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72 FORUM | 11. Juli 2014 KULT(UR) „Alleine traue ich mich nicht“ Der „ Kulturschlüssel Saar“ ermöglicht Interessierten die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen und die Begegnung Gleichgesinnter.

„Alleine traue ich mich nicht“ - kulturschluessel-saar.de KulturschlÃÃ...uns speziell quali"ziert für ihren Einsatz. Wir zeigen ihnen, wie sie mit verschie-denen Behinderungen

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72 FORUM | 11. Jul i 2014

KULT(UR)

„Alleine traue

ich mich nicht“Der „Kulturschlüssel Saar“ ermöglicht

Interessierten die Teilnahme an kulturellen

Veranstaltungen und die Begegnung Gleichgesinnter.

KULT(UR)

11. Jul i 2014 | FORUM 73

ch, wäre das schön, mal wie-der ins Kino zu gehen, oder in die Oper, ins �eater, ins Mu-seum oder auf den Sportplatz!

Aber alleine und ohne Begleitung?Für Inge Becker

ist das nicht mög-lich. Die 65-Jäh-rige ist gehbehin-dert. Auch das Sprechen fällt ihr schwer. Längere Strecken muss sie mit dem Rollator zurücklegen. So einfach mal locker vom Hocker den neuesten George-Clooney-Film anzuschauen, ist für die Burbacherin ein Ding der Un-

möglichkeit. Selbst ein Museumsbesuch oder die Teilnahme an einem Kabarett-abend kommen für sie ohne Begleitung nicht in Frage.

Doch immer nur zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen, nur Zaungast des wahren Lebens zu sein, das will Inge Becker auch nicht. „Ich will noch et-

was vom Leben haben, will dabei sein, will raus unter Menschen.“

Als sie von dem Projekt „Kultur-schlüssel Saar“ hörte, war sie direkt Feu-er und Flamme.

Susanne Burger sorgt dafür, dass

Menschen mit ähnlichen kulturellen

Interessen einander finden.

Das von der „Aktion Mensch“ "nan-zierte und dem „Verein für körper- und mehrfachbehinderte Menschen im Saar-land e.V.“ getragene Projekt vermittelt freiwillige Begleiter und bei Bedarf auch Freikarten für ältere oder behinderte Menschen, die ohne diese Begleitung nicht die Chance hätten, an den Veran-staltungen teilzunehmen.

Der Startschuss für das auf drei Jahre angelegte Projekt „Kulturschlüssel Saar“ "el im vergangenen Januar. Projektleite-rin Susanne Burger bringt Kulturveran-stalter und Kulturinteressierte, die gerne andere begleiten möchten, und Kultur-genießer, die Unterstützung für den Be-such einer Veranstaltung brauchen, zu-sammen. „Nach einer Anlaufphase ging es im April richtig los. Rund 65 Kultur-begleiter stehen bereits auf unserer Liste, dazu kommen rund 40 Kulturgenießer und knapp 30 Kulturspender. Täglich kommen weitere Kulturspender dazu“, freut sich Susanne Burger.

„Unsere Kulturbegleiter werden von uns speziell quali"ziert für ihren Einsatz. Wir zeigen ihnen, wie sie mit verschie-denen Behinderungen zurechtkommen, informieren über Versicherung, üben den Umgang mit Rollstühlen und geben eventuell Anweisungen zur besonderen Betreuung oder in Notfällen. Beim Be-such der Veranstaltung tragen Kulturge-nießer und Kulturbegleiter Namensschil-der mit Hinweis auf den „Kulturschlüssel Saar“. Für die ehrenamtlichen Kulturbe-gleiter ist der Eintritt frei, Fahrtkosten mit ö#entlichen Verkehrsmitteln oder mit dem eigenen Auto werden erstattet.“

„Ich will noch etwas

vom Leben haben“

Kulturbegleiterin Georgette Maebe

freut sich mit Elisabeth S. und

Inge Becker (von links), an einer

Veranstaltung des Saarländischen

Rundfunks teilzunehmen.

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74 FORUM | 11. Jul i 2014

Von den 65 gemeldeten Kulturbe-gleitern haben sich mittlerweile 25 quali"ziert. Georgette Maebe ist eine davon. Die 63-jährige gelernte Kran-kenschwester und Altenp$egerin hatte kürzlich ihren ersten Einsatz: Beglei-tung zweier Damen zu einer Lesung beim Saarländischen Rundfunk. Mit ihrem roten Kleinwagen holt die Rie-gelsberger Kulturbegleiterin Elisabeth S. an ihrer Wohnung am Winterberg ab. Die 65-Jährige, die ihren vollständigen Namen nicht gedruckt lesen möchte, ist noch gut zu Fuß und freut sich riesig, als es an ihrer Haustür klingelt. Die ehema-lige Bürokau#rau zog erst kürzlich von Frankfurt nach Saarbrücken, um in der Nähe ihrer Verwandten „die Rente zu verbringen“. Obwohl sie kontaktfreudig, aufgeschlossen und aktiv ist, hat die Al-leinstehende noch nicht viele Bekannte gefunden. „Viele Menschen in meinem Umfeld haben Familie, Enkel. Das alles habe ich nicht. Dafür habe ich Zeit, bin unternehmungslustig. Aber alleine ins

Konzert oder ins Kino zu gehen, traue ich mich nicht.“ Schon die Vorstellung, abends alleine an der Bushaltestelle zu stehen, ruft bei Elisabeth S. ein Grausen hervor. Richtig angenehm ist es dagegen für sie, bei ihrer Kulturbegleiterin Geor-gette Maebe ins Auto zu steigen.

Rasch entwickelt sich eine Unterhal-tung über kulturelle Vorlieben. „Opern sind nicht so mein Ding“, meint Geor-gette Maebe, Elisabeth S. schmunzelt und meint: „Ich mag auch lieber Le-sungen, Musicals oder Satire.“ Die bei-den Frauen werden schnell miteinan-der warm. Auf dem Halberg stößt die zweite Kulturgenießerin Inge Becker dazu. Susanne Burger hatte sie direkt von der Arbeit bei der „Reha GmbH“ zum Saarländischen Rundfunk gefah-ren. Hier übergibt sie ihren Schützling an Georgette Maebe. Die Wartezeit bis zum Start der Lesung überbrücken die drei mit Small Talk über Veranstaltun-gen, die sie gerne besuchen möchten, und über Sehenswürdigkeiten im Saar-land. Sogar über den Friedwald plau-dert das Trio und darüber, wie sehr sie sich auf den Nachmittag mit Christi-an Bauer freuen, der gleich aus seinem

Autor Christian

Bauer signiert ein

Buchexemplar für

Georgette Maebe

(unten) und steht

fürs Fanfoto gerade.

Vielfältige kulturelle

Erlebnisse können

Menschen verbinden

INFO

Saarländischer Rundfunk, Stadt

Saarbrücken, Zauberer Kalibo,

Hochschule für Musik Saar, Gunni

Mahling Show Ensemble, Breite63,

Stadtkapelle Homburg, Musikverein

Ommersheim e.V., Theater im Viertel,

Chor-Werk Hülzweiler e.V., Saarland-

museum, Europäischer Kulturpark

Bliesbruck-Reinheim, Römische

Villa Perl-Borg, Stadtmuseum Wa-

dern, Detlev Schönauer, Deutsche

Radio Philharmonie, Weltkulturerbe

Völklinger Hütte, Meisterkonzerte

Sulzbach, Musikschule Sulzbach,

Elmar Federkeil, Musikverein „Froh-

sinn“ Mimbach, Polizeiorchester des

Saarlandes. Weitere Kulturspender

und Sponsoren sind willkommen.

KULTURSPENDER

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11. Jul i 2014 | FORUM 75

KULT(UR)

Krimi „Zwei dicke Möpse“ lesen wird. Als der Pressechef des Saarländischen Rundfunks, Peter Meyer, die Vertreter vom „Kulturschlüssel“ sogar persön-lich begrüßt, sind die Damen gerührt über diese Aufmerksamkeit. Nach einer Stunde Eintauchen in die Krimiwelt von Kommissar Simarek freut sich Eli-sabeth S., dass sich der Autor Zeit zu einem kleinen Plausch mit ihr nimmt. Georgette Maebe nutzt die Gelegenheit, das Buch vom Autor signieren zu lassen. Fröhlich und bester Stimmung mar-schieren die drei zum Parkplatz, wobei Georgette Maebe ihrer Aufgabe als Kul-turbegleiterin alle Ehre macht. Sie hakt Inge Becker unter und führt sie sicheren Tritts ans Auto. Schwierig wird es, Inge Becker in den Wagen zu hieven. Nach einer kurzen Schrecksekunde, als ihr die Beine beim Hinsetzen versagen, sitzen alle glücklich und zufrieden im Auto.

Fazit: „Ohne den ‚Kulturschlüssel Saar‘ hätte wohl keine von uns an die-sem kulturellen Ereignis teilgenommen. Jede hätte den Nachmittag eher alleine verbracht“, sagen alle drei übereinstim-mend. Sorge, dass Begleiter und Genie-ßer nicht zusammen passen, hatte keine der drei. „Ich war mir sicher, dass die Projektleiterin schon die Richtigen zu-sammenbringt“, meinte Georgette Ma-ebe. Eine Einschätzung, die Susanne Burger bestätigt. „Wir bemühen uns, die kulturellen Vorlieben von beiden Seiten zu berücksichtigen. Wir schicken keinen Opernfan zu einem Schlagerfreund.“

„Für mich war das sicherlich nicht das letzte Mal, dass ich das Projekt ‚Kul-turschlüssel Saar‘ nutzen werde“, meint Georgette Maebe. „Vielleicht können wir ja zusammen zum Jazzfestival in St. Ingbert gehen“, schlägt Elisabeth S. vor. „Oder zum Maimarkt in Homburg“, ergänzt Inge Becker. „Das wäre schön“, lächelt ihre Begleiterin.

Monika Jungfleisch

KONTAKT

Kulturschlüssel Saar

Im Haus der Reha GmbH

Dudweilerstraße 72

66111 Saarbrücken

Telefon 0681-93621188

[email protected]

www.kulturschluessel-saar.de

INFO