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Eckhard Flohr / Ludwig Gramlich (Hrsg.) Aktuelle Aspekte des Franchising im In- und Ausland Chemnitz 2009
2
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Prof. Dr. Ludwig Gramlich
3
Entwicklungen im nationalen und internationalen Franchise-Recht
RA Prof. Dr. Eckhard Flohr
5
Franchise-Verträge als multilaterale Vertragsbeziehungen?
Stud. rer. pol. David Adam
21
AGB-Kontrolle von Franchise-Verträgen
Stud. rer. pol. Martin Czikowski
40
Europarechtliche Vorgaben für Franchising
Stud. rer. pol. Isabell Descher
63
Informationsasymmetrie bei Franchise-Systemen – insbesondere bei der
vorvertraglichen Aufklärung
Stud. rer. pol. Lisa Frenzel
85
Mediation bei Franchise-Systemen – eine zukunftsweisende Streitschlichtung?
Stud. rer. pol. Andreas Löwe
105
Franchise-Recht in europäischen Ländern mit Franchise-Gesetzgebung –
Belgien
Stud. rer. pol. Michael Opitz
130
Adressen der Franchise-Wirtschaft,
Materialien zum Franchise-Recht (Hinweise)
144
3
Vorwort
Ein Chemnitzer Gastvortrag von Rechtsanwalt Prof. Dr. Eckhard Flohr im Rahmen des
Wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsseminars im Januar 2008 hat den Anlass dazu
gegeben, angesichts der großen Zahl von Interessenten und der von mehreren Kollegen für
wichtig erachteten Vertiefung von Schnittstellen zu verschiedenen Veranstaltungen der
Studiengänge der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften im Wintersemester 2008/09
(zusammen mit der Professur für Öffentliches Recht und Öffentliches Wirtschaftsrecht) ein
gemeinsames Seminar zu aktuellen Problemen des Franchising auf nationaler und
internationaler Ebene zu veranstalten. An der – nach einem Auftakttermin, bei der die
Themenvergabe und -erläuterung erfolgte – wurden insgesamt 17 schriftliche Arbeiten
vorgelegt und in zwei Blockveranstaltungen von den Seminarteilnehmern multimedial
präsentiert; neben Studierenden der Wirtschaftswissenschaften (Diplom und Bachelor)
nahmen auch Studenten der Wirtschaftspädagogik sowie der Europastudien mit
wirtschaftswissenschaftlicher Ausrichtung teil. Das bereits zu Beginn erkennbare große
Engagement aller Teilnehmer schlug sich in zahlreichen Konsultationen der beiden
Seminarleiter (Prof. Flohr und Prof. Gramlich) nieder; auch die beiden wissenschaftlichen
Mitarbeiterinnen an der Professur Jura I, Frau Dr. Kerstin Orantek und Frau Rechtsanwältin
Katja Ruttkowski, waren nicht nur bei den Seminarsitzungen zugegen, sondern berieten
bereits im Vorfeld, nicht zuletzt im Hinblick auf redaktionelle und organisatorische Fragen.
Technische Unterstützung für die Veröffentlichung leistete Herr Stud. rer. pol. Robert
Fritzsche.
Diese „Rundum-Unterstützung“ zeitigte in den meisten Fällen sehr erfreuliche Ergebnisse.
Sechs besonders gelungene schriftliche Arbeiten werden daher – nach einer nochmaligen
Durchsicht und äußeren Vereinheitlichung – in diesem Buch der Öffentlichkeit vorgestellt;
Prof. Flohr war überdies sofort bereit, einen eigenen Beitrag zur Einführung in die Thematik
zu verfassen, der den Seminararbeiten vorangestellt ist. Besonders hervorzuheben ist das
durchweg gelungene Bemühen der studentischen Arbeiten um eine interdisziplinäre
Darstellung; die juristischen Aspekte fügen sich nahtlos in den größeren wirtschaftlichen
Kontext ein.
Der Erfolg des ersten gemeinsamen Seminarprojekts hat nicht allein die Fakultät bewogen,
die Veranstaltung in den Katalog der regulären Seminarangebote aufzunehmen; vielmehr
soll die damit verfolgte Zielsetzung, aktuelle (rechtliche) Fragen einer weltweit wichtigen
wirtschaftlichen Vertriebs- und Organisationsform Studierenden näher zu bringen, dauerhaft
in jedem Wintersemester fortgesetzt werden. Dabei wird zugleich eine fruchtbare
4
Kooperation von Wissenschaft und Praxis angestrebt und den studentischen Teilnehmern
eine wichtige berufliche Perspektive aufgezeigt.
Univ.-Prof. Dr. iur. Ludwig Gramlich
Professur für Öffentliches Recht und Öffentliches Wirtschaftsrecht
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
Technische Universität Chemnitz
5
Entwicklungen im nationalen und internationalen Franchise-Recht
RA Prof. Dr. Eckhard Flohr
I. Entwicklung und Begriff des Franchising
1. Geschichte des Franchising
Franchising ist nicht nur ein Vertriebskonzept, das in vielfältigen Organisationsformen
Verwendung finden kann. Seit Anfang der siebziger Jahre ist eine deutliche
Internationalisierung der Franchise-Systeme zu erkennen. Der kürzer werdende
Lebenszyklus von Produkten und Geschäftstypen und die steigenden Aufwendungen für
Markteinführungen bei Produkten und Geschäftstypen lassen es angezeigt sein, in räumlich
wachsenden Märkten mit wachsenden finanziellen Anforderungen unter Marketing-, Kosten-
und Know-how-Gesichtspunkten mehr als bisher auf das Franchising als eine Vertriebsform
zurückzugreifen1. Diese Entwicklung wurde zunächst durch die am 01. Februar 1989 in Kraft
getretene und bis zum 31. Dezember 1999 geltende EU-Gruppenfreistellungsverordnung für
Franchise-Vereinbarungen2 gefördert; seit dem 01. Januar 2000 gilt insoweit die EU-
Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale Vertriebsbindungen3. Diese EU-
Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale Vertriebsbindungen hat sich genauso wie die
vorangegangene für Franchise-Vereinbarungen zur maßgeblichen Guideline für die
Gestaltung von Franchise-Verträgen entwickelt4.
Franchise-Systeme wurden als funktionsfähige Kooperationssysteme in den USA unmittelbar
nach dem Zessionskrieg durch den Nähmaschinenhersteller Isaac Merit Singer und der
Eröffnung einer Kette von Einzelhandelsgeschäften unter der Lizenz „Singer“ im Jahre 1898
von General Motors und im Jahre 1902 von Rexall eingeführt5. Weitere Vorläufer solcher
Franchise-Systeme waren die sog. „Wagon-Peddlers“ aus Mitte des 19. Jahrhunderts oder
gar schon die von Kirche, König oder Staat an bedeutsame Persönlichkeiten verliehenen
Privilegien im Mittelalter. Letztlich sind als Vorläufer der heutigen Franchise-Systeme die
1 Vgl. zum Ganzen Martinek, in: Handbuch des Vertriebsrechts, 2. Auflage, München 2003, § 18; Skaupy, Fran-chising, S. 176 ff.; Hänlein, DB 2000, 374 und Peckert/Erdmann/Kiewitt, Gründung mit System, mit einem umfas-senden Überblick über die aktuellen Franchise-Systeme des deutschen Markts, Frankfurt 2002. 2 EG-Amtsblatt Nr. L 359/52 – abgedruckt bei Flohr, Franchise-Handbuch, Berlin 1994/96, Gruppe I/I. 3 ABl. L 336, 221 – Entwicklung der EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale Vertriebsbindungen; siehe auch Flohr, Franchise-Vertrag, 3. Auflage, München 2006, S. 8 ff.: Liebscher/Petsche, EUZW 2000, 400; Metz-laff, BB 2000, 1201; Pukall, NJW 2000, 1375. 4 Vgl. dazu Giesler/Nauschütt, Franchiserecht, 2. Auflage, Bonn 2007, Kap. 2, Rn. 70 ff. mit umfassenden Nachweisen. 5 Zur Entwicklung des Franchising in den USA siehe die Nachweise bei Martinek, Vertriebsrecht, a.a.O., § 18, Rn. 2.
6
Absatzsysteme mit Depositären und Konzessionsären zu nennen, die in Mitteleuropa bereits
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitet waren6.
Den Grundstein für das heute business-orientierte Franchising legte 1955 der ehemalige
Milchmixgerätevertreter Ray Kroc mit der Fast-Food-Kette McDonalds.
Trotz aller Entwicklung, die das Franchising – vor allem durch die EU-
Gruppenfreistellungsverordnung für Franchise-Vereinbarungen – erfahren hat und auf der
Grundlage der EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale Vertriebsbindungen noch
erfahren wird, gilt nach wie vor die Aussage von Medicus7: „Am Franchising ist zunächst
schon der Name erklärungsbedürftig“.
2. Entwicklung des Franchising in den USA
Kurz vor Gründung der Vereinigten Staaten wurden in den amerikanischen Kolonien der
Begriff „Franchise-England“ aufgegriffen, um die staatlichen Konzessionen an Kolonisten zur
Bewirtschaftung des Landes zu bezeichnen, später um Rechte zur Sondernutzung
öffentlicher Sachen oder zur Wahrnehmung staatlich monopolisierter Tätigkeiten zu
gewähren. Allerdings fand der Franchise-Begriff in den USA erst Ende des 19. Jahrhunderts
Verwendung zur Bezeichnung privater unternehmerischer Kooperationen unter Übertragung
von Rechten gegen Leistung von Lizenzgebühren. Bald bezeichnete der Begriff Franchising
in den USA die verschiedensten unternehmerischer Zusammenarbeit beim Absatz von
Waren und Dienstleistungen, soweit dem Absatzmittler irgendeine Erlaubnis oder Gestattung
gegen Leistung von Gebühren verliehen wurde8. Nachdem der Umsatz der Franchise-
Systeme von etwa 65 Milliarden US-Dollar in 1976 auf 178 Milliarden US-Dollar in 1984
angestiegen war, betrug dieser in 2000 800 Milliarden US-Dollar. Damit ist die Hälfte jedes
im Einzelhandel (inkl. Autohandel und Tankstellen) ausgegebenen Dollars in den USA der
Franchise-Wirtschaft zuzuordnen und nunmehr:
Im Jahr 2007 haben in den USA 2.500 Franchise-Systeme und knapp 800.000 Franchise-
Nehmer einen Umsatz von $ 588 Mrd. erwirtschaftet. Gleichzeitig schuf die Franchise-
Wirtschaft in den USA 10 Mio. Arbeitsplätze.
6 Ausführlich dazu sowie zu den historischen Vorgängern des Franchising Tietz, Handbuch Franchising, 2. Aufla-ge, Landsberg/Lech 1991, S. 7 f.; Martinek, Franchising, Heidelberg 1987, S. 33 f. m.w.N. 7 Schuldrecht, Besonderer Teil, 14. Auflage, München 2007, Rn. 608. 8 Ausführlich zum Ganzen Martinek, Franchising, a.a.O., S. 34-36; Tietz, a.a.O., S. 8.
7
3. Entwicklung des Franchising in Europa und Deutschland
Während demgemäß in den USA schon früh der Franchise-Boom einsetzte, begann die
Franchisierung in Europa erst nach 1960 und verlief auch weitaus ruhiger9. Die European
Franchise Federation (EFF) umfassen hier zur Zeit 17 verschiedene nationale Franchise-
Organisationen aus 13 europäischen Ländern – mit nicht allen EU-Mitgliedstaaten,
ausgeschlossen Irland und Luxemburg sowie Norwegen, Ungarn, die Schweiz und
Slowenien. Jede dieser nationalen Franchise-Organisationen stellt gleichzeitig das offizielle
Repräsentationsorgan für die Franchise-Wirtschaft im jeweiligen Land dar.
In Deutschland hat das Franchising erst spät an Bedeutung gewonnen. Insbesondere die
80er Jahre, aber auch die nach der Wiedervereinigung einsetzende Existenzgründungswelle
führte geradezu zu einem Boom des Franchising. Diese Entwicklung hat sich zwar
zwischenzeitlich – insbesondere der in 1999 geführten Diskussion um die
Scheinselbständigkeit der Franchise-Nehmer – abgeschwächt, doch ist Franchising nach wie
vor eine Wachstumssparte. Während in 1995 noch 530 Franchise-Systeme mit 22.000
Franchise-Nehmern einen Gesamtumsatz von 24 Milliarden DM erwirtschafteten, sind
nunmehr in 2007 910 Systeme mit 55.700 Franchise-Nehmern tätig. Insgesamt arbeiteten
441.000 Beschäftigte in der Franchise-Wirtschaft und erzielten so einen Umsatz von EUR
41,5Mrd.10.
II. Begriff des Franchising
1. Franchise-Definition
Nach dem Ehrenkodex des Deutschen Franchise-Verbandes11 wird Franchising wie folgt
definiert:
„Franchising ist ein Vertriebssystem, durch das Waren und/oder Dienstleistungen
und/oder Technologien vermarktet werden. Es gründet sich auf eine enge und
fortlaufende Zusammenarbeit rechtlich und finanziell selbständiger und unabhängiger
Unternehmen, den Franchise-Geber und seine Franchise-Nehmer. Der Franchise-
Geber gewährt seinen Franchise-Nehmern das Recht und legt ihnen gleichzeitig die
Verpflichtung auf, ein Geschäft entsprechend seinem Konzept zu betreiben. Dieses
Recht berechtigt und verpflichtet den Franchise-Nehmer, gegen ein direktes oder
indirektes Entgelt im Rahmen und für die Dauer eines schriftlichen, zu diesem Zweck
9 Vgl. zum Ganzen Tietz, a.a.O., S. 9 f. 10 Angaben des Deutschen Franchise-Verbandes unter www.franchiseverband.com. 11 Abgedruckt in: Jahrbuch Franchising 1999/2000, S. 218 ff.
8
zwischen den Parteien abgeschlossenen Franchise-Vertrages per laufender
technischer und betriebswirtschaftlicher Unterstützung durch den Franchise-Geber
den Systemnamen und/oder das Warenzeichen und/oder die Dienstleistungsmarke
und/oder andere gewerbliche Schutz- oder Urheberrechte sowie das Know-how, die
wirtschaftlichen und technischen Methoden und das Geschäftsordnungssystem des
Franchise-Gebers zu nutzen.“
Dieser Begriff des Franchising entsprach dem in Art. 1 Ziff. 3 der bis zum 31. Dezember
1999 geltenden EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Franchise-Vereinbarung12. Nach der
EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Franchise-Vereinbarungen wurde der Franchise-
Begriff geprägt durch:
� Know-how: Gesamtheit von nichtpatentierten praktischen Erkenntnissen, die auf
Erfahrungen des Franchise-Gebers sowie Erprobungen durch diesen beruhen
und die geheim, wesentlich und identifiziert sind.
� Geheim: das Know-how muss in seiner Substanz, seiner Struktur oder der
genauen Zusammensetzung seiner Teile nicht allgemein bekannt oder nicht leicht
zugänglich sein, wobei der Begriff nicht in dem Sinne zu verstehen ist, dass jeder
einzelne Teil des Know-how außerhalb des Geschäfts des Franchise-Gebers
unbekannt oder unerhältlich sein müsste.
� Wesentlich: das Know-how umfasst Kenntnisse, die für den Verkauf von Waren
oder die Erbringung von Dienstleistungen an Endverbraucher, insbesondere für
die Präsentation der zum Verkauf bestimmten Waren, die Bearbeitung von
Erzeugnissen im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen, die für
die Art und Weise der Kundenbedienung sowie die Führung des Geschäfts in
verwaltungsmäßiger und finanzieller Hinsicht wichtig sind.
� Identifiziert: das Know-how muss ausführlich genug beschrieben sein, um prüfen
zu können, ob es die Merkmale des Geheimnisses und der Wesentlichkeit erfüllt.
Dieser Know-how-Begriff ist nahezu wörtlich identisch mit der seit dem 01. Januar 2000
geltenden EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale Vertriebsbindungen. Das Know-
how wird nach wie vor als ein geheimes und nicht allgemein zugängliches Know-how
12 EG-ABl. L 359, 52 – abgedruckt bei Flohr, Franchise-Handbuch, a.a.O., Gruppe I/I.
9
umschrieben, anhand dessen das Franchise-System zu identifizieren ist, dessen
Wesentlichkeit betont13 und das für Franchise-Systeme unerlässlich ist14.
Ansonsten muss zur Umschreibung des Franchise-Begriffs auf Textziffer 42 der Guidelines
zur Vertikal-GVO zurückgegriffen werden. Die dort enthaltene Begriffsumschreibung
entspricht der der Franchise-GVO, die der Deutsche Franchise-Verband wiederum in seine
anerkannte Begriffsdefinition einbezogen hat15. Auch in der Rechtsprechung des BGH sucht
man eine Definition des Franchising vergeblich. Zurückgegriffen wird in der Regel auf die
Begriffsumschreibung der Vertikal-GVO.
Es verwundert daher angesichts dieser nur grob umrissenen Konturen und Inhalt des
Franchise-Begriffs nicht, dass vertikale Integrationsprozesse zwischen Industrie und Handel
zu einem „Anweisungsvertrieb“ und damit zu einer mitunter existentiellen Abhängigkeit des
Franchise-Nehmers führen16.
2. Facetten des Franchising
Schon der Begriff des Franchising zeigt, dass die Franchise-Wirtschaft facettenreich ist – von
Produktionsfranchisen bis hin zu Dienstleistungsfranchisen und – mit dem höchsten
Bekanntheitsgrad – die Vergabe von Franchise-Rechten in der sog. Systemgastronomie wie
z.B. Burger King, McDonalds oder Pizza Hut, um nur einige der bekanntesten Franchise-
Systeme der Systemgastronomie zu nennen.
Diese unterschiedlichen Facetten des Franchise-Begriffs zeigen aber auch, dass Franchise-
Recht ein „lebendes“ Recht ist, also ein Rechtsgebiet, das sich fortlaufend fortentwickelt, sei
es im nationalen Bereich durch die Notwendigkeit der Beachtung von Gesetzgebung, soweit
diese für Franchise-Verträge von Bedeutung ist und wechselnden obergerichtlichen
Entscheidungen und im internationalen Bereich, insbesondere wenn es um die rechtlichen
Probleme des Abschlusses von internationalen Master-Franchise-Verträgen geht. Ein
einheitliches internationales Franchise-Recht gibt es nicht17.
Der Abschluss eines Franchise-Vertrages setzt aber auch voraus, dass in entsprechender
Weise die Franchise-Nehmer über die mit dem Vertragsabschluss verbundenen Risiken
belehrt werden. Insofern erstaunt es nicht, wenn im Mittelpunkt der nationalen und
13 Vgl. zum Ganzen Flohr, Franchise-Vertrag, a.a.O., S. 2 ff. 14 Vgl. zum Unerlässlichkeitsbegriff Schulz, in: Gedächtnisschrift für Skaupy, München 2003, S. 333 (346 ff.). 15 Vgl. dazu vor allem Skaupy, NJW 1992, 1785. 16 Zum Ganzen Martinek, in: Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof, München 2000, S. 101 (111 f. m.w.N.); siehe auch Blaurock, in: Festschrift für Werner, Berlin 1984, S. 24 ff.; Hänlein, DB 2000, 374 f. 17 Vgl. Reif, Internationale Franchiseverträge, Regensburg 2002; Flohr, Masterfranchise-Vertrag, München 2004, S. 2 ff. m.w.N.
10
internationalen Entwicklung des Franchise-Rechts nach wie vor auch die vorvertragliche
Aufklärung, deren Umfang und deren Grenzen stehen18.
III. Entwicklungen im Nationalen Franchise-Recht
Die Entwicklungen im Nationalen Franchise-Recht erstrecken sich nicht nur auf
vertriebsrechtliche Fragen allein, sondern sind gekennzeichnet durch:
• die Diskussion um die Neufassung des Rechts der Widerrufsbelehrung,
• die Frage der Zulässigkeit und des Umfangs von Bezugsbindungen bei
Franchise-Systemen,
• der Möglichkeit des Abschlusses eines Franchise-Vertrages mit einer
Unternehmergesellschaft i.S.v. § 5 a GmbHG,
• der diskutierte Network Governance Kodex und dessen Einfluss auf
Franchise-Systeme,
• die Übernahme von Filialen eines Franchise-Systems durch Franchise-
Nehmer und die daraus resultierende Frage nach der Anwendung der
Vorschriften des Betriebsübergangs i.S.v. § 613 a BGB,
• die Selbständigkeit des Franchise-Nehmers und der neu diskutierte Begriff
des „Solo-Selbständigen“,
• die Rechtsscheinhaftung bei Franchise-Systemen und
• die Haftung des Franchise-Gebers bei Internetportalen des Franchise-
Nehmers nach den Vorschriften des Telemediengesetzes.
1. Neufassung des Rechts der Widerrufsbelehrung
Im Bundestag und Bundesrat wird zurzeit das Umsetzungsgesetz zur EU-
Verbraucherkreditrichtlinie19 beraten. Absicht des Gesetzgebers ist es:
• die Vorschriften des Widerrufsrechts neu zu ordnen,
• die Rechtsprechung zur Unwirksamkeit des derzeitigen Musters in Anlage 2
zu § 14 BGB Info-VO20 zu berücksichtigen und
• ein rechtsprechungsfestes Muster der Widerrufsbelehrung vorzulegen, um
so zukünftig die Verwerfungskompetenz der derzeitigen Muster-
Widerrufsbelehrung durch Instanzgerichte zu vermeiden.
18 So noch zuletzt OLG Schleswig, NJW-RR 2009, 23 f. 19 BT-Drucks. 16/11643 vom 21.1.2009; BR-Drucks. 848/08 vom 19.12.2008. 20 Umfassend dazu Flohr, ZGS 2008, 289 ff.; ZGS 2009, 203 ff.
11
Die lege ferenda ist davon auszugehen, dass folgende gesetzliche Vorgaben einer
ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung i.S.v. § 355 BGB gestellt werden:
• Hinweis auf das Recht zum Widerruf,
• Hinweis darauf, dass der Widerruf keiner Begründung bedarf und in
Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb der Widerruffrist
erklärt werden kann,
• Name und Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist
(Postfach unzureichend) und
• ein Hinweis auf die Dauer und den Beginn der Widerrufsbelehrung, sowie
• darauf, dass zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung der
Widerrufsbelehrung oder der Sache genügt.
Gleichzeitig wird durch die Neufassung des Gesetzes zum Ausdruck gebracht, dass das
Muster der Widerrufsbelehrung nunmehr Gesetzesrang erhält und mit Verwendung dieses
Musters jeder Franchise-Geber den Voraussetzungen genügt, die § 355 BGB an eine
ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung stellt. § 360 III BGB n.F. stellt nämlich fest, dass eine
einem Franchise-Nehmer gem. § 355 III 1 BGB mitzuteilende Widerrufsbelehrung dann den
Anforderungen von § 355 I BGB und § 360 I BGB genügt, wenn das Muster Anlage 1 zum
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch entspricht, d.h. dieses Muster unverändert
übernommen wird21.
Insoweit sollte zukünftig auf eigenformulierte Widerrufsbelehrungen verzichtet werden, zumal
§ 360 III 3 BGB n.F. diese Möglichkeiten einschränkt und es nur noch zulässt, dass in
Format und Schriftgröße und durch Zusätze, wie die Firma oder ein Kennzeichen des
Franchise-Systems vom amtlichen Muster der Widerrufsbelehrung abgewichen werden darf.
In einem Punkt ist jedoch keine Änderung de lege ferenda zu erwarten. In § 355 IV BGB n.F.
(= § 355 III BGB a.F.) wird nach wie vor festgeschrieben, dass das Widerrufsrecht zeitlich
unbefristet ausgeübt werden kann, wenn die Widerrufsbelehrung – aus welchem Grund auch
immer – vergessen wurde oder nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht.
2. Bezugsbindung bei Franchise-Systemen
Durch die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 11. April 200722 ist die Bezugsbindung
Franchise-System wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Ausgehend von den
21 Vgl. dazu Flohr, ZGS 2009, 203 ff. 22 VI Kart. 13/06 n.v. – Body Shop; dazu Flohr, BB 2009, 2159.
12
Regelungen der EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale Vertriebsbindungen sieht
es das OLG Düsseldorf als angemessen an, wenn die Bezugsbindung eines Franchise-
Nehmers auf 80 % seines Einkaufsumsatzes beschränkt wird. Demgegenüber hat der BGH
in seinem sog. Praktiker-Beschluss vom 11. November 200823 allerdings keine Bedenken,
eine 100 %-ige Bezugsbindung als kartell- und zivilrechtlich zulässig anzusehen.
Abschließend ausdiskutiert ist die Frage des zulässigen (kartellrechtlichen) Umfangs eines
Franchise-Vertrages aber noch nicht – auch unter Einbeziehung der Laufzeit des jeweiligen
Franchise-Vertrages24.
Zukünftig dürfte es aber – nicht nur aus kartellrechtlichen Gründen – zu empfehlen sein, die
Bezugsbindung auf 80 % des EK-Umsatzes des Franchise-Nehmers zu beschränken. Wenn
der Franchise-Nehmer 20 % seines Umsatzes mit dem Absatz sog.
Diversifikationsprodukten selbst erzielen kann, so unterstreicht dies dessen
unternehmerische Selbständigkeit. Dies ist von besonderer Bedeutung, vor dem Hintergrund
des erneut diskutierten Begriffs des sog. Solo-Selbständigen und einer etwaigen
Rentenversicherungspflicht des Franchise-Nehmers gem. § 2 Nr. 9 StGB VI25.
3. Unternehmer- oder Verbraucherhandeln
Durch die Entscheidung des BGH vom 24. Februar 200526 steht fest, dass ein Franchise-
Nehmer mit Abschluss des Franchise-Vertrages als dem sog. kaufmännischen Erstgeschäft
seine Unternehmereigenschaft i.S.v. § 14 BGB begründet. Davon ausgenommen sind nur
solche Rechtsgeschäfte, die der Vorbereitung der Existenzgründung dienen. Diese sind nach
wie vor nach der Entscheidung des BGH vom 15. November 200727 dem
Verbraucherhandeln i.S.v. § 13 BGB zuzuordnen. Aber auch wenn durch den Abschluss des
Franchise-Vertrages die Unternehmereigenschaft begründet wird, gilt der Verbraucherschutz
fort, d.h.
• es ist das verbraucherschutzrechtliche Schriftformerfordernis i.S.v. § 492
BGB und
• die Widerrufswertgrenze des § 507 BGB i.H.v. EUR 50.000,00 (de lege
ferenda EUR 70.000,00)
23 KVR 17/08; WM 2009, 344. 24 Dazu ausführlich Böhner, Jahrbuch Franchising 2009, S. 260 ff. 25 Siehe insgesamt zur Rentenversicherungspflicht des Franchise-Nehmers Flohr, in: Praxishandbuch Franchi-sing, München 2003, § 14, S. 437, 459, Rn. 65 ff. m.w.N. 26 ZIP 2005, 622; Vorinstanz OLG Düsseldorf, NJW-RR 2002, 641. 27 ZIP 2008, 27.
13
zu beachten. Dabei ist zur Beurteilung der Widerrufswertgrenze ausschließlich auf den
Franchise-Vertrag und nicht auch auf wirtschaftlich mit diesem zusammenhängende
Verträge (wie etwa ein Kaufvertrag über Einrichtung des Franchise-Outlets) abzustellen.
Eine sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise kommt zur Bestimmung der
Widerrufswertgrenze i.S.d. § 507 BGB nicht in Betracht28.
4. Franchise-Nehmer als Unternehmergesellschafter i.S.v. § 5 a GmbHG
Auch Franchise-Nehmer können die Regelungen des GmbH-Modernisierungsgesetzes29
nutzen. Insofern kann auch ein Franchise-Nehmer eine Unternehmergesellschaft i.S.v. § 5 a
GmbHG gründen, wobei sich dann die Frage stellt, ob mit der Gründung einer solchen
Unternehmergesellschaft mit einem Stammkapital von EUR 1,00 nicht der
Verbraucherschutz unterlaufen wird. Eine solche Unternehmergesellschaft ist nämlich
Unternehmer i.S.v. § 14 BGB, so dass dann die Verbraucherschutzvorschriften nicht gelten.
Damit würde sowohl das verbraucherschutzrechtliche Schriftformerfordernis i.S.v. § 492
BGB genauso entfallen wie die Notwendigkeit, die Widerrufswertgrenze i.S.v. § 507 BGB zu
beachten.
So lange der Franchise-Nehmer die Entscheidung, eine Unternehmergesellschaft zu
gründen aus eigener Entscheidung trifft, ist dies nicht zu beanstanden. Es dürfte aber eine
unzulässige Umgehung der Verbraucherschutzvorschriften vorliegen, wenn ein Franchise-
Geber, um den Verbraucherschutz – und damit ein mögliches Widerrufsrecht des Franchise-
Nehmers – zu unterlaufen, als Voraussetzung für den Abschluss eines Franchise-Vertrages
verlangt, dass zunächst eine Unternehmergesellschaft i.S.v. § 5 a GmbHG gegründet wird.
5. Franchise-Verträge und Network Governance Kodex
Zurzeit wird der Network Governance Kodex diskutiert. Dessen Zweck ist es, eine
Vertrauensbasis zwischen Franchise-Geber und Franchise-Nehmer im Besonderen und
kooperativen Netzwerken im Allgemeinen zu schaffen. Anerkannt wird durch den Network
Governance Kodex der Netzwerkcharakter von Franchise-Systemen30.
Entscheidend ist, dass der Network Governance Kodex, wenn dieser sich umsetzt und
Allgemeingültigkeit erlangt, insbesondere dazu beitragen wird, dass zukünftig nicht nur die
Informationsasymmetrie im Rahmen der vorvertraglichen Aufklärung entfällt und damit
Franchise-Nehmer ihre Entscheidung, einen Franchise-Vertrag abzuschließen, wirtschaftlich
besser einschätzen können, sondern es soll auch durch Transparenz der Entscheidungen
28 Vgl. Brandenburgisches OLG, 4 U 37/05 n.v.; dazu Flohr, BB 2006, 389 (392). 29 Vgl. Wicke, GmbHG, München 2008, § 5 a, Rn. 1 ff. 30 Network Governance, PwC-Studie, Berlin/Düsseldorf 2008, insb. S. 37 ff.
14
des Franchise-Gebers das für den Erfolg eines Franchise-Systems zwingend notwendige
Vertrauen zwischen Franchise-Geber und Franchise-Nehmer auf eine umfassende
Grundlage gestellt werden.
Die Anwendung des Network Governance Kodex bedeutet aber nicht, dass eine sog.
Netzwerkhaftung31 geschaffen wird. Eine solche Netzwerkhaftung soll angeblich
wechselseitige Verbundpflichten innerhalb eines Franchise-Systems entstehen, so dass
multilaterale Vertragsbeziehungen entstehen. Der Gedanke der Netzwerkhaftung führt
allerdings zur Auflösung der durch das Zivilrecht bestimmten bilateralen Vertragsstrukturen.
Insofern sah der BGH in seiner Entscheidung vom 22. Februar 200632 auch keine
Notwendigkeit, auf die Frage einer Netzwerkhaftung bei Franchise-Systemen einzugehen.
6. Einkaufsvorteile bei Franchise-Systemen
Die Problematik der Behandlung von Einkaufsvorteilen bei Franchise-Systemen dürfte
zwischenzeitlich als ausdiskutiert anzusehen sein. Auf der Grundlage des BGH-Urteils vom
03. Februar 199933 und daran anknüpfend der Apollo Optik-Entscheidung vom 20. Mai
200334 und der daran anschließenden HERTZ-Entscheidung vom 22. Februar 200635 und im
jetzt veröffentlichten Beschluss des Kartellsenates des BGH vom 11. November 200836 steht
fest, dass Einkaufsvorteile nur dann an Franchise-Nehmer auszukehren sind, wenn sich
dazu entweder eine entsprechende Rechtsgrundlage im abgeschlossenen Franchise-Vertrag
findet oder sich zumindest durch eine Auslegung des Franchise-Vertrages nach dem
„Grundsatz der kundenfreundlichsten Auslegung“ ergibt. Gesetzliche Zahlungsansprüche
können im Gegensatz zum Praktiker-Beschluss des Bundeskartellamtes vom 08. Mai 200637
vom Franchise-Nehmer nicht aus §§ 33 I, 20 I GWB hergeleitet werden.
7. Betriebsübergang bei Franchise-Systemen
Wird eine ehemalige Filiale auf einen Franchise-Nehmer als selbständiges Franchise-Outlet
übertragen, liegt ein Betriebsübergang i.S.v. § 613 a BGB vor. Dies bedeutet, dass der
Franchise-Nehmer in einer Unterrichtungsverpflichtung gegenüber den in der ehemaligen
Filiale tätigen Mitarbeitern steht und gleichzeitig auch die Informationsunterrichtungspflichten
i.S.v. § 613 a V BGB zu berücksichtigen hat38.
31 Siehe dazu Böhner, BB 2004, 119; Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, Baden-Baden 2004. 32 BB 2006, 1071 mit Anm. Flohr, BB 2006, 1074 ff. 33 BB 1999, 860. 34 BGH, NJW-RR 2003, 1635. 35 BB 2006, 1071. 36 WM 2009, 344 – Praktiker; dazu Flohr, BB 2009, 2159; Böhner, Jahrbuch Franchising 2009, S. 260 ff. 37 ZIP 2006, 1778. 38 Siehe dazu aus der neueren Rechtsprechung: BAG, BB 2006, 2406; BAG BB 2006, 2409; BAG, BB 2008, 1116; BAG, Urteil vom 21.8.2008, 8 AZR 407/07 n.v.; dazu Schielke, BB 2009, 670; und bezogen auf Franchise-Systeme umfassend Fissl, Jahrbuch Franchising 2009, S. 193 ff.
15
8. Rechtscheinhaftung des Franchise-Gebers
Immer wieder war diskutiert worden, ob ein Franchise-Geber für Handlungen des Franchise-
Nehmers unter Rechtscheingesichtspunkten haften kann. Der BGH hat hierzu mit Urteil vom
18. Dezember 200739 festgestellt, dass die Einheitlichkeit der Marke und die sonstigen
Kennzeichnungen eines Franchise-Systems bei unterschiedlicher Firmierung von Franchise-
Geber und Franchise-Nehmer keine vertragliche Verpflichtung des Franchise-Gebers nach
Rechtscheingrundsätzen begründen40.
9. Haftung des Franchise-Gebers für Internetportal des Franchise-Nehmers
Nach den Regelungen der EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale
Vertriebsbindungen kann einem Franchise-Nehmer nicht untersagt werden, selbst ein
Internetportal zu betreiben. Dem Franchise-Nehmer kann nämlich kein Verbot des sog.
passiven Vertriebs auferlegt werden. Das bedeutet aber nicht, dass damit der Franchise-
Geber von allen Haftungsrisiken eines Internetportals eines Franchise-Nehmers frei gestellt
ist. Durch das OLG Hamburg ist mit Urteil vom 29. Juni 200741 festgestellt worden, dass der
Franchise-Geber gem. § 10 TelemedienG, insbesondere auf Unterlassung in Anspruch
genommen werden kann.
Insofern sind Franchise-Geber in der Verpflichtung im Rahmen des Franchise-Vertrages
darauf hinzuweisen, dass Franchise-Nehmer nur solche Bilder und sonstige Informationen
im Rahmen ihres Internets veröffentlichen dürfen, an denen auch die entsprechenden
Urheberrechte bestehen. Zugleich ist der Franchise-Nehmer verpflichtet, auf Anfrage dem
Franchise-Geber seine Berechtigung nachzuweisen. Letztlich muss insoweit im Rahmen des
Franchise-Vertrages ausdrücklich vereinbart werden, dass der Franchise-Geber im
Innenverhältnis von allen Ansprüchen, die von Dritten ihm gegenüber gem. § 10
TelemedienG geltend gemacht werden, frei gestellt wird42.
IV. Entwicklungen im Internationalen Franchise-Recht
Im Internationalen Franchise-Recht nimmt dessen Kodifizierung zu. Gleichzeitig werden die
Anforderungen, die an die vorvertragliche Aufklärungspflicht des Franchise-Gebers gestellt
39 BB 2008, 812. 40 Siehe dazu Billing, Jahrbuch Franchising 2009, S. 178 ff. 41 5 U 165/06 n.v. 42 Insofern besteht eine Freistellungsnotwendigkeit wie bei einer Haftung des Franchise-Gebers für eine wettbe-werbswidrige Werbung des Franchise-Nehmers gem. § 8 II UWG 2008, dazu: BGH BB 2000, 1959 – Neu in Bie-lefeld I; BGH NJW 1995, 2355, dazu: Flohr/Petsche, Franchiserecht, Rn. 148 f.
16
werden modifiziert. Insofern werden die Entwicklungen im Internationalen Franchise-Recht
geprägt durch:
• eine fortschreitende Kodifizierung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten,
• Änderungen der vorvertraglichen Aufklärung in den USA durch das
Franchising Developing Document (FDD),
• die Kodifizierung des Franchise-Vertrages in Osteuropa und
• den Erlass eines Franchise-Gesetzes in China und anderen osteuropäischen
Staaten
Diese Entwicklungen gilt es bei solchen Franchise-Systemen zu beachten, die international
tätig sind. Dies betrifft insbesondere die vorvertragliche Aufklärung. Hier sind bei der
Internationalisierung im Einzelnen die Länder zu beachten, die die vorvertraglichen
Aufklärungspflichten, die sog. Disclosure Requirements, gesetzlich geregelt haben.
1. Vorvertragliche Aufklärung in den Vereinigten Staaten
Bisher war jeder amerikanische Franchise-Nehmer verpflichtet, auf der Grundlage der FTC-
Rule, d.h. der entsprechenden Regelung der Federal Trade Commission ein Dokument zur
vorvertraglichen Aufklärung auszuarbeiten, das sog. UFOC-Paper (Uniform Franchising
Offering Circular)43. Dieses Franchising Offering Circular war allerdings nur dem
Vertragsabschluss in den Vereinigten Staaten zugrunde zu legen. Aufgrund des sog. Nieman
Case44 stand nämlich fest, dass Franchising Offering Circular nicht solchen Franchise-
Nehmern des Franchise-Systems vor Vertragsabschluss vorzulegen ist, die in den
Vereinigten Staaten tätig sind.
War schon diese Entscheidung international umstritten, so hat nunmehr die FTC erkannt,
dass das sog. Uniform Franchising Offering Circular (UFOC-Paper) zu umfangreich
geworden ist. Es stand eher einer umfassenden vorvertraglichen Aufklärung durch die
Vielzahl der Informationen entgegen. Insofern wird jetzt „checklistenartig“ ein amtliches
Muster zur vorvertraglichen Aufklärung herausgegeben, das sog. Franchising Developing
Document (FDD). Hier sind nur noch die wesentlichen Daten des Franchise-Systems
darzustellen. Insofern hat auch im US-amerikanischen Franchise-Recht die Erkenntnis
gesiegt: weniger ist mehr und das von einer umfassenden vorvertraglichen Aufklärung nicht
gesprochen werden kann, wenn der Franchise-Nehmer geradezu „mit Informationen vor
Vertragsabschluss erschlagen wird“.
43 Vgl. Flohr, Masterfranchise-Vertrag, a.a.O., S. 83 f. 44 Urteil vom 21.6.1999 des 11. Bezirksgerichts – US App. Lexes 1999, 13609; siehe auch dazu Flohr, Masterfranchise-Vertrag, a.a.O., S. 19.
17
2. Vorvertragliche Aufklärung in Europa
Innerhalb der EU ist eine Tendenz der vorschreitenden gesetzlichen Normierung der
vorvertraglichen Aufklärung (Disclosure Requirements) zur Vermeidung einer
Informationsasymmetrie beim Abschluss von Franchise-Verträgen festzustellen.
Solche Gesetze zur vorvertraglichen Aufklärung bestehen innerhalb der EU in:
• Belgien, • Frankreich, • Italien, • Schweden, • Spanien.
Zukünftig wird sich diese „Gesetzgebungswelle“ auch noch auf weitere Staaten erstrecken.
Franchise-Gesetze sind in der Diskussion in:
• Belarus. • Bulgarien, • Estland, • Georgien, • Griechenland, • Litauen, • Moldawien, • Rumänien.
Diese Gesetze beschränken sich im Wesentlich darauf, Kriterien zur vorvertraglichen
Aufklärung zu normieren. Teilweise werden aber auch die Disclosure-Gesetze mit
gesetzlichen Anforderungen an die Franchise-Verträge verbunden, wie in:
• Russland oder • China.
Russland hat sich hingegen darauf beschränkt, Franchising in Art. 54 ZGB zu regeln45.
Während China ein gesondertes Franchise-Gesetz erlassen hat46.
3. Franchise-Gesetz in China
In China hat sich eine Änderung des Rechtsrahmens für internationale Verträge durch den
WTO-Beitritt am 11. Dezember 200147 ergeben.
45 Vgl. Flohr, Masterfranchise-Vertrag, a.a.O., S. 86 f. 46 Vgl. Flohr, Masterfranchise-Vertrag, a.a.O., S. 67 f. 47 Vgl. Hero, Jahrbuch Franchising 2009, S. 389 ff.
18
Das neue Chinesische Kartellrecht entspricht nunmehr Art. 81 EGV, d.h. im Hinblick auf
Franchise-Verträge besteht:
• ein Preisbindungsverbot gegenüber Franchise-Nehmern genauso
• wie das Verbot einer Zweitkonditionenbeschränkung.
Gleichzeitig soll der Schutz geistigen Eigentums verstärkt werden, und zwar durch
Umsetzung von Art. 50 TRIPS (Agreement on trade-related aspects of intellectual
property rights)48.
Letztlich wurde ein Franchise-Gesetz entsprechend US-amerikanischem Franchise-Recht
erlassen, bei dem drei Punkte im Vordergrund stehen:
• Notwendigkeit eines Know-how-Transfers,
• umfassende vorvertragliche Aufklärung und
• Vorgaben an den Inhalt eines Franchise-Vertrages und Festlegung der
Rechte und Pflichten von Franchise-Geber und Franchise-Nehmer.
Durch die Anpassung des chinesischen Franchise-Rechts an die Franchise-Gesetze anderer
Staaten schließt sich mehr und mehr der Kreis des kodifizierten Franchise-Rechts – jedoch
noch nicht in einem solchen Maße, dass vom internationalen Franchise-Recht als einem
transnationalen Recht49 gesprochen werden kann. Hier gilt es die weitere Entwicklung
abzuwarten.
V. Fazit
Diesen unterschiedlichen Entwicklungen im Nationalen und Internationalen Franchise-Recht
tragen auch die Beiträge des Franchise-Seminars Rechnung, das an der TU Chemnitz im
WS 2008/2009 durchgeführt wurde. Die Beiträge befassen sich zum einen mit Franchise-
Verträgen als multilateralen Vertragsbeziehungen (Adam), überprüfen, welche europarecht-
lichen Vorgaben für das Franchising existieren (Descher), und analysieren die Informations-
asymmetrie beim Abschluss von Franchise-Verträgen (Frenzel). Gleichzeitig wird aber auch
48 Vgl. dazu Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Auflage, München 2009, § 14, Rn. 7 ff., mit umfassen-den Nachweisen. 49 Vgl. zum Begriff des Transnationalen Rechts Langen, Transnationales Recht, Heidelberg 1981, S. 13-16; zuvor schon Kropholler, Internationales Einheitsrecht, Tübingen 1975, S. 7 f. m.w.N.
19
darauf eingegangen, in welcher das Franchise-Recht kodifiziert wird, wobei dies am
Belgischen (Franchise-) Disclosure Gesetz exemplifiziert wird (Opitz).
Da Franchise-Verträge als Musterverträge nach Deutschem Recht der Inhaltskontrolle gem.
§§ 305 ff. BGB unterliegen, wurde auch die Frage einer AGB-Kontrolle von Franchise-
Verträgen im Rahmen des Seminars abgehandelt (Czikowski). Letztlich hat man sich auch
nicht der Tendenz im Internationalen Franchise-Recht verschlossen, Streitigkeiten vor einer
gerichtlichen Auseinandersetzung durch eine Mediation „zu setteln“. Insofern wurde im
Seminar auch der Frage nachgegangen, ob eine Mediation bei Franchise-Systemen als eine
zukunftsweisende Streitschlichtung anzusehen ist (Löwe).
Die einzelnen Seminar-Beiträge zeigen, dass das Franchise-Recht nicht nur isoliert bezogen
auf die deutschen Rechtsnormen gesehen werden kann, sondern auch der internationale
Rechtsrahmen zu beachten ist, wobei sich auch das nationale Deutsche Franchise-Recht
nicht der Tendenz entziehen kann, zunehmend auf die Mediation als Mittel der Konfliktlösung
bei Franchise-Systemen zurückzugreifen.
20
Literaturverzeichnis Kommentare und Gesamtdarstellungen DFV (Hrsg.), Jahrbuch Franchising 1999/2000 DFV/Metzlaff und Liesegang (Hrsg.), Jahrbuch Franchising 2009 Flohr (Hrsg.), Franchise-Handbuch, Berlin 1994/96 Flohr (Hrsg.), Franchising im Wandel. Gedächtnisschrift für Walther Skaupy, München 2003 Flohr, Masterfranchise-Vertrag, München 2004 Flohr, Franchisevertrag, 3. A. München 2006 Flohr/Petsche (Hrsg.), Franchiserecht – Deutschland und Österreich, 2. A. Münster 2008 Geiß/Nehm/Brandner/Hagen (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof, München 2000 Giesler/Nauschütt (Hrsg.), Franchiserecht, 2. A. Bonn 2007 Hadding u.a. (Hrsg.), Festschrift für Winfried Werner, Berlin 1984 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 8. A. München 2009 Kropholler, Internationales Einheitsrecht, Tübingen 1975 Langen, Transnationales Recht, Heidelberg 1981 Martinek, Franchising, Heidelberg 1987 Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Handbuch des Vertriebsrechts, 2. A. München 2003 Medicus, Schuldrecht BT, 14. A. München 2007 Metzlaff (Hrsg.), Praxishandbuch Franchising, München 2003 Peckert/Erdmann/Kiewitt, Gründung mit System, Frankfurt 2002 Reif, Internationale Franchiseverträge, Regensburg 2002 Skaupy, Franchising, 2. A. München 1995 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, Baden-Baden 2004 Tietz, Handbuch Franchising, 2. A. Landsberg am Lech 1991 Wicke, GmbHG, München 2008 Aufsätze und Rechtsprechungsübersichten Böhner, Vom Franchisevertrags- zum Franchisenetzwerkrecht, BB 2004, 119 Flohr, Aktuelle Tendenzen im Franchise-Recht, BB 2006, 389 Flohr, Urteilsanmerkung zur HERTZ-Entscheidung des BGH, BB 2006, 1074 Flohr, Widerrufsbelehrung bei Franchise-Verträge und BGB-InformationspflichtenVO, ZGS 2008, 289 Flohr, Das neue Recht der Widerrufsbelehrung und Franchise-Verträge, ZGS 2009, 203 Flohr, Franchising – Bezugsbindung, Einkaufsvorteile und Transparenz, BB 2009, 2159 Hänlein, Franchise – Existenzgründungen zwischen Kartell-, Arbeits- und Sozialver-sicherungsrecht – eine neue Erwerbsform im Aufwind?, DB 2000, 374 Liebscher/Petsche, Franchising nach der neuen Gruppenfreistellungsverordnung (EG) Nr. 2790/99 für Vertikalvereinbarungen, EuZW 2000, 400 Metzlaff, Franchisesysteme und EG-Kartellrecht – neueste Entwicklungen, BB 2000, 1201 Pukall, Die neue Gruppenfreistellungsverordnung für Franchisevereinbarungen, NJW 2000, 1375 Schielke, Anm. zu BAG: Ordnungsgemäße Unterrichtung über den Betriebsübergang, BB 2009, 670 Skaupy, Zu den Begriffen „Franchise“, „Franchisevereinbarungen" und „Franchising", NJW 1992, 1785
21
Franchise-Verträge als multilaterale Vertragsbeziehungen?
Stud. rer. pol. David Adam
1. Einleitung
In Deutschland waren im Jahr 2007 etwa 910 Franchisegeber registriert. Neben dem
Dienstleistungssektor ist das Franchising zunehmend auch in Handel, Handwerk und
Produktion zu finden. Die 55.700 Franchise-Nehmer boten 441.000 Personen die
Möglichkeit, als Angestellte in einem Franchise-System ihr Einkommen zu sichern. Ein
Umsatz von ca. 41,5 Milliarden Euro konnte im Jahre 2007 realisiert werden. Im Vergleich zu
1998 ist das eine Umsatzsteigerung von etwa 132 %. Diese Steigerung macht die
zunehmende Bedeutung der jungen Vertriebsform deutlich.1
Da sich die Entwicklung noch im Anfangsstadium befindet, ist davon auszugehen, dass in
der Zukunft das Potenzial stärker ausgeschöpft wird und dieser Vertriebsform eine
beachtliche Stellung in der Wirtschaftstätigkeit zukommt. Das Franchising benötigt, um
erfolgreich agieren zu können, einen soliden rechtlichen Rahmen und klare Vorgaben. Diese
werden in der Rechtsprechung bislang vergebens gesucht.
In der vorliegenden Arbeit wird zunächst eine Einordnung des Franchising in den
bestehenden Wirtschaftsprozess gegeben. Im Fokus steht dabei die Beziehung des
Franchisegebers zum Franchisenehmer. Aufbauend auf diese Betrachtung werden weitere
Akteure - Lieferanten und weiteren Franchisenehmer - der bilateralen Franchisegeber-
Franchisenehmer-Beziehung zugeordnet. Am Beispiel der Optiker-Kette Apollo wird
versucht, den Netzwerkgedanken aufzugreifen und die damit verbundene Hauptfragestellung
zu klären: Sind Franchise-Verträge als multilaterale Vertragsbeziehungen zu sehen? Dabei
steht die Weitergabe von Einkaufsvorteilen, die aus den Netzwerkbeziehungen resultiert, im
Blickpunkt. Am Beispiel wird eine kontroverse Sicht der Auslegung, Handhabung und
Umsetzung von Rechten und Pflichten verdeutlicht. Die Literatur verfolgt in der Aufarbeitung
des Problems keine einheitliche Linie. Neben der vorrangig vertretenen Meinung wird auch
auf die abweichende Ansicht einzelner Autoren eingegangen. Eine Diskussion der Ansichten
sowie ein Ausblick auf zukünftige Auslegungsmöglichkeiten der Entscheidungen runden die
Betrachtungen ab.
1 Vgl. Infopaket für Franchisegeber, in: Internetpräsentation des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., S. 21 f., www.dfv-franchise.de [18.01.2009].
22
2. Franchising – Eine vertikale Vertriebsform
2.1. Einordnung und Begriffserklärung
Der Begriff Franchise stammt aus dem französischen Sprachgebrauch und bedeutete
ursprünglich die Befreiung von Gebühren.2 Die wörtliche Übersetzung ist nicht mit der
inhaltlichen Bedeutung identisch. Der Inhalt des Wortes stellte sich im Mittelalter heraus, als
mit dem Begriff die Privilegienvergabe an vertrauenswürdige Dritte bezeichnet wurde. Diese
Bevorzugungen erlaubten den Vertrieb von Erzeugnissen, die durch staatliche Produktion
hergestellt wurden. Der Privilegierte bekam im Gegenzug ein Entgelt vom Staat. Im
Britischen Königreich wurde mit Franchise das Einnehmen von Steuern durch vom Königs-
haus entsendete Vertrauensleute beschrieben.3 Diese ausgeübten Rechte in Verbindung mit
erhaltenem Entgelt weisen auf die heute mit dem Begriff Franchise in Verbindung gebrachte
Bedeutung hin.
In der Gegenwart beschreibt Franchising eine moderne Vertriebsform, die der
Distributionspolitik als Teil des Wertschöpfungsprozesses zuzuordnen ist. Bis zum heutigen
Tage gibt es keine einheitliche Definition mit allgemeiner Gültigkeit. Der Deutsche Franchise-
Verband e.V. gibt jedoch eine offiziell anerkannte Auslegung des Begriffes:
„Franchising ist ein vertikal-kooperativ organisiertes Absatzsystem rechtlich selbstständiger
Unternehmer auf der Basis eines vertraglichen Dauerschuldverhältnisses. Dieses System
tritt auf dem Markt einheitlich auf und wird geprägt durch das arbeitsteilige
Leistungsprogramm der Systempartner sowie durch ein Weisungs- und Kontrollsystem zur
Sicherstellung eines systemkonformen Verhaltens. Das Leistungsprogramm des Franchise-
Gebers besteht aus einem Beschaffungs-, Absatz- und Organisationskonzept, dem
Nutzungsrecht an Schutzrechten, der Ausbildung des Franchise-Nehmers und der
Verpflichtung des Franchise-Gebers, den Franchise-Nehmer laufend und aktiv zu
unterstützen und das Konzept ständig weiterzuentwickeln. Der Franchise-Nehmer ist im
eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätig; er hat das Recht und die Pflicht, das
Franchise-Paket gegen Entgelt zu nutzen. Als Leistungsbeitrag liefert er Arbeit, Kapital und
Information.“4
Die folgende Definition geht auf den „European Code of Ethics for Franchising“ zurück; sie
lautet wie folgt:
„Franchising ist ein Vertriebssystem, durch das Waren und/oder Dienstleistungen und/oder
Technologien vermarktet werden. Es gründet sich auf eine enge und fortlaufende
Zusammenarbeit rechtlich und finanziell selbstständiger und unabhängiger Unternehmen,
2 Vgl. Giesler, Patrick / Nauschütt, Jürgen, Einleitung, in: Franchiserecht, Handbuch für die anwaltliche und gerichtliche Praxis, hrsg. v. Giesler, Patrick /Nauschütt, Jürgen, Neuwied / Kriftel 2002, S. 1 (5). 3 Vgl. ebenda. 4 Vgl. Existenzgründung mit System, Ein Leitfaden des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., in: Internetpräsentation des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., S. 4, www.dfv-franchise.de [12.12.2008].
23
den Franchise-Geber und seine Franchise-Nehmer. Der Franchise-Geber gewährt seinen
Franchise-Nehmern das Recht und legt ihnen gleichzeitig die Verpflichtung auf, ein Geschäft
entsprechend seinem Konzept zu betreiben. Dieses Recht berechtigt und verpflichtet den
Franchise-Nehmer, gegen ein direktes oder indirektes Entgelt im Rahmen und für die Dauer
eines schriftlichen, zu diesem Zweck zwischen den Parteien abgeschlossenen Franchise-
Vertrages per laufender technischer und betriebswirtschaftlicher Unterstützung durch den
Franchise-Geber den Systemnamen und/oder das Warenzeichen und/oder die
Dienstleistungsmarke und/oder andere gewerbliche Schutz- oder Urheberrechte sowie das
Know-How, die wirtschaftlichen und technischen Methoden und das Geschäfts-
ordnungssystem des Franchise-Gebers zu nutzen.“5
2.2. Rechtliche Einordnung des Franchising
Diese Begriffserklärung findet sich auch in der bis 31.12.1999 gültigen EU-
Gruppenfreistellungsverordnung für Franchisevereinbarungen (Franchise-GVO)6 wieder. Die
Grundlage der Franchise-GVO bildeten die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH)
aufgestellte Grundsätze für die Vereinbarkeit eines Franchise-Vertrages mit dem
Kartellverbot des EG-Vertrages. Darin werden Wettbewerbsbeschränkungen, die für das
Funktionieren von Franchise-Verträgen nötig sind, von dem bestehenden Verbot des Art. 81
Abs. 1 EGV ausgenommen. Mit Hilfe dieser Grundsätze entwickelte die EG-Kommission die
Franchise-GVO. Am 01.02.1989 trat die neue Verordnung in Kraft, sie stellte somit die
Geburtsstunde des europäischen Franchiserechts dar. Neben der Festlegung, dass
bestimmte Vereinbarungen innerhalb bestehender Franchise-Verträge aus dem
europäischen Kartellverbot ausgenommen sind, regelt die GVO in einer sogenannten
„Weißen Liste“ Verpflichtungen eines Franchisenehmers, die durch die Rechtsprechung als
nicht wettbewerbsbeschränkend angesehen werden, beispielsweise die Alleinbezugsklausel,
Qualitätsklausel, Absatz- und Umsatzklausel oder andere Festlegungen, die zwischen
Franchisenehmer und Franchisegeber durch den Vertrag geregelt werden.7
Neben der „Weißen Liste“ ist die „Schwarze Liste“ innerhalb der Franchise-GVO von
Bedeutung. Darin wird die Überprüfung von Klauseln geregelt, die eine Kollision mit
allgemeinen kartellrechtlichen Verboten darstellen. Die daraus resultierende
Freistellungsverhinderung hat zur Folge, dass eine Einzelfreistellung bezüglich des
entsprechenden Franchise-Vertrages vorgenommen werden musste. Preisbildungsklauseln
stellten dabei den häufigsten Kollisionsgrund dar. Der Franchisegeber darf dem
Franchisenehmer keine Preise vorschreiben, sondern lediglich unverbindliche
5 Vgl. Flohr, E., Franchiserecht als Rechtsgebiet, Franchising als Netzwerk, in: Franchiserecht – Deutschland und Österreich, hrsg. v. Flohr, E. / Petsche, A., 2. Aufl., Münster 2008, S. 1 (3). 6 Kommissions-Verordnung Nr. (EWG) 4087/1988, ABl. EG Nr. L 359, 46. 7 Vgl. EG-Recht, Kartellrecht, in: Internetpräsentation der franchiseSTARTER, www.franchisestarter.de/franchise/recht/eg-recht/ [10.01.2009].
24
Preisempfehlungen aussprechen. Eine weitere Leitlinie, die in der Franchise-GVO
niedergeschrieben steht, besagt, dass es kein Belieferungsverbot aus Wohnsitzgründen
geben darf. Der Franchisenehmer darf Kunden außerhalb des im Vertrag festgeschrieben
Gebietes beliefern, wenn der Vertrag zum Kunden innerhalb des vorgeschriebenen Terrains
abgeschlossen wurde.8
Die Franchise-GVO hatte bis zum 31.12.1999 Bestand und wurde zu diesem Tag außer
Kraft gesetzt. Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsformen (Vertikal-
GVO)9 löste danach die Franchise-GVO ab.10
Die Vertikal-GVO trat am 01.01.2000 in Kraft und ist befristet auf zehn Jahre. Zweck dieser
Ablösung ist die Integration des Franchising in eine Gruppenfreistellungsverordnung, die alle
vertikalen Vertriebsverbindungen enthält. Dadurch, dass keine alleinige
Freistellungsverordnung für Franchising besteht, bleibt die Frage kontrovers, ob das
Franchising weiterhin als gesonderte Vertriebsform gesehen wird oder ob nun eine
Zuordnung zum selektiven Vertrieb vorgesehen ist.11
Grundsätzlich sind in der Vertikal-GVO alle Änderungen bezüglich des Franchising im
Vergleich zur Franchise-GVO geregelt. Hinzu kommt als Neuerung eine Erklärung der
Vorschriften in Form von „Guidelines“, die Kommentaren zu Gesetzestexten ähneln. Bislang
ist die Frage ungeklärt, ob es durch die „Guidelines“ zu Verbesserungen innerhalb der
Franchisegeber-Franchisenehmer-Situation gekommen ist, da eine Effektivitätssteigerung in
diesem Fall noch nicht bestimmt werden kann. Neben der begrifflichen Definition des
Franchising in einer „Guideline“ beschreibt die Vertikal-GVO den Begriff des Know-how als
eine Erkenntnissammlung, die durch praktische Erfahrungen des Franchisegebers
entstanden ist und dem Franchisenehmer für dessen Verkaufsabsicht zur Verfügung gestellt
werden muss. Weiterhin werden Grundlagen zum Vertragsgebiet, zu der Bezugsbindung und
der Laufzeit innerhalb der Vertikal-GVO geregelt. Es existiert wie bei der Franchise-GVO
eine „Schwarze Liste“, die alle Beschränkungen beinhaltet, für die keine Gruppenfreistellung
gewährt wird. Sonstige Beschränkungen, Preisbindungsverbot und eine Regelung bezüglich
der Marktanteile vervollständigen die Vertikal-GVO.12
Da auch im Franchiserecht die EU-Vorgaben den nationalen Regeln vorgehen, ist es bei der
Überprüfung eines Franchise-Vertrages erforderlich, zunächst auf die Vertikal-GVO
zurückzugreifen. Falls eine Prüfung nicht alle Voraussetzungen für die Regelkonformität des
Franchise-Vertrags erfüllt, ist eine Einzelfallbeurteilung nach Art. 81 Abs. 3 EGV
vorzunehmen.13
8 Vgl. Flohr, E., Franchiserecht als Rechtsgebiet, Franchising in Deutschland, in: Franchiserecht – Deutschland und Österreich, hrsg. v. Flohr, E. / Petsche, A., 2. Aufl., Münster 2008, S. 9 (13 f.). 9 Kommissions-Verordnung (EG) Nr. 2790/1999, ABl. EG Nr. L 336, 21. 10 Vgl. Flohr, aaO, S. 14. 11 Vgl. Flohr, aaO, S. 15. 12 Vgl. Flohr, aaO, S. 15 ff. 13 Vgl. Flohr, aaO, S. 25.
25
In Deutschland gibt es bis heute keine eigene gesetzliche Regelung für Franchiserecht.
Vielmehr finden neben Regelungen des allgemeinen Zivil-, Handels-, Gesellschafts-,
Wettbewerbs-, Kartell-, Verbraucherschutz- sowie Arbeits- und Sozialversicherungsrechts
Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) Anwendung.14
Diese werden im weiteren Verlauf der Betrachtungen die Grundlage darstellen, um die
Frage, ob es sich bei Franchiseverträgen um multilaterale Vertragsbeziehungen handelt, zu
beantworten. Prinzipiell werden die Grundsätze für Dauerschuldverhältnisse angewendet.
3. Franchisenehmer und Franchisegeber
Die Vertikal-GVO hat den Rechten, wie beispielsweise Weisungs- und Kontrollrechte, des
Franchisegebers im Wettbewerbsinteresse und in Bezug auf die Unabhängigkeit zum
Franchisenehmer Grenzen gesetzt. Der Franchisegeber ist angehalten, darauf zu achten,
dass unter dem Schirm der Systembindung die Unabhängigkeit seines Partners
aufrechtgehalten wird. Wichtigste Aufgabe des Franchisegebers ist die Bereitstellung seines
Know-how und die Nutzungsgarantie von Marken bzw. Warenzeichen, die dafür sorgen,
dass ein Franchise-System einen hohen Bekanntheitsgrad genießt und somit für potentielle
Franchisenehmer interessant wird. Der besondere Schutz dieser Markenrechte ist von
großer Bedeutung für den Erfolg. Der Franchisegeber hat die Aufgabe, von seiner
Systemzentrale aus Hilfestellung zu Fragen wie Standortentscheidung, Einrichtungsplanung,
Marketing, Buchhaltung, Personal, Qualitätssicherung und Controlling zu leisten und somit
den Franchisenehmer aktiv zu unterstützen. Der Vorteil für den Franchisegeber ist die
Tatsache, dass er sich überwiegend mit strategischen Aufgaben des Franchise-Systems
befassen kann, während die Franchisenehmer mit dem Tagesgeschäft für Umsätze am
Markt sorgen. Die Lizenzgebühren, die jeder Franchisenehmer für die Bereitstellung des
Know-how und Markenrechte zahlt, stellen für den Franchisegeber die Einnahmen neben
sonstigen Gebühren dar. Er verzichtet dabei auf mögliche höhere Renditen, die er durch das
Betreiben von eigenen Unternehmen erzielen könnte.15 Dies schließt allerdings nicht aus,
dass er neben seiner Tätigkeit als Franchisegeber auch ein eigenes Filialnetz betreiben darf.
Dafür trägt er ein geringeres finanzielles Risiko im Falle des Scheiterns des
Franchisenehmers. Einen weiteren Vorteil stellt das vom Franchisegeber aufgebaute System
in Bezug auf Marktforschungsinstrumente dar. Die Kundenstruktur der einzelnen
Franchisenehmer schafft die Möglichkeit, sehr detaillierte Kundenprofile zu erstellen, die für
Marketingmaßnahmen und letztlich für den Erfolg des Systems von Bedeutung sind.16
14 Vgl. Flohr, aaO, S. 26. 15 Vgl. Franchise PORTAL, Franchise-Glossar, Franchise-Lexikon, Stichwortsuche: Franchisegeber, Franchisenehmer, Systemzentrale und Franchise-System, www.franchiseportal.de/wissen-tools/franchise-lexikon.htm [27.12.2008]. 16 Vgl. Franchise PORTAL, Franchise-Glossar, Franchise-Lexikon, Stichwortsuche: Franchisegeber, Franchisenehmer, Systemzentrale und Franchise-System, www.franchiseportal.de/wissen-tools/franchise-lexikon.htm [27.12.2008].
26
Der Franchisenehmer, der prinzipiell ein hohes Maß an sozialen Kompetenzen aufbringen
muss, ist selbständiger Unternehmer, der durch die Lizenzgebühr Know-how und
Markenrechte an einem erprobten Franchise-System erwirbt. Sämtliche Tagesgeschäfte und
betriebswirtschaftlichen Aufgaben muss er selbstständig koordinieren und ist im Falle des
Scheiterns selbst verantwortlich, was als Nachteil gesehen werden kann. Er trägt außerdem
das Risiko, falls ein anderer Franchisenehmer für Imageverlust des gesamten Systems sorgt
(durch Misswirtschaft, Kundenunzufriedenheit, etc.) und somit der Markenname und damit
verbunden das eigene Image geschwächt werden.17
Vorteil für den Franchisenehmer ist der leichte Einstieg in die Selbstständigkeit, da ein
erprobtes und in der Regel erfolgreiches Geschäftskonzept gegen Zahlung von
Lizenzgebühren übernommen wird. Die System-Zentrale organisiert die Betreuung während
der Existenzgründung. Somit ist das Hauptaugenmerk nicht auf die Umsetzung einer
eigenen Geschäftsidee gerichtet, sondern auf die betriebswirtschaftliche Leitung und
Anwendung sozialer Fähigkeiten im Umgang mit eigenen Mitarbeitern, Franchisegeber sowie
den Kunden. Neben den laufenden Lizenzgebühren ist oft eine einmalige Zahlung bei
Gründung des eigenen Unternehmens üblich. Weiterhin werden Gebühren für überregionale
Marketingmaßnahmen fällig.18 Ein Problem in der Franchisenehmer-Franchisegeber-
Beziehung stellen Fragen bezüglich Lieferantenverträgen dar, die in folgenden
Konstellationen auftreten können:
- Franchisenehmer und Lieferant,
- Franchisegeber und Lieferant,
- Franchisenehmer und Franchisegeber sowie
- Franchisenehmer untereinander.
Ob es sich in diesem Fall um eine Vertragsbeziehung handelt, die über die übliche
Bilateralität von Verträgen hinausgeht und als multilaterale Vertragsbeziehung gesehen
werden muss, ist Gegenstand der weiteren Betrachtungen. In diesem Fall müsste das
Franchise-System als Netzwerk betrachtet werden. Innerhalb dieses Netzwerkes könnten
multilaterale Beziehungen zwischen den teilnehmenden Akteuren auftreten, die
gegebenenfalls zu Netzeffekten und daraus resultierenden Verbundpflichten führen.
Zunächst werden daher im Anschluss die rechtlichen Rahmenbedingungen des bilateralen
Franchise-Vertrages dargelegt, bevor die Problematik der Netzwerke auf Franchise-Systeme
übertragen wird.
17 Vgl. Existenzgründung mit System, Ein Leitfaden des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., in: Internetpräsentation des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., S. 4, www.dfv-franchise.de [12.12.2008]. 18 Vgl. Franchise PORTAL, Franchise-Glossar, Franchise-Lexikon, Stichwortsuche: Franchisegeber, Franchisenehmer, Systemzentrale und Franchise-System, www.franchiseportal.de/wissen-tools/franchise-lexikon.htm [27.12.2008].
27
4. Der Franchise-Vertrag als bilaterale Beziehung
Beim Vertrag zwischen Franchisenehmer und Franchisegeber handelt es sich um einen
Typenkombinationsvertrag, in den die oben genannten Gesetzesvorschriften einfließen. Da
es keinen allgemein gültigen Franchise-Mustervertrag gibt, ist der Inhalt auf jedes einzelne
System angepasst. Im Vorfeld des eigentlichen Vertragsabschlusses ist bei Anbahnung
eines solchen vom Franchisegeber einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht nachzukommen.
Diese verpflichtet zur wahrheitsgemäßen Offenlegung aller für das spätere
Vertragsverhältnis relevanten Informationen bezüglich des Franchise-Systems, in das der
künftige Franchisenehmer eintreten will. Dabei sind insbesondere Auskünfte über den
durchschnittlichen Jahresumsatz, den notwendigen Arbeitseinsatz oder die Höhe der
Investitionsausgaben vorzulegen.19
Im Blickpunkt des späteren Vertragsabschlusses steht der Vertrag selbst. Folgende
Aufzählungen müssen in jedem Fall enthalten sein:
In der Präambel werden die Grundlagen bezüglich des Franchise-Systems dargestellt.
Der Gegenstand der Franchise legt alle Marken- und/oder Nutzungsrechte fest, die der
Franchisegeber dem Franchisenehmer zur Verfügung stellt.
In einem weiteren Teil des Vertrages wird das Vertragsgebiet eingegrenzt. Der
Gebietsschutz ist keine zwingende Regelung.
Der inhaltlich wichtigste Teil stellt die Pflichten des Franchisegebers vor. Diese müssen
detailliert beschrieben werden.
Den Franchisegeberpflichten stehen die Zahlungsverpflichtungen des Franchisenehmers
gegenüber.
Neben der Pflicht zur Zahlung allgemeiner Franchisegebühren ist auch die Weitergabe von
Daten zur Marktforschung festgelegt.
Des Weiteren regelt der Franchise-Vertrag die Vertragsdauer und Fragen, die dem Thema
Kündigung zuzuordnen sind. Die Tendenz, dass Franchise-Verträge eine Erstlaufzeit von
fünf Jahren nicht überschreiten sollen, ist zu erkennen, aber noch nicht allgemein festgelegt.
Ein Grundsatz besagt, dass innerhalb der Vertragslaufzeit die Investitionssumme, die der
Franchisenehmer aufbringt, amortisiert werden muss.
Die Beendigung des Franchise-Vertrages wird ebenfalls geregelt und im Vertrag
niedergeschrieben.
Abschließend sind die Widerrufsbelehrungen und das Widerrufsrecht geregelt. Bei dieser
Vielfalt an inhaltlichen Vorgaben wird deutlich, dass es sich bei einem Franchise-Vertrag um
19 Vgl. Flohr, Eckhard, Der Franchise-Vertrag, in: Internetpräsentation des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., S. 1 ff., www.dfv-franchise.de [02.01.2009].
28
ein komplexes und individuell aufgestelltes Vertragswerk handelt und es somit nicht bzw. nur
unter Einschränkungen möglich ist, einen allgemeingültigen Mustervertrag anzufertigen.20
Neben der eben beleuchteten vertraglichen Bilateralität zwischen Franchisenehmer und
Franchisegeber sind auch die Beziehungen zu den Lieferanten und die damit verbundenen
Probleme von Bedeutung. In der weiteren Teil wird auf den Netzwerkgedanken innerhalb des
Franchising eingegangen und die oben genannte Frage der Multilateralität diskutiert.
5. Franchising als Netzwerk
5.1. Voraussetzungen
In den nachfolgenden Betrachtungen wird unter dem vielseitig verwendbaren Begriff des
Netzwerkes eine vertragliche Unternehmenskooperation verstanden.21 Das Franchising ist
dieser Kategorie zuzuordnen.
Das Netzwerk ist dadurch gekennzeichnet, dass es unternehmensübergreifende Projekte
umfasst, die sich aus kooperierenden autonomen Unternehmen ergeben. Dabei ist
Vertrauen eine grundlegende Voraussetzung für das Funktionieren des Netzes. Auch die
Betrachtungsweise als Kombination von Vertrag und Organisation mit
Vertrauensbeziehungen ist legitim.22
Damit das Franchising als Netzwerk behandelt werden kann, muss von der Ansicht Abstand
genommen werden, dass Franchisenehmer ausschließlich als Absatz- oder
Vertriebsvermittler zu sehen sind. Der daraus resultierende Bezug zum Handelsvertreter-,
Kommissionsagentur- und Vertragshändlerrecht führt zu einer differenzierten Betrachtung.
Der Franchisenehmer wird nun als selbstständiger Unternehmer betrachtet, dessen Aufgabe
es ist, die vom Franchisegeber angebotenen Produkte und/oder Dienstleistungen bzw. die
innerhalb des Franchise-Systems gelisteten Produkte und/oder Dienstleistungen von
externen Lieferanten an den Endverbraucher zu verkaufen.23
Um das Franchise-System als Netzwerk zu verstehen, ist es weiterhin erforderlich, neben
den einzelnen vertraglichen Beziehungen zwischen Franchisenehmer und Franchisegeber
auch die Wechselwirkungen der einzelnen, als selbstständige Unternehmer auftretenden
Franchisenehmer zu den Lieferanten zu betrachten. Dabei ist zu beachten, dass sich die
Wechselwirkungen anderer Franchiseteilnehmer auf das eigene unternehmerische Handeln
auswirken können.24 Damit entstehen aus den inneren Vertragsbeziehungen, die das
jeweilige Franchise-System vorgeben auch Effekte, die außerhalb der vertraglichen
20 Vgl. Flohr, Eckhard, Der Franchise-Vertrag, in: Internetpräsentation des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., S. 3 ff., www.dfv-franchise.de [02.01.2009]. 21 Vgl. Teubner, Gunther, Netzwerk als Vertragsverbund, Bd. 5, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 35. 22 Vgl. Teubner, a.a.O., S. 42. 23 Vgl. Franchiserecht als Rechtsgebiet, Franchising als Netzwerk, in: Franchiserecht – Deutschland Flohr, E., und Österreich, hrsg. v. Flohr, E. / Petsche, A., 2. Aufl., Münster 2008, S. 1 (2). 24 Vgl. Lange, Werner, Das Recht der Netzwerke, Moderne Formen der Zusammenarbeit in Produktion und Vertrieb, Heidelberg 1998, S. 37.
29
Vorgaben Wirkungen erzeugen. Diese Problematik soll im Folgenden anhand eines Beispiels
verdeutlicht werden. Dabei wird versucht, den Netzwerkgedanken aufzugreifen und
kontrovers zu diskutieren.
5.2. Netzwerkbedingte Vorteilsweitergabe am Beispiel des Apollo-Urteils
Grundlage der Betrachtungen ist as Apollo-Urteil vom 20.05.2003.25 17 Franchisenehmer der
Optiker-Kette Apollo hatten Auskunft vom Franchisegeber darüber verlangt, ob ihnen
Einkaufsvorteile verschwiegen wurden. Dies geschah zunächst außerhalb der
Gerichtsbarkeit. Den Franchisenehmern war aufgrund der vertraglichen Bezugspflicht ein
Lieferantenpool vorgegeben, von dem sie ihre Produkte beziehen mussten. Diese
Lieferanten gewährten Rabatte auf Listenpreise, die im Vorfeld der Zusammenarbeit
ausgehandelt, in offiziellen Rabattlisten dokumentiert und dem Franchise-Vertrag lose
beigefügt wurden. Nun bestand seitens der Franchisenehmer der Verdacht, dass neben den
offiziellen Rabatten sogenannte inoffizielle Differenzrabatte (Kickbacks) an den
Franchisegeber gewährt wurden. Der Verdacht bestätigte sich, als durch ein Versehen
Beweismaterial an die Franchisenehmer übersendet wurde. Diese Beweismittel legten offen,
dass die Lieferanten dem dualen Apollosystem26 auf alle bei ihnen getätigten Einkäufe
Rabatte bis zu 52 Prozent gewähren. Den Franchisenehmern wurden allerdings höchstens
38 Prozent weitergeleitet. Die Franchisenehmer machten von ihrem Zurückhaltungsrecht
gegenüber der Zahlungsverpflichtung von Franchise- und Werbegebühren Gebrauch. Diese
Tatsache und weiter schwelende Konflikte innerhalb des Apollo-Franchise-Systems führten
zur Eskalation, in deren Folge der Franchisegeber mit Massenkündigungen gegen die sich
zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossenen Franchisenehmer reagierte.
Diese setzten ihrerseits ein Zeichen und erhoben bei zehn Kartellkammern Klage.27
Der geltend gemachte Anspruch auf Auskunft und Herausgabe der vorenthaltenen
Einkaufsvorteile ist der Teil der Stufenklage, dem die größte Bedeutung für die weiteren
Betrachtungen beigemessen wird. Die weiteren Bestandteile werden an dieser Stelle
unbeachtet bleiben. Das Problem des Falles wird bereits bei der Betrachtung der
Entscheidungen der Kartellkammern der Landes- und Oberlandesgerichte (OLG) deutlich.
Auf der Grundlage unterschiedlicher Auffassungen und Grundverständnisse der Pflichten
des Franchisegebers in dualen Franchise-Systemen wurden entgegengesetzte
Entscheidungen getroffen.28
25 Siehe dazu: BGH, Urteil vom 20. 5. 2003 - KZR 19/02 - Apollo-Optik; OLG München, http://www.Lexetius.com/2003,2310 [19.01.2009]; Apollo-Optik: Pflicht des Franchisegebers zur Weitergabe von Differenzrabatten an Franchisenehmer, BB 2003, S. 2254 ff. 26 Apollo ist neben Franchisegeber auch Betreiber eines gleichnamigen Filialsystems mit insgesamt über 600 Points of Sales in Deutschland. 27 Vgl. Böhner, Reinhard, Vom Franchisevertrags- zum Franchisenetzwerkrecht, BB 2004, S. 119 (ff.). 28 Vgl. Böhner, aaO, S. 120.
30
Das OLG Düsseldorf29 versteht das Franchising als ein Warenvertriebssystem, das durch
kaufvertragliche Grundsätze geprägt ist. Das OLG Bremen30 sieht im Gegensatz dazu eine
geschäftsbesorgungsdienstvertragliche Grundlage, die auf § 6.3 des Apollo-Franchise-
Vertrages31 anzuwenden ist. Damit sind die Gerichte höherer Instanz gezwungen, zunächst
eine Entscheidung zu treffen, ob die Weitergabe der Vorteile auf vertragliche oder
gesetzliche Anspruchsgrundlagen zu stützen ist. Der Franchisegeber Apollo hatte bei seiner
Berufung vorgetragen, dass der selbst entworfene standardisierte Franchise-Vertrag gegen
die Formerfordernisvorschrift des § 34 GWB a. F. verstoße. Das OLG Düsseldorf vertrat im
Gegensatz zum OLG Bremen diese Auffassung.32
Hernach beschäftigte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem Fall und hatte für sein
Urteil drei Entscheidungsmöglichkeiten zur Wahl: Er konnte der vom OLG Düsseldorf
vertretenen Auffassung folgen, dass die lose beigefügten Rabattlisten vertragliche
Nebenabreden darstellen, für die § 34 GWB a. F. nicht eingehalten wurde. Damit wäre
Formnichtigkeit gegeben gewesen. Des weiteren konnte der BGH der Auffassung des OLG
Frankfurt33 folgen, das sich ebenfalls auf die Formnichtigkeit beruft, jedoch nach § 242 BGB
kein Recht des Franchisegebers feststellen konnte, wonach sich der Franchisenehmer auf
eine selbstverschuldete Formnichtigkeit bezieht.34
Im Gegensatz zu diesen beiden Varianten steht die Auslegung des OLG Bremen, welches
eine Formwirksamkeit des Vertrages festgestellt hat, weil es sich bei den Rabattlisten, die
lose beigefügt waren, lediglich um Informationen handele, aus denen die Preise der
Lieferanten hervorgehen. Diese Informationen unterliegen nicht der Formbedürftigkeit.35
Der BGH entschied sich dafür, der Auffassung des OLG Frankfurt zu folgen: Dem
Franchisegeber bleibt verwehrt, sich auf § 242 BGB zu berufen. Die Frage, ob der
Franchise-Vertrag den Schriftformerfordernissen des § 34 GWB a. F. genügen muss, ließ er
offen. Argumente für seine Entscheidung ist der Umstand, dass es ungeachtet der
Formnichtigkeit eine Vorteilserzielung für den Franchisegeber gab, die sich über einen
langen Zeitraum erstreckte. Weiterhin sei der Franchisegeber für den etwaigen Formmangel
selbst verantwortlich und könne sich deshalb nicht auf seine Nichtigkeit berufen.36
Der BGH wies die Behauptung des Franchisegebers zurück, welcher sich darauf berief,
sämtliche Leistungen erbracht zu haben, die er nach dem Inhalt des Vertrages als
Gegenleistung zu den vom Franchisenehmer bezahlten Gebühren erbringen musste. Damit
29 S. dazu OLG Düsseldorf, WuW 2002, S. 235. 30 S. dazu OLG Bremen, WuW 2002, S. 224. 31 Ausschnitt aus § 6.3 unter Punkt 6 des Franchise-Vertrages Weitere Leistungen von Apollo: „Apollo betreut den Partner hinsichtlich der Geschäftsentwicklung und des systemgerechten Betriebsablaufes und gibt Vorteile, Ideen und Verbesserungen zur Erreichung optimaler Geschäftserfolge an den Partner weiter…“, zitiert nach BB 2003, S. 2254. 32 Vgl. Böhner, aaO, S. 120. 33 S. dazu Urteil des OLG Frankfurt/Main, 23.07.2002 – 11 U (Kart.) 55/00. 34 Vgl. Böhner, aaO, S. 120 f. 35 Vgl. Böhner, aaO, S. 121. 36 Vgl. ebenda.
31
war zunächst die Vorentscheidung getroffen, die Weitergabe der Einkaufsvorteile auf
vertraglicher Anspruchsgrundlage zu prüfen.37
Hier kann nun wird der Netzwerkgedanke aufgegriffen und anhand des Apollo-Beispiels in
die Betrachtung eingearbeitet werden: Der BGH richtet bei der Urteilsfindung sein
Augenmerk über das bilaterale Vertragsverhältnis zwischen Franchisegeber und
Franchisenehmer hinaus auf die Verpflichtungen des Franchisegebers gegenüber den
Lieferanten. Damit wird erstmals eine multilaterale Beziehung betrachtet. Die Franchise-
Rechtsprechung sieht bei der Interessenberücksichtigung der Franchisenehmer an der
Erlangung der Einkaufsvorteile, die dem gesamten Apollo-System (also einschließlich der
Franchisenehmer) von den Lieferanten gewährt wurden, einen entscheidenden Aspekt in der
Betrachtung der Beziehung. Die bilaterale Beziehung von Franchisenehmer und
Franchisegeber reicht nicht aus, um die erbrachten Leistungen aller Beteiligten, inklusive der
Lieferanten, zu fixieren. Das heißt, dass es nicht möglich ist, dieses entstandene
Dreiecksverhältnis Franchisenehmer – Franchisegeber – Lieferant mit Hilfe des Franchise-
Vertrages darzustellen. Deutlicher wird dieser Fakt, wenn die Belieferung des
Franchisenehmers durch den Lieferanten betrachtet wird. Franchisenehmer und Lieferant
stehen in einem bilateralen Verhältnis, das heißt, der Franchisenehmer geht mit dem
Lieferanten durch Bestellung von Produkten einen Vertrag ein, dem der Lieferant durch
Lieferung der Ware und der Franchisenehmer durch deren Bezahlung nachkommt. In
diesem Fall spielt der Franchisegeber nur die Rolle, dass er im Vorfeld festgelegt hat, wer
der Lieferant sein darf und welche Rabatte er gewährt bekommt. Der Franchisegeber trägt in
diesem Fall auch nicht das Risiko des Warenabsatzes des Franchisenehmers, was neben
der Kapitalbindung auch ein Insolvenzrisiko bedeuten kann. Es bestehen also zwischen
Franchisegeber und Franchisenehmer Franchise-vertragliche und zwischen
Franchisenehmer und Lieferant kaufvertragliche Beziehungen.38
Der Franchisegeber greift dennoch in das Verhältnis zwischen Franchisenehmer und
Lieferant ein. Er stellt im Apollo-Fall den Anschluss zum Warenbezugssystem der eigenen
Filialen für den Franchisenehmer bereit. Er übernimmt also ohne rechtliche Verpflichtung die
Vertragsverhandlungen mit den Lieferanten, um aufgrund der damit verbundenen
Nachfragemacht (Filialen und Franchisenehmer) eine bessere Verhandlungsbasis zu
schaffen.39
Je mehr Nachfrage von einer Unternehmung ausgeht, umso größer sind die Rabatte, die
gewährt werden können. Der Lieferant kann diese Rabatte letztlich gewähren, weil es für ihn
aufgrund der bestehenden Bezugspflicht der Franchisenehmer sichergestellt ist, dass er auf
einen Kundenstamm bauen kann, der entsprechende Umsätze garantiert. Der
37 Vgl. aaO, S. 121 f. 38 Vgl. Böhner, aaO, S. 121. 39 Vgl. ebenda.
32
Franchisegeber schließt als Treuhänder im Namen der Franchisenehmer und seiner eigenen
Filialen Rahmenverträge ab, von dessen Vorteilen letztlich auch der Franchisenehmer
profitiert.40
Aus Netzwerksicht stellt sich diese Ausgangssituation zusammenfassend wie folgt dar: Die
Filialleiter der einzelnen Standorte sind aufgrund des arbeitsrechtlichen Direktionsrechtes zur
Bestellung bei den gelisteten Lieferanten verpflichtet. Damit ist bereits ein großes Potenzial
vorhanden, welches in die Verhandlungen um Preise und Rabatte eingebracht wird.
Verstärkt wird dieses Potenzial durch das zweite „Standbein“ von Apollo, die
Franchisenehmer, die aufgrund des Franchise-Vertrages ebenfalls gezwungen sind, 80 %
ihrer Produkte bei denselben gelisteten Lieferanten wie die Filialen zu beziehen. So entsteht
für den Franchisegeber eine systemimmanente Geschäftsführungsbefugnis für zentrale
Verhandlungen mit den Lieferanten. Das heißt, ohne dass eine derartige Situation vertraglich
festgelegt ist, ergibt sie sich aus der Dreiecksbeziehung Franchisegeber – Franchisenehmer
– Filiale und der damit verbundenen Bezugspflicht der beiden letztgenannten ein Zustand,
der zur Erlangung von Einkaufsvorteilen genutzt wird. Somit wird deutlich, dass im Fall
Apollo nicht nur das bilaterale Vertragsverhältnis des Franchisegebers und eines einzelnen
Franchisenehmers zu betrachten ist, sondern die gesamte Anzahl an Vertragsbeziehungen
zwischen allen Franchisenehmern und Apollo. Somit folgt, dass jeder einzelne
Franchisenehmer einen Vorteil daraus erzielen kann, wenn in das Gesamtsystem neue
Partner integriert werden, da somit die Verhandlungsposition des Franchisegebers aufgrund
der gestiegenen Verhandlungsmacht verbessert wird. Dadurch ist das Netzwerk als
Konstrukt für Entscheidungen, die den einzelnen Franchisenehmer betreffen,
verantwortlich.41
Daraus leitet sich ab, dass der Franchise-Vertrag nicht nur die Funktion der Organisation des
Leistungsaustausches zwischen Franchisegeber und -nehmer hat, sondern auch einen
organisationsrechtlichen Vertragsgegenstand. Dieser beinhaltet neben der Verpflichtung, die
Franchisenehmer durch Dritte beliefern zu lassen, auch die Weitergabe von Vorteilen, die
aus dem Netzwerk resultieren und nach § 6.3 des Franchise-Vertrages zur Erreichung
optimaler Geschäftserfolge dienen. Damit nimmt der Franchisegeber die führende Rolle im
gesamten System ein. Die daraus resultierenden Pflichten und Aufgaben werden jedoch
nicht explizit im Franchise-Vertrag geregelt, sondern stillschweigend von der anderen
Vertragspartei vorausgesetzt. In der Präambel des Apollo-Franchise-Vertrages deutet
folgende Formulierung auf diese freilich nicht ausdrücklich erwähnten Pflichten hin: „nur
enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Partnern und Apollo sichern
40 Vgl. ebenda. 41 Vgl. ebenda.
33
beiderseitigen Vorteil und bilden die Grundlage einer erfolgreichen
Geschäftsentwicklung.“42,43
Fraglich ist nun, ob es für beide Seiten einen Vorteil gegeben hat oder ob einer der beiden
Vertragsparteien einen Nachteil erleiden musste. Im Rahmen der sogenannten Corporate
identity44 profitieren die Filialen des Systems von den Franchise-Unternehmungen. Die
Franchisenehmer steigern durch ihr weit verbreitetes und somit flächendeckendes Auftreten
das Ansehen des gesamten Apollo-Systems. Umgekehrt ist es den Filialen zu verdanken,
dass die Franchisenehmer bei Verhandlungen zur Vorteilsgewährung bei Preisen und
Rabatten auf ein starkes Rückgrat vertrauen können. Allerdings ist zu bemerken, dass trotz
gegenseitiger Vorteilserzielung ein Wettbewerb zwischen Franchisegeber und seinen Filialen
sowie den Franchisenehmern besteht. Damit entsteht ein Interessenkonflikt im System.45
Da der Franchisegeber sich nicht auf die Rolle des alleinigen Partners der Franchisenehmer
beschränkt, sondern mit deren Hilfe eigene Vorteile für sein Filialsystem erzielt, ist die
nächste Frage, ob es sich um eine Gleichbehandlung der beiden Vertriebszweige handelt.
Denn nur, wenn ein symbiotisches Verhältnis innerhalb des dualen Systems besteht, ist
diese Praxis zu akzeptieren. Im Fall Apollo ist diese Symbiose nicht gegeben. Die Ursache
dafür liegt bei der Vorenthaltung der Einkaufsvorteile. Diese wurden bekanntlich aus der
Nachfragemacht des gesamten dualen Systems erzielt und dennoch nur unvollständig an die
Franchisenehmer weitergegeben. Die entstandenen Vorteile für den Franchisegeber und die
damit verbundenen Nachteilen der Franchisenehmer deuten auf ein Ungleichgewicht hin.
Dadurch ist eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung innerhalb des Systems gegeben.46
Die aus den Einkäufen der Franchisenehmer resultierenden Kickbacks streicht der
Franchisegeber ein, obwohl sie aus den Leistungen des Franchisenehmers hervorgehen und
deshalb auch nur diesen zustehen dürfen. Den Leistungen muss die Systembindung an den
Franchisegeber zugeordnet werden. Daraus ergeben sich die Übernahme des Warenrisikos
und die damit verbundenen Kosten. Deshalb sind die gewährten Vorteile, die von den
Lieferanten vergeben werden, als leistungseigener Vorteil nur den Franchisenehmern
zuzuordnen. Im Apollo-Fall hat der Franchisegeber diese ungleichen
Wettbewerbsbedingungen verschwiegen und dennoch Gleichbehandlung vorgespielt.
Böhner fasst die Gesamtproblematik folgendermaßen zusammen:
„Die dargestellten Netzwerkbeziehungen und die mit zentralen Einkaufsvereinbarungen
erlangten Netzwerkvorteile aufgrund der Belieferung von bezugspflichtigen
Franchisenehmern durch gelistete Streckenlieferanten sind einem dualen Filial-
/Franchisesystem immanent. Sie müssen deshalb bei der Auslegung des vertraglichen
42 Ausschnitt der Präambel des Apollo-Franchise-Vertrages, zitiert nach Böhner, aaO, S. 121. 43 Vgl. Böhner, ebenda. 44 Identität der Bezugspflichten gegenüber den Lieferanten. 45 Vgl. Böhner, aaO, S. 122. 46 Vgl. ebenda.
34
Anspruchs auf Herausgabe der ‚Vorteile zur Erlangung optimaler Geschäftserfolge‘
berücksichtigt werden.“47
Für den Apollo-Fall bezog sich der BGH allerdings nicht auf die durch das Netzwerk
ausgebliebene Vorteilsweitergabe, sondern auf die kundenfreundlichste Auslegung für den
Franchisenehmer. Da im vorliegenden Franchise-Vertrag keine eindeutige Regelung
bezüglich der Weitergabe der erlangten Vorteile getroffen ist und sich der Franchisegeber
auf die Weitergabe von immateriellen Vorteilen aus dem bilateralen Franchise-Vertrag beruft,
kommt es zur Anwendung der Unklarheitenregelung (kundenfreundlichste Auslegung) des §
305 c Abs. 2 BGB.48
Der Franchisegeber versucht mit dem Argument, dass es sich bei den Vorteilen aus § 6.3
des Franchise-Vertrages nicht um finanzielle Vorteile seiner Geschäftsbeziehungen zu den
Lieferanten handelt, die Kickbacks zu rechtfertigen. Der BGH sieht aber im Gegensatz die
Franchise-vertragliche Pflicht zur Weiterleitung aller Einkaufsvorteile als
Entscheidungsgrundlage zu Gunsten der Franchisenehmer.49
Um die Frage, ob es sich bei Franchiseverträgen um multilaterale Vertragsbeziehungen
handelt, endgültig zu beantworten, ist ein weiterer Gedanke aufzugreifen. Ob sich bei
Franchise-Verträgen prinzipiell eine Verbundpflicht bzw. Weiterleitungspflicht sämtlicher
Systemrabatte und Einkaufsvorteile ergibt, soll im Folgenden näher betrachtet werden.
Zunächst muss Klarheit bestehen, wem die Netzvorteile in Form von Einkaufsvorteilen
zuzuordnen sind. Wie oben dargelegt, sind die erzielten Einkaufsvorteile vollständig an den
Franchisenehmer weiterzugeben und, wenn nicht ausdrücklich im Franchise-Vertrag
geregelt, nicht als Kickbacks vom Franchisegeber einzubehalten.
5.3 Bezug zur Sixt- und Hertz-Entscheidung
Neben dem bereits geschilderten Apollo-Fall muss in diesem Zusammenhang auf zwei
weitere, diese Thematik betreffende Entscheidungen hingewiesen werden.
Zum einen ist das Urteil im Fall des Autovermieters Sixt vom 02.02.1999 zu nennen.50 Neben
den Großabnehmermengenrabatten wurden geheim gehaltene Werbekostenzuschüsse an
Sixt gezahlt, die aber innerhalb des dualen Systems (Filialnetz und Franchise-
Unternehmungen) nicht an die Franchisenehmer weitergereicht wurden. Der BGH hat
festgestellt, dass es für die Franchisenehmer keinen gesetzlichen Anspruch gibt, um die
Herausgabe der Kickbacks zu verlangen. Das Gericht bejahte in diesem Fall eine
Weitergabe der Werbekostenzuschüsse, weil diese dem im Franchise-Vertrag deklarierten
47 Böhner, Reinhard, Vom Franchisevertrags- zum Franchisenetzwerkrecht, in: BB 2004, Heft 3, S. 119-124, S. 122. 48 Vgl. Böhner, aaO, S. 122.. 49 Vgl. ebenda. 50 Urteil des BGH vom 02.02.1999 – KZR 11/97. Umgehung des Preisbindungsverbots durch Franchisegeber - "Sixt", BB 1999, S. 860 ff.
35
Einkaufsvorteilen zuzuordnen sind. Allgemein wurde damit festgestellt, dass die vertragliche
Gestaltung relevant für eine Weitergabeentscheidung ist.51 Damit ist der Nachteil
ausgeglichen, den der Franchisenehmer auf sich nehmen muss, weil er in seiner
unternehmerischen Freiheit eingeschränkt wird, wonach er seine Produkte von im Franchise-
Vertrag vorgeschriebenen Lieferanten beziehen muss. Da die Zugeständnisse aus dem
Vermögen der Lieferanten stammen und nicht vom Franchisegeber, ist es nach Ansicht der
Gerichte angemessen, diese an den Franchisenehmer weiterzugeben.52
Das Urteil im oben beschriebenen Apollo-Fall bestätigte am 20.05.2003 diese Auslegung.
Das dritte relevante Urteil wurde am 22.02.2006 im Verfahren des Autovermieters Hertz
gefällt.53 Dabei wurden die bereits erwähnten Grundsätze bestätigt. Inhaltlich wurde dabei
die Frage geklärt, ob Einkaufsvorteile, die dem Franchisegeber von einer Tochtergesellschaft
zufließen, an den Franchisenehmer weiterzuleiten sind. Diese Frage wurde verneint und auf
das Sixt-Urteil verwiesen, indem festgestellt wurde, dass es keine gesetzliche Grundlage zur
Weiterleitung von Einkaufsvorteilen gebe, sondern vielmehr die vertragliche Gestaltung
ausschlaggebend für eine Weitergabepflicht ist. Der geforderte Anspruch der
Franchisenehmer könnte sich lediglich aus einem Vertrag mit der Tochtergesellschaft
ergeben und gegen diese geltend gemacht werden. Ein Anspruch gegen den
Franchisegeber ergebe sich nicht.54
Mit diesem Urteil wird die hauptsächlich von Böhner vertretene Theorie abgelehnt, wonach
eine Franchise-Netzwerkhaftung und daraus resultierende Verbundpflichten existieren.55
5.4 Fazit
An dieser Stelle soll ein kurzer Rückblick auf das bisher Behandelte mit einem Zwischenfazit
erfolgen:
Es gibt keine gesetzliche Anspruchsgrundlage für Franchisenehmer, eine Auszahlung von
Kickbacks vom Franchisegeber zu verlangen. Die Differenzrabatte entspringen aus vom
Franchisenehmer generierten Umsätzen, die durch Leistung mit den Systemlieferanten dem
Gesamtsystem zufließen. Dennoch ist es vertraglichen Gestaltungsaspekten geschuldet,
dass in den drei Pilot-Fällen Sixt, Apollo und Hertz eine Weiterleitung der Kickbacks vom
BGH durchgesetzt wurde. Die kundenfreundlichste Auslegung des Franchise-Vertrages
spielte dabei die entscheidende Rolle.56
51 Vgl. Flohr, Eckhard, Franchising – Einkaufsvorteile und Kartellrecht, BB 2007, S. 6 (7). 52 Vgl. ebenda. 53 Urteil des BGH vom 22.02.2006 VIII ZR 40/04; Verpflichtung des Franchisegebers zur Auszahlung von Einkaufsvorteilen an Franchisenehmer aufgrund Franchisevertrags, BB 2006, S. 1071 ff. mit Kommentar von Flohr, Eckhard. 54 Vgl. Flohr, Eckhard, Franchising – Einkaufsvorteile und Kartellrecht, BB 2007, S. 6 (11 f.). 55 Vgl. ebenda. 56 Vgl. Flohr, aaO, S. 7.
36
Der Franchise-Vertrag stellt formal ein bilaterales Verhältnis zwischen Franchisegeber und
Franchisenehmer dar. Darin werden die bereits bezeichneten Pflichten und Leistungen
beschrieben, die beide Vertragsparteien zu erfüllen haben. Die Multilateralität ergibt sich erst
aus der Einbeziehung der Lieferanten und möglicher Partner, die aus einem dualen
Franchise-Filialsystem in den Geschäftsprozess eingreifen. Am Beispiel der Weitergabe von
Einkaufsvorteilen wird deutlich, dass es für diese Art von Netzwerken noch keine einheitliche
Handhabung in der Gesetzgebung gibt. Lediglich aus Passagen des Franchise-Vertrages
lassen sich Ansprüche gegenüber dem Franchisegeber geltend machen, nicht aus dem
Netzwerk selbst.
Die ausgangs erwähnte Diskrepanz zwischen den verschiedenen Gerichtsurteilen im Fall
Apollo ergibt sich jedoch nicht aus den ungenauen Formulierungen der
Unterstützungsklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Franchise-Verträge,
sondern aus der funktionalen Abhängigkeit in den Markt-, Vertrags- und Organisa-
tionsbeziehungen der Beteiligten. Wenn die Gerichte in diesem Fall nur die Fragestellung
verfolgen, wie diese Unterstützungsklauseln auszulegen sind, dann werden die Netzeffekte
systematisch unberücksichtigt gelassen.57
Die Gerichte, die sich gegen einen Anspruch auf Weiterleitung von Vorteilen entschieden
haben, lassen bei einer Rekonstruktion des Franchiseleitbildes die kaufrechtlichen
Ansprüche von isolierten Vertragsbeziehungen zwischen den Lieferanten, Franchisegebern
und Franchisenehmern erkennbar werden. Im anderen Fall wird das System selbst zum
Bezugspunkt der Entscheidung gemacht. Dabei wird auf Erwartungen abgestellt, die sich nur
aus dem System selbst ergeben können. Damit bezieht der BGH in seiner Auslegung
Aspekte ein, die die vertragliche Bilateralität des Franchise-Systems übersteigen. Somit ist
es in der Zukunft möglich, eine Argumentation zu führen, die sich mit dem Thema
Netzwerklogik und Netzwerkeffekte befasst. Die Frage, ob die Multilateralität eine Ursache
für die Netzwerkeffekte ist, bleibt zunächst unbeantwortet.58
Einen Ausblick, wie sich die Zukunft gestalten könnte, gibt der letzte Abschnitt der
Ausarbeitung.
6. Ausblick
Im Sixt-Urteil war aufgrund der vertraglichen Gestaltung die Pflicht des Franchisegebers zur
Weitergabe von Einkaufsvorteilen an den Franchisenehmer klar begründet. Eine andere
Auslegung kam nicht in Frage. Lediglich durch Dritte (Lieferanten, Hersteller etc.) auferlegte
Weitergabeverbote von Einkaufsvorteilen sind nach der Entscheidung nicht zu begründen,
da es sich in diesem Fall nicht um eine Maßnahme des Franchisegebers handelt. Die
57 Vgl. Teubner, Gunther, Profit sharing als Verbundpflicht? Zur Weiterleitung von Netzvorteilen in Franchise-Systemen, ZHR 168 (2004), S. 1 (2). 58 Vgl. Teubner, aaO, S. 3.
37
Einschränkung zur Weitergabe der Vorteile durch einen Dritten ist gesetzlich nicht
abgesichert und somit legitim. Bei dieser Ausgangssituation ist damit zu rechnen, dass in
Zukunft durch etwaige Absprachen von Dritten und Franchisegebern die Weiterleitung der
Kickbacks unterbunden werden könnte und der Franchisenehmer nicht auf die eigentlich ihm
zustehenden Vorteile bestehen kann.59
Im Apollo-Fall wurde geklärt, was unter Vorteilen, die zur Erlangung optimaler
Geschäftserfolge führen, zu verstehen ist. Neben der Weitergabe von Know-how und
anderen immateriellen Werten zählen auch wirtschaftliche Vorteile zu dieser begrifflichen
Vorgabe. Dabei wurden neben den Vorteilen, die aus dem Innenverhältnis (bilaterale
Franchisebeziehung zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer) herrühren, auch
Vorteile einbezogen, die aus dem Außenverhältnis (Beziehungen der Filialen und
Franchiseunternehmer zu den Lieferanten) resultieren. Die Auslegung zugunsten der
Franchisenehmer wird mit der Auffassung begründet, dass der BGH die Interessen beider
redlicher Partner berücksichtigt sieht. Konkret ist damit eine Auslegung aufgrund
vertraglicher Passagen gemeint.60
Es kann in Zukunft passieren, dass bei Zusagen des Franchisegebers, ihre
Franchisenehmer bei der Warenbeschaffung zu unterstützen, die systemimmanente Pflicht
zur Weitergabe aller Einkaufsvorteile daraus abgeleitet wird. Dieser für den
Franchisenehmer leistungseigene Vorteil entsteht aus dem Netzwerk. Der Vorteil soll ihm
gewährt werden, weil es für ein Franchise-System förderlich ist, ein leistungsstarkes und
damit verbunden nachfragestarkes Netz zu generieren. Es wäre für den Franchisenehmer
kein Anreiz geboten, wenn er auf die durch das Netzwerk entstandenen Vorteile verzichten
müsste. In dem Fall hätte er, ohne ein Franchiseverhältnis einzugehen, als „freier
Unternehmer“ gleiche handelsübliche Rabatte erzielen können, mit dem Vorteil, keine
Bezugspflichten befolgen zu müssen. Mit den Gebühren, die er an den Franchisegeber zahlt,
erwirbt er das Recht, bei den Lieferanten als Kunde mit Großhändlerstatus bedient zu
werden.61
Eine weitere Folge für die Zukunft ist für die vertragliche Gestaltung zu sehen. Viele
Franchisegeber werden zeitnah ihre Verträge in der Art und Weise abändern bzw. haben
dies schon getan, dass Klauseln die auf eine allgemeine Vorteilsweitergabe schließen
lassen, entfallen bzw. so umformuliert werden, dass sich keine Pflichten zur Weitergabe von
Einkaufsvorteilen daraus ableiten lassen. Die Systemimmanenz soll damit unterbunden
werden. Spätestens dann ist es erforderlich, den Netzwerkgedanken des Franchising-
Systems in die rechtlichen Auslegungen einzubeziehen62. Ob diese Praxis jedoch mit dem
Grundgedanke des Franchising, als leistungsstarkes Gefüge zu agieren, vereinbar ist, bleibt 59 Vgl. Böhner, Reinhard, Vom Franchisevertrags- zum Franchisenetzwerkrecht, BB 2004, S. 119 (123). 60 Vgl. ebenda. 61 Vgl. ebenda. 62 Vgl. Teubner, aaO, S. 15.
38
abzuwarten und ist äußerst fraglich. Dazu ist die Problematik der Netzwerkhaftung bzw.
netzwerkbedingter Weiterleitung von System-Rabatten bisher zu oberflächlich betrachtet
worden. Die Gerichte berufen sich aktuell auf Ansprüche, die aus Verträgen und den damit
verbunden Pflichten resultieren.
Eine generelle Verfahrensweise, wie mit Netzwerken und den damit verbundenen Pflichten
umzugehen ist, gibt es (noch) nicht. Da sich das Franchising als vertikale Vertriebsform
weiter auf dem Erfolgsweg befindet und in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen
wird, ist eine klare gesetzliche Regelung unbedingt erforderlich. Die Antwort auf die Frage,
ob sich der Franchise-Vertrag im Rahmen einer eventuellen gesetzlichen Grundlage von
bilateraler zu multilateraler Vertragsbeziehung wandeln wird, bleibt Spekulation. Momentan
ist der Franchise-Vertrag als eine bilaterale Beziehung zu betrachten, aus der sich
situationsbedingt multilaterale Verknüpfungen mit entsprechenden Folgen ergeben können.
Ob sich das Franchisevertragsrecht zum Franchisenetzwerkrecht entwickeln wird, bleibt
abzuwarten.
39
Literaturverzeichnis I. Schriften Böhner, Reinhard, Vom Franchisevertrags- zum Franchisenetzwerkrecht, BB 2004, S. 119-124 Flohr, Eckhard, Franchise-Vertrag, Bd. 30, 3. Aufl., München 2006 Flohr, Eckhard, Franchising – Einkaufsvorteile und Kartellrecht, BB 2007, S. 6-12 Flohr, Eckhard / Petsche, Alexander, Franchiserecht – Deutschland und Österreich, 2. Aufl., Münster 2008 Giesler, Patrick / Nauschütt, Jürgen, Franchiserecht, Handbuch für die anwaltliche und gerichtliche Praxis, 1. Aufl., Neuwied / Kriftel 2002 Lange, Werner, Das Recht der Netzwerke, Moderne Formen der Zusammenarbeit in Produktion und Vertrieb, 1. Aufl., Heidelberg 1998 Teubner, Gunther, Netzwerk als Vertragsverbund, Bd. 5, 1. Aufl., Baden-Baden 2004 Teubner, Gunther, Profit sharing als Verbundpflicht? Zur Weiterleitung von Netzvorteilen in Franchise-Systemen, ZHR 168 (2004), S. 1-18 II. Rechtsprechung BGH, Urteil vom 20. 5. 2003 - KZR 19/02 - Apollo-Optik, BB 2003, S. 2254 ff. BGH, Urteil vom 2.2.1999 - KZR 11/97 - Sixt, BB 1999, S. 860 ff. BGH, Urteil vom 22.2.2006 – VIII ZR 40/04 – Hertz, BB 2006, S. 1071 ff. mit Kommentar von Eckhard Flohr OLG Bremen, Urteil vom 6.12.2001 - Kart 2/2001 -, WuW 2002, S. 224 OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2001 - Az. U (Kart) 11/01 -, WuW 2002, S. 235 III. Internet EG-Recht, Kartellrecht, in: Internetpräsentation der franchiseSTARTER, www.franchisestarter.de/franchise/recht/eg-recht/ [10.01.2009] Existenzgründung mit System, Ein Leitfaden des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., in: Internetpräsentation des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., S. 4, www.dfv-franchise.de [12.12.2008] Flohr, Eckhard, Der Franchise-Vertrag, in: Internetpräsentation des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., S. 1 ff., www.dfv-franchise.de [02.01.2009] Franchise PORTAL, Franchise-Glossar, Franchise-Lexikon, Stichwortsuche: Franchisegeber, Franchisenehmer, Systemzentrale und Franchise-System, www.franchiseportal.de/wissen-tools/franchise-lexikon.htm [27.12.2008] Infopaket für Franchisegeber, in: Internetpräsentation des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., S. 21 f., www.dfv-franchise.de [18.01.2009]
40
AGB-Kontrolle von Franchise-Verträgen
Stud. rer. pol. Martin Czikowski
1. Einleitung
1.1. Problemstellung
„Franchisewirtschaft weiter auf Wachstumskurs“ so betitelte der Deutsche Franchise-
Verband (DFV) eine eigene Pressemitteilung im April 20081. Tagtäglich werden wir in
Deutschland mit Franchisesystemen konfrontiert. Bei den allseits bekannten und global
agierenden Fastfood Unternehmen wie McDonalds, Subway oder Burger King ist es
größtenteils bekannt, dass es sich um Franchisesysteme handelt. Allerdings beschränkt sich
das Vertriebssystem Franchising nicht nur auf diese etablierten Marken sondern besitzt in
fast allen Sektoren der Wirtschaft Vertreter und ist daher von erhöhter Relevanz für die
deutsche Wirtschaft. Die 910 Franchisegeber unterhielten im Jahr 2007 55.700 Ableger, die
von Franchisenehmern geführt wurden2.
Rechtliche Grundlagen dieser Verhältnisse sind die Franchise-Verträge. Um den
unterschiedlichen Interessen beider Vertragsparteien beim Franchising gerecht zu werden,
gilt es eine Ausgewogenheit des Vertragsinhalts herzustellen. Im Idealfall sollte keine Partei
unangemessen benachteiligt werden. Es hat sich im Laufe der Zeit gezeigt, dass bestimmte
Klauseln immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen der Vertragskontrahenten
führen. Daher ist bei der Ausarbeitung von Franchise-Verträgen darauf zu achten, dass
diese einer eventuellen richterlichen Inhaltskontrolle standhalten und die einzelnen Klauseln
somit wirksam bleiben.
1.2. Fragestellung und Vorgehensweise
Welche Vertragsbestimmungen tendieren zur Unwirksamkeit? Wie wünscht sich der Gesetz-
geber die Ausgestaltung eines Franchise-Vertrages? Im Schrifttum finden sich Hinweise zu
möglicherweise problematischen Klauseln. Im Sinne gegen die Generalklausel des Gebotes
von Treu und Glauben des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB verstoßen nach Flohr3 dabei häufig u. a.
folgende Klauseln: Bezugsbindungen, Mindestumsatz, Absatzvorgaben, Laufzeit- bzw. Kün-
digungsregelungen und Nebentätigkeitsverbote.
1 DFV, Franchisewirtschaft weiter auf Wachstumskurs. 2 Ebenda. 3 Flohr, Franchise-Vertrag, S. 41. Eine detailliertere Auflistung mit zugehörigen Gerichtsentscheidungen über wirksame und unwirksame AGB-Klauseln bietet: Emde, MDR 2007, 994.
41
Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB gebietet dem AGB-Verwender eine klare
Formulierung der Klauseln. Flohr4 listet daher u. a. folgende Klauseln auf, die im Hinblick auf
das Transparenzgebot zu überprüfen sind:
„Festlegungen von Mindestumsätzen und Mindestabsatzmengen bei einem gleichzeitigen
Verbot von Querlieferungen innerhalb des Franchisesystems; Vereinbarung eines außeror-
dentlichen Kündigungsrechts bei Nichterzielen von Absatzzielen des Franchisenehmers
unter Berücksichtigung der den Franchisenehmer insoweit treffenden sog.
„Bemühenspflicht“.
Die Problematik der o. g. kritischen Klauseln werde ich in der Arbeit anhand von Praxisfällen5
und deren Einschätzung durch den Bundesgerichtshof (BGH) darstellen. Zuvor möchte ich
einen skizzierten Überblick über Inhalt und Prüfung von AGB geben, um ein Verständnis für
den vorliegenden spezifischen Fall eines Franchise-Vertrages zu schaffen. Danach folgen
Erläuterungen zum Franchise-Vertrag an sich und Erklärungen, weshalb Franchise-Verträge
als AGB angesehen werden können.
Den BGH-Entscheidungen sind kurze Einführungen vorgelagert, die die Meinungen des
Schrifttums zu den Gefahren der jeweiligen Klauseln sammeln. Anschließend, nach den Ur-
teilsdarlegungen präsentiere ich neue Entwicklungen und Meinungen aus dem Schrifttum zur
Thematik.
Am Ende der Arbeit fasse ich die Ergebnisse zusammen und ziehe ein Fazit.
1.3. Forschungsstand
Grundlegende Arbeiten über die Inhaltskontrolle von Franchise-Verträgen, die auch in diese
Arbeit einflossen, lieferten Ekkenga6 und Zwecker7. Auch in den Standardwerken zum
Thema Franchising von Martinek8, Skaupy9 und Flohr10 wird auf eine AGB-Kontrolle
hingewiesen und deren Praxisrelevanz geschildert. Dazu erscheinen periodische Aufsätze
zur Entwicklung des Vertriebsrechts und aktuelle Urteilskommentare in den juristischen
Fachzeitschriften, die das Thema vertiefen und Tendenzen festzuhalten versuchen.
Wiedergegebener Meinungsstand ist das Jahr 2007. Dadurch können Auswirkungen der Kfz-
Vertragshändler-Entscheidungen nur komprimiert geschildert werden. Für eine umfassende
Aufarbeitung der möglichen Folgen fehlt es noch an entsprechenden Anmerkungen aus dem
Schrifttum und Folgeurteilen.
4 Flohr (Fn. 3), S. 43. 5 Die Praxisfälle beziehen sich nicht nur auf Franchisesysteme, sondern auch auf Vertragshändlersysteme. Es hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass Vertragshändler-Verträge als ein Subtypus von Franchise-Verträgen zu betrachten sind. Mit Angabe weiterer Beispiele aus dem Schrifttum für diese Annahme: Ekkenga, Die Inhalts-kontrolle von Franchise-Verträgen, S. 19. 6 AaO (Fn. 5). 7 Inhaltskontrolle von Franchise-Verträgen. 8 Moderne Vertragstypen II. 9 Franchising. 10 AaO (Fn. 3).
42
2. Vorüberlegungen
2.1. Überblick zu AGB
2.1.1. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
Als Ursprung für die heutigen §§ 305-310 BGB diente das Gesetz zur Regelung des Rechts
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz), das aus insgesamt 30 Paragraphen
bestand11. Auf Grundlage dieses Gesetzes sollen vor allem Verbraucher einen höheren
Schutz gegenüber Unternehmen und Kaufleuten genießen. Dabei variiert das AGB-Gesetz in
der Schutzintensität, da die unterschiedlichen vertragspartizipierenden Parteien kategorisiert
werden. Oftmals besteht eine Interessendivergenz12 zwischen dem Verwender der AGB und
seinem Kontrahenten, die durch die einseitige Machtverteilung zugunsten des Verwenders
dem Vertragspartner nur die Option der Annahme oder die der Ablehnung überlässt. Durch
eine Inhaltskontrolle der verwendeten AGB soll ein verzerrtes Kräfteverhältnis verhindert
werden und einer alleinigen Lastenverteilung zum Nachteil des Verbrauchers durch die
Unwirksamkeit von in dem Vertragsabschluß einfließenden Klauseln entgegengewirkt
werden13.Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts14 erfolgte die Aufhebung des
AGB-Gesetzes und eine fast identische Übernahme in das BGB.
2.1.2. Aufbau, Bestandteile und Prüfung der §§ 305 bis 310
Die Gestaltung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse durch AGB umfassen fünf Paragra-
phen. Konzipiert sind die Paragraphen vom Gesetzgeber so, dass detaillierte Definitionen
von Klauselwirksamkeitsgrenzen der Rechtssprechung vorbehalten sind15. Während § 305
BGB Ansprüche an das Vorliegen von AGB und deren Einbeziehung definiert, regelt § 306
BGB die Rechtsfolgen im Falle einer Nichteinbeziehung bzw. der Unwirksamkeit von AGB.
Anhand des § 307 BGB erfolgt die Inhaltskontrolle der beanstandeten AGB. Welche Klau-
selinhalte der Gesetzgeber für unwirksam erachtet, beschreiben §§ 308, 309 BGB. In wel-
cher Konstellation welche Paragraphen anzuwenden sind, erläutert anschließend der § 310
BGB. Das Prüfungsschema für die AGB verlangt zuerst eine Untersuchung ob, nach Defi-
nition des § 305 BGB, AGB vorliegen beziehungsweise welcher Anwendungsbereich nach §
310 BGB gilt. Im Folgeschritt erfolgt eine Kontrolle, ob eine Einbeziehung der AGB gemäß
§§ 305 Abs. 2, 305b, 305c BGB in dem zu prüfenden Vertrag vorliegt. Anschließend kommt
es zu einer Inhaltskontrolle des Vertrages in der Reihenfolge der §§ 309, 308, 307 BGB,
welche jedoch nach Art des Anwendungsbereiches variiert und in bestimmten Fällen zu einer
Reduktion der Prüfung auf § 307 BGB bzw. zu einer Unanwendbarkeit der §§ 308 f. BGB
11 BGBl. 1976 I, S. 3317. 12 Als Beispiel: Es besteht ein Autonomieinteresse seitens des Franchisenehmers, der Aufgrund seiner hohen In-vestitionen möglichst viel Entscheidungsgewalt beansprucht, was aber nicht dem Anliegen des Franchisegebers gerecht werden kann. Vertiefend und mit mehreren Aspekten: Ekkenga, AG 1989, 301 (302). 13 Zwecker (Fn. 7), S. 32 f. 14 BGBl. 2001 I, S. 3138. 15 Berger/ Kleine, BB 2007, 2137.
43
führt. Rechtsfolgen bei einem Vertragsmangel anhand §§ 305 ff. BGB werden über § 306
BGB geregelt16.
2.1.3. § 305 BGB – Einbeziehung
§ 305 BGB regelt den sachlichen Anwendungsbereich der AGB, daher deren Einbeziehung.
Nach § 305 Abs. 1 BGB sind AGB alle Vertragsbedingungen die für eine Vielzahl17 an Ver-
trägen gelten, vom Verwender gestellt werden und vorformuliert sind. Die Schranke der
Einzelaushandlung setzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB. Irrelevant ist, welche Arten von Forde-
rungen vorliegen und welcher Rechtsnatur der Vertrag ist.
Für eine Einbeziehung der AGB in den Vertrag für die Konstellation Unternehmer � Ver-
braucher gelten erheblichere Anforderungen der §§ 305 Abs. 2 Nr. 1, 305 Abs. 2 Nr. 2, 305
Abs. 2, 2. Hs., 305b und 305c Abs. 1 BGB. In einem Vertragsszenario Unternehmer � Un-
ternehmer können diese vernachlässigt werden. Für alle persönlichen Anwendungsbereiche
sind die §§ 305b, c BGB wichtig. § 305b BGB regelt den Vorzug einer individuellen Abrede
über Vertragsbestimmungen gegenüber AGB. Außerdem werden durch § 305c BGB überra-
schende und mehrdeutige Klauseln nicht Bestandteil des Vertrages. Dies bezieht sich auf
solche Bestimmungen, die für den Betroffenen der vom Verwender gebrauchten Klauseln
objektiv ungewöhnlich sind und dieser nicht mit solchen Bestimmungen zu rechnen hätte18.
2.1.4. § 306 BGB – Rechtsfolgen
Zwar folgt nach § 139 BGB aus einer Teilnichtigkeit eine vollständige Nichtigkeit des
Rechtsgeschäftes, jedoch gilt dies nicht ausnahmslos für AGB. § 306 BGB regelt den rechts-
wirksamen Fortbestand (Abs. 1) oder die Nichtigkeit (Abs. 3) eines geschlossenen Ver-
trages. AGB können so nach Abs. 1 unwirksam bzw. aufgrund eines Verstoßes gegen die
Einbeziehungsregelungen des § 305 BGB zum Teil oder im Ganzen nicht Vertrags-
bestandteil geworden sein. Sie ändern jedoch nichts am Status Quo des vereinbarten
Rechtsgeschäftes. Grund dafür sind die hohen Richtlinien zum Schutz von Verbrauchern. Es
wird im Allgemeinen von einem erhöhten Interesse der dem Verwender der AGB gegen-
überstehenden Partei an der Aufrechterhaltung des Vertrages19 ausgegangen.
2.1.5. § 307 BGB -Inhaltskontrolle
Bevor § 307 Abs. 2 BGB die Bewertungsbestimmung konkretisiert, regelt § 307 Abs. 1 BGB
grundsätzlich die Unwirksamkeit von AGB durch seine Generalklausel. Demnach werden alle
Bestimmungen in AGB unwirksam, die gegen den allgemeinen Grundsatz von Treu und
16 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, S. 46 ff. 17 Als unterste Grenze wird von einer Anzahl von drei vorformulierten Verträgen ausgegangen, BGH, NJW 1998, 2286 (2287). 18 Palandt, BGB, S. 405 ff. 19 AaO (vorige Fn.), S. 417 Rn. 1.
44
Glauben gerichtet sind bzw. wenn durch die beanstandete Bestimmung eine
unangemessene Benachteiligung vorliegt. Die Klauseln sollen objektiv klar und verständlich
sein. Ist die Klausel dies nicht, spricht man von Intransparenz20.
Durch gesetzliche Regelbeispiele wird die allgemein verfasste Auslegung in § 307 Abs. 2
BGB zusätzlich konkretisiert. Unwirksam kann eine Vertragsbestimmung demnach auch wer-
den, wenn gegen die Grundgedanken gesetzlicher Vorschriften verstoßen wird oder aber
das Vertragsziel aufgrund von Einschnitten in den sich aus der Vertragsnatur ergebenden
Rechten oder Pflichten, nicht erzielt werden kann21.
2.1.6. §§ 308, 309 BGB – Klauselverbote mit/ohne Wertungsmöglichkeit
Der Gesetzgeber hat mit den §§ 308, 309 BGB spezielle Verbote für Klauseln erteilt und so-
mit den Grundsatz des § 307 Abs. 1 BGB konkretisiert. Die in § 308 BGB verbotenen Klau-
seln sind charakterisiert durch Rechtsbegriffe, die nicht eindeutig bestimmt sind und daher in
der Inhaltskontrolle einer richterlichen Wertung unterliegen22.
Eine Konkretisierung der Rechtsgedanken des § 307 Abs. 2 BGB beinhaltet § 309 BGB. Im
Gegensatz zum § 308 BGB bezieht sich der § 309 BGB auf Vertragsbestimmungen, die
keine unbestimmten Rechtsbegriffe verwenden und daher nicht einer richterlichen Wertung
bedürfen. Vertragsbestimmungen, die Klauseln verwenden, welche Merkmale der unter §
309 BGB aufgeführten wertungsunabhängigen Klauseln besitzen, sind somit ohne
richterliche Charakterisierung unwirksam23.
2.1.7. § 310 BGB -Anwendungsbereich
Das Differenzierungsgebot des § 310 Abs. 1 BGB begrenzt durch den jeweiligen
persönlichen Anwendungsbereich die Wirkungen der AGB. Für die verschiedenen möglichen
Szenarien gelten jeweils andere Einbeziehungsgrundlagen bzw. eine geminderte oder
stärkere Inhaltskontrolle. Ein Hauptaugenmerk fällt dabei auf die Betrachtung der §§ 13, 14
BGB, die bestimmen, ob es sich bei der dem Verwender gegenüberstehenden Vertragspartei
um einen Verbraucher oder Unternehmer handelt. Aufgrund der Relevanz für die Tiefe der
Inhaltskontrolle und der daraus resultierenden rechtlichen Folgen für Klauseln, ist diese
Beurteilung Weichen stellend. Für die Konstellation Unternehmer � Verbraucher ergibt sich
nach § 310 Abs. 3 BGB eine Inhaltskontrolle der §§ 307 bis 309 BGB. Hingegen beschränkt
§ 310 Abs. 1 BGB die Prozedur. Bei einem Unternehmer � Unternehmer-Szenario reduziert
§ 310 Abs. 1 BGB die Inhaltskontrolle der AGB auf § 307 BGB mit seiner Generalklausel24
20 AaO (Fn. 18), S. 422 Rn. 2 21 AaO (Fn. 18), S. 425 Rn. 25 22 AaO (Fn. 18), S. 444 Rn. 1. 23 AaO (Fn. 18), S. 450 Rn. 2 24 Palandt, aaO (Fn. 18), S. 422 Rn. 2, S. 427 Rn. 40; Allgemein zum Prüfungsschema Brox/Walker (Fn. 16), S. 46 ff.
45
Der verfolgte Zweck ist eine Vereinfachung des unternehmerischen Geschäftsverkehrs, da in
diesem Fall von einer AGB-Vertrautheit der Verwendergegenseite ausgegangen
wird25.Zudem weisen die §§ 305a BGB und § 310 Abs. 2 BGB Sondervorschriften auf, die im
zu prüfenden Fall zu berücksichtigen sind.
2.2. Beziehungen zwischen AGB und Franchise-Verträgen
2.2.1. Der Franchise-Vertrag
Die vorzufindende rechtliche Komplexität eines Franchise-Vertrages ist auch dem Umstand
geschuldet, dass in Deutschland – im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Staaten
– keine „Zementierung“ eines allgemeinen Franchise-Rechts in das deutsche Recht
stattfand. Franchise-Verträge bedienen sich verschiedenster Gesetzesregelungen aus
unterschiedlichen Rechtsgebieten26 bzw. orientieren sich an diskrepanten Entscheidungen
auf Landesgerichtsebene und an einigen, vom Bundesgerichtshof (BGH) getroffenen, Grund-
satzentscheidungen27 Entsprechend dieser Charakterisierung wird im Schrifttum sowie in der
Rechtsprechung von einem Typenkombinationsvertrag ausgegangen28. Aufgrund der
beidseitigen Interessen, den Vertrag auf eine größere Dauer auszulegen29, wird in diesem
Zusammenhang auch von einem Dauerschuldverhältnis30 gesprochen.
Grundsätzlich besitzt der Verwender Vertragsautonomie31 , unterliegt jedoch den Schranken
der verfassungsmäßigen Ordnung. Zusätzlich wird die Gestaltung eines Franchise-Vertrages
durch zwei rechtliche Vorgaben und einer Eventualität beeinflusst.
Auf europäischer Ebene wirkt die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene EU-Gruppenfreistel-
lungsverordnung für Vertikale Vertriebsbindungen (Vertikal-GVO)32 auf den Vertragsinhalt
ein. Von großer Relevanz für Franchise-Verträge sind im deutschen Recht die §§ 305 bis
310 BGB33 , die durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts34 aus dem AGBG in
das BGB implantiert wurden. Die §§ 305 bis 310 BGB greifen durch ihre Funktion als Gestal-
tungsgrenzen gezielt in die Privatautonomie der Kontrahenten ein, um unangemessene Be-
nachteiligungen durch das ungleiche Kräfteverhältnis zu unterbinden35
25 Berger /Kleine, BB 2007, 2137 (2138) 26 Flohr nennt hierbei: allgemeines Zivil-, Handels-, Gesellschafts-, Wettbewerbs-, Kartell-, Verbraucherschutz-, sowie Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, aaO (Fn. 3), S. 17. 27 Auf einzelne Grundsatzentscheidungen wird im Kapitel 3 der Arbeit eingegangen. 28 Martinek (Fn. 8),S. 69 ff.; Zwecker (Fn. 7), S.19 f. 29 Beide Parteien können nach allgemeiner Auffassung nur von einem längerfristigen Vertragsverhältnis profitie-ren. Weitere Ausführungen dazu im Kapitel: 3.2. 30 Franchising als Dauerschuldverhältnis; aus der Rspr.: BGH NJW 1985, 1894 (1895); aus dem Schrifttum: Flohr (Fn. 3); Erdmann, BB 1992, 795; Stoffels, DB 2004, 1871; Liesegang, BB 1991, 2381. 31 Die Vertragsfreiheit ist jedenfalls als ein Bestandteil des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. 32 EG Nr. 2790/1999. Diese Verordnung listet u. a. schwarzen Klauseln auf, welche in Bezug auf die Vertrags-umsetzung untersagt sind und demnach nicht nach Art. 81 Abs. 3 EGV freigestellt sind. In einer Guideline (ähn-lich einem Kommentar) fügt die EU-Kommission Erklärungen bei, in welcher Art und Weise sie die einzelnen Regelungen auslegt. 33 Bis Ende 2001 §§ 1 bis 24 AGBG. 34 Oben, Fn. 14. 35 Zwecker (Fn. 7). 81.
46
Als eine potenzielle dritte Form von Inhaltsrichtlinien für die Vertragsregelungen gelten die
Leitsätze zur Vertragsgestaltung durch den DFV, dem so genannten Ethikkodex. Diese Vor-
gabe ist in der Vertragsrealisierung für Franchisegeber erforderlich, die Mitglieder oder asso-
ziierte Mitglieder im bzw. des DFV sind. Zu beachten ist jedoch, dass diese Leitsätze kein
geltendes Recht ersetzen, sondern nur Anhaltspunkte für die Beurteilung in einer gerichtli-
chen Überprüfung sind.
Ein vom Gesetzgeber gewünschter Franchise-Vertrag sollte demzufolge dem Franchi-
segeber und den -nehmern in Hinblick auf ihre partnerschaftliche Zusammenarbeit eine
rechtswirksame Grundlage für die beidseitigen Pflichten und Leistungen geben. Liesegang36
ist der Meinung, dass dem Franchisegeber eine schnelle Reaktionsmöglichkeit auf sich
verändernde Marktumstände etwa im Beschaffungs- und Absatzmarkt gegeben werden
muss, jedoch darf daraus kein Freibrief und eine damit einhergehende einseitige
Lastenverteilung zum Vorteil des Franchisegebers vonstatten gehen. AGB müssen daher
dem Systembetreiber einen definierten Spielraum ermöglichen.
Aufgrund der unikalen Gegebenheiten, die jedes Franchising mit sich bringt, existiert kein auf
jedes Franchisesystem anwendbarer Mustervertrag. Es bedarf eines optimalen, auf das
jeweilige Franchisesystem abgestimmten Vertragswerks unter Beachtung der aktuellen
Rechtsprechung. Anhaltspunkte für die Gestaltung von Franchise-Verträgen geben Bei-
spielverträge, die, teils mit Erläuterungen, zur Grundorientierung für potenzielle
Franchisenehmer und Franchisegeber beitragen können37.
2.2.2. Der Franchise-Vertrag als AGB
Der einheitliche Gedanke des Franchising mündet für die Teilnehmer nicht nur im gleichar-
tigen systemexternen Auftreten durch die einheitliche Ausgestaltung der Lokalitäten, in
denen der Kontakt mit den Endverbrauchern hergestellt wird, sondern bezieht sich auch auf
die systeminternen rechtlichen Konditionen. Zur Stärkung des Vertrauensverhältnisses
zwischen den Parteien ist es notwendig, dass allen Systemteilnehmern homogene Pflichten
und Leistungen auferlegt bzw. gewährt werden. Schlussfolgernd kann man also sagen: Um
ein leistungsstarkes Vertriebssystems zu organisieren und zu kontrollieren, bedarf es einer
objektiven und kongruenten Betreuung seitens des Franchisegebers allen partizipierenden
Franchisenehmern gegenüber. Ein solches Ziel erwirkt nicht nur das beidseitige Streben
nach wirtschaftlicher Rentabilität, sondern auch der § 242 BGB38. Aus diesen Vorgaben folgt,
dass der Franchisegeber den Franchisenehmern Franchise-Verträge, die die Eigenschaften
von Formularverträgen erfüllen, bereitstellt. Zudem erzielt der Verwender der Formular-
36 Der Franchise-Vertrag, S. 10. 37 Beispiele hierfür: Flohr: Partnerschaftliches Franchising durch vorvertragliche Aufklärung und Vertragsgestal-tung, S. 16; IHK Stuttgart: Der Franchise-Vertrag; Deutschen Gesellschaft für Verbraucherschutz e.V.: Muster-Franchise-Vertrag ohne Erläuterungen. 38 Flohr (Fn. 3), S. 41; Fn. 6, S. 110 ff.; Skaupy (Fn. 9), S. 129.
47
verträge daraus einen Nutzen, denn der ihm obliegende Geschäftsverkehr kann durch diese
Maßnahme rationalisiert werden39.Damit sich für beide Vertragsparteien ein wirtschaftlicher
Erfolg einstellt, sollte der Franchisegeber mehr als drei Franchisenehmer40 finden, die eine
entsprechende Übereinkunft unterzeichnen. Mit diesen genannten Eigenschaften erfüllt der
Franchise-Vertrag die Einbeziehungsmerkmale des § 305 Abs. 1 BGB. Es handelt sich um
einen Formularvertrag, der für eine Vielzahl von Verträgen die gleichen Vertrags-
bestimmungen enthält und dessen Ausarbeitung einer Vertragspartei, dem Verwender
obliegt41.Der Franchise-Vertrag unterliegt demnach der AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB.
Allerdings existieren auch kritische Stimmen, die Franchise-Verträge nicht als AGB sehen.
Demnach sei ein Franchise-Vertrag nur der äußere Rahmen, ein Korsett, des beidseitigen
Verhältnisses, das Stabilität generiert. Unter diesen Blickwinkel transformiert der Franchise-
Vertrag zu einer Organisationsverfassung, die eine zwischen den sich gegenüberstehenden
Parteien gewollte Asymmetrie beinhaltet, da nur durch so einen Gestaltungsinhalt und klar
zugewiesenen Weisungsbefugnissen seitens des Franchisegebers ein Franchisesystem
seine volle Leistungsfähigkeit entfalten kann.
Formell würde dieser kritischen Ansichten folgend eine AGB-Kontrolle von Franchise-Ver-
trägen schon deshalb scheitern, da § 305 Abs. 1 S. 3 BGB eine Option zum Aushandeln ein-
zelner Vertragsbedingungen bietet. Solch eine Einzelaushandlungsmöglichkeit besteht aber
bei Franchise-Verträgen nicht, da der Geschäftserfolg ein uniformes Auftreten aller beteilig-
ten Teilnehmer erfordert und somit den Systemgeber zur Vertragsgleichheit zwingt42.Diese
Gedankenkonstrukte geben jedoch ungeachtet dessen nicht die herrschende Meinung
wieder.
2.2.3. AGB-Inhaltskontrolle von Franchise-Verträgen
Unbestritten ist die passive und schwache Verhandlungsposition des Franchisenehmers bei
der Ausgestaltung des Franchise-Vertrages. Oftmals steht dieser nur vor der Wahl der Ab-
lehnung oder der Annahme. Werden diese Umstände beim Zustandekommen des Rechts-
geschäftes berücksichtigt, wird deutlich, weshalb der Gesetzgeber den Franchisenehmer in
Bezug auf mögliche, für ihn unvorteilhafte Klauseln, schützt. In welchem rechtlichen Ausmaß
dieser Schutz geschieht, war lange Zeit im Schrifttum diskutiert worden. Die AGB-In-
haltskontrolle weist ausgehend vom persönlichen Anwendungsbereich des § 310 BGB zwei
Hauptschemata auf: Zum einen die im Umfang eingeschränkte Inhaltskontrolle bei einer
Unternehmer-Unternehmer-Konstellation und die uneingeschränkte Inhaltskontrolle im Falle
39 Zwecker (Fn. 7), S. 97. 40 So Flohr (Fn. 3), S. 43. 41 Die Einbeziehungsmerkmale des § 305 Abs. 1 wurden im Kapitel 2.1.3 kurz umrissen. Im Schrifttum dazu: Ekkenga (Fn. 5), S. 20; Liesegang (Fn. 36), S 9; Stoffels, DB 2004, 1871; Zwecker (Fn. 7), S. 81; Skaupy (Fn. 9), S. 128. 42 Diese Ansichten zusammenfassend und mit Angabe zu vertiefender Literatur: Zwecker (Fn. 7), S. 98 ff.
48
einer Unternehmer-Verbraucher-Sachlage43. Diskussionsbedarf entstand, da es sich bei
einem Franchisenehmer auch um einen Existenzgründer handeln könnte, und es stellte sich
die Frage, wie dieser rechtlich einzuordnen sei – als Unternehmer oder als Verbraucher. Aus
einer fehlenden einheitlichen Rechtssprechung resultierten zwei Gedankenkonstrukte44.
Vorherrschende Meinung war, dass ein Franchisenehmer generell als Unternehmer anzu-
sehen sei, auch wenn es sich, wie in einer Vielzahl von Fällen in der Realität um einen
Existenzgründer handelte45.Aus Sicht der Franchisenehmer wäre eine Bewertung als Ver-
braucher nach § 13 BGB von Vorteil. In dieser Position würden für den Verbraucher be-
schränkte geschäftliche Erfahrungen angenommen, wodurch dieser besonders schutz-
bedürftig wäre und der geschlossene Vertrag unter diesen Umständen u. a. einer
uneingeschränkten Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 bis 310 BGB unterliege.
Prasse46 als ein Verteidiger der vollständigen Inhaltskontrolle begründet seine Ansicht damit,
dass ein Existenzgründer der zukünftig als Franchisenehmer auftreten will, durch die Rege-
lung des § 507 BGB ein Verbraucher sei. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass Existenz-
gründer, die eine Finanzierungshilfe im Sinne des § 507 BGB bis zu einer Höhe von 50.000
Euro aufnehmen, den Vorschriften des Verbraucherdarlehens gemäß den §§ 491 ff. BGB un-
terliegen. Daher sei zu folgern, dass der Gesetzgeber den Begriff des Verbrauchers nach §
13 BGB erweitere und Existenzgründer mit einschließe. Des Weiteren argumentiert Prasse
in Anbetracht des Wortlautes „in Ausübung“ innerhalb des § 14 BGB, der einen Unternehmer
dadurch definiert, dass eben diese Ausübung innerhalb seiner selbständigen beruflichen Tä-
tigkeit geschieht. Ein Existenzgründer sei hingegen in Begriff der „Aufnahme“ einer selbst-
ständigen beruflichen Tätigkeit. Stoffels47 wies daraufhin hin, dass es sich bei Franchiseneh-
mern in vielen Fällen mitnichten um geschäftlich erfahrene Personen handelt, sondern im
Gegenteil diese oftmals erst durch Lehrgänge Unternehmer im Sinne der Rechtsdefinition
nach § 14 BGB werden.
Die Rechtsprechung hingegen schloss sich der überwiegenden Mehrheit des Schrifttums an,
dass auch im Falle einer Existenzgründung bei einem Franchisenehmer von einem Un-
ternehmer im Sinne des § 14 auszugehen war48.So entschieden das OLG Oldenburg49, das
43 Vgl. oben, Kapitel 2.1.7. 44 Aus Sicht des OLG Koblenz handelt es sich bei einem Existenzgründer nicht um einen Unternehmer: NJW 1987, 74. Zu Entscheidungen, die die Auffassung vertreten, dass es sich bezüglich dieses Sachverhalt um einen Unternehmer handelt, unten, Fn. 49 - 51. 45 Alleine 2004 wählten 2.000 Existenzgründer das Franchisemodell. Von 1992 bis 2002 nutzten insgesamt 12.000 Menschen diesen Weg zum Aufbau einer geschäftlichen Existenz. Vgl. Franchisestarter.de: Pressemittei-lung. 46 Prasse, ZGS, 2002, 354 ff. Unterstützend aus dem Schrifttum für die These, dass ein geschlossener Formular-vertrag von Existenzgründer der uneingeschränkten Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 bis 310 kann angesehen wer-den: Palandt (Fn. 18), § 310 Rn. 3. 47 DB 2004, 1872. 48 Beispielhaft hierfür u. a. Erdmann, BB 1992, 795, Ekkenga (Fn. 5), S. 43 f.; Martinek (Fn. 8), S. 123. Der EuGH entschied schon1997, dass Verbraucherschutz in Hinsicht auf Existenzgründung nicht anwendbar sei, WM 1997, 1549 (1551). 49 DB 2002, 423 (424).
49
OLG Rostock50 und schlussendlich der BGH, dass eine Unternehmertätigkeit schon dann
vorliegt, „wenn das betreffende Geschäft im Zuge der Annahme einer gewerblichen oder
selbständigen beruflichen Tätigkeit (sog. Existenzgründung) geschlossen wird“51.
Dieser Beschluss hat zur Folge, dass künftig für Existenzgründer beim Abschluss eines
Franchise-Vertrages, im Falle einer Inhaltskontrolle der Vertragsbedingungen, derselbige
nicht mehr den strengeren Klauselverboten nach §§ 308, 309 BGB unterliegt, sondern das
Hauptaugenmerk auf die Generalklausel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB und das Trans-
parenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB liegt.
3. Strittige Klauseln
3.1. Einkaufsvorteile
Der Franchisegeber ist je nach Größe des von ihm geleiteten und verwalteten Systems dem
Hersteller der von ihm vertriebenen Güter gegenüber in einer komfortablen Verhandlungspo-
sition. Die geballte Nachfragekraft aller angeschlossenen Systemteilnehmer gibt dem Fran-
chisegeber die Option, höhere Rabatte auf die von ihm bzw. seinen Systemmitgliedern zu
vertreibenden Güter auszuhandeln. Es kommt jedoch vor, dass die volle Rabatthöhe nicht
den Systemmitgliedern zufließt sondern diese, als so genannte „Kick-backs“, vom Hersteller
an den Franchisegeber weitergeleitet werden52. Somit entzweien die Einkaufsvorteile die
Vertragsakteure, und es besteht eine Divergenz der Interessen.
Im umkämpften Markt ist größtenteils das Preisargument ausschlaggebend, weshalb jede
dem Franchisenehmer verwehrte Preisreduzierung aufgrund fehlender und nicht weiter-
gereichter Einkaufsrabatte genau das Gegenteil bedeuten könnte und daher das Vor-
enthalten des Einkaufspreisvorteils den Geschäftserfolg nicht optimiert, sondern reduziert.
Der Franchisesystembetreiber hingegen hat ein ausgeprägtes Interesse, seine gebotene
Dienstleistung, in diesem Fall das Verhandeln mit dem Hersteller, angemessen vergütet zu
erhalten, und daher besteht kein reales Interesse daran, die volle Rabatthöhe an seine
Systemmitglieder weiterzuleiten.
3.1.1. Die „Sixt“-Entscheidung
Die beanstandete Klausel (§ 3 S. 1) lautete:
„S. wird den Unterlizenznehmer bei dem Einkauf von Fahrzeugen in der Weise unterstützen,
dass er ihm die Möglichkeit einräumt, zu den in den Großabnehmerabkommen vereinbarten
Konditionen Fahrzeuge zu beziehen, soweit die Hersteller dies zulassen“53
50 ZVI 2003, 332. 51 NJW 2005, 1273 (1273). 52 Kickbacks werden teilweise im Franchising als eine zusätzliche Vergütung für administrativen Aufwand des Franchisegebers angesehen. Zu den Einflüssen des „Praktiker-Beschlusses“ des BGH auf diese Gegebenheit: Flohr, BB 2007, 6 (11). 53 Zitiert nach BGH, NJW 1999, 2671 (2671).
50
Im BGH-Urteil vom 2. Februar 199954 urteilten die Richter, dass diese in den vom Franchise-
geber verwendeten Formularverträgen enthaltene Klausel nicht gegen das Transpa-
renzgebot verstößt und keine unangemessene Benachteiligung des Franchisenehmers
gemäß § 9 Abs. 1 AGBG55 darstellt. Begründet wurde die Wirksamkeit der Klausel damit,
dass die deutsche Rechtsordnung keine rechtliche Verpflichtung kennt, die den Fran-
chisegeber zur Weitergabe seiner erzielten Einkaufsvorteile verpflichtet. Zudem hängt die
beanspruchende Leistung nicht vom Gutdünken des Verwenders ab, sondern liegt in der
Entscheidungsgewalt eines Dritten. Offenbar hielt der BGH insbesondere den Klauselinhalt
„soweit die Hersteller dies zulassen“, für hinreichend transparent56.Die Aussagekraft dieser
Klausel kann nach Meinung des BGH für einen „am Geschäftsleben teilnehmenden Ge-
werbetreibenden keinem Zweifel unterliegen“57.
In Anbetracht des Gebotes, dass den Verwender die Transparenz nicht überfordern darf und
daher ihm die Ausarbeitung einer allgemein verständlichen Version obliegt, ist die Klausel
wirksam. Eine detaillierte Aufstellung der Einkaufsvorteile ist dem Verwender nicht zumutbar
und würde eine ständige Überarbeitung des Vertragswerks nach sich ziehen. Sofern neue
Vertragsabschlüsse zu veränderten Konditionen mit einer dritten Partei (Hersteller) ab-
geschlossen würden, müssten diese demnach in allen Franchise-Verträgen aktualisiert und
aufgeführt werden.
Auch das Begehren, diese Klausel entsprechend der Generalklausel des § 9 Abs. 1 AGBG
des Gebotes von Treu und Glauben für unwirksam zu erklären, wurde zurückgewiesen. Der
Verwender der AGB schränkt kein zustehendes Recht der Franchisenehmer ein, sondern
beschränkt dies vorher durch den Zusatz, dass er Einkaufsvorteile weiterleite, wenn die
Hersteller das akzeptieren. Es bestehe daher keine prinzipielle Verpflichtung, die Ein-
kaufsvorteile weiterzuleiten, sondern nur im individuellen Fall nach einer Billigung seitens
des Franchisegebers.
3.1.2. Die „Apollo-Optik“-Entscheidung
Die beanstandete Klausel (§ 6.3: Weitere Leistungen von Apollo) besagt:
„Apollo betreut den Partner hinsichtlich der Geschäftsentwicklung und des systemgerechten
Betriebsablaufs und gibt Vorteile, Ideen und Verbesserungen zur Erreichung optimaler
Geschäftserfolge an den Partner weiter“58.
Mit dem Urteil vom 20. Mai 200356 entschied der Kartellsenat des BGH in Bezug auf die
vorliegende Klausel anhand des im Zweifel für die Klauselinterpretation richtungweisenden
Grundsatzes der „kundenfreundlichsten Auslegung“. Diesen Bewertungsmaßstab entnah-
54 BB 1999, 860 = NJW 1999, 2671. 55 § 9 Abs. 1 AGBG entspricht jetzt § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. 56 Der BGH begründet die Transparenz anhand der Begriffsauslegung in früheren Urteilen, u. a.: BB 1989, 1499. 57 BGH, BB 1999, 860 (864). 58 Zitiert nach BGH, NJW-RR 2003, 1635 (1636).
51
men die Richter aus § 305c Abs. 2 BGB. Demnach gehen alle Zweifel, die bei einer Aus-
legung von AGB entstehen können, zu Lasten des Verwenders. Begründet wurde der Be-
schluss mit dem allgemeinen Verständnis der Klausel in § 6.3. Diese nennt eine Weiter-
leitung u. a. von Vorteilen an den Vertragspartner ohne jeden Vorbehalt, wie er etwa im
„Sixt“-Fall zur Geltung kam59.
Insbesondere die nicht hinreichende Konkretisierung des Klauselinhalts der Vorteilsweiter-
gabe, die sich in einer materiellen aber auch immateriellen Art und Weise vollziehen könne,
ging zu Lasten des Verwenders, Apollo-Optik. Der Kläger fasste die Vertragsbestimmung so
auf, dass ihm auch alle materiellen Vorteile weitergereicht werden und daher ihm die Kom-
pletthöhe der von Apollo-Optik gegenüber Herstellern ausgehandelten Rabatte zustünde.
Das Gericht folgte dieser Auffassung und argumentierte, dass als die in der Klausel
beschriebenen „Vorteile“ auch diejenigen anzusehen sein, die durch die Nachfragemacht
des Franchisegebers am Markt entstehen und so zu Preisvorteilen im Einkauf führen. Ge-
rade diese Weiterleitungen von Einkaufsvorteilen seien, so der BGH, von verständigen und
redlichen Franchisenehmern als eine Maßnahme zur Erhöhung der Geschäftserfolge zu
verstehen. Darüber hinaus wäre es aus Sicht der Richter erforderlich gewesen, aufgrund der
aus der Klausel stammenden Franchisegeberpflicht den Franchisenehmern die Höhe der
von den Herstellern verrechneten Rabatte offen zu legen.
Eine positive Vertragsverletzung fand weiterhin dadurch statt, dass Apollo-Optik als Franchi-
segeber es den Herstellern untersagte, den Franchisenehmern die volle Rabatthöhe zu-
kommen zu lassen. Zusätzlich veranlasste Apollo-Optik, dass die Hersteller gegenüber den
Franchisenehmern die auf den Preislisten angegebenen höheren Preise geltend machten
und die Differenz zwischen beiden Preisen an Apollo-Optik ging.
3.1.3. Zusammenfassung und Tendenzen
Die besprochenen Entscheidungen des BGH verdeutlichen, dass es auf die jeweilige
sprachliche Gestaltung der Klauseln ankommt und wie diese von der anderen Vertragspartei
zu verstehen sind. Flohr60 stellt dabei, resultierend aus dem beschriebenen Apollo-Urteil,
folgende Forderung an die inhaltliche Gestaltung eines Franchise-Vertrages: „konkrete und
tatsächliche Wiedergabe der Wirklichkeit“.
Wird eine Weiterleitung von Vorteilen erwähnt, muss der Franchisegeber die „kundenfreund-
lichste“ Auslegung gemäß § 305 c Abs. 2 BGB gegen sich gelten lassen. Zugleich muss die
Klausel auch klar formuliert sein, um nicht gegen das Transparenzgebot im Sinne von § 307
Abs. 1 S. 2 BGB zu verstoßen61.Wenn der Systembetreiber Vorteile mit anführt, sollte er sie
zugleich klar definieren, damit diese Vertragsbestimmungen auch bei einer richterlichen In-
59 Siehe dazu oben, Kap. 3.1.1. 60 DStR 2004, 93 (97). 61 AaO (Fn. 3), S. 158 f.
52
haltskontrolle wirksam bleiben. Inwiefern der Systembetreiber eine Verpflichtung hat, Ein-
kaufsvorteile auszuhandeln, ist auch noch strittig62.
Der BGH hat zwei Ausnahmen für Leistungsweitergaben zugelassen, auch für den Fall, dass
seitens des Franchisenehmers ein vertraglicher Anspruch auf diese besteht: (1) wenn eine
ausdrückliche Kennzeichnung des eventuellen Vorbehalts von Einkaufsvorteilen in der
Klausel vorhanden ist und (2) wenn der Hersteller die Weitergabe der Einkaufsvorteile dem
Systembetreiber untersagt63.
Fraglich bleibt weiterhin, ob der Franchisenehmer gegenüber dem Franchisegeber ein Aus-
kunftsbegehren über die Höhe der mit den Herstellern ausgehandelten Einkaufsvorteile be-
sitzt. Das bloße Inaussichtstellen von systemimmanenten Vorteilen seitens des Franchise-
gebers rechtfertigt Haagers Sichtweise folgend ein Auskunfts- und Partizipationsverlangen
des Franchisenehmers64. Nach der Auffassung von Flohr machte der BGH65 mit seiner
„Hertz“-Entscheidung deutlich, dass ein Auskunftsverlangen über Einkaufsvorteile gem. §§
666, 667 BGB dann nicht begründet ist, wenn der Franchisenehmer keinen Zah-
lungsanspruch besitzt. Eine vertragliche Regelung über den Verbleib der Einkaufsvorteile
erübrige zudem alle Informations- und Auszahlungsansprüche. Dies ist auch bei einem Ver-
tragsabschluß eines Franchisenehmers mit der Tochterfirma des Franchisegebers rechtens.
Daraus folge seiner Meinung nach zudem eine Abkehr vom Gedanken einer „Franchise-
Netzwerk-Haftung“66. Böhner67 dagegen deutet die „Hertz-Entscheidung“ dahingehend so,
dass ein Auskunftsverlangen gemäß §§ 675, 666, 242, 667 BGB auch ohne eine vertragliche
Verpflichtung zur Auskehrung von Einkaufsvorteilen bestehen bleibt.
Das OLG Düsseldorf68 entschied in dieser Frage, dass dem Franchisenehmer kein Aus-
kunftsanspruch gegenüber dem Franchisegeber über die Höhe der erhaltenen Ein-
kaufsvorteile zusteht, wenn keine Vertragsbestimmung solche eine Weiterleitung vorsieht.
Eine bloße Pflicht zur Abgabe zentraler Leistungen reiche demnach nicht aus, ein Begehren
auf Auskunft zu rechtfertigen69.
62 Flohr, BB 2007, 6 (9). 63 Flohr, BB 2006, 389 (393). 64 NJW 2004, 1220 (1222). 65 BB 2006, 1071 (1075) mit Anmerkung von Flohr. 66 Vor allem Böhner verfolgte in seinem Aufsatz in: BB 2004, 119 den Gedanken einer Franchisenetzwerkver-trages. Aufgrund der rechtlichen Risiken, die beim Einkauf beim Lieferanten auf Seiten der Franchisenehmer und nicht der Franchisegeber liegen, plädiert er für eine Auskehrung aller Vorteile zugunsten der Franchisenehmer. 67 Einen guten Überblick über beide Positionen bietet Emde, BB-Special 3, 2007, 3 (11 f.). 68 Entscheidung vom 13.12.2006, BB 2007, 738 69 Eine Zusammenfassung der Entscheidung bespricht Emde, in: BB 2008, 2755 (2759)
53
3.2. Außerordentliche/ordentliche Kündigungen und Laufzeiten von Franchise-
Verträgen
3.2.1. Problemstellung
Häufiger Streitpunkt bei Franchise-Verträgen ist die Frage der Kündigung. Allgemein gilt zu
beachten, dass beiden Vertragsparteien eine außerordentliche Kündigung auf Grundlage
„wichtiger Gründe“ vorbehalten werden muss, wobei eine Abmahnung oder eine Ab-
lehnungsandrohung vorzuliegen hat bzw. diese entbehrlich sein kann, wenn sie den
Anforderungen des § 323 Abs. 2 BGB entspricht. Die wichtigen Gründe sollten, wenn sie
Vertragsbestanteil werden sollen, genauestens definiert werden, müssen an einem Fehl-
verhalten der Gegenseite anknüpfen und den Anforderungen des § 314 BGB gerecht
werden. Skaupy70 gibt als Beispiele, die in die Vertragsbestimmungen als „wichtige Gründe“
übernommen werden könnten, an: Imagebeschädigungen, Zwangsvollstreckungen und Kon-
kursverfahren71.
Gesetzlich liegt gemäß § 314 Abs. 1 S. 2 BGB ein wichtiger Grund vor, wenn dem kündigen-
den Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der
beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Be-
endigung oder bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Im Prinzip
ist der Begriff des „wichtigen Grundes“ auslegungsfähig jedoch sollte der aktuellen Recht-
sprechung Beachtung geschenkt werden, da kein allgemein gültiger Katalog für die Beur-
teilung des Begriffes vorliegt72.
Vorgebeugt wird durch diese Regelung seitens des Gesetzgebers dem Umstand, dass die
Kündigung als ein Druckmittel seitens des Systembetreibers missbraucht werden kann.
Zugleich gibt sie jedoch dem Systembetreiber die Möglichkeit, als Bestrafungsinstrument zu
dienen73.Für eine ordentliche Kündigung gilt zu beachten, dass die Fristen angemessen sein
müssen74..
Wichtig für die Beurteilung von Laufzeiten ist die Feststellung, dass von beiden Vertragsak-
teuren kein kurzfristiger, ökonomischer Erfolg angestrebt wird, sondern eine langfristige Ko-
operation75. Durchgesetzt hat sich die Ansicht, die Laufzeit der Franchise-Verträge sollten so
abgestimmt sein, dass sie dem Franchisenehmer die Gelegenheit gegeben, die fran-
chisesystemrelevanten Investitionen zu amortisieren76.Diese Kosten des Franchisenehmers
fallen meist für spezifische systemgleiche Güter an, die, wenn überhaupt, nur mit Verlusten
wieder auf dem freien Markt zu veräußern sind. Franchise-Verträge mit hohen Laufzeiten
70 AaO (Fn. 9), S. 138. 71 Eine Übersicht über weitere, relevante Gründe bietet Liesegang, Der Franchise-Vertrag, S. 43 f. 72 Ebenda. 73 Zwecker (Fn. 7), S. 182 f. 74 Flohr (Fn. 3), S. 217 mit Beispielen und Nachweisen 75 Stoffels, DB 2004, 1871 (1871). 76 Dazu aus dem Schrifttum: Flohr, BB 2006, 389 (395); Liesegang, BB 1991, 2381 (2384); Stoffels, DB 2004, 1871 (1874 ff.).
54
dienen daher vorrangig den Franchisenehmern77, wobei nicht außer Acht gelassen werden
darf, dass der Franchisegeber bei langen Laufzeiten mit langfristigen Einnahmen, konstanter
Präsenz am Point of Sale und Erfahrenheit der Teilnehmer rechnen kann.
Angesichts der Unangemessenheitsregel in der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB sollte
der AGB-Verwender genauestens die Laufzeitlänge überprüfen, denn überlange Bindungen
sind besonders anfällig für eine richterliche Inhaltskontrolle. Es sollte im Interesse des Fran-
chisegebers liegen, für sein System charakteristische Lösungen zu finden, um einer Unwirk-
samkeit der Klausel entgegenzuwirken78. Nicht unberücksichtigt, neben den Anfangsinvesti-
tionen, sollte die Dauer der bisherigen Marktrepräsentanz des Franchisegebers bleiben.
Unerprobte Systeme langfristig vertraglich aneinander zu binden, könnte für beide Seiten
negative Folgen haben.
Daraus ist zu folgern, dass die Vertragslaufzeit von Franchise-Verträgen nicht ver-
allgemeinert werden kann, sondern von individuellen Faktoren abhängen, die es zu beachten
gilt79.
3.2.2. Die „Apollo-Optik“-Entscheidung
Die beanstandete Klausel (§ 12.4: Dauer und Beendigung des Vertrags) besagt:
„Jede der Vertragsparteien ist berechtigt, diesen Vertrag, dessen Durchführung ein
besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten voraussetzt, aus wichtigem
Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. Ein wichtiger Grund ist insbe-
sondere die grobe Verletzung des Vertrags. … Ohne dass ein wichtiger Grund im Sinne des
Gesetzes vorliegt, kann im Übrigen jede Partei diesen Vertrag mit einer Frist von drei Mona-
ten zum Monatsende dann kündigen, wenn das Vertrauensverhältnis ernsthaft gestört ist“80.
Der BGH begründet die Unwirksamkeit dieser Klausel des Apollo-Optik Franchise-Vertrages
mit einer unangemessenen Benachteiligung im Sinne des § 307 BGB. Demnach setzt sich
diese Vertragsbestimmung über geltendes Gesetz – in diesem Fall § 314 BGB – hinweg.
Nach Ansicht des Gerichtes ist für einen außergewöhnlichen Grund, der nach § 314 BGB
eine Aufhebung des Dauerschuldverhältnisses ohne Einbeziehung der Kündigungsfrist er-
lauben würde, kein rechtfertigendes Interesse deutbar. Weiterhin ist der Franchisenehmer
stark beeinträchtigt, da der Franchisegeber Apollo-Optik willkürlich das Vertragswerk kün-
digen und somit ein schutzwürdiges Interesse des Franchisenehmer verletzten könnte. Die-
ses besteht nach Ansicht des BGH in der Amortisation der zu Vertragsbeginn entstandenen
Investitionskosten beim Franchisesystemeintritt in einem nennenswerten Umfang. Dieses
Interesse habe der Franchisegeber als Verwender der AGB bei der Gestaltung zu beachten.
77 Liesegang (Fn. 36), S. 10. 78 Stoffels, DB 2004, 1871 (1875). 79 Flohr nennt: Art des Geschäftes, Kapitaleinsatz, persönliche Wünsche und Verhältnisse der Vertragsparteien, aaO (Fn. 3), S. 213. 80 Zitiert nach BGH, NJW-RR 2003, 1635 (1636).
55
3.2.3. Die CITROËN-Entscheidung
Die beanstandeten Klauseln besagten (X § 3 S. 1, 2: Vertragsdauer/Kündigung):
„1. Dieser Vertrag ist außerordentlich kündbar mit sofortiger Wirkung, wenn ein wichtiger
Grund vorliegt.
2. Ein wichtiger Grund liegt unbeschadet der Möglichkeit der Geltendmachung sonstiger
Gründe, z.B. insbesondere für eine Kündigung durch CITROËN, dann vor, wenn der Händler
seiner Absatzförderungspflicht, beschrieben in Ziffer III 2, insbesondere dadurch nicht nach-
kommt, dass die vereinbarten Absatzzahlen für Vertragsware (neue CITROËN Perso-
nenkraftwagen) keine 70% der Jahresvereinbarung oder Festlegung durch den Sach-
verständigen erreichen und keine 70% des in dem jeweiligen Bundesland geltenden
Marktanteils für das Fabrikat CITROËN erreicht werden und der Händler in der Folgezeit von
6 Monaten nach Abmahnung vereinbarte oder durch Sachverständige festgesetzte Jah-
resziele im Absatz der Vertragsware (neue CITROËN Personenkraftwagen) weiterhin (an-
teilsmäßig) nicht erreicht. Für die Berechnung wird CITROËN die Besonderheiten im Ver-
tragsgebiet berücksichtigen, die zu Lasten des Händlers sich im Rahmen der Nicht-
erreichung der Jahresziele ausgewirkt haben“81.
Der BGH82 erkannte an, dass die Vertragsbestimmung trotz ihrer Gültigkeit auch für neu ab-
geschlossene Händlerverträge nicht den vorherigen Entscheidungen zur Laufzeit von
Franchise-Verträgen entgegensteht. Inhaltlich ist der Klausel zu entnehmen, dass eine
früheste Kündigung nach zwei Jahren erfolgen kann, da die Begutachtung der Zahlen, ob ei-
ne Verfehlung des vorgegebenen Mindestumsatzes vorliege, erst nach einem Jahr vorge-
nommen wird. Infolge der daraus resultierenden Abmahnung und der Neuvorgabe von Min-
destabsatzzahlen durch einen Sachverständigen ergebe sich eine Mindestvertragslaufzeit,
die zwei Jahre nicht unterschreiten würde. Diese Mindestlaufzeit entspreche auch den
Bedingungen einer Mindestfrist für eine ordentliche Kündigung gemäß GVO 1400/200283.
Jedoch besitzt, so entschied der BGH, die Vertragsbestimmung einen Mangel an Angemes-
senheit dem Händler gegenüber gemäß § 307 BGB. Der beanstandete Händlervertrag
ermöglichte dem Verwender die Kündigung auch für den Fall, dass sich die andere
Vertragspartei nach besten Kräften mühe, aber das Absatzziel aufgrund nicht zu ver-
tretenden Umständen nicht erreicht. Fraglich ist, ob die Klausel kartellrechtlich zu
beanstanden sei, da nach alter GVO84 eine im Wesentlichen gleich lautende Klausel vom
EuGH85 als mit dem Art. 4 I Nr. 3 der damaligen GVO vereinbar bezeichnet wurde.
81 Zitiert nach BGH, GRUR 2005, 62 (63). 82 GRUR 2005, 62 ff.; einen Überblick über die wirksamen und unwirksamen Klauseln des Citroen-Urteils bietet Emde, BB 2005, 391. 83 Art. 3 Abs. 5 lit. b. der GVO 1400/2002/EG erlaubt eine Kündigungsfrist von zwei Jahren. 84 D. h. GVO 1475/95/EWG v. Juni 1995. 85 Slg. 1998, I-2055.
56
Ungeachtet dieser Eventualität ist nach Auffassung der Richter keine Vereinbarkeit der Ver-
tragsbestimmung mit § 307 BGB zu erreichen. Der BGH argumentiert, dass eine außer-
ordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses nur angesichts eines besonderen
Grunds möglich sei, den § 314 Abs. 1 S. 1 BGB definiert. Demnach tritt – verkürzt - ein solch
wichtiger Grund ein, wenn dem kündigenden Teil eine weitere Zusammenarbeit im in-
dividuellen Fall, unter Abwägung der beidseitigen Interessen, nicht zugemutet werden kann.
Die Verfehlung eines vorgegebenen Umsatzzieles sei allerdings kein besonderer Grund,
befanden die Richter. Demgegenüber steht, als akzeptables Motiv für eine Kündigung aus
wichtigem Grund, ein zu verzeichnender Umsatzrückgang. Unter diesen Umständen bestehe
der Verdacht einer Pflichtverletzung seitens des Gekündigten.
Der BGH begründet seine Auffassung mit der Rechtsprechung und der Meinung des Schrift-
tums86. Im Falle einer individualvertraglichen Regelung über Gründe, die zu einer außeror-
dentlichen Kündigung berechtigen, müssten diese objektiv erheblich sein.878 Solche objek-
tiven und vor allem erheblichen Gründe, so urteilten die Richter, seien nicht ersichtlich, wes-
halb nach der Inhaltskontrolle des CITROËN-Händlervertrages die Klauseln X § 3 S. 1, 2 den
Händler gemäß § 307 BGB unangemessen benachteiligen.
3.2.4. Zusammenfassung und Tendenzen
Auch weiterhin werden sich die Gerichte bei Inhaltskontrollen von Franchise-Verträgen ins-
besondere mit den Vertragsbestimmungen auseinandersetzen, die die Kündigung aus
„wichtigem Grund“ betreffen. Motiv dafür ist die Interpretationsdehnbarkeit des Begriffes
„wichtiger Grund“, da kein richterlicher Beispielskatalog existiert. Maßstab gebend bleiben
daher die einzelnen Entscheidungen des BGH und die daraus folgenden Grenzen für die
Wirksamkeit der Klauseln.
Zu beachten ist neben den in diesem Beitrag dargestellten Urteilen, dass ein rechts-
wirksamer Kündigungsgrund auch dann vorliegt, wenn ein Franchisenehmer das vorhandene
Potenzial bewusst nicht ausnutzt und seine Pflichten hinsichtlich der Förderung des
Umsatzes schuldhaft verletzt. Bei einer langjährigen Vertragslaufzeit von 20 Jahren muss
der Systembetreiber ein dauerhaft unrentables Unternehmen nicht akzeptieren, auch wenn
der Franchisenehmer seinen Vertragspflichten zur Betriebsführung nachkommt88.
Durch die BGH-Entscheidung vom 13.07.200489 erlangen die Anordnungen der Vertikal-
GVO den Status einer Leitbild- und Ordnungsfunktion im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.
Dementsprechend sind Vertragsbestimmungen gemäß § 307 BGB unwirksam, wenn in
86 Für die Kündigung aufgrund eines Umsatzrückganges: BGH, WM 1982, 632; gegen die Kündigung aufgrund verfehlter, vorgegebener Umsätze Küstner/Thume, Rdnr. 1976 ff. 87 Der BGH bezieht sich auf NJW-RR 1988, 1381. 88 Zusammenfassend mit jeweiligen Urteilen Emde, BB 2008, 2755 (2760). 89 Oben, Fn. 82.
57
ihnen enthaltene Beschränkungen nicht durch die Vertikal-GVO vom Verbot des Art. 81 Abs.
1 EGV freigestellt sind90.
Von großer Bedeutung für die Zukunft ist auch die BGH-Entscheidung „Kfz-Vertragshändler
III“ vom 8. Mai 200791. Die GVO 1400/2002 sieht für eine ordentliche Kündigung eine Zwei-
Jahres-Frist vor, wobei abweichend von dieser Regelung eine einjährige Frist als wirksam
gilt, wenn die Umstrukturierung des gesamten oder wesentlichen Teils des Vertriebsnetzes
notwendig ist. Nicht als einen generellen Grund für eine notwendige Umstrukturierung des
Vertriebssystems sah der EuGH die Neueinführung der GVO 1400/2002 an. Jedoch überließ
dieser den nationalen Gerichten die Entscheidungen für konkrete Fälle, da im einzelnen Fall
eine Umstrukturierung notwendig sei. Der BGH entschied, die Wirksamkeit der Kündigung
außer Acht gelassen, dass dem Systemgeber gemäß § 306 Abs. 3 keine Festhaltung am
Vertrag zugemutet werden kann und der Vertrag im Ganzen mit Ende der Übergangfrist der
GVO 1400/2002 unwirksam sei. Es besteht nach Ansicht der Richter keine Pflicht seitens
des AGB-Verwenders, Altverträge. an neue Verordnungen anzupassen, wenn dies für sie
eine unzumutbare Härte gemäß § 306 Abs. 3 BGB darstellen würde. Folglich müssen
Systembetreiber die alten Verträge nicht kündigen, sondern können auf deren Nichtigkeit mit
dem Ablauf der durch die Rechtsänderung zugestandenen Umstellungsfrist setzen92.
Bezüglich der Laufzeitregelungen werfen die europäischen Verordnungen auch neue Fragen
auf. Die Vertikal-GVO sieht ein Wettbewerbsverbot nur für eine Vertragsdauer von bis zu fünf
Jahren vor und setzt damit eine Laufzeitgrenze93.Soll der Franchise-Vertrag länger laufen,
um z. B. dem Franchisenehmer eine öffentliche Finanzierung zu ermöglichen, bliebe nur die
Möglichkeit, einen neuen Franchise-Vertrag vorzulegen. Fraglich ist jedoch, wie in einem
solchen Fall mit der Eintrittsgebühr verfahren werden soll, da ein Franchise-Vertrag ein For-
mularvertrag ist und daher keine Individualabrede vorsieht.
Vorsicht ist bei überlangen Franchise-Verträgen nicht nur aufgrund der Vertikal-GVO gebo-
ten. Lange Vertragslaufzeiten schränken den Franchisenehmer in der Bewegungsfreiheit ein
und können daher gemäß § 138 BGB bzw. 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam werden. Als
ausschlaggebende Aspekte für die Angemessenheit von Laufzeiten von Franchise-Verträgen
sind daher der Kapitalaufwand und die Vorgaben der Vertikal-GVO zu sehen.
90 Flohr, BB 2006, 389 (395). 91 NJW 2007, 3568. 92 Zusammenfassend mit jeweiligen Urteilen Emde in: BB 2008, 2705. 93 Die fünf Jahre sind als Grenze zu sehen, da bei einer längeren Laufzeit die Bezugsbindung wegfällt und daher das Franchising für den Franchisegeber nachteilig werden kann. Bedingung ist, dass die Bezugsbindung seitens des Franchisegebers in den ersten 5 Jahren über 80% in beträgt. Will der Systembetreiber ein längeres Wettbe-werbsverbot durchsetzen, muss er den Franchisenehmer schon vorher eine niedrige Bezugsbindung zugestehen, was auch nicht in seinem Interesse liegen kann. Daher wird er sich wohl für eine über 80%ige Bezugsbindung aussprechen und die Laufzeit daher auf fünf Jahre beschränken, weshalb man bei dieser Laufzeitlänge von einer Grenze sprechen kann. Umgehen kann er diese Beschränkung nur durch einen langfristigen Untermietvertrag mit dem Franchisenehmer; Flohr (Fn. 3), S. 214 f.
58
3.3. Mindestabsatzmengen
Skaupy94 unterstreicht den wirtschaftlichen Sinn von Mindestabsatzmengen, da diese Orien-
tierungsmaßstäbe für die Franchisenehmer bilden und zudem als Instrument des Franchise-
gebers in Bezug auf die Entwicklung eines ökonomischen Ansporns fungieren könnten. Min-
destabnahmepflichten verstoßen nicht gegen die Verhältnismäßigkeit, da sie das Koope-
rations- und Vertrauensverhältnis zwischen beiden Parteien unterstreichen. Dement-
sprechend führen willkürliche Vorgaben im Sinne des alleinigen Vorteils des Systemgebers
zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Systems.
3.3.1. Die CITROËN-Entscheidung
Die beanstandeten Klauseln lauten (§ 2 S. 1, 2 Mindestabsatz, Lager-, Vorführfahrzeuge):
„1. Der Händler ist verpflichtet, sich zu bemühen, jährlich (Kalenderjahr) innerhalb des Ver-
tragsgebiets Vertragsware (neue CITROËN Personenkraftwagen) und CITROËN Original-Er-
satzteile jeweils von CITROËN bezogen mindestens in dem Umfang abzusetzen, der von
CITROËN und dem Händler einvernehmlich festgesetzt worden ist.
2 Bei fehlendem Einvernehmen über die jährliche Mindestmenge erfolgt die Festsetzung
durch einen Sachverständigen, der insbesondere anhand der im Vertragsgebiet bisher
erzielten Verkäufe und Vorausschätzungen für zukünftige Verkäufe in diesem Gebiet und der
Markterwartung im Bundesgebiet sowie unter Berücksichtigung der Modell- und Ver-
triebspolitik der CITROËN DEUTSCHLAND AG eine Festsetzung vornehmen wird“95.
Unter Ausklammerung von kartellrechtlichen Aspekten, so der BGH96, sei bei einer reinen
vertragsrechtlichen Betrachtungsweise die Klausel über den Mindestabsatz (S. 1) keine un-
angemessene Benachteiligung gemäß § 307 BGB und daher nicht zu beanstanden. Eine
Bezugsverpflichtung in Dauerschuldverhältnissen sei weitläufig anerkannt als Gegenleistung
für das Recht, in einem definierten Raum die Waren des Systembetreibers exklusiv anzu-
bieten97.
Allerdings schränkt die Vertragsbedingung den Wettbewerb dadurch ein, dass dem
Systemteilnehmer vorgeschrieben wird, bis zur Erreichung einer vom Systemgeber de-
finierten Mindestabsatzmenge, die Waren exklusiv von ihm zu beziehen. Die Behinderung
des Wettbewerbs liege demnach dadurch vor, dass dem Systemteilnehmer untersagt ist,
Ware von anderen Vertragshändlern zu erwerben. Querlieferungen unter den einzelnen
Händlern des Vertriebsystems werden somit unterbunden, weshalb keine Freistellung ge-
mäß Art. 4 I lit. c der GVO 1400/2002 vorliegt. Die von Citroen verwendete Ver-
tragsbestimmung falle somit unter die „schwarzen Klauseln“98.
94 AaO (Fn. 9), S. 134. 95 Zitiert nach BGH, GRUR 2005, 62 (63). 96 Oben, Fn. 82. 97 Der BGH bezieht sich auf NJW 2001, 2331. 98 Der BGH beruft sich bei dem Bsp. auf: NJW 2001, 2331.
59
Keine Intransparenz der Klausel gemäß § 307 BGB liegt laut dem BGH beim im Satz zwei
verwendeten Begriff der „Modellpolitik“ vor. Die Vorgabe von Umsatzzielen durch den Ver-
wender der AGB müsse anhand bestimmter objektiver und nachprüfbarer Kriterien und Da-
ten für den Systemteilnehmer nachvollziehbar sein. Die Modellpolitik des Herstellers erfülle
die erforderlichen Eigenschaften der Transparenz. Somit sei kein Grund gegeben, zu ver-
muten, der Vertragshändler sei durch diesen Bestandteil zur Ermittlung von Umsatzzielen
unangemessen benachteiligt. Anders legen die Richter den Begriff der Vertriebspolitik aus.
Vertriebspolitik ist nach Ansicht des BGH ein konturloser Begriff.
Durch die Mannigfaltigkeit der Auslegungsmöglichkeiten des Wortes „Vertriebspolitik“ ist eine
willkürliche Steuerung seitens des Sachverständigen zum Vorteil des Verwenders und zum
daraus resultierenden Nachteil des Vertragshändlers möglich. Mit der Verwendung dieses
Begriffes sei es unproblematisch, aktiv und interessengelenkt in den Prozess des Wa-
renabsatzes einzugreifen und somit Mindestabgaben zum eigenen Vorteil zu beeinflussen.
Daher, so urteilte der BGH, war die beanstandete Klausel nicht mit dem Transparenzgebot
gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vereinbar und somit insgesamt unwirksam.
3.3.2. Zusammenfassung und Tendenzen:
Bei der Gestaltung etwaiger Klauseln zu Mindestabsatzmengen muss das Transparenzgebot
des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB beachtet werden. Dieses gebietet dem AGB-Verwender eine
Formulierung der Klauseln so, dass die andere Vertragspartei diese ohne hinzugezogenen
Rechtsbeistand verstehen kann. Jedoch sollen die Ansprüche an das Transparenzgebot
dem Verwender auch nicht unangemessen benachteiligen. Zusätzliche Bedeutung erfährt §
307 Abs. 1 S. 2 durch die GVO für vertikale Vertriebssysteme99. Vertragsbestimmungen, die
gemäß dieser Verordnung nicht vom Verbot des Art. 81 EGV Abs. 1 freigestellt sind, erfüllen
zugleich den Tatbestand der Intransparenz und sind daher unwirksam. Emde100 steht
demzufolge auf dem Standpunkt, dass Mindestabsatzmengen nicht in AGB garantiert
werden können. Eine Option für eine „Art“ Mindestabsatzmenge wäre eine entsprechende
Vertragsbestimmung über Mengenrabatte.
4. Fazit
Zwar verfolgen die beiden Parteien eines Franchise-Vertrages dasselbe Ziel, den wirtschaftli-
chen Erfolg, jedoch sind die Ansichten, wie dieses Ziel zu erreichen und zu gewährleisten ist,
teils grundverschieden. Dabei obliegt es dem Verwender der Franchise-Verträge, dem Fran-
chisegeber, für eine ausgewogene inhaltliche Gestaltung der Verträge Sorge zu tragen. Ein
Interessensausgleich sollte dabei oberste Priorität genießen. Werden z. B. die Rechte des
99 Schwarze Klauseln sind in Art. 4 GVO der 1400/2002/EG aufgeführte Vertragsbestimmungen, die nach dem „alles oder nichts“-Prinzip nicht freistellungsfähig sind. 100 Emde, MDR 2007, 994 (999).
60
Franchisenehmers zu sehr eingeschränkt oder sind dessen Pflichten mit dem freien
Wettbewerb nicht vereinbar, halten die Klauseln keiner richterlichen Überprüfung stand. Wie
sich der BGH die inhaltliche Gestaltung von bestimmten Vertragsbestimmungen vorstellt,
verdeutlichte er in mehreren Entscheidungen. Zu beachten gilt im Allgemeinen, dass im
Zweifel über den Inhalt der Klausel immer die kundenfreundlichste Auslegung angewendet
wird. Franchisegeber sollten daher tunlichst darauf achten, dass ihre Verträge im Wortlaut für
die gegenüberstehenden Franchisenehmer klar und verständlich sind bzw. sollten sie objek-
tive Überlegungen anstellen, wie ihre verwendeten Klauseln von den Franchisenehmern zu
verstehen sind. Der Einhaltung des Gebotes von Transparenz ist daher ein entscheidendes
Kriterium bei der inhaltlichen Gestaltung von Vertragsbestimmungen. Zudem dürfen die
Klauseln die Franchisenehmer nicht unangemessen benachteiligen. Aufgrund der Leitbild-
und Ordnungsfunktion der Vertikal-GVO werden dementsprechend alle Vertrags-
bestimmungen unwirksam, die nicht zu einer Freistellung gemäß Art. 81 Abs. 1 EGV führen.
Von daher ist insbesondere den „schwarzen Klauseln“ dieser Verordnung Aufmerksamkeit
zu schenken, um der Unwirksamkeit einzelner Vertragsbedingungen vorzubeugen.
Strittig werden weiterhin die Frage bleiben, ob ein grundsätzliches Auskunftsverlangen der
Franchisenehmer über Einkaufsvorteile besteht, sowie die Kriterien für außerordentliche
Kündigungen. Hingegen hat der europäische Gesetzgeber mit dem Inhalt der Vertikal-GVO
eine Meßlatte für die Laufzeitregelung von Franchise-Verträgen gesetzt. Wie diese Vorgabe,
die für manche Franchisesysteme zu kurz bemessen scheint, im Nachteilsfall bezüglich des
Franchisenehmers zu behandeln ist, muss sich noch zeigen.
61
Literaturverzeichnis
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62
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63
Europarechtliche Vorgaben für Franchising
Stud. rer. pol. Isabell Descher
1. Einleitung
„In der Regel erleichtert ein Blick in das Gesetz die Rechtsfindung beim Ausgestalten von
Verträgen – nicht so beim Franchising.“ (Eckhard Flohr)1
„Franchising“ kennzeichnet ein spezifisches, auf Partnerschaft basierendes Vertriebssystem,
welches das Ziel der Verkaufsförderung verfolgt. Dabei räumt ein Unternehmen, der sog.
Franchise-Geber, meist mehreren Partnern, den sog. Franchise-Nehmern, das Recht ein, mit
seinen Produkten / Dienstleistungen unter seinem Namen ein Geschäft zu betrieben.
Weltweit existieren über 12.000 Franchise-Geber und 800.000 Franchise-Nehmer. Auch in
Deutschland erfreut sich das Franchising als Vertriebsform zunehmender Beliebtheit: betrug
1995 die Anzahl von Franchise-Systemen in Deutschland erst 530, so sind es nunmehr 8502.
Im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist das Franchise-Recht
in Deutschland jedoch gesetzlich nicht geregelt, wodurch bei der Vertragsgestaltung
zahlreiche Urteile und Einzelgesetze bedacht werden müssen. Auf europäischer Ebene stellt
die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/99 für vertikale Vertriebsverträge und
aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (Vertikal-GVO) eine Richtlinie für grundlegende
Regelungsinhalte eines Franchise-Vertrages dar3.
Die vorliegende Seminararbeit beschäftigt sich im ersten Teil mit einer einführenden Über-
sicht zum Themengebiet „Europarecht“ sowie den wesentlichen Inhalten des EG-Wettbe-
werbsrechts. Im zweiten Teil werden vertikale Beschränkungen und ausgewählte Aspekte
der Vertikal-GVO hinsichtlich ihrer Bedeutung für Franchise-Verträge genauer betrachtet.
2. Zum Begriff „Europarecht“
2.1. Grundlagen
„Europarecht“ ist ein Sammelbegriff und beschreibt das im europäischen Raum geltende ob-
jektive Recht, d. h. die Summe aller in Europa wirksamer zwischenstaatlicher Normen, wel-
che meist Teil internationaler Verträge sind4.
1 Vgl. Flohr, E.: Der Franchise-Vertrag, in: www.dfv-franchise.com, S.1, 11.11.2008. 2 Vgl. www.franchiseverband.com, 22.10.2008. 3 Vgl. Flohr, E.: Der Franchise-Vertrag, in: www.dfv-franchise.com, S.1, 11.11.2008. 4 Vgl. Rohde, C./Lorenzmeier, S.: Europarecht – Schnell erfasst, 1999, S. 3.
64
2.1.1. Europarecht im engeren Sinne
Das Europarecht im engeren Sinne5 setzt sich zusammen aus dem Recht der Europäischen
Gemeinschaften (Gemeinschaftsrecht) und den Normen, welche die neuen Formen der Zu-
sammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union regeln. In ihrer Gesamtheit bilden sie die
„Säulen“ der Europäischen Union:
Abb. 1: Die „Säulen“ der Europäischen Union
2.1.2. Europarecht im weiteren Sinne
Neben der Europäischen Union mit den drei Gemeinschaften gilt es, andere Formen der
institutionalisierten Zusammenarbeit in Europa zu beachten, die Bestandteile des
Europarechts im weiteren Sinne sind.
Das Vertragssystem der Europäischen Union nimmt wiederkehrend Bezug auf die
Organisationen zwischenstaatlicher Zusammenarbeit in Europa, insbesondere:
� Europarat mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK),
� Westeuropäische Union (WEU),
� Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und
� Europäische Freihandelsassoziation (EFTA).
�
2.2. Rechtsquellen des Europäischen Rechts
Die Rechtsquellen des Europarechts können in zwei Gruppen aufgeteilt werden: das primäre
und das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Zwischen beiden Gruppen besteht eine
Normenhierarchie: das primäre Gemeinschaftsrecht steht im Rang über dem sekundären.
Sekundäres Gemeinschaftsrecht ist demnach nur dann wirksam, wenn es dem Primärrecht
nicht entgegen steht und keine zwingende Rechtsfolge des primären Gemeinschaftsrechts
ausschließt. Dabei ist es zulässig und notwendig, dass das sekundäre Gemeinschaftsrecht
das Primärrecht konkretisiert und in dessen Sinne ausgelegt wird6.
5 Vgl. Herdegen, M.: Europarecht, 2003, S. 1-5. 6 Vgl. Arndt, H.-W.: Europarecht, 1998, S. 47.
Erste Säule:
Zweite Säule:
Dritte Säule:
Europäische
Gemeinschaften (EG)
Gemeinsame Sicherheits-
u. Außenpolitik (GASP)
Polizeiliche und justizielle
Zusammenarbeit in
Strafsachen (PJZS)
Europäische Union
65
� Gründungsverträge: EWGV
(jetzt: EGV), EAGV, EGKSV
(seit 2002 außer Kraft)
� Spätere Änderungen,
z. B. die Einheitliche Europäische
Akte (EEA) (1986)
� Verträge: Vertrag von
Maastricht (1992), Vertrag von
Amsterdam (1997), Vertrag von
Nizza (2001) einschließlich bei-
gefügter Protokolle
� Beitrittsverträge neuer
Mitgliedsstaaten
2.2.1. Primäres Gemeinschaftsrecht
Das primäre Gemeinschaftsrecht besteht aus drei Komponenten: den Gründungsverträgen,
den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und dem Gewohnheitsrecht.
Abb. 2: Zusammensetzung des primären Gemeinschaftsrechts
Das primäre Gemeinschaftsrecht entfaltet seine rechtliche Wirkung gegenüber den Mitglieds-
staaten unmittelbar, da diese an das Primärrecht, insb. an die Normen der drei
Gründungsverträge, gebunden sind.
2.2.2. Sekundäres Gemeinschaftsrecht
Das Sekundärrecht ist dem primären Gemeinschaftsrecht untergeordnet. Die bedeutendsten
Rechtsakte des Sekundärrechts sind in Art. 249 I EGV zusammengefasst7:
„Zur Erfüllung ihrer Aufgabe und nach Maßgabe dieses Vertrages erlassen das Europäische
Parlament und der Rat gemeinsam, der Rat und die Kommission Verordnungen, Richtlinien
und Entscheidungen, sprechen Empfehlungen aus oder geben Stellungnahmen ab.“
Für sämtliche Rechtsakte gilt dabei der „Grundsatz der enumerativen Einzelermächtigung“:
� Gemeinschaftsorgane dürfen nur in den zugewiesenen Bereichen tätig werden, und
7 Vgl. Europarecht – Textausgabe, 1999, S. 112.
Primärrecht
Geschriebenes
Gemeinschaftsrecht
Ungeschriebenes
Gemeinschaftsrecht
� Allgemeine Rechtsgrundsätze:
vgl. Art. 288 II EGV: außerver-
tragliche Haftung der Gemein-
schaft „nach den allgemeinen
Rechtsgrundsätzen […]“
� Weitere anerkannte allgemeine
Rechtsgrundsätze
� Grundrechte des Gemeinschafts-
rechts
� Allgemeine Prinzipien, wie z. B.
das Rechtsstaatsprinzip, Sozial-
staats- oder Demokratieprinzip
� Gewohnheitsrecht: kann sowohl
auf Stufe des Primärrechts als
auch auf Stufe des sekundären
Gemeinschaftsrechts entstehen
� Voraussetzungen: allgemeine
Rechtsüberzeugung und ständige
Übung
[praktisch spielt das Gewohnheitsrecht
noch eine untergeordnete Rolle]
66
� Handlungen dürfen ausschließlich in der vorgesehenen Rechtsform vorgenommen
werden.
Dabei gilt es zu beachten, dass die rechtliche Einordnung einer Maßnahme nicht durch
deren formale Bezeichnung durch das erlassende Organ, sondern durch ihren objektiven
Inhalt bestimmt wird8.
Nachfolgend sind die Adressaten sowie die Wirkung der unterschiedlichen Rechtsakte des
sekundären Gemeinschaftsrechts aufgelistet:
Rechtsakt Adressaten Wirkung
Verordnung alle Mitgliedsstaaten sowie Gemeinschafts-
angehörige
in allen Teilen verbindlich
Richtlinie alle oder bestimmte Mitgliedsstaaten nur bzgl. des
vorgegebenen Ziels
verbindlich
Entscheidung bestimmte Mitgliedsstaaten oder Personen in allen Teilen verbindlich
Empfehlung alle oder bestimmte Mitgliedsstaaten; andere
Gemeinschaftsorgane oder Einzelpersonen
unverbindlich
Stellungnahme anderes Gemeinschaftsorgan, bestimmte
Mitgliedstaaten oder unbestimmter
Adressatenkreis
unverbindlich
Abb. 3: Übersicht der Rechtsakte des Sekundärrechts9
3. EG-Wettbewerbsrecht
3.1. Verhältnis des europäischen zum nationalen Wettbewerbsrecht
Das europäische Wettbewerbsrecht erstreckt sich auf sämtliche Mitgliedstaaten und verfolgt
das Ziel, den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu schützen.
Demnach findet das Gemeinschaftsrecht im Rahmen seines räumlichen Geltungsbereiches
auf alle Verhaltensweisen oder Maßnahmen Anwendung, die spürbare Auswirkungen inner-
halb des Gemeinsamen Marktes haben10. Diese Wettbewerbsregeln erstrecken sich zudem
auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, sofern diese – etwa über Tochtergesellschaften –
Wettbewerbsverzerrungen im Gemeinsamen Markt hervorrufen11.
Der persönliche Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts spiegelt sich in seinen Norm-
adressaten wider: öffentliche und private Unternehmen (unabhängig von ihrer Rechtsform).
Der europarechtliche Unternehmensbegriff ist weit auszulegen und umfasst jegliche Tätigkeit
8 Vgl. Arndt, H.-W.: Europarecht, 1998, S. 49. 9 Quelle: in modifizierter Form übernommen von: Streinz, R.: Europarecht, 2003, S. 156. 10 Vgl. Europarecht von A-Z, 2003, S. 394. 11 Vgl. Streinz, R.: Europarecht, 2003, S. 352.
67
in der Erzeugung oder im Geschäftsverkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen12,
unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art der Finanzierung. Dahingegen gelten
Einrichtungen, die ausschließlich soziale Aufgaben ohne Gewinnabsicht wahrnehmen, nicht
als Unternehmen13.
Kollisionen zwischen dem europäischen Wettbewerbsrecht und dem Kartellrecht des GWB
(Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) sind in dreierlei Aspekten möglich:
Tatbestände, Verfahren und Rechtsfolgen.
Tatbestände: Während das Gemeinschaftsrecht Wettbewerbsverstöße betrachtet, die
Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel haben, beurteilt das nationale
Wettbewerbsrecht denselben Sachverhalt hinsichtlich seiner innerstaatlichen
Auswirkungen14. Da beide Normen unterschiedliche Schutzbereiche haben, verneint die sog.
Zweischrankentheorie grundsätzlich das Auftreten von Kollisionen. Es besteht jedoch die
Möglichkeit, dass in bestimmten Fällen, in denen die Wettbewerbsordnung des
Gemeinsamen Marktes berührt wird, das nationale Recht noch einschlägig ist15.
Verfahren: Parallele Verfahren vor nationalen Kartellbehörden (nach nationalem Kartellrecht)
und vor der Kommission (nach europäischem Wettbewerbsrecht) im gleichen Fall sind daher
durchaus zulässig16. Dabei darf die praktische Wirksamkeit („effet utile“) der Wettbewerbsre-
geln nicht eingeschränkt werden17.
Rechtsfolgen: Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist grundsätzlich bei paralleler
Rechtsanwendung zu beachten18. Folgende Konstellationen sind hierbei zu unterscheiden:
� Eine Maßnahme ist nach Gemeinschaftsrecht und nach nationalem
Wettbewerbsrecht verboten: � Es entstehen keinerlei Konflikte, jedoch muss eine
Doppelsanktion desselben Fehlverhaltens vermieden werden19.
� Eine Maßnahme ist nach Gemeinschaftsrecht verboten, jedoch nach nationalem
Recht erlaubt: � Das Gemeinschaftsrecht (und damit das Verbot) setzt sich durch.
� Eine Maßnahme wurde von der Kommission nach Art. 81 III EGV freigestellt: � Die
Mitgliedstaaten dürfen dieser Entscheidung nicht durch Anwendung ihres nationalen
Wettbewerbsrechts die Wirksamkeit nehmen. Strittig ist hierbei, inwieweit das für
Gruppenfreistellungsverordnungen gilt20.
� Die Maßnahme fällt nicht unter Art. 81 I, II EGV: � Das Gemeinschaftsrecht ist nicht
anwendbar. Die Mitgliedstaaten sind in der Anwendung des nationalen Rechts frei21.
12 Vgl. Europarecht von A-Z, 2003, S. 394. 13 Vgl. Schäfer, P.: Studienbuch Europarecht, 2006, S. 230. 14 Vgl. Europarecht von A-Z, 2003, S. 394. 15 Vgl. Streinz, R.: Europarecht, 2003, S. 351. 16 Vgl. Europarecht von A-Z, 2003, S. 395. 17 Vgl. Streinz, R.: Europarecht, 2003, S. 352. 18 Vgl. Streinz, R.: Europarecht, 2003, S. 351. 19 Vgl. Europarecht von A-Z, 2003, S. 395. 20 Vgl. Europarecht von A-Z, 2003, S. 395. 21 Vgl. Streinz, R.: Europarecht, 2003, S. 352.
68
3.2. Ziele und Rechtsnormen der Wettbewerbsaufsicht
Die Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft sowie ihrer Mitgliedstaaten unterliegt dem Grundsatz
einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb:
„Die Tätigkeit der Mitgliedsstaaten und der Gemeinschaft […] umfasst […] die Einführung
einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der
Mitgliedsstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem
Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist“ (Art. 4 I
EGV)22
Aus dieser Zielsetzung heraus umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft ein System, das den
Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt (Art. 3 I lit. g EGV).
Der freie Wettbewerb kann sowohl durch unternehmerisches Handeln als auch durch Eingrif-
fe der Mitgliedsstaaten gefährdet werden:
� Unternehmerische Maßnahmen sind u. a. Preisabsprachen (vgl. Art. 81 EGV) oder
missbräuchlicher Umgang mit marktbeherrschenden Stellungen (vgl. Art. 82 EGV),
� Eingriffe der Mitgliedsstaaten umfassen Beihilfen (vgl. Art. 87-89 EGV) oder auch den
Betrieb öffentlicher Monopolunternehmen (vgl. Art. 86 EGV).
Die Art. 81 – 89 EGV beinhalten das primäre Wettbewerbsrecht auf Ebene der Gemeinschaft
und verfolgen den Zweck, den Wettbewerb sozusagen vor sich selbst zu schützen.
Sämtliche Maßnahmen, die den Wettbewerb behindern oder verfälschen und auf diese
Weise den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten spürbar negativ beeinflussen, sind
deshalb verboten.
In erster Linie dienen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages dem freien, unverfälschten
und gleichen Wettbewerb der Unternehmen im Binnenmarkt23. Darüber hinaus sollen aber
auch die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft der europäischen Wirtschaft auf dem
Weltmarkt gestärkt werden (Art. 3 I lit. m EGV)24.
Im Zuge der Betrachtungen der vorliegenden Seminararbeit soll lediglich auf die Artikel des
ersten Abschnitts des EG-Wettbewerbsrechts (Vorschriften für Unternehmen) eingegangen
werden, da die Art. 87 – 89 EGV (Staatliche Beihilfen) kaum inhaltliche Berührungspunkte
mit dem Problemkreis der Gruppenfreistellungsverordnungen bieten25.
22 Vgl. Europarecht – Textausgabe, 1999, S. 11. 23 Vgl. Schäfer, P.: Studienbuch Europarecht, 2006, S. 228 - 229. 24 Vgl. Herdegen, M.: Europarecht, 2003, S. 333. 25 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 1 II. 2. a) Rn. 4.
69
3.3. Kartellrecht (Art. 81 EGV)
3.3.1. Art. 81 I EGV: Kartellverbot
„Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen
Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen
geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs
innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken […].“
(Art. 81 I EGV)26
� Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die wirt-
schaftlich selbständig sind, verfolgen das Ziel, entweder die eigene oder die Wettbe-
werbsfreiheit Dritter zu beschränken27.
� Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen sind von lediglich gleichförmigem Ver-
halten (Parallelverhalten) von Unternehmen am Markt zu unterscheiden. Sie
umfassen Aktivitäten der Koordinierung und Zusammenarbeit, die u. a. das
Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Mitbewerbers beeinflussen
sollen28.
� Unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder auch nur potenziell geeignet ist ein Ver-
halten, wenn es die Freiheit des Handelns gefährden kann29.
Das Kartellverbot des Art. 81 I EGV gilt uneingeschränkt
� für Vereinbarungen bzgl. Preis-, Quoten-, Kunden- oder Gebietsabsprachen
zwischen Wettbewerbern und
� für Vereinbarungen mit Abnehmern, die eine Preisbindung der Zweiten Hand (sog.
Hardcore-Vereinbarungen) bezwecken30.
Vereinbarungen im Sinne des Art. 81 I EGV bedürfen keines schriftlichen Vertragsab-
schlusses. Es genügt eine tatsächliche Willensüberseinstimmung zwischen den beteiligten
Unternehmen, z. B. mündlich geäußert in einem "gentlemen’s agreement".
Nicht unter das Kartellverbot fallen dagegen Kartellabsprachen von geringer Auswirkung auf
den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und auf den Wettbewerb im Binnenmarkt31.
Gemäß der Bagatell-Bekanntmachung (auch de-minimis-Bekanntmachung32) der Kommis-
sion fallen erst Absprachen mit spürbaren Folgen für Handel und Wettbewerb im Gemeinsa-
26 Vgl. Europarecht – Textausgabe, 1999, S. 38 - 39. 27 Vgl. Europarecht von A-Z, 2003, S. 692. 28 Vgl. Europarecht von A-Z, 2003, S. 6 - 7. 29 Vgl. Europarecht von A-Z, 2003, S. 398. 30 Vgl. www.frankfurt-main.ihk.de/recht/themen/wettbewerbsrecht/kartellrecht/, 28.10.2008. 31 Vgl. Schäfer, P.: Studienbuch Europarecht, 2006, S. 230 - 231.
70
men Markt in den Anwendungsbereich des Art. 81 I EGV. Die Schwellenwerte für die Spür-
barkeit betragen demnach
� bei horizontalen Absprachen 10% und
� bei vertikalen Absprachen 15% des Gesamtumsatzanteils der beteiligten
Unternehmen am Gemeinsamen Markt.
Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen bezeichnen dabei ein Zusammenwirken von
Unternehmen, die auf dem gleichen Markt zueinander in Konkurrenz stehen, wohingegen
vertikale Beschränkungen zwischen Partnern vereinbart werden, die auf unterschiedlichen
Wirtschaftsstufen tätig sind und nicht untereinander im Wettbewerb stehen. Hierzu zählen u.
a. Absprachen zwischen Herstellern und Absatzmittlern, langfristige Belieferungsverträge
oder auch vereinbarte Ausfuhrbeschränkungen zwischen Tochtergesellschaften eines
Konzerns in verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft.
Eine Kontrolle dieser vertikalen Absprache ist einerseits unerlässlich, um eine Abschottung
nationaler Märkte gegen Importe aus anderen Mitgliedstaaten zu verhindern. Andererseits
stellt sie einen erheblichen Einschnitt in die privatautonome Vertragsgestaltung dar. Die
Gleichbehandlung horizontaler Absprachen mit vertikalen Bindungen ist daher in der Rechts-
politik umstritten33.
3.3.2. Art. 81 II EGV: Rechtswirkung
„Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig“ (Art. 81 II
EGV)34
Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die unter das Verbot des Art. 81 I EGV fallen, sind
demnach automatisch nichtig. Dies erstreckt sich auch auf das Zivilrecht, ohne dass ein
Rückgreifen auf § 134 BGB (Verstoß gegen Verbotsgesetz) nötig ist. Darüber hinaus zählt
Art. 81 I EGV zu den Schutznormen nach § 823 II BGB (Schadensersatzpflicht), wodurch die
beteiligten Unternehmen zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet werden können35.
3.3.3. Art. 81 III: Ausnahmen vom Kartellverbot
Die Kommission gewährt Befreiungen vom Kartellverbot des Art. 81 I EGV in Form von
Gruppenfreistellungs-Verordnungen.
„Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf
- Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen,
32 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 81 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis); ABl. EG 2001 Nr. C 368, S. 13. 33 Vgl. Herdegen, M.: Europarecht, 2003, S. 335 - 336. 34 Vgl. Europarecht – Textausgabe, 1999, S. 39. 35 Vgl. Schäfer, P.: Studienbuch Europarecht, 2006, S. 230.
71
- Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen,
- aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen […]“ (Art. 81 III
EGV)36
Die Freistellung ist jedoch an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die in Summe
vorliegen müssen37:
� angemessene Beteiligung der Verbraucher am Gewinn, der durch die Freistellung
entsteht,
� Verbesserung der Erzeugung von Waren oder Förderung des technischen bzw. wirt-
schaftlichen Fortschritts,
� Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen zur Erreichung dieser Ziele und
� Sicherung eines funktionierenden Wettbewerbs am verbleibenden Markt.
3.3.4. Reform des Kartellrechts
Durch die Verordnung (EG) 1/200338 wurde das Kartellverfahrensrecht 2004 grundsätzlich
neu gestaltet. An die Stelle der früheren Anmelde- und Genehmigungsverfahren ist das Sys-
tem der Legalausnahme getreten. Daraus ergeben sich39:
Vorteile Nachteile
bürokratische Erleichterungen für beteiligte
Unternehmen
geringere Rechtssicherheit durch
Legalausnahmeregelung
Kartelle werden so lange als legal
angesehen, wie sie nicht von einer
Wettbewerbsbehörde als unzulässig erklärt
werden
das Risiko einer Fehleinschätzung, ob
kartellrechtliche Absprachen zulässig sind,
trägt das Unternehmen selbst
in Zweifelsfällen ist es Unternehmen
möglich, bei der Kommission nachzufragen
Verstöße gegen das Kartellverbot können
erhebliche Risiken nach sich ziehen
Abb. 4: Vor- und Nachteile der Kartellrechtsreform
3.4. Verbot des Monopolmissbrauchs (Art. 82 EGV)
3.4.1. Tatbestand
Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung
einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen
36 Vgl. Europarecht – Textausgabe, 1999, S. 39. 37 Vgl. Schäfer, P.: Studienbuch Europarecht, 2006, S. 231. 38 VO (EG) Nr. 1/2003 v. 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln; Abl. EG 2003 Nr. L 1, S. 1. 39 Vgl. www.frankfurt-main.ihk.de/recht/themen/wettbewerbsrecht/kartellrecht/, 28.10.2008.
72
Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den
Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen. […]“ (Art. 82 EGV)40
� Für die missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht sind drei Fallgruppen
vorstellbar41:
- der Ausbeutungs-Missbrauch zum Nachteil von Verbrauchern oder Abneh-
mern, z. B. durch das Erzwingen unangemessener Preise (Art. 82 II lit. a)
EGV) oder das Aufdrängen sachfremder Zusatzleistungen
(Koppelungsverbot, Art. 82 II lit. d) EGV),
- der Behinderungs-Missbrauch, u. a. die Einschränkung der Erzeugung (Art.
82 II lit. b) EGV), Anwendung unterschiedlicher Absatzbedingungen für identi-
sche Leistungen (Art. 82 II lit. c) EGV) und
- der Marktstruktur-Missbrauch, etwa durch exklusive Vertriebssysteme oder
den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen an Konkurrenzunternehmen.
� Entscheidende Kriterien für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung sind die
Unternehmensstruktur, das Zulieferersystem, die Marktanteile sowie die
Marktzutrittsbedingungen42.
� Der Missbrauch der Marktmacht durch Monopole oder auch Oligopole muss Auswir-
kungen auf den Binnenmarkt habe und den Handel zwischen Mitgliedsstaaten
spürbar beeinträchtigen43.
3.4.2. Rechtsfolgen
Art. 82 EGV enthält keine ausdrückliche Rechtsfolge. An das Missbrauchsverbot können öf-
fentlichrechtliche und zivilrechtliche Folgen geknüpft werden. Bei schuldhaften Verstößen
kann die Europäische Kommission Geldbußen oder Zwangsgelder verhängen (Art. 5 und 23
VO Nr. 1/2003), zivilrechtliche Folgen regeln sich nach nationalem Recht44.
3.5. Fusionskontrolle
3.5.1. Allgemeines
Zur Regelung der Kontrolle von Fusionen erließ der Rat die Verordnung (EG) Nr. 139/2004
(sog. Fusionskontroll-Verordnung)45, die auf Zusammenschlüsse von „gemeinschaftsweiter
Bedeutung“ Anwendung findet (Art. 1 I, II der Verordnung (EG) Nr. 139/2004)46.
40 Vgl. Europarecht – Textausgabe, 1999, S. 39. 41 Vgl. Schäfer, P.: Studienbuch Europarecht, 2006, S. 237. 42 Vgl. Herdegen, M.: Europarecht, 2003, S. 339. 43 Vgl. Schäfer, P.: Studienbuch Europarecht, 2006, S. 237. 44 Vgl. Streinz, R.: Europarecht, 2003, S. 359 - 360. 45 VO (EG) Nr. 139/2004 v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“); ABl. EG Nr. L 24, S. 1. 46 Vgl. Herdegen, M.: Europarecht, 2003, S. 345.
73
Die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Fusionen wird damit im sekundären Gemein-
schaftsrecht normiert.
Nach Art. 1 II und Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 liegt eine gemeinschaftsweite
Bedeutung eines geplanten Unternehmenszusammenschlusses vor, wenn:
� der Gesamtumsatz (weltweit) aller beteiligten Unternehmen 5 Mrd. € übersteigt und
sich der gemeinschaftliche Umsatz von mindestens zwei der fusionierenden Unter-
nehmen auf mehr als 250 Mio. € beläuft oder
� der Gesamtumsatz (weltweit) der beteiligten Unternehmen lediglich über dem
Schwellenwert von 2,5 Mrd. € liegt, aber verschiedene Schwellen im Rahmen des
gemeinschaftsweiten Umsatzes nicht eingehalten werden,
� es sei denn, die fusionierenden Unternehmen erwirtschaften jeweils mehr als zwei
Drittel ihres gemeinschaftsweiten Umsatzes im selben Mitgliedsstaat47.
Die o. g. Umsatzschwellen sind relativ hoch angesetzt, so dass in der Mehrzahl der Fälle der
Erwerb von mittelständigen Unternehmen durch Großunternehmen nach nationalem
Fusionskontrollrecht beurteilt wird48.
3.5.2. Vorbeugende Fusionskontrolle
Die Fusionskontrolle hat im Gegensatz zum Kartellverbot (Art. 81 EGV) und dem Monopol-
missbrauchsverbot (Art. 82 EGV), die vorrangig nach Beginn der Wettbewerbsbeeinträchti-
gung einsetzen, vorbeugenden Charakter. Der Vollzug der Fusionskontroll-Verordnung fällt
ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Kommission. Nationales Wett-
bewerbsrecht findet somit auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung
keine Anwendung.
3.6. Öffentliche Unternehmen (Art. 86 EGV)
„(1) Die Mitgliedsstaaten werden in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf
Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine diesem
Vertrag […] widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten.
(2) Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse
betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols habe, gelten die Vorschriften dieses
Vertrages, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften
nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich
verhindert. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt
werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. […] (Art. 86 EGV)49
47 Vgl. Schäfer, P.: Studienbuch Europarecht, 2006, S. 239 - 240. 48 Vgl. Streinz, R.: Europarecht, 2003, S. 361. 49 Vgl. Europarecht – Textausgabe, 1999, S. 41.
74
� Zu öffentlichen Unternehmen zählen sämtliche Unternehmen, auf welche die
öffentliche Hand einen dominierenden Einfluss besitzt.
� Als Beispiel für besondere oder ausschließliche Rechte ist die (bis Ende 2007
befristete) Exklusivlizenz der Deutschen Post AG für bestimmte Postsendungen (§ 51
I S.1 Postgesetz) zu nennen50.
� Die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln ist für Dienstleistungen von allgemeinem
wirtschaftlichen Interesse jedoch eingeschränkt.
� Die Anwendung des EG-Vertrages ist dann unwirksam, wenn sie die Aufgabenerfül-
lung dieser Unternehmen rechtlich oder tatsächlich verhindert. Eine bloße Behinde-
rung oder Erschwerung ist dagegen zulässig51.
4. Vertikale Beschränkungen
Franchise-Vereinbarungen enthalten neben den Bestimmungen zum Geschäftskonzept
regelmäßig eine Kombination unterschiedlicher vertikaler Beschränkungen, insb. selektiver
Vertrieb, Wettbewerbsverbot und/oder Alleinvertriebsvereinbarungen sowie schwächere
Ausprägungen der genannten Beschränkungen52.
Die Definition von „Franchise-Vereinbarungen“ findet sich in Art. 1 III Franchise-GVO:
„Franchise-Vereinbarungen sind Vereinbarungen, in denen ein Unternehmen, der Franchise-
Geber, es einem anderen Unternehmen, dem Franchise-Nehmer, gegen unmittelbare oder
mittelbare finanzielle Vergütung gestattet, eine Franchise zum Zwecke der Vermarktung
bestimmter Waren und/oder Dienstleistungen zu nutzen. Sie müssen den folgenden
Gegenstand enthalten:
- die Benutzung eines gemeinsamen Namens oder Zeichens sowie die einheitliche
Aufmachung der vertraglich bezeichneten Geschäftslokale und/oder Transportmittel;
-die Mitteilung von Know-how durch den Franchise-Geber an den Franchise-Nehmer;
- eine fortlaufende kommerzielle oder technische Unterstützung des Franchise-Nehmers
durch den Franchise-Geber während der Laufzeit der Vereinbarung.53“
4.1. Negative Wirkungen vertikaler Beschränkungen
Markenzwang: Der Käufer wird beispielsweise durch Wettbewerbsverbote, Mengenvorgaben
oder Koppelungsgeschäfte zum ausschließlichen Vertrieb bestimmter Markenprodukte ver-
pflichtet, was grundsätzlich zur Marktabschottung führt.
Vertriebsbeschränkungen: Gegenstand derartiger Vereinbarungen ist die Beschränkung auf
nur einen / eine begrenzte Anzahl von Käufern seitens des Lieferanten, wodurch der Käufer-
50 Vgl. Herdegen, M.: Europarecht, 2003, S. 348. 51 Vgl. Streinz, R.: Europarecht, 2003, S. 363. 52 Europarecht von A-Z, 2003, S. 254. 53 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 8 B I. 2. b) Rn. 42.
75
kreis in einem bestimmten Gebiet / auf eine spezifische Kundengruppe limitiert wird.
Mögliche Konsequenzen sind:
� Abschottung des Beschaffungsmarktes,
� Erleichterung von Absprachen zwischen Lieferanten / Händlern oder
� Schwächung oder Ausschluss des Markenwettbewerbs54.
Vertikale Preisbindung: Absprachen in Bezug auf Mindest- oder Fixpreise können eine voll-
ständige Abschaltung des marktinternen Preiswettbewerbs zur Folge haben. Zugleich
können vereinbarte Preisobergrenzen oder Preisempfehlungen eine
wettbewerbsbeschränkende Wirkung zeigen.
Marktaufteilung: Alleinbezugsverträge oder Vereinbarungen mit Gebiets- oder Kundenzutei-
lungen schränken die Wahlfreiheit des Käufers im Hinblick auf den Kauf oder Weiterverkauf
eines bestimmten Produktes ein, was einen gravierenden Rückgang des marktinternen Wett-
bewerbs mit sich bringen kann55.
4.2. Positive Wirkungen vertikaler Vereinbarungen
Lösung des Trittbrettfahrerproblems: Das Problem des Trittbrettfahrers ist vielschichtig und
wird jeweils unterschiedlich gelöst:
� ein Händler profitiert von den Verkaufsförderungsmaßnahmen eines Konkurrenten �
Abhilfe können u. a. Alleinvertriebsvereinbarungen schaffen;
� ein Lieferant genießt dadurch Vorteile, dass seine Produkte in denselben Geschäfts-
räumen angeboten werden, in die ein Konkurrenzunternehmen zuvor investiert hat �
Wettbewerbsverbote wirken dem entgegen;
� ein Käufer informiert sich in einem Geschäftslokal über ein bestimmtes Produkt, kauft
es aber anschließend bei einem Konkurrenten (u. a. sog. Gütesiegel-Trittbrettfahrer)
� zumindest in der Anfangsphase von Produkteinführungen werden meist Beschrän-
kungen wie z. B. Alleinvertrieb oder selektiver Vertrieb vereinbart.
Erschließung neuer Märkte: Durch das Einräumen eines Gebietsschutzes kann der Händler
dahingehend unterstützt werden, dass andere Händler am Eintritt in den relevanten Markt
gehindert werden und sich die getätigten Investitionen durch höhere Preise schneller
amortisieren56.
Lösung des Hold-up-Problems bei Investitionen und Kow-how: Langfristige asymmetrische
Investitionen können eine vertikale Beschränkung, maximal bis zur Kostendeckung, rechtfer-
tigen. Tätigt der Lieferant die Investitionen, kommen ein Wettbewerbsverbot oder eine Men-
54 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 7 I. 1. Rn. 1 - 3. 55 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 7 I. 1. Rn. 4 - 5. 56 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 7 I. 2. Rn. 6 - 8.
76
genvorgabe in Betracht, im umgekehrten Fall u. a. eine Alleinbelieferungsverpflichtung. Ana-
log kann die Übertragung von Know-how ein Wettbewerbsverbot im Rahmen vertikaler Be-
schränkungen begründen, z. B. beim Franchising.
Größenvorteile beim Vertrieb: Durch Einschränkung des Weiterverkaufs von Produkten auf
eine begrenzte Anzahl von Vertriebshändlern, z. B. über selektiven Vertrieb mit Mengenvor-
gaben, kann ein Hersteller den nötigen Größenvorteil erreichen, um die Einzelhandelspreise
seiner Produkte zu senken.
Unzulänglichkeiten der Kapitalmärkte: Ausschließlichkeitsvereinbarungen können den Ver-
tragsparteien zusätzliche Sicherheiten bieten, falls von Seiten der Banken und Aktienmärkte
nur unzureichend Kapital zur Verfügung gestellt wird. Gewährt beispielsweise der Lieferant
dem Kunden ein Darlehen, so sind damit regelmäßig Wettbewerbsverbote verbunden.
Sicherung von Einheitlichkeit und Qualität: Beispielsweise beim selektiven Vertrieb und beim
Franchising können bestimmte Standards zur Sicherung von Einheitlichkeit und Qualität
bewirkt werden, die einen Beitrag zur Absatzsteigerung leisten können und darüber hinaus
das Markenimage verbessern57.
4.3. Zusammenfassung und Beurteilung
Aufgabe des EG-Wettbewerbsrechts ist es, die negativen Folgen vertikaler Beschränkungen
abzuwenden. Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) sollen dabei mit Hilfe einer umfas-
senden Bewertung gewährleisten, dass die Vorteile der in den von ihnen erfassten Vereinba-
rungen integrierten vertikalen Beschränkungen deren Nachteile überwiegen58.
Positive Wirkungen negative Wirkungen
Lösung des Trittbrettfahrerproblems
Erschließung neuer Märkte Markenzwang
Lösung des Hold-up-Problems bei
Investitionen und Know-How Vertriebsbeschränkungen
Größenvorteile beim Vertrieb
Unzulänglichkeiten der Kapitalmärkte Vertikale Preisbindung
Sicherung von Einheitlichkeit und Qualität Marktaufteilung
Abb. 5: Gegenüberstellung positiver und negativer Wirkungen vertikaler Beschränkungen
Dem wirtschaftlichen Umfeld ist bei der Beurteilung vertikaler Beschränkungen besonderes
Augenmerk zu schenken, da die gegebenen Rahmenbedingungen die Wirkung vertikaler Be-
57 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 7 I. 2. Rn. 9 - 12. 58 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 7 I. Rn. 1.
77
schränkungen verstärken oder abschwächen können. Zudem beeinflussen die unterschiedli-
chen vertikalen Beschränkungen den Wettbewerb in unterschiedlicher Stärke59.
Marktmacht – Marktkonzentration: Vertikale Beschränkungen haben regelmäßig keine spür-
baren Auswirkungen auf einen Markt und sind nicht in der Lage, Preise über dem Marktpreis
durchzusetzen, falls auf dem relevanten Markt keine Konzentration vorherrscht.
Markenwettbewerb – markeninterner Wettbewerb: Die Kommission bewertet vertikale Be-
schränkungen, welche den Markenwettbewerb eindämmen, weitaus negativer als solche, die
lediglich den markeninternen Wettbewerb blockieren. Dagegen ist zu beachten, dass bei feh-
lendem Markenwettbewerb auch eine Vertriebsbeschränkung geeignet ist, die Auswahlmög-
lichkeiten des Verbrauchers beträchtlich einzuschränken60.
Ausschließlichkeitsbindung – Mengenvorgabe: Ausschließlichkeitsbindungen, die einem
Händler den Warenbezug von einem bestimmten Lieferanten vorschreiben, haben nach Ein-
schätzung der Kommission eine stärkere Abschottungswirkung als Mengenvorgaben, da der
Händler hierbei auch Waren von Dritten beziehen kann.
Markenware – Nicht-Markenware: Vertikale Beschränkungen weisen bei Nicht-Markenwaren
tendenziell geringere negative Wirkungen auf, da diese leichter substituierbar sind als
Markenprodukte und hierbei eine schwächere Produktdifferenzierung charakteristisch ist.
Kombination mehrerer vertikaler Beschränkungen: Entgegen dem Grundsatz, dass mehrere
vertikale Beschränkungen gemeinsam einen größeren negativen Einfluss auf den Markt
haben als eine einzelne Beschränkung, kann eine Kombination von vertikalen
Beschränkungen unter bestimmten Voraussetzungen einen gegenteiligen Effekt auslösen.
Kumulative Wirkung: Gemäß der sog. Bündeltheorie liegt eine kumulative Wirkung vertikaler
Vereinbarungen dann vor, wenn mehrere Lieferanten / Käufer ähnliche Vereinbarungen tref-
fen, was zum Stillstand von Innovationen oder zu dauerhaft überhöhten Preisen führen kann.
Übertragung von Know-how: Je stärker eine vertikale Beschränkung mit der Übertragung
von Know-how verbunden ist, desto eher können Beschränkungen zum Schutz dieses
Know-hows bzw. von Investitionsaufwendungen gerechtfertigt werden.
Einführung neuer Produkte / Erschließung neuer Produktmärkte: Die Vereinbarung von ver-
tikalen Beschränkungen sollte nach Ansicht der Kommission im Rahmen der Einführung ei-
nes gänzlich neuen Produktes auf maximal zwei Jahren nach Markteinführung begrenzt wer-
den. Grund dafür sind Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Marktanteils, der bei
Produktneuheiten sehr hoch ausfallen kann61.
59 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 7 I. 3. Rn. 13. 60 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 7 I. 3. Rn. 14 - 15. 61 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 7 I. 3. Rn. 16-21.
78
5. Vertikal-GVO und „Guidelines“
5.1. Hintergrund
Der Erlass der Verordnung Nr. 4087/88 über die Anwendung des EG-Kartellverbotes auf
Gruppen von Franchise-Vereinbarungen (Franchise-GVO)62 stellt die Geburtsstunde des
europäischen Franchise-Rechts dar.
Da die Franchise-GVO bis Ende 1999 befristet war, wurde sie von der Kommission durch die
Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/99 für vertikale Vertriebsverträge und aufeinander
abgestimmte Verhaltensweisen (Vertikal-GVO)63 ersetzt. Analog zur Franchise-GVO verfolgt
diese Verordnung den Zweck, Verträge vom Verbot des Art. 81 EGV auszunehmen, enthält
jedoch wesentlich allgemeinere Regelungen für sämtliche vertikale Vereinbarungen. Der
Franchise-Begriff wird in der Vertikal-GVO nicht mehr darlegt64.
Die nachfolgende Darstellung entspricht der offiziellen Definition von „Franchising“ der Eu-
ropean Franchise Federation (EFF) 65:
„Franchising ist ein Vertriebssystem, durch das Waren und/oder Dienstleistungen und/oder
Technologien vermarktet werden. Es gründet sich auf eine enge und fortlaufende
Zusammenarbeit rechtlich und finanziell selbständiger und unabhängiger Unternehmen, den
Franchise-Geber und seine Franchise-Nehmer. Der Franchise-Geber gewährt seinen
Franchise-Nehmern das Recht und legt ihnen gleichzeitig die Verpflichtung auf, ein Geschäft
entsprechend seinem Konzept zu betreiben. Dieses Recht berechtigt und verpflichtet den
Franchise-Nehmer, gegen ein direktes oder indirektes Entgelt im Rahmen und für die Dauer
eines schriftlichen, zu diesem Zweck zwischen den Parteien abgeschlossenen Franchise-
Vertrags bei laufender technischer und betriebswirtschaftlicher Unterstützung durch den
Franchise-Geber, den Systemnamen und/oder das Warenzeichen und/oder die
Dienstleistungsmarke und/oder andere gewerbliche Schutz- oder Urheberrechte sowie das
Know-how, die wirtschaftlichen und technischen Methoden und das Geschäftssystem des
Franchise-Gebers zu nutzen.“
Lediglich der Begriff des Know-how ist in der Vertikal-GVO erfasst und beschreibt ein Paket
nicht patentierter praktischer Kenntnisse, die geheim, wesentlich und identifiziert sind, auf Er-
fahrungen des Franchise-Gebers basieren und durch ihn erprobt wurden.
� Geheim ist das Know-how unter der Prämisse, dass es weder allgemein bekannt
noch leicht zugänglich ist.
� Als wesentlich sind Kenntnisse anzusehen, welche für den Franchise-Nehmer uner-
lässlich sind zum Zwecke des (Weiter)Verkaufs der Vertragswaren oder -dienstleis-
tungen. 62 ABl. EG Nr. L 359, S. 46. 63 ABl. EG Nr. L 336, S. 21. 64 Vgl. www.franchisestarter.de, 22.10.2008. 65 Vgl. www.dfv-franchise.com, 11.11.2008.
79
� Identifiziert meint eine ausreichend detaillierte Beschreibung des Know-hows, um die
Erfüllung der beiden erstgenannten Merkmale prüfen zu können66.
5.2. Allgemeines
Von Änderungen, die durch das Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle67 am 01.07.2005 hervoge-
rufen wurden, sind bei Vertikalvereinbarungen insb. innerstaatlich wirkende Vertriebsverträge
betroffen. Ziel der 7. GWB-Novelle war es, das deutsche an das europäische Kartellrecht an-
zugleichen, um unabhängig von der Anwendbarkeit des deutschen oder europäischen
Kartellrechts ein einheitliches Niveau zu schaffen.
Vertikalvereinbarungen werden nunmehr erstmals dem Kartellverbot in § 1 GWB unterwor-
fen, welches stärker an Art. 81 I EGV angepasst wurde. In § 2 I GWB wurde ein allgemeiner
Freistellungstatbestand eingefügt, der sich an Art. 81 III EGV orientiert. Darüber hinaus ent-
hält Art. 2 II GWB eine dynamische Verweisung auf alle europäischen Gruppenfreistellungs-
vereinbarungen, die zu Art. 81 III EGV erlassen wurden.
Nach der Vertikal-GVO sind vertikale Vereinbarungen grundsätzlich freigestellt, sofern der
Marktanteil des Lieferanten nicht über 30% liegt. Ausgenommen von der Freistellung sind
sog. schwarze Klauseln nach Art. 4 vGVO, welche die Anwendung der GVO für sämtliche im
Vertrag enthaltene Klauseln sperrt. Des Weiteren enthält Art. 5 vGVO gelbe Klauseln, die
ebenfalls nicht freigestellt sind, aber die Freistellung anderer Klauseln nicht sperrt68.
Abb. 6: schwarze und gelbe Klauseln der Vertikal-GVO69
Die Leitlinien zur Vertikal-GVO sollen den Unternehmen als Hilfestellung dienen, vertikale
Vereinbarungen nach Maßgabe der EG-Wettbewerbsregeln selbst zu beurteilen70.
66 Vgl. www.franchiseverband.com, 22.10.2008. 67 Vom 7.7.2005, BGBl. I S. 1254. 68 Vgl. Kirchhain, S.: Die Gestaltung von innerstaatlich wirkenden Vertriebsverträgen nach der 7. GWB-Novelle, S. 168 - 169, in: www.wiso-net.de, 27.10.2008. 69 Quelle: in modifizierter Form übernommen von: www.jura.uni-augsburg.de (2007_06_04.pdf), 8.10.2008.
nicht freistellungsfähig
Schwarze Klauseln (Art. 4 vGVO)
- „Alles-oder-Nichts“-Prinzip -
Gelbe Klauseln (Art. 5 vGVO)
- Isolierte Unwirksamkeit -
� Preisbindung der zweiten Hand (lit. a)
� Beschränkungen des Gebietes oder des
Kundenkreises (lit. b)
� Beschränkung des aktiven und passiven
Verkaufs an Endverbraucher in selektiven
Vertriebssystemen (lit. c)
� Beschränkung von Querlieferungen in se-
lektiven Vertriebssystemen (lit. d)
� Verkaufsbeschränkungen für Lieferanten
von Einbau- / Ersatzteilen (lit. e)
� Freistellungsfähigkeit von Wettbewerbs-
verboten (lit. a)
� Freistellungsfähigkeit nachträglicher Wett-
bewerbsverbote (lit. b)
� (Boykott-)Verbot von gezielten Konkur-
renzklauseln in selektiven Vertriebssyste-
men (lit. c)
80
5.3. Preispolitik
Eine Preisbindung verpflichtet den Käufer, bestimme Preise beim Weiterverkauf nicht zu
unter- oder zu überschreiten71 und stellt in Vertikalverträgen eine schwarze Klausel nach Art.
4 lit. a vGVO dar, die nicht freistellungsfähig ist:
„Die Freistellung […] gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, die mittelbar oder unmittelbar, für
sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der
Vertragsparteien folgendes bezwecken:
a) die Beschränkung der Möglichkeiten des Käufers, seinen Verkaufspreis selbst
festzusetzen; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit des Lieferanten, Höchstverkaufspreise
festzusetzen oder Preisempfehlungen auszusprechen, sofern sich diese nicht infolge der
Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen durch eine der Vertragsparteien
tatsächlich wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken“ (Art. 4 lit. a vGVO).
Das Verbot der Preisbindung wird seit Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle in § 1 GWB geregelt.
Nach dem neuen deutschen Kartellrecht sind jedoch Höchstpreisbindungen zulässig (§ 2 II
GWB i. V. m. Art. 4 lit. a 2. HS vGVO). Voraussetzung dafür ist, dass die Höchstpreisbin-
dungen nicht faktisch durch Ausübung von Druck oder die Gewährung von Anreizen durch
eine der Vertragsparteien wie Fest- oder Mindestverkaufspreise wirken.
Da Höchstpreisbindungen häufig eine wettbewerbsfördernde Wirkung aufweisen, stellen sie
regelmäßig keinen Verstoß gegen das Kartellverbot dar. Die Höchstpreisbindung kann
beispielsweise eingesetzt werden, um das Problem der doppelten Gewinnspannenerhöhung
zu lösen. Weiterhin ist die Anwendung in wettbewerbspolitischer Sicht sinnvoll, um
überhöhte Endverkaufspreise für Markenartikel zu verhindern.
Auch auf dem Gebiet der Meistbegünstigungsklauseln brachte die 7. GWB-Novelle einige
Änderungen. Demnach verstoßen diese gegen das Kartellverbot, wobei Meistbegünstigungs-
klauseln zu Lasten des Lieferanten freigestellt sind, sofern dessen Marktanteil 30% nicht
übersteigt. Diese pauschale Freistellung (vgl. § 2 II GWB i. V. m. Art. 2 I S. 2, Art. 3 I vGVO)
ist jedoch kritisch zu sehen, da Meistbegünstigungsklauseln auf Grund ihrer beträchtlichen
wettbewerbswidrigen Wirkungen vielfach den Freistellungsvoraussetzungen nicht genügen.
Unverbindliche Preisempfehlungen fallen häufig nicht unter den § 1 GWB. Tritt dieser Fall
ausnahmsweise doch ein, so sind sie nach § 2 II GWB i. V. m. Art. 4 lit. a 2. HS vGVO
zulässig. In Analogie zu Höchstpreisbindungen ist Voraussetzung hierfür, dass die Preisem-
pfehlungen nicht durch die Ausübung von Druck oder die Gewährung von Anreizen durch
eine der Vertragsparteien wie Fest- oder Mindestverkaufspreise wirken72.
70 Vgl. http://eur-lex.europa.de, 20.11.2008. 71 Vgl. www.jura.uni-augsburg.de (Vertikale_Wettbewerbsbeschraenkungen.pdf), 28.10.2008. 72 Vgl. Kirchhain, S.: Die Gestaltung von innerstaatlich wirkenden Vertriebsverträgen nach der 7. GWB-Novelle, S. 172 - 175, in: www.wiso-net.de, 27.10.2008.
81
5.4. Bezugsbindungen
Geht der Käufer eine durch den Franchise-Vertrag geregelte Alleinbezugsverpflichtung ein,
so ist er dazu verpflichtet, seinen gesamten Warenbedarf ausschließlich vom Lieferanten zu
beziehen73. Derartige Verpflichtungen fallen unter die Wettbewerbsverbote der Vertikal-GVO.
Vom Kartellverbot des Art. 81 I EGV sind lediglich solche Bestimmungen ausgenommen, die
dem Schutz des gewerblichen / geistigen Eigentums des Franchise-Gebers dienen74 oder für
den Erhalt und das Funktionieren des Franchisesystems unerlässlich sind.
Neben der Alleinbezugspflicht umfassen die Wettbewerbsverbote des Art. 1 lit. b vGVO auch
Verpflichtungen eines Käufers, mehr als 80% seiner Einkäufe von Vertragswaren bei einem
Lieferanten zu beziehen75.
5.5. Vertragliches / nachvertragliches Wettbewerbsverbot
„’Wettbewerbsverbote’ sind alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die den
Käufer veranlassen, keine Waren oder Dienstleistungen herzustellen, zu beziehen, zu
verkaufen oder weiterzuverkaufen, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen im
Wettbewerb stehen […]“ (Art. 1 lit. b vGVO)
� Dem Käufer ist es sowohl unmittelbar, d. h. persönlich,
� als auch mittelbar, d.h. über Dritte, Treuhänder oder sonstige Mittelspersonen, unter-
sagt, in Konkurrenz zum Franchise-System zu treten76.
Eine Freistellung vertraglicher Wettbewerbsverbote nach der Vertikal-GVO ist nur dann
denkbar, wenn die Dauer der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen nicht mehr als
fünf Jahre beträgt (vgl. § 2 II GWB i. V. m. Art. 5 lit. a 1. HS vGVO).
Falls eine Gruppenfreistellung nicht in Betracht kommt, ist eine Freistellung direkt nach § 2 I
GWB zu prüfen. Eine derartige Freistellung ist jedoch eher unwahrscheinlich, wenn bspw.
die nötigen Effizienzvorteile nicht ersichtlich sind. Vertragliche Wettbewerbsverbote sind folg-
lich nach § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB (Verstoß gegen Verbotsgesetz) grundsätzlich nich-
tig77.
Für nachvertragliche Wettbewerbsverbote kommt eine Freistellung vom Kartellverbot nach
Art. 5 lit. b vGVO nur unter der folgenden Voraussetzung in Betracht:
73 Vgl. www.franchiseportal.de, 18.11.2008. 74 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 8 B I. 9. c) Rn. 197. 75 Vgl. www.dr-liesegang.de (Alleinbezugsverpflichtung.pdf), 18.11.2008. 76 Vgl. Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003, § 8 B I. 7. c) ee) Rn. 107. 77 Vgl. Kirchhain, S.: Die Gestaltung von innerstaatlich wirkenden Vertriebsverträgen nach der 7. GWB-Novelle, S. 176, in: www.wiso-net.de, 27.10.2008.
82
„[…] dass diese Verpflichtungen [des Käufers]
- sich auf Waren oder Dienstleistungen beziehen, die mit den Vertragswaren oder -
dienstleistungen im Wettbewerb stehen,
- sich auf Räumlichkeiten und Grundstücke beschränken, von denen aus der Käufer
während der Vertragsdauer seine Geschäfte betrieben hat, sowie
- unerlässlich sind, um ein dem Käufer vom Lieferanten übertragenes Know-how zu schützen
[…]“ (Art. 5 lit. b vGVO)
Die Freistellung ist hierbei jedoch nur möglich, wenn das nachvertragliche Wettbewerbsver-
bot auf die Dauer von einem Jahr nach Beendigung der Vereinbarung begrenzt ist. Darüber
hinaus besteht die Möglichkeit, dem Käufer die Nutzung und Offenlegung von nicht allge-
mein bekannt gewordenem Know-how zeitlich unbegrenzten Beschränkungen zu
unterwerfen (vgl. Art. 5 lit. b vGVO).
Allgemein lässt sich festhalten, dass eine große Anzahl von Altverträgen
Wettbewerbsverbote enthalten, deren Laufzeiten fünf Jahre übersteigen.
Fraglich ist nunmehr, ob derartige Vereinbarungen gem. § 139 BGB (Teilnichtigkeit) mit einer
entsprechend kürzeren Laufzeit geltungserhaltend aufrechterhalten werden können. Dies ist
der Fall, wenn davon auszugehen ist, dass die geringere Laufzeit dem tatsächlichen oder
vermuteten Parteiwillen entspricht. Der geltungserhaltenden Reduktion überlanger Wettbe-
werbsverbote steht auch nicht entgegen, dass die nichtigen Klauseln oftmals Bestandteil von
AGB sind, da diese bei nachträglicher Unwirksamkeit von Verträgen auf Grund von Geset-
zesänderungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist78.
5.6. Vertragsdauer
Aktuell tendiert die Rechtsprechung dazu, bei Erstlaufzeiten von über fünf Jahren eine Ein-
schränkung der unternehmerischen Selbstständigkeit des Franchise-Nehmers zu vermuten,
was eine Nichtigkeit des Franchise-Vertrages gem. § 138 I BGB (sittenwidriges Rechtsge-
schäft) zur Folge hat. Die Laufzeit eines Franchise-Vertrages kann jedoch nur schwer verall-
gemeinert werden, da sie sich stets auf den jeweiligen Franchise-Vertrag bezieht und u. a.
davon abhängig ist, welche Investitionen der Franchise-Nehmer zu tätigen hat. Grundsätzlich
ist davon auszugehen, dass sich die Investitionen des Franchise-Nehmers innerhalb der Ver-
tragslaufzeit amortisiert haben müssen.
Es gilt zu beachten, dass mit steigenden Investitionen die Bindungen zunehmen können,
wodurch ein Wettbewerbsverbot (Art. 4 vGVO) auch für einen längeren Zeitraum als fünf
Jahre vereinbart werden kann. Voraussetzung hierfür sind „vertragsspezifische Investitionen“
78 Vgl. Kirchhain, S.: Die Gestaltung von innerstaatlich wirkenden Vertriebsverträgen nach der 7. GWB-Novelle, S. 176-179, in: www.wiso-net.de, 27.10.2008.
83
(vgl. Tz. 116 Nr. 4 Guidelines Vertikal-GVO79), die im Franchise-Vertrag mit ihrer Höhe und
der Amortisationsdauer anzugeben sind, um eine längere Erstlaufzeit zu begründen. Demzu-
folge wird der Franchise-Nehmer über die Fünf-Jahres-Frist hinaus an ein vertraglich verein-
bartes Wettbewerbsverbot gebunden.
Ein Anspruch auf Vertragsverlängerung aus § 242 BGB (Treu und Glauben) nach Ablauf der
Erstvertragslaufzeit wurde bisher abgelehnt.
Die maximale Festlaufzeit von zwei Jahren aus § 309 Ziff. 9 a BGB (Klauselverbote ohne
Wertungsmöglichkeit) bei Dauerschuldverhältnissen findet auf Franchise-Verträge keine An-
wendung.
Während der vertraglich vereinbarten Laufzeit ist eine fristlose Kündigung aus wichtigem
Grund durch beide Vertragsparteien möglich, da dieses Recht seit der Schuldrechtsreform in
§ 314 I BGB (Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund) geregelt ist80.
6. Fazit
Franchising in seiner heutigen Form fand seinen Ursprung am 02.03.1955 mit dem wohl
bekanntesten Franchise-System weltweit: „Mc Donald’s“. Es befindet sich seither im Wachs-
tum und entwickelt sich permanent weiter81. Angesichts dessen war die deutsche Rechtswis-
senschaft in den vergangenen Jahren bestrebt, dem Vertragstyp Franchising ein
interessengerechtes juristisches Regelungsprogramm zuzuordnen82. Die gesetzliche
Regelung für Franchise-Systeme in Deutschland steckt jedoch noch in den Kinderschuhen,
sodass auch weiterhin auf andere Rechtsquellen zurückgegriffen werden muss, bspw.:
� Entscheidungen des BGH/anderer Zivilgerichte,
� Regelungen des Handels- und Wettbewerbsrechts,
� Normen des Sozialrechts sowie
� Bestimmungen zum Verbraucherschutz- und AGB-Recht.
Durch den Vorrang des EG-Rechts vor nationalem Recht stellt allerdings die Vertikal-GVO
eine allgemein gültige Leitlinie zur Gestaltung von Franchise-Verträgen dar, deren Missach-
tung zur Nichtigkeit des Franchise-Vertrages nach Art. 81 I EGV ggf. i. V. m. § 134 BGB
(Verstoß gegen Verbotsgesetz) führt83.
79 Vom 13.10.2000, ABl. EG Nr. C 291, S. 1 - 44 80 Vgl. Flohr, E.: Der Franchise-Vertrag, in: http://www.dfv-franchise.com (Franchisevertrag%20in% 20Deutschland.pdf), S. 5-7, 11.11.2008. 81 Vgl. www.franchiseverband.com, 22.10.2008. 82 Vgl. Ratay, R.: Franchise-Systeme und Preisbindungsverbot nach deutschem und EG-Kartellrecht, 1993, S.1. 83 Vgl. Flohr, E.: Vom Franchise-Vertrag zum Verhaltenskodex für Unternehmensnetzwerke, in: www.fatm.de (VortragsfolienFlohr.pdf), S. 4 - 9, 11.11.2008.
84
Literaturverzeichnis I. Schriften Arndt, H.W.: Europarecht, 3. Aufl., Heidelberg 1998 Epp, W.: Franchising und Kartellrecht, Köln, Berlin, Bonn, München 1994 Europarecht – Textausgabe (o. V.), 11. Aufl., Baden-Baden 1999 Europarecht von A-Z – Das Recht der europäischen Union nach dem Vertrag von Nizza , 3. Aufl., München 2003 Herdegen, M.: Europarecht, 8. Aufl., München 2006 Kirchhain, S.: Die Gestaltung von innerstaatlich wirkenden Vertriebsverträgen nach der 7. GWB-Novelle, WuW – Wirtschaft und Wettbewerb 2008, S. 167-179, in: www.wiso-net.de/ webcgi?START=A20&DOKM=702158_ZECO_0&WID=59852-20000581352211 (27.10.2008) Liebscher, C./Flohr, E./Petsche, A.: Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 1. Aufl., Wien 2003, http://beck-gross.digibib.net/bib/default.asp?vpath=/bibdata/Komm/ LiFlPeHdbEUGrFrVO/Buch/cont/LiFlPeHdbEUGrF (27.10.2008) Ratay, R.: Franchisesysteme und Preisbindungsverbot nach deutschem und EG-Kartellrecht: eine juristische und ökonomische Analyse, München 1993 Rohde, Ch./Lorenzmeier, S.: Europarecht – Schnell erfasst, 2. Aufl., Berlin, Heidelberg 1999 Schäfer, P.: Studienbuch Europarecht – Das Wirtschaftsrecht der EG, 3. Aufl., Stuttgart u. a. 2006 Streinz, R.: Europarecht, 6. Aufl., Heidelberg 2003 II. Rechtstexte Mitteilung der Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. EG Nr. C 291 vom 13.10.2000, S. 1-44 Verordnung (EWG) Nr. 4087/88 der Kommission vom 30. November 1988, ABl. L 359 vom 28.12.1988, S. 46-52 Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999, ABl. L 336 vom 29.12.1999, S. 21-25 III. Internetquellen Ethikkodex für Mitglieder und assoziierte Mitglieder des Deutschen Franchise-Verbandes e. V., in: www.dfv-franchise.com/wcms/Clients/138200320121715/Documents/124/ Ethikkodex%20-2004.pdf (11.11.2008) Flohr, E.: Der Franchise-Vertrag, in: www.dfv-franchise.com/wcms/Clients/ 138200320121715/Documents/863/Franchisevertrag%20in%20Deutschland.pdf (11.11.2008) www.dr-liesegang.de/pdf/DFV-Newsletter09-2007-Alleinbezugsverpflichtung.pdf (18.11.2008) www.fatm.de/ifhm/de/studium/veranstaltungsangebot/bachelor/2008_SS/data_5446/VortragsfolienFlohr.pdf (11.11.2008) www.franchiseportal.de/franchise-lexikon/Alleinbezugsverpflichtung.htm (18.11.2008) www.franchisestarter.de/franchise/recht/eg-recht/ (22.10.2008) www.franchiseverband.com (22.10.2008) www.frankfurt-main.ihk.de/recht/themen/wettbewerbsrecht/kartellrecht/ (28.10.2008) www.jura.uni-augsburg.de/de/prof/lehrbeauftragte/heinichen_christian/veranstaltungen_ss-2007/Kartellrecht_1/Materialien_Kartellrecht_2007_Jura/materialien_skript/ 02_Vertikale_Wettbewerbsbeschraenkungen.pdf (28.10.2008) www.jura.uni-augsburg.de/prof/lehrbeauftragte/heinichen_christian/veranstaltungen_ss2007/ Kartellrecht_1/Materialien_Kartellrecht_2007_Jura/materialien_vorlesungsfolien/ 2007_06_04.pdf (28.10.2008) www.raupach.de/docroot/medialib/mandanten/juris/0011_01-05-2008_forum_juris_01_08.pdf (18.11.2008)
85
Informationsasymmetrie bei Franchisesystemen –insbesondere bei der
vorvertraglichen Aufklärung
Stud. rer. pol. Lisa Frenzel
1. Einleitung
Franchising als kooperative Vertriebsform gewinnt zunehmend an Bedeutung1. Jedoch gibt
es als rechtlichen Rahmen keine spezielle Franchisegesetzgebung im deutschen Recht. Da
aber vor Vertragsschluss des Franchisevertrages sowohl dem Franchisegeber als auch dem
Franchisenehmer in Bezug auf Informationen über das Franchiseverhältnis wesentliche
Dinge fehlen, also eine Informationsasymmetrie besteht, muss vorvertraglich eine
gegenseitige Aufklärung stattfinden, damit beide eine Entscheidung mit abschätzbaren
Folgen treffen können. Aufgrund der fehlenden Angabe über konkrete aufklärungspflichtige
Sachverhalte soll in dieser Seminararbeit hauptsächlich dargestellt werden, welche
Informationen der Franchisenehmer und der Franchisegeber brauchen, um in voller Kenntnis
der Sachlage2 entscheiden zu können. D.h. es wird beschrieben, welche Informationen
jeweils der Franchisenehmer und -geber benötigen, damit die Informationsasymmetrie
minimiert wird. Dabei wird auf den existierenden Ethikkodex des Deutschen
Franchiseverbandes eingegangen und werden maßgebliche Grundsätze aus Literatur und
Rechtsprechung herausgearbeitet. Zusätzlich erhält der Leser durch Erläuterung möglicher
Motive der Nichtaufklärung vorab einen Einblick in die denkbaren Ursachen der bestehenden
Informationsasymmetrie.
2. Grundlagen
Doch zunächst ist es notwendig, die zentralen Begriffe Franchising und Informa-
tionsasymmetrie zu definieren und eine Unterscheidung der Arten der Nichtaufklärung
vorzunehmen.
2.1. Definition Franchising
Franchising ist ein langfristig angelegtes3, absatzförderndes Vertriebssystem4 in Form eines
arbeitsteiligen, vertikal-kooperativ organisierten Absatzsystems5. Dabei sind
1 Braun, Frank, Aufklärungspflichten des Franchisegebers bei den Vertragsverhandlungen, NJW 1995, S. 504. 2 Deutscher Franchiseverband, Ethikkodex, Ziffer 3.3. 3 Vgl. Ethikkodex, Ziffer 2.1. 4 Vgl. Deutscher Franchiseverband, Der Begriff Franchising, 2004, http://www.dfv-franchise.de/, Franchise-Geber, [1.12.2008]. 5 Rauser, Karl Th. / Bräutigam, Peter, Franchising: Grundlagen und einige aktuelle Rechtsprobleme, DStR 1996, S. 587.
86
Franchisenehmer und Franchisegeber rechtlich unabhängige Partner6, wobei der
Franchisegeber dem Franchisenehmer gestattet, sein gesamtes Geschäftssystem zu
nutzen.7 Als Gegenleistung zahlt der Franchisenehmer eine Eintrittsgebühr sowie eine
laufende, umsatzorientierte Nutzungsgebühr (Franchisegebühr) und verpflichtet sich, unter
anderem die Waren ausschließlich beim Franchisegeber zu kaufen bzw. ausschließlich das
Know-How des Franchisegebers anzuwenden (je nach Franchisetyp).8
2.2. Definition Informationsasymmetrie
Informationsasymmetrie ist eine Wissensdifferenz zwischen zwei Individuen. Dies sind
können im vorliegenden Kontext die zwei Vertragspartner, nämlich der Franchisenehmer und
der Franchisegeber. Informationsasymmetrie heißt dann, dass einer der Vertragspartner
weniger als der andere in Bezug auf das abzuschließende Geschäft weiß.
Vom beidseitiger Informationsasymmetrie ist in vorliegender Arbeit die Rede, wenn es
Sachverhalte des Geschäftes gibt, bei denen der eine besser informiert ist, aber auch
solche, bei denen der andere besser informiert ist.
2.3. Unterscheidung zwischen falscher und unterlassener Aufklärung
Liegt eine beidseitige Informationsasymmetrie zwischen Franchisenehmer und
Franchisegeber bereits bei Vertragsverhandlungen vor, so trifft beide eine vorvertragliche
Aufklärungspflicht, weil bereits bei den ersten Vertragsverhandlungen ein vorvertragliches
Vertrauensverhältnis entsteht.9 D.h. beide müssen den jeweils anderen über alle für das
Geschäft wesentlichen Punkte10 aufklären. Wird gegen diese Aufklärungspflicht verstoßen,
ist zwischen unterlassener und unrichtiger Aufklärung zu unterscheiden.11 Diese
Unterscheidung ist notwendig, da man für unterlassene anders als für unrichtige Aufklärung
haftet12. Dies wird unten noch genauer beschrieben. Ist in vorliegender Arbeit allgemein von
Nichtaufklärung die Rede, ist die eben genannte Unterscheidung nicht enthalten.
3. Informationsasymmetrien im Franchisesystem
Informationsasymmetrie besteht im Franchisesystem sowohl aus der Perspektive des
Franchisenehmers als auch aus der des Franchisegebers. Es liegt also eine beidseitige
6 Vgl. Mattmüller, Roland, Zur Vorteilhaftigkeit von Franchisesystemen, Ursachen und Lösungsansätze der Informationsasymmetrie, in: Möhlenbruch, Dirk (Hrsg.), Der Handel im Informationszeitalter, Wiesbaden, 2002, S. 187 (203). 7 Vgl. Skaupy, Walther, Zu den Begriffen „Franchise“, „Franchisevereinbarungen“ und „Franchising“, in: NJW 1992, S. 1785. 8 Vgl. Mattmüller, a.a.O. , S. 191. 9 Vgl. Syncon, International Franchise Consultants Österreich, Was bedeutet die vorvertragliche Aufklärungspflicht für Franchise-Geber bzw. Franchise-Nehmer?, www.syncon.de/frequently_asked_questions/download_faq/frage8.pdf, [29.10.2008]. 10 Vgl. Deutscher Franchiseverband, Ethikkodex, Ziffer 3.3. 11 Vgl. Franchisestarter, Franchise-Recht, Vorvertragliche Aufklärungspflichten, www.franchisestarter.de/franchise/recht/vorvertragliche-aufklaerungspflichten/, [29.10.2008]. 12 Vgl. Franchisestarter, a.a.O..
87
Informationsasymmetrie vor. Bezüglich der Person des Franchisenehmers, inklusive dessen
beruflicher Fähigkeiten13, dessen finanzieller Lage14 und dessen Absichten bezüglich des
Geschäfts bzw. der Partnerschaft15 ist vor jeglicher Aufklärung der Franchisegeber der
Unwissendere. Das Franchisesystem, insbesondere dessen Erfolgsaussichten16, die
erzielten Umsätze der einzelnen Franchisebetriebe17 und die Anzahl erfolgreicher
Franchisepartner18 betreffend, ist der Franchisenehmer ursprünglich der Unwissendere.
Diese Wissensdifferenz soll grundsätzlich durch beiderseitige Aufklärungspflichten beseitigt
werden. Wieso trotzdem ein solches Wissengefälle existiert, soll zunächst allgemein und
dann durch Betrachtung beider Perspektiven erläutert werden.
3.1. Ursachen der Informationsasymmetrie
Allgemein ergibt sich eine Informationsasymmetrie daraus, dass in der Realität keine
vollkommenen Märkte existieren.19 D.h. zum einen haben die Marktteilnehmer keine
vollständigen Informationen. Zum anderen handelt jedes Individuum, im Sinne einer
(juristischen) Person, am Markt als Nutzen- bzw. Gewinnmaximierer. Da ein
Wissensvorsprung meist zu höherem Eigennutzen führt als geteiltes Wissen, ist das
Individuum von sich aus nicht bereit, sein Wissen preiszugeben und damit seinen Nutzen zu
teilen. Deutlich wird dies, wenn man den Arbitrageur betrachtet20, der seine Gewinne nur
dadurch erzielt, dass er von lokalen oder zeitlichen Preisdifferenzen Kenntnis hat. Würde er
dieses Wissen teilen, würde seine Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, sinken bzw. komplett
zerstört werden, weil Unternehmen bei Kenntnis dieser Preisunterschiede ihre Preise
anpassen würden.
In Bezug auf das Franchisesystem kann ein Wissengefälle zusätzlich daraus resultieren,
dass ein genau definierter Inhalt der Aufklärung des Partners in Form von Gesetzen nicht
gegeben ist. Es gibt zwar den Ethikkodex des Deutschen Franchiseverbandes, der die
Aufklärung über alle für das Franchiseverhältnis wichtigen Informationen21 vorschreibt, doch
beinhaltet diese Formulierung keine Angaben über konkrete, aufklärungspflichtige Punkte.
Folglich kann man diese Formulierung als unbestimmten Rechtsbegriff ansehen, der dazu
führen kann, dass Aufklärungslücken entstehen und somit Informationsasymmetrie vorliegt.
13 Vgl. Fleischer, Holger, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, eine rechtsvergleichende und interdisziplinäre Abhandlung zu Reichweite und Grenzen vertragsschlußbezogener Aufklärungspflichten, München 2001, S. 184. 14 Vgl. Weiß, Frank, Vorvertragliche Aufklärung bei Franchise-Verträgen: Grenzen der Aufklärungspflicht, 23.11.2007, www.ratgeberrecht.eu/vertrag-aktuell/vorvertragliche-aufklaerung-bei-franchise-vertraegen-grenzen-der-aufklaerungspflicht.html, [29.10.2008]. 15 Vgl. Mattmüller, a.a.O., S. 193. 16 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 17 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 18 Vgl. Franchiseportal, Vorvertragliche Aufklärungspflichten, 2000 - 2008, www.franchiseportal.de/franchise-lexikon/Vorvertragliche-aufklaerungspflicht.htm, [29.10.2008]. 19 Vgl. Fleischer, a.a.O, S. 96. 20 Vgl. Fleischer, a.a.O., S. 97. 21 Ethikkodex, Ziffer 3.3.
88
Also sind allgemein der unvollkommene Markt und der fehlende konkret formulierte
rechtliche Rahmen ursächlich für das Bestehen von asymmetrischer Informationsverteilung.
Nachfolgend soll erläutert werden, über welche Informationen der Franchisegeber, aber nicht
der Franchisenehmer verfügt und warum sie verschwiegen oder falsch angegeben werden.
3.1.1. Perspektive des Franchisegebers – Motive für seine Nichtaufklärung
Welche Gründe könnte der Franchisegeber nun haben, Informationen an seinen potentiellen
Franchisenehmer nicht vollständig oder falsch zu geben? Denn auf den ersten Blick scheint
die falsche oder unvollständige Aufklärung im Widerspruch zum kooperativen
Franchisesystem zu stehen.
Aus der Eigenschaft eines jeden Marktteilnehmers, nach Gewinnmaximierung zu streben,
lässt sich das erste Motiv für Nichtaufklärung ableiten. Um sein Franchisesystem und damit
seine Gewinne zu vergrößern, muss der Franchisegeber Franchisenehmer anwerben. Da
man mit einem erfolgreichen System Franchisenehmer besser und schneller akquiriert, kann
der Franchisegeber dazu verleitet werden, sein System erfolgreicher darzustellen als es ist.
So ist es auch in der Praxis vorgekommen, als nämlich ein Franchisegeber, der in der
Immobilienbranche tätig ist, seine Scheiterungsquote geringer angab und die Kosten- und
Umsatzplanungen verschönerte, so dass dem Franchisenehmer ein höherer Jahresumsatz
prognostiziert wurde.22 Ein weiteres Beispiel für Falschangaben zur Anwerbung von
Franchisenehmern stammt aus dem Jahr 1988. Dabei warb ein Franchisegeber, der
bayerische Mehlspeisen produziert und verkauft, ebenfalls mit einem risikoarmen Konzept
und machte falsche Angaben über Gewinnchancen.23 Zusätzlich gab er eine große Anzahl
erfolgreicher Franchisenehmer an, was in Wirklichkeit nicht der Fall war.24
Der zweite Grund für Nichtaufklärung durch den Franchisegeber resultiert daraus, dass
möglicherweise nach den Verhandlungen zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer
kein Vertrag zustande kommt. Tritt ein Vertragsschluss nicht ein, verfügt der
Franchisenehmer über Informationen über das Franchisesystem und könnte diese als
Konkurrent ausnutzen.25 Folglich kann diese Ungewissheit über einen Vertragsabschluss
den Franchisegeber hemmen, detaillierte Daten über sein System vorvertraglich vollständig
preiszugeben. Der Franchisenehmer könnte also aus Angst vor Wissensverlust bzw. zur
Vermeidung von Eigennutzenreduzierung durch geteiltes Wissen Informationen
unvollständig angeben oder zurückhalten.
22 Vgl. OLG München, BB 2001, S.1759 (1759). 23 Vgl. OLG München, NJW 1994, S. 667 (667). 24 Vgl. Giesler, Patrick, Vorvertragliche Haftung des Franchisegebers, Dezember 2004, www.franchiserecht.de/sonder3.htm, [2.12.2008] . 25 Vgl. Goebel, Jörn, Franchiserecht, Vorvertragliche Haftung, www.rechtsanwalt-franchising.de/franchiserecht.html, [2.12.2008].
89
Als drittes Motiv kommt folgendes in Betracht: Falls ein Franchisegeber sein
Franchisesystem neu gründet oder es in einem anderen Land etablieren möchte, verfügt er
nicht über Daten von erprobten Franchisebetrieben26. Da eine Erprobung durch den
Franchisegeber ein wesentlicher Grund für den Franchisenehmer ist, sich in Form eines
Franchisebetriebes selbstständig zu machen27, ist es schwieriger, Franchisenehmer zu
gewinnen, wenn man keine Erprobungsdaten hat. Deshalb kann der Franchisegeber im
Zuge der Erreichung seines Zieles, ein Franchisesystem neu oder in einem fremden Land
aufzubauen28, dazu verleitet werden, nicht vorhandene Prognosedaten selbst zu schätzen
bzw. sie aus anderen Ländern zu übernehmen. Diese haben folglich keine solide, erprobte
Basis, obwohl er sie als solche angibt. Somit erfolgt eine Falschangabe.
Zusammenfassend gibt es also drei Motive des Franchisegebers, die dazu führen, dass er
seinen potenziellen Franchisepartner nicht vollständig oder falsch aufklärt.
Im Folgenden wird nun die Perspektive des Franchisenehmers eingenommen und erläutert,
welche Gründe er haben könnte, Informationen seinerseits zurückzuhalten bzw. falsche
anzugeben.
3.1.2. Perspektive des Franchisenehmers – Motive seiner Nichtaufklärung
Das erste Motiv des Franchisenehmers lässt sich analog zum ersten Motiv des
Franchisegebers bestimmen. Da auch der Franchisenehmer am Marktgeschehen teilnimmt,
ist sein Handeln ebenfalls von dem Willen, seinen Gewinn zu maximieren, gesteuert. Eine
Möglichkeit, mehr Gewinn zu erzielen, besteht für den Franchisenehmer, wenn er sich wie
ein Trittbrettfahrer verhält.29 Dabei nutzt er die Bekanntheit und den Ruf des
Franchisesystems aus, um für sich Kunden zu gewinnen. Doch um seinen eigenen Gewinn
zu erhöhen, reduziert er seine Kosten, indem er die konzessionierten Waren oder
Dienstleistungen unter dem Qualitätsstandard anbietet.30 Um dieses Vorhaben aber erst
einmal verwirklichen zu können, muss er ein Franchisepartner des Systems werden. Dies
erreicht er nur, wenn er seine oben genannten Absichten dem Franchisegeber verschweigt
bzw. ihm falsche Angaben zu seiner Leistungsbereitschaft, in das Gesamtsystem zu inves-
tieren, macht.31
Das zweite Motiv, welches dem Franchisenehmer unterstellt werden kann, lässt sich parallel
zum dritten Motiv unter Einbezug des ersten Motivs des Franchisegebers betrachten.
Genauso wie der Franchisegeber will sich der Franchisenehmer mit der Partnerschaft
unternehmerisch etablieren. Um diesen Prozess der Etablierung zu beschleunigen oder
26 Vgl. Giesler, Patrick, Güntzel, Volker, Franchising: Aufklärungspflichten und kein Ende?, NJW 2007, S. 3102. 27 Vgl. Goebel, a.a.O. 28 Vgl. Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3102. 29 Vgl. Mattmüller, a.a.O., S. 198. 30 Vgl. Mattmüller, a.a.O, S. 198. 31 Vgl. Mattmüller, a.a.O, S. 193.
90
überhaupt erst einmal entstehen zu lassen (d. h. um einen Vertragsabschluss
herbeizuführen), kann der Franchisenehmer sich erfolgreicher bzw. attraktiver darstellen, als
er tatsächlich ist. Das ist möglich, indem er z. B. Falschangaben zu seinen persönlichen
Eigenschaften, beruflichen Fähigkeiten und zu seiner finanziellen Lage macht.32 Dabei kann
eine Falschangabe zu finanziellen Möglichkeiten z. B. in Form der Angabe einer mündlichen
Kreditzusage der Bank, die tatsächlich nicht existiert, geschehen. Bezüglich der persönlichen
Eigenschaften wäre ein Verschweigen der oben genannten „Trittbrettfahrerabsicht“ denkbar.
Eine Falschangabe zu beruflichen Fähigkeiten ist als eher unwahrscheinlich einzustufen, da
man heutzutage Zeugnisse vorlegen muss, die die eigene berufliche Fähigkeit belegen.
Zuvor wurden mögliche Motive der Informationszurückhaltung vorgestellt, die gleichzeitig
Ursachen der asymmetrischen Informationsverteilung vor Abschluss des Franchisevertrags
darstellen. Nun ist darauf einzugehen, warum diese Informationsasymmetrie zu überwinden
ist. Dazu wird nachfolgend erläutert, warum eine vollständige Aufklärung beider
Vertragspartner, des Franchisegebers und des Franchisenehmers, notwendig ist.
3.2. Notwendigkeit der vollständigen Aufklärung
Mit dem Franchisevertrag binden sich sowohl der Franchisenehmer als auch der
Franchisegeber langfristig.33 Aus diesem Grund ist es wichtig, dass beide eine wirtschaftliche
Entscheidung treffen können. Entscheidungen werden wirtschaftlich getroffen, wenn vorher
geprüft wird, ob man durch die Entscheidung sein Ziel verwirklichen bzw. Gewinne erzielen
kann und welches unternehmerische Risiko damit verbunden ist.
Der Franchisenehmer muss also vorher kalkulieren, ob und ab wann er Gewinne erzielen
kann34 und welche Faktoren sein unternehmerisches Risiko beeinflussen. Für seine
Erwartungsrechnung benötigt er folglich alle Komponenten der zu erwartenden
Aufwendungen und Erträge, die er dann einander gegenüberstellt. Da er sich zum
Franchising entschlossen hat, kann er dabei auf einer bereits erprobten Kalkulationsbasis
des Franchisegebers aufbauen35. Des Weiteren muss er abschätzen können, mit welcher
Wahrscheinlichkeit seine Erwartungen eintreten. Er muss also mögliche
Risikoeinflussfaktoren kennen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit in seine Kalkulation
einbauen. Welche Komponenten der Erwartungsrechnung und welche Risikoeinflussfaktoren
der Franchisegeber ihm deswegen im Detail schuldet, soll später genauer aufgezählt
werden.
Damit auch der Franchisegeber eine wirtschaftliche Entscheidung treffen kann, benötigt er,
genau so wie der Franchisenehmer, Informationen, die seine Chancen und Risiken besser
32 Vgl. Mattmüller, a.a.O., S. 193; Weiß, a.a.O. 33 Vgl. Goebel, a.a.O. 34 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 35 Vgl. Böhner, Reinhard, Bestand und Ausmaß der vorvertraglichen Aufklärungspflicht des Franchisegebers – das „Aufina“-Urteil unter der Lupe, BB 2001, S.1749.
91
überschaubar machen36. Dabei kommt es bei dem Franchisegeber weniger auf die
Gegenüberstellung von Aufwendungen und Erträgen an, weil er diese nicht in demselben
Ausmaß wie der Franchisenehmer hat. Vielmehr ist er daran interessiert, seinen
Systemerfolg zu festigen und auszudehnen37. Dafür muss er das Risiko, einen ungeeigneten
Franchisenehmer auszuwählen, minimieren. Welche Informationen er dazu vom
Franchisenehmer benötigt, soll ebenfalls später (unter 5.) dargestellt werden.
4. Aktuelle rechtliche Lage in Deutschland
Die vorvertragliche Aufklärung betreffend muss, wie bereits unter 2.3. erwähnt,
unterschieden werden, ob eine falsche oder eine unvollständige Aufklärung vorliegt, da
beides eine unterschiedliche Haftung begründet. Die erste Variante ist kein spezielles
Problem des Franchising38 und führt zu einer Haftung nach dem BGB (siehe 4.1). Die zweite
Variante ist ein speziell das Franchising betreffendes Problem.39 Dafür gibt es in
Deutschland keinen gesetzlichen Rahmen. Jedoch ist eine Orientierung an dem Ehrenkodex
des Deutschen Franchisingverbandes und den Grundsätzen von Rechtsprechung und
Literatur möglich.40
4.1. Gesetze
Wie eben erwähnt gibt es in Deutschland keine Gesetze, die die Aufklärungspflichten bei
Franchising festlegen.41 Allerdings gibt es Gesetze, die eine Haftung begründen, falls einer
der Partner vor dem Vertrag falsche Angaben macht. Diese werden hier jedoch nur kurz
vorgestellt, weil die Haftung für Falschangaben zwar in den Kontext der vorvertraglichen
Aufklärung gehört, sie aber zeitlich nach Vertragsschluss einzuordnen ist und nicht direkt mit
dem Thema der Schaffung symmetrischer Informationen vor dem Vertrag in Verbindung
steht.
Liegt ein Fall der bewussten Falschangabe vor, ist gem. § 123 BGB für geäußerte, falsche
Angaben, die zu dem Vertragsabschluss geführt haben, zu haften (arglistige Täuschung)42.
Der Getäuschte kann in diesem Fall den Vertrag anfechten. In der Folge wird der Vertrag
rückwirkend beseitigt.43 Bei Täuschung kann der Getäuschte außerdem
Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo, d.h. je nach Sachlage aus §§ 311, 280
BGB44 bzw. aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 S. 2 BGB45, geltend machen.
36 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3099. 37 Vgl. Goebel, a.a.O. 38 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 39 Vgl. Giesler, a.a.O. 40 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 41 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 42 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3099. 43 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 44 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 45 Vgl. Goebel, a.a.O.
92
Doch da diese Gesetze lediglich nach Vertragsschluss eingreifen und somit nicht direkt das
Problem der vorvertraglichen asymmetrischen Informationsverteilung lösen, werden sie nicht
weiter vertieft. Stattdessen wird nachfolgend auf die Richtlinien des Deutschen
Franchiseverbandes eingegangen und erläutert, welche Vorgaben sie zur vorvertraglichen
Aufklärung machen.
4.2. Richtlinien des Deutschen Franchiseverbandes zur vorvertraglichen Aufklärung
– der Ethikkodex
Der Richtlinienkatalog, der den folgenden Ausführungen zugrunde liegt, ist eine Neufassung
des Ethikkodexes der European Franchise Federation46 und trat am 1.1.1992 in Kraft.47 Er
beinhaltet die wesentlichen Vorschriften fairer Verhaltensweisen für die Franchise-Praxis in
Europa48 und gilt für Mitglieder des Deutschen Franchise-Verbandes49 (als „Self Regulation“).
Allgemein schreibt dieser Kodex einen fairen, sachlichen und direkten Umgang miteinander
vor.50
Im Folgenden werden diejenigen Vorschriften des Ethikkodexes näher betrachtet, die
sich auf die vorvertraglichen Aufklärungspflichten des Franchisegebers und des
Franchisenehmers beziehen.
4.2.1. Vorvertragliche Aufklärungspflichten des Franchisegebers
Ziffer 3.1:
Werbung für die Gewinnung von Franchisenehmern soll ohne Zweideutigkeiten und ohne
irreführende Angaben erfolgen.
Der Franchisegeber ist also verpflichtet, bei der Anwerbung potentieller Franchisenehmer
sein System nicht zu verschönern, indem er sein System nicht eindeutig beschreibt, vielmehr
muss er klare Angaben zu diesem machen.
Ziffer 3.2:
Alle Anzeigen und jedes Werbematerial zum Zwecke der Franchisenehmergewinnung, die
direkt oder indirekt auf von dem einzelnen Franchisenehmer zu erwartende, in Zukunft
mögliche Ergebnisse, Zahlen oder Verdienste eingehen, haben sachlich richtig und
unmissverständlich zu sein.
Der Franchisegeber soll demnach eine solide Kalkulationsbasis liefern, wobei diese
realistisch fundiert und eindeutig formuliert sein muss. Des Weiteren muss er auch alle
Angaben, die indirekt auf diese Kalkulation wirken, sachlich und eindeutig darstellen. Denn
auch indirekt können zweideutige, missverständliche und damit falsch in die Kalkulation
46 Ethikkodex, Einleitung. 47 Skaupy, a.a.O., S. 1785. 48 Ethikkodex, Einleitung. 49 Ethikkodex, Einleitung. 50 Ethikkodex, Ziffer 2.4.
93
einbezogene Angaben die Prognose so abändern, dass der Franchisenehmer falsch
kalkuliert und möglicherweise eine Fehlentscheidung trifft.
Ziffer 3.3:
Um es den angehenden Franchisenehmern zu ermöglichen, jede bindende Abmachung in
voller Kenntnis der Sachlage zu treffen, wird ihnen innerhalb einer angemessenen Frist vor
der Unterzeichnung dieser bindenden Abmachung ein Exemplar des gültigen
Verhaltenskodexes ebenso wie die vollständige und genaue schriftliche Offenlegung aller für
das Franchiseverhältnis wichtigen Informationen und Unterlagen übergeben werden.
Der Franchisegeber ist also verpflichtet, dem Franchisenehmer schriftlich vorzulegen, was
dieser benötigt, um eine wirtschaftliche Entscheidung treffen zu können. Was das im Detail
ist, bleibt hier mit dem Begriff aller für das Franchiseverhältnis wesentlichen Punkte noch
unbestimmt. Doch dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird durch die Vorgaben aus Literatur
und Rechtsprechung genauer spezifiziert. Als angemessene Frist ist dabei ein Zeitraum von
mindestens zehn Tagen anzusehen.51
4.2.2. Vorvertragliche Aufklärungspflichten des Franchisenehmers
Ziffer 4:
Ein Franchisegeber sollte nur solche Franchisenehmer auswählen und akzeptieren, die
aufgrund einer sorgfältigen Überprüfung in ausreichendem Umfang über die notwendigen
Grundkenntnisse, die Ausbildung, die persönliche Eignung und die finanziellen Mittel
verfügen, um einen Franchisebetrieb zu führen.
Diese Ziffer setzt voraus, dass vor dem Vertragsschluss auch der Franchisenehmer
eindeutige, unmissverständliche und wahrheitsgemäße Angaben zu seiner Person und
seinen finanziellen Mittel macht.
Die genannten Vorgaben aus dem Ethikkodex des Deutschen Franchiseverbandes gelten
nur für dessen Mitglieder. Deswegen sind zudem Grundsätze aus Literatur und
Rechtsprechung vonnöten, denn diese sind für alle Franchisepartner in Deutschland
maßgeblich. Nachfolgend werden also ergänzende und ähnliche Grundsätze aus Literatur
und Rechtsprechung vorgestellt.
4.3. Vorgaben aus Literatur und Rechtsprechung
Wegen des Mangels an Gesetzen orientiert sich die Franchisepraxis insbesondere auch in
Bezug auf die Aufklärungspflichten sehr stark an der Rechtsprechung und Literatur.52 In
Bezug auf die Rechtsprechung hat dabei das Urteil des OLG München vom 16.9.1993
besondere Bedeutung. Das Urteil formuliert zwei Leitsätze53:
51 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 52 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 53 Advogarant, Wirtschaftsrecht – Franchising I,
94
Grundsatz 1
Der Franchisegeber muss den Franchisenehmer richtig und vollständig über die Rentabilität
des Systems unterrichten.54
Grundsatz 2
Der Franchisegeber, der wegen der vorvertraglichen Aufklärungspflicht schadens-
ersatzpflichtig ist, kann dem Franchisenehmer nicht als Mitverschulden entgegenhalten, dass
er leichtfertig den Anpreisungen des Franchisegebers vertraut hat.55
Zu beachten ist, dass der Grundsatz 1 bis in die jüngere Vergangenheit maßgeblich war.
Doch wurde mit dem Urteil des OLG Schleswig vom 22. Januar 2008 diesbezüglich eine
Änderung herbeigeführt.56 Folglich ist dieser Grundsatz nicht mehr maßgebend und wird nur
wegen seiner bisherigen Bedeutung aufgeführt.57
Grundsatz 2 bringt zum Ausdruck, dass die vorvertragliche Aufklärung auf dem Prinzip von
Treu und Glauben basiert58. Denn man darf auf Angaben, die der andere macht, vertrauen
und muss sie nicht im Einzelnen nachprüfen, um nicht dem Einwand von Mitverschulden
ausgesetzt zu sein.59
Zusätzlich zu den eben genannten Grundsätzen haben sich außerdem noch mehrere in
Rechtsprechung und Literatur entwickelt:
Grundsatz 3
Jede Partei muss sich grundsätzlich selbst über Marktverhältnisse, also Chancen und
Risiken, informieren60. Liegen jedoch besondere, individuelle Umstände vor, die nur einer
Partei bekannt61, jedoch wesentlich für die Entscheidung des anderen sind, dann muss der
Wissende den Unwissenden über diese Umstände aufklären.62
Grundsatz 4
Bereits mit dem ersten Kontakt des Franchisegebers und des potentiellen Franchisenehmers
entsteht ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis, welches eine Aufklärungspflicht des
Franchisegebers begründet.63
Grundsatz 5
Dabei gilt für den Franchisegeber, dass er den Franchisenehmer vollständig, wahr-
heitsgemäß und unmissverständlich aufzuklären hat64 und diese Informationen schriftlich
www.advogarant.de/Infocenter/Rechtsinfo/Wirtschaftsrecht/Allgemein/Franchising1.html, [2.12.2008]. 54 Vgl. OLG München, NJW 1994, S. 667 (667). 55 Ebenda. 56 Vgl. OLG Schleswig, NJW 2009, S. 64 - 66. 57 Zu beachten dazu auch Grundsatz 13 (unten). 58 Vgl. Deutscher Franchising Service, Franchisegeber müssen sich in Acht nehmen!, Vorvertragliche Aufklärungspflichten: Das muss Ihnen der Franchisegeber vor Vertragsschluss sagen, 2005, www.consultor.de/download/steuer-recht1205.pdf, [29.10.2008], S. 1. 59 Vgl. OLG München, NJW 1994, S. 667 (667). 60 Vgl. Böhner, a.a.O., S.1750. 61 Hier alles bezüglich des Franchisesystems bzw. der Person des Franchisenehmer. 62 Vgl. Böhner, a.a.O., S.1750. 63 Vgl. Franchisestarter, a.a.O.
95
vorlegen muss65. Wenn man von beidseitiger Aufklärungspflicht ausgeht, ist auch umgekehrt
zu beachten, dass der Franchisenehmer den Franchisegeber richtig und vollständig
aufzuklären hat66.
Grundsatz 6
Insbesondere darf der Franchisegeber bei der Anwerbung sein System nicht erfolgreicher
darstellen als es tatsächlich ist und falsche Vorstellungen über das System erwecken.67
Grundsatz 7
Der Umfang, in dem der Franchisegeber den Franchisenehmer aufzuklären hat, hängt davon
ab, welchen Informationsbedarf und welche Möglichkeiten der eigenen
Informationsbeschaffung der Franchisenehmer hat und welche Informationsmöglichkeiten
und welche Funktion dem Franchisegeber zuzuschreiben sind68.
Grundsatz 8
Wenn der Franchisegeber mit besonderen Eigenschaften des Systems wirbt, ist er auch zu
einer besonderen im Sinne von umfangreicherer Aufklärung verpflichtet.69
Grundsatz 9
Der Franchisegeber hat dem Franchisenehmer eine Kalkulationsgrundlage zu liefern, die auf
Testdaten von Pilotbetrieben bzw. von vergleichbaren Franchisebetrieben beruht.70 Sie muss
Erfahrungswerte bezüglich Umsatz, Investitionen und Erträgen von bisherigen
Franchisebetrieben widerspiegeln71 und für den Franchisenehmer nachvollziehbar sein.72
Grundsatz 10
Existiert keine Erprobung und damit keine Testdaten, hat dies der Franchisegeber
anzugeben.73 Es dürfen keine Testdaten geschätzt werden74.
4.4. Grenzen der Aufklärungspflicht
Grundsatz 11
Grundsätzlich muss der Aufklärungspflichtige nur über das aufklären, was er auch selbst
weiß75. Er ist also nicht verpflichtet, Informationen zu beschaffen, um sie dann ohne weiteren
Eigennutzen weiterzugeben.76
64 Vgl. Franchisingrecht (o.V.), DB 2003, S.1055. 65 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 66 Vgl. Weiß, a.a.O. 67 Vgl. OLG Hamburg,, DB 2003, S. 1054 (1055). 68 Vgl. Böhner, a.a.O., S. 1750. 69 Vgl. Goebel, a.a.O. 70 Vgl. Böhner, a.a.O., S.1749. 71 Vgl. Böhner, a.a.O., S.1749; Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3100. 72 Giesler, a.a.O. 73 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3102. 74 Vgl. OLG Hamburg, DB 2003, S. 1054 (1055). 75 Vgl. Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3101. 76 Vgl. Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3101.
96
Grundsatz 12
Die Aufklärung darf durch den Franchisenehmer nicht als Erfolgs- bzw. Rentabilitätsgarantie
verstanden werden.77 D.h. die Aufklärung soll dem Franchisenehmer nicht die Entscheidung
und damit das unternehmerische Risiko abnehmen, was durch eine Garantie der Fall wäre.78
Grundsatz 13
Dem Franchisegeber wird nicht die Funktion des Unternehmensberaters zuerkannt. Das hat
zur Folge, dass der Franchisegeber nicht verpflichtet ist, den Franchisenehmer umfassend
über die Rentabilität der Franchisekonzeption aufzuklären.79
Grundsatz 14
Betriebsgeheimnisse und wesentliche Teile des Know-How müssen nicht vorvertraglich
preisgegeben werden.80
5. Schaffung von Informationssymmetrie vor Vertragsschluss
Ausgehend von der Notwendigkeit der Aufklärung, d.h. der Schaffung von Infor-
mationssymmetrie81, soll nun zusammengestellt werden, was diese charakterisiert und wie
sie im Detail geschaffen werden kann.
5.1. Allgemeine Bestandteile der Informationssymmetrie
Wodurch ist nun Informationssymmetrie gekennzeichnet? Informationssymmetrie drückt aus,
dass theoretisch alle exakt die gleichen Informationen haben. Da dies in der Praxis durch die
Eigenschaften des unvollkommenen Marktes (fehlende Markttransparenz), durch den
Wirtschaftsliberalismus und durch die Aufklärungspflichten nicht vollständig möglich ist, kann
man auch von Informationssymmetrie ausgehen, wenn beide diejenigen Informationen des
anderen haben, die sie zu einer Entscheidung mit abschätzbaren Folgen benötigen - wenn
das Wissensgefälle also minimiert wird und sie eine Entscheidung bei Kenntnis der
gegebenen Sachverhalte und abschätzbaren Einflussfaktoren treffen können.
Welche Informationen das nun im Detail, auf das Franchisesystem bezogen, sind, wird im
Folgenden zusammengestellt. Dabei werden erst die Sachverhalte aufgezählt, über die der
Franchisegeber grundsätzlich aufzuklären hat. Danach werden dann in Form von drei
Fallunterscheidungen Einschränkungen bzw. Erweiterungen des Umfangs vorgenommen.
Zusätzlich wird erläutert, ob diese von den Aufklärungspflichten gedeckt werden oder nicht.
Für den Fall der Nichtdeckung soll eine Empfehlung zur Informationsbeschaffung gegeben
werden.
77 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3099. 78 Vgl. Weiß, a.a.O. 79 Vgl. OLG Schleswig, NJW 2009, S. 64 - 66. 80 Braun, a.a.O., S. 504. 81 Vgl. oben, 3.2.
97
5.2. Informationsbedarf des Franchisenehmers
5.2.1. Grundsätzlicher Informationsbedarf
Wie bereits unter 3.2 erläutert, benötigt den Franchisenehmer alle Informationen, um
Ausgaben und Einnahmen gegenüberstellen, also die Zeit der Anfangsverluste82 und die
Dauer bis zur Gewinnschwelle83 abschätzen zu können. Zusätzlich muss er das
unternehmerische Risiko und mögliche Risikoeinflussfaktoren antizipieren können. Für die
Gegenüberstellung von Ausgaben und Einnahmen kann der Franchisenehmer gemäß
Grundsatz 5 eine Kalkulationsbasis vom Franchisegeber verlangen, die wahrheitsgemäß,
unmissverständlich, schriftlich formuliert und vollständig sein muss. Außerdem muss sie auf
Daten eines Testbetriebes bzw. eines vergleichbaren Franchisebetriebes beruhen und für
den Franchisenehmer nachvollziehbar sein84. Die Kalkulationsbasis soll dem
Franchisenehmer ermöglichen, seine Gewinnchancen85 prognostizieren zu können.
Deswegen muss sie grundsätzlich folgende Daten enthalten:
- Höhe der Eintritts- und Franchisegebühr86,
- Höhe der Anfangsinvestitionen (u. a. in Form von Ladenausstattung, Anmietung eines
Büros, Personal etc.)87,
- Arbeits- und Kapitaleinsatz88
- Höhe der Mindestumsätze89,
- Umsatz- und Gewinnerwartungen90,
- Umsatz-, Kosten- und Ertragserwartungen der einzelnen Systembetriebe91,
Doch die Angaben können entweder aufgrund von Motiv 1 (Anwerbung) des
Franchisegebers falsch oder aufgrund von Motiv 2 unvollständig sein oder aufgrund von
Motiv 3 (Gewinnung trotz fehlender Daten) nicht auf Testdaten basieren. Dies soll zwar
durch die Grundsätze 5, 9 und 10 verhindert werden, doch ist eine Falschangabe dennoch
möglich. Da aber eine realistische Prognose für den Franchisenehmer von existentieller
Bedeutung92 ist, weil eine falsche Basis der Prognose dazu führen kann, dass die
Gewinnschwelle weiter nach hinten verschoben wird, so dass der Franchisenehmer seine
Verluste nicht mehr decken kann und folglich seinen Betrieb aufgeben muss, sollte der
Franchisenehmer versuchen, das Risiko einer Falschangabe zu verringern. Das kann er
82 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 83 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 84 Vgl. Franchisingrecht, DB 2003, S.1056. 85 Vgl. Franchising.de, Franchising–Vorvertragliche Aufklärung, www.franchising.de/aufklaerung.html [29.10.2008]. 86 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3100. 87 Mattmüller, a.a.O., S. 194. 88 Deutscher Franchising Service, a.a.O., S.2. 89 Franchising.de, Der richtige Franchisegeber, a.a.O. 90 Braun, a.a.O., S. 504. 91 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3100. 92 Vgl. Goebel, a.a.O.
98
z.B., wenn er sich bei bereits etablierten Franchisenehmern informiert93, inwieweit die
Kalkulationsbasis auf realistischen Zahlen beruht und ob der Franchisegeber tendenziell vor
Vertragsschluss wahrheitsgemäße und vollständige Angaben macht. Außerdem könnte sich
der Franchisenehmer selbst erkundigen, wie viele Franchisenehmer des Franchisesystems
bereits am Markt existieren94.
Um mögliche Risiken bei der Kalkulation einbeziehen zu können, benötigt der
Franchisenehmer vom Franchisegeber Informationen über
- die Wirkungsweise und Erfolgsaussichten95 des Franchisesystems96,
- seine Leistungen und Vorteile97,
- die finanzielle Lage des Franchisegebers98 (z.B. in Form von Bankreferenzen99),
- die Anzahl erfolgreich bestehender Franchisebetriebe100,
- die Scheiterungsquote bzw. die Fluktuationsrate101,
- Wesen und Funktionsweise des Marketing- und Werbekonzepts102
- die Abhängigkeit des Konzeptes vom Standort,
- die aktuelle, wirtschaftliche Position am Markt103
zu informieren. Diese Punkte sind unter dem Begriff alle für das Franchiseverhältnis
wesentlichen Umstände104 enthalten und somit von den Aufklärungspflichten gedeckt. Dabei
ist strittig, ob in der umfassenden Aufklärungspflicht des Franchisegebers die Lieferung einer
Standortanalyse, also eine Eignungsempfehlung des Standortes und die Angabe über
Kunden- und Konkurrenzexistenz enthalten ist. Es gibt Meinungen, die das bejahen105.
Dagegen spricht aber zum einen, dass gem. Grundsatz 3 davon auszugehen ist, dass sich
der Franchisenehmer selbst diese Information am Markt beschaffen kann, da sie von der
Umwelt abhängt und nicht allein vom Franchisegeber106, und zum anderen, dass der Fran-
chisegeber diese Standortanalyse selbst beschaffen müsste, was gemäß Grundsatz 11 nicht
seine Pflicht ist.107 Denn er hat zwar Aufklärungspflichten, aber diese stellen keine
Informationsbeschaffungspflichten dar.108
93 Vgl. Böhner, a.a.O., S.1750. 94 Vgl. Hanrieder, Manfred, Franchising – Planung und Praxis, Neuwied, 1991, S. 63. 95 Erfolgsaussichten müssen gemäß dem Urteil des OLG Schleswig vom 22.1.2008 (NJW 2009, S. 64 - 66) nicht vom Franchisegeber vermittelt werden. Der Franchisenehmer sollte sich daher diese Information selbst am Markt, z.B. von anderen Franchisenehmern des Systems, beschaffen. 96 OLG München, BB 2001, S. 1759 (1760). 97 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3100. 98 Syncon, International Franchise Consultants Österreich, a.a.O. 99 Syncon, International Franchise Consultants Österreich, a.a.O. 100 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3100. 101 Franchising.de, Der richtige Franchisegeber, a.a.O. 102 Vgl. Goebel, a.a.O. 103 Schimansky, Annika, Der Franchisevertrag nach deutschem und niederländischem Recht, 2003, S. 301. 104 Ethikkodex, Ziffer 3.3. 105 Vgl. Braun, a.a.O., S. 505. 106 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3101. 107 Vgl. Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3101. 108 Giesler/ Güntzel, a.a.O., S. 3101.
99
Bezüglich der Risikoabschätzung ist zusätzlich Grundsatz 8 zu beachten, der zur Folge hat,
dass, wenn der Franchisegeber mit besonderen Erfolgsmöglichkeiten wirbt, er auch
besonders zur Aufklärung über gescheiterte Franchisenehmer verpflichtet ist109. In diesem
Fall würde der Franchisegeber dem Franchisenehmer zusätzlich nennen müssen, wer und
warum gescheitert ist110.
Neben Informationen zu Gewinnchancenbeurteilung und Risikoabschätzung muss der
Franchisenehmer zu seiner wirtschaftlichen Entscheidung richtige und umfassende
Informationen über das Wesen des Franchisegebers erhalten. Solche Informationen sind
- Gründung, Entwicklung und Verbreitung des Franchisesystems111,
- Firmenname112,
- Sitz113,
- Handelsregisterauszug bzw. Gewerbeanmeldung114,
- Personen mit Entscheidungsbefugnis115 und
- Schutz- oder Urheberrechte des Franchisegebers116.
Es könnte jedoch aufgrund des zweiten Motivs des Franchisegeber (Angst vor Konkurrenz)
und Grundsatz 14 nicht dazu kommen, dass der Franchisenehmer umfassend vor
Vertragsschluss über das Wesensmerkmale des Systems aufgeklärt wird. Es muss also ein
Mittelmaß der Franchisegeber-Aufklärung gefunden werden117, so dass der Franchisegeber
vorvertraglich nicht alles preisgibt, der Franchisenehmer aber trotzdem darüber informiert ist,
wie er seine Gewinne künftig erzielen kann.
Da für eine Falschangabe dieser Punkte keine Motive gefunden wurden, werden sie als
unproblematisch angesehen und nicht weiter erläutert.
Alle genannten Informationen zur Antizipation von Gewinnchancen und
Risikoeinflussfaktoren und Informationen zum Franchisesystem an sich benötigt der
Franchisenehmer regelmäßig, um eine wirtschaftliche Entscheidung treffen zu können. Doch
gem. Grundsatz 7 hängt die Aufklärungspflicht auch vom Informationsbedarf des
Franchisenehmers ab. Dazu werden drei Fallunterscheidungen dargestellt.
5.2.2. Abweichender Informationsbedarf des Franchisenehmers, der Existenzgründer
ist
Der Informationsbedarf des Franchisenehmers im Sinne des Grundsatzes 5 bestimmt sich u.
a. dadurch, ob er Existenzgründer, also Verbraucher gemäß § 13 BGB, oder bereits
109 Vgl. Goebel, a.a.O. 110 Vgl. Goebel, a.a.O. 111 Schimansky, a.a.O., S. 301. 112 Schimansky, a.a.O., S. 301. 113 Schimansky, a.a.O., S. 301. 114 Schimansky, a.a.O., S. 301. 115 Vgl. Syncon, International Franchise Consultants Österreich, a.a.O. 116 Ethikkodex, Ziffer 1. 117 Vgl. Goebel, a.a.O.
100
Kaufmann, also Unternehmer nach § 14 BGB ist118. Denn als Verbraucher wird man durch
das Gesetz als stärker schutzbedürftig erachtet119. Folglich ist der Informationsbedarf eines
existenzgründenden Franchisenehmers wesentlich höher als eines bereits unternehmerisch
tätigen. Das hat zur Folge, dass die Aufklärungspflicht des Franchisegebers mindestens die
unter 5.2.1. enthaltenen Punkte umfassen muss, jedoch weiterreichend sein sollte.120 D.h.
sie sollte um allgemeine Informationen und Hilfestellungen bezüglich der unternehmerischen
Tätigkeit ergänzt werden. Im Gegensatz dazu sind die unter 5.2.1. genannten Punkte
ausreichend, falls der Franchisenehmer schon als Unternehmer tätig ist.
5.2.3. Abweichender Informationsbedarf des Franchisenehmers, der bereits die
Branche kennt
Der Umfang der Aufklärungsbedürftigkeit hängt außerdem davon ab, ob der Fran-
chisenehmer bereits in der Branche tätig ist, und somit schon branchenspezifisches Wissen
hat, oder nicht.121 So hat der Franchisegeber ihn ausführlicher122 über die Wirkungsweise
des Konzeptes und der Position des Systems auf dem Markt aufzuklären, wenn er
branchenfremd ist. Bei Branchenkenntnis kann also davon ausgegangen werden, dass der
Franchisenehmer bereits einschätzen kann, wie das System am Markt steht, und muss
folglich nicht so ausführlich darüber aufgeklärt werden.
5.2.4. Abweichender Informationsbedarf des Franchisenehmers, der das
Franchisesystem bereits kennt
Ein Extremfall der Branchenkenntnis liegt vor, wenn der Franchisenehmer bereits das
System kennt. Das kann z.B. der Fall sein, dass er ein ehemaliger Mitarbeiter des
Franchisegebers ist123, der sich nun als Franchisenehmer selbstständig machen möchte. In
diesem Falle tendiert sein Informationsbedarf gegen Null und damit ist er nicht
aufklärungsbedürftig124. Demnach ist der Franchisegeber nicht verpflichtet, über alle unter
5.2.1. genannten Punkte aufzuklären.
5.3. Informationsbedarf des Franchisegebers
5.3.1. Grundsätzlicher Informationsbedarf
Wie bereits unter 3.2 erwähnt, benötigt der Franchisegeber Angaben über den
Franchisenehmer, um einen geeigneten Partner auswählen zu können. Geeignet ist der
Franchisenehmer, der aufgrund seiner beruflichen Fähigkeiten und finanziellen
118 Vgl. Advogarant, a.a.O. 119 Vgl. Giesler, a.a.O. 120 Vgl. Giesler, a.a.O. 121 Vgl. Goebel, a.a.O. 122 Vgl. Goebel, a.a.O. 123 Vgl. Franchisestarter, a.a.O. 124 Vgl. Franchisestarter, a.a.O.
101
Möglichkeiten125 in der Lage ist, den Franchisebetrieb eigenständig zu führen und der
bemüht ist, sich für das Wachstum seines Franchise-Betriebes126 und die Wahrung der
gemeinschaftlichen Identität und des guten Rufs des Gesamtsystems einzusetzen.127 Um
das vor Vertragsschluss möglichst gut beurteilen zu können, schuldet der Franchisenehmer
dem Franchisegeber gemäß Grundsatz 5 i.V.m. Grundsatz 3 wahrheitsgemäße und
vollständige Angaben über
- sich und seine Bereitschaft, in das Gesamtsystem zu investieren128,
- seine persönlichen Eigenschaften (Kompetenz, Fleiß, Sorgfalt, Fairness, Offenheit,
Ehrlichkeit)129,
- seine beruflichen Qualifikationen130 und
- seine finanziellen Möglichkeiten131.
Die Informationspflicht des Franchisenehmers über diese Sachverhalte wird zwar durch
Grundsatz 3 und 5 gedeckt, doch kann sich der Franchisegeber aufgrund der Existenz des
Motiv 2 des Franchisenehmers nicht vollständig sicher sein, dass der Franchisenehmer
wahrheitsgemäße Angaben macht. Um dennoch einen geeigneten Franchisenehmer
auszuwählen, kann der Franchisegeber den Betrag seiner Eintrittsgebühr so hoch setzen,
dass nur derjenige Franchisenehmer dem System beitritt, der langfristig gewillt ist, in das
System zu investieren, da sich sonst die hohe Eintrittsgebühr für ihn nicht rechnet.132
5.3.2. Abweichender Informationsbedarf des Franchisegebers, der den
Franchisenehmer bereits kennt
Wenn der Franchisenehmer dem Franchisegeber bereits bekannt ist, weil dieser schon
einmal für ihn gearbeitet hat, so kann man analog zu 5.2.4 festhalten, dass auch dann die
Aufklärungspflichten des Franchisenehmers gegen Null tendieren.
6. Zusammenfassung
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es zwar in Deutschland keinen speziellen
gesetzlichen Rahmen für Franchising gibt, doch sind die wesentlichen Vorgaben durch das
BGB, den Ethikkodex des Deutschen Franchisingverbandes und durch Vorgaben aus
Literatur und Rechtsprechung vorhanden. Es erfordert jedoch für die unerfahrenen
Franchisenehmer und -geber einigen Aufwand, diese in vollem Ausmaß zu erfassen.
Deshalb wurde hier Arbeit versucht, eine Zusammenstellung der aufklärungspflichtigen
125 Vgl. Weiß, a.a.O. 126 Ethikkodex, Ziffer 2.3. 127 Vgl. Mattmüller, a.a.O., S. 195. 128 Vgl. Mattmüller, a.a.O., S. 197. 129 Jungwirth, Birgit, Franchising, Chancen und Risiken aus Sicht österreichischer Franchise-Nehmer, Wien, 1994, S. 78. 130 Vgl. Goebel, a.a.O. 131 Vgl. Goebel, a.a.O. 132 Vgl. Fleischer, a.a.O., S.95 – 98; Mattmüller, a.a.O., S.196 - 198.
102
Sachverhalte zu schaffen und den Leser dafür zu sensibilisieren, dass aufgrund
verschiedener Motive der jeweiligen Marktteilnehmer, aber auch durch bestimmte exogene
Größen (Wirtschaftsliberalismus, Grenzen der Aufklärung) eine vollständige
Informationssymmetrie nicht möglich ist.
103
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104
II. Rechtsprechung OLG Hamburg, Urteil v. 30.12.2002 – 5 U 220/01, DB 2003, 1054-1056 OLG München, Urt. v. 16.09.1993 – 6 U 5495/92, NJW 1994, 667-668 OLG München, Urt. v. 24.4.2001 - 5 U 2180/00, BB 2001, 1759-1762 OLG Schleswig 22.01.2008 - 1 W 27/07, NJW 2009, S. 64-66
105
Mediation bei Franchise-Systemen – eine zukunftsweisende Streit-
schlichtung?
Stud. rer. pol. Andreas Löwe
1. Einleitung
Franchise-Systeme stellen heute eine etablierte Form wirtschaftlicher Kooperation dar. Der
Begriff des Franchising ist nicht abschließend eindeutig geklärt, in der Regel finden sich aber
Begriffserklärungen wie die folgende Definition von Erich Kaub:
„Franchising ist ein vertikal-kooperativ organisiertes Absatzsystem rechtlich selbstständiger
Unternehmen auf der Basis eines vertraglich geregelten Dauerschuldverhältnisses. Dieses
System tritt am Markt einheitlich auf und wird geprägt durch das arbeitsteilige
Leistungsprogramm der Systempartner sowie durch ein Weisungs- und Kontrollsystem zur
Sicherung eines systemkonformen Verhaltens. […] Der Franchise-Nehmer ist im eigenen
Namen und für eigene Rechnung tätig; er hat das Recht und die Pflicht, das Franchise-Paket
gegen Entgelt zu nutzen. Als Leistungsbeitrag liefert er Arbeit, Kapital und Information“.1
Allein in Deutschland existieren ca. 200 Franchise-Systeme.2
Wie man der o.g. Definition entnehmen kann, besteht in der Regel eine engere Beziehung
zwischen Franchisegeber (FG) und Franchisenehmer (FN) sowie zwischen den Franchise-
nehmern untereinander, und wie alle Beziehungen kann auch diese durch Konfliktfälle
erheblich beeinträchtigt werden, woran selbst klare Bestimmungen innerhalb der Franchise-
Verträge nichts ändern mögen.
Dabei hat sich ergeben, dass eine gerichtliche Klärung der Streitigkeiten nicht immer die
beste Lösung im Sinne der Parteien bedeutet, die oft eine längere Zusammenarbeit vor sich
liegen haben und denen deshalb an einem intakten Verhältnis zueinander gelegen sein
sollte.
Aus diesem Grunde und anderen treffen auch hier Möglichkeiten der außergerichtlichen
Streitbelegung immer häufiger auf offene Ohren.3
Zu diesen neuen Verfahren zählt auch die Mediation, um die es in dieser Arbeit vorrangig ge-
hen soll. Dabei wird sie zunächst im Rahmen der außergerichtlichen Streitbeilegung darge-
stellt nach Begrifflichkeit, Funktionsweise und Formen, um in einem weiteren Schritt zu un-
tersuchen, inwieweit dieses Verfahren für Franchise-Konflikte geeignet und zukunftsweisend
sein kann - vor allem auch für Deutschland.
1 Zit. nach Wirtschaftskammer Österreichs: Leitfaden zum Franchising, S. 7. 2 Vgl. www.dfv-franchise.de. 3 Vgl. Flohr, Franchise-Vertrag, S. 270.
106
2. Außergerichtliche Streitbeilegung
2.1. Die ADR-Bewegung
Den Ausgangspunkt für die Professionalisierung der verschiedenen außergerichtlichen
Streitbeilegungsmethoden bildete die Ende der 1960-er Jahre in den USA einsetzende ADR-
Bewegung. Die Abkürzung steht für Alternative Dispute Resolution.
Ursache hierfür war die starke Überlastung der US-amerikanischen Gerichte, die spätestens
in den siebziger Jahren zu umfangreichen Diskussionen zwischen Akademikern, Richtern
und Anwälten über Alternativen führte. Dadurch setzte ein Prozess der Suche nach neuen
Konfliktlösungsmodellen ein, die keines Gerichtes bedürfen, wobei zunehmend
interdisziplinär vorgegangen wurde. Die Komplexität aller möglichen Konfliktfäller ließ gar
keine ausschließlich juristische Betrachtung zu, und so fanden u. a. auch kulturanthro-
pologische Ansätze ihren Weg in die Diskussion. Bis 1990 hatten alle Bundesstaaten der
USA wenigstens ein dispute resolution program. Dabei kann ADR ein zwingendes Vorver-
fahren zum Gerichtsprozess oder eine freiwillige Alternative darstellen oder auch die
Normsetzung von Bundesbehörden unterstützen.
Mit der Bewegung gingen auch eine zunehmende Verbreitung des ADR-Angebots im priva-
ten Sektor und die Professionalisierung in diesem Bereich einher.4
2.2. Formen von ADR
Im Wesentlichen unterscheidet man bei ADR zwischen drei verschiedenen Hauptverfahren:
Arbitration, Negotiation und Mediation bzw. Schiedsgerichtsbarkeit, Verhandlung und Me-
diation. Diese bilden die drei Grundsäulen von ADR.5
Bei der Schiedsgerichtsbarkeit unterscheiden sich Schiedsgericht und Schiedsgutachten.
Auf deutsche Verhältnisse bezogen gehört ersteres zu den bindenden Verfahren, da ein
Schieds-Spruch gem. § 1055 ZPO einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht, was für letzteres
nicht zutrifft, weshalb es zu den nichtbindenden Verfahren zählt. Bei den privaten
Schiedsgerichten ist weiterhin zwischen nationalen und internationalen sowie ad hoc und
institutionell gebildeten zu unterscheiden. Ad hoc-Schiedsgerichte geben sich eine eigene
Verfahrensordnung, während letztere die nach den Regeln einer Institution verfahren.
Schiedsgutachten betrachten nur einen Teilaspekt eines Konfliktes und klären seine
Tatbestandsmerkmale oder sie entscheiden kleinere Streitigkeiten um einzelne Belange und
klären diese verbindlich. Die Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit liegen vor allem in der Ein-
instanzlichkeit, der Möglichkeit, auf gewisse gerichtliche Formalitäten verzichten zu können,
und ggf. einer internationalen Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs.6
4 Vgl. Breidenbach: Mediation. Struktur, Chancen und Risiken von Vermittlung im Konflikt, S. 11 - 13, 21. 5 Vgl. Mannhart: Mediation im System der außergerichtlichen Streitbeilegung dargestellt anhand von Patent-rechtsstreitigkeiten, S. 28. 6 Vgl. Mannhart, aaO, S. 43 - 52 und Giesler: Franchising und Recht. Streitlösung in Franchise-Systemen.
107
Verhandlungen verfolgen das Ziel einer souveränen selbstständigen Konfliktlösung unter
den Parteien ohne Einfluss von außen. Zu unterscheiden sind hier vor allem Macht-, Recht-,
Interessen- und Transformationsansatz. Beim Machtansatz treten die Parteien als Konkur-
renten auf und versuchen die für sie jeweils beste Lösung herauszuholen, ohne große Rück-
sicht auf den anderen zu nehmen - der Stärkere gewinnt. Dabei kann es auch zum Einsatz
extrem unfairer Mittel kommen, welche u. U. die Grenzen der Legalität sprengen. Der
rechtliche Ansatz versucht das Machtspiel zu dämmen und gewisse Regeln einzuführen,
wobei man sich am geltenden Recht orientiert. Dahinter steht der Gedanke, dass das Recht
ja genau zu diesem Zwecke gesetzt wurde. Es geht also um die schlichte Einhaltung der
rechtlichen Normen, ohne gerichtliche Verfahren erforderlich zu machen. Im interessen-
basierten Ansatz suchen die Parteien bei der Verhandlung nach einer Lösung, die ihre
dahinter stehenden tieferen Interessen befriedigt, d.h. dass eine Verhandlung hier nicht nur
auf die Einigung bezüglich konkreter Streitsachen abzielt, sondern versucht, das Wesen der
Standpunkte zu ergründen und sie in entsprechend kooperativer Weise und ggf. auch
langfristig in eine gemeinsame Lösung münden zu lassen. Hinter konkreten Forderungen
stehen hierbei grundsätzlichere Belange, die auch anders befriedigt werden können.
Verhandlungen nach dem transformativen Ansatz wollen die Konflikthandhabung grundle-
gend verändern und verbessern. Hier wird vor allem Wert auf das moralische und
persönliche Wachsen der Parteien gelegt, das es ihnen ermöglichen soll, ihre Kommu-
nikationskanäle qualitativ deutlich zu heben.7
Den Ansätzen liegen folgende Verhandlungsstrategien zugrunde: Vermeidung (den Konflikt
ignorieren und schweben lassen), Anpassung (großen Wert auf die Beziehung legen und
eigene Belange dafür zurückstecken), Konkurrenz (Machteinsatz), Kompromiss (gegen-
seitige Abstriche für faire Lösung, ohne komplette Zufriedenheit zu erreichen) und Kollabo-
ration/Kooperation (Suche nach für beide Seiten gewinnbringender Lösung).8
Verhandlungen stellen mehr oder weniger die Grundform der Konfliktbeilegung dar, die auch
der Mediation zugrunde gelegt wird. Aus diesem Grunde sind o. g. Ansätze ebenso für die
Mediation relevant, da der Mediator seine Tätigkeit nach ihnen ausrichtet. Natürlich treten
diese Formen selten in Reinform auf und vermischen sich in der Regel - schon gar nicht ha-
ben die Parteien diese konkreten Konzepte im Hinterkopf, wenn sie verhandeln -, trotzdem
ist ihre isolierte Betrachtung erforderlich, um die einzelnen Aspekte des Konfliktverhaltens
der Parteien ausfindig zu machen, zu verstehen und zu analysieren, damit ihnen, falls
angebracht, angemessen begegnet werden kann.
Die dritte Grundsäule stellt, wie bereits erwähnt basierend auf der Verhandlung, die Media-
tion dar, welche unten im dritten Abschnitt ausführlicher behandelt werden wird.
7 Vgl. Barsky: Conflict Resolution for the Helping Professions, S. 64 – 66. 8 Vgl. Barsky aaO, S. 42 – 43. und Mannhart, aaO, S. 61 – 63.
108
Weiterhin existieren in den USA fünf speziellere Verfahrenstypen. Dies sind: court-annexed
arbitration, early neutral evaluation, summary jury trial, special master und mediation.9 Die
Verfahren sind sich alle sehr ähnlich, sollen hier aber mit Rücksicht auf die Begrenzung der
Thematik nicht behandelt werden.
2.3. Zweck außergerichtlicher Streitbeilegung
Welche Motive sind ausschlaggebend für die zunehmende Durchsetzung außergerichtlicher
Konfliktlösungswege? Dahinter stecken sowohl wirtschaftliche, individuell-private als auch
gesamtgesellschaftliche Interessen.
Im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sinne wichtig ist in jedem Falle eine Entlastung
der Justiz. Lange Prozesszeiten sind anstrengend, aufwändig und in der Regel äußerst kos-
tenintensiv, wobei gerade Deutschland in diesem Punkt am besten organisiert ist und mit
einem recht effektiven Justizsystem aufwarten kann.10 Trotzdem kann es nicht schaden,
wenn eine Selektion durch außergerichtliche Verfahren dazu führt, dass nur wesentliche Fäl-
le vor Gericht landen, denn damit ist auch eine qualitativ höherwertige inhaltliche Auseinan-
dersetzung durch die Richter mit diversen Problematiken besser gewährleistet. Für den
Einzelnen entstehen ebenfalls durch Gerichtsverfahren zum Teil erhebliche Kosten, was
gerade in schlechter wirtschaftlicher Situation - ob nun als Kleinunternehmen oder privater
Haushalt - sehr problematisch werden kann, so dass den Betroffenen an einer weniger kos-
tenintensiven Möglichkeit gelegen sein muss. Kosten können auch emotionaler Natur sein
und sehr belastend wirken. Für Unternehmen und auch Individuen mag ebenfalls die Stär-
kung der Privatautonomie wichtig sein. Im pragmatischen Sinne bedeutet dies eine bevor-
zugte Selbstkontrolle, d.h. auch Bedingungen der Vertraulichkeit und Konfliktbeile-
gungsprivatisierung in größtmöglichem Umfang durch Unternehmen, wirtschaftliche
Verbände, Haushalte etc. Ideologisch betrachtet, steckt hinter diesem Gedanken der Wille
zur Realisierung einer Zivilgesellschaft, in der informelle Absprachen gegenüber dem impe-
rativen Recht gestärkt und die Privatautonomie als natürlicher menschlicher Wesenszug her-
vorgehoben werden sollen. Damit einher geht wiederum die Vorstellung von der Stärkung
der Gemeinschaft. Durch eine erhöhte Bereitschaft zur und Notwendigkeit der Selbst-
kontrolle sollen die innergesellschaftliche Solidarität und der zwischenmenschliche
Zusammenhalt gestärkt werden. Es wird also implizit vermutet, dass auf diesem Wege auch
der Utopie eines freundlichen und friedlichen Miteinander näher gekommen werden könne,
indem man den Menschen gar keine andere Wahl lässt, als sich immer stärker auf selbst-
ständige Weise zu arrangieren. Das wiederum könnte in die Diskussion um die Machbarkeit
einer Anarchie führen, aber es ist kaum anzunehmen, dass die ADR-Bewegung und ihre
Vertreter so weit denken. Was aber definitiv im Interesse letzterer liegt, ist ein verbesserter
9 Vgl. Breidenbach, aaO, S.13 – 17. 10 Vgl. Mannhart, aaO, S. 6.
109
Zugang zum Recht. Beabsichtigt wird dadurch, dass auch sozial Schwächere oder
Kleinunternehmen angemessen ihre Rechte wahrnehmen können, indem ihnen der Zugang
durch wesentlich geringere Kosten stark erleichtert wird. Allerdings besteht hierbei u. U. das
Problem der Durchsetzbarkeit und Verbindlichkeit außergerichtlicher Einigungen, die zwar
bei Schiedssprüchen weitestgehend gewährleistet ist, aber sich gerade bei
Mediationslösungen, vor allem im grenzüberschreitenden Verhältnis, als recht schwierig
erweisen kann, wie noch zu sehen sein wird, sodass fraglich ist, ob überhaupt ein besser
Rechtszugang erreicht werden kann.11
Weitere Motive für ADR sind eine u.U. angemessenere Erfassung komplexer
Zusammenhänge hinter Konflikten gegenüber dem vereinfachenden Charakter vom Recht.
Das zielt auf die bereits erwähnte Ergründung des Wesens der Interessen ab. Außerdem
werden Konfliktlösungen auf internationaler Ebene durch verschiedene Rechtsordnungen
erschwert, und eine internationale Anerkennung von Urteilen kann keineswegs gewährleistet
werden. Deshalb sollen vor allem Schiedsgerichte und Mediation hier abhelfen, trotz der
angedeuteten fortbestehenden Schwierigkeiten bei letzterer.12 Das Vertrauen in die Ein-
haltung der gemeinsam erreichten Lösung und die Tatsache, dass für die Erarbeitung dieser
Zeit und Kosten aufgewendet wurden, müssen damit ggf. für entsprechende Sicherheiten
sorgen.
Prinzipiell hat ADR erhebliche Vorteile zu bieten, die gerade für die Qualität einer außerge-
richtlichen Konfliktlösung gegenüber einem Gerichtsurteil sprechen. Für die Mediation wird
es aber wichtig sein zu klären, inwieweit durch eine solche Lösung auch Sicherheiten hin-
sichtlich der Einhaltung erreicht werden können.
3. Mediation als außergerichtliches Verfahren
3.1. Begriff
3.1.1. Allgemeine Grobdefinition
Der Begriff der Mediation umfasst sehr viele Aspekte, die auch vom kulturellen Hintergrund
abhängen. Daher ist kaum möglich, eine eindeutige und konkrete Definition zu formulieren.
Das liegt zum einen an dem Begriff selbst, hat jedoch auch mit verschiedenen existierenden
Mediationsformen zu tun.
Im Wesentlichen beschreibt folgende Formulierung den Inhalt aber genügend angemessen:
Mediation stellt ein (in der Regel informelles) Verfahren der außergerichtlichen Streitbeile-
gung dar, bei dem ein neutraler Dritter - der sog. Mediator -, der das Vertrauen der Konflikt-
parteien besitzt, diese bei ihren Verhandlungen auf verschiedene mögliche Weisen unter-
stützt, aber keine Entscheidungsmöglichkeiten inne hat.13
11 Vgl. Mannhart, aaO, S. 7 – 14. 12 Vgl. Mannhart, aaO, S. 15 – 26. 13 Vgl. Mannhart, aaO, S. 79, sowie Breidenbach, aaO, S. 1, und Barsky, aaO, S. 116.
110
3.1.2. Schwierigkeiten klarer begrifflicher Bestimmung
Der Begriff stammt von dem englischen Wort mediation und ist mit der amerikanischen ADR-
Bewegung groß aufgekommen. Grob ins Deutsche übersetzt bedeutet er Vermittlung.
Mediation als Verfahren jedoch hat eine spezifischere Bedeutung. Das deutsche Verständnis
von Mediation entspricht allgemein obiger Definition unter Annahme eines nicht entschei-
dungsbefugten neutralen Dritten. Im englisch-amerikanischen Sprachgebrauch meint me-
diation jedoch nicht nur Mediation im engeren Sinne, sondern auch Vermittlung und Schlich-
tung.14 Schlichtung wiederum ist aber ein recht weit fassbarer Begriff, der alles zwischen ei-
ner Konfliktlösung auf dem Verhandlungswege ohne bindende Entscheidung von außen und
einer direkten verbindlichen Klärung des Streitgegenstandes durch einen Dritten erfassen
kann. Außerdem liegt der unter 3.1.1. gegebenen Definition eine feste Konzeption zugrunde,
die strukturell klar aufgebaut ist, während die Schlichtung keine wirkliche Methodik aufweist.
Damit unterscheidet sich dieser Mediationsbegriff bedeutend vom geläufigen deutschen. Er
bildet lediglich einen Oberbegriff für seine Unterformen, genauso wie Vermittlung nur der
Oberbegriff für die speziellere Mediation im deutschen Sprachgebrauch ist.15
Der englische Begriff wird hier jedoch keine weitere Rolle mehr spielen. Die Orientierung
erfolgt an der deutschen Wortbedeutung, weil gerade die spezifischere Mediationsform für
Franchise-Systeme wohl eher von Bedeutung sein dürfte, wenn Deutschland der wesentliche
Standort ist.
3.2. Mediationsarten
Mediation lässt sich in verschiedene Ausformungen differenzieren. Dabei kommt es darauf
an, welches Differenzierungskriterium gewählt wird. So ist zum Beispiel eine Unterscheidung
nach der Eingriffsintensität des Mediators möglich. Allerdings orientiert sich diese am Ver-
fahren und wird daher erst im nächsten Punkt Beachtung finden. Darüber hinaus wird sie
durch die Zielsetzung des Mediationsverfahrens bestimmt, welche sich im Prinzip aus den
verschiedenen Verhandlungsansätzen und -strategien ergibt, die oben unter 2.2. dargestellt
wurden. Es scheint aus diesem Grunde sinnvoller, das Ziel als Kriterium zu verwenden, da
hierdurch das Wesen des Verfahrens besser erfasst wird. Davon ausgehend ergeben sich
folgende Mediationsformen bzw. -projekte:
3.2.1. Service-Delivery Project
Dieses Verfahren zielt auf eine schnelle und effiziente Beilegung konkreter Konflikte ab.
Hierdurch sollen sowohl für die Konfliktparteien als auch für die Justiz Entlastungen von
Kosten und anderen Belastungsarten erreicht und die unterschiedlichen Interessen der Par-
teien ausreichend befriedigt werden. Der Vergleich wird generell als bessere Alternative zum
14 Vgl. Mannhart, aaO, S. 75. 15 Vgl. Mannhart, aaO.., S. 70 – 71.
111
Gerichtsurteil wahrgenommen. Allerdings läuft es tendenziell eher auf eine schnelle denn
eine qualitativ hochwertige Lösung hinaus, so dass die Effizienz die Qualität weitestgehend
dominiert. Das Maß an Verhandlungsmacht kann hierbei äußerst entscheidend sein. Bei
geringer Ressourcenverfügbarkeit für eine Partei wird die Wahrscheinlichkeit recht groß sein,
dass sie trotz möglicher guter Aussichten in einem Gerichtsverfahren dieses meidet, weil sie
zum einen ein Verfahren nicht finanzieren will und zum anderen das Bedürfnis nach einer
schnellen Streitbeilegung - welches auch aus der wirtschaftlichen Situation resultieren mag -
diesen Verhandlungsnachteil noch vergrößert.16
Insofern kann also keineswegs von einer freiwilligen Teilnahme und fairen Voraussetzungen
die Rede sein. Die eine Partei erklärt sich lediglich bereit, weil ihr kaum etwas anderes übrig
bleibt, und es ist unwahrscheinlich, dass ein faires, zufrieden stellendes Ergebnis erreicht
würde. Wiederum stellt sich dann die Frage, ob sie nicht trotzdem das für sie bestmögliche
herausgeholt hat, wenn sie sowieso die Kosten eines Gerichtsverfahrens nicht hätte tragen
können. Gerade aber unter Beachtung der Möglichkeiten der Prozesskostenhilfe und der
Aussicht auf ein begünstigendes Urteil mit Kostenrückerstattung sollte dieses Argument
kaum Bestand haben, wenn man von schwerwiegenden wirtschaftlichen Situationen einer
Partei als mögliches Szenario absieht.
Deshalb dürfte das Service-Delivery Project wohl nur dann geeignet sein, wenn beide
Parteien ähnliche Verhandlungsmacht vorweisen können.
3.2.2. Individual-Autonomy Project
Eine Konfliktlösung unter Selbstbestimmung hat hier absoluten Vorrang. Außerdem sollen
persönliche Fähigkeiten für die Handhabung künftiger Konfliktsituationen im Sinne von Er-
ziehung vermittelt werden. Damit wird die Ausgleichung der inhaltlichen Mängel des Service-
Delivery Project verfolgt. Die Erziehung tritt aber hinter das Autonomiebedürfnis zurück und
würde eher als positiver Nebeneffekt auftreten. Da dieses Verfahren weniger dem Zeitdruck
ausgesetzt ist, bleibt auch mehr Raum für eine intensivere inhaltliche Auseinandersetzung,
bei der der Mediator auch die Möglichkeit hat, möglicherweise vorhandene Nachteile hin-
sichtlich der Verhandlungsmacht durch sein Wirken auszugleichen, wobei er aufpassen
muss, nicht parteiisch zu wirken, um kein Misstrauen bei der anderen Partei zu schüren.
Eine Ausrichtung an Autonomie bedeutet aber auch, dass das Verfahren es hürdenlos
zulassen muss, wenn die Parteien sich doch für einen Gerichtsprozess entscheiden.17
Individual-Autonomy scheint ein stark interessenbasiertes Mediationsverfahren zu sein, wel-
ches große Rücksicht auf die persönlichen Belange der Parteien nimmt und ihre Eigenheiten
akzeptiert. Damit orientiert es sich auch eher an einer echten inhaltlichen Annäherung,
welche das Verhältnis der Parteien integriert, lässt auf der anderen Seite den Parteien aber
16 Vgl. Breidenbach, aaO, S. 119 und 213 – 222. 17 Vgl. Breidenbach, aaO, S. 120 und 224 – 232.
112
jegliche Freiheiten, sich vom Verfahren abzuwenden. Weiterhin bemüht es sich,
Verhandlungsmacht zu begegnen. Aus diesen Gründen ist es für langwierige Beziehungen
zwischen den Konfliktparteien sehr gut geeignet.
3.2.3. Access-To-Justice Project
Wie bereits der Name sagt, beabsichtigt diese Form einen besseren Zugang der Parteien
zum Recht - in der Regel, wenn ein Gerichtsverfahren einfach zu teuer werden würde.
Dass informelle Verfahren leichter zugänglich sind, stellt wohl ein Faktum dar. Aber ob durch
Mediation ein besserer Rechtszugang ermöglicht werden kann, ist ziemlich fragwürdig. Denn
wo Verhandlungsmacht die Überhand gewinnt, wird die Aussicht, „zu seinem Recht zu kom-
men“, wieder zunichte gemacht, da der Mediator den schwächeren Part auch nicht unter-
stützen kann, wenn er nicht der Manipulation und Parteilichkeit beschuldigt werden will und
damit das Verfahren gefährden möchte.18
Natürlich könnte man an dieser Stelle einwenden, dass der Mediator beim Individual-Auto-
nomy Project den Schwächeren doch auch unterstützen darf. Der Unterschied besteht aber
darin, dass die Parteien dort auch ein stärkeres Interesse an ihrer Beziehung und Autonomie
der Konfliktlösung haben, während mindestens eine Partei beim Access-To-Justice lediglich
zu ihrem Recht kommen will. Es kommt also mehr auf die Absichten und Motivationen der
Parteien als auf den Mediator an. Genau genommen richtet der Mediator sein Agieren ten-
denziell am Bedürfnis der Parteien aus.
Das Access-To-Justice Project ist aufgrund seiner kaum gegebenen Vorteile außer Acht zu
lassen.
3.2.4. Reconciliation Project
Übersetzt handelt es sich bei Reconciliation um Versöhnung. Eine Mediation, die
Versöhnung beabsichtigt, ist äußerst manipulationsanfällig. Der Mediator kann durch eine
überzogene „Harmonie-Ideologie“ - mit der er den Parteien regelrecht ein schlechtes Gewis-
sen einredet, wenn sie nicht zu einer Einigung kommen, indem er ihnen Ideale des sozialen
Miteinander vorhält - eine Lösung erzwingen und die Parteien dazu bringen, einen Schein-
frieden zu schließen, mit dem wohl keine von beiden im Regelfall nachhaltig zufrieden sein
dürfte.
Reduziert man das Ziel jedoch auf eine bloße Akzeptanz des Standpunktes der anderen
Seite, so gestaltet sich das Ganze schon weitaus realistischer. Dabei gilt es, Vorurteile aus-
zumerzen und die Parteien zu einer insgesamt realistischeren Formulierung der eigenen Po-
sition zu bewegen, die der anderen Seite mehr Verständnis entgegenbringt.19 Damit hätte
man hinsichtlich der Kommunikationsqualität im Konflikt sogar etwas Wesentliches erreicht,
18 Vgl. Breidenbach, aaO, S. 233 – 237. 19 Vgl. Breidenbach, aaO, S. 237 – 242.
113
wobei dies eigentlich auch Bestandteil des Individual-Autonomy Project ist und daher die
Eigenständigkeit des Reconciliation Project in Frage stellt.
Prinzipiell ist aber der Gedanke der Horizonterweiterung der beteiligten Parteien grundsätz-
lich zu bejahen, während eine ultimative Versöhnung abzulehnen ist, da sie maximal als Ne-
benprodukt erreicht werden kann.
3.2.5. Social-Transformation Project
Die Absicht liegt darin, dass durch die Mediation ein Plus für die Gesellschaft entstehen soll,
bspw. bezüglich der allgemeinen Streitkultur. Es ist aber kaum anzunehmen, dass die Par-
teien irgendein Interesse daran haben, ihren persönlichen Privatkonflikt auf eine kollektive
Ebene zu heben, da sie in erster Linie eine Lösung ihres eigenen Problems anstreben. Aus
diesem Grunde müsste der Mediator extrem manipulativ vorgehen und seine wahren Ab-
sichten verbergen, was mit Sicherheit nachteilig für das Verhandlungsergebnis sein würde.20
Ein gesellschaftlicher Zugewinn mag sicherlich wünschenswert sein, erscheint aber vor dem
Hintergrund der Individualität der Konflikte, um die es hier geht, als eigenständiges Ziel äu-
ßerst illusorisch.
Weiterhin lässt sich auch nach ergebnisorientierter und therapeutischer Mediation unter-
scheiden.21 In erstere lässt sich am ehesten Service Delivery und Access To Justice ein-
ordnen, während Reconciliation einen klaren therapeutischen Zweck verfolgt. Individual
Autonomy scheint beide Ansätze vereinen zu wollen und dürfte auch nicht zuletzt deshalb
die größte Aufmerksamkeit verdienen. Im Hinblick auf Franchinsing-Systeme wird es hier
auch um solch einen Medationsansatz gehen, da er Interessen und Beziehungen berück-
sichtigt.
Weiter treten Mischformen22 mit anderen Verfahrenstypen auf, die hier aber keine weitere
Rolle spielen sollen.
3.3. Verfahrensweise
3.3.1. Aufgaben des Mediators und Verfahrensgrundsätze
Der Mediator als „neutraler Dritter“ ist, wie die Bezeichnung schon aussagt, zur Unparteilich-
keit/Neutralität verpflichtet, kann aber, wie bereits oben erwähnt, durchaus Maßnahmen er-
greifen, um die Verhandlungsposition einer schwächeren Partei im Sinne von Fairness zu
verbessern bzw. überhaupt die Verhandlungsbalance zu halten. Er kann die Neutralität auch
verletzen, wenn er in der Einigung einen Verstoß gegen die Öffentliche Ordnung und gelten-
des Recht sieht. Die Neutralität ist also im Kontext anderer wichtiger Belange zu be-
20 Vgl. Breidenbach, aaO, S. 242 – 247. 21 Vgl. Mannhart, aaO, S. 81. 22 Siehe dazu Mannhart, aaO, S.85 – 92.
114
trachten.23 Wichtig ist ebenfalls der allgemeine Grundsatz der Vertraulichkeit.24 Das be-
deutet, dass der Mediator gegenüber Dritten - auch der anderen Partei - Stillschweigen über
Inhalte zu wahren hat, es sei denn, ihm wird die Erlaubnis erteilt, Informationen auch ander-
weitig zu verwenden. Damit sind auch mögliche Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren
eingeschlossen, in denen der Mediator nicht als Zeuge auftreten noch Informationen -
welcher Art und Form auch immer - aushändigen darf.25 Probleme könnte es in Deutschland
hierbei hinsichtlich der Reichweite dieses Grundsatzes geben. Dies betrifft Beweis-
mittelbeschränkungen und Zeugnisverweigerungsrechte. Da hier vornehmlich privatrecht-
liche Konflikte thematisiert werden, findet der Verwaltungsprozess keine Beachtung und
stattdessen werden nur die Bestimmungen des Zivilprozesses betrachtet. Grundsätzlich
findet die Dispositionsfreiheit, abgeleitet aus § 138 Abs. 3 und §§ 288 ff. ZPO, wonach auf
bestimmte Beweismittel verzichtet werden kann, auch Anwendung auf den Mediator. Dazu
bedarf es einer Vertraulichkeitsvereinbarung, wobei Verstöße gegen diese durch Einrede
aufzuzeigen sind. Erfasst sind nur Informationen, an denen ein berechtigtes und erkenn-
bares Interesse der Parteien besteht, wobei dies äußerst subjektiv zu sehen ist, sodass sich
kaum Schwierigkeiten in diesem Punkt ergeben sollten, wenn Vertraulichkeiten protokolliert
werden. Weiterhin kann man davon ausgehen, dass der Mediator in den
Anwendungsbereich des § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO fällt und damit ein Zeugnisver-
weigerungsrecht aus persönlichem Grund hat. In bestimmten Berufsgruppen steht ihm die-
ses so oder so zu.26 Außerdem ist die Vertraulichkeit auch in Art. 7 Abs. 1 der Europäischen
Mediationsrichtlinie geregelt.27 Insofern sollte die Vertraulichkeit im deutschen Zivilprozess
Bestand haben.
Prinzipiell hat sich der Mediator in seinem Agieren aber an die Vorgaben des Mediations-
vertrages zu halten. So hat er bspw. das Ergebnis auf seine generelle Rechtswirksamkeit zu
prüfen, wenn er Rechtsanwalt ist. Zumindest sollte er aber über rechtliches Grundwissen im
jeweiligen Bereich verfügen und durch spezielles Fachwissen die Parteien effizient unterstüt-
zen können. Gerade bei Beziehungskonflikten sind außerdem Kenntnisse aus kommunika-
tionswissenschaftlich-psychologischen Disziplinen, ggf. sogar interkulturelles Wissen, er-
forderlich, um die Verständigung zu unterstützen. Der Mediator sollte auch dafür sorgen,
dass der Blick für die Komplexität eines Konfliktes nicht verloren geht, und Zusammenhänge
zwischen einzelnen Aspekten aufzeigen sowie Emotionen kontrollieren, um Eskalationen zu
vermeiden. Er kann sich dazu sowohl der Einzelgespräche als auch gemeinsamer Sitzungen
bedienen.28
23 Vgl. Breidenbach, aaO, S. 169 - 179 , S. 256 - 258 und 288. 24 Vgl. Art 7 I ICC ADR Rules. 25 Vgl. Art 7 II ICC ADR Rules. 26 Vgl. Mannhart, aaO, S. 144 - 146 und S. 148 – 150. 27 Vgl. Eidenmüller / Prause: Die europäische Mediationsrichtlinie…, S. 6. 28 Vgl. Mannhart, aaO, S. 153 – 162.
115
Je nachdem kann der Mediator in einer interessen- und beziehungsbasierten Mediation eine
Katalysatorrolle einnehmen, wo er für die Einhaltung der Umgangsregeln sorgt, einen chair-
man spielen, welcher lediglich den Prozessablauf bestimmt, oder einen enunciator, der die
Informationsbasis der Parteien zu erweitern sucht, mit Hilfe seines Fachwissens auf Folge-
fragen verweist und das Konfliktwesen analytisch aufzuklären versucht. Als prompter inter-
pretiert und reformuliert er die Aussagen und Positionen der Parteien, um den Konflikt inhalt-
lich zu koordinieren, indem er Aspekte hervorhebt und andere zur Vernachlässigung anregt.
Wenn er jedoch Bewertungen vornimmt, so stellt er einen evaluator dar. Dabei geht es ihm
um eine realistischere Beurteilung der eigenen Positionen durch die Parteien und um
Dämpfung von Erwartungen. Ein leader bringt eigene Einigungsvorschläge, während ein Bo-
te lediglich Informationen überbringt, wobei der Umgang mit diesen und ihre Darlegung
höchst manipulativ geschehen kann.29
Praktisch werden diese sieben Rollen des Mediators eher gemischt auftreten und ihre Aus-
übung vom Konfliktgegenstand und der jeweiligen Verhandlungsphase abhängen.
3.3.2. Verfahrensablauf
Laut Barsky lässt sich ein Mediationsverfahren in sieben Phasen einteilen30:
In der Vorbereitungsphase werden fast sämtliche Angelegenheiten durch den/die Media-
tor(en) geklärt, die den Rahmen für das Verfahren bilden. Dazu gehören u. a. die Kon-
taktierung der Parteien, die Sicherstellung der Eignung von Mediation, Art und Ort(e) der Sit-
zungen, Kommunikationskanäle, Sicherstellung des Zugangs der Parteien zur Rechts-
beratung, Gespräche mit den Anwälten und anderen Entscheidungsträgern mit Erlaubnis der
Parteien und die Übereinkunft, wer am Verfahren teilnimmt.
Darauf folgt die Orientierungsphase. Hier wird der Mediationsprozess und seine Funktions-
weise vorgestellt. Die Parteien werden über ihre Eigenverantwortung für das Verfahren auf-
geklärt, ein Zeitplan aufgestellt, die Parteien auf ihre Verhandlungsfähigkeiten (z.B.
Machteinsatz, Fairness etc.) getestet, Prozessstandards und -grundsätze verständlich
dargelegt. Weiterhin versucht der Mediator bereits, Vertrauen zwischen den Parteien aufzu-
bauen, Einzelheiten der Mediationsvereinbarung werden geklärt und die Vereinbarung
schließlich geschlossen. Es findet eine Ergründung der Motive der Parteien für die Entschei-
dung zur Mediation statt und wird eine Einschätzung der Art des Konfliktgegenstandes
vorgenommen. Die Parteien können auch zur Planung Stellung nehmen und Einwände
erheben, sich ggf. sogar zurückziehen. Geschieht dies nicht, dann werden sie einzeln für das
Verhandeln befähigt und „trainiert“. In den ersten beiden Phasen sollte der Mediator sich ggf.
29 Vgl. Breidenbach, aaO, S. 150 – 157. 30 Vgl. Barsky, aaO, S.150 – 156.
116
benötigte Fachkenntnisse aneignen und sich mit möglichen Organisationsstrukturen(von
unternehmen) vertraut machen.31
Mit der Problemdefinition beginnt die dritte Phase. In dieser dürfen die Parteien ihre Belan-
ge herauskristallisieren und Gefühle ablassen, wobei der Mediator dem Ganzen Grenzen zu
setzen hat. Er muss über verschiedene Techniken das Verständnis zwischen den Parteien
sicherstellen und gegebene Informationen reflektieren. Die Kernanliegen der Parteien sollte
er verständlich zusammenfassen und Gemeinsamkeiten herausstellen sowie eine Einigung
über den Fortgang des Verfahrens hinsichtlich der Reihenfolge der Abhandlung der Konflikt-
punkte nach Prioritäten erreichen. Es folgt eine Analyse der tiefer liegenden Interessen. Bei
allem hat er möglichst seine Neutralität zu wahren.
Im nächsten Schritt findet eine Erforschung der Interessen und Bedürfnisse statt. Die
Parteien sollen dabei mit Hilfe des Mediators ihre Gefühle zum Problemgegenstand klar
deutlich machen und die der anderen reflektieren. Es ist die Aufgabe des Mediators, sie zum
Informationsaustausch zu ermutigen, ihnen das Gefühl einer sicheren Umgebung zu geben,
ein angemessenes emotionales Klima beizubehalten und die Diskussion auf das für den
Zeitpunkt Wesentliche zu konzentrieren. Eingriffe können hier zur Herstellung der Machtba-
lance, Erwiderung von Emotionen oder Auflösung von Pattsituationen stattfinden.
Auf dieser Basis wird dann die direkte Verhandlung und Problemlösung angegangen, in
der das Ziel einer Einigung geklärt werden soll. Die Thematik wird hier nun spezifischer, und
der Mediator kann „ältere“ Belange, die außer Acht gelassen wurden, wieder auf den Tisch
bringen. Dabei werden die Parteien zu einer Problembetrachtung aus verschiedenen Per-
spektiven animiert, um eine Palette von Lösungen für jeden Aspekt zu entwickeln, unter de-
nen dann die besten bei der Selektion bestehen bleiben. Durch Einbeziehung von Experten
ist dahingehend weitere Unterstützung möglich. Wenn eine kooperative Problembehandlung
funktioniert, kann der Mediator seine Kontrolle über den Prozess auch zunehmend an die
Parteien abgeben. Werden Zugeständnisse vorgeschlagen, so kann er Kompensations-
vorschläge machen. Hinsichtlich emotionaler Aspekte versucht er persönliche Angele-
genheiten von der Verhandlung zu trennen, die Wirkungen des Verhaltens der Parteien auf
die Verhandlung zu verdeutlichen und ggf. auch die Verhandlungsfertigkeiten der Parteien zu
stärken und alle Anliegen diskutieren zu lassen. Des Weiteren gilt es u. U. kulturelle Ver-
ständnisschwierigkeiten zu überwinden, die Erwartungshaltung der Parteien durch ver-
schiedene verbale Techniken zu ändern und potentielle Verhaltensänderungen für künftige
Konfliktsituationen anzuregen. Darüber hinaus dürfen auch dritte Parteien, die nicht am Ver-
handlungstisch sitzen, aber in irgendeiner Art und Weise involviert sind, nicht ausge-
schlossen werden bzw. können Außenstehende generell in die Erarbeitung einer Einigung
einbezogen werden. Natürlich liegt es auch am Können des Mediators, die Parteien bei
31 Vgl. Mannhart, aaO, S. 171.
117
heftigen Auseinandersetzungen am Tisch zu halten, indem er ihnen bspw. die Kosten einer
nichtmediativen Lösung aufzeigt.
Ist diese zentrale und schwierige Phase abgeschlossen, kann die Ausarbeitung der Abma-
chung beginnen, wo es um die Fixierung der Inhalte und die Einhaltung bzw. Wahl von
Förmlichkeiten geht. Dazu gehört die Art der Sprache des Abkommens (mündlich, schriftlich,
Klartext, Juristensprache etc.), die Festlegung eines Rahmens (Zeit, Orte etc.) für die Folge-
zeit und Umsetzung des Abkommens und vor allem, welchen Status die Abmachung haben
soll hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit - ein Anwalt als Mediator kann einen Mediationsver-
gleich gut absichern, ein Gerichtsbeschluss über den Konsens der Parteien gibt ebenfalls
hinreichend Sicherheit, während bspw. ein informeller Brief schlechter rechtlich abgesichert
ist. Die Einigung muss auf ihre Realitätsentsprechung überprüft, Unvorhersagbarkeiten
müssen abgeschätzt, die Verpflichtungen der Parteien verdeutlicht und die inhaltliche Um-
setzung inkl. Sanktionsmöglichkeiten festgelegt werden. Vorbehalte und Zweifel können die
Parteien jetzt noch einmal anmelden und ggf. darüber diskutieren und Änderungen vor-
nehmen. Ansonsten wird der Mediator den Mediationsprozess zusammenfassen und die
Parteien das Abkommen schließen lassen. Gibt es keine Einigung, so berät er u. a. für den
Fortgang der Konfliktbehandlung und versucht die Gefühle und Frustrationen der Parteien zu
ergründen und bietet sich ggf. für eine künftige Mediation an.
Die letzte Phase, Follow-Up genannt, findet schon außerhalb des Verfahrens statt und be-
inhaltet die Kontaktaufnahme des Mediators zu den Parteien, um ein gewisses Feedback
über die Verhandlung, das Verfahren und seinen Ausgang einzuholen. Darüber hinaus wird
für den Rückgriff auf Mediation auch in der Zukunft geworben.
Diese Sieben-Phasen-Einteilung hat keinen Allgemeingültigkeitscharakter und stellt lediglich
eine Variante dar, die aber für beziehungsintensive und interessenbasierte Mediation sehr
geeignet scheint. Man könnte daraus auch 4 Phasen formulieren, indem man einfach die
ersten beiden zu einer Vorbereitungsphase zusammenfasst, wie auch die vierte und fünfte
zu einer Konfliktbehandlungsphase, sowie die letzten beiden als Abschlussphase ansieht.
Das Wesen der Mediation ist hier aber gut erfasst, und es sind lediglich die Einhaltung o. g.
Grundsätze durch den Mediator zu berücksichtigen.
3.4. Vor- und Nachteile
In diesem Abschnitt soll Mediation als außergerichtliches Verfahren anhand seiner Vorzüge
und Nachteile bewertet werden, die sich zum Großteil aus den vorherigen Ausführungen
ergeben haben. Zunächst erfolgt eine Zusammenfassung der Vorteile.
Ein wesentliches Plus von Mediation ist ihre starke Berücksichtigung von Interessen und
Emotionen gegenüber dem Gerichtsverfahren und die damit u. U. deutlich stärkere Er-
fassung der Komplexität eines Konfliktes und des Beziehungsgeflechtes der Parteien. Ver-
118
rechtlichung kann einen Konflikt zu stark vereinfachen und auf zu wenige Aspekte
reduzieren, so dass der Konfliktherd nicht beseitigt wird. Ein Mediator wird jedoch versuchen,
die Tiefe der Interessen zu ergründen und Einigungen fördern, die auf lange Sicht für beide
Seiten von Vorteil sind. Insofern gestaltet sich Mediation für langwierige Beziehungen als
besser geeignet. Dies begründet sich auch darin, dass im Mediationsprozess die Spielarten
des Umgangs miteinander trainiert und gefördert werden können, so dass eine Interna-
lisierung von grundsätzlichen Regeln wie Fair play, aber auch des Willens zur eigen-
ständigen Konfliktbehandlung möglich ist, was beim Gerichtsverfahren fast auszuschließen
ist. Auf der anderen Seite würde eine stärkere autonome Orientierung auch zur Entlastung
der staatlichen Justiz beitragen. Auch für die Beendigung langwieriger Geschäftsbe-
ziehungen - Aspekte sind hier z. B. vertragliche Rückabwicklungen - scheint Mediation sinn-
voller, da die Beteiligten die Konfliktlage genauer kennen als ein Richter und deshalb stärker
an einer Lösung im Sinne einer kooperativen Problemlösung teilhaben sollten, während ein
radikaler Einschnitt in das Beziehungsgeflecht schwerwiegende Nachwirkungen haben
kann.32 Daran anknüpfend ist prinzipiell auch von einer größeren Sachnähe des Mediators
zum Konfliktgegenstand gegenüber dem Richter auszugehen, da die Parteien den Mediator
frei wählen können und diese Wahl oftmals auf Experten fällt. Im Interesse langfristiger Bin-
dungen ist sicherlich auch eine umfassendere Sicht auf Streitsachverhalte gegeben, d.h. die
durch den Mediator möglicherweise vermittelte Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln, ggf.
überhaupt erst zu erkennen, dass nicht nur die eigene Partei durch den Konflikt belastet
wird, sondern auch die andere Seite und generell ein größeres Verständnis füreinander
aufzubringen. Diese Erhaltung der Qualität der Kommunikationskanäle stellt einen sehr
wichtigen Aspekt für das Funktionieren des Miteinanders dar. Durch den Mediator kann fall-
weise aber auch erst ein offener Umgang der Parteien miteinander hergestellt werden,
indem er diese zur Offenlegung ihrer Anliegen und Gefühle mit Hilfe von bestimmten
Kommunikationsmethodiken animiert33, und gerade für schwächere Verhandlungspartner
kann Mediation eine Möglichkeit sein, überhaupt verhandeln zu können, ohne von der
Machtüberlegenheit des anderen erdrückt zu werden, indem der Mediator zumindest ver-
sucht, das Machtungleichgewicht mit seinem Wissen und Können etwas auszubalancieren.
Weiterhin stellt Mediation allgemein auch ein Diskussionsforum dar, in dem Anliegen ge-
äußert werden können. Ein für Unternehmen besonders wichtiger Aspekt findet sich noch im
Vertraulichkeitsgrundsatz, denn dieser gibt ihnen die Möglichkeit, unangenehme, mögli-
cherweise rufschädigende, öffentliche Auseinandersetzungen zu umgehen34, so dass selbst
für Parteien mit hoher Verhandlungsmacht dies ein sehr einleuchtendes Motiv zur Teilnahme
32 Vgl. Mannhart, aaO, S. 115. 33 Vgl. Mannhart, aaO, S. 113. 34 Vgl. Breidenbach, aaO, S. 249.
119
an einer Mediation sein dürfte. Zuletzt sind noch die Kosten- und Zeiteinsparungen durch
Umgehung teurer formeller und zudem nicht selten langwieriger Verfahren zu nennen.
Mit dem Ende des Verfahrens und dem Abschluss des Mediationsvergleichs könnten sich
Probleme ergeben. Eine kooperative Einigung lässt zwar auch auf eine kooperative Umset-
zung hoffen, im Falle von trotzdem dahingehend auftretenden Streitigkeiten stellt sich die
Frage der Durchsetzbarkeit des Vergleichs, vor allem wenn es sich um international verbun-
dene Unternehmen handelt. Eine Möglichkeit der Vollstreckung ist die Formulierung als An-
waltsvergleich - wenn der Mediator Anwalt ist - nach § 796a Abs. 1 ZPO, der entweder durch
richterlichen Beschluss (§ 796b ZPO) oder einen Notar (§ 796c ZPO) für vollstreckbar (§ 794
Abs. 1 Nr. 4b ZPO) erklärt werden muss. Ist der Vergleich auf die Abgabe einer Willenser-
klärung gerichtet, so kann jedoch kein Vollstreckungstitel erlangt werden. Auch die interna-
tionale Durchsetzbarkeit ist auf den ersten Blick schwierig.
Ist der Mediator Notar, so kann er den Vergleich auch durch eine notarielle Urkunde (§ 794
Abs. 1 Nr. 5 ZPO) absichern, für die die gleichen Bestimmungen wie für den Anwaltsver-
gleich gelten.
Eine weitere Option stellt der Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut dar. Voraussetzung
hierfür ist aber, dass während der Mediation und zum Vergleichszeitpunkt auch ein Schieds-
verfahren zum Streitgegenstand stattfinden muss (§ 1053 Abs. 1 ZPO). Dieser
Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut ist zwar international vollstreckbar, da weiträumig
anerkannt, aber übt natürlich auch gewissen Zwang auf die Parteien aus, sich einem
Schiedsverfahren zu unterwerfen, und ist damit auch mit mehr Aufwand und Kosten
verbunden35, so dass Vorteile der Mediation verloren gehen.
Diese Varianten der Durchsetzung erzeugen für die Parteien einen gewissen Aufwand, der
die Effektivität von Mediation behindert, und auch die internationale Durchsetzung ist nicht
immer gewährleistet. Um hier Abhilfe zu schaffen und zur näheren Bestimmung wesentlicher
Aspekte wurde im Mai 2008 vom Rat der EG die europäische Mediationsrichtlinie verab-
schiedet36. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 dieses Rechtsakts kann eine schriftliche Vereinbarung
per Antrag vollstreckbar gemacht werden. Dafür stehen die o. g. Varianten zur Verfügung.
Damit ist zumindest das Problem der Vollstreckbarkeit auf europäischer Ebene gelöst -
zumindest, wenn die Richtlinie in den Mitgliedstaaten umgesetzt wurde -, da entsprechende
Regelungen EG-weit Geltung haben. Auch Deutschland ist damit gezwungen, in den
nächsten drei Jahren ein Mediationsgesetz oder wenigstens speziellere Regelungen zu
verabschieden37, was bisher auf kein großes Interesse gestoßen ist. Das mag zum einen
daran liegen, dass es tendenziell in Deutschland eher üblich ist, die Konflikte direkt und
konfrontativ auszutragen und persönliche Beziehungen sachlich-inhaltlichen Positionen 35 Zu allen drei Optionen vgl. Mannhart, aaO, S. 183 – 190. 36 Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU Nr. L 136, S. 3. 37 Vgl. Eidenmüller / Prause, aaO, S. 1 – 13.
120
unterzuordnen. Weiterhin betreibt der Staat ein wirksames soziales Netz, welches dazu führt,
dass eine größere Unabhängigkeit von familiären und persönlichen Netzwerken herrscht,
was die Beendigung von Beziehungsverhältnissen deutlich erleichtert. Es ist fast möglich zu
sagen, dass sich die Deutschen nach ihrer Mentalität eher bevormunden lassen anstatt
selbstständig nach Lösungen für ihre Konflikte zu suchen.38 Aus diesen Gründen ist wohl
auch die Aufklärungsarbeit in Deutschland bezüglich Mediation so gering, so dass Mediation
kaum bekannt ist, bisher eher verhältnismäßig wenig Spezialisten vorhanden sind, folglich
auch eine gewisse Skepsis dem Verfahren gegenüber herrscht - welche so oder so vor-
handen ist - und es nur eher selten zur Anwendung kommt.39 Die Mediationsrichtlinie dient
jedoch allgemein der Förderung der Mediation und deshalb wird sich die öffentliche Auf-
klärung wohl künftig auch verstärken und Mediation mehr Anerkennung finden, wobei Vor-
bereitungen schon getroffen werden, die darüber hinaus auch auf mögliche Regelungen für
den innerstaatlichen Bereich abzielen.40
Außerhalb der EG bleibt das Durchsetzbarkeitsproblem aber bestehen, ebenso wie die zu-
sätzlichen Voraussetzungen, um einen Vollstreckungstitel zu erhalten. Dahingehend stellt
sich die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, ein internationales Mediationsübereinkommen zu
schließen, welches für die beigetretenen Staaten die Vollstreckbarkeit von Media-
tionsvergleichen regelt, im Sinne des New Yorker Übereinkommens für die internationale
Schiedsgerichtsbarkeit von 1958. Eine solche Vereinbarung könnte eine sofort bindende
Wirkung und Vollstreckbarkeit eines Mediationsvergleichs festlegen, indem er bspw. dem
Spruch eines Schiedsgerichts gleichgesetzt wird. Das widerspräche allerdings der Tatsache,
dass es sich hierbei um zwei verschiedene Verfahren handelt.41 In dem Sinne wäre ein Me-
diationsvergleich auch einem Urteil fast gleichgestellt. Das Gericht wird aber dann zuständig,
wenn die Parteien nicht mehr in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbstständig zu regeln,
jedoch widerspricht das gerade einem Grundgedanken der Mediation - der Privatautonomie.
Die Parteien entschließen sich freiwillig zur Mediation, um selbstständig mit Hilfe Dritter ihre
Probleme zu behandeln, und deshalb sollten sie auch freiwillig getroffene Abmachungen ein-
halten. Dies scheint der tiefere wesentliche Sinn von Mediation zu sein, die Parteien zur
autonomen und qualitätsreichen Konfliktklärung zu befähigen. Es mutet auch unsinnig an,
einen derartigen Prozess durchzustehen, um sich dann nicht an die Abmachungen zu halten.
Aus diesem Grunde kann ein Mediationsvergleich mit zwingender Wirkung hier kaum dien-
lich sein.
Gegenüber Effizienzgesichtspunkten wird dieses Argument sicherlich ins Wanken geraten,
aber für den Fall, dass es doch zu Streitigkeiten kommt, ist mit der Mediationsrichtlinie der
38 Vgl. Potsch-Ringeisen, Stefanie: Mediation als Methode der Konfliktbearbeitung in der deutsch-chinesischen Wirtschaftskooperation, S. 5. 39 Vgl. http://www.mediationsakademie-berlin.de/mab-berlin/meta-seiten/faq/ 40 Vgl. http://www.bundestag.de/wissen/analysen/2008/eu-mediationsrichtlinie.pdf. 41 Vgl. Mannhart, aaO, S. 196 - 206.
121
EG und den Möglichkeiten des nationalen Rechts ausreichend Vorsorge getroffen. Auch in-
ternational, vor allem in den USA, ist Mediation weit verbreitet, und deshalb sollte es auch
mit Konfliktpartnern von dort keine Schwierigkeiten geben. Insofern ergibt sich daraus kein
Nachteil der Mediation.
Wirkliche Nachteile von Mediation stellen in jedem Falle die Manipulationsmöglichkeiten des
Mediators dar. Wenn er es dadurch schafft - z.B. mit Hilfe eines Harmoniedrucks, indem er
eine Einigung zum selbstständigen Wert erhebt -, ein Abkommen zu erreichen, so kann dies
u. U. nur einen Scheinfrieden darstellen, der jederzeit gefährdet ist. Es ist auch möglich,
dass sich die Parteien mit weitaus weniger zufrieden geben, als für sie möglich wäre, u. U.
rechtliche Ansprüche komplett aufgeben, weil der Mediator unter Umständen die Erwar-
tungshaltung zu stark gesenkt hat, so dass sie am Ende vielleicht schlechter dastehen, als
dies bei einem Gerichtsverfahren mit Urteil der Fall wäre.42 Unterschiedliche Verhandlungs-
machtverhältnisse führen trotz der Fähigkeiten des Mediators in der Mediation auch zu
Problemen, weil dadurch die Fairness nicht mehr gewährleistet werden kann. Könnte eine
Partei jederzeit auf ein Gerichtsverfahren umsteigen, die andere aber nicht, weil ihr die Mittel
fehlen, so hat letztere eine deutlich schlechtere Verhandlungsposition inne und wird sich
unter Umständen jeglicher Lösung beugen, unabhängig davon, wie unzufrieden sie damit ist.
Daher ist Mediation bei ausgeglichenen Machtverhältnissen am geeignetsten. Schwierig ge-
staltet sie sich auch bei hohem Eskalationsgrad der Emotionen, ist da eigentlich kaum noch
möglich, da der Mediator hier aufgrund der festgefahrenen Situation so gut wie gar nicht
mehr vermitteln kann.43 Bei wirtschaftlichen Auseinandersetzungen wird das Verfahren
verkompliziert und erheblichen Hindernissen ausgesetzt, wenn mehrere Personen beteiligt
und Einigungen über einfachste Aspekte des Verfahrens großen Diskussionen ausgesetzt
sind. Darüber hinaus besteht oftmals auch unter den Unternehmensrepräsentanten selbst ei-
ne große Uneinigkeit, und Vertreter haben teilweise nur eingeschränkte Entscheidungs-
gewalt in der Sache und sind zur Rücksprache mit ihren Vorgesetzten verpflichtet.44
Offensichtlich überwiegen die Vorzüge des Mediationsverfahrens klar seine Nachteile. Trotz-
dem ist das Verfahren nicht uneingeschränkt und auch nicht für sämtliche Streitigkeiten an-
wendbar. Das hängt entscheidend auch von der Art des Konflikts, seinen Ausmaß, dem
Beziehungsgeflecht oder auch von den Machtverhältnissen zwischen den Parteien ab. Ob
Mediation nun für Franchise-Systeme geeignet ist, soll im nächsten Punkt erörtert werden.
42 Vgl. Breidenbach, aaO, S. 176 und 191. 43 Vgl. Mannhart, aaO, S. 117 44 Vgl. Mannhart, aaO, S. 129 – 130.
122
4. Mediation und Konflikte in Franchise-Systemen
4.1. Möglichkeiten der Konfliktlösung
Inwieweit Mediation für Franchise-Systeme als Verfahren zur Konfliktlösung geeignet ist,
lässt sich natürlich nur in Relation zu anderen Verfahren und Wegen beurteilen. In dem Ma-
ße, in dem das hier möglich ist, soll das auch geschehen. Dabei kann in großem Umfang auf
die Inhalte der vorhergehenden Abschnitte zurückgegriffen werden, die den Stoff dazu schon
weitestgehend aufbereitet haben. Hier sollen noch ggf. spezielle Eigenheiten im Franchising
berücksichtigt werden.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Franchise-Vertrag sehr viele Sachverhalte klar
und ausführlich regelt. Trotz allem treten Lücken auf, in die Konfliktpotential fließen kann,
manche Sachverhalte lassen sich nicht abschließend regeln, und andere ergeben sich un-
vorhergesehen. Kommt es nun zum Konfliktfall, so sind ebenfalls zahlreiche Sachverhalte
nach deutschem Recht durch das BGB, HGB und andere Rechtsquellen geregelt, die bspw.
auch Bezug auf arbeitsrechtliche Aspekte nehmen, ferner durch Rechtsprechung der jeweils
zuständigen Gerichte.45 Insofern können grundsätzlich Konflikte in Form eines normalen Zi-
vilprozesses vor den ordentlichen Gerichten ausgetragen werden, wofür die Bestimmungen
der Zivilprozessordnung gelten.
Auch ADR-Verfahren sind Möglichkeiten der Konfliktbeilegung für Franchise-Systeme. Die
Mediation findet im nächsten Abschnitt Beachtung, deshalb geht es hier nur um die Schieds-
gerichtsbarkeit. Bedingung für ein Schiedsverfahren ist der Abschluss eines Schiedsgerichts-
vertrages, und weiterhin muss eine diesbezügliche Regelung im Franchise-Vertrag auf-
genommen sein. Hier haben die Parteien die Möglichkeit, facherfahrene Schiedsrichter ein-
zusetzen, die Streitfälle inhaltlich sicherlich besser und schneller entscheiden können als ein
gewöhnlicher Richter. Von Vorteil ist auch die Nichtöffentlichkeit der Verhandlungen, was ge-
rade die Franchise-Unternehmen hinsichtlich ihres Rufes interessieren dürfte. Ein Schieds-
spruch entscheidet abschließend, ist verbindlich und vollstreckbar, macht aber jegliches
Gerichtsverfahren und den Einsatz von Rechtsmitteln fast unmöglich. Darüber hinaus ist ein
Schiedsgerichtsverfahren auch teurer als ein erstinstanzliches Gerichtsverfahren, weil die
Schiedsrichter extra Honorare erhalten. Problematisch ist ebenfalls die Auferlegung der Kos-
ten auf den Verlierer, was gerade aus der Beziehungsperspektive im Franchising einen
nachhaltig faden Beigeschmack hinterlassen und das Verhältnis belasten könnte. Außerdem
haben auch hier die Parteien den Ausgang des Verfahrens nicht selbst in der Hand.46
Die minimalste Form der Konfliktbearbeitung stellt wohl die Schlichtung dar. Damit ver-
bunden sind die Systembeiräte. Die Anrufung der Beiräte ist jeglichem weiteren Schritt der
Streitbehandlung vorgelagert, es sollen/müssen also vor dem Gerichtsverfahren seriöse Lö-
sungsversuche durch Verhandlungen unternommen werden, erst dann ist der Weg zum Ge-
45 Vgl. Flohr, Franchise-Vertrag, S.17 und 65 ff. 46 Vgl. Flohr, aaO, S. 270 - 272 und Giesler, aaO.
123
richt eröffnet. Der Beirat dient somit vorrangig der Kommunikation im Sinne des Franchise-
Systems und kann durch eine Schlichtungsklausel auch bei Konfliktfällen zwischen den Sys-
temmitgliedern schlichten47, wobei ihm keine Entscheidungskompetenz zusteht. Der Beirat
berücksichtigt damit zwar die Bedeutung der Beziehung in Franchise-Systemen und zeichnet
sich auch durch Sachnähe aus, stellt aber mit Sicherheit kein auf Vermittlung spezialisiertes
Gremium dar, so dass eine Schlichtung kaum optimal durchgeführt werden kann.
Es bleibt festzuhalten, dass Franchise-Systeme ihre eigenen Mechanismen haben, um mit
Konflikten fertig zu werden, aber auch auf staatliche Gerichte oder private Anbieter zurück-
greifen können. Vor- und Nachteile der einzelnen Möglichkeiten wurden ausreichend erläu-
tert. Für Mediation im Franchising wird es entscheidend sein, welche Vorzüge das Verfahren
gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit und den Beiräten aufweisen können.
4.2. Mediationsregeln des deutschen Franchise-Verbandes
Speziell für Franchise-Systeme, die mit Deutschland verbunden sind bzw. innerhalb
Deutschlands, bietet der Deutsche Franchiseverband (DFV) ein Mediationsverfahren an. Er
hat dazu Regeln aufgestellt, die in 14 Punkten zusammengefasst sind. Es sollen hier nicht
alle Einzelheiten wiedergegeben, sondern diese nur grob zusammengefasst und Wichtiges
hervorgehoben werden.
Bedingung, um am Verfahren teilnehmen, zu können ist zunächst einmal die Mitgliedschaft
im DFV. In den folgenden Punkten wird erläutert, welche Angaben zusätzlich zum Mediati-
onsantrag, der schriftlich zu erfolgen hat, zu machen sind, inklusive einer kurzen Streit-
beschreibung, der Angabe, ob eine Mediationsvereinbarung im Franchise-Vertrag vorliegt,
und der Zahlung einer Bearbeitungsgebühr. Die DFV-Geschäftsstelle muss den Antrag dann
bestätigen. Nun erfolgt die Auswahl eines Mediators durch die Parteien, oder er wird anhand
seiner Eignung durch den DFV-Vorstand bestimmt. Danach muss dieser innerhalb einer Wo-
che schriftlich bestätigen sowie dem DFV bestimmte Dokumente zukommen lassen, eine
Vertraulichkeits- und Unabhängigkeitserklärung eingeschlossen. Die Zahlung von Vor-
schüssen für die Kosten des Verfahrens sowie die hälftige Aufteilung der Kosten - wenn
nichts anderes vereinbart ist - werden ebenfalls durch die Mediationsregeln geregelt. Es hat
dann die Festlegung des Verfahrensortes innerhalb einer Woche, sowie die Zusendung ei-
nes Positionspapiers zur Streitsache durch die Parteien an den Mediator eine Woche vor Sit-
zungsbeginn zu erfolgen. Für die Mediationssitzung sind ein halber oder ein ganzer Tag als
Zeitspannen vorgesehen, und sie sollte maximal vier Stunden dauern. wobei eine Verlän-
gerung beantragt werden kann. Es werden weiterhin Ereignisse aufgeführt, die das Ende des
Verfahrens im positiven oder negativen Sinne bedeuten. Hinweise auf die Grenzen der Ver-
traulichkeit im deutschen Recht und zu Notwendigkeiten der Umsetzung eines Vergleiches
47 Vgl. Flohr, aaO, S.248 - 250 und Giesler, aaO.
124
sind ebenso vorzufinden wie eine Auflistung von Material und Informationen, die ggf. keine
Verwendung vor Gericht finden dürfen, und Schweigeverpflichtungen des Mediators sowie
das Verbot, als entscheidungsbefugter Dritter, als Vertreter einer Partei oder ähnliches ohne
Zustimmung aller Parteien aufzutreten. Den letzten Punkt bildet eine Versagung einer
Inanspruchnahme von Rechtsschutz durch Dritte gegen den DFV, seine Mitarbeiter und den
Mediator wegen vermeintlicher Mängel im Mediationsverfahren.48
Damit orientiert sich der DFV an den allgemeinen internationalen Mediationsgrundsätzen,
wie ersichtlich geworden sein sollte. Es werden bestimmte Fristen und Formalitäten genauer
geregelt, aber es sind keine wesentlichen Unterschiede zu erkennen. Etwas ungewöhnlich
mutet die Beschränkung auf eine Mediationssitzung an, die innerhalb eines bestimmten
zwingenden Zeitraumes abgeschlossen sein muss, wenn sie nicht verlängert wurde. Es ist
fraglich, ob komplexe Streitigkeiten innerhalb einer Sitzung gelöst werden können, zumal ein
derartiges Zeitlimit auch Druck auf die Parteien ausübt, was eigentlich dem Mediationswesen
widerspricht. Sicherlich sollte auch eine gewisse Effektivität gewahrt werden, die sich auch
an der Zeitspanne messen lassen muss, aber eine großzügigere Regelung wäre hier viel-
leicht angebracht. Allerdings besteht bei Bedarf die Möglichkeit der Verlängerung, so dass
hierin eine Kompensation zu finden ist. Trotzdem erscheint dieses enge allgemeine Zeitlimit
als unnötige Behinderung des Prozessflusses. Da dies aber eher die Wirkung einer Lappalie
in sich trägt und die Mediationsregeln sonst weitestgehend mit dem allgemeinen Standard
übereinstimmen, lassen sich bisherige Erkenntnisse dazu verwenden einzuschätzen, in-
wieweit Mediation für Franchise-Systeme geeignet ist.
Für die Vereinbarung einer Mediation als Konfliktbehandlungsverfahren in einer
Franchisebeziehung muss eine entsprechende Regelung in den Franchise-Vertrag eingefügt
werden. Die Mediation ist dann dem Gerichtsverfahren als Voraussetzung zwingend vorge-
ordnet und macht die Schlichtungsfunktion des Beirats überflüssig.49
4.3. Potentielle Streitfälle in Franchise-Systemen
In Franchise-Systemen spielt die Beziehung der Systempartner zueinander eine große Rolle,
weil sie über einen längeren Zeitraum - der nach der gängigen deutschen Rechtsprechung
bis zu fünf Jahre betragen kann50- miteinander verbunden und in gewisser Weise aufein-
ander angewiesen sind. Insofern sind die Menschen und ihre Persönlichkeiten hier beson-
ders wichtig, weil sie durch ihr Verhalten die Harmonie im System wesentlich beeinflussen.
Daher ergeben sich für das Franchising Ziel-, Rollen-, Macht-, Kommunikations- und Ver-
teilungskonflikte, welche aus verschiedenen Ursachen, die oft in Zusammenhang mit den
Persönlichkeiten stehen können, heraus entstehen. Mögliche negative Verhaltensweisen der
48 Vgl. http://www.wenke-hamburg.de/partner2.php. 49 Vgl. Flohr, aaO, S. 251 – 252. 50 Vgl. Flohr, Der Franchise-Vertrag, S. 5.
125
Systempartner können so zum Beispiel Moral Hazard, d.h. die Zurückhaltung von Leistungen
oder Post-Agreement-Jockeying, das Ausnutzen der gegenseitigen Angewiesenheit zur Um-
verteilung von Kooperationsrenten, sein. Diese sind dem opportunistischem Verhalten zu-
zuordnen, dürften aber weniger häufig auftreten, eben aufgrund des Beziehungsgeflechts.
Aus dem Verhalten und seiner Motivation können dann Konflikte um verschiedene Gegen-
stände entstehen. Dazu gehören Mängel bei der Umsetzung der Systempakete, Gebühren,
Werbeaktionen, Bezugsverpflichtungen/Preisbindungen, Gebietsschutz, Systemanpassung
oder auch bspw. Strategieänderungen.51
Es bleibt wesentlich, die hohe Wichtigkeit der Beziehung und der beteiligten Menschen mit
ihren Persönlichkeiten festzuhalten. Die grundsätzliche Eignung von Mediation dabei als Ver-
fahren zu klären, ist nun Inhalt des nächsten und letzten Abschnittes.
4.4. Mediation zukunftsweisend für Franchising in Deutschland?
Welche Form der Streitbehandlung allgemein geeignet ist, hängt zunächst einmal von We-
sen und Inhalt des Konfliktes ab. Handelt es sich bspw. lediglich um die Festsetzung von
Geldbeträgen oder Gebührenhöhen in nicht äußerst empfindlichem Ausmaß, so mag, soweit
nicht noch mehr dahinter steckt und die Emotionen niedrig bleiben, eine bindende Ent-
scheidung eines Dritten in Form eines Richters oder Schiedsrichters am dienlichsten sein,
aufgrund der Zeitersparnis bei eher geringen Kosten.
Weiterhin muss für eine Beurteilung der Mediation bezüglich des Franchising überlegt wer-
den, worauf im Hinblick auf Konflikte die Parteien und das System als solches Wert legen
bzw. was im Wesen des Systems liegt. Zum einen können Konflikte als integrativer Bestand-
teil der Fortentwicklung der Parteien und des Systems wahrgenommen werden52, d.h. dass
das System und die Parteien mit Hilfe von Konflikten dazulernen und dadurch (zusam-
men)wachsen. In diesem Sinne sind sicherlich auch das Bewusstmachen von Konflikten und
Konflikttraining als Prävention von bedeutendem Interesse, womit ebenfalls die Schaffung
einer bestimmten Systemkultur und von Vertrauen angesprochen werden.53 Da es sich um
ein kooperatives betriebswirtschaftliches System handelt, welches im Wettbewerb mit an-
deren Marktteilnehmern steht und dazu in der Regel auch einen Ruf zu verlieren hat, kann
es außerdem nur in seinem Interesse liegen, seine Streitigkeiten nicht-öffentlich auszutragen
und diverse Informationen zu schützen.
Sobald der Konflikt ein größeres Ausmaß annimmt, gestaltet sich ein Gerichtsverfahren für
die Parteien eher unangenehm, da aufgrund dessen Öffentlichkeit die Vertraulichkeit und
Geheimhaltung von Informationen und des Verfahrens an sich nicht mehr gewährleistet wer-
den kann. Aus o. g. Gründen wird dies kaum im Interesse der Parteien liegen. Ein Schieds-
51 Vgl. Ziegler, Konflikte und ihre Handhabung in Franchise-Systemen, S. 1 – 2. 52 Vgl. Frauenhuber, Konflikte in Franchise-Systemen, S. 1. 53 Vgl. Ziegler, aaO, S. 3.
126
gerichtsverfahren würde diesen Nachteil zwar wettmachen, ansonsten jedoch sämtliche
wesentliche Probleme, die das Gerichtsverfahren auch mit sich bringt, ebenfalls aufweisen.
Dazu gehört die mangelnde Rücksichtnahme auf komplexe Beziehungsverhältnisse. Wenn
in Franchise-Systemen bei der Konfliktbehandlung ein Dritter eintritt und gewaltsam eine
Lösung erzwingt, dann kann das zum einen dazu führen, dass mindestens auf einer Seite
eine große Unzufriedenheit mit dem Ergebnis herrscht, eine Partei in der Regel der Verlierer
sein wird und zu diesem negativen Gefühl dazu auch noch die Verfahrenskosten zu tragen
hat. In solchen Fällen ist die wichtige Tiefenstruktur des Konfliktes nicht erfasst, dieser damit
auch nicht gelöst und könnte jederzeit wieder aufbrechen. Für Franchise-Systeme können
derartige Dauerzwistigkeiten gezwungenermaßen nur schädlich sein - in Form von erheb-
lichen Kommunikations- oder Koordinationsproblemen zwischen den einzelnen Partnern -,
was wiederum Wettbewerbsnachteile bedeutet-, Umsatzverluste, Imageschäden und unnö-
tige zusätzliche Kosten. Insofern dürfte auch der Lerneffekt für den künftigen Umgang mit
Streitigkeiten anzuzweifeln sein, da insoweit kein autonomer Verhandlungsprozess statt-
findet, der das Vertrauen zwischen den Parteien aufbaut und sie zu selbstständigen krea-
tiven Ideen ermutigt bzw. den Umgang miteinander schult und ggf. das gegenseitige Ken-
nenlernen fördert. Stattdessen wird ihnen die Entscheidungsgewalt durch einen Dritten abge-
nommen. Die Vorstellung, dass annähernd jede größere Streitigkeit zu einem Verfahren vor
einem Gericht oder Schiedsgericht führt, sollte jedoch dazu führen, sich mehr miteinander zu
engagieren. Nur so kann sich ein System stabil und harmonisch weiterentwickeln, um effek-
tiv zu wirtschaften. Entweder die Konfliktparteien schaffen es, sich auf autonomer Basis al-
lein zu arrangieren, oder sie können die Hilfe eines Dritten hinzuziehen, der keine Ent-
scheidungsgewalt inne hat – eines Mediators.
Die Mediation hat für Franchise-Systeme also sehr wohl erhebliche Vorzüge gegenüber dem
Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren. Aus den vorherigen Darlegungen ergibt sich, dass
die Mediation alle Aspekte, die für das Franchise-System hinsichtlich der Konflikthand-
habung als wesentlich erachtet wurden, erfüllt. Die Vertraulichkeit steht außer Frage, die
Nichtöffentlichkeit ist ebenso gewährleistet. Der Mediator besitzt spezielle Kompetenzen, die
ein Richter oder Schiedsrichter nicht hat. Zwar kann letzterer ein Fachmann im Konflikt-
bereich sein, letztendlich ist aber nicht davon auszugehen, dass er zu einer geschickten Ver-
handlungsführung fähig ist, die die Parteien einander näher bringt. Das aber ist der Trumpf
des Mediators. Zum einen kann er so ein gewisses Autonomiebedürfnis befriedigen und
auch in die Richtung der künftig selbstständigen Konfliktbehandlung und -lösung hinarbeiten,
damit das System und seine Mitglieder harmonieren, zum anderen aber auch erhebliche
Kosteneinsparungen für die Parteien bewirken, wenn sie, statt lediglich eine Entscheidung
vorgesetzt zu bekommen, in der autonomen Streitbeilegung regelrecht ausgebildet,
zumindest aber weitergebildet und ihnen unverzichtbare Fertigkeiten vermittelt werden.
127
Dadurch sollte eine bessere Abstimmung der Systemglieder untereinander gut gewährleistet
sein, damit darauf aufbauend wirtschaftlicher Erfolg erzielt werden kann. Der Erfolg der Me-
diation liegt hierbei also in der Nachhaltigkeit. Schlussendlich sollte eine Mediationslösung
auch weniger zu Unzufriedenheit führen als alle anderen Optionen, da die Parteien an der
Erarbeitung selbst stark beteiligt sind. Hinsichtlich der Durchsetzbarkeit eines Media-
tionsvergleichs werden sich für Franchise-Systeme kaum Schwierigkeiten ergeben, da - von
den vorhandenen nationalen und internationalen Regelungen abgesehen - die Parteien so
stark aufeinander angewiesen und in ein Beziehungsnetz verflochten sind, dass sie nicht
einfach mühsam erarbeitete Lösungen zu einem neuen Konfliktgegenstand werden lassen
und damit das System gefährden, zumal eine eigenständige Lösung auch ihr eigener Wille
war. Deshalb ist von einer freiwilligen Einhaltung grundsätzlich auszugehen. Ähnliche Über-
legungen lassen sich ebenso bezüglich der Machtverhältnisse anstellen.
Gibt es also einen Verhandlungswillen - und den sollte es aufgrund der langfristigen Bindung
fast immer geben -, so ist Mediation für Konflikte in Franchise-Systemen auch in Deutsch-
land wohl am besten geeignet, sofern es nicht um eine Beendigung des Verhältnisses
insgesamt geht.
5. Zusammenfassung
Ziel der Arbeit war es zu klären, ob Mediation eine geeignete und zukunftsträchtige Form der
Konfliktlösung für Franchise-Systeme in Deutschland darstellt.
Dazu wurde Mediation zunächst in den Kontext der außergerichtlichen Streitbeilegung all-
gemein eingeordnet, um dann im nächsten Schritt dieses spezielle Verfahren zu erläutern.
Dabei hat sich herausgestellt, dass es zwar verschiedene Formen gibt, die hier auch nicht
abschließend aufgeführt worden sind, sich jedoch für Franchise-Systeme das Individual-
Autonomy Project sowie eine Abwandlung des Reconciliation Projects im Sinne eines ge-
nerellen interessenbasierten Ansatzes vermischt am meisten anbieten. Von diesem Ansatz
ausgehend folgten eine kurze Darstellung eines möglichen Verfahrensablaufs und eine Be-
trachtung hinsichtlich von Vorteilen und Nachteilen des Verfahrens.
Auf dieser Basis erfolgte daraufhin eine konkrete Bewertung von Mediation für Franchise-
Systeme, wobei festgestellt wurde, dass diese Streitbeilegungsmethode grundsätzlich zu be-
jahen ist, weil sie die Komplexität eines Konfliktes gegenüber anderen Verfahren am besten
erfasst, sensibel mit den Belangen der Parteien umgeht, um eine konstruktive Verhandlungs-
kultur bemüht ist, die ebenfalls mit einer grundsätzlichen Absicht der Verbesserung der auto-
nomen Konfliktlösungsfähigkeit einhergeht und damit absolut im Sinne einer langwierigen
Beziehung ist, die bei Franchise-Systemen vorliegt. Prinzipiell wird darauf abgezielt,
Schäden für das Franchise-System zu vermeiden, indem der Umgang der Systemmitglieder
mit dem Ziel einer allgemeinen weitgehenden Harmonie positive Förderung findet. Zwar
128
können sich aus ungleichen Verhandlungsmachtverhältnissen der Konfliktparteien Schwie-
rigkeiten ergeben, die aber aufgrund der hohen gegenseitigen Angewiesenheit innerhalb des
Systems hier nicht überzubewerten sind, da sie es sich kaum leisten können, durch un-
befriedigende Lösungen für wenigstens eine Seite einen dauerhaften Konfliktherd aufrecht
zu erhalten. In diesem Sinne bestehen auch hinsichtlich der Durchsetzbarkeit kaum Beden-
ken, da von einer kooperativen Umsetzung auszugehen ist und bestehende nationale und
internationale Regelungen genügend Absicherung bieten.
Nachdenklich könnte lediglich der bisherige geringe Rückgriff auf Mediation in Deutschland
sowie diesbezüglich kaum vorhandenen Regelungen stimmen. Dabei stellt sich die Frage
nach einer „Bevormundungsmentalität“ der Deutschen, jedoch auch nach mangelnder Infor-
mation über Mediation in Deutschland. Die Mediationsrichtlinie der EG versucht, diesen Zu-
stand europaweit zu ändern, und insofern bleibt zu hoffen, dass in der nächsten Zeit eine zu-
nehmende Aufklärung auch in Deutschland sowie konkretere (gesetzliche) Regelungen Ein-
zug finden werden, die zu einer breiten Nutzung von Mediation führen. Dem ist grundsätzlich
optimistisch entgegen zu blicken.
129
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130
Franchise-Recht in europäischen Ländern mit Franchise-Gesetzgebung –
Belgien
Stud. rer. pol. Michael Opitz
1. Wofür steht der Begriff Franchise?
Spätestens seit der Wiedervereinigung Deutschlands und der damit verbundenen
Verbreitung von McDonald’s taucht der Begriff „Franchise“ auch im Sprachgebrauch in den
neuen Bundesländern immer häufiger auf. Die Marke McDonald‘s gilt weithin als Synonym
für Franchise. Seit dem Jahr 1955 entwickelt McDonald’s ein weltweit sehr erfolgreiches
Franchise-System, das inzwischen mehr als 5000 Existenzgründern zur Selbstständigkeit
verholfen hat.1 Doch nicht nur McDonald’s, sondern auch viele bekannte Unternehmen
bauen auf das Geschäftsmodell Franchise. So gab es im Jahr 2007 910 Franchise-Geber
und ca. 55700 Franchise-Nehmer in Deutschland, darunter Unternehmen wie OBI
(Heimwerkermärkte), Reno (Schuhhandel), TUI (Reisebüros), Schülerhilfe (Nachhilfe) oder
Fressnapf (Tiernahrung).2 Diese kurze Aufzählung zeigt, dass sich Franchise in vielen
Wirtschaftszweigen etabliert hat und nicht nur ein Modell für Fast-Food-Ketten ist. Insgesamt
erwirtschafteten die im Franchise-Sektor tätigen Unternehmen in Deutschland im Jahr 2007
einen Umsatz von 41,5 Mrd. Euro und beschäftigten 441000 Mitarbeiter.3 Vergleicht man
diese Daten mit den Zahlen aus dem Jahr 1996, als die Franchise-Wirtschaft einen Umsatz
von 12,8 Mrd. Euro generierte und 250000 Mitarbeiter beschäftigte, wird die steigende
Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges deutlich.
Doch was ist Franchise eigentlich?
Jedem Besucher eines McDonald’s-Restaurants dürfte das immer gleiche Erscheinungsbild
der Fast-Food-Tempel aufgefallen sein. Die gleichen Produkte, die gleiche Kleidung der
Mitarbeiter oder die gleichen Preise in jeder McDonald’s Filiale in Deutschland stechen sofort
ins Auge. Doch diese Auffälligkeiten sind nur ein kleiner Teil dessen, was hinter dem Begriff
„Franchise“ steht. Der Deutsche Franchise-Verband e.V. definiert Franchising wie folgt:
„Franchising ist ein vertikal-kooperativ organisiertes Absatzsystem rechtlich selbstständiger
Unternehmer auf der Basis eines vertraglichen Dauerschuldverhältnisses. Dieses System
tritt auf dem Markt einheitlich auf und wird geprägt durch das arbeitsteilige Leistungs-
programm der Systempartner sowie durch ein Weisungs- und Kontrollsystem zur Sicher-
stellung eines systemkonformen Verhaltens. Das Leistungsprogramm des Franchise-Gebers
besteht aus einem Beschaffungs-, Absatz- und Organisationskonzept, dem Nutzungsrecht 1 Vgl. DFV – Deutscher Franchise-Verband e.V., Existenzgründung mit System, Ein Leitfaden des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., www.dfv-franchise.de/, 1.1 Die Definition des Begriffs Franchise. 2 Vgl. INFO-Paket des Deutschen Franchise-Verband e.V., www.dfv-franchise.de/, 3.1 Hitliste der Top-20 Franchise-Geber in Deutschland. 3 Vgl. INFO-Paket des Deutschen Franchise-Verband e.V., www.dfv-franchise.de/, 3.2 Die Entwicklung der Franchise-Wirtschaft.
131
an Schutzrechten, der Ausbildung des Franchise-Nehmers und der Verpflichtung des
Franchise-Gebers, den Franchise-Nehmer laufend und aktiv zu unterstützen und das
Konzept ständig weiterzuentwickeln. Der Franchise-Nehmer ist im eigenen Namen und auf
eigene Rechnung tätig; er hat das Recht und die Pflicht, das Franchise-Paket gegen Entgelt
zu nutzen. Als Leistungsbeitrag liefert er Arbeit, Kapital und Information.“4
Diese Definition zeigt die Komplexität des Franchise-Systems auf. Genauer kann auch noch
zwischen Franchise als Bezeichnung einer Unternehmensform und Franchising als
Bezeichnung der unternehmerischen Tätigkeit mit Hilfe des Systems unterschieden werden.5
Franchise und Franchising beziehen sich somit nicht nur auf ein einheitliches Marktauftreten
der Franchise-Nehmer und des Franchise-Gebers, sondern beinhalten auch eine enge
Verbindung zwischen dem Lizenzgeber und dem Lizenznehmer. Grundlage dieser
Verbindung ist ein Dauerschuldverhältnis, welches die auf längere Zeit angestrebte
Verbindung zwischen Franchise-Geber und Franchise-Nehmer regelt.
Der Franchise-Geber übernimmt dabei die Verantwortung für eine Vielzahl von Dingen, wie
z.B. für die Produktbeschaffung, Konzepte für den Vertrieb, aber auch für die Schulung und
Ausbildung des Franchise-Nehmers sowie dessen Unterstützung im fortlaufenden
Geschäftsbetrieb. Außerdem überlässt er dem Franchise-Nehmer Nutzungsrechte an
seinem Franchise-System und stattet ihn mit dem nötigen Know-how aus.
Der Franchise-Nehmer hingegen verpflichtet sich, die vom Franchise-Geber offerierten
Leistungen anzunehmen und dafür ein Entgelt zu entrichten sowie sich den Standards und
Vorgaben des Franchise-Gebers anzupassen und diese zu übernehmen.
Die eingangs erwähnten McDonald’s Filialen verkörpern somit viel mehr als nur äußerliche
Gemeinsamkeiten. Der Betreiber der Filiale wird durch McDonald’s nicht nur bei der
Einrichtung und Ausgestaltung der Filiale unterstützt, sondern auch im weiteren
Geschäftsbetrieb. Auch Produktinnovationen und neue Marketingkonzepte des Franchise-
Gebers muss der Filialbetreiber übernehmen. Dafür entrichtet der Lizenznehmer nicht nur
ein Entgelt für die Erteilung der Lizenz des Franchise-Gebers, sondern im Fall von
McDonald’s zusätzlich noch eine Art Pacht für die Nutzung der Filiale.
Diese enge Verbindung der beiden Vertragspartner lässt viele Vorteile entstehen, die das
Franchising-System sehr lukrativ machen. So investiert der Franchise-Nehmer in ein
erprobtes Geschäftskonzept, das sich bereits bewährt hat.6 Weiterhin ermöglicht das
Franchise-System dem Franchise-Nehmer Vorteile bei der Finanzierung seiner
Selbstständigkeit sowie Vorteile beim Markteintritt, der Imagepflege oder der
Arbeitsorganisation. Trotz der Bindung an das Franchise-System ist der Franchise-Nehmer
4 DFV – Deutscher Franchise-Verband e.V., Existenzgründung mit System, Ein Leitfaden des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., www.dfv-franchise.de/, 1.1 Die Definition des Begriffs Franchise. 5 Vgl. www.dfv-franchise.de/ 6 Vgl. DFV – Deutscher Franchise-Verband e.V., Existenzgründung mit System, Ein Leitfaden des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., www.dfv-franchise.de/, 1.4 Vorzüge des Franchise.
132
selbstständiger Unternehmer und eigenverantwortlicher Akteur, der durch Einsatz und
Engagement sein Einkommen selbst beeinflussen kann. Der Franchise-Geber profitiert von
der schnellen Expansionsmöglichkeit, die das Franchise-System bietet, und kann seine
Unternehmenserweiterung mit relativ geringen finanziellen Mitteln durchführen.
Trotz dieser zahlreichen Vorteile des Franchise-Systems bestehen auch Risiken und
Nachteile, die vor allem den Franchise-Nehmer betreffen. Häufig besteht ein sehr großes
Ungleichgewicht bei der Risikoverteilung zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer. Der
Franchise-Nehmer muss hohe Anfangsinvestitionen tätigen und ein hohes unter-
nehmerisches Risiko eingehen, während der Franchise-Geber häufig zu nur geringen
vertraglichen Sicherheiten verpflichtet ist. Vor allem die vorvertragliche Informationspflicht
des Franchise-Gebers ist oftmals sehr eingeschränkt oder gar nicht vorhanden, was zu einer
Informationsasymmetrie zwischen Franchise-Geber und Franchise-Nehmer führen kann.
Am Beispiel Belgiens, einem Land mit spezieller Franchise-Gesetzgebung, soll nachfolgend
untersucht werden, ob diese Fehlstellung zwischen Franchise-Nehmer und Franchise-Geber
behoben oder zumindest gemindert werden kann, und wenn ja – auf welche Art und Weise.
2. Einflüsse Europas auf den Franchise-Vertrag
Die gesetzlichen Grundlagen für Franchise-Verträge sind in Europa sehr unterschiedlich.
Während in einigen europäischen Staaten wie Deutschland oder Österreich keine speziellen
Gesetze gelten, wurden in anderen Ländern gesonderte Regelungen eingeführt. Für alle
Staaten der Europäischen Union gelten jedoch die Bestimmungen der EU-Grup-
penfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsbindungen und für alle nationalen
Franchise-Verbände der Europäische Verhaltenskodex der European Franchise Federation
(EFF). Die Grundideen dieser beiden Regelungen sind häufig in die speziellen Vorschriften
der einzelnen nationalen Gesetzgebungen mit eingeflossen.
2.1. Die Gruppenverordnung für vertikale Vertriebsbindungen
Durch die EU-Gruppenverordnung für vertikale Vertriebsbindungen7 wird versucht, die
Informationsasymmetrien zwischen Franchise-Geber und Franchise-Nehmer zu verringern.
Zu diesem Zweck hat der Franchise-Geber dem Franchise-Nehmer neben dem Franchise-
Vertrag auch ein Franchise-Handbuch auszuhändigen. Franchise-Vertrag und Franchise-
Handbuch sollen sich dabei ergänzen. Die Hauptleistungspflichten sollen weiterhin im
Vertrag, die Nebenleistungspflichten und der Know-how-Transfer im Handbuch dokumentiert
werden.8
7 Verordnung Nr. 2790/1999 der Kommission über die Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen vom 27.10.1999 vom 22.12.1999, ABl. EG Nr. L 336, S. 21 - 25. 8 Vgl. Syncon, International Franchise Consultants Österreich,
133
Im Allgemeinen sind folgende Punkte der EU-Gruppenverordnung für vertikale
Vertriebsbindungen, die den Inhalt des Franchise-Vertrages beeinflussen, zu nennen:
- Wettbewerbsverbote nach Beendigung des Franchise-Vertrages zu Lasten des
Franchise-Nehmers sind stark eingeschränkt.
- Wettbewerbsverbote während der Vertragslaufzeit können nicht generell ausgesprochen
werden, sondern unterliegen bestimmten Richtlinien.
- Der Franchise-Nehmer kann nicht generell verpflichtet werden, alle Waren ausschließlich
vom Franchise-Geber zu beziehen.
- Gebietsbeschränkungen und Gebietsschutzvereinbarungen dürfen nicht zu
Beschränkungen von Kunden des Franchise-Systems oder des Franchise-Nehmers
führen.
- Preisbindungen des Franchise-Nehmers, die zu Fest- oder Mindestpreisen führen, sind
verboten.
Durch diese Regelungen wird der Franchise-Nehmer gestärkt und sein unternehmerisches
Risiko verringert. Die oftmals ungleiche Machtverteilung zugunsten des Franchise-Gebers
wird durch diese Regelungen zumindest etwas gemindert und verhilft dem Franchise-
Nehmer zu mehr Rechten.
2.2. Der Verhaltenskodex der European Franchise Federation
Der Verhaltenskodex der European Franchise Federation ist eine Zusammenstellung von
Vorschriften für faire Verhaltensweisen bezüglich der Franchise-Praxis in Europa.9 Der
Kodex wurde in Abstimmung mit der EU-Kommission erarbeitet und soll gewisse
Mindeststandards für die Franchise-Praxis in Europa festlegen. In dem Verhaltenskodex wird
zunächst geklärt, was unter Franchise zu verstehen ist; danach werden in Leitsätzen die
Pflichten des Franchise-Gebers und des Franchise-Nehmers dargelegt und
Minimalvoraussetzungen genannt, die in jedem Franchise-Vertrag zwingend enthalten sein
müssen. Dadurch wird zwar einerseits die Vertragsautonomie eingeschränkt, andererseits
aber ein fairer Umgang zwischen Franchise-Geber und Franchise-Nehmer gefördert. Vor
allem durch das Festlegen von Mindestvoraussetzungen, die ein Franchise-Vertrag enthalten
muss, wird den Vertragsparteien, vorrangig dem Franchise-Nehmer, mehr
Planungssicherheit ermöglicht.
www.syncon.de/frequently_asked_questions/download_faq/frage5.pdf, 5. Was bedeutet die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsbindungen, die seit 30.06.2000 in Kraft ist, für mich bzw. für mein Franchise-System?. 9 Vgl. Ethikkodex für Mitglieder, assoziierte Mitglieder und assoziierte Experten des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., www.dfv-franchise.de/.
134
3. Die Franchise-Gesetzgebung in Belgien
3.1. Kurzcharakteristik Belgiens
Das Königreich Belgien mit der Hauptstadt Brüssel ist ein Staat in Westeuropa und
Gründungsmitglied der Europäischen Union. Die wichtigsten Institutionen der EU haben in
Brüssel ihren Sitz, wodurch die Stadt einen hohen Bekanntheitsgrad in der heutigen Zeit
erlangt hat.
Eine Besonderheit Belgiens ist sicherlich, dass es im Land drei anerkannte Amtssprachen
gibt: Deutsch, Niederländisch und Französisch. Diese Mehrsprachigkeit spiegelt auch den
immer noch anhaltenden politischen Konflikt zwischen den Niederländisch sprechenden
Flamen und der französischsprachigen Bevölkerung im Land wider. Auffallend ist, dass 72%
der Wirtschaft Belgiens dem Dienstleistungssektor zugeordnet werden, nur 27% der
Industrie und nur 1% der Agrarwirtschaft (Stand 2003). Der hohe Anteil des
Dienstleistungssektors verdeutlicht die Wichtigkeit eines funktionierenden Franchise-
Gesetzes, da Franchising fast ausschließlich im Dienstleistungsbereich anzutreffen ist. Im
Jahr 2006 gab es in Belgien ca. 100 Franchise-Geber und ca. 3500 Franchise-Nehmer mit
ca. 30 000 Mitarbeitern, die insgesamt einen Umsatz von ca. 2,4 Mrd. Euro generierten.10
3.2. Die Entwicklung der Franchise-Gesetzgebung in Belgien
Ein Franchise-Gesetz trat erstmals am 1. Februar 2006 in Belgien in Kraft. Vor diesem
Zeitpunkt gab es keine speziellen Regelungen für die Franchise-Praxis. Der Franchise-
Vertrag wurde allgemein als „formloser Vertrag ohne Gesetzliche Grundlage“ bezeichnet und
lediglich dem allgemeinen Vertrags- und Schuldrecht unterworfen.11 Somit waren die
Verpflichtungen und Rechte der beiden Vertragsparteien nur sehr unzureichend definiert.
Dies hatte vor allem eine erhebliche Machtverschiebung zugunsten des Franchise-Gebers
zur Folge. Potentielle Franchise-Nehmer hingegen wurden zur Zurückhaltung gezwungen,
denn das unternehmerische Risiko war für sie sehr hoch. Auch die Ehrenkodizes der
nationalen Franchise-Verbände konnten diesen Zustand nicht grundlegend verändern. So
traten einige Franchise-Geber diesen Verbänden nicht bei und umgingen somit die
verpflichtenden Kodizes.
Auf Grund der zunehmenden Bedeutung von Franchise in der Wirtschaftswelt versuchte die
belgische Gesetzgebung mit dem ersten Franchise-Gesetz dieser Entwicklung Rechnung zu
tragen. Die erste Fassung des Gesetzes beschränkte sich jedoch hauptsächlich auf die
vorvertragliche Situation und versuchte die Informationsasymmetrien zwischen Franchise-
Geber und Franchise-Nehmer zu verringern. Zu diesem Zweck sollten beide Vertrags-
parteien sowohl die notwendigen Informationen für eine genauere juristische und
10 Vgl. www.fbf-bff.be/franchise_en_belgique.php?lang=nl. 11 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Entwicklungen, S. 6.
135
wirtschaftliche Einschätzung liefern als auch die ausschlaggebenden Vertragsklauseln
offerieren.12 Da dieses erste Gesetz aber nur Minimalregelungen bezüglich der Vorin-
formation für den Vertragsabschluss beinhaltete, konnte es die komplexen Probleme der
Franchise-Praxis nicht lösen.
So blieben u. a. folgende Punkte von diesem Gesetz unberührt und als Probleme der
Franchise-Praxis bestehen:
Wie war zu verfahren,
- wenn sich der Franchise-Geber als unfähig erwies, ein Franchise-System zu leiten,
- wenn es Vertragsklauseln dem Franchise-Geber ermöglichten, den Vertrag ohne
Kontrolle zu kündigen,
- wenn die Laufzeit des Vertrages so kurz war, dass es dem Franchise-Nehmer nicht
möglich war, seine getätigten Investitionen zurückzuerwirtschaften,
- wenn der Franchise-Nehmer nach Beendigung des Vertrages noch Waren oder Produkte
besaß, für die er keine Verwendung mehr hatte und die er nicht mehr veräußern konnte,
- wenn der Franchise-Nehmer sich Wettbewerbsklauseln fügen musste, die es
verhinderten, dass er seinen erlernten Beruf ausüben konnte,
- wenn der Franchise-Nehmer über die Verlängerung des Vertrages im Ungewissen
gelassen wurde, wodurch ihm zusätzliche Kosten entstanden?
Es bleibt somit festzuhalten, dass das Gesetz vom 1. Februar 2006 zwar ein erster Schritt
zur Aufhebung der Ungleichheit zwischen Franchise-Geber und Franchise-Nehmer war, den
speziellen Anforderungen an die Franchise-Praxis jedoch nicht gerecht wurde.
Aus diesem Grund wurde dieses Gesetz mit dem Ziel erweitert, minimale Regle-
mentierungen festzulegen, die über die vorvertragliche Informationsphase hinausreichen und
somit den Besonderheiten des Franchise-Vertrages gerecht werden.13
Grundlage der weiteren Ausführungen dieser Arbeit bildet das Gesetz vom 1. Februar 2006
mit den entsprechenden Ergänzungen.
3.3. Zustandekommen des Franchise-Vertrages
Welche Voraussetzungen und Bedingungen erfüllt sein müssen, damit zwischen Franchise-
Geber und Franchise-Nehmer ein gültiger Kontrakt zustande kommt, wird im belgischen
Gesetz in Art. 2, 3 und 4 geregelt. So gibt Art. 2 eine weit reichende Definition des
Franchise-Vertrages.14 In Art. 2 des Gesetzes wird erläutert, dass sich das Gesetz auf kom-
merzielle Partnerschaften bezieht, die zwischen zwei Parteien geschlossen werden, welche
12 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Entwicklungen, S. 6. 13 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Entwicklungen, S. 6. 14 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Kommentierung der Artikel, Art. 2, S. 9.
136
in eigenem Namen und Interesse handeln. Eine der beiden Parteien räumt der anderen das
Recht ein, gegen Vergütung ein System (Franchising) zum Vertrieb von Produkten oder zur
Versorgung mit Dienstleistungen zu nutzen. Das System muss dabei einen oder mehrere der
folgenden Punkte beinhalten:
- eine allgemeine Marke,
- einen allgemeinen kommerziellen Namen,
- die Übertragung von Know-how,
- die Versorgung mit kommerzieller oder technischer Hilfe.
Durch die enge Definition dessen, was der belgische Gesetzgeber unter Franchise versteht,
soll verhindert werden, dass das Gesetz umgangen wird. Zudem soll bewerkstelligt werden,
dass alle Aktivitäten, die dem Franchise zuzuordnen sind, auch vom Gesetz erfasst werden.
Weiterhin muss der Franchise-Geber nach Art. 3 mindestens einen Monat vor Ver-
tragsabschluss dem Franchise-Nehmer einen Vorentwurf des Vertrages sowie ein spezielles
Dokument zur vorvertraglichen Aufklärung zukommen lassen.15 In diesem Zeitraum darf der
Franchise-Geber vom Franchise-Nehmer keinerlei Vergütung verlangen.
Das spezielle Dokument zur vorvertraglichen Aufklärung umfasst zwei Schwerpunkte: Zum
einen wichtige vertragliche Bestimmungen nach Art. 4 § 1 und zum anderen - nach Art. 4 § 2
– Fakten, die zur korrekten Beurteilung der Geschäftsbeziehungen innerhalb des Franchise-
Vertrages beitragen.16 Unter den Schwerpunkt der wichtigen vertraglichen Bestimmungen
fallen u. a. Punkte wie:
- Festlegung der Verpflichtungen für beide Vertragsparteien,
- Folgen der Nichteinhaltung der Verpflichtungen,
- Art und Weise, wie die Gebühren berechnet werden, die der Franchise-Nehmer zu
entrichten hat,
- Laufzeit des Vertrages sowie Konditionen, unter denen sich die Laufzeit verlängert,
- Kündigungsbedingungen des Vertrages, insbesondere unter Beachtung der Aufgabe
getätigter Investitionen.
Unter den zweiten Schwerpunkt – Fakten, die zur korrekten Beurteilung der
Geschäftsbeziehungen innerhalb des Franchise-Vertrages beitragen - fällt die Regelung
formaler und wirtschaftlicher Gesichtspunkte, wie z.B.:
- Name, Anschrift und Aktivitäten der die Rechte gewährenden Partei (Franchise-Geber),
- Übersicht über die letzten drei Jahresabschlüsse des Franchise-Gebers,
- Überblick über die Marktsituation, die voraussichtliche Marktentwicklung und die
aktuellen Marktanteile des Franchise-Systems,
15 Vgl. Giesler / Nauschütt, Franchise-Recht, 2. Aufl., Köln 2008, S. 1130. 16 Vgl. Giesler / Nauschütt, Franchise-Recht, 2. Aufl., Köln 2008, S. 1131.
137
- Einblick in Größe und Entwicklung des Franchise-Systems, insbesondere ein Überblick
über die Anzahl der geschlossenen und beendeten Franchise-Verträge der letzten drei
Jahre sowie die Anzahl der Verträge, die nicht verlängert wurden,
- Überblick über Investitionsvolumen und entstehende Kosten für den Franchise-Nehmer
bei Eintritt in das Franchise-System und während der Vertragslaufzeit sowie über die
Regelung bei Beendigung des Vertrages.
Weiterhin haben sowohl der Franchise-Geber als auch der Franchise-Nehmer das Recht,
von der jeweils anderen Vertragspartei in schriftlicher Form den Inhalt des Franchise-
Vertrages und eventueller Nachträge zu verlangen.17 Dies kann während der gesamten
Zeitdauer der Vertragsausführung geschehen.
Die Klauseln des Vertrages müssen gemäß Art. 7 klar und verständlich formuliert sein. Ist
dies nicht der Fall, werden sie zugunsten des Empfängers interpretiert.18
Kommt der Franchise-Geber seiner Informationspflicht gegenüber dem Franchise-Nehmer
nicht oder nicht ausreichend nach, kann der Franchise-Nehmer gemäß Art. 5 des Gesetzes
die Ungültigkeit des Vertrages innerhalb von zwei Jahren nach dessen Abschluss geltend
machen.19
3.4. Pflichten des Franchise-Gebers
Wie im Abschnitt 3.3 dargelegt, hat der Franchise-Geber durch die vorvertragliche Auf-
klärungspflicht nach den Art. 2 und 3 bereits eine große Anzahl an Pflichten zu erbringen,
bevor der Franchise-Vertrag überhaupt Gültigkeit erlangt. Unabhängig davon unterliegt der
Franchise-Geber aber auch Verpflichtungen, die während der gesamten Vertragsdauer gültig
sind.
Der Franchise-Geber ist nach Art. 5 verpflichtet, dem Franchise-Nehmer alle Veränderungen
am Franchise-System, die die wirtschaftliche Nutzung beeinflussen können, mitzuteilen
sowie eine Geschäftspolitik zu betreiben, die im Sinne des Franchise-Systems ist.20
Weiterhin ist der Franchise-Geber nicht nur verpflichtet, sein Know-how an den Franchise-
Nehmer weiterzugeben, sondern ihn auch während der gesamten Vertragsdauer ausführlich
zu betreuen sowie ihm den Gebrauch der Geschäftsbezeichnung und der Marken zu ge-
statten.21 Zudem muss der Franchise-Geber die Produkte oder Dienstleistungen des Fran-
chise-Systems aktualisieren und wettbewerbsfähig halten. Der Gesetzgeber beabsichtigt
17 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 4, S. 21. 18 Vgl. Belgium - Franchise Legislation, Law relative to pre-contractual information in the framework of agreements of commercial partnership, Art. 7. 19 Vgl. Belgium - Franchise Legislation, Law relative to pre-contractual information in the framework of agreements of commercial partnership, Art. 5. 20 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 5, S. 22. 21 Vgl. Giesler / Nauschütt, Franchise-Recht, 2. Aufl., Köln 2008, S. 1130.
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damit, die Verpflichtung des Franchise-Gebers zur kontinuierlichen kaufmännischen und
technischen Unterstützung als eine grundsätzliche Pflicht im Franchising zu verankern.22
Damit soll dem hohen Investitionsrisiko und den laufenden Kosten durch Zahlung der
Vergütung durch den Franchise-Nehmer Rechnung getragen werden.
Zusätzlich muss der Franchise-Geber die Wettbewerbsfähigkeit seines Systems darlegen,
indem er gemäß Art. 6 ein Konzept ausgearbeitet hat, welches seit mindestens einem Jahr
und in mindestens einem Pilotprojekt erfolgreich am Markt teilnimmt.23 Dadurch sollen
wirtschaftliche Risiken minimiert und Konkursfälle in Serie vermieden werden.
3.5. Pflichten des Franchise-Nehmers
Ebenso wie der Franchise-Geber unterliegt auch der Franchise-Nehmer Regeln und
Pflichten, denen er während der gesamten Vertragsdauer nachkommen muss.
Im Gesetzestext sind nur bei der Definition von Franchise in Art. 2 Vergütungszahlungen des
Franchise-Nehmers erwähnt. Eine gesonderte Darlegung von Zahlungsverpflichtungen im
Gesetzestext erfolgt nicht, d.h. die Art und Weise der Vergütung wie auch die Höhe und Ver-
gütungsmodalitäten werden im belgischen Franchise-Recht nicht näher geregelt und
unterliegen damit der Vertragsautonomie.
Gemäß Art. 7 ist der Franchise-Nehmer jedoch verpflichtet, entsprechend dem gemein-
samen Interesse der Mitglieder des Franchise-Netzes zu handeln und das Know-how des
Franchise-Gebers, dessen Rechte geistigen Eigentums und das Image des Franchising zu
wahren.24 Der Franchise-Nehmer integriert sich in das bestehende Franchise-System und
muss durch seine damit verbundene Zugehörigkeit zum System auch die Regeln und Ver-
einbarungen, die im gemeinsamen Interesse liegen, akzeptieren und annehmen.
Weiterhin unterliegt der Franchise-Nehmer einem gewissen Wettbewerbsverbot während der
Vertragslaufzeit. Nach Art. 11 § 1 kann es dem Franchise-Nehmer vertraglich verboten
werden, eine andere wirtschaftliche Tätigkeit als die Nutzung des Franchise-Geschäftes
auszuführen.25 Der Franchise-Geber kann dadurch sicherstellen, dass der Franchise-
Nehmer sich voll und ganz auf den Betrieb des Franchise-Geschäftes konzentriert und keine
andere wirtschaftliche Tätigkeit nebenbei betreibt.
22 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Kommentierung der Artikel, Art. 5, S. 12. 23 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 6, S. 22. 24 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 7, S. 22. 25 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Kommentierung der Artikel, Art. 11, S. 24.
139
3.6. Dauer und Beendigung des Franchise-Vertrages
Der Franchise-Vertrag kann gemäß Art. 8 auf eine befristete oder unbefristete Dauer ge-
schlossen werden.26 Wird die Laufzeit des Vertrages nicht festgelegt, wird dies als un-
befristete Dauer gedeutet.27 Jedoch muss die Vertragsdauer dem Franchise-Nehmer ermög-
lichen, die von ihm getätigten Investitionen und laufenden Kosten, die durch die Nutzung des
Franchise-Systems entstehen, zu decken, denn zu kurze Vertragslaufzeiten, vorzeitige
Vertragsauflösungen oder Nichtverlängerungen von Verträgen könnten den Franchise-
Nehmer sonst in große wirtschaftliche Nöte treiben. Der Gesetzgeber versucht durch diese
Regelung, dem Franchise-Nehmer die Amortisierung seiner getätigten Investitionen zu
ermöglichen. Somit richtet sich die Mindestdauer des Vertrages – außer danach, ob eine
befristete oder unbefristete Vertragslaufzeit gilt - auch nach der Höhe der Investitionen, die
der Franchise-Nehmer aufbringen muss. Diese Regelung findet keine Anwendung, wenn
sich der Franchise-Geber vertraglich dazu verpflichtet, den Franchise-Nehmer für die
Kosten, die durch die Beendigung des Vertrages entstanden sind, zu entschädigen.28
Weiterhin gilt, dass der Franchise-Geber verpflichtet ist, dem Franchise-Nehmer die
Kündigung fristgerecht mindestens sechs Monate vor Ablauf des Vertrages zuzustellen.29
Oftmals zieht der Franchise-Geber aus der Nutzung des Franchise-Systems durch den
Franchise-Nehmer dauerhafte wirtschaftliche Vorteile, die durch den Franchise-Geber nicht
ausreichend entgolten werden.
Um diese Fehlgewichtung zu beheben, hat der Franchise-Nehmer gemäß Art. 9 am Ende
des Franchise-Vertrages Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für:
- Werbekosten, die in Übereinstimmung mit dem Franchise-Geber entstanden sind und die
weiterhin dem Franchise-Geber zugute kommen,
- erheblichen Wertzuwachs des Kundenkreises, den der Franchise-Nehmer auf Grund
seiner Tätigkeit entwickelt, erweitert und in das System eingebracht hat und der auch
weiterhin dem Franchise-Geber zur Verfügung steht und ihm einen bedeutenden Nutzen
verschafft.30
Dieser Anspruch auf eine Entschädigung besteht nicht, wenn der Vertrag nicht wegen
- Alters des Franchise-Nehmers, 26 Vgl. Gesetzesvorlage, zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Artikel 8, S.23. 27 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 8, S. 23. 28 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 8, S. 23. 29 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 8, S. 23. 30 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 9, S. 23.
140
- Invalidität des Franchise-Nehmers,
- Krankheit des Franchise-Nehmers oder
- schweren Verfehlungen des Franchise-Gebers
beendet wird oder durch schwere Verfehlungen des Franchise-Nehmers endet.31 Auch ist es
möglich, dass der Franchise-Nehmer nach Beendigung des Franchise-Vertrages auf Waren
und Produkten sitzen bleibt, weil er keinerlei Vermarktungsmöglichkeiten mehr dafür hat.
Auch in diesem Fall hat der Franchise-Nehmer einen Anspruch auf eine Entschädigung, die
auf Grundlage des Einkaufswertes der Waren und Produkte, die nicht veraltet oder überholt
sein dürfen, berechnet wird.32
Ist eine Zusammenarbeit zwischen Franchise-Geber und Franchise-Nehmer auf Grund
außergewöhnlicher Gründe definitiv nicht mehr möglich, kann jede Partei den Vertrag ohne
Einhaltung der Kündigungsfrist vor Ablauf der Laufzeit des Vertrages und vorbehaltlich aller
Schadenersatzbeträge gemäß Art. 10 beenden33. Was genau unter „außergewöhnliche
Gründe“ zu verstehen ist, ist in jedem Einzelfall von einem Gericht zu klären. Damit ergeben
sich Spielräume und Grauzonen, welche die Rechtsprechung wohl erst im Laufe der Zeit
aufhellen kann.
Übernimmt nach Beendigung des Franchise-Vertrages der Franchise-Geber oder ein Dritter
das Geschäft des Franchise-Nehmers oder wurde der Vertrag auf Grund schwerer
Verfehlungen des Franchise-Nehmers beendet, kann der Franchise-Nehmer nach Art. 11 § 2
mit einem Wettbewerbsverbot belegt werden.34 Dieses Wettbewerbsverbot darf jedoch
höchstens für die Dauer eines Jahres nach Beendigung des Franchise-Vertrages wirksam
sein und ist auf das Gebiet beschränkt, in dem der Franchise-Nehmer als Konkurrent zum
Franchise-Geber auftreten könnte.35 Wie weit sich dieses Gebiet erstreckt, ist sicherlich auch
eine Auslegungsfrage, speziell bei landesweit oder sogar weltweit agierenden Franchise-
Gebern. So ist es aus ökonomischer Sichtweise schwer vorstellbar, einen ehemaligen
Franchise-Nehmer ein ganzes Jahr lang in ganz Belgien vom Wettbewerb auszuschließen.
Weiterhin ist zu erwähnen, dass Regelungen anderer Wettbewerbsgesetze des Landes
Belgien unberührt bleiben und sich somit durchaus gegensätzliche Ansatzpunkte der
gesetzlichen Regulierung ergeben können. 31 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 9, S. 24. 32 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 9, S. 24. 33 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 10, S. 24. 34 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 11, S. 24. 35 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 11, S. 25.
141
Auch kann - nach Art. 12 - vertraglich festgelegt sein, dass der Franchise-Geber ein
Vorkaufsrecht auf das Geschäftsvermögen des Franchise-Nehmers hat.36
Der Franchise-Nehmer hat dann - nach Bekanntgabe der Absicht des Franchise-Gebers,
dieses Vorkaufsrecht wahrzunehmen - zwei Monate Zeit, dem Franchise-Geber ein höheres,
unwiderrufliches Angebot eines Dritten vorzulegen. Der Franchise-Geber wiederum hat
danach 30 Tage Zeit, dieses Angebot zu überbieten. Geschieht dies nicht, steht es dem
Franchise-Nehmer frei, sein Geschäftsvermögen an den Dritten zu veräußern. Dem
Franchise-Nehmer soll es mit dieser Regelung ermöglicht werden, sein Geschäftsvermögen
zu einem angemessenen Wert zu veräußern. Zudem soll verhindert werden, dass der
Franchise-Nehmer durch vertragliche Klauseln gezwungen ist, sein Geschäftsvermögen mit
Wertverlust abzutreten.
3.7. Inkrafttreten und Anwendungsbereich
Das ursprüngliche Gesetz trat am 1. Februar 2006 in Kraft.37 Die Erweiterung des Gesetzes
gilt für alle neu abgeschlossenen, erneuerten oder verlängerten Franchise-Verträge und
findet Anwendung auf alle laufenden Verträge zwei Jahre nach Inkrafttreten.38 Der
Anwendungsbereich bezieht sich auf alle Franchise-Systeme, die ihren wirtschaftlichen
Schwerpunkt im Land Belgien haben.
Abweichungen vom Gesetz sind nur dann zulässig, wenn der Franchise-Nehmer durch diese
Abweichung besser gestellt wird als durch Regelungen des Gesetzes oder wenn der
Franchise-Nehmer die Definition der „kleinen Gesellschaft“ nach Art. 15 der
gesellschaftsrechtlichen Gesetzgebung nicht erfüllt.39 Rechtliche Regelungen anderer
Staaten können nicht berücksichtigt werden, es gelten ausschließlich die Bestimmungen des
belgischen Franchise-Rechtes unter Beachtung europäischer Regelungen.
4. Bewertung
Mit der Novellierung des belgischen Franchise-Gesetzes ist es dem Gesetzgeber sicherlich
gelungen, die Differenz zwischen der starken Vertragspartei, dem Franchise-Geber, und der
schwächeren Vertragspartei, dem Franchise-Nehmer, zu verringern. Ob es damit jedoch
gelungen ist, die beiden Parteien vor Vertragsabschluss und auch während der
Vertragsdauer gleich stark zu machen, bleibt fraglich.
36 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 12, S. 25. 37 Vgl. Belgium - Franchise Legislation, Law relative to pre-contractual information in the framework of agreements of commercial partnership, Art. 10. 38 Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 15, S. 26. 39Vgl. Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006, Gesetzesvorlage, Art. 15, S.26
142
Der Franchise-Geber muss ohne Zweifel weiterreichende Informationen über sein Franchise-
Konzept offenlegen als dies vor der Gesetzeseinführung der Fall war. Dem Franchise-
Nehmer wird ein ausführlicherer Einblick in das System gewährt, wodurch potentielle Risiken
besser zu erkennen sind. Auch wird der Franchise-Nehmer durch das Gesetz besser bei
geschäftsschädigendem Verhalten des Franchise-Gebers geschützt, und willkürliche Akte
der Vertragspartner werden so gut wie ausgeschlossen. Vor allem in Hinblick auf
Planungssicherheit und Kontinuität beim Betrieb des Franchise-Geschäftes hat der
Franchise-Nehmer durch das Gesetz mehr Sicherheit. Auch das finanzielle Risiko des
Franchise-Nehmers wird verringert, vor allem dadurch, dass der Franchise-Nehmer nach
Vertragsende nicht mehr auf getätigten Investitionen sitzen bleibt. Im Allgemeinen werden
die Pflichten des Franchise-Gebers sowohl während der vorvertraglichen Aufklärungspflicht
als auch während der Vertragsdauer genauer definiert. Nachteilige Klauseln und
Vertragsbedingungen zu Lasten des Franchise-Nehmers kann der Franchise-Geber nicht
mehr so leicht in den Vertrag einbauen, da viele Aspekte durch das Gesetz genau geregelt
werden.
Trotz alledem bleibt auch weiterhin ein beachtliches Risiko für den Franchise-Nehmer
bestehen. Er ist kein freier Unternehmer, der alle Entscheidungen allein treffen kann,
sondern Mitglied in einem System, an dessen Regeln und vertragliche Bestimmungen er
gebunden ist. Diese Teilhabe am Franchise-System bewirkt Vorteile, aber auch Zwänge und
Verpflichtungen, die den Franchise-Nehmer als Unternehmer einengen.
Der Franchise-Nehmer muss abwägen, ob das wirtschaftliche Risiko und die
Verpflichtungen, die er mit dem Eintritt in das Franchise-System eingeht, dem möglichen
Nutzen in einem angemessenen Verhältnis gegenüberstehen. Diese Abwägung ist durch das
Franchise-Gesetz in Belgien für potentielle Franchise-Nehmer besser möglich als vor dem
Gesetzeserlass.
143
Literaturverzeichnis Belgische Franchise Federation, www.fbf-bff.be/index.php?lang=nl [08.11.2008] Brennecke & Partner: Rechtsinfos Franchiserecht, www.brennecke-partner.de/Rechtsinfos/Franchiserecht [08.11.2008] DFV – Deutscher Franchise-Verband e.V., www.dfv-franchise.de/ [08.11.2008] European Franchise Federation, www.eff-franchise.com/ [08.11.2008] Existenzgründung mit System, Ein Leitfaden des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., www.dfv-franchise.de/ [08.11.2008] Flohr, Eckhard: Masterfranchise-Vertrag, Beck’sche Musterverträge, Band 42, Verlag C.H. Beck, München 2004 Franchise-Starter, Existenzgründung mit System, www.franchisestarter.de/ [08.11.2008] Franchise Law Insider, A Publication Reviewing Recent Franchise and Related Business Developments, 1st Quarter 2006 Giesler, Patrick / Nauschütt, Jürgen: Franchise-Recht, 2. Aufl., Luchterhand-Verlag, Neuwied 2007 INFO-Paket des Deutschen Franchise-Verband e.V., www.dfv-franchise.de/ [08.11.2008] Konigsberg, Alexander S.: International Franchising, 3. A., Juris Publishing, Inc., New York, USA 2008 Syncon, International Franchise Consultants Österreich, 5. Was bedeutet die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsbindungen, die seit 30.06.2000 in Kraft ist, für mich bzw. für mein Franchise-System?, www.syncon.de/frequently_asked_questions/ download_faq/frage5.pdf [08.11.2008] Belgium - Franchise Legislation, Law relative to pre-contractual information in the framework of agreements of commercial partnership, www.eff-franchise.com/IMG/pdf/Belgium__Franchise_Legislation_on_Precontractual_.pdf [14.3.2009] Ethikkodex für Mitglieder, assoziierte Mitglieder und assoziierte Experten des Deutschen Franchise-Verbandes e.V., www.dfv-franchise.de/ [08.11.2008] Gesetzesvorlage zur Regelung des Franchise-Vertrages über die vorvertragliche Phase hinaus im Hinblick auf die Verbesserung der kaufmännischen Praktiken in diesen Bereich, 10. Juli 2006
144
Adressen der Franchise-Wirtschaft
� http://www.franchiseverband.com/Internationale-Franchise-Verbaende.111.0.html
[13.11.2009]
Materialien zum Franchise-Recht (Hinweise)
• EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsbindungen:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31999R2790:DE:HTML
[13.11.2009]
• EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Franchise-Vereinbarungen:
http://eur-
lex.europa.eu/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexplus!prod!DocNumber&type_doc=Regula
tion&an_doc=1988&nu_doc=4087&lg=de [13.11.2009]
• Ethikkodex des Deutschen Franchise-Verbandes:
http://www.franchiseverband.com/fileadmin/user_upload/MAIN-dateien/PDF-
Website/Ethikkodex-2008.pdf [13.11.2009]
• Richtlinie des Deutschen Franchise-Verbandes „vorvertragliche Aufklärungspflichten“
http://www.franchise.at/files/seiteninhalt/faq-pdfs/vorvertragl_aufklaerung.pdf [17.11.2009]
• Leitfaden des Deutschen Franchise-Verbandes „Existenzgründung mit System“:
http://www.franchiseverband.com/fileadmin/user_upload/MAIN-dateien/PDF-Website/DFV-
Der-Leitfaden.pdf [17.11.2009]