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6 F&T Magazin Aktuelle F&T-Aktivitäten Aktuelle Forschungs- und Transferthemen unserer Professorinnen und Professoren Ausgabe 2 „First, I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the earth.“ Mit diesen Worten ver- kündete der US-Präsident John F. Kennedy am 25. Mai 1961 das Ziel, auf dem Mond zu landen. Am 23. Juni 2016 stimmen die Briten über Verbleib oder Aus- stieg („Brexit“) aus der EU ab. Mit dem Ergebnis von rund 52 % für den Ausstieg und 48 % für den Verbleib in der EU ist die Ent- scheidung für den Brexit gefallen. Der Austrittsprozess gemäß Art. 50 des Vertrages von Lissabon wird am 29. März 2017 gestartet. Am 27. Juni 2017, also rund drei Monate später, äußert sich David Davis, der Minister des „Depart- ment for Exiting the European Union (DExEU)“ zur Komplexität des Brexits: „Half of my task is running a set of projects that make the Nasa moon shot look quite simple“ Die Aussage von Davis kann auch in die These umformuliert werden: „Der Bre- xit ist deutlich komplexer als die Mondlandung.“ Projekte können als Teil des Le- benszyklus von Systemen inter- pretiert werden, mit drei Haupt- phasen: 1. Bereitstellung des Systems (Create) 2. Nutzung des Systems (Use) 3. Außerdienststellung des Sys- tems (Dispose) Mondlandung und Brexit wei- sen im Vergleich der relevan- ten Phasen 1 und 2 erhebliche Unterschiede auf. Das Apollo-Pro- gramm diente dazu, ein System zu schaffen, das die Landung und sichere Rückkehr eines Astronau- ten ermöglichte. Die Entwicklung des Systems umfasste nach der Rede Kenne- dys einen Zeitraum von rund 8 Jahren, während die Mond- landemission in nur wenigen Ta- gen erfolgte. Apollo 11 startete am 16. Juli 1969, die Mondlandung erfolgte am 20. Juli 1969 und die sichere Rückkehr am 24. Juli 1969 (siehe Abb. 1). Damit war das Projektziel erfüllt. Der Nutzen des Projektes lag nicht in einer mehrjährigen Nutzungsphase sondern im Nachweis der Mach- barkeit der Mondlandung, aber in besonderem Maße auch dem Weg dorthin als einigendes und motivierendes Element. Im Falle des Brexits sollen durch „Leave the EU“ in Phase 1 dauer- hafte Vorteile in der nachfolgen- den Phase 2 generiert werden, Prof. Dr. Roland Alter Brexit und die Mondlandung: Wie komplex ist der Ausstieg Großbritanniens aus der EU 1 Zur Person: Prof. Dr. Roland Alter ist seit 2008 Professor für Organisation und Projektmanagement an der Fakultät Wirtschaft und Verkehr. Seine Inter- essensschwerpunkte liegen in den Bereichen strategisches Controlling, strategische Unter- nehmensführung und Projekte sowie Cashflow- Management. Abb. 1: Buzz Aldrin on the Moon

Aktuelle FT-Aktivitätenwv.hs-heilbronn.de/bu/bu_news/bua_ws17/bua_ws17_doc01.pdf18 May 1969 3: Stafford, Young, Cernan Lunar Orbiter (withLunar Module) Apollo 11 CSM: 28,801 kg LM:

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6 F&T Magazin

Aktuelle F&T-AktivitätenAktuelle Forschungs- und Transferthemen unserer Professorinnen und Professoren

Ausgabe 2

„First, I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the earth.“ Mit diesen Worten ver-kündete der US-Präsident John F. Kennedy am 25. Mai 1961 das Ziel, auf dem Mond zu landen.

Am 23. Juni 2016 stimmen die Briten über Verbleib oder Aus-stieg („Brexit“) aus der EU ab. Mit dem Ergebnis von rund 52 % für den Ausstieg und 48 % für den Verbleib in der EU ist die Ent-scheidung für den Brexit gefallen. Der Austrittsprozess gemäß Art. 50 des Vertrages von Lissabon wird am 29. März 2017 gestartet. Am 27. Juni 2017, also rund drei Monate später, äußert sich David Davis, der Minister des „Depart-ment for Exiting the European Union (DExEU)“ zur Komplexität des Brexits: „Half of my task is running a set of projects that make the Nasa moon shot look quite simple“ Die Aussage von Davis kann auch in die These umformuliert werden: „Der Bre-xit ist deutlich komplexer als die Mondlandung.“

Projekte können als Teil des Le-benszyklus von Systemen inter-pretiert werden, mit drei Haupt-phasen: 1. Bereitstellung des Systems

(Create)2. Nutzung des Systems (Use)3. Außerdienststellung des Sys-

tems (Dispose)

Mondlandung und Brexit wei-

sen im Vergleich der relevan-ten Phasen 1 und 2 erhebliche Unterschiede auf. Das Apollo-Pro-gramm diente dazu, ein System zu schaffen, das die Landung und sichere Rückkehr eines Astronau-ten ermöglichte.

Die Entwicklung des Systems umfasste nach der Rede Kenne-dys einen Zeitraum von rund 8 Jahren, während die Mond-landemission in nur wenigen Ta-gen erfolgte. Apollo 11 startete am 16. Juli 1969, die Mondlandung erfolgte am 20. Juli 1969 und die sichere Rückkehr am 24. Juli 1969 (siehe Abb. 1). Damit war das Projektziel erfüllt. Der Nutzen des Projektes lag nicht in einer mehrjährigen Nutzungsphase sondern im Nachweis der Mach-barkeit der Mondlandung, aber in besonderem Maße auch dem Weg dorthin als einigendes und motivierendes Element.

Im Falle des Brexits sollen durch „Leave the EU“ in Phase 1 dauer-hafte Vorteile in der nachfolgen-den Phase 2 generiert werden,

Prof. Dr. Roland Alter

Brexit und die Mondlandung:Wie komplex ist der Ausstieg Großbritanniens aus der EU1

Zur Person: Prof. Dr. Roland Alter ist seit 2008 Professor für Organisation und Projektmanagement an der Fakultät Wirtschaft und Verkehr. Seine Inter-essensschwerpunkte liegen in den Bereichen strategisches Controlling, strategische Unter-nehmensführung und Projekte sowie Cashflow-Management.

Abb. 1: Buzz Aldrin on the Moon

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die auch mögliche Nachteile überwiegen. Aber es besteht we-der Konsens über Art und Umfang der Vor- und Nachteile noch deren Nutzenbewertung. Die Komplexität von Brexit und Mondlandung kann nachfolgend auf vier Stufen betrachtet werden: Objektiver, relativer, subjektiver und dynamischer Komplexität.

Stufe 1: Objektive Komplexität („Womit haben wir es zu tun?“)

Projekte dienen der Neuschaffung oder auch Umgestaltung eines Systems. Die objektive Komplexi-tät eines Projektes kennzeichnet (a) Ausgangszustand, (b) Zielzu-stand sowie (c) den erforderlichen Transformationsprozess des Systems, und zwar hinsichtlich Struktur und Unsicherheit. Von den verschiedenen Modellen zur Erfassung der Komplexität ist in diesem Zusammenhang

das „Project Complexity and Risk Assessment Tool (PCRA)“ der kanadischen Regierung von besonderem Interesse. Brexit und Mondlandung sind hier der höchs-ten Komplexitäts- und Risikostufe zuzuordnen: „4. Transformational: This class of projects requires ex-tensive capabilities and may have a dramatic effect on the organi-zation and, potentially, on other organizations. […]“

NASA zielte mit ihrem Projekt auf das System Mond; einem in der Erdumlaufbahn befindlichen und dynamischen aber zugleich (weitgehend) deterministischen System. Die „landing zone“ ist hinreichend klar definiert und stabil; die Komplexität liegt im Entwickeln und Anwenden von neuartigen Technologien in bisher noch nie gesehenem Umfang.

Der Brexit hingegen besitzt

aufgrund des allgemein formu-lierten Referendums keine klare „landing zone“. Er ist als politisch-rechtliches Projekt darüber hinaus gekennzeichnet von Verhandlun-gen in einem dynamischen und unsicheren Umfeld bei äußerst engem Zeitrahmen. Der hohen technischen Komplexität der Mondlandung steht somit die hohe politisch-rechtliche Komple-xität des Brexits gegenüber.

Stufe 2: Relative Komplexität („Kann die Organisation es“?)

Die relative Komplexität resultiert aus der Gegenüberstellung von objektiver Komplexität und den Fähigkeiten einer Organisation diese im Sinne der Zielerreichung zu bewältigen.

Im Falle der Mondlandung zeigt sich, dass NASA in 1961 noch nicht über die notwendigen Fähig-

Abb. 2: Bemannte NASA-Missionen auf dem Weg zur Mondlandung; CSM = Command and Service Module, LM = Lunar Module

NASA Mission Mass Start Date Astronauts Flight

Mercury Redstone 3 955 kg 5 May 1961 1: Shepard Earth Suborbital

Mercury Redstone 4 955 kg 21 July 1961 1: Grissom Earth Suborbital

Mercury Atlas 6 1,352 kg 20 February 1962 1: Glenn Earth Orbiter

Mercury Atlas 7, 8

Mercury Atlas 9 1,361 kg 15 May 1963 1: Cooper Earth Orbiter

Gemini 3 3,237 kg 23 March 1965 2: Grissom, Young Earth Orbiter

Gemini 4 - 11

Gemini 12 3,762 kg 11 November 1966 2: Lovell, Aldrin Earth Orbiter

[Apollo 1 Accident during tests27 January 1967

3: Grissom, White, Chaffee]

Apollo 7 14,781 kg 11 October 1968 3: Schirra, Eisele, Cunningham

Earth Orbiter

Apollo 8 CSM: 28,817 kg+ 9,027 kg

21 December 1968 3: Borman, Lovell, Anders Lunar Orbiter

Apollo 9 CSM: 26,801 kgLM: 14,530 kg

3 March 1969 3: McDivitt, Scott, Schweikart Earth Orbiter(with Lunar Module)

Apollo 10 CSM: 28,834 kg LM: 13,941 kg

18 May 1969 3: Stafford, Young, Cernan Lunar Orbiter(with Lunar Module)

Apollo 11 CSM: 28,801 kgLM: 15,103 kg

16 July 1969 3: Armstrong, Aldrin, Collins Lunar Landing

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keiten verfügte. Entscheidend war jedoch, dass die Gründung der NASA in 1958 dem Zweck diente, die Raumfahrtkompetenzen der USA zu bündeln. Damit waren die Voraussetzungen gegeben, die anfänglich begrenzten NASA-Fähigkeiten kontinuierlich auszu-bauen.

Im Falle des Brexit-Projektes ist die britische Exekutive ist keiner Weise vorbereitet. Zum Zeitpunkt

des Referendums existieren keine spezifischen Fähigkeiten für die Handhabung der Komplexität ei-nes Brexits. Mit Blick auf allgemei-ne Projektmanagementressour-cen stellt das National Audit Office eine angespannte Lage im öf-fentlichen Dienst fest, die geprägt wird von den Herausforderungen des aktuellen Projektportfolios. So umfasst das Government Major Projects Portfolio alleine Projekte mit Lebenszykluskosten von 405

Mrd. £.

Stufe 3: Subjektive Komplexität („Versteht man die Herausforde-rung?“)

Nicht immer können oder wollen Organisationen die Herausforde-rungen eines Projektes und die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen. Die subjektive Wahr-nehmung der Komplexität ist oft-mals von Verzerrungen geprägt.

Abb. 3: Aussagen zum Brexit

Person Aussage Beurteilung

Mai 2016: „Indeed the first calling point of the UK’s negotiator in the time immediately after Brexit will not be Brussels, it will beBerlin, to strike the deal: absolute access for German cars andindustrial goods, in exchange for a sensible deal on everythingelse. Similar deals would be reached with other key EU nations.“

Juni 2016; Davis schlägt vor, die Verhandlungen mit Drittländernim September 2016 auf breiter Front zu starten: „I would expectthat the negotiation phase of most of them to be concludedwithin between 12 and 24 months. So within two years, beforethe negotiation with the EU is likely to be complete, and thereforebefore anything material has changed, we can negotiate a freetrade area massively larger than the EU.“

Zeigt Unkenntnis der objektiven Komplexität. Verhandlungen über die neuen Wirtschaftsbeziehungen werden nicht mit einzelnen Ländern sondern nur mit der EU geführt.

Ein Jahr nach dem vorgeschlagenen Beginn erfolgte noch kein Start einer einzigen Verhandlung. So wurde u.a. die Sequenz der Schritte falsch einge-schätzt; zuerst ist das Abkommen mit der EU zu klären (siehe auch unter Liam Fox).

September 2016: „Our policy is having our cake and eating it.“ Mit anderen Worten: Man werde aus der EU austreten, aber weiterhin alle Vorteile des Gemeinsamen Marktes nutzen.

Mai/Juni 2016; Aufschrift auf dem Kampagnenbus, dass der Austritt aus der EU zusätzliche Mittel für das britische Gesundheitswesen (NHS) freisetzen würde: „We send the EU £ 350 milllion a week [,] let‘s fund our NHS instead [,] Vote Leave“.

Ignoriert die objektive Komplexität, da die EU ein „Rosinen-Picken“ ablehnt. Wirkt auf die EU wie eine Provokation und verschärft damit die Komplexität.

Populistisch verzerrende Aussage, da weder Rückflüsse der EU noch eine zukünftige Abschwächung der Wirt-schaft berücksichtigt sind.

Juli 2016: Als „Secretary of State for International Trade“ zu neuen Handelsabkommen mit Drittländern: „[…] Dr Fox claimednumerous non-EU countries had already asked Britain for a tradedeal and said he was ‚scoping about a dozen free trade dealsoutside the EU to be ready for when we leave‘.“

September 2017; die Realität setzt ein: „Fox said a trade deal withthe U.S. was the government’s No. 1 priority after leaving the EU, followed by agreements with Australia and then New Zealand, but admitted it would have to wait until an agreement is struck withBrussels first.“

Zeigt gravierende Fehleinschätzungder relativen Komplexität. Der Wunsch nach schnellen Abschlüssensteht im direkten Widerspruch zu dem Bedürfnis nach umfassenden, den britischen Finanzsektor einschlies-senden = komplexen Verträgen („deepand comprehensive trade deals“). Gleichzeitig fehlen die erforderlichen Ressourcen für langwierige parallele Verhandlungen.

April 2016: „The day after we vote to leave we hold all the cardsand we can choose the path we want.“„While there are, of course, some questions up for negotiation which will occupy our highlyskilled Foreign Office civil servants, resolving them fully andproperly won’t be any more complicated or onerous than the day-to-day work they undertake now navigating their way through EU recitals, trialogues and framework directives.“

Juni 2016: „people in this country have had enough of experts“

Zeigt gravierende Fehleinschätzungder relativen Komplexität: Die eigene Position wird als sehr stark angesehen und der Transformationsprozess als besseres Tagesgeschäft, für das man die nötigen Ressourcen besitze.

Zeigt, dass abweichende Meinungen ignoriert und diskrediert werden.

David Davis

Boris Johnson

Liam Fox

Michael Gove

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NASA zeigt von Beginn an ein deut-lich erkennbares Verständnis der Herausforderungen. Dies ist sowohl an dem realistischen Zeitziel, den organisatorischen Anpassungen von 1961 und 1963 und vor allem dem Konzept der stufenweise aufein-ander aufbauenden Missionen zu erkennen. So nähert sich NASA dem Ziel der Mondlandung mit den einzelnen Missionen schrittweise an, um dann mit Apollo 11 das Pro-jektziel final zu erfüllen (Abb. 2).

Der Professionalität in den USA stehen in Großbritannien zentrale Akteure gegenüber, die die Kom-plexität des Brexits nicht verstehen können oder wollen. Dies lässt sich exemplarisch an den Aussagen von David Davis, Boris Johnson, Liam Fox und Michael Gove ver-deutlichen, die zu den politischen Köpfen des Brexits zählen. Die Abb. 3 verdeutlicht die gravierenden Fehleinschätzungen: Die objek-tive Komplexität des Brexits wird verharmlost, während die eigenen Fähigkeiten überschätzt und die zukünftigen Nutzeneffekte idealisiert werden. Da zudem kein Zielsystem existiert und kein Verständnis der erforderlichen Transformationspro-zesse besteht, können auch keine Prioritätsentscheidungen getroffen und ein Meilensteinplan analog zur Mondlandung entwickelt werden.

Stufe 4: Dynamische Komplexi-tät: („Schließt sich die Schere oder öffnet sie sich?“)

Die objektive Komplexität und die Fähigkeiten zur Beherrschung sind nicht statisch zu interpretieren. Die dynamische Komplexität kennzeich-net, wie sich die anfängliche Schere zwischen der objektiven Komplexität und den Fähigkeiten der Organisati-on entwickelt.

Für NASA gilt, dass die die Komple-xität entlang des Meilensteinplans im Kern beherrscht und Maßstäbe im Projektmanagement gesetzt werden. Für den Brexit zeigt sich ein anderes Bild, und zwar von Beginn an. Das Ergebnis des Referendums

führt zum Rücktritt von Premier-minister Cameron. Das Projekt ist damit von der Mehrheit der Wähler autorisiert, es besitzt aber keinen Projekt-Sponsor.

Die neue Premierministerin There-sa May (Abb. 4) proklamiert „Brexit means Brexit“. Mit der „Lancaster House Speech“ vom 17. Januar 2017 setzt May den Rahmen für die Aktivierung des Art. 50. Die Rede zeigt zugleich ein wachsendes und doch unzureichendes Verständnis der Projektkomplexität. So ignoriert sie mit ihren Zeitvorstellungen die einschlägigen Erfahrungen aus anderen Handelsabkommen, die mehrjährig längere Verhandlungs-zeiträume erforderten. Der Unter-schied zur realistischen Zeitsetzung von John F. Kennedy für das Mond-Projekt drängt sich förmlich auf.

Am 29. März 2017 wird der Brexit-Prozess nach Art. 50 in Gang gesetzt: auf Basis ungelöster Ziel-konflikte und unrealistischer Zeitvor-stellungen. Es wird zudem deutlich, dass die Komplexitätsschere immer weiter aufgeht, wie dies am Auftre-ten fortlaufend neuer Aspekte zu erkennen ist (EURATOM, Luftver-kehrsrechte, IT-Anpassungen,…).

Das eingangs angeführte Zitat von David Davis, dass die Mondlandung in Teilen simpel im Vergleich zum Brexit sei, trifft nicht den wirklichen Punkt, wie der Vergleich auf Basis der vier Komplexitätsstufen verdeut-licht. Beide Projekte, Mondlandung Brexit, sind auf ihre Weise außerge-wöhnlich komplex. Der zentrale Un-terschied liegt darin, dass die objek-tive Komplexität des Vorhabens auf Seiten der NASA verstanden wurde. Neil Armstrong konnte am 20. Juli 1969 die Mondlandung verkünden; ob und wann Großbritannien für den Brexit „Mission Accomplished“ vermelden kann, und vor allem in welchem Landegebiet, bleibt aktuell völlig offen.

1 Gekürzte Version des Artikels, aus: projektMa-nagement aktuell, Heft 1, 2018, S. 58-65. Siehe auch dort die Quellenangaben.

Abb. 4: Theresa May