzlich drei Wege, die Störungen des Bewegungssystems zu behandeln. Im Wesentlichen können eine strukturorientierte, eine verhaltensorientierte und eine funktionsorientierte Betrachtungsweise unter-schieden werden.

Das Erkennen der symptomauslösenden Struktur dient vorwiegend der Auswahl der Art der Behandlungs-maßnahme und ihrer Lokalisation (z.B. Techniken zur Behandlung muskulärer oder kapsulärer Bewegungsein-schränkungen). Bei der funktionsorientierte Betrachtungs-weise gelten Haltung und Bewegung als wichtigste Funk-tionen des Bewegungssystems.

Wichtig

Hauptaufgabe der Physiotherapie ist es, die Symptome des Patienten über eine Änderung der Bewegung bzw. Haltung zu verbessern. Nicht durch Bewegungs- bzw. Haltungsänderung deutlich zu verbessernde Beschwerden stellen eine fehlende Indikation bzw. gar Kontraindikation für die Physiotherapie dar. Eine Rückweisung an den Arzt ist erforderlich.

Die Therapieplanung ist ein Ausdruck höchst komplexer Denkprozesse. Die vereinbarten Ziele und die gewähl-ten Interventionen müssen im Sinne des Clinical Reaso-ning verglichen und überprüft werden. Entsprechend der Ziele wird ein Gerüst entworfen, innerhalb dessen sich der Behandlungsprozess entwickeln soll und an dem der Patient aktiv beteiligt werden muss. Die Th erapieplanung sollte folgende Faktoren berücksichtigen:

Ziele der BehandlungKontraindikationen für bestimmte InterventionenWahl der Intervention und ihrer AlternativenFestlegung der Ausgangswerte, um gezielte Erfolgs-kontrollen durchführen zu könnenPrognose, welche Resultate in welcher Zeitspanne erreicht werden können (kurz-, mittel-, langfristig)

4.1 Zielformulierung

»Wenn man nicht weiß, wohin man will, muss man sich nicht wundern, wenn man nicht ankommt.« (Mark Twain)

In der physiotherapeutischen Diagnostik und Behand-lungsplanung spielen die Begriff e der ICF eine bedeutende Rolle. Dort werden die Ziele auf der Funktions-, Aktivi-täten- und Partizipationssebene formuliert und deren ein-schränkenden Faktoren defi niert. Die Th erapieziele wer-den in Nah- und Fernziele eingeteilt, um Prioritäten in der Behandlungsplanung setzen zu können.

Da man nicht erwarten kann, dass der Patient in der Rehabilitation selbst die Initiative zu Aktivitäten und Par-tizipation ergreift , stehen diese beiden Bereiche im Vor-dergrund der Zielformulierung. Dafür ist die persönliche Situation eines Patienten ein wesentlicher Parameter

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44.1 · Zielformulierung

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AktivitätenDie Bewältigung der Alltagsanforderungen im vertrauten privaten Heim erfordert z.B. Eigenständigkeit beim Ein-kaufen und der Erledigung von Haushaltsaufgaben. Für allein lebende Personen ist eine weitgehende Unab-hängigkeit in diesen Aktivitäten oft eine unabdingbare Voraussetzung für das eigenständige Leben zu Hause. Ziel der Therapie ist es zunächst, die Selbständigkeit eines Patienten in einzelnen Bereichen zu erhalten oder wieder herzustellen.

PartizipationInformationen über die familiären Lebensumstände geben uns einen Hinweis über die Motivation des Patienten, gesund zu werden (oder krank zu sein). Es ist wichtig zu registrieren, wie der Patient über seine Krankheit spricht, da der individuelle Bewältigungsprozess von der Bewer-tung und Bedeutung der Krankheit maßgeblich beeinfl usst wird. Die Hilfeleistungen mobilisieren die Bewältigungs-ressourcen des Betroff enen und unterstützen ihn bei der Bearbeitung der anstehenden Konfl ikte. Sie können darü-ber hinaus praktische Unterstützung im Alltag und Orien-tierungshilfen beinhalten.

Da es auch immer eine Wechselwirkung von körper-lichen und seelischen Symptomen gibt, sollte der Th era-peut berücksichtigen, dass körperliche Reaktionen auch individuelle Bedürfnisse ausdrücken können, z.B. den Wunsch nach Aufmerksamkeit und Hilfe.

Ziel der Therapie auf dieser Ebene ist, die Teilhabe des Patienten am gesellschaft lichen Leben zu unterstützen. Der Patient soll seine Ressourcen wahrnehmen und ler-nen, sie zu nutzen.

Wichtig

Die persönliche Situation eines Patienten ist abhän-gig von seinen Wertevorstellungen, der Lebenser-fahrung, seiner Wissensbasis, kulturellen Faktoren und früheren Erfahrungen. Diese bestimmen auch wesentlich seinen Umgang mit Krankheit und Gesundheit.

Struktur und FunktionBei der Beurteilung der Struktur und Funktion wird, abhängig vom individuellen Krankheitserleben, Priori-täten in der Zielsetzung gesetzt. Die pathobiologischen Prozesse auf Gewebeebene bestimmen die Vorsichts-

maßnahmen der Intervention. Folgende Faktoren werden dabei berücksichtigt:

Da die Konstitution unveränderlich ist, müssen Abwei-chungen in Kauf genommen werden. Für die betroff enen Strukturen müssen Entlastungsstellungen gefunden wer-den. Diese werden dem Patienten bei der ersten Behand-lungssitzung instruiert und geübt, damit er sie sofort mit Einsetzen der Beschwerden einnehmen kann. Konstitutio-nelle Mehrgewichte erschweren häufi g das Problem.

Teilsteifi gkeiten müssen mobilisiert werden. Die Dau-er und der Erfolg der Th erapie sind abhängig von Ursache und Ausmaß der Bewegungseinschränkung. Hyper- und Hypomobilität bedingen sich oft gegenseitig und sind die Ursache oder Folge einer Haltungsabweichung.

Wenn Abweichungen der Statik bereits in aufrechter Haltung Schmerzen verursachen, kommen Schubbela-stungen und die reaktive Hyper- oder Hypoaktivität der Muskulatur als Auslöser für die Schmerzen in Frage, die meist gemeinsam auft reten.

Schubbelastungen treff en die passiven Strukturen des Bewegungsapparats, wenn die Gelenke nicht mehr axial belastet werden. Bänder und Kapseln reagieren auf propriozeptive Reize. Wenn sie dauerbelastet, d.h. überlastet werden, ist die Reaktion Schmerz. Wird der Warnruf überhört (Bagatellisierung) oder der Schmerz durch Medikamente betäubt, kommt es zu Verschleißerscheinungen. Reaktive Hyperaktivität ist die normale Reaktion (Fallverhinderung) einer gesunden Muskulatur auf eine schlechte Haltung. Die Muskulatur ist jedoch für diese Dauerbeanspruchung nicht prädestiniert und reagiert mit Verspannungen und Durchblutungsstö-rungen.

Abweichungen der Statik unterhalb des schmerzenden Bereichs sind als »schlechter Unterbau« zu verstehen.

BeispielEine veränderte Beinachsenbelastung lässt die Beine zum schlechten Unterbau für die Wirbelsäule wer-den. Eine abweichende Stellung des Beckens ist ein schlechter Unterbau für den Brustkorb. Eine Fehlhal-tung der Brustwirbelsäule ist ein schlechter Unterbau für den Schultergürtel und den Körperabschnitt Kopf.

Um die Statik zu verbessern, muss der Patient die Fehl-haltung und ihre Korrektur wahrnehmen können. Die Haltungskorrektur hebt die Schubbelastungen und die

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Kapitel 4 · Planung der Therapie

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reaktive Hyperaktivität der Muskulatur auf, geht aber mit Hyperaktivität einher, die von einer funktionellen Fehlat-mung begleitet sein kann. Diese Hyperaktivität baut sich mit zunehmendem Lernfortschritt ab. Zur Korrektur der Haltung im Stand veranlasst der Th erapeut im Idealfall nur eine Gewichtsverschiebung, die dann automatisch ein Gegengewicht in Gang setzt, wenn die Belastung unter den Füßen gleich bleibt.

4.2 Behandlungsplan

Durch die sorgfältige Untersuchung hat der Th erapeut bereits ein Verständnis für die Probleme des Patienten bekommen. Er bestimmt auf Grund der gefundenen Defi zite und Ressourcen des Patienten, welche Anfor-derungen er in Form von Belastung der Muskulatur, der Ko ordi na tionsfähigkeit und der Beweglichkeit der Gelenke dem Patienten zumuten kann und will. Auch während der Behandlung wird konsequent überprüft , ob die Behand-lungsziele erreicht werden, oder ob unerwünschte Neben-eff ekte auft reten.

Eine Behandlung ist jedoch sehr viel mehr als das Anwenden von Behandlungstechniken und Übungen. Während das medizinische Denkmodell »Behinderung« als Problem einer Person betrachtet, das unmittelbar von einer Krankheit, einem Trauma oder einem anderen Gesundheitsproblem verursacht wird, beurteilt das bio-psycho-sozio-ökologische Modell (Hüter-Becker 2005) den gesamten Lebenskontext eines Menschen.

Damit unterscheiden sich auch die grundsätzlichen Behandlungsansätze:

Die kurative Medizin ist ursächlich ausgerichtet. Der Patient ist häufi g passiv, er wird behandelt. Der Arzt bestimmt die Behandlung mit dem Ziel, den Gesund-heitsschaden zu beheben oder zu stabilisieren. Im medizinischen Modell wird demnach die Krankheit behandelt, die einen nachweisbaren Auslöser hat.In der Behandlungsstrategie der rehabilitativen Medi-zin ist der Patient aktiv und eigenverantwortlich. Er muss die Leistungen, die zum Fortschritt führen, selbst erbringen. Das erfordert ein vernetztes, multi-kausales Denken. Der Th erapeut ist Koordinator und Berater und verfolgt das Ziel, das Verhalten des Pati-enten zu verändern. Damit muss die Aufmerksamkeit des Th erapeuten in gleichem Maß auf das Ergebnis einer Behandlung, wie auf den Prozess gerichtet sein, der zu einem Ergebnis hinführen soll.

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Grundlage und Leitmotiv des physiotherapeutischen Han-delns aus Sicht der FBL-Functional Kinetics ist Bewegung. Die Aufgabe des Th erapeuten besteht darin, den Patienten zu Bewegungen zu veranlassen, die seiner momentanen Belastbarkeit angepasst sind und der funktionellen Bean-spruchung im Alltag entsprechen.

Eine zu frühe oder zu hohe Belastung nach einer Verletzung stört den Heilungsverlauf. Sie würde im ungünstigsten Fall die Traumatisierung weiter ver-stärken.Dagegen fehlen bei einer Immobilisation die für den Heilungsprozess notwendigen Bewegungsreize, wodurch sich die Körperwahrnehmung des Patienten verschlechtert. Das hat zur Folge, dass bei einer Wie-deraufnahme der Bewegung das Bewegungsverhalten des Patienten undiff erenzierter ist und die lokale Belastung erhöht wird.Um den Alltagsbelastungen gewachsen zu sein, benö-tigt der Körper formative Bildungsreize die den spä-teren funktionellen Beanspruchungen entsprechen.

Eine Veränderung des Bewegungsverhaltens kann nur durch die aktive Mitarbeit des Patienten erreicht werden. Funktionsschulung bedeutet auch immer ein Wahrneh-mungstraining für den Patienten, wobei sein Bewegungs-empfi nden, die Kinästhetik, verbessert wird. Das per-zeptiv-manipulativ-didaktische Konzept stellt dabei eine wesentliche Grundlage für das Bewegungslernen dar. Der Th erapeut begleitet und unterstützt den Patienten so lan-ge, bis dieser selbständig zu einem physiologischen Bewe-gungsverhalten zurückfi ndet.

Die Instruktionen in Patientensprache verbessern die Orientierung am eigenen Körper und vom eigenen Kör-per aus. So wird es möglich, selektive Bewegungen aus-zuführen und die Kontrolle über das Bewegungsverhalten zu erhalten.

Durch die systematische Beobachtung von Menschen in Ruhe und Bewegung wird ersichtlich, dass der Körper in einer ständigen Auseinandersetzung mit der Schwer-kraft steht. Das bedingt einen ständigen Umgang mit den Gewichten und erfordert entsprechende Gleichgewichtsre-aktionen. Auf Grund dieser Erkenntnis wurden die the-rapeutischen Übungen der Funktionellen Bewegungslehre erarbeitet. Vor allem die Ballübungen sind überwiegend auf dem Prinzip des reaktiven Übens aufgebaut. Es besteht darin, dass dank geschickt gelenkter Bewegung ein the-rapeutisch angestrebtes Detail eines natürlichen Bewe-gungsablaufes automatisch und zwangsläufi g in Erschei-

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44.3 · Intervention

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nung tritt. Mit der entsprechenden Anzahl von Wieder-holungen wird dieses Detail geübt und schließlich in das Bewegungsverhalten integriert.

Ein selektives Muskeltraining setzt die Koordination muskulärer Aktivitäten voraus, d.h., die bei einer Bewe-gung involvierten Muskeln müssen harmonisch zusam-menwirken. Die Selektion kann einen bestimmten Muskel, aber auch eine Muskelgruppe betreff en. Bewegungsanaly-tisch ist es wichtig zu wissen, in welcher Art und Weise die Muskeln aktiviert werden. Der Th erapeut entscheidet je nach Ziel und erlaubter Belastung darüber, ob und wie Muskulatur arbeiten soll.

Allen Behandlungstechniken liegt ein gemeinsames Konzept zugrunde, das aus perzeptiven, manipulativen und didaktischen Elementen besteht. Die Techniken beto-nen jeweils einzelne Strukturen, wirken aber in der Bewe-gungsfunktion übergreifend. Oft ist der Übergang von einer Technik zur anderen fl ießend.

4.3 Intervention

Physiotherapeuten steht eine nahezu endlose Palette the-rapeutischer Mittel zur Verfügung. Die Maßnahmen wer-den durchgeführt und modifi ziert, um die (mit Zustim-mung des Patienten) festgelegten Ziele zu erreichen. Die optimale Intervention gibt es jedoch nicht. Vielmehr können mehrere Möglichkeiten zum gleichen Ziel führen. Als optimal erweist sich oft die kontinuierliche refl ektierte Improvisation. Physiotherapeuten sollten in der Lage sein, aus mehreren Methoden ein maßgeschneidertes Behand-lungsprogramm zusammen zu stellen, das immer die Ver-besserung des Aktivitäten- und Partizipierungsniveaus des Patienten vor Augen hat.

Die Leitgedanken für die Intervention aus Sicht der FBL-Functional Kinetics stellen sich wie folgt dar:

Der Th erapeut ist sich stets der Wirkung der Ausein-andersetzung des Bewegungssystems mit der Schwer-kraft bewusst. Er schließt aus der Richtung der Bewegung und aus der Lage der Bewegungsachsen auf die geforderten Muskelaktivitäten.Er ist sich stets bewusst, dass das Bewegungsverhalten von Gleichgewichtsreaktionen geprägt ist. Die in der FBL angewandten Beobachtungsverfahren liefern Daten über die Harmonie einer Bewegung, die Koordination, den Rhythmus, das Bewegungsausmaß usw. Sie sind äußerst praxisrelevant und schließen die

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Fähigkeit des Th erapeuten ein, räumliche und zeit-liche Qualitäten der Bewegung intuitiv zu erfassen.

4.3.1 Zugrunde liegende Prinzipien

Das Bewegungslernen steht im Vordergrund der Behand-lung. Nach dem Prinzip der FBL-Functional Kinetics soll das Therapieziel in der Reaktion auf eine Bewegung und die dadurch entstehende Gewichtsverschiebung liegen. Die aus dem Bewegungsauft rag folgenden Reaktionen werden dem Patienten nicht bewusst. Der Th erapeut aber sieht sie voraus und plant sie als eigentliches Th erapieziel ein.

Die Veränderung der statischen Abweichungen und der Kondition des Patienten während der Th erapie bedingt eine ständige Anpassung der Übungen.

Durch unmittelbare Bewegungsbeobachtung und die anschließende Auswertung wird die jeweilige Th era-pieform gewählt, die sich am normalen Bewegungsverhal-ten des gesunden Menschen orientiert. Die Anwendung der Bewegungstherapie, ihrer Techniken und ständig angepasster Instruktionen, schöpft aus einem Angebot vielfältiger therapeutischer Übungen, durch die der Pati-ent lernen kann, funktionelle Probleme zu beheben und ein ökonomisches Bewegungsverhalten wieder zu erlan-gen.

Behandlungstechniken wie die hubfreie Mobilisati-on, die widerlagernde Mobilisation der Gelenke und die mobilisierende Massage sind elementare Bestandteile der FBL-Th erapie, wobei die Übungen mit dem Pezziball zu den bekanntesten gehören.

Voraussetzung für erfolgreiches therapeutisches Üben ist die Wahl einer geeigneten Übung. In der FBL gibt es keine »Übungsprogramme« für bestimmte Krankheits-bilder. Die Auswahl der therapeutischen Übungen orien-tiert sich am funktionellen Status des Patienten und dem daraus formulierten funktionellen Problem.

Durch die Bestimmung des Lernzieles werden bestimmte Funktionen benannt, die mit der Übung hauptsächlich angesprochen werden sollen. Es handelt sich dabei immer um komplexe Bewegungen, die sehr viel Koordination und Reaktionen vom ganzen Bewegungs-system verlangen.

Die in der FBL-Functional Kinetics beschriebenen Modellübungen können als Grundlage zur Konzipierung individuell angepasster Übungen dienen.

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Motorisches LernenTiziana Grillo Juszczak

5.1 Historische Aspekte – 118

5.2 Lernen – 1185.2.1 Begriff e – 1185.2.2 Motorisches Lernen als Prozess – 1195.2.3 Lernphasen – 120

5.3 Lernbeeinfl ussende Faktoren – 1215.3.1 Sensorische Modalitäten – 1215.3.2 Zielbezug – 1215.3.3 Feedback – 122

5.3.4 Mentales Üben – 1235.3.5 Vorzeigen – 1235.3.6 Motivation – 1245.3.7 Umgebung – 124

5.4 Physisches Üben – 1255.4.1 Bedeutung des physischen

Übens – 1255.4.2 Variieren – 1255.4.3 Repetieren – 1265.4.4 Segmentieren – 126

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Kapitel 5 · Motorisches Lernen

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Um den Begriff »Motorisches Lernen« verständlich zu machen, müssen die beiden beteiligten Aspekte –Lernen und Motorik – näher betrachtet werden.

Lernen wird im Allgemeinen mit Verhaltensänderung gleichgesetzt.

Unter Motorik wird die Gesamtheit aller internen Vorgänge – sowohl emotionaler, motivationaler, senso-rischer und kognitiver Natur – zusammengefasst, die bei der Erzeugung von Bewegungen beteiligt sind (vgl. Roth und Willimczik, 1999).

Entsprechend befassen sich viele unterschiedliche Wissenschaft sdisziplinen mit diesem Th ema. So wird z.B. in der Lernpsychologie Lernen als ein zur Verhaltensän-derung hinführender Prozess betrachtet. In der Pädago-gik wird der Zusammenhang von Lernen und Erziehung untersucht. Und aus den Sportwissenschaft en ist moto-risches Lernen nicht mehr wegzudenken. In der Medizin ist das motorische Lernen v.a. im Bereich der Neurologie und natürlich in der Physiotherapie von Interesse.

Die Literatur zum motorischen Lernen bietet unter-schiedlichste Hypothesen und Denkmodelle zur Wirk-samkeit von Lehrstrategien an. Ziel dieses Kapitels ist es, einige Aspekte zum Bewegungslernen darzustellen. Es soll Physiotherapeuten als theoretische Basis dienen, auf der sie ihre Interventionen, z.B. in Form von aktiver Bewe-gungstherapie, lerneffi zienter aufb auen können.

5.1 Historische Aspekte

Es werden zwei prägende Epochen für die wissenschaft -liche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Lernen beschrieben: die Zeit des Behaviorismus (1900 bis ca. 1950) und jene des Kognitivismus (ab ca. 1960).

Behavioristen betrachteten Verhalten als eine Folge von Reiz- und Reaktionsverknüpfungen. Berühmt wurden die Experimente von Pawlow, der das Verhal-ten von Hunden »programmierte« und somit deren Verhalten konditionierte; es wird auch von program-miertem Lernen gesprochen.Im Zeitalter des Kognitivismus wurde begonnen, die Prozesse im zentralen Nervensystem (ZNS) zu untersuchen. Die Informationsverarbeitung und die aktive Problemlösung waren Untersuchungsziele. Die entscheidende Neuerung im Vergleich zum Behavio-rismus war, dass nicht mehr nur von außen objektiv feststellbare Reiz-Reaktions-Muster Gegenstand der Forschung waren, sondern dass auch die entspre-

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chenden internen Prozesse in den Mittelpunkt des wissenschaft lichen Interesses rückten.

In der Gehirnforschung hat sich innerhalb der ver-gangenen Jahrzehnte dank technischer Entwicklungen eine neue Welt aufgetan. Zahlreiche Hypothesen über die Funktionsweise des ZNS werden diskutiert. So zählt z.B. Shumway-Cook (1995) folgende Th eorien auf, die für die motorische Kontrolle verantwortlich sind:

Refl ex Th eorieHierarchische Th eorieMotorisch programmierende Th eorieSystemische Th eorieDynamische AktionstheorieParallel verarbeitende ProzesstheorieAufgabenorientierte Th eorie

Welche dieser Th eorien tatsächlich die Phänomene der motorischen Kontrolle am besten erklärt, wird die Wis-senschaft auch in Zukunft noch beschäft igen.

5.2 Lernen

5.2.1 Begriff e

»Lernen ist eine relativ andauernde Veränderung der Fähigkeit zu antworten, die aus der Übung oder Erfah-rung hervorgeht.«

Diese von Schmidt (1975) eingebrachte allgemeine Defi -nition des Begriff es Lernen gilt mehrheitlich als akzeptiert (Magill 2001).

Einer neueren Defi nition von Hossner und Künzell (2003) zufolge ist motorisches Lernen »die erfahrungsab-hängige und relativ überdauernde Veränderung der Kom-petenz, in bestimmten Situationen durch ein bestimmtes Verhalten bestimmte Eff ekte zu erzielen«. Diese Defi niti-on legt einerseits klar fest, dass gelerntes Verhalten nicht unbedingt gezeigt werden muss, obwohl es eigentlich beherrscht wird (»Kompetenz«). Andererseits gilt vor-übergehend gezeigtes Verhalten nicht als gelerntes Verhal-ten (»relativ andauernd«).

Folglich muss »Ausführung« deutlich von »Lernen« unterschieden werden. Denn Ausführungseff ekte, die während einer Bewegung sichtbar sind, können nach einer bestimmten Zeit nicht mehr festgestellt werden. Sie sind also nur kurzfristig erkennbar, es wird von einer

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55.2 · Lernen

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temporären Wirkung gesprochen. So kann sich z.B. durch die Behandlung ein Hinkmechanismus verbessern. Wenn aber nach der Th erapie auf dem Heimweg der Hinkme-chanismus wieder sichtbar wird, hat die Person die neue Bewegung noch nicht gelernt, sondern sie konnte sie lediglich während der Th erapie ausführen. Erst wenn die Auswirkungen länger anhalten, wird das als Lerneff ekt (= »relativ andauernd«) betrachtet.

Als Transferfähigkeit wird bezeichnet, wenn eine Bewegung in einer veränderten Umgebung ausgeführt werden kann (Nicholson 2002).

Klinische Relevanz Wenn wir einem Patienten erfolgreich eine neue Bewe-gungssequenz instruiert haben und er diese fehlerfrei durchführt, bedeutet das nicht, dass er die neue Bewe-gung auch tatsächlich gelernt hat. Er kann die Bewegung »nur« ausführen. Erst wenn er diese Bewegung in der nächsten Behandlung fehlerfrei ausführt, kann gesagt werden, dass er die Bewegung gelernt hat. Ist es ihm möglich, die Bewegung z.B. am Arbeitsplatz auszuführen, dann hat er die Bewegung erfolgreich transferiert.Neulernen (neue Fertigkeit lernen), wird von Wiederer-lernen (erneutes Lernen einer früher automatisierten Fer-tigkeit, die durch eine Schädigung verunmöglicht wurde) unterschieden und dieses wiederum von Weglernen (es wird gelernt, eine mit zu viel Kraft ausgeführte Bewegung ökonomischer auszuführen) (Bader–Johansson 2000). Sowohl Wiedererlernen als auch Weglernen werden als aktive Prozesse verstanden (Schmidt 1999), wenn ein anhaltender Eff ekt erzielt werden soll.

5.2.2 Motorisches Lernen als Prozess

Lernen wird als ein aktiver Prozess sowohl für den Körper als auch für das Gehirn defi niert. Übungsbedingungen, die eine aktive Beteiligung des Lernenden fordern, fördern das Lernen. Vorgefertigte Bewegungen, die als Lösungen instruiert werden, sind weniger hilfreich.

Der motorische Lernprozess kann folgendermaßen beschrieben werden: Eine ankommende Information wird wahrgenommen und im sensomotorischen Gedächt-nis dekodiert, d.h. sie wird mit bereits abgespeicherten Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten verglichen. Die so abgerufenen Informationen veranlassen den Men-schen etwas zu tun (= Wiedergabeleistung). Das Resultat

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wird mit dem ursprünglichen Ziel verglichen: Bei Abwei-chungen werden Korrekturen vorgenommen.

Nervenzellen sind untereinander mit Synapsen ver-bunden; deshalb wird davon ausgegangen, dass Lernen v.a. auf der synaptischen Ebene stattfi ndet. An jede Ner-venzelle koppeln Tausende von Synapsen. Je häufi ger bestimmte Verbindungen verwendet werden, umso ver-lässlicher ist die Impulsübertragung und umso automa-tischer die Bewegungsausführung. Dem Sprichwort »Use it or loose it« wird damit Rechnung getragen.

Ob und welche Nervenzellverbindungen gebildet werden, ist u.a. abhängig von der Kapazität und Art der Gedächtnisleistung. So werden z.B.

motorische Muster im prozeduralen Gedächtnis als implizite Leistung Faktenwissen jedoch als explizite Leistung im deklara-tiven Gedächtnis abgespeichert (Dudel et al, 1996).

Dies muss bei der Wahl der zu lernenden Bewegung bewusst einbezogen werden.

Erfolge beeinfl ussen die Motivation, wobei Fehler das Lernen fördern. Adams (1971) und Schmidt (1975) entwi-ckelten verschiedene Th eorien:

In Schmidts Schematheorie dienen so genannte gene-ralisierte Motorikprogramme der Steuerung von Bewe-gungen. Generalisiert heißt, dass die groben Strukturen, die Invarianten der Bewegung, gespeichert vorliegen; dieses Grobprogramm muss entsprechend den aktuellen Situationsanforderungen parametrisiert werden. Dazu dienen durch Erfahrung erworbene Schemata. Die Bewe-gungsevaluation erfolgt bei Schmidt nachträglich und modifi ziert das entsprechende Motorikschema.

Im Gegensatz dazu spricht Adams (1971) von einem unmittelbaren Fehlerentdeckungsmechanismus, der so genannten perzeptiven Spur. Bewegungen werden gemäß Adams vom sensorischen Gedächtnis begleitet, das Abweichungen von der Zielbewegung unmittelbar korri-giert (Regelkreistheorie).

Beide Ansätze ermöglichen dem Lernenden, die eigenen Fehler in der Bewegungsausführung zu erken-nen, jedoch nur, wenn die entsprechenden Bedingungen (7 Kap. 5.3.3 Feedback) vom Lehrer eingehalten werden (z.B. nach der Bewegungsausführung genügend Zeit geben, damit das Gehirn des Lernenden Zeit zur Informa-tionsverarbeitung hat).

Neuere Ansätze zum motorischen Lernen betonen sogar die positive Bedeutung von Fehlern als Grundlage motorischen Lernens (z.B. Diff erentielles Lernen).

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Kapitel 5 · Motorisches Lernen

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Neben dem sensomotorischen Lernen wird auch die Wichtigkeit des Gefühls betont: Somit kommt dem lim-bischen System eine zentrale Rolle zu. Schnelles Lernen ist meist stark mit Gefühlen besetzt und basiert häufi g auf »Aha-Erlebnissen«, starker Freude, Stressempfi ndungen usw. (Bader-Johansson, 2000).

5.2.3 Lernphasen

Von verschiedenen Autoren werden bis Lernstadien beschrieben (Fitts und Posner 1967, Adams 1971, Gentile 1972, Müller 1997, Schewe 1988, Magill 2001), die teilwei-se auf historischen Denkmodellen basieren. So betrachtet z.B. Gentile (1972) den Einfl uss der Umweltfaktoren und die Komplexität der Aufgabe als zum Lernen gehörende Aspekte, die bei Fitts/Posner (1967) und Adams (1971) nicht oder kaum einbezogen werden. Überwiegend wird jedoch von 3 Phasen gesprochen.

Kognitive Phase (frühes Stadium)Lernende nehmen die Informationen v.a. sprachlich bewusst auf. In dieser Phase sind Lernende stark durch externe Reize störbar.Das ZNS hat das Ziel Informationen aufzunehmen, um eine Idee der Aufgabe zu erhalten. Es muss Bewegungsstrategien und -muster entwickeln. Dieses Stadium ist wegen der immensen Informationsverar-beitung sehr zeitaufwändig. Es verlangt viel Aufmerk-samkeit von den Lernenden. Als Lernstrategie wird das Prinzip »Versuch und Irrtum« angewandt.Das beobachtbare Bewegungsverhalten zeichnet sich durch eine grobe Ausführung aus. Es kommt zu vielen Fehlern, das Timing ist falsch und die Bewegungsausführung variiert sehr stark. Rasche Fortschritte sind zu verzeichnen, jedoch kann ein Ziel selten dreimal nacheinander erfolgreich erreicht werden (Schewe 1988, Gentile 1972) – und wenn, wird das als »Anfänger-Glück« bezeichnet. Assoziative Phase (mittleres Stadium)Lernende nehmen Informationen zwar in zuneh-mendem Maße automatisch auf, sie benötigen aber dennoch relativ viel Aufmerksamkeit. Auch in diesem Stadium sind Lernende durch externe Reize noch störbar.Das ZNS vergleicht Neues mit Bekanntem und ent-wickelt Verknüpfungsmechanismen und Synergien. Die Aufmerksamkeit wird angepasst: Gruppieren und Diff erenzieren sind die Hauptaufgaben. Interne Ver-

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gleichskriterien für Korrektheit entwickeln sich, sog. interne »Fehlerentdeckungsmechanismen«, mit der Funktion, Fehler im Bewegungsablauf aufzuspüren. Das beobachtbare Bewegungsverhalten wird in der Bewegungsausführung regelmäßiger, feiner und fl üssiger. Die Fehler werden geringfügiger und treten weniger häufi g auf. Die Verbesserungen entwickeln sich je nach Lerntyp und Intensität des Übens lang-samer.Autonome oder automatische Phase (spätes Stadium)Lernende sind sich ihrer Informationsaufnahme nicht mehr bewusst. In diesem Stadium wird von »Exper-tise« gesprochen, die mit den berufstypischen Fähig-keiten z.B. von Sportlern, Informatikern oder Berufs-musikern vergleichbar ist. In diesem Stadium sind Lernende nicht mehr durch externe Reize störbar: sie können sogar zwei Dinge gleichzeitig ausführen. Das ZNS hat eine hohe Anpassungsfähigkeit an Umgebungsbedingungen optimiert. Die Fähigkeit zur Antizipation ist vollständig entwickelt. Im beobachtbaren Bewegungsverhalten ist die Aus-führung automatisch, regelmäßig und ökonomisch. Es wird nur eine minimale Aufmerksamkeit benötigt, so dass zwei Dinge gleichzeitig ausgeführt werden können (»dual tasking«). Fehler in der Bewegungsaus-führung können selbständig entdeckt und korrigiert werden. Die Fortschritte sind kaum wahrnehmbar. Diese Phase wird daher auch als Lernplateau bezeich-net.

Berühmt und mit therapeutischen Konsequenzen ist die Untersuchung zum Th ema »dual task« von Geurts und weiteren Autoren (1991) bei Menschen mit Amputationen. Sie bezeichnen »dual task« als mögliches Instrument, um sich ein Urteil zu bilden, wie weit eine Tätigkeit automati-siert ist (untersucht wurde die Balancefähigkeit von bein-amputierten Menschen, die zusätzlich kognitive Aufgaben zu erfüllen hatten). Zwei Dinge auf einmal ausführen zu können (z.B. stehen und gleichzeitig verbale Antworten geben) wird von den Autoren als Zeichen einer fortge-schrittenen Reorganisation im Gehirn gewertet.

Klinische RelevanzVon diesen Lernphasen sind für Bewegungslehrer v.a. die ersten beiden erkennbar. Sie sind deshalb wichtig, weil an der Bewegungsausführung einerseits und an der Intensität der benötigten Aufmerksamkeit andererseits sichtbar wird, wie weit der Lernende fortgeschritten ist

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und welche Lehrstrategien anzuwenden sind. Benö-tigt der Lernende weniger Aufmerksamkeit für die neu erlernte Bewegung, kann der Physiotherapeut eine zweite kognitive Aufgabe hinzufügen. Ist es möglich, beide Fertigkeiten gleichzeitig auszuführen, befi ndet sich der Lernende wahrscheinlich in einer fortgeschrittenen Lernphase.

In der ersten Lernphase sind Lernende Anfänger und in der letzten sind sie Experten. Beim Lernen gehen Anfän-ger anders vor als Experten, weil bei den beiden Gruppen die Verarbeitungsprozesse im Gehirn unterschiedliches Vorwissen beinhalten. Während Lernanfänger eine Auf-gabe kognitiv erfassen, erkennen Experten Muster, bilden Strategien und sind fähig zu antizipieren.

Anfänger konzentrieren sich auf den Bewegungsauf-trag und die damit verbundenen Regeln. Ihre Bewe-gungen wirken steif und erfordern viel Aufmerksam-keit. Ihr Vorgehen nach dem Prinzip »Versuch und Irrtum« führt zu einer ungleichmäßigen Bewegungs-ausführung, weil das ZNS zu viele Modifi kationen ausführt, die eine kontinuierliche Planung von Bewe-gungsmustern verhindern.Experten erkennen die für die Bewegung relevanten Informationen und gruppieren bzw. diff erenzieren diese. Lernen wird bei Experten stark von der Aufga-be bestimmt (Gentile 2000, Goodgold 1993). Exper-ten verwenden weniger Aufmerksamkeit auf das Aus-führen einer Bewegung und können sich gleichzeitig noch anderen Tätigkeiten widmen.

5.3 Lernbeeinfl ussende Faktoren

5.3.1 Sensorische Modalitäten

In der Physiotherapie werden, je nach Umweltanforde-rung und klinischer Problematik zur Instruktion und Korrektur von Bewegungsabläufen u.a. verbale, taktile und visuelle Strategien angewendet.

Verbale Anleitungen in geeigneter Form können zu Beginn eines Lernprozesses durchaus als sinnvolle Strategie bezeichnet werden. Verbale Rückmeldung wurde daher auch ausgiebig erforscht.Taktile Information wird im Sinne einer manipula-tiven Hilfegebung benutzt, um z.B. der Muskulatur kontrahierende oder verlängernde Stimuli zu geben,

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um ein Ziel anzuzeigen oder um einen Widerstand anzubieten.Das Benutzen von visuellen Informationen wurde jahrelang unterschätzt. Vor- und Nachmachen wurde als wenig sinnvoll erachtet. Neueste Studien zeigen jedoch, dass das »Vorzeigen« ein durchaus sinnvolles Medium sein kann (7 Kap. 5.3.5).

Unterschiedliche Autoren bezeichnen folgende Faktoren als die lernbeeinfl ussenden Faktoren. Bei dieser Aufzäh-lung besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

ZielbezugFeedbackMentales ÜbenVorzeigenMotivationUmgebungPhysisches Üben

Zu einigen Faktoren wurden bereits Untersuchungen durchgeführt, wobei Überträge von Studienresultaten auf klinische Situationen mit Vorsicht zu betrachten sind. Zum einen werden Studien oft in Laborsituationen durch-geführt und zum anderen beansprucht die getestete Tätig-keit häufi g nur eine Extremität. Außerdem sind es meist einfache Aufgaben, die nicht dem Alltag von Lernenden entsprechen. Leider wurden bis jetzt nur wenige Untersu-chungen im physiotherapiespezifi schen Kontext durchge-führt. Ausgenommen davon sind Untersuchungen inner-halb der Neurologie. Von einigen Autoren (Winstein 1991, Magill 2001) werden Parallelen von der Neurologie zur Physiotherapie aufgezeigt.

5.3.2 Zielbezug

Eine Bewegung oder Aktivität wird nie ohne Ziel gelernt. Es ist deshalb wichtig, dass das Ziel wahrnehmbar, erreich-bar und real ist. Schmidt (1999) misst dem auf ein Ziel gerichteten Bewusstsein eine zentrale Rolle beim Wiede-rerlernen einer Bewegung zu. Motorisches Lernen führt zu einer Erhöhung der Synapsenanzahl pro Neuron. Dieses Phänomen tritt jedoch nur ein, wenn die Bewegung einen Zielbezug hat.

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Wichtig

Langanhaltendes Lernen mit sichtbarer Zunahme der Synapsendichte in den motorischen Arealen braucht ein Ziel! (Dudel 1996).

5.3.3 Feedback

Feedback bedeutet Rückmeldung. Jede Bewegung erzeugt während und unmittelbar nach der Ausführung eine Rückmeldung über das Bewegungsresultat.

Feedback wird in intrinsisches und extrinsisches Feed-back unterteilt:

Intrinsisches Feedback entsteht aus den körpereigenen Systemen wie z.B. Ober- und Tiefensensibilität, Vesti-bulum und Augen. Diese Art der Rückmeldung läuft in der Regel unbewusst ab. Die ausgeführte Bewe-gung wird vom ZNS mit der Zielvorgabe verglichen und abweichende Resultate werden zur Verbesserung der nächsten Bewegung verwendet. Extrinsisches Feedback ist eine von außen gegebene Rückmeldung, z.B. durch einen Lehrer oder Th era-peuten. Es wird deshalb auch als verstärktes (aug-mented) Feedback bezeichnet. In der Literatur werden zwei Arten von extrinsischem

Feedback unterschieden: Knowledge of result (KR) gibt Information über das Bewegungsresultat im Bezug zum Ziel, also darüber ob das Ziel erfolgreich erreicht wurde oder nicht. Knowledge of performance (KP) gibt Information über die Bewegungsausführung, d.h. über die Bewe-gungsqualität. Es ist die Rückmeldung darüber, wie die Bewegung abläuft (Gentile 2000).

Vor allem »Knowledge of result« wurde bezüglich Lern-wirksamkeit untersucht, und es scheint, dass die Studien zu »Knowledge of performance« die Resultate von »Know-ledge of result« bestätigen.

»Knowledge of performance« ist geeignet für das Üben einer exakten Bewegungsausführung und »Knowledge of result« zum Lernen einer Bewegung (Winstein 1994). »Knowledge of result« ist bezüglich des Lernens einer Bewegung effi zienter als »Knowledge of performance« (Winstein 1991, Mc Nevin 2000). Viitasalo JT (2001) fand keine Unterschiede zwischen KR und KP.

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Wichtig

In der Physiotherapie ist die verbale Bewegungsan-leitung und -korrektur ein weit verbreitetes Mittel. Die Literatur zeigt Evidenzen, dass verbale Rückmel-dung nur dann effi zient das Bewegungslernen unter-stützt, wenn sie defi nierte Kriterien berücksichtigt. Je nach Art des Feedbacks kann verbale Rückmeldung fördern, hemmen oder gar keinen Eff ekt zeigen (Magill 2001).

Verbales Feedback und InstruktionDie Wirkung von verbalem Feedback und Instruktion wurde bezüglich der Häufi gkeit, des Zeitpunkts und der Genauigkeit untersucht.

Es gibt Studienergebnisse (Evidenzen) (Ho 1978, Van-der Linden 1993, Winstein 1991/1996), die besagen, dass:

Feedback nach der Bewegung eff ektiver ist als wäh-rend der Bewegung Feedback bei jedem zweiten oder fünft en Mal nach der Bewegung lernwirksamer ist als jedes Mal ausblendendes Feedback das Lernen zusätzlich unter-stützt (Nicholson 1991)verzögertes Feedback (um einige Sekunden) lern-eff ektiver ist (Swinnen 1990)

Die ersten beiden Evidenzen werden mit folgenden Hypo-thesen begründet:

Die Führungshypothese (Magill 2001) besagt im Wesentlichen, dass viel Rückmeldung abhängig machen kann.Die Gleichmässigkeitshypothese (Winstein und Schmidt 1990) stellt dar, dass viel Rückmeldung zu schlechten Adaptationen des Bewegungsverhaltens führt und somit zu unregelmäßigen Bewegungsmus-tern.

Klinische Relevanz:Verbale Rückmeldung soll sparsam angebracht werden und nachdem der Patient die Bewegung ausgeführt hat. Wenn es dem Langzeitlernen dienen soll, muss die verbale Rückmeldung mit zunehmender Lernerfahrung ausgeblendet werden.Sollen Bewegungen sofort korrekt ausgeführt werden können (z.B. eine Rückendisziplin bei akuten Schmerz-zuständen oder die korrekte Teilbelastung bei Gelenker-

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55.3 · Lernbeeinfl ussende Faktoren

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satz), muss mehr instruiert und der Fokus auf maximal drei relevante Aspekte gelegt werden.Um dem Fehlerentdeckungsmechanismus Rechnung zu tragen, ist es sinnvoll, einige Sekunden zu warten, bevor Rückmeldung gegeben wird. In späteren Lernstadien kann es sogar sinnvoller sein, den Patienten nach seiner Fehlereinschätzung selbst zu fragen.Neben der »technischen« Bedeutung des Feedbacks gibt es aber eine assoziative Komponente (Lob oder Tadel), deren Eff ekte nicht zu unterschätzen sind (7 Kap. 5.3.6).Durch Instruktion und Rückmeldung kann die Aufmerk-samkeit des Lernenden auf unterschiedliche Aspekte fokussiert werden.

Ein externer Fokus besteht, wenn durch Instruktion und Feedback die Aufmerksamkeit des Lernenden auf einen Punkt außerhalb des Körpers gelenkt wird, z.B. auf die Ski unter den Füssen, den Golfschläger, die Richtung des Volleyballs beim Aufschlag.Im Unterschied dazu wird beim internen Fokus die Aufmerksamkeit auf einen körpereigenen Punkt gelenkt, z.B. auf die Füße auf den Skiern, den Arm-schwung, die Schulterbewegung.

Studien von Todorov et al 1997 und Wulf et al 2002 bele-gen, dass es lernwirksamer ist, den externen Fokus zu benutzen. Das bedeutet z.B., dass Ballübungen oder die Orientierung des Körpers in der Umwelt lernwirksam sind.Verbale Hilfen werden oft zusammen mit dem Demons-trieren einer Bewegung verwendet (7 Kap. 5.3.5.).

5.3.4 Mentales Üben

Mentales Üben ist das bewusste Denken und »mentale Durchleben« einer Bewegung. Im Unterschied dazu ist Antizipation unbewusst und ein Prozess im Rahmen der Bewegungsplanung. Beide Aspekte bewirken im Gehirn Veränderungen (Mehrdurchblutung) der entsprechenden Areale.

Mentales Training kann drei Ziele haben:Vorbereitung für eine unmittelbar darauf folgende bereits gelernte AktivitätLernen einer neuen AufgabenAktivität unterstützen und ein besseres Ergebnis erreichen.

Aus dem Sport ist das mentale Training nicht mehr weg-zudenken, und auch in der Th erapie ist es wichtig, sich

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eine zuvor erfolgreich durchgeführte Bewegung repetitiv vorzustellen. Es gibt eine interne und eine externe Vorstel-lungsform.

Bei der internen Form stellt sich der Lernende vor, in seinem Körper zu sein und die Bewegung zu machen.Bei der externen Form ist der Lernende ein Beob-achter und stellt sich vor, sich selbst von außen zu betrachten.

Die Effi zienz dieser beiden Formen wird nicht miteinan-der verglichen. Wichtig ist, dass nicht so getan wird »als ob«, sondern dass sich der Übende realistische Bewe-gungen vorstellt.

Untersuchungen zum mentalen Üben gehen drei Fra-gen nach:

Welche Rolle spielt das mentale Üben beim Erwerb einer motorischen Fertigkeit? Wie eff ektiv ist mentales Üben für einen Lernenden im Anfangsstadium oder beim Wiederlernen?Kann mentales Üben die Ausführung einer gut gelern-ten Bewegung verbessern?

Vergleicht man Versuchsgruppen, die physisch üben, mit Gruppen, die mentale Trainingseinheiten absolviert haben, sowie mit Kontrollgruppen, die kein Training erhalten haben, dann zeigt das physische Üben die besten Eff ekte. Das mentale Training zeigt gegenüber gar keinem Training dennoch die besseren Resultate. Eine Untersu-chung von McBride und Rothstein (1979) zeigt, dass men-tales Training kombiniert mit physischem Üben besser ist als physisches Üben allein.

5.3.5 Vorzeigen

Studien zeigen, dass eine Bewegung vorzumachen eine durchaus sinnvolle Methode sein kann. Entgegen bishe-rigen Annahmen, dass es ein isoliertes »Sehzentrum« gibt, ist nun erwiesen, dass visuelle Informationen in unzähli-gen Zentren verarbeitet und mit anderen Informationen verknüpft werden. Zudem konnte festgestellt werden, dass das Demonstrieren einer Bewegung sehr lehrreich sein kann, und zwar umso effi zienter, wenn das Modell selbst Fehler macht, z.B. auch Patient ist. Dies gilt besonders zu Beginn des Lernens. Zu einem späteren Zeitpunkt ist es motivierender, geschickte Modelle als Lernvorbilder zu haben. Sinnvoll ist es, die Bewegung zu demonstrieren, bevor sie ausgeführt werden soll.

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Das Vorzeigen wird häufi g mit verbalen Hilfen kom-biniert. Dabei muss die Menge an verfügbarer Aufmerk-samkeit beachtet werden. Diese ist v.a. bei Lernanfängern begrenzt, und daher sollen verbale Hilfen möglichst kurz und prägnant sein (ein bis zwei Worte). Die Stichworte sollen die Aufmerksamkeit auf die relevanten Aspekte der Bewegung lenken. Dass der Zeitpunkt der verba-len Hilfe sorgfältig gewählt werden muss, wurde bereits im Abschnitt über Feedback (7 Kap. 5.3.3) ausführlich betrachtet.

Vorzeigen hat auch Modellfunktion, d.h. der Patient lernt von seinem Modell, dem Physiotherapeuten. Bandu-ra (1976) spricht vom »Lernen am Modell«. Eff ektiv gelernt kann nur werden, wenn das Modell:

erfolgreich bei der Tätigkeit ist, die Aufmerksamkeit des Lernenden auf die rele-vanten Aspekte fokussieren kann,kompetent ist,angesehen, beliebt, attraktiv ist (Persönlichkeit),emotional ansprechend ist,positives Feedback gibt.

Wichtig

Damit die Bilder der vorgezeigten Bewegungen im ZNS nicht um 180° rotiert werden müssen, sollte die Bewegung mit dem Rücken zum Beobachter vorge-zeigt werden. (Shepard 1971).

5.3.6 Motivation

Die primäre Motivation ist der tief liegende Grund oder Wunsch, etwas zu tun oder nicht zu tun. Dieser Antrieb ist oft nicht bewusst.

Die sekundäre Motivation ist ein dem Bewusstsein zugänglicher Grund, der Antrieb, etwas zu tun. Die phy-siotherapeutische Behandlung führt oft nicht zum Erfolg, wenn lediglich die Sekundärmotivation angesprochen wird.

Eine Sekundärmotivation kann sein, selbständig und ökonomisch zu gehen. Die Primärmotivation kann jedoch die Erfüllung der Wünsche nach sozialen Begeg-nungen sein. Diese im Menschen liegende Motivation ist intrinsisch. Die Physiotherapeutin motiviert von außen, d.h. extrinsisch. Soll der motorische Lernprozess gelingen, muss die extrinische Motivation die intrinsische verstär-

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ken. Zudem sollte es gelingen, die tiefer liegenden Bedürf-nisse der Betroff enen anzusprechen (Baviera 2001).

Sowohl Erfolge als auch Misserfolge können als Moti-vatoren dienen. Feedback muss motivieren. Das bewirkt Verstärkung: »Dieses Mal hast Du die Bewegung schon viel besser gemacht! Willst Du es noch ein Mal versu-chen?«. Diese Aussage wird motivieren, an der zu ler-nenden Aufgabe weiter zu üben. Negative Verstärker sind Verunsicherung, schlecht angebrachte Kritik, Ablehnung, psychischer Druck usw.

Die Motivation kann unterstützt werden, wenn Pati-enten in den Th erapieprozess miteingebunden werden und z.B. selber die Ziele oder Th erapiefrequenz mitbestimmen dürfen. Auch Rückfragen zur eigenen Wahrnehmung, z.B.: »Was gelingt Ihnen bei der Übung bereits gut – an was müssten Sie noch arbeiten?« fördern die Motivation und verbessern das Vertrauen in die Eigenwahrnehmung. (siehe dazu auch 7 Kap. 5.3.3)

Motivation hat einen engen Bezug zur Emotion und ist an das limbische System gekoppelt. So können bildhaft e Vorstellungen Emotionen hervorrufen oder ein Witz kann dazu verhelfen, dass der Patient sich zu Hause an die lustige Th erapiesituation erinnert.

5.3.7 Umgebung

Antoinette Gentile (2000) hat Bewegungen in 16 Aufga-ben in Bezug auf. Handlungen eingeteilt. Sie stellt einen Bezug der Aufgabe sowohl zur Umgebung als auch zum Menschen her. Die Klassifi zierung erfolgt nach Kriterien wie z.B. repetitive oder variierende Bewegungen und zusätzliche Bewegungen der Extremitäten. So entstehen sog. geschlossene und off ene Aufgaben.

BeispielEin Beispiel für eine geschlossene Aufgabe in einer nicht variierenden Umgebung und mit stabilem (standortkonstantem) Körper und ohne Extremitä-tenbewegungen ist das Sitzen oder das Stehen. Ein Beispiel für eine off ene Aufgabe in einer variierenden Umgebung und mit bewegtem (standortverän-dertem) Körper und mit Extremitätenbewegungen ist das Rennen, um einen Ball zu fangen oder durch eine Menschenmenge zu gehen und ein strampelndes Kind zu halten.

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55.4 · Physisches Üben

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Bei geschlossenen Aufgaben ist es dem Gehirn eher möglich zu antizipieren, ohne dabei viele Informati-onen verarbeiten zu müssen.Dagegen erfordern off ene Aufgaben viel Aufmerk-samkeit und eine große Menge an Informationsver-arbeitungsprozessen. Off ene Aufgaben sollen zur Selbständigkeit im Alltag hinführen.

Klinische RelevanzDie Taxonomie (Klassifi zierung) nach Gentile kann zur Progression innerhalb der Behandlungen gesehen werden. Wenn ein Bewegungsablauf, z.B. das Gehen im Behandlungsraum (gemäß Gentile wäre dies eine geschlossene Aufgabe), gelernt wurde, dann muss das Gehen zunehmend in eine off ene Aufgabe verändert werden: Eine Patientin nach einer Hüftoperation soll lernen, in der Eingangshalle in einer Menschenmenge mit dem Strom oder dagegen zu gehen. Oder sie muss z.B. an Lifttüren vorbeigehen, die sich plötzlich öff nen könnten. In der Betrachtungsweise der ICF würde dies als eine zur Partizipation hinführende Progression bezeichnet wer-den.Zudem dient die Taxonomie einem Setting-Vergleich während der Therapie. Sie beschreibt, welche Tätigkeiten der Patient in der Therapiesituation schon kann und auch, was er noch lernen muss, um sie in den Alltag umsetzen zu können (Nicholson 2002).

5.4 Physisches Üben

5.4.1 Bedeutung des physischen Übens

Lernen oder Wiedererlernen einer motorischen Fertigkeit erfordert

konsequentes Feedback, Variabilität des Übens, situationsbezogene Gleichwertigkeit und Zielbezug.

Es kann gesagt werden, dass der Umfang des Übens in direktem Zusammenhang mit dem Gelernten steht: Ent-weder muss während der Behandlungssequenz mehr geübt werden oder vermehrt zu Hause oder in Gruppen. Wiederholungen sind nötig, v.a. langsames Lernen basiert auf Wiederholungen (Bader-Johansson 2000).

Das Ziel des Übens soll immer sein, die Übungsbedin-gungen so zu konzipieren, dass sie mit höchster Wahr-

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scheinlichkeit die erfolgreiche Ausführung in der entspre-chend benötigten Alltagssituation ermöglichen werden (Magill 2001). Alle Beteiligten sind daran interessiert, dass die Trainingsresultate in den Alltag transferierbar sein müs-sen.

U.a. wurden folgende Aspekte innerhalb des phy-sischen Übens erforscht:

Variabilität des Übensrepetitives Üben Üben von Teilen oder Üben des Ganzen

5.4.2 Variieren

Es gibt die Möglichkeit, eine Bewegung blockweise zu üben, d.h. sie einige Male nacheinander auszuführen oder die entsprechende Bewegung zufällig im Wechsel mit einer anderen Variante zu üben. Diese beiden Formen des Übens wurden untersucht, und die Resultate wurden unter dem Gesichtspunkt der »kontextuellen Interferenz« erklärt: (»Interferenz«: in der Lernpsychologie die Beein-fl ussung eines Gedächtnisinhalts durch einen anderen; »kontextuell«: andere Gedächtnisinhalte betreff end).

Probleme, zu deren Lösung jeweils unterschiedliche Denkprozesse erforderlich sind, weisen eine hohe kontextuelle Interferenz auf;Probleme, die prinzipiell auf ein und dieselbe Art zu lösen sind, eine niedrige kontextuelle Interferenz.

Eine hohe kontextuelle Interferenz führt beim Lernen zu höherer kognitiver Belastung und zu längerer Bearbei-tungszeit, aber auch zu einem besseren Transferergebnis (Merrienboer, Schuurmann et al. 2002)

Das blockweise Üben eignet sich laut Shea besser fürs Lernen, während sich der zufällige Modus besser fürs Transferieren unter verschiedenen Bedingungen eignet (Shea 1979).

Variables Üben erleichtert das Lernen einfacher Aufga-ben, während es für das Lernen komplexer Aufgaben eher ungünstig ist (Wulf 1999).

Obwohl die Aussagen, die sich aus Studien ergeben haben, noch uneinheitlich sind, wird empfohlen, variable Faktoren zu trainieren. So soll z.B. die Gehgeschwindigkeit je nach Situation und Umgebung (Gentile 2000) variabel geübt werden, wenn sich der Lernende im öff entlichen Leben bewegen soll.

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5.4.3 Repetieren

Wiederholungen sind nötig, damit Lernen stattfi nden kann. Spitzer (2003) spricht von 1–2 Millionen Wieder-holungen, bevor das Gehirn eine Bewegung umprogram-mieren kann. Die Anzahl der Wiederholungen allein ist kein Qualitätsmerkmal. Sicher ist, dass sich durch repe-titives Üben die Geschwindigkeit der Bewegung und die Kraft verbessert.

Bernstein sagte bereits 1967, dass es keine Repetition der Repetition geben soll, d.h. das stereotype Wiederholen einer Bewegung ist für das Bewegungslernen nicht hilf-reich. Diese Aussage hat bis heute Gültigkeit, wenn auch in modifi zierter Form: Demnach erleichtert stereotypes Repetieren dem Gehirn stabile motorische Programme zu bilden, diese sind aber in dieser Form nicht ohne Weiteres in den Alltag übertragbar. So wird das stereotype Repe-tieren der Kniestreckung zwar die Kraft verbessern und die Bewegung anbahnen, den Patienten aber nicht dazu befähigen, Treppen hochzusteigen.

5.4.4 Segmentieren

Der Vorteil des Übens einer gesamten Bewegungsse-quenz ist, dass der Lernende ein besseres Gefühl für den zeitlichen Ablauf (das Timing) und den Bewegungsfl uss bekommt. Der Vorteil des Übens einzelner Teile ist, dass die Komplexität der Aufgabe reduziert wird. Welche der Methoden anzuwenden ist, hängt von der zu lernenden Fertigkeit ab (Komplexität und Organisationsaufwand).

Naylor und Briggs (1963) defi nieren Komplexität als Anzahl der Komponenten in einer Fertigkeit und auch als Anforderungen an die Informationsverarbeitung. D. h. komplexe Aufgaben haben viele Komponenten und erfordern ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, vor allem von Anfängern. Dazu gehören z.B. »Transfer vom Boden in den Rollstuhl« oder »Tennisball schlagen«. Nicht kom-plexe Aufgaben sind z. B. das Anheben eine Tasse vom Tisch oder das Abschießen eines Pfeils vom Bogen. Kom-plex darf nicht mit schwierig verwechselt werden. Eine nicht komplexe Aufgabe kann trotzdem schwierig auszu-führen sein.

Wenn die Organisation (Anforderungen an die Infor-mationsverarbeitung) der Komponenten untereinander stark voneinander abhängig sind, dann ist der Organisa-tionsaufwand für das Gehirn hoch (Gehen, Basketball ins Netz werfen).

Bei niedriger Komplexität und hohem Organisations-aufwand soll ganzheitlich geübt werden. Beispiele dafür sind »Ball werfen«, »Knopf zuknöpfen«, »Golf-ball einputten«.Ist die Komplexität hoch und der Organisationsauf-wand niedrig dann wird eher empfohlen in Teilen zu üben z.B. »Aufschlag beim Tennis«, »greifen«, »aus einem Glas trinken«, »Schalten im Auto«.

Klinische Relevanz:Die Aufgabe der Therapeuten besteht darin, zuerst die Komplexität und den Organisationsaufwand einer Bewe-gung zu analysieren. In einem weiteren Schritt gilt es dann aus den unterschiedlichen Methoden auszuwählen. Teile einer Aufgabe können folgendermaßen geübt werden:

Fraktionieren (einzelne Komponenten Üben)Segmentieren (Aufgabe unterteilen, dann den ersten Teil Üben und danach den ersten und den zweiten usw. Diese Methode wird auch Kettenmethode oder progressive Teilmethode genannt.) Simplifi zieren (Schwierigkeit einzelner Teile wird reduziert; ist eine Variation des ganzheitlichen Übens) Ganzheitliches Üben ist manchmal angebrachter und kann mit dem Teil-Üben ergänzt werden, indem die Aufmerksamkeit auf bestimmte Teile der Bewegung gelenkt wird. Die Menge an verfügbarer Aufmerk-samkeit ist dabei zu berücksichtigen (7 Kap. 5.2.3, »dual task«).

Hirsch und Hirsch (2005) empfehlen, zum Wiedererlernen einer Bewegung die gesamte Aufgabe zu wiederholen.

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Instruktionsverhalten

6.1 Orientierung des Menschen – 1296.1.1 Sich am eigenen Körper

orientieren – 1306.1.2 Sich im Raum orientieren – 1316.1.3 Sich vom eigenen Körper aus

orientieren – 132

6.2 Motivation fördern – 132

6.3 Zielorientiert handeln – 132

6.4 Prozessorientiert handeln – 134

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Kapitel 6 · Instruktionsverhalten

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Ein Patient erlebt häufi g, dass ihm bestimmte Bewe-gungen schwer fallen. Er muss deshalb lernen, das Opti-mum im Bereich seiner eigenen Möglichkeiten zu erken-nen und wiederzuerlangen. Besonderes Lob bekommt er jedoch nur für die Fertigkeiten, die er beherrscht, auch wenn er dafür keinen besonderen Einsatz leisten musste. Die Aufgabe des Th erapeuten besteht nun auch darin, das Ausmaß an Anstrengung und Geduld, das er dafür auf-bringen muss, anzuerkennen und zu loben. Der Th erapeut begleitet den Patienten, und er holt ihn stets »dort ab, wo er gerade steht«. Zu Beginn sind weit reichende Lernhil-fen nötig, die im Laufe der Behandlung abgebaut werden sollten. Damit erhält der Patient die Chance, so früh wie möglich eigenständig und unabhängig von Fremdkontrolle Bewegungen wieder bzw. neu zu erlernen und zu üben.

Es ist die Aufgabe des Th erapeuten, Änderungen im Bewegungsverhalten des Patienten zu bewirken (verändern kann es nur der Patient selbst) und ihn zunehmend eigen-ständig und unabhängig von der Th erapie zu machen. Dies kann

durch »Be-Handlung« und/oderdurch didaktische Bewegungsschulunggeschehen. Beides hat das Ziel, die Orientierung des

Patienten am eigenen Körper zu verbessern, damit er lernt, sich selektiv und diff erenziert zu stabilisieren und zu bewegen.

»Didaktik« stammt aus dem Griechischen (»didas-kein«) und heißt wörtlich »Lehre«. Didaktisch gehandelt wird überall im Alltag, wenn etwas mitgeteilt oder erklärt wird. Meist soll der Lernende zu einer bestimmten Hand-lung animiert und befähigt werden. Dafür lassen sich pragmatische Regeln aufstellen. Die Mitteilung soll

dem Ziel, den Erwartungen und dem Verständnis des Lernenden entsprechen,klar und verständlich sein,sich auf das Wesentliche konzentrieren undRückfragen zulassen.

In der physiotherapeutischen Behandlung kommt es neben der Sachkompetenz des Lehrenden auch auf seine didaktische Professionalität an. Bewegung übt sich selbst, solange sich der Mensch bewegt. Die Aufgabe des Th e-rapeuten besteht u. a. darin, diese Dauerübung richtig zu lenken. Dazu muss er die Fähigkeiten des Patienten nutzen, jedoch auch die vom Körper verlangte Schonung berücksichtigen.

Normales Bewegungsverhalten entzieht sich weitest-gehend der Steuerung durch das Bewusstsein. Der Ver-

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such, das Bewegungsverhalten bewusst zu steuern, erzeugt Hyperaktivität. Dem Patienten muss jedoch sein Bewe-gungsverhalten während des Lernprozesses durch geeig-nete Wahrnehmungssignale bewusst gemacht werden.

Die Vorstellung von Bewegung (»image motrice«, »mentales Training«), das Wiederholen von Bewegung sowie das Rekapitulieren der Bewegung, bahnt einen Ablauf. Lernen ist ein Prozess: Erfahrung baut auf früheren Erfahrungen auf, Wissen entsteht aus vorhandenem Wis-sen. Lernen erfolgt also nach gelernten und »bewährten« Mustern. Gelernt wird nicht, was einem »gesagt« wird, sondern was als relevant, bedeutsam und integrierbar erlebt wird. Deshalb sollte in der Lernsituation auf Fol-gendes geachtet werden:

Der Patient soll immer vorher darüber informiert werden, was der Th erapeut plant; sei es, das Gewicht des Beins zu übernehmen, die Schulter in eine bestimmte Richtung zu bewegen oder einen Wider-stand zu halten.Die Aufmerksamkeit des Patienten muss sicherge-stellt werden, und es muss ihm die Zeit gegeben wer-den, sich auf die geplante Aktion einzustellen. Nur so kann er den Auft rag auch erfüllen.Wenn sich der Patient im Anschluss an die Bewegung noch einmal rückbesinnt, »sich mit seinem inneren Auge anschaut«, fördert das den Lernprozess und die spätere Abrufb arkeit des Gelernten.

Man unterscheidet zwischen verbaler und nonverbaler Instruktion. Einerseits muss der Th erapeut »die richtigen Worte fi nden«, andererseits auch seine Hände »zur rech-ten Zeit am richtigen Ort« haben. Die individuellen Hil-fen, die ein Patient auf seinem Lernweg benötigt, müssen vom Th erapeuten gezielt ausgewählt werden. Erst dann kann man die Anforderungen an den Patienten opti-mieren. Dabei muss der Th erapeut berücksichtigen, dass Erfolgserlebnisse den späteren Lernerfolg begünstigen.

Die verbale und nonverbale Instruktion durch den Th erapeuten soll dem Patienten ermöglichen, die Orien-tierung am eigenen Körper zu verbessern. Mit manipula-tiver Instruktion fördert der Th erapeut mit seinen Händen einen Bewegungsablauf, ohne ihn im Wesen zu verän-dern. Der Th erapeut bezeichnet durch Worte, Gebärden oder Manipulation

Punkte am Körper des Patienten. Ihr Abstand kann sich vergrößern, verkleinern, oder unverändert blei-ben. Dabei können sich beide Punkte oder nur einer bewegen. Auf diese Weise können gezielt Bewegungs-

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66.1 · Orientierung des Menschen

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ausschläge in bestimmten Gelenken hervorgerufen werden. Bewegungsauft räge, bei denen manche Punkte in bestimmte Richtungen geleitet werden, während andere still stehen oder eine andere Rich-tung einschlagen, können sehr diff erenzierte Bewe-gungsabläufe nach genauem Plan veranlassen;topographisch umschriebene Hautzonen. Der Patient kann die Haut glätten oder in Falten legen. Ein sol-cher Auft rag aktiviert bestimmte Muskeln, die sich verlängern oder verkürzen sollen;fi xe oder mobile Punkte in der Umwelt. Zu ihnen kön-nen sich körpereigene Punkte hin- oder von ihnen wegbewegen. Sie sollen berührt werden, oder gegen sie soll Druck ausgeübt oder aufgegeben werden;Bewegungsrichtungen für körpereigene Punkte,

die sich an der Schwerkraft orientieren (nach oben/nach unten bewegen). Solche Auft räge initiieren das Heben und das Senken von Gewichten des Körpers, der Körperabschnitte oder Teilen davon. Mit diesen Auft rägen steuert der Th erapeut gezielt die Be- oder Entlastung bestimmter Strukturen;die die Orientierung vom eigenen Körper aus benut-zen. Solche Auft räge veranlassen, dass der Körper oder nur Teile davon horizontal nach vorn, hinten, rechts oder links transportiert werden. Horizontale Gewichtsverschiebungen haben eindeutige Gleich-gewichtsreaktionen in Form von Veränderung der Unterstützungsfl äche oder Einsetzen von Gegenge-wichten zur Folge.

6.1 Orientierung des Menschen

Ein Mensch, der sich am eigenen Körper, im Raum und von seinem eigenen Körper aus nicht orientieren kann, hat eine gestörte Wahrnehmung und kann sich daher nicht normal bewegen.

Patient und Th erapeut stehen unter dem Einfl uss ana-loger Sinneseindrücke. Bei beiden leiten Bewegungen Informationen an das zentrale Nervensystem. Doch wenn sich Th erapeut und Patient über bestimmte Bewegungs-abläufe verständigen wollen, besteht zwischen beiden ein Unterschied: Der Th erapeut übernimmt gleichsam die Rolle des Lehrers. Von ihm wird eine zusätzliche Leistung erwartet: Seine Anweisungen müssen für den Patienten wahrnehmbare Inhalte ansprechen, damit sie vom Pati-enten auch ausgeführt werden können.

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BeispielMuskelaktivität im Rahmen gewohnter Intensität kann nicht wahrgenommen werden. Sie kann aber durch Betasten des eigenen Körpers gespürt werden (. Abb. 6.1 a, b). Der Therapeut muss also »zur rech-ten Zeit das rechte Wort« fi nden.

Wichtig

Die Orientierungen des Menschen bieten dem Therapeuten den wesentlichen Wortschatz für die Verständigung mit dem Patienten.

Abb. .. a, b Palpieren von Muskelaktivität beim »Klötzchenspiel«.

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6.1.1 Sich am eigenen Körper orientieren

Die Orientierung am eigenen Körper ist eine Leistung unserer kinästhetischen Wahrnehmung, insbesondere der Tiefensensibilität. Sie vermittelt

die Wahrnehmung bestimmter Positionen des Kör-persdie Wahrnehmung einer Bewegungsrichtung sowie Distanzempfi ndungen von Körperpunkten.

Wichtig

Die Orientierung am eigenen Körper liefert uns eine Anzahl von Begriff en, die sich für Bewegungsaufträge eignen, weil sie die Wahrnehmung direkt ansprechen.

Positionen des Körpers empfi ndenBei intakter Tiefensensibilität wissen wir immer, wo sich Teile unseres Körpers befi nden, gleichgültig in welcher Position wir sind, ob wir uns bewegen oder nicht. Ohne zu überlegen oder hinzusehen, gelingt es uns, beliebige Körperteile anzufassen, soweit es unsere Beweglichkeit erlaubt. Wir wissen ebenfalls, in welchen Stellungen sich unsere Gelenke befi nden, ob z.B. die Hand zur Faust geschlossen ist oder ob die Hände auf den Oberschenkeln liegen.

Distanz empfi ndenDie Wahrnehmung von Distanzen und/oder deren Ver-änderung ist ebenfalls eine Fähigkeit, sich am eigenen Körper zu orientieren. Es gelingt uns jederzeit, z.B. den Abstand der Schultergelenke mit den Händen zu zeigen oder die Füße beckenbreit auseinander zu stellen.

Distanz verändernDie Wahrnehmung einer Distanzveränderung ermögli-cht es, auch minimale Gelenkstellungsänderungen her-beizuführen. Wir können jederzeit der Auff orderung nachkommen, die Entfernung vom Kinn zum Brustbein zu verringern oder die Ferse 10 cm näher zum Gesäß zu bringen. Vor allem Wirbelsäulenbewegungen können durch Abstandsveränderung gelenkt und verbessert wer-den (. Abb. 6.2).

Richtungen wahrnehmenExtremitätenbewegungen zeichnen sich dadurch aus, dass sich Hände und Füße geradlinig bewegen können, wenn

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Ellenbogen- und Kniegelenke frei beweglich sind. Selbst komplexe Bewegungen sind durch die Fähigkeit zur Rich-tungswahrnehmung einfach durchzuführen.

Kritischer DistanzpunktZur Beobachtung und Instruktion einer Bewegung,

die auch angrenzende Gelenke weiterlaufend erfasst, dient der kritische Distanzpunkt (kDP). Er ist der Punkt am Kör-per, der die Bewegungsrichtung eindeutig beibehält. Die Angabe der Richtung und des Bewegungsausmaßes dieses Punktes erleichtern dem Patienten das Ausführen eines Bewegungsauft rags entscheidend. Für den Th erapeuten ist der kritische Distanzpunkt ein nützliches Hilfsmittel, um die Bewegung zu analysieren.

BeispielDie Instruktion eines ungewohnten Bewegungs-ablaufs wird erleichtert, wenn der Patient über den geradlinigen Weg, den beispielsweise die Ferse (kritischer Distanzpunkt) macht, informiert wird. Bewegungen der Wirbelsäule können vom Thera-peuten durch eindeutige Richtungsangaben für den Weg des Brustbeins gelenkt werden. Durch einen kreisbogigen Bewegungsauftrag z.B. der Sternumspitze (kritischer Distanzpunkt) erreicht man fl exorische und extensorische Bewegungen im zervikothorakalen und lumbothorakalen Übergang. Mit der Instruktion einer geradlinigen Richtung des gleichen Distanzpunkts triff t man die mittlere Brustwirbelsäule.

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Abb. .. Distanzveränderungen.

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66.1 · Orientierung des Menschen

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6.1.2 Sich im Raum orientieren

Die Wirkung der Schwerkraft lässt den Menschen seine Beziehung zur Umwelt erfahren. Er erlebt den Druck, den die Gewichte seines Körpers auf die Unterlage aus-üben. Mit Druckverminderung oder -verstärkung kann er sein Körpergewicht auf der Unterlage umverteilen (. Abb. 6.3 a–c).

Wichtig

Druckerhöhung ist immer mit einer Gewichtsumver-teilung innerhalb des Körpers verbunden. Dazu benö-tigt der Körper Bewegungstoleranzen nach oben

BeispielUm aus dem Zweibeinstand das Gehen zu star-ten, ist es notwendig, ein Bein zum Spielbein zu machen. Dazu muss man das ganze Körper-gewicht über das Standbein bringen. Wenn der Auftrag lautet, das linke Bein abzuheben, neigt sich der Körper nach hinten oder zur Seite, um das Gleichgewicht zu erhalten. Diese Gewichts-verschiebung entgegen der Vorwärtsrichtung wäre ein schlechter Start Der Bewegungsauftrag »Drücken Sie mit der rechten Fußsohle noch fester auf den Boden (und spüren Sie, wie die linke den Kontakt mit dem Boden verliert)« wird als Ergebnis die Einbeinbe-lastung rechts haben. Diese Belastung wird zum Starten benötigt, und das linke Bein ist reaktions-bereit für den Start des Gehens.

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Abb. .. Das Körpergewicht auf ei-ner Unterlage umverteilen: a Eine Druck-erhöhung unter beiden Fäusten hat ei-ne Gewichtsumverteilung zur Folge. Die Körperabschnitte Becken und Brust-korb werden an den Schultergürtel ge-hängt und wirken somit als Gewicht auf den Fäusten. b Eine Druckerhöhung un-ter der linken Hand hat eine Druckerhö-hung unter der rechten Gesäßhälfte zur Folge. c Eine Druckverstärkung unter der linken Hand und unter dem rechten Knie veranlasst, dass sich die diagonal gegenüberliegenden Extremitäten vom Boden abheben und (je nach Ausmaß) eine Rotation in der Wirbelsäule erfolgt

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Kapitel 6 · Instruktionsverhalten

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6.1.3 Sich vom eigenen Körper aus orientieren

Die Orientierung vom eigenen Körper aus wird durch das Gesichtsfeld in aufrechter Haltung bestimmt. Es ergeben sich dadurch die Richtungsbegriff e vorn, hinten, rechts und links.

ZusammenfassungDie Orientierungen des Menschen bieten dem The-rapeuten den wesentlichen Wortschatz für die Ver-ständigung mit dem Patienten.Wenn der Patient liegt, ist es ratsam, für Bewegungs-aufträge Begriff e aus der Orientierung am eigenen Körper zu benutzen (zum Bauch, zum Kopfende, fußwärts etc.). Steht oder sitzt der Patient, kann die Wahrnehmung des Patienten durch alle 3 Orientierungen stimuliert werden. Jeder Bewegungsablauf muss in seine wahrnehm-baren Inhalte zerlegt werden, damit auch kleine, diff erenzierte Bewegungsabläufe perfekt ausgeführt und in der Wiederholung geübt werden können.

6.2 Motivation fördern

Eine verbale Instruktion setzt voraus, dass der Patient Sprachverständnis besitzt und die Sprache des Th era-peuten versteht. Ein gut verbalisierter Bewegungsauft rag kann mühelos ausgeführt werden, wenn die betreff ende Bewegung für den Patienten machbar ist. Darum muss der Th erapeut die Verständlichkeit seiner Instruktion einer ständigen selbstkritischen Kontrolle unterziehen und im Voraus wissen, was er von dem Patienten verlangen kann:

Bilder fördern die Motivation und appellieren an die Einbildungskraft , die Spiel- und Darstellungsfähig-keiten des Patienten.Melodien und Rhythmen, die das Tempo der Bewe-gung beeinfl ussen, können die Intensität der ökono-mischen Aktivität verändern und die Auswahl der muskulären Beanspruchung bestimmen.Schautafeln, Modelle oder Zeichnungen verdeut-lichen das gewünschte oder unerwünschte Verhalten. Ebenso kann der Th erapeut Bewegungen oder Hal-tungen modellhaft selbst vormachen.

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Eine Übung, die sich bewährt hat, braucht einen Namen, der sich gut einprägt. Dieser kann sich auf das funktionelle Problem beziehen, das die Übung lösen möchte. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sich solche Namen weder beim Th erapeuten und schon gar nicht beim Patienten einprä-gen. Phantasienamen ergeben sich hingegen ganz von selbst. Oft ist es der Patient, der eine Übung »tauft «. Phan-tasienamen bleiben auch ohne ersichtlichen Zusammen-hang mit der Übung gut im Gedächtnis haft en.

Phantasienamen und Bilder enthalten emotionale Potentiale und lösen – mehr als verbale Informationen – Gefühle aus. Sie sind nicht nur schön oder hässlich, son-dern auch witzig, komisch, »verfremdend«, provozierend und motivieren dadurch zum Lernen.

6.3 Zielorientiert handeln

»Wer nicht weiß, wohin er will, braucht sich nicht zu wun-dern, wenn er ganz woanders ankommt.« (R. Mager)

Lehrende und Lernende haben häufi g unterschiedliche Erwartungen. Je mehr Verständigung über diese Erwar-tungen stattfi ndet, desto geringer ist die Gefahr von Ent-täuschungen.

Das Lernziel ergibt sich aus dem funktionellen Pro-blem, das durch die Untersuchung des Patienten gefunden und formuliert worden ist. Es wird gemeinsam mit dem Patienten formuliert und beschreibt die Leistung, die der Patient erbringen soll. Ein solches Vorgehen nimmt die Mündigkeit des Patienten ernst und soll verhindern, dass er in die Schülerrolle zurückfällt. Gleichzeitig erleichtert ihm die strukturierende Vorgabe die Orientierung.

Durch die Anwendung des Analysenkonzepts kann der Th erapeut einen Bewegungsablauf aufschlüsseln, Ein-zelpunkte herausstellen und dementsprechend an den Patienten anpassen. Der Th erapeut lernt dadurch einen Bewegungsablauf so genau kennen, dass er ihn verbal und manipulativ instruieren und die notwendigen Lern-schritte individuell handhaben kann. Über das Perzep-tionspotential des Patienten wird die Wahrnehmung auf seine Fähigkeiten gelenkt, und er kann verloren gegan-gene Bewegungsmuster wieder in sein Bewegungsverhal-ten integrieren.

Perzeptionen sind primär unbewusste Prozesse der Wahrnehmungsverarbeitung. Von außen kommende Informationen werden in das erfahrungsbedingte Welt-verständnis eingeordnet, gedeutet und strukturiert. Sie

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66.3 · Zielorientiert handeln

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sind demnach selektiv-subjektive Bestandsaufnahmen, die als objektiv empfunden werden. Perzeption beschreibt jedoch nicht nur das rein subjektive Ergebnis des Wahr-nehmungsvorgangs, sondern auch die diesem zugrunde liegenden neurophysiologischen Prozesse.

Mittels therapeutischer Übungen versucht der Th era-peut, funktionelle Defi zite auf reaktivem Weg zu überwin-den und diff erenzierte Bewegungsabläufe zu lehren und zu schulen. Die einzelnen Schritte des Analysenkonzeptes ermöglichen ein systematisches Vorgehen bei der Planung und Anpassung einer therapeutischen Übung an den Pati-enten. Dabei ist das normale Bewegungsverhalten immer Leitbild und Ziel der Bewegungstherapie.

Bei der Instruktion eines Bewegungsablaufs ist die Verbalisierung der geplanten Primärbewegung und der notwendigen Bedingungen identisch mit dem Bewegungs-auft rag. Die geplante Reaktion stellt sich unwillkürlich ein, wenn der Bewegungsauft rag verständlich und nachvoll-ziehbar ist.

Übungskonzept – die Strategie preisgebenWenn ein Bewegungsablauf, der im täglichen Leben immer wieder vorkommt, durch Ausweichmechanismen gestört ist, muss der Th erapeut das fehlerhaft e Detail her-ausfi nden und als Übung aufb ereiten. Eine solche Übung muss das Mögliche unter vereinfachten Bedingungen übbar machen. Die Konzeption ist eigentlich die »Erfi n-dung« der Übung.

Ausgangsstellung analysieren – den Beginn fazilitierenDie Konzeption des Bewegungsablaufs bestimmt die Aus-gangsstellung. Diese Position zwingt den Körper zu einem ganz bestimmten Umgang mit seinen Gewichten, je nach-dem, wie die Bewegungsachsen zur Schwerkraft eingestellt sind. Dies muss zunächst analysiert werden.

Über die räumliche Anordnung der Körperabschnitte und ihren Kontakt zur Umwelt ergeben sich die musku-lären Aktivitäten.

Instruktion – die Primärbewegung veranlassenUm ein bewusstes Bewegungsziel zu erreichen, nutzt der Mensch automatische Bewegungsabläufe – er kennt das Ziel, und der Weg vollzieht sich reaktiv. Das Bewegungs-geschehen kommt uns immer nur dann zu Bewusstsein, wenn wir ermüden, die Bewegung ungewohnte Anstren-gungen verlangt oder wir sie noch nicht beherrschen.

Die Primärbewegung ist ein Teil der Instruktion und der Teil eines Bewegungsablaufs, der bewusst ausgeführt und instruiert wird. Sie hat weiterlaufende Bewegungen und spontane Gleichgewichtsreaktionen zur Folge. Diese Reaktion ist vom Th erapeuten geplant und sein Th erapie-ziel. Er versucht dadurch, Ausweichmechanismen erst gar nicht zu starten.

Wenn der Th erapeut eine weiterlaufende Bewegung veranlassen will, muss er zur Instruktion den Punkt am Körper des Patienten fi nden, dessen räumlicher Weg die weiterlaufende Bewegung eindeutig veranlasst. Die hori-zontale Komponente einer Bewegung führt zu Gleichge-wichtsreaktionen:

Gewichte werden bremsend eingesetzt.Die Unterstützungsfl äche wird verändert.Muskelaktivität begrenzt Gewichtsverschiebungen. Dabei verändert sich der Druck innerhalb der Unter-stützungsfl äche.

Den Bewegungsablauf in die gewünschte Form bringenDer Körper hat unzählige Möglichkeiten, einen Bewe-gungsauft rag auszuführen. Ohne das Einhalten von Bedingungen sind Ausweichbewegungen vorprogram-miert, weil der Patient einen Bewegungsauft rag in der für ihn bequemsten Form erfüllt. Wenn der Th erapeut die typischen Varianten eines Bewegungsablaufs kennt, fi ndet er auch die Mittel, diese einzugrenzen.

Wichtig

Der Bewegungsauftrag, der die gewünschte Bewe-gung hervorruft, lautet: »Wenn ... dann.«

Der Th erapeut instruiert die Primärbewegung und bestimmt die Bedingungen in Form von

gleich bleibenden Abständen zwischen körpereigenen Punkten,gleich bleibenden Abständen zwischen Körperpunk-ten/-achsen/-ebenen und der Umwelt,räumlichen Fixpunkten,Tempo.

Die Begrenzungen müssen vom Th erapeuten geplant wer-den. Er weiß, dass der Körper weiterlaufende Bewegungen durch Stabilisierung verhindert und auf horizontal ver-schobene Gewichte mit dem Einsatz von Gegengewichten reagiert.

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6.4 Prozessorientiert handeln

Die Anpassung einer Übung an die Konstitution eines Pati-enten ist von größter Wichtigkeit (7 Kap. 3.9.1). Durch die Unterschiede von Längen, Breiten, Tiefen und Gewichts-verteilung sind Bewegungen für den einen Patienten leicht durchführbar und für den anderen Patienten unmöglich erlernbar.

Bewegungseinschränkungen einerseits und Hypermo-bilitäten andererseits verlangen viel Kontrolle. Bei Hypermobilitäten werden die Übungen so gewählt, dass die Gelenkstellungen vor ihren endgradigen Möglich-keiten stabilisiert werden müssen. Bewegungseinschrän-kungen können mit Gegenaktivitäten (7 Kap. 2.3.1) oft erfolgreich gemindert werden.

Treten Schmerzen auf, die auch unmittelbar im Anschluss an die betreff ende Bewegung persistieren, ist diese Übung ungeeignet.

Schwäche und Reaktionsträgheit der Muskulatur ver-langen Geduld und als Anpassung eine Verminderung der Hubbelastung, ggf. auch des Bewegungsausmaßes. Wenn diese Faktoren keine neurologische Ursache haben, kann mit Geschicklichkeitstraining sehr viel erreicht werden. Vor allem Übungen mit einem beschleunigenden Faktor sind hier hilfreich.

Bei zentralnervösen Störungen müssen auf dem Weg von der Grob- zur Feinkoordination mehr Übungsauf-wand und größere manipulative Hilfe eingeplant werden.

ZusammenfassungDer Schwerpunkt jeder physiotherapeutischen Behandlung liegt darin, Änderungen im Bewegungs-verhalten des Patienten zu bewirken, um ihn zuneh-mend unabhängig von Therapie zu machen. Dazu muss der Patient lernen, sich am eigenen Körper zu orientieren und sich selektiv und diff erenziert zu sta-bilisieren und zu bewegen. Das Erlernen komplexer Bewegungsabläufe zur reaktiven Überwindung funktioneller Defi zite geschieht mittels therapeu-tischer Übungen. Der Therapeut übernimmt dabei die Rolle des Lehrers. Durch konkrete Anweisungen mit wahrnehmbaren Inhalten und dem Einsatz indi-vidueller Lernhilfen wird die Wahrnehmung auf die Fähigkeiten des Patienten gelenkt. Es gelingt dem Patienten dadurch zunehmend, die Kontrolle über sein Bewegungssystem wiederzuerlangen.

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Therapeutische Übungen

7.1 Selektives Muskeltraining – 136

7.2 Analysenkonzept – 1367.2.1 »Klötzchen-Spiel« – 137

7.3 Hubfreie Mobilisation – 141

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Mit Hilfe der therapeutischen Übungen bestimmt der Th erapeut aufgrund der gefundenen Defi zite und Res-sourcen, welche Anforderungen er in Form von Belastung der Muskulatur, Koordinationsfähigkeit und Beweglich-keit der Gelenke dem Patienten zumuten kann und will. Die automatischen Gleichgewichtsreaktionen sollen das beabsichtigte Lernziel einer therapeutischen Übung sein. Das garantiert eine spontane Bewegung, die zur richtigen Zeit mit adäquater Muskelaktivität eingesetzt und nicht willentlich gesteuert ist.

7.1 Selektives Muskeltraining

Umgang mit Gewichten

Muskeln können mit dem eigenen Körpergewicht oder mit Fremdgewichten, z.B. Hanteln oder Expandern, belas-tet werden (7 Kap. 1.9).

Aus der Art und Weise, wie der Körper seine eigenen Gewichte bewegt oder stabilisiert, resultiert die Hubbela-stung. Muskeln können

mit positivem Hub bewegen und Gewichte nach oben heben,mit negativem Hub bewegen und Gewichte bremsend nach unten senken,hubfrei bewegen und Gewichte horizontal verschie-ben,stabilisierend arbeiten und die Gewichte am Fallen hindern.

Muskeln, die ein Gelenk mit mehr als einem Freiheitsgrad überbrücken, können auf diese Weise unterschiedlich belastet werden.

Verbindung des Körpers mit der Umwelt

Aus der Art der Verbindung des Körpers mit der Umwelt (7 Kap. 2.5.4) resultieren gegen die Schwerkraft gerichtete muskuläre Aktivitäten. Die Entscheidung darüber, ob ein Muskel in off ener oder geschlossener Kette arbeiten soll, ist z.B. von seiner Funktion im Alltag abhängig.

Vorstellung von Gewichten oder Widerständen

Durch die Vorstellung von nicht existenten Gewichten oder Widerständen wird die gelenkumgebende Musku-latur im Sinne einer Kokontraktion innerviert und das Gelenk somit stabilisiert.

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Arbeitsweise mehrgelenkiger Muskeln

Für eine physiologische Verkürzung der Bauchmuskula-tur und im Interesse einer ökonomischen Haltung und Atmung müssen bei einem selektiven Muskeltraining die kaudalen Anteile des M. rectus abdominis verkürzt wer-den, während die kranialen Anteile ihre Länge beibehal-ten sollen. Nur so kann der M. transversus mit den Mm. obliquii die optimale Spannung aufb auen.

Einsatz von Tempo

Mit Hilfe von Temposteigerung kann man gezielt bestimmte Muskelgruppen entlasten und/oder Insuffi -zienzen überspielen. Durch eine Temposteigerung kann man eine Leistungssteigerung für bestimmte Muskelgrup-pen bewirken.

7.2 Analysenkonzept

Voraussetzung für erfolgreiches therapeutisches Üben ist die Wahl einer geeigneten Übung. Das Analysenkonzept der funktionellen Bewegungslehre ist ein Hilfsmittel zum Verständnis einer therapeutischen Übung.

Mit dem Analysenkonzept lernt der Th erapeut,das Lernziel zur Überwindung eines funktionellen Problems zu formulieren,eine klar umrissene Grundvorstellung von einer the-rapeutischen Modellübung zu gewinnen,eine mögliche Übungsanleitung kennen, um den Bewegungsablauf in die gewünschte Form zu brin-gen,konkrete Hilfestellungen anzubieten,Anpassungen auszuwählen,die Ausgangsstellung und den Bewegungsablauf zu analysieren.

Dieses Hilfsmittel für den Therapeuten wird nachfolgend exemplarisch an der therapeutischen Übung »Das Klötz-chen-Spiel« dargestellt. Diese Grundübung für statisch bedingte Wirbelsäulen- und Hüft gelenkprobleme eignet sich besonders, um dem Patienten eine ökonomische Haltung zu vermitteln. Eine Vielzahl von Modellübungen fi nden sich im Buch »Th erapeutische Übungen zur Funk-tionellen Bewegungslehre« (Eicke-Wieser, 2006).

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77.2 · Analysenkonzept

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7.2.1 »Klötzchen-Spiel«

LernzielDer Patient soll lernen

die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in die vertikal stehende Körperlängsachse einzuordnen.durch Selbstpalpation das Gefühl für eine ökono-mische Haltung wieder zu fi nden.die Körperlängsachse auch dann zu erhalten, wenn sie sich aus der Vertikalen neigt.

LernwegDer gedankliche Entwurf enthält alle therapeutischen Überlegungen, die sich aus dem Lernziel ergeben.

Wichtig

Die Planung, wie bestimmte Strukturen be- oder entlastet werden und welche Reaktionen gewünscht werden, bestimmt die Ausgangsstellung.

Der Lernweg beinhaltetdie Erfi ndung (Konzeption) der Übung,eine mögliche Übungsanleitung,Hinweise aus der Praxis undAnpassungen an den Patienten.

KonzeptUm die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in die vertikal stehende Körperlängsachse einordnen zu können, soll der Patient über Eck auf einer Kiste oder einem Hocker sitzen. Dann haben die dorsalen Seiten der Oberschenkel keinen Kontakt mit der Sitzfl äche, und der Körperabschnitt Becken ist in den Hüft - und Lendenwir-belsäulengelenken potentiell beweglich (. Abb. 7.1a).

Wenn sich die 3 Körperabschnitte gemeinsam nach vorne und hinten, fl exorisch und extensorisch in den Hüft gelenken, bewegen, muss die Muskulatur die Kör-perlängsachse dynamisch stabilisieren. Wenn der Blick weiter nach vorne gerichtet bleiben soll, sind minimale Bewegungen in den oberen Kopfgelenken erforderlich. Um bei Bewegungen nach hinten Abscherbelastungen im lumbosakralen Übergang zu vermeiden, müssen dort ebenfalls minimale Gelenkstellungsänderungen gesche-hen (. Abb. 7.1b und c).

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Übungsanleitung

Ausgangsstellung:»Setzen Sie sich über Eck auf eine Kiste. Die Fersen stehen unter den Kniegelenken und die Oberschenkel und die Füße schauen ein wenig nach außen.«

»Wenn Sie das Becken abwechselnd nach vorne und nach hinten bewegen, spüren Sie, wie sie größer und kleiner werden und einmal vor und einmal hinter den Sitzknochen (Sitzbeinen, Sitzhöckern) sitzen. Wenn Sie hinter den Sitzknochen sitzen, sinkt auch der Brustkorb ein wenig nach unten. Wenn Sie weiterhin nach vorne blicken, wird der Hals vorne lang. Wenn Sie sich wieder davor setzen, hebt sich der Brustkorb, und der Nacken wird hinten lang.«

»Immer dann, wenn Sie genau auf den Sitzknochen sitzen, sind Sie am größten. Das ist die richtige Position für die 3 Klötzchen Becken, Brustkorb und Kopf.«

Bewegungsablauf:»Eine Hand fasst mit Daumen und Mittelfi nger den Abstand vom Bauchnabel zum Schambein und die ande-re den Abstand vom Bauchnabel zur Brustbeinspitze. Wenn sich das Türmchen nach vorne bewegt, müssen die Abstände immer gleich groß bleiben. Wenn es sich nach hinten neigt, darf der Unterbauch etwas kürzer werden.«

»Nun legt sich eine Hand auf den Bauch, die andere auf den Rücken. Immer, wenn sich das Türmchen nach vorne neigt, nimmt der Druck unter den Füßen zu, bei der Rückneigung nimmt er ab. Wenn die Muskeln am Rücken fester werden, sagen Sie »Schnipp«, und wenn sie am Bauch anspringen, sagen Sie »Schnapp«. Jetzt wird die Bewegung immer kleiner, dafür schneller. Zwischen der Hin- und Herbewegung gibt es einen Moment, in dem die Muskeln am Rücken und am Bauch gleich wenig arbeiten müssen. Dann ist das Türmchen senkrecht, und Sie sitzen gerade.« (. Abb. 7.1 a-e)

HinweisDer Therapeut kann das Brustkorbgewicht teil-weise übernehmen. Damit reduziert sich in der Ausgangsstellung die stabilisierende Aktivität der Extensoren der Brustwirbelsäule und bei der Vor- und Rückneigung diejenige der Bauch- und Rü-ckenmuskulatur (. Abb. 7.2 a, b).

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Kapitel 7 · Therapeutische Übungen

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Abb. .. a-e Klötzchenspiel: a, b Wahrnehmung der Becken, Brustkorb- und Kopfbewegungen; c Einordnung der Körperab-schnitte Becken, Brustkorb und Kopf in die vertikal stehende Körperlängsachse; d, e Selbstpalpation der automatisch einset-zenden Aktivität der lumbalen und zervikalen Muskulatur

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Abb. .. a, b Übernahme des Brustkorbge-wichts durch die Therapeutin.

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77.2 · Analysenkonzept

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Um fl exorische und extensorische oder transla-torische Bewegungen in der Wirbelsäule zu ver-hindern, kann der Therapeut Brustkorb und Be-cken »schienen« und das Ausmaß der Bewegung begrenzen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Primärbewegung vom Brustkorb eingeleitet wird und die Abstände am eigenen Körper nicht beibehalten werden. Der Therapeut kann dann die Primärbewegung vom Becken aus instruieren und manipulieren (»Wenn sich das Steißbein zum Boden bewegt, nimmt das Becken den Brust-korb mit nach hinten.« oder: »Das Becken hat ein wenig Vorsprung und nimmt den Brustkorb mit nach vorne.«).Die Translation des Kopfs nach vorne und hin-ten kann der Patient vermeiden, indem er mit ei-ner Hand den Abstand der Incisura jugularis zum Kinn prüft.Ein Stab, vom Patienten selbst den Rücken ge-halten, eignet sich nicht, um den Bewegungsab-lauf zu lehren. Zum einen erfassen die weiterlau-fenden Bewegungen der Arme die Wirbelsäule (fl exorisch und lateralfl exorisch), und der Patient kann die »Klötzchen« nicht in die Körperlängs-achse einordnen. Die erforderlichen minimalen Gelenkstellungsänderungen werden in den Kopf- und Lendenwirbelgelenken begrenzt. Die Wahr-nehmung wird auf einen Gegenstand außerhalb des Körpers gelenkt. Der Patient erhält also kei-nerlei Informationen, was er an seinem eigenen Körper verändern oder beibehalten muss. Er kann weder Abstände tasten noch die Anspannung der Bauch- und Rückenmuskulatur palpieren. Oft muss außerdem die Nullstellung der Lenden-wirbelsäule zugunsten einer vermehrten Lordo-se aufgegeben werden, weil sonst die Hand dort den Stab nicht umgreifen kann.Ein Spiegel kann bei deutlichen Ausweichbewe-gungen hilfreich sein. Allerdings muss dem The-rapeuten bewusst sein, dass die Augenkontrolle (zudem seitenverkehrt) eine geringe Lernhilfe be-deutet. Sowie die optische Kontrolle fehlt, müs-sen andere Wahrnehmungsmechanismen, z.B. sich am eigenen Körper orientieren (7 Kap. 6.1 »Orientierung des Menschen«) an deren Stel-le treten.

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AnpassungenEin Flexionsdefi zit der Hüftgelenke kann die Ursache sein, wenn es bei der Vorneigung zu einer Flexion von Lenden- und Brustwirbelsäule kommt. Dann muss die Sitzhöhe entsprechend angepasst werden.

Bei einer Insuffi zienz der Bauchmuskulatur beobachtet man häufi g, dass bei der Rückneigung die extensorische Bewegung des Beckens in den Hüft gelenken gestoppt wird und statt dessen eine dorsaltranslatorische Ausweichbe-wegung im lumbothorakalen Übergang stattfi ndet, wäh-rend der Kopf nach ventral translatiert. Das Bewegungs-ausmaß nach hinten muss dann verringert werden, damit die Übung noch gelingt (. Abb. 7.3).

Freies Bewegen der Hände während des Klötzchen-Spiels ist der Übergang zum normalen Bewegungsverhal-ten. Die weiterlaufenden Bewegungen der Arme auf die Brustwirbelsäule müssen begrenzt werden. Asymmet-rische Armbewegungen zur Seite erfordern dynamische stabilisierende Aktivitäten der Wirbelsäulenrotatoren. Armbewegungen nach kranial verlängern den Lastarm; die Aktivität der Bauch- und Rückenmuskeln nimmt zu.

Wenn die Bewegung klein gehalten wird, ist es ein-facher, die Körperlängsachse zu stabilisieren.

Wenn die Bewegung ausgeweitet wird, so dass einmal die Füße und einmal das Gesäß den Kontakt zur Unterla-ge verlieren, ist das eine Vorbereitung zum funktionellen Beinachsentraining (. Abb. 7.4 a–c). Der Th erapeut muss – je nach Oberschenkellänge (7 Kap. 3.9.1, »Konstitution

Abb. .. Ausweichmechanismus bei Insuffi zienz der Bauchmus-keln: Dorsaltranslation des Brustkorbs und Ventraltranslation des Kopfs

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Kapitel 7 · Therapeutische Übungen

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(Oberschenkellänge)«; 7 Kap. 3.7.2, »Sitzverhalten (Anpas-sung an die Konstitution und Beweglichkeit)« – zulassen, dass die Füße weiter nach hinten gestellt werden.

Analyse der Übung

Ausgangsstellung

Gelenkstellungen: Die Körperlängsachse steht vertikal. Die Hüft gelenke befi nden sich in ca. 90° Flexion/transver-saler Abduktion, die Kniegelenke in 90° Flexion.

Kontaktfl ächen des Körpers mit der Umwelt: Die Ge-wichte der Körperabschnitte Becken, Brustkorb, Kopf und Arme lasten auf der Sitzfl äche. Die Beine stehen mit ih-rem Eigengewicht auf dem Boden. Die Unterstützungsfl ä-che wird von den Kontaktstellen der Füße mit dem Bo-den und der Kontaktstelle des Gesäßes mit der Sitzfl äche gebildet. Der Körperschwerpunkt befi ndet sich über der Kontaktstelle Gesäß/Sitzfl äche.

Muskuläre Aktivitäten: Die Beine müssen gegen die Ten-denzen, nach innen und/oder außen zu fallen, stabilisiert werden. Die Intensität dieser Aktivität ist sehr gering. Der Körperabschnitt Becken ist in Hüft - und Lendenwirbel-säulengelenken potentiell beweglich. Es müssen keine ho-hen Aktivitäten aufgebracht werden, um die Balance zu

Abb. .. Klötzchenspiel zur Vorbereitung eines funktionellen Beinachsentrainings. a Ausgangsstellung: Sitz an der Bankkante mit ge-kreuzten Füßen, b Neigung des Türmchens nach hinten mit fi xierter Hüftgelenkstellung, c Neigung des Türmchens nach vorne mit Stand auf den gekreuzten Vorfüßen

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halten. Am Körperabschnitt Brustkorb ist die Brustwir-belsäule in Nullstellung dynamisch stabilisiert. Der Kör-perabschnitt Kopf balanciert über dem Brustkorb und ist potentiell beweglich. Am Körperabschnitt Arme ist der Schultergürtel auf dem Brustkorb abgelegt. Die Hände lie-gen auf den Oberschenkeln.

Bewegungsablauf bis in die EndstellungDurch die horizontale Komponente der Primärbewegung kommt es zu deutlichen Gleichgewichtsreaktionen.

Primärbewegung

Vorneigung:Der kritische Distanzpunkt der Primärbewegung, Incisura jugularis, bewegt sich nach vorne/unten, fl ex-orisch in den Hüft gelenken.Rückneigung:Der kritische Distanzpunkt der Primärbewegung, Incisura jugularis, bewegt sich nach hinten(zuerst oben, dann unten), extensorisch in den Hüft gelenken.

ReaktionenVeränderung der Unterstützungsfl äche:Es gibt bei der Rückneigung eine minimale Vergröße-rung der Kontaktstelle des Körpers mit der Sitzfl äche. Bei der Vorneigung wandert der Schwerpunkt inner-halb der Unterstützungsfl äche in Richtung der Füße.

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77.3 · Hubfreie Mobilisation

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Einsetzen von Gewichten:Bei der Rückneigung hängt sich das Gewicht der Bei-ne fl exorisch in den Hüft gelenken an das Becken und wirkt bremsend auf den Bewegungsablauf.Stabilisierung:Damit sich die Abstände am Körper nicht verändern, muss sich die Wirbelsäule in ihrer Nullstellung dyna-misch stabilisieren; bei der Vorneigung mit zuneh-mender Intensität der ökonomischen Aktivität exten-sorisch, bei der Rückneigung fl exorisch.In den Hüft gelenken stabilisieren die transversalen Ab- und Adduktoren den Abstand zwischen den Knien.

BedingungenWenn die Reaktionen nicht in der gewünschten Form erfolgen, kann der Th erapeut folgende Bedingungen stel-len:

gleich bleibende Abstände zwischen körpereigenen Punkten:

Bauchnabel/Symphyse,Bauchnabel/Processus ensiformis,(Incisura jugularis/Kinnspitze bei der Vorneigung),rechte/linke Patella;

räumliche Fixpunkte:Füße/Boden,Gesäß/Sitzfl äche,Blickrichtung nach vorne während der Rücknei-gung;

Bewegungstempo:Eine Vor- und Rückneigung dauert etwa 2 Sekun-den.

Endstellung und zurück in die AusgangsstellungDie Körperlängsachse bewegt sich alternierend fl exorisch und extensorisch in den Hüft gelenken. Das Bewegungs-ausmaß ist variabel.

7.3 Hubfreie Mobilisation

Ziel der hubfreien Mobilisation (. Abb. 7.5) ist es, die Belas-tung auf artikuläre und periartikuläre Strukturen in Bezug auf bestimmte Bewegungskomponenten zu reduzieren. Dies geschieht durch die Verminderung der Hubbelastung und eine niedrige Intensität der Aktivität. Die Geschick-lichkeit der lokalen Muskulatur, die die Feinregulation der Gelenke vornimmt, wird gefördert (7 Kap. 2.6.3 ff ).

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Abb. .. Hubfreie Mobilisation der Brustwirbelsäule in Flexion und Extension a Ausgangstellung für die Flexion der Brustwirbelsäule. b Flexion der Brustwirbelsäule. c Extension der Brustwirbelsäule

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Prinzip der hubfreien MobilisationBei der hubfreien Mobilisation stehen die Bewegungsach-sen vertikal. Die bewegten Teilgewichte des Körpers sol-len sich mit möglichst geringem Reibungswiderstand nur horizontal bewegen. Die Gewichte der Körperabschnitte werden horizontal bewegt. Agonist und Antagonist arbei-ten im Wechsel dynamisch konzentrisch. Für die Wirbel-säule bedeutet dies in der Ausgangsstellung

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Kapitel 7 · Therapeutische Übungen

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Seitlage: Mobilisation in Flexion, Extension und Translation nach ventral/dorsal;Rückenlage (gelegentlich auch Bauchlage): Mobilisa-tion in Lateralfl exion, Translation nach rechts/links;Sitz: Mobilisation in Rotation.

Die Indikationen ergeben sich aus der Wirkungsweise, die Bewegung auf heilendes, neu wachsendes Gewebe hat:

Reduktion des Schmerzes durch ein Herabsetzen der periartikulären Gewebsspannung, dadurch Verbesse-rung der Beweglichkeit und des Bewegungsgefühls,Verbesserung der intermuskulären Koordination,Verbesserung der Orientierung am eigenen Körper,refl ektorische Senkung des Spannungszustandes der Muskulatur durch Reizung der lokalen Mechanore-zeptoren,Verbesserung der Durchblutung,Verbesserung des Aufb aus und der Trophik des Gewebes.

AusführungDer Patient wird über die geplante Bewegungsrichtung der Distanzpunkte instruiert (7 Kap. 2.1) und soll in zügigem Tempo (120/min) kleine Hin- und Herbewe-gungen durchführen. Zum Lernen kann der Th erapeut die Bewegung manipulieren. Diese Hilfe muss sehr subtil vorgenommen werden und darf keinesfalls für den Pati-enten zu einem Widerstand werden, der den Ausweich-mechanismus verstärken würde. Die Bewegungen sollen in angrenzenden Körperabschnitten durch stabilisierende Muskelaktivitäten begrenzt werden (s. auch Klein-Vogel-bach et al., 2000).

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Behandlungstechniken

8.1 Widerlagernde Mobilisation – 1448.1.1 Das Prinzip der widerlagernden

Mobilisation – 145

8.2 Mobilisierende Massage – 1468.2.1 Das Prinzip der mobilisierenden

Massage – 146

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Kapitel 8 · Behandlungstechniken

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Jede funktionelle oder strukturelle Beeinträchtigung des Bewegungssystems verändert das Bewegungsverhalten. Diese Veränderungen sind Anpassungen an Störungen und in vielerlei Hinsicht sogar nützlich.

Sie dienen dem Schutz einer gestörten Struktur im Sinne einer teilweisen oder kompletten »Functio-Lae-sa-Reaktion«. Dabei setzen veränderte Bewegungs-muster bereits ein, bevor die Störung dem Menschen bewusst wird (Brügger 1986). Das klassische Beispiel ist das Hinken, wenn der Schuh drückt: Dadurch wird ie Haut an der Stelle, an der sich eine Blase bil-den würde, wird geschützt.Sie helfen Schmerzen zu vermeiden.Sie ermöglichen, dass Ziele erreicht werden, auch wenn die eigentliche Bewegung zur Zielverwirkli-chung nicht möglich ist.

Laien können die veränderten Bewegungsmuster genau-so gut erkennen wie Physiotherapeuten. Der Mensch ist mit seinem »artgerechten« Bewegen vertraut (vgl. Klein-Vogelbach 1995). Die Beobachtungskriterien der Funk-tionellen Bewegungslehre Klein-Vogelbach (7 Kap. 2) ermöglichen dem Th erapeuten eine gezielte Analyse des veränderten Bewegungsverhaltens, der sog. Ausweichme-chanismen.

Wichtig

Der Begriff »ausweichen« ist neutral zu verstehen; auf keinen Fall soll vor der Untersuchung von einem negativen oder positiven Verhalten ausgegangen werden. Sich Schonung zu gewähren und dadurch Heilung zu ermöglichen ist ein sinnvolles Vorgehen des Körpers.

Ausweichmechanismen (AWM) sind allerdings problema-tisch, wenn folgende Faktoren zutreff en:

Gesunde Strukturen werden durch die Ausweich-mechanismen mehr beansprucht. Je nach Dauer und Intensität der Überlastung können sie selbst beeinträchtigt werden und Schonung verlangen. Der Verlust der ökonomischen Aktivität erfordert mehr Aktivität und beansprucht die passiven Strukturen vermehrt.Die veränderten Bewegungsmuster werden gelernt und automatisiert. Selbst wenn die primäre Ursache beseitigt ist, bestehen sie weiter. In der Folge werden

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z.B. bestimmte Bewegungstoleranzen der betroff enen Gelenke nicht genutzt. Der für alle Strukturen des Körpers wichtige Bewegungsreiz fehlt. Ohne die Bewegung treten die bekannten Veränderungen ein, wie z.B. der Verlust der Dehnfähigkeit der Muskula-tur.Angst vor einer Bewegung, die schmerzhaft oder z.B. nach einem Trauma gar nicht erlaubt war, führt dazu, dass Ausweichmechanismen bestehen bleiben.

Wichtig

Ausweichmechanismen sind unbewusst und bleiben häufi g auch nach der Beseitigung der Ursache noch eine Zeitlang bestehen.

Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Physiothe-rapeuten, bei der Untersuchung nach der Ursache der Ausweichmechanismen zu suchen und, falls möglich, die Ursache zu behandeln. Zeigt das Untersuchungsergebnis, dass eine weitere Schonung einzelner Gelenke nicht mehr notwendig ist oder dass mit reduzierter Belastung in grö-ßerem Umfang bewegt werden darf, als der Patient es tut, müssen ihm vorhandene Ausweichmechanismen bewusst gemacht werden. Sie werden dann als Bewegungen stig-matisiert, die den Heilungsprozess oder die Besserung der Beschwerden verzögern.

8.1 Widerlagernde Mobilisation

Ein Ziel der widerlagernden Mobilisation (. Abb. 8.1) ist es, den Patienten zu lehren, einzelne Bewegungsniveaus selektiv, bewusst und kontrolliert ohne Ausweichmecha-nismen zu bewegen. Dieser Lernprozess braucht Zeit und muss vom Th erapeuten planmäßig gefördert werden (s. auch Klein-Vogelbach et al., 2000)

Weitere Indikationen für die widerlagernde Mobilisa-tion ergeben sich aus den Wirkungsweisen, die das Bewe-gen unter verschiedenen therapeutischen Gesichtspunkten hat:

Üben des derzeitig möglichen Bewegungsausmaßes, Verbessern der Beweglichkeit,Üben der Koordination und Reaktionsbereitschaft der Muskulatur,Förderung der selektiven kinästhetischen Wahrneh-mung,

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88.1 · Widerlagernde Mobilisation

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Selbstkontrolle des Patienten,Abbauen bzw. Verhindern von Ausweichmechanis-men,Schmerzlinderung.

8.1.1 Das Prinzip der widerlagernden Mobilisation

Die widerlagernde Mobilisation nutzt das Prinzip der Begrenzung einer weiterlaufenden Bewegung durch Gegenbewegung. Der Th erapeut benötigt Kenntnisse über das beobachtbare Bewegungsverhalten eines Gelenks (7 Kap. 2.1).

ScharniertypMan bestimmt den Drehpunkt und an den beiden Gelenkpartnern einen distalen und einen proximalen Distanzpunkt (DP). Die günstigste Form der widerla-

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gernden Mobilisation ist erreicht, wenn proximaler und distaler Distanzpunkt und der Drehpunkt in Bewegung versetzt werden. Ist das der Fall, können sich entweder die beiden Distanzpunkte voneinander entfernen, und der Drehpunkt schiebt sich dazwischen, oder die beiden Distanzpunkte nähern sich an, und der Drehpunkt weicht ihnen aus. Es sollten mindestens 2 Punkte bewegt werden. Vorteilhaft ist es, wenn der Drehpunkt einer dieser beiden bewegten Punkte ist.

RotationstypDie Bewegungsachse ist die Drehachse, die Gelenkpart-ner sind der proximale und distale Zeiger. Die günstigste Form der widerlagernden Mobilisation ist die gegenläu-fi ge Bewegung beider Zeiger. Der Th erapeut muss darauf achten, dass die Bewegungsachse immer so weit parallel verschoben wird, dass keine zusätzlichen, ungewollten Bewegungskomponenten mobilisiert werden.

Abb. .. Widerlagernde Mobilisation des Schultergelenks in Abduktion. a Ausgangsstellung b Endstellung, c Position der Hände des Thera-peuten, d Variante für endgradige Bewegungseinschränkung in Abduktion.

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Kapitel 8 · Behandlungstechniken

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TranslationstypIn der Wirbelsäule werden die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf auf einer Verschiebeebene gegen-einander bewegt. Die Bewegungen fi nden in mehreren Segmenten der Wirbelsäule statt. Bei Translationen nach rechts/links sind lateralfl exorische Bewegungstoleranzen nötig, und Translationen nach vorn/hinten setzen sich aus kombinierten Flexions-/Extensionsbewegungen zusam-men.

AusführungDer Th erapeut muss das Gewicht der bewegten Körperteile übernehmen, um unerwünschte muskuläre Aktivitäten gegen die Schwerkraft zu vermeiden. Die Grifft echnik ist nicht prinzipiell festgelegt. In benachbarten Gelenken müssen entsprechende Bewegungstoleranzen vorhanden sein. Zuerst sollte der proximale Gelenkpartner bewegt werden, da dieser die geringere Bewegungstoleranz hat und Ausweichmechanismen noch vor dem Entstehen ver-hindert.

Das Tempo ist zuerst langsam und richtet sich nach dem Patienten und dem Bewegungsausmaß. Bei kleiner Bewegungsamplitude wird ein Tempo von 120/min ange-strebt. Der Th erapeut entscheidet – je nach Ziel –, ob er am Bewegungsende oder in einer submaximalen Gelenk-stellung arbeiten möchte.

Von Anfang an ist die Instruktion der geplanten Bewe-gung ein Teil der Behandlung (7 Kap. 6):

Der Th erapeut informiert den Patienten über die Richtung der Distanzpunkte und bewegt den proxi-malen Gelenkpartner, während der distale nur seine Lage im Raum verändert.Er hält den proximalen Gelenkpartner in der gewünschten Position. Dann bewegt er den distalen Gelenkpartner in die Gegenrichtung (widerlagernd, gegenläufi g).Er bewegt beide Gelenkpartner widerlagernd hin und her (das Tempo kann variiert werden).

Es können in der Endstellung statische Widerstände gege-ben werden, um das erreichte Bewegungsausmaß zu sta-bilisieren, und/oder dynamisch exzentrische und konzent-rische Widerstände an beiden Gelenkpartnern gleichzeitig gegeben werden.

Später soll der Patient die widerlagernden Bewegungen selbständig zuerst hubfrei, dann mit zunehmender Hub-belastung durchführen können.

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8.2 Mobilisierende Massage

Bei der mobilisierenden Massage (. Abb. 8.2) werden die Muskeln und umliegenden Gewebeschichten eines Gelenks bearbeitet, um die Bewegungsqualität und die Gewebeverschieblichkeit zu verbessern.

8.2.1 Das Prinzip der mobilisierenden Massage

Bei der mobilisierenden Massage gibt es bewährte Aus-gangsstellungen und Handgriff e. Allerdings muss jeder Th erapeut bei jedem neuen Patienten die notwendigen Anpassungen vornehmen (wegen der unterschiedlichen Körperproportionen von Patient und Th erapeut).

Die Wirkungsweise einer mobilisierenden Massage liegt darin, dass

die Trophik verbessert wird,der Spannungszustand der Muskulatur herabgesetzt wird,die Gewebeverschieblichkeit zunimmt,sich die kinästhetische und taktile Wahrnehmung des Patienten verbessert,die intra- und intermuskuläre Koordination verbes-sert wird,das Bewegungsausmaß und die Bewegungsqualität zunehmen.

AusführungDie Muskulatur wird nicht in einer bestimmten Stel-lung der Gelenke bearbeitet, sondern durch manipulierte Gelenkstellungsänderungen abwechselnd gedehnt, gelo-ckert und gleichzeitig bearbeitet:

Der Th erapeut unterstützt verbal, taktil und mani-pulativ die Ausführung der Bewegung (7 siehe auch Klein-Vogelbach et al., 2005).Der Th erapeut bewegt den Gelenkpartner in Zugrich-tung des Muskels und bleibt dabei submaximal, damit Ausweichbewegungen unterbleiben.Die Muskulatur wird in der gelockerten Phase quer zum Faserverlauf bearbeitet.Das Tempo muss anfangs sehr langsam sein und kann nach einer Einspielphase gesteigert werden.

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88.2 · Mobilisierende Massage

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Abb. .. a, b Mobilisierende Massage der Brustwirbelsäule in Ex-tension und Flexion; c, d Griff technik bei der Feinmobilisation.

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Fallbeispiel: Lumboischialgie

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Kapitel 9 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

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Physiotherapeutische Dokumentation

Patientendaten

Name/Adresse:Martina M.

Alter/Geburtsdatum:22 Jahre

Größe/Gewicht:159cm / 55kg

Ärztliche Verordnung

Diagnose: Lumboischialgie

Nebendiagnosen:

Behandlungshinweise:

Beruf: Verkäuferin in einer Boutique Weitere Therapien

Hobbys: Breakdance (hat sie aufgegeben) Ergotherapie Massage

Sport: Handball (Bezirksliga) am Kreis und rechts außen

Joggen

Logopädie Bewegungsbad

Hilfsmittel: MTT Gruppentherapie

Elektrotherapie sonstiges:

Arbeitsfähig: ja Therapieziele des Patienten(bezogen auf Beruf, Alltag, Freizeit)

Anamnese:

Schon seit Jahren hat sie nach langem Stehen (1,5 Stunden) tief stechende Schmerzen (Durchbrechgefühl) in der oberen Lendenwirbelsäule, die nach einiger Zeit in den lateralen rech-ten Oberschenkel ausstrahlen. Dann spürt sie auch beide Knie. Nach ca. 20 Min. joggen bekommt sie stechende Schmerzen medial im rechten Knie.

Nach Ligaspielen oder hartem Training beim Handballspielen hat sie die Beschwerden in der Wirbelsäule. Aus Angst vor Be-schwerden nimmt sie sich beim Spielen generell zurück. Am meisten vermeidet sie Sprünge. Das Breakdancing hat sie völ-lig aufgegeben. Während normaler Trainingsphasen (2x/Wo-che + 1 Spiel am Wochenende) tauschen die Beschwerden eher auf, als bei erhöhtem Trainingspensum. Schweres Heben ver-meidet sie.

Stabilisation der Körperlängsachse und der Beinachsen um die Belastungen im Alltag und beim Sport wieder zu verbessern.

a) VAS Schmerzskala

Lokalisation Intensität Qualität

Obere LWS 6 Stechend, ausstrahlend

Medial Knie 5 Stechend

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99 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

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Hypothesen:Ich sollte die Statik untersuchen, da die Patientin lange stehen muss. Bei einer Gang- bzw. Laufanalyse interes-siert mich die Einstellung der Beinachsen.Beim Break Dance braucht sie eine sehr gute Beweglich-keit. Vielleicht gibt es hypermobile Wirbelsäulenbereiche. Die Beschwerden sind immerhin so stark, dass sie das schon aufgegeben hat und sich im Sport zurückhält. Da die Beschwerden bei vermehrter Aktivität zurückgehen liegt evtl. ein muskuläres Problem (Instabilität?) vor.

UntersuchungsergebnisseKonstitutionLängen:

+ Oberlänge (+ Körperabschnitt Brustkorb)Breiten:

+ TrochanterpunktabstandTiefen:

– Ferse

StatikVon der Seite:

– Fußlängswölbung – Genu recurvatum beidseits bei ++ Extension der Oberschenkel im Kniegelenks und vorgeneigter Becken-Oberschenkellängsachse– LWS-Lordose (untere) ++ LWS-Lordose im lumbothorakalen Übergang+ Translation des Brustkorbs nach dorsal– Kyphose der oberen BWS bei + Nackenkyphose (. Abb. 9.1a,b)

Von vorn/hinten:+ Belastung rechts + Eversion beidseits bei + Divergenz des Fußes rechts und Medialrotation der Beuge-Streck-Achsen der Kniegelenke rechts > links+ Rotation des Beckens nach linksBeckentiefstand rechts bei Beinlängenverkürzung rechts+ linkskonkave Lateralfl exion der LWS bei + Transla-tion des Brustkorbs nach rechts+ Schultertiefstand rechts (. Abb. 9.1c, d)

Reaktive HyperaktivitätDer Bauchmuskeln, reaktiv auf das BrustkorbgewichtDer Knieextensoren, reaktiv auf das Gewicht des Beckens, das vor den Beuge-Streck-Achsen steht

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Abb. . a–d. Patientin mit Lumboischialgie.

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Kapitel 9 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

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SchubbelastungenLumbothorakal: von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach hinten und von unten zieht das Becken-Bauch-Gewicht nach vorn/unten.

Hypothesen:Die Statik ändert sich vielleicht schon, wenn sie eine kleine Fersenerhöhung bekommt. Die Statik könnte die passiven Strukturen Belasten und die Schmerzen verursachen.Die Beinlängendiff erenz erhöht die Belastung im lum-bothorakalen Übergang, weil der Brustkorb nach rechts schiebt. Die Belastung der passiven Strukturen der LWS erhärtet sich.Ich muss nun das Bewegungsverhalten und die Stabilisa-tionsfähigkeit der Wirbelsäule untersuchen.

Bewegungsverhalten der WirbelsäuleLendenwirbelsäule:

Flexion und Extension – – Lateralfl exion rechts und linkskonkav – –

LTÜ:Flexion und Extension ++Lateralfl exion + +Rotation rechts und links – (Ausweichmechanismus: Translation des Brustkorbs zur kontralateralen Seite)

Hüftgelenke:Unauff ällig

Bewegungsverhalten beim Gehen und JoggenStandbeinphase beidseits: ++ Medialrotation der Beuge-Streck-Achse, ++ Extension des Kniegelenks im Mid-stance.Beim Joggen verringert sich die Medialrotation der Femurkondylen. Die Kniegelenke bleiben fl ektiert.Die Beinachsen lassen sich einstellen und können dort unter Belastung nicht gehalten werden.

Hypothesen:Die Beinachsen sind destabilisiert. Der Schmerz deutet auf eine Überlastung des Lig. collaterale mediale hin. Muskuläre Defi zite vermute ich bei den Außenrotatoren der Hüftgelenke, den Extensoren/Innenrotatoren der Kniegelenke und den fußgewölbeformenden Muskeln. Zur Untersuchung eignet sich die »Standwaage«

Bewegungsverhalten beim BückenHorizontaler Bücktyp bei ++ Extension im lumbothora-kalen Übergang.

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MuskulaturStabilisationsfähigkeit der Körperlängsachse beim Klötz-chenspiel:a) Je 2 Sekunden Vor- und Rückneigung mit großer

Amplitude: Das Becken kommt bei der Rückneigung verzögert mit.b) Je 1 Sekunde Vor- und Rückneigung bei kleiner Ampli-

tude: Die Bewegung fi ndet überwiegend im lumbothoraka-

len Übergang statt. Der Brustkorb bewegt sich schnel-ler als das Becken.

Rotatorische Verschraubung der Beinachsen / Koordinati-onsfähigkeit der Muskulatur»Standwaage«: Im Einbeinstand ist die Verschraubung nicht zu halten. Unter Belastung medialisieren die Femur-kondylen.

Hypothesen:Die Instabilität bestätigt sich. Die kleine Amplitude spricht die lokalen Stabilisatoren an. Diese schalten nicht gut ein. Bei einer + Oberlänge ist sie eher ein vertikaler Bücktyp. Beim horizontalen Bücken bestätigt sich die schlechte Stabilisationsfähigkeit der Bauchmuskulatur.Ein Beinachsentraining muss unter zunächst geringer Belastung erfolgen.

Interpretation / ArbeitshypotheseDie Beschwerden resultieren aus der schlechten Statik mit Schubbelastungen der passiven Strukturen im Übergang LWS/ BWS und in den Kniegelenken. Auf Grund der ver-minderten Beweglichkeit der LWS ist es zu Überbeweg-lichkeit der darüber befi ndlichen Bewegungssegmente gekommen. Dies und die verminderte Stabilisationsfähig-keit der Körperlängsachse und der Beinachsen (Ansteue-rungs- und Ausdauerproblem) erhalten das Problem.

Therapieplan»Mobilisierende Massage«, »Hubfreie Mobilisation«, »Hula-Hula« zum Verbessern der Wirbelsäulenbe-weglichkeit im hypomobilen Bereich um die kom-pensatorische Hypermobilität zu reduzieren.»Klötzchenspiel«, »Die Waage«, »Vierfüsslerstand« und »Kurz und bündig« zum Erlernen der Stabilisati-onsfähigkeit der Wirbelsäule.»Am Ort Steher und Geher«»Pinguin« und »Feder-ball« zum Verbessern der Stabilisationsfähigkeit der Beinachsen auch beim Sprung.

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99 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

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Kapitel 9 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

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99 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

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Fallbeispiel: Ischialgie

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Kapitel 10 · Fallbeispiel: Ischialgie

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Physiotherapeutische Dokumentation

Patientendaten

Name/Adresse:Gerhard F.Tannenweg 8Heidelberg

Alter/Geburtsdatum:49 Jahre

Größe/Gewicht:168cm / 83kg

Ärztliche Verordnung

Diagnose: Ischialgie

Nebendiagnosen: arterielle Hypertonie

Behandlungshinweise:

Beruf: Krankenpfl eger Weitere Therapien

Hobbys: Gartenarbeit Ergotherapie Massage

Sport: Kegeln Logopädie Bewegungsbad

Hilfsmittel: »Korsett« wurde vor 3 Jahren MTT Gruppentherapie

verordnet – ist mittlerweile zu klein Elektrotherapie sonstiges:

Arbeitsfähig: ja ja, seit: 4 Wochen

Therapieziele des Patienten(bezogen auf Beruf, Alltag, Freizeit)

Anamnese:

Der Patient leidet seit ca. 10 Jahren an rezidivierenden Schmer-zen in der Lendenwirbelsäule. Bei seiner Arbeit auf einer neu-rologischen Station muss er viel und schwer heben und tragen. Immer wieder hat er sich dabei »verhoben«.

Diesmal war der Auslöser das Unkrautjäten. Vor 4 Wochen konnte er sich plötzlich bei der Gartenarbeit nicht mehr aufrich-ten. Die Schmerzen strahlen diff us ins linke Bein aus. Der be-handelnde Hausarzt hat ihm zu Ruhe geraten und ihm Spritzen gegeben. Früher wurden gelegentlich Massagen verordnet, die auch kurzzeitig Besserung gebracht haben.

Im Augenblick sind die Schmerzen in der Lendenwirbelsäu-le erträglich, was er auf die »Zwangspause« zurückführt. Die Schmerzen strahlen noch immer aus, aber »das kennt er ja«.

Herr F. ist der Stationsleiter und möchte schnellstmöglich wieder arbeiten gehen. Der Arbeitsplatz ist ihm wichtig und er fühlt sich viel zu jung um schon »zum alten Eisen« zu gehören.

Er ist leidenschaftlicher Gärtner und stolz auf seinen Rosengarten. Die Gartenarbeit braucht er als Ausgleich.

Er möchte endlich dem wiederkehrenden Schmerz »gewappnet« sein.

a) VAS Schmerzskala

Lokalisation Intensität Qualität

Lumbosakral bilateral

4 stumpf

Lateral am Bein Knie

5 ziehend

Schmerzverhalten: nach langem Stehen (15 Minuten) und beim Bücken

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1010 · Fallbeispiel: Ischialgie

159

HypothesenObwohl der Patient seit 10 Jahren Beschwerden hat und damit ein chronisches Schmerzsyndrom vorliegt, kommt es zu regelmäßigen akuten Problemen. Ich habe den Eindruck, er will »die Sache« endgültig in den Griff bekommen.Ich werde nach der strukturellen Untersuchung v.a. das Bewegungsverhalten analysieren.

Untersuchungsergebnisse

KonstitutionLängen:

OL (+ Körperabschnitt Becken), + Oberschenkellän-ge

Breiten:++ frontotransversaler Brustkorbdurchmesser

Tiefen:++ sagittotransversaler Durchmesser auf Nabelhöhe

Gewichtsverteilung:Hauptgewicht am Bauch (168 cm / 83 kg)

HypothesenBei den Längen und der Gewichtsverteilung vermute ich, dass er ein eher horizontaler Bücktyp ist. – Wenn man viel heben und tragen muss, ist das für die Stabilisation des lumbosakralen Übergangs ein erschwerender Faktor.Wegen der + Gewichte wird sich die Statik verändern. Die Gewichte oberhalb und unterhalb der Schmerzstelle müssen wirklich gut übereinander stehen, damit es nicht zu Belastung passiver Strukturen kommt.

BeweglichkeitWirbelsäuleFlexion:

– – – LWS (schmerzhaft )Extension:

+ + + lumbosakraler Übergang– L4 bis L1, – – BWS und HWS

Lateralfl exion:– LWS und BWS linkskonkav, – –BWS rechtskonkav

Rotation:Rotationsniveau nach kaudal verschoben,– Brustkorb nach rechts (Ausweichmechanismus Translation)

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ExtremitätenHüftgelenke:

Erreicht links die Nullstellung

Hypothesen:Ich habe den Eindruck, dass sich auf die hypomo-bilen Wirbelsäulenabschnitte eine kompensatorische Hypermobilität entwickelt hat. Jetzt wird es interessant sein, die Muskulatur zu untersuchen, die für die Stabilisa-tion der Körperlängsachse verantwortlich ist.

Untersuchung der Muskulatur im Bewegungsverhaltena) Untersuchen der Fähigkeit, die Körperabschnitte Becken

und Brustkorb in die Körperlängsachse einzuordnen und in jeder Position zu stabilisieren.Die Körperabschnitte können nicht in die Körper-längsachse eingeordnet und dort nicht gehalten wer-den. Freies Sitzen ermüdet schnell.Klötzchenspiel:Bei der Vor- und Rückneigung beteiligt sich das Becken nicht an der Bewegung (auch nicht mit groß-en Lernhilfen). Die Bewegungen fi nden vor allem im lumbosakralen Übergang statt.Vierfüsslerstand:Die vermehrte BWS-Kyphose bleibt erhalten, die Len-denwirbelsäule zeigt eine deutlich vermehrte Lordo-se.

b) Untersuchung der Muskulatur bei Gleichgewichtsreak-tionenBei der therapeutischen Übung »Albatros« fl ektiert sich die Lenden- und Brustwirbelsäulewirbelsäule.

Hypothese:Die Wirbelsäule kann weder koordiniert bewegt noch stabilisiert werden. Keine der Übungen kann exakt durch-geführt werden.

Verminderte Dehnfähigkeit M. rectus femoris rechts, M. iliopsoas rechts, Mm. pecto-ralis minorIschiokrurale Muskulatur und Tensor sind o.B.Erhöhter SpannungszustandSkapulaadduktoren und Extensoren des Schultergelenks

StatikVon der Seite:

– – Längswölbung beidseits+ Plantarfl exion

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Kapitel 10 · Fallbeispiel: Ischialgie

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+ Extension im Kniegelenk bei Vorneigung der Ober-schenkel- und Beckenlängsachse++ LWS-Lordose untere LWS+ BWS-Kyphose nach kaudal verlängertBrustkorb nach hinten translatiertVentraltranslation des Kopfs bei ++ Extension der oberen Kopfgelenke

Von vorn/hinten:+ Belastung links+ Eversion links++ Divergenz der funktionellen Fußlängsachsen++ Valgus der Kniegelenke links > rechtsBeckentiefstand links bei Abduktion im linken und Adduktion im rechten Hüft gelenk und rechtskonka-ver Lateralfl exion der LWSTranslation des Brustkorbs nach linksAbduktion der Schultergelenke bei Schulterhoch-stand beidseitsRetraktion des Schultergürtels

SchubbelastungenLumbal:

Von unten zieht das Becken-Bauch-Gewicht nach vorn/unten und Von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach hinten/unten

Reaktive HyperaktivitätSchulter-Nacken-Muskeln reaktiv auf das vorn ste-hende KopfgewichtBauchmuskeln (v.a. Oberbauch), reaktiv auf das nach hinten/unten schiebende Brustkorbgewicht und das nach vorn/unten ziehende Bauchgewicht

BeinachsenBeuge-Streck-Achsen lassen sich frontotransversal ein-stellen, Valgus der Kniegelenke ist aktiv korrigierbar. ++ Tibiatorsion

Hypothesen:Die Statik der Beinachsen und die veränderte Gewichts-verteilung belasten v.a. die passiven Strukturen der Wir-belsäule.

BewegungsverhaltenGehenAktive Schritte; Trochanterpunkt und das Kniegelenk links bewegen sich während der Standbeinphase nach

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BückenHorizontaler Bücktyp. Die lumbosakrale Verankerung kann nicht gehalten werden. Die Beinachsen können nicht stabilisiert gehalten werden.

SitzenDie Körperabschnitte können nicht in die Körperlängs-achse eingeordnet und dort nicht gehalten werden. Freies Sitzen ermüdet schnell.

Interpretation / ArbeitshypotheseDie Statik der Beine stellt für die Wirbelsäule einen schlechten Unterbau dar. Daraus resultieren Schubbelas-tungen im bereits hypermobilen lumbosakralen Über-gang, die Schmerzen erklären.

Die schlechte Statik der Wirbelsäule ist ein zusätzlicher erschwerender Faktor bei der Belastung des hypermobilen Segments. Die konstitutionellen Mehrgewichte oberhalb des schmerzenden Bereichs verstärken diese Problematik.

Da die Körperabschnitte wegen der verminderten Beweglichkeit der Wirbelsäule nicht in die Körperlängs-achse eingeordnet werden können, kann eine erfolgreiche Besserung der Beschwerden nur mittelfristig erfolgen.

TherapieplanDer Patient soll Folgendes lernen:

Entlastungsstellungen für die LWS zu fi nden und auch beim Arbeiten zu benutzen.Mit den Übungen »Flamingo«, »Standwaage«, »Pin-guin« und »Cowboy« die Beinachsen optimal einzu-stellen und zu belasten.Mit Hilfe der therapeutischen Übung »Der klassische Vierfüßlerstand« den lumbosakralen Übergang zu stabilisieren und diese Verankerung auch beim Bücken zu erhalten.Mit Hilfe der hubfreien Mobilisation und der mobi-lisierenden Massage sowie den therapeutischen Übungen »Galionsfi gur« und »Eslein streck dich« seine Wirbelsäule aktiv in Extension zu mobilisieren.

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1010 · Fallbeispiel: Ischialgie

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Kapitel 10 · Fallbeispiel: Ischialgie

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1010 · Fallbeispiel: Ischialgie

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Fallbeispiel: Schulter

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Kapitel 11 · Fallbeispiel: Schulter

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166

Physiotherapeutische Dokumentation

Patientendaten

Name/Adresse:Robert G.

Alter/Geburtsdatum: 47 Jahre

Größe/Gewicht: 170cm / 80kg

Ärztliche Verordnung

Diagnose: Schulter-Arm-Syndrom

Nebendiagnosen:

Behandlungshinweise:

Beruf: selbständiger Altbausanierer Weitere Therapien

Hobbys: Lesen Ergotherapie Massage

Sport: Laufen, Radfahren, Krafttraining Logopädie Bewegungsbad

Hilfsmittel: MTT Gruppentherapie

Elektrotherapie sonstiges:

Arbeitsfähig: ja Therapieziele des Patienten(bezogen auf Beruf, Alltag, Freizeit)

Anamnese:

Vor ca. 3 Monaten hat Herr G. beim Sanieren eines Dachs sehr schweres Material (ca. 20 kg-Eimer) über eine Leiter nach oben transportieren müssen. Er hat dabei die Eimer mit der rechten Hand über ein Geländer heben müssen (annähernd in Kopfhö-he). Am gleichen Abend fühlte sich der Arm »anders« an. Am nächsten Tag war es ihm nicht möglich, eine ausziehbare Lei-ter nach oben zu schieben und beim »Bankdrücken« im Fitness-studio konnte er die gewohnten Gewichte nicht mehr drücken. Er spürt, dass er die die Muskelschwäche mit anderen Bewe-gungen kompensiert.

Vor ca. 10 Jahren kam es nach einer langen Wanderung (mit Rucksack) zu einer plötzlichen Skapula alata, die vermutlich durch eine Lähmung des serratus anterior hervorgerufen wur-de (damalige Diagnose).

Er ist als selbstständiger Unternehmer in einem 1-Mann-Betrieb darauf angewiesen, dass er körperlich weiterhin sehr belastbar ist.

a) VAS Schmerzskala

Lokalisation Intensität Qualität

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1111 · Fallbeispiel: Schulter

167

Untersuchungsergebnisse

KonstitutionBreiten:+ frontotransversaler Brustkorbdurchmesser (. Abb. 11.1)

BeweglichkeitWirbelsäule:

Extension: + lumbothorakal, – untere HalswirbelsäuleFlexion: – untere HalswirbelsäuleLateralfl exion: – untere Halswirbelsäule in beide RichtungenRotation: – Brustkorb nach links (Ausweichmecha-nismus Translation)

Humeroskapulargelenk:In allen Ebenen frei beweglich

Skapulothorakalgelenk:Kranialrotation eingeschränkt

MuskulaturEntspannungsfähigkeit:

Schultergürtel kann nicht entspannt auf dem Brust-korb abgelegt werden.

Stabilisationsfähigkeit:Verminderte Stabilisationsfähigkeit der Skapula auf dem Brustkorb

Erhöhter Spannungszustand:M. trapezius, pars descendens, M. levator scapulae rechts

Verminderte Dehnfähigkeit:M. subscapularis rechts

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Kraft:M. serratus anterior rechts (Muskelwert 4)M. supraspinatus, infraspinatus und teres minor (Muskelwert 4)

StatikVon der Seite:

- BWS-KyphoseVon vorn/hinten

+ Standbreite+ Schulterhochstand rechts (. Abb. 11.2)+ Protraktion des Schultergürtels

Bewegungsverhalten: ArmbewegungenZur Seite:

Zu früh einsetzende weiterlaufende Bewegung auf die Skapula

Nach vorn:Elevation/Retraktion

Mit ventral angehängtem Gewicht:Depression/Retraktion

Beim Drücken nach vorn (Schrauben eindrehen):Ventralrotation(. Abb. 11.3)

Interpretation der Untersuchungsergebnisse / ArbeitshypotheseDie deutlich verminderte Stabilisationsfähigkeit des Schultergürtels auf dem Brustkorb resultiert vermutlich aus einer Teil-Parese des Serratus anterior, der sich nach der Schädigung vor 10 Jahren nicht komplett erholt hat. Die Bewegungseinschränkungen der unteren Halswirbel-

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Abb. .. + frontotransversaler Brustkorbdurchmesser. Abb. .. Schulterhochstand rechts.

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säule stört die Mobilität des N. thoracicus longus, was die Dysfunktion noch verstärkt.

Die schlechte Verschieblichkeit der Skapula in kra-niale Rotation verhindert eine optimale Zentrierung des Humeruskopfes. Durch die Tätigkeit auf dem Bau und das Training der Armmuskulatur hat sich sekundär eine Überlastung der Rotatorenmanschette ausgebildet.

TherapieplanZuerst sollte im Ultraschall/MRI abgeklärt werden, ob eine Verletzung der Rotatorenmanschette vorliegt. Mittels einer EMG-Messung sollte außerdem untersucht werden, ob der N. thoracicus longus voll funktionsfähig ist.

Mobilisierende Massage des Schultergürtels und der unteren HWS, um die Gleitfähigkeit des N. thoraci-cus longus zu verbessern.

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Abb. .. a Bewegungsverhalten der Skapula bei Flexion, b Mit zusätzlichem Gewicht (ca. 1 kg), c Skapu-la alata, d Ventralrotation des Schultergürtels

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Elektrotherapie zur Unterstützung der Aktivierung des M. serratus anterior.selektive Aktivierung der Rotatorenmanschette und des M. serratus anteriorKräft igung der Bauchmuskulatur zum Stabilisations-training der KörperlängsachseTrainingstherapie mit dem Fokus auf der Rumpfmus-kulatur (v.a. Bauchmuskeln).Verhaltenstraining: Kein Gewichtstraining für den Arm da bei kompensatorischen Ausweichbewe-gungen eine erhöhte Gefahr der Abnutzung der Rota-toren besteht. Die Bewegungen des Arms sollen von der Skapula aus initiiert werden (Angulus inferior nach ventral aktivieren).

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Abb. .. a Statik des Brustkorbs und Schultergürtels von vorn, b Verbesserte Aufl age des Schultergürtels auf dem Brustkorb, c Stabi-lisation des Schultergürtels auf dem Brustkorb bei Flexion, d Stabilisa-tion des Schultergürtels trotz zusätzlichen Gewichts (1 kg), e Ansicht von der Seite

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A

»Am Ort Steher« 99Abstützen 48Abweichung 72Adaptation 53ADL 61Agonist 52aktive/passive Insuffi zienz 52aktive Insuffi zienz 41aktive und passive Insuffi zienz 38Aktivität 59Aktivitätszustände 43Analyse 20Analysenkonzept 132, 136Anamnese 57anatomische Fußlängsachse 81Anpassung der Übung 115Antagonist 52Antetorsion 82, 96, 98Antizipation 51, 106, 120, 123antizipatorische Aktivität 99Arbeitshypothese 112ärztliche Diagnose 56Atrophie 50Ausweichbewegung 27Ausweichmechanismus 27, 144

B

»Bett des Fakirs« 46»Bridging« 46»Brückenbauch« 46, 108

seitlicher 108Basisqualifi kation 20Beckenhochstand 82Begrenzen der weiterlaufenden Bewe-

gung 28Behandlungsplan 2, 114Behandlungsprozess 112Beinachse 96Beinachsenbelastung 113Beinachsentraining 48Beobachtungskriterium 20, 64, 72Betrachtungsweise 56

funktionsorientiert 56strukturorientiert 56verhaltensorientiert 56

Beuge-Streck-Achse 96Beweglichkeit 89Bewegung 51, 114

reaktiv 51zielgerichtet 51

Bewegungsachse 41Bewegungsanalyse 20Bewegungsauftrag 121

–––

––

Bewegungsbeobachtung 2, 115Bewegungskontrolle 51, 100Bewegungslernen 114, 118Bewegungstoleranz 26Bewegungsverhalten 2, 52, 128Bodenreaktionskraft 100Breite 74Brückenaktivität 46Bücken 62Bücktyp 62

horizontal 62neutral 62vertikal 62

Bückverhalten 62

C

Cavitas glenoidale 11Clinical Reasoning 112

D

»Das Zirkuspferdchen« 100, 102»Der Albatros« 37»Der am Ort Geher« 102»Der Eckensteher« 101»Der Flamingo« 100»der Goldfi sch« 106»Der Pinguin« 100»diagonaler Frosch« 102»Die Spinnübung« 37»Die Standwaage« 100, 101»Die Waage« 37Deceleration 66Dehnfähigkeit 40demonstrieren einer Bewegung 123Diagnose 112

ärztliche 112physiotherapeutische 112

didaktische Bewegungsschulung 2, 128distale Gelenke 3distale Radioulnargelenke 16Distanzpunkt 5, 20Distanzpunkte 20Divergenz 68, 81dorsal 3Dorsalrotation 11Drehmoment 52Drehpunkt 5, 20, 23, 32, 52Drehpunktverschiebung 22Druckveränderung 45dual task 120Duchenne-Hinken 70dynamische Haltungskontrolle 61dynamische Stabilisation 51, 99dynamische Stabilisierung 72

–––

––

E

ein- oder mehrgelenkige Muskulatur 38Entlastungsstellung 43, 44, 113Eversion 15extrinsisches Feedback 122

F

fallverhindernd 51Fasertypen 49Faszie 50Feedback 122Fehlatmung 72Fehlhaltung 113Feinregulation 104Fersenablösung 67foot-fl at 66formativer Bildungsreiz 114Frontalebene 2frontosagittale Achsen 2, 5frontotransversale Achsen 3, 4frontotransversaler Brustkorbdurchmes-

ser 74funktionelle Beanspruchung im Alltag 114funktionelle Fehlatmung 88, 103, 114funktionelle Fußlängsachse 68, 81funktionelles Abduktionssyndrom 74funktionelles Problem 2funktionsorientiert 99Funktionsschulung 114Funktionsstörung 112

G

Gangtempo 69gangtypisch 100ganzheitliches Üben 126Gegenaktivität 28, 103Gegenbewegung 28Gegengewicht 34, 51gelernter Schmerz 57geschlossene Aufgabe 125geschlossene Kette 46Gewichtsverschiebung 34Gleichgewicht 29Gleichgewichtslage 32Gleichgewichtsreaktion 51, 71, 104, 114,

115, 136Gleichgewichtsreaktion (Equilibriumsreakti-

on) 34globale Muskeln 51

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H

Haltung 43Haltungskorrektur 88, 113Hängevorrichtung 48heel of 66heel strike 66Hinkmechanismus 68, 70horizontal 4, 5Hubbelastung 38, 41, 136hubfrei 42hubfreie Mobilisation 141Hyper- und Hypomobilität 113Hyperaktivität 51hypertone Muskulatur 40hypothetische Norm 64, 72

I

ICF 58, 112Immobilisation 49, 114indiff erentes Gleichgewicht 34Instruktion 5, 20, 46, 114, 115, 128, 133Instruktion von Bewegung 3, 20intersegmentale Kontrolle 100Intervention 56, 112, 115intrinsisches Feedback 122Inversion 15

K

»Klassischer Frosch« 102, 104»Klötzchenspiel« 104»Kurz und bündig« 103Kadenz/Frequenz 66kaudal 4Kaudalrotation 11Kinästhetik 114kinästhetische Wahrnehmung 130kinematische Ketten 20Kinetik 52kinetische Kette 50kinetische Muskelkette 99knowledge of performance 122knowledge of result 122komprimierende und stabilisierende Kontrak-

tion 38Kondition 56Konstitution 72, 113, 134Kontaktstellen 31Kontextfaktor 59Konvergenz 68, 81Koordination 20, 115Koordinationsfähigkeit 101Körperabschnitt 44

Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf 5

Körperfunktion 59Körperlängsachse 5, 70, 103Körperschwerpunkt 29Körperstruktur 59kranial 4Kranialrotation 11kritischer Distanzpunkt 26, 105, 130

L

labiles Gleichgewicht 33Länge 73Lastarm 41Lehrstrategie 121Leitbild 72Leitmotiv 114Lernen 118Lernstadium 120limbisches System 120, 124lokale Muskeln 51lokaler Stabilisator 106lokale Stabilisatoren 28

M

mentales Üben 123mid-stance-phase 66mid-swing 66mittlere Frontalebene 3Mobilisator 51, 52mobilisierende Massage 146Motivation 119, 124Motorik 118motorische Kontrolle 118motorisches Lernen 118Muskelaktivität 67, 115Muskelarbeit 41

dynamisch exentrisch 41dynamisch konzentrisch 41stabiliserend statisch 41

Muskelfähigkeit 99Muskelfunktionsprüfung 53, 99Muskeltraining 136muskuläre Bewegungseinschränkung 40muskuläre Dysbalance 52myofasziales System 49, 51

N

neutrale Position 102neutrale Stellung der Wirbelsäule 52normales Bewegungsverhalten 115Normwert der Tibiatorsion 98Nozizeptor 57

–––

O

Oberlänge 73Oberschenkel-Länge 74off ene Aufgabe 125Ökonomie 49ökonomische Aktivität 144ökonomisches Prinzip 38Outlet-Syndrom 72

P

Parkierfunktion 43Partizipation 59passive Insuffi zienz 40personenbezogene Faktoren 59Perzeption 132physiotherapeutische Diagnose 56Plastizität der Muskulatur 49Prä-Aktivierung 100Primärbewegung 27, 28, 35, 133Probebehandlung 112Propriozeption 52Protraktion/Retraktion 12proximale Radioulnargelenke 16

R

Reaktion 115Reaktionsbereitschaft der Muskulatur 104reaktiv 72reaktive Hyperaktivität 84, 113reaktives Armpendel 106reaktives Üben 114reale Zeiger 24referred pain 57refl ektorische Muskelverkürzung 40Rotationsstabilität 48Rotationssynergie 99, 105Rotationszeiger 9, 24Rotatorenmanschette 38, 106rotatorische Verschraubung 99, 105Rutschtendenz 47

S

Sagittalebene 2sagittotransversale Achsen 3sagittotransversaler Brustkorbdurchmes-

ser 3Schmerzen 134Schrittlänge 69Schrittzyklus 66Schubbelastung 84, 113Schwerkraft 41, 51, 114, 115

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Schwerkrafteinwirkung 50Schwerpunktlot 80segmentale Instabilität 52segmentale Stabilisation 52Selbständigkeit 113selektive Bewegung 114selektives Muskeltraining 46Sinnesorgane 104Sitzen 61Skapula 48Skapulakinematik 92skapulo-thorakales Gleitlager 12Spielbein 66Spielfunktion 43, 67Spinnübung 106Spurbreite 68stabile Gleichgewichtslage 29stabiles Gleichgewicht 32Stabilisator 51, 52stabilisierend/statisch 43stabilisierende Muskelaktivität 28, 34Stabilisierung 38Standbein 66Standbeinphase 67Statik 40, 52, 78, 113strukturelle Muskelverkürzung 40Stützfunktion 47, 67Symmetrieebene 4

T

Taxonomie 125nach Gentile 125

terminal stance 66Thomas-Handgriff 8, 29thorakaler Flachrücken 3thorakaler Rundrücken 3Tibiatorsion 96Tiefen 76Tiefensensibilität 130Timing 105, 109toe-off 66Tonusveränderung 40Trainingszustand 56Traktion 48Transversalebene 2Trennebene 31, 36Triple-Test 97Trippelphase 106Trochanterpunkt 74Türmchen 31

U

Übungsbedingung 125Umweltfaktor 59Unterlänge 73Unterstützungsfl äche 29

V

»Vierfüßlerstand« 104Valgusstellung 15Varusstellung 15ventral 3Ventralduktion/Dorsalduktion 12Ventralrotation 11Veränderung des Bewegungsverhal-

tens 114Verstärkung 124vertikal 4, 5Vierfüssler, Trippelphase 45

W

Wahrnehmungstraining 114WB 26Weggewinn 70weiterlaufende Bewegung 8, 26widerlagernde Mobilisation 26, 144Wiederholung 126Winkelveränderung 25

Z

Zeiger 7, 20Zentrierung der Gelenke 51Zielsehnsucht 64