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Gottesdienst am KARFREITAG, LOCCUM und WIEDENSAHL, 10.4.2020, vorbereitet von Konventual Helmut Aßmann Glockenläuten - das Läuten und alle Liedbegleitungen an der Loccumer Orgel durch Kantor Michael Merkel finden Sie auf der Webseite des Klosters eingestellt – www.kloster-loccum.de Eröffnung: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben“ (Joh.3,16) Lied EG 93, „Nun gehören unsere Herzen …“ 1. Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann aus Golgatha, der in bittern Todesschmerzen das Geheimnis Gottes sah, das Geheimnis des Gerichtes über aller Menschenschuld, das Geheimnis neuen Lichtes aus des Vaters ewger Huld. 2. Nun in heilgem Stilleschweigen stehen wir auf Golgatha. Tief und tiefer wir uns neigen vor dem Wunder, das geschah, als der Freie ward zum Knechte und der Größte ganz gering, als für Sünder der Gerechte in des Todes Rachen ging. 3. Doch ob tausend Todesnächte liegen über Golgatha, ob der Hölle Lügenmächte triumphieren fern und nah, dennoch dringt als Überwinder Christus durch des Sterbens Tor; und die sonst des Todes Kinder führt zum Leben er empor. 4. Schweigen müssen nun die Feinde vor dem Sieg von Golgatha. Die begnadigte Gemeinde sagt zu Christi Wegen: Ja! Ja, wir danken deinen Schmerzen; ja, wir preisen deine Treu; ja, wir dienen dir von Herzen; ja, du machst einst alles neu. Karfreitag ist ein Tag der Leere und der Trauer. Menschen haben Gott getötet. Wir Menschen haben Gott getötet. Eine schwere Botschaft, ein Verharren vor dem dunklen Geheimnis der Welt und des Himmels.

„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ... · „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen,

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Page 1: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ... · „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen,

Gottesdienst am KARFREITAG, LOCCUM und WIEDENSAHL, 10.4.2020, vorbereitet von Konventual Helmut Aßmann Glockenläuten - das Läuten und alle Liedbegleitungen an der Loccumer Orgel durch Kantor Michael Merkel finden Sie auf der Webseite des Klosters eingestellt – www.kloster-loccum.de Eröffnung: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben“ (Joh.3,16) Lied EG 93, „Nun gehören unsere Herzen …“

1. Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann aus Golgatha, der in bittern Todesschmerzen das Geheimnis Gottes sah, das Geheimnis des Gerichtes über aller Menschenschuld, das Geheimnis neuen Lichtes aus des Vaters ewger Huld.

2. Nun in heilgem Stilleschweigen stehen wir auf Golgatha. Tief und tiefer wir uns neigen vor dem Wunder, das geschah, als der Freie ward zum Knechte und der Größte ganz gering, als für Sünder der Gerechte in des Todes Rachen ging.

3. Doch ob tausend Todesnächte liegen über Golgatha, ob der Hölle Lügenmächte triumphieren fern und nah, dennoch dringt als Überwinder Christus durch des Sterbens Tor; und die sonst des Todes Kinder führt zum Leben er empor.

4. Schweigen müssen nun die Feinde vor dem Sieg von Golgatha. Die begnadigte Gemeinde sagt zu Christi Wegen: Ja! Ja, wir danken deinen Schmerzen; ja, wir preisen deine Treu; ja, wir dienen dir von Herzen; ja, du machst einst alles neu.

Karfreitag ist ein Tag der Leere und der Trauer. Menschen haben Gott getötet. Wir Menschen haben Gott getötet. Eine schwere Botschaft, ein Verharren vor dem dunklen Geheimnis der Welt und des Himmels.

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Dass uns dieser Tag auf dem Hintergrund einer weltweiten Lebensgefährdung trifft, macht deutlich, dass die letzten Fragen nicht weit weg, sondern täglich nah und da sind. Wir bitten Gott um Erbarmen: Ewiger Gott, du bist zu allen Zeiten derselbe. Ehre und Macht, Heiligkeit und Größe sind dein. Wir aber sind ein Hauch, ein Nichts. Wir alle kommen rein und gehen schuldig. Wir bitten: Herr, erbarme dich Gnädiger Gott, was wäre die Welt ohne dein Erbarmen, was wäre unser Leben ohne deine Vergebung, was wäre unser Herz ohne dein Wort! Wir reden davon,, aber wir glauben dir nicht. Wir bitten: Herr, erbarme dich Unergründlicher Gott, wir verstehen diese Welt nicht ohne dich. Aber mit dir wird sie uns nicht klarer. Du hast Dein Schicksal in unsere Hand gegeben. Aber unser Schicksal steht auch in der Deinen. Wir bitten: Herr, erbarme dich. Darum kommen wir zu Dir mit dem Gebet, das dein Sohn uns gelehrt hat: Vaterunser im Himmel, geheiligt werde dein Name…

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Psalm 22 I, EG 709 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe. Du aber bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels. Unsere Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfest du ihnen heraus. Zu dir schrien sie und wurden errettet, und hofften auf dich und wurden nicht zuschanden. Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer. Aber du, Herr, sei nicht ferne; meine Stärke, eile, mir zu helfen.

Wir beten: Ewiger Gott, so sehr uns auch die natürliche Sonne bescheint, die Welt ist düster geworden, undurchsichtig, fremd. Angst ist aufgezogen und Unsicherheit, worauf es hinauswill. Worauf du mit uns hinauswillst. Herr Jesus Christus, es war gewiss ein lichter Tag, an dem du gestorben bist. Doch Dunkelheit überzog den Mittag deines Todes. Du wusstest nicht, wer dich am Ende auffangen würde, aber du hast dich nicht verweigert. Heiliger Geist, so viel wir auch verstanden haben, wir haben keine Ahnung, wer wir sind, wer du bist und was aus uns werden wird. Dein Licht ist anders als unsere Lampen. Deine Erkenntnis ist tiefer als unsere Begriffe. Dreieiniger Gott, geh mit uns durch diesen Tag, geh mit uns durch diese Zeit, geh mit uns durch unser Leben. Herr, geh nicht ohne uns. Amen

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Alttestamentliche Lesung Hos.5,15 – 6,6 (5,15) Ich will wieder an meinen Ort gehen, bis sie ihre Schuld erkennen und mein Angesicht suchen; wenn es ihnen übel ergeht, so werden sie mich suchen. (6,1) „Kommt, wir wollen wieder zum Herrn, denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen, er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden. (2) Er macht uns lebendig nach zwei Tagen, er wird uns am dritten tage aufrichten, dass wir vor ihm leben werden. (3) Lasst uns darauf Acht haben und danach trachten, den Herrn zu erkennen, denn er wird hervorbrechen wie die schöne Morgenröte und wird zu uns kommen wie ein Regen, wie ein Spätregen, der das Land feuchtet“. (4) Was soll ich dir tun, Ephraim? Was soll ich dir tun, Juda? Denn eure Liebe ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der frühmorgens vergeht. (5) Darum schlage ich drein durch die Propheten und töte sie durch die Worte meines Mundes, dass mein recht wie das Licht hervorkomme. (6) Denn ich Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer. Lied EG 84, 7-10 „O Welt, sieh hier dein Leben …“

7. Ich bin, mein Heil, verbunden all Augenblick und Stunden dir überhoch und sehr; was Leib und Seel vermögen, das soll ich billig legen allzeit an deinen Dienst und Ehr.

8. Nun, ich kann nicht viel geben in diesem armen Leben, eins aber will ich tun: es soll dein Tod und Leiden, bis Leib und Seele scheiden, mir stets in meinem Herzen ruhn.

9. Ich will's vor Augen setzen, mich stets daran ergötzen, ich sei auch, wo ich sei; es soll mir sein ein Spiegel der Unschuld und ein Siegel der Lieb und unverfälschten Treu.

10. Ich will daraus studieren, wie ich mein Herz soll zieren mit stillem, sanften Mut, und wie ich die soll lieben, die mich doch sehr betrüben mit Werken, so die Bosheit tut.

Evangelium nach Johannes, Kap.19 (16) Pilatus überantwortete ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber. (17) und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur

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Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. (18) Dort kreuzigten sie ihn und mit ihmzwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. (19) Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König. (20) Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. (21) Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König. (22) Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. (23) Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. (24) Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt: „Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen“. Das taten die Soldaten. (25) Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. (26) Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! (27) Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. (28) Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. (29) Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund. (30) Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied. Lied EG 81, 1.4.5 „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen …“

1) Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen, dass man ein solch scharf Urteil hat gesprochen? Was ist die Schuld, in was für Missetaten bist du geraten?

2) Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe! Der gute Hirte leidet für die Schafe, die Schuld bezahlt der Herre, der Gerechte, für seine Knechte.

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3) Der Fromme stirbt, der recht und richtig wandelt, der Böse lebt, der wider Gott gehandelt; der Mensch verdient den Tod und ist entgangen, Gott wird gefangen.

Predigt zu 2. Kor.5, 14-21 14 Wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. 15 Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und auferweckt wurde. 16 Darum kennen wir nun niemanden mehr nach dem Fleisch; auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch so jetzt nicht mehr. 17 Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe: Neues ist geworden. 18 Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. 19: Denn: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihr Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. 20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir ihn ihm die Gerechtigkeit würden, die vorn Gott gilt.

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Liebe Schwestern und Brüder,

wie soll man so was nehmen, wenn man sich den Mann am Kreuz anschaut: „Gott ist hier und versöhnt die Welt mit ihm selbst und rechnet ihnen nicht zu, was sie an Sünde auf sich geladen haben“? Leicht ist das nicht.

Fangen wir persönlich an. Paulus hat Jesus nicht gekannt. Persönlich. Der auferstandene Jesus ist ihm, so darf man seine Notiz aus einem anderen Brief an die Korinther wohl auslegen, zwar auf seinem Weg nach Damaskus vor dem Stadttor erschienen (vgl. Apg.93-5). Aber was heißt „erscheinen“ in solch einem Zusammenhang? Paulus verfolgte damals gerade die Nachfolger oder Anhänger Jesu, die behaupteten, er sei auferstanden.

Er selbst hatte ja keine Anschauung von dem, was die Evangelien berichten. Die waren noch gar nicht geschrieben. Er wusste nicht, was es mit den Geschichten im Garten Gethsemane auf sich hatte, kannte Judas nicht, wusste nichts vom Verrat des Petrus, von der Szene am Kreuz. Mit den Zwölfen hat er sich nie getroffen, er berichtet lediglich von Gesprächen und Auseinandersetzungen mit Petrus und Johannes aus dem Jüngerkreis und mit Jakobus, dem leiblichen Bruder Jesu. Die werden ihm sicherlich viel erzählt haben, aber davon merken wir in all seinen Briefen nichts.

Es ist verrückt: Wir erfahren bei ihm nichts über die Ereignisse auf Golgatha und die ganze unglaubliche Zeit des öffentlichen Wirkens Jesu, die den Jüngern und der ganzen frühen Gemeinde in den Gedanken und den Knochen gesteckt haben müssen. Sowas drückt doch keiner einfach weg. Aber es findet sich kein

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Jesus – Zitat aus der Feder des Paulus, nicht eines. Dabei schreibt er die Korintherbriefe in den 50er Jahren, also etwa knapp 25 Jahre nach dem Tod Jesu. Das ist alles nicht sehr weit voneinander entfernt.

Da leben auch alle wichtigen und persönlich beteiligten Leute noch: Die Mutter Jesu, seine Geschwister, die anderen Verwandten, von Joseph, dem Vater, fehlt freilich jede Spur. Aber auch die anderen: Seine Nachbarn und Spielkameraden, die Menschen, die er gesund gemacht hat, die Zuhörer bei seinen Predigten, die das Brot und die Fische zu Tausenden gegessen haben – die werden ja zum allergrößten Teil noch auffindbar gewesen sein.

In solchen Fällen laufen doch Worte der berühmten Person um, da gibt es Zitate zuhauf, da werden Geschichten erzählt und Gleichnisse weitergegeben, die Auskunft darüber geben, was Jesus sich denn selbst gedacht hat, wie er sich verstanden hat und was er seinen Leuten mit auf den Weg hat geben wollen. Florilegiensammlungen wie bei Franz von Assisi oder Tischgespräche von Martin Luther. Ich hätte vermutlich versucht, alles mögliche herauszubringen, wie es wirklich war und das sich begeben hat und welches spirituelle und religiöse Erbe da angetreten werden kann.

Warum kommt das bei Paulus alles nicht vor? Es gibt, wie gesagt, nicht ein einziges Jesuszitat, kein Gleichnis, keine Story, und sei sie wenigstens originell erfunden, nichts. Es ist wirklich zum Wundern und Staunen. Mal ehrlich aus der persönlichen Erfahrung gesprochen: Was bei mir 25 Jahre zurückliegt und mein ganzes Leben umgekrempelt hat, das weiß ich aber noch im Detail und sehr genau und aus dem Effeff. Da werde ich redselig und schmücke, wenn es sein muss, alles noch ein bisschen aus, damit deutlich wird, worauf es mir ankommt.

Stattdessen das ganze Gegenteil. V.16 aus dem Predigttext betont er es sogar noch einmal: Darum kennen wir nun niemanden mehr nach dem Fleisch; auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, also: Jesus, so kennen wir ihn doch so nicht mehr. Mit anderen Worten: Es liegt ihm an diesen Erinnerungen, diesen Geschichten aus der Vergangenheit ausdrücklich und mit Überzeugung nichts. Das ist ihm nicht zufällig passiert. Es ist tatsächlich vollkommen bedeutungslos. Das Alte, so sagt er es, ist vergangen. Neues ist geworden.

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Paulus hat also nicht blumenreich und phantasievoll ausgeschmückt, um rhetorisch zu feiern, worum es ihm geht und was ihm widerfahren ist. Sondern fokussiert mit großer Schärfe und Dringlichkeit auf das, worauf es bei Christus ankommt. Für ihn zählt allein dies: Dass der, der am Kreuz gehangen hat, auferstanden ist von den Toten.

Klingt vielleicht erst einmal seltsam. Aber Paulus war ein Pharisäer. Und der Glaube an die Auferstehung der Toten war als solche für ihn kein wirklicher Stein des Anstoßes. Man kann das nachlesen bei Paulus selbst. Wiederum im 1. Korintherbrief, Kap.1512-19. Wir wissen das aber auch aus den anderen theologischen Debatten der damaligen Zeit. Auferstehung – die gehörte zu den großen Themen der Frömmigkeit. Darüber bestand kein großer Dissens.

Natürlich: Tote pflegten auch in der damaligen Zeit nicht alle Nase lang aufzuerstehen. Das wurde schon verstanden als ein Zeichen besonderer Gottesnähe und auch der Auftakt zum Ende der Welt. Also: Das Ereignis als solches wäre natürlich eine Sensation gewesen, aber darum ging es Paulus im Kern nicht.

Der kritische und entscheidende Punkt war: Dieser auferstandene Tote war es, dessen Auferstehung ihn sozusagen aus den Schuhen schlug. Dass der Gekreuzigte ihm erschienen war, hat ihm seinerzeit die Sprache verschlagen. Etwas plump ausgedrückt: Er, Jesus, war auf Gottes Seite. Und Paulus war auf der anderen. Genauer: Gott, genau der Gott, dessen Willen Paulus

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leidenschaftlich verfolgte, war auf der Seite Jesu gewesen und nicht auf seiner. Die Christen hatten Recht, und er selbst, Paulus, war im Irrtum. Jesus war offenkundig kein aufgeblasener Superfrommer, kein Gotteslästerer, als der er ihn und seine Nachfolger eingeordnet hatte, und seine Anhänger waren keine verbiesterten Spinner, denen der Marsch geblasen gehört. Der Mann aus Nazareth er war ein Mann Gottes gewesen, viel mehr, als Paulus selbst es gewesen war. Paulus, das ist die einfache Summe, hatte sich komplett getäuscht.

Aber wenn das der Fall war, dann ging es beim Tod Jesu noch um etwas ganz anderes und Bedeutenderes als das Scheitern eines Gerechten. Davon gab und gibt es viele. Die Weltgeschichte ist voll von denen, die durch ihren eigenen Einsatz für die gute oder Gottes Sache ums Leben gebracht worden sind. Vor und nach Jesus ist das eine immer wiederkehrende Tragödie. Als würden die Menschen es nicht aushalten, wenn ihnen einer einfach die Wahrheit über sie, über die Welt und über Gott sagt. Als würde sie es nicht ertragen, wenn unter ihnen ein guter Mensch aufsteht, an dem sie erkennen, dass sie selbst es nicht sind.

Aber hier verhält es sich noch anders. Der da hingerichtet wurde, starb nicht als Unglücksfall, sondern starb offenkundig noch für etwas anderes als für seine Sache oder gar für sich selbst. Der starb auch nicht einfach für Gott. Also kein Märtyrer, als den ihn manche seiner Anhänger bis heute verehren. Jesus verhandelte nicht nur sein eigenes Schicksal, so schwer schon das gewesen wäre.

Paulus musste den Gott, an der glaubte, und das Schicksal Jesu zusammenbringen. Die hatten miteinander zu tun. Offenbar war Jesus auf Golgatha sozusagen in die göttliche Kraft hineingestorben und nicht aus ihr hinausbefördert worden, wie er angenommen hatte. Bei diesem Tod hatte Gott selbst seine Hände im Spiel, auf eine geheimnisvolle und schwer beschreibbare Weise. Das musste sogar heißen, dass Gott ein anderer war als er es sich vorgestellt hatte. Ja, als alle sich das vorgestellt hatten.

Die Kompliziertheit der Sätze in diesem kleinen Text rührt wohl daher, dass Paulus als erster versucht hat, den Tod Jesu im Angesicht seiner Lebendigkeit als jemand zu verstehen, der kein Jünger war. Und er hatte keine sprachlichen Vorbilder. Die echten Jünger, also Petrus und Johannes und all die anderen werden das auf ihre Weise ebenfalls versucht haben,

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aber es sind eben die Worte des Paulus, die uns als erste und früheste Versuche überliefert sind.

Aber: Sie öffnen deswegen eine Dimension Gottes, der zu glauben bis heute Menschen schwer fällt. Es ist leichter, Gott in der Höhe und der Herrlichkeit zu glauben, mit Gerechtigkeitspathos und Rachevollmacht, mit dem Eifer, es allen so richtig zu besorgen, die es verdient haben.

Und es ist viel schwerer, in dem Schmerzensmann den Gott zu erkennen, dessen Liebe uns, den Menschen, gilt, die allesamt das verfehlen, wozu sie auf der Welt sind. Ja, dessen Liebe uns verwandelt, auch so zu werden, ja, genau so zu werden. Karfreitag ist schwer.

Amen. Meditative Musik (siehe die Audio-Datei auf der Webseite des Klosters) Wir beichten: Gebet: Herr, im Lichte deiner Wahrheit erkenne ich, dass ich schuldig geworden bin in Gedanken, Worten und Werken. Dich soll ich über alles lieben als meinen Gott und Heiland, doch ich habe mich selbst mehr geliebt als dich. Du hast mich in deinen Dienst gerufen, aber ich habe die Zeit vertan, die du mir anvertraut hast. Meinen Nächsten hast du mir gegeben, ihn zu lieben wie mich selbst; aber ich erkenne, dass ich versagt habe in Selbstsucht und Trägheit des Herzens. Darum komme ich zu dir und bekenne meine Schuld. Richte mich, mein Gott, aber verwirf mich nicht. Sie du mich an und verwandle mich. Ich weiß keine andere Zuflucht als dein unergründliches Erbarmen. Auf Dich verlasse ich mich im Leben und im Sterben. Amen.

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Lied: EG 85,6 „Ich will hier bei dir stehen …“ 5) Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht; von dir will ich nicht gehen, wenn dir dein Herze bricht; wenn dein Haupt wird erblassen im letzten Todesstoß, alsdann will ich dich fassen in meinem Arm und Schoß.

Wir bitten um Gottes Segen: Ewiger Gott, unser Vater von Natur und Wesen. Wir bitten dich um einen tiefen und einfachen Glauben und einen wachen und aufmerksamen Geist in allen Dingen. Entzünde in uns die Liebe, die du selber bist, und segne uns und deine ganze Kirche durch Erkenntnis und Wachstum in Jesus Christus durch den Heiligen Geist. Amen.